Ich erinnere mich, wie ich am ersten Arbeitstag des Jahres 2006 die Post in der Musikredaktion von CT das radio öffnete und darin die Promo für die neue Tomte-CD („Watermarked #89“) lag. Wie ich die CD am Abend zum ersten Mal hörte und wusste, dass ich viel Zeit mit diesem Album verbringen würde.
Ich erinnere mich, wie ich Thees Uhlmann zum Interview im Düsseldorfer Zakk traf. Wie ich ihm unbeholfen das Demo einer befreundeten Band in die Hand drückte, das ich eigentlich für Simon Rass vom Grand Hotel van Cleef mitgebracht hatte, der aber gar nicht vor Ort war, und wie Thees zum ersten Mal die Kilians hörte.
Ich erinner mich, wie ich um vier Uhr morgens in Dinslaken aufstand und zum Düsseldorfer Flughafen fuhr, um nach Nürnberg zu fliegen (mein allererster Flug ohne Eltern!). Wie ich mit dem Zug nach Erlangen weiterfuhr, um die Kilians zu treffen, die jetzt, acht Wochen nach dem Interview, bei Tomte im Vorprogramm spielten. Ich stellte mich als Backliner und Roadie vor, bekam meinen eigenen Backstage-Pass und vergaß direkt am ersten Abend den Teppich, der auf der Bühne unter Micka Schürmanns Schlagzeug liegen sollte, in einer Ecke des E-Werks.
Ich erinnere mich daran, Tomte vier Tage hintereinander live zu sehen, die neuen Songs zu hören, die ich schon in- und auswendig kannte, und zu spüren, wie diese Band auf der Welle der Emotionen surfte, die ihnen entgegengebracht wurde. An die Zeile „Und du sagtest: Da ist zu viel Krebs in deiner Familie“, die mir jeden Abend die Tränen in die Augen trieb, weil mein geliebter Großonkel gerade im Krankenhaus lag und vier Monate später an dieser Arschloch-Krankheit starb. An Soundchecks, Backstageräume und den Deckel einer Rohlingspindel, aus dem Thees Wodka-O trank, bevor ich ihn auf die Stirn küsste.
Ich erinnere mich an zahlreiche Festivals im Sommer, auf denen ich Tomte immer wieder live sah, und wie wir beim Essen Original so nass wurden, dass das Wasser beim Gehen aus unseren Schuhen schwappte.
Ich erinnere mich, wie ich für CT eine eigene Version von „New York“ zusammenschnitt, weil die Albumversion zu lang war, aber auf der Singleversion das tolle Intro fehlte. (Ich glaube, das ist illegal, und die Band und ihr Produzent Swen Meyer könnten mich wahrscheinlich heute noch verklagen.)
Ich erinnere mich, wie ich im September für drei Monate zu meiner amerikanischen Familie nach San Francisco flog und dachte, dass es ja ein merkwürdiger Zufall ist, dass Thees mit „Walter & Gail“ ein Lied über seine amerikanische Familie geschrieben hatte.
Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Onkel nach New York flog, das damals wirklich noch die „Stadt mit Loch“ war. Dass ich am Chelsea Hotel vorbeiging und wir am Sonntagnachmittag durch den Central Park spazierten und bei Sonnenuntergang das Reservoir erreichten und wie ich dachte, dass manchmal einfach alles einen Sinn ergibt.
Ich erinnere mich, wie ich im Dezember wieder in meinem WG-Zimmer im Bochumer Studentenwohnheim saß, die Platte und „New York“ in all meinen Jahresbestenlisten auf Platz 1 setzte und dachte, dass es wahrscheinlich nie wieder ein Album geben würde, das so eng mit meinem Leben verbunden ist — und dass das auch okay sein würde.
Heute vor 15 Jahren erschien „Buchstaben über der Stadt“ von Tomte. L.Y.B.E.