Kategorien
Musik Leben

Was den Himmel erhellt

Ich erinnere mich, wie ich am ersten Arbeitstag des Jahres 2006 die Post in der Musikredaktion von CT das radio öffnete und darin die Promo für die neue Tomte-CD („Watermarked #89“) lag. Wie ich die CD am Abend zum ersten Mal hörte und wusste, dass ich viel Zeit mit diesem Album verbringen würde.

Ich erinnere mich, wie ich Thees Uhlmann zum Interview im Düsseldorfer Zakk traf. Wie ich ihm unbeholfen das Demo einer befreundeten Band in die Hand drückte, das ich eigentlich für Simon Rass vom Grand Hotel van Cleef mitgebracht hatte, der aber gar nicht vor Ort war, und wie Thees zum ersten Mal die Kilians hörte.

Ich erinner mich, wie ich um vier Uhr morgens in Dinslaken aufstand und zum Düsseldorfer Flughafen fuhr, um nach Nürnberg zu fliegen (mein allererster Flug ohne Eltern!). Wie ich mit dem Zug nach Erlangen weiterfuhr, um die Kilians zu treffen, die jetzt, acht Wochen nach dem Interview, bei Tomte im Vorprogramm spielten. Ich stellte mich als Backliner und Roadie vor, bekam meinen eigenen Backstage-Pass und vergaß direkt am ersten Abend den Teppich, der auf der Bühne unter Micka Schürmanns Schlagzeug liegen sollte, in einer Ecke des E-Werks.

Ich erinnere mich daran, Tomte vier Tage hintereinander live zu sehen, die neuen Songs zu hören, die ich schon in- und auswendig kannte, und zu spüren, wie diese Band auf der Welle der Emotionen surfte, die ihnen entgegengebracht wurde. An die Zeile „Und du sagtest: Da ist zu viel Krebs in deiner Familie“, die mir jeden Abend die Tränen in die Augen trieb, weil mein geliebter Großonkel gerade im Krankenhaus lag und vier Monate später an dieser Arschloch-Krankheit starb. An Soundchecks, Backstageräume und den Deckel einer Rohlingspindel, aus dem Thees Wodka-O trank, bevor ich ihn auf die Stirn küsste.

Ich erinnere mich an zahlreiche Festivals im Sommer, auf denen ich Tomte immer wieder live sah, und wie wir beim Essen Original so nass wurden, dass das Wasser beim Gehen aus unseren Schuhen schwappte.

Ich erinnere mich, wie ich für CT eine eigene Version von „New York“ zusammenschnitt, weil die Albumversion zu lang war, aber auf der Singleversion das tolle Intro fehlte. (Ich glaube, das ist illegal, und die Band und ihr Produzent Swen Meyer könnten mich wahrscheinlich heute noch verklagen.)

Ich erinnere mich, wie ich im September für drei Monate zu meiner amerikanischen Familie nach San Francisco flog und dachte, dass es ja ein merkwürdiger Zufall ist, dass Thees mit „Walter & Gail“ ein Lied über seine amerikanische Familie geschrieben hatte.

Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Onkel nach New York flog, das damals wirklich noch die „Stadt mit Loch“ war. Dass ich am Chelsea Hotel vorbeiging und wir am Sonntagnachmittag durch den Central Park spazierten und bei Sonnenuntergang das Reservoir erreichten und wie ich dachte, dass manchmal einfach alles einen Sinn ergibt.

Ich erinnere mich, wie ich im Dezember wieder in meinem WG-Zimmer im Bochumer Studentenwohnheim saß, die Platte und „New York“ in all meinen Jahresbestenlisten auf Platz 1 setzte und dachte, dass es wahrscheinlich nie wieder ein Album geben würde, das so eng mit meinem Leben verbunden ist — und dass das auch okay sein würde.

Heute vor 15 Jahren erschien „Buchstaben über der Stadt“ von Tomte. L.Y.B.E.

Kategorien
Musik

Song des Tages: Ryan Adams – New York, New York

Hier klicken, um den Inhalt von cache.vevo.com anzuzeigen

Zum ersten Mal gehört: Anfang Januar 2002, als ich mir nach mehrfacher Empfehlung endlich “Gold” von Ryan Adams gekauft habe.

Wer musiziert da? Ryan Adams. Nicht Bryan. Der Ex-Sänger von Whiskeytown, dessen aktuelles, selbstbetiteltes Album dieser Tage erscheint.

Warum gefällt mir das? Ich mag den Drive, den Bongos und Orgel erzeugen, und die Atmosphäre, die dieser Song ausstrahlt. Als ich zum ersten Mal in New York war, musste ich natürlich mit diesem Song im Ohr durch die Straßen latschen.
Bonus-Gänsehaut: Das Musikvideo mit diesen Türmen im Hintergrund wurde am 7. September 2001 gedreht.

[Alle Songs des Tages — auch als Spotify-Playlist]

Kategorien
Musik Print Digital

Das ist doch kein Untergang!

Ich schwöre, ich wollte das nicht. Ich wollte eigentlich nur lesen, was sie bei “Spiegel Online” über die (tatsächlich wahnsinnig gute) neue CD von Ben Folds Five geschrieben haben. Jan Wigger schmeißt mit Anspielungen auf das Gesamtwerk der Band nur so um sich und gibt 8,7 von 10 möglichen Punkten. (0,5 zu viel, vielleicht, aber das müsste ich noch auspendeln.)

Und dann hab ich weitergelesen, was Andreas Borcholte über “Babel”, die neue Platte von Mumford & Sons schreibt, von der ich ehrlich gesagt nicht allzu viel erwarte (aber das hatte ich von Ben Folds Five auch nicht). Borcholte findet sie offenbar ziemlich schlimm, aber bevor ich zur Wertung kam, las ich erst mal das hier:

Anfang August traten die Londoner zum ersten Mal nach dem Erfolg ihres Debüts “Sigh No More” in den USA auf – und wählten nicht etwas das nächstbeste Football-Stadion (was gemessen an ihrer Popularität durchaus drin gewesen wäre), sondern spielten in einem Park in Hoboken, der zuvor noch nie als Konzertbühne genutzt wurde. 15.000 kamen und konnten gemeinsam mit Sänger Marcus Mumford die Sonne über Manhattans Türmen (Babel!) am gegenüberliegenden Ufer untergehen sehen: Hach, diese apokalyptische Romantik!

Ich versuche jetzt, in Echtzeit wiederzugeben, was mein Gehirn bei den Worten “am gegenüberliegenden Ufer untergehen” zu mir sagte:

Hoboken, NJ. Westufer des Hudson.
Manhattan. Ostufer. Ooooosten.
Sonne. Geht im Westen unter.
Kann. Nicht. Sein.
Uargh.
Lies noch mal.
Nee. Kann nicht.
Sicherheitshalber Google fragen.
Nee.
Muss ich das jetzt aufschreiben?

Vielleicht brauche ich doch mal Urlaub.

Kategorien
Digital Unterwegs

Ich will Dich treffen, wo es am schönsten war

New York, NY

Facebook macht mein Internet kaputt. Wann immer mir etwas halbwegs besonderes widerfährt oder ich etwas tolles entdecke, poste ich das bei Facebook und dann ist gut. Deswegen verwaist dieses Blog langsam aber sicher und wird nur noch befüllt, wenn sich bei mir genug negative Energie angesammelt hat. Das ist nicht gut.

Markus Herrmann alias Herm, der uns zum Beispiel das Oslog und das Duslog so schön tapeziert hat, war letzte Woche in New York. Er hat ungefähr alles, was er dort erlebt hat (dachte ich zunächst, waren aber nur zehn Prozent dessen), bei Facebook geteilt, sich hinterher aber auch noch die Mühe gemacht, das ausführlicher im Blog zu beschreiben.

Er war in zahlreichen Fernsehstudios, bei Google, an jeder denkbaren Touristenattraktion und hat Mark Hoppus, Conan O’Brien und Elmo aus der Sesamstraße getroffen. Ihm sind die unglaublichsten Dinge passiert und man sieht beim Lesen förmlich, wie er da mit großen Augen durch die Gegend tappst.

Womöglich finde ich das alles besonders toll, weil ich Herms Begeisterung für Popkultur und die USA teile (letzteres ein bisschen eingeschränkt, aber – love them or hate them – irgendwie kann man sich dem ja nicht entziehen) und ich fast auf den Tag genau fünf Jahre vor ihm in New York war und vieles ganz ähnlich erlebt habe.

In jedem Fall wäre es viel zu schade, wieder nur auf den “Gefällt mir”-Button zu klicken. Deswegen seien Ihnen die Einträge aus New York ausdrücklich auch hier im Blog empfohlen:

Herm in New York

Kategorien
Musik

Certain Songs

Regelmäßig, wenn ich in der S-Bahn sitze, frage ich mich, was die ganzen Menschen mit ihren (zumeist weißen) Stöpseln im Ohr wohl so gerade hören.

Ändert sich, wenn man dienstlich gezwungen ist, Anzug und Krawatte zu tragen, auch der Musikgeschmack, oder hört der Mann aus dem Controlling irgendeiner großen Versicherung vielleicht doch gerade Napalm Death? Hören alle den neuesten heißen Scheiß oder sitzen da auch Leute, die alte Alben von R.E.M. oder gar Semisonic anhören? Und: Hört gerade jemand das gleiche Lied wie ich? Haben wir es gar zufällig im gleichen Moment gestartet? (Und, falls ja: Würden wir je erfahren, dass wir einander eigentlich heiraten müssten?)

Ein Mann namens Tyler Cullen hat sich die gleiche Frage gestellt — bzw. eben nicht sich, sondern Passanten in New York. Und weil New York nicht Dinslaken ist, haben ihn die Leute für diese Frage nicht zusammengeschlagen, sondern ihm höflich geantwortet:

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Bei den meisten (gezeigten) Menschen kann man also tatsächlich erahnen, was sie für Musik hören.

[via Facebook]

Kategorien
Literatur

What’s Happening Brother

Ich bin immer noch auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Zwar LIEBE ich mein Apartment am 243 Riverside Drive, aber seit sie neulich zwei Blocks entfernt diesen Geschäftsmann abgestochen haben, möchte ich hier so schnell wie möglich weg. Ich finde, ein bisschen change tut mal ganz gut und so suche ich jetzt mal an der Upper East Side.

Es ist für Deutsche (außerhalb Münchens) vermutlich unvorstellbar, wie schwer es ist, in Manhattan ein geeignetes Apartment zu finden. Zwar ist Dank etlicher foreclosures inzwischen wieder einiges auf dem Markt (anders als vor drei Jahren, als ich hierher kam), aber dafür stehen jetzt auch die Interessenten Schlange. Und wenn Wolfgang Tillmanns, die Tochter von Bobby de Niro oder einer der Petshop Boys sich für ein Apartment interessiert, steht man als kleine Journalistin natürlich blöd da.

Mein guter Freund Bernárd schickte mir kürzlich einen Brief aus Belize. Auf handgeschöpftem Büttenpapier, das ganz leicht, aber auf keinen Fall aufdringlich nach Eau de Cologne duftete, fragte er mich, wie ich eigentlich mit dieser Doppelbelastung als Gesellschaftskolumnistin UND Bestsellerautorin klarkomme.

Ihr müsst wissen: Bernárd ist der Sproß einer französischen Winzerdynastie und hat seine Jugend überwiegend in thailändischen Opiumhöhlen verbracht. Für ihn ist es schon eine große Anstrengung, einmal im Jahr nach Paris zu fliegen und mit seinen Vermögensverwaltern und Geschwistern die Bücher durchzusehen. Die meiste Zeit des Jahres verbringt er mit seinem jugendlichen Liebhaber in der Karibik und genießt dort den Schnee. If you know what I mean.

Zunächst hatte ich überlegt, Bernárd als Antwort auf seine ganz entzückende Frage eine signierte Ausgabe meines neuesten Buches “Die Muschi in der Einkaufstasche” zukommen zu lassen, aber dann fiel mir wieder ein, dass er kein Deutsch versteht. Vielleicht sollte ich mein nächstes Buch (es handelt von einer emanzipierten jungen Frau, die einem älteren Mann den Kopf verdreht und ihn so um Frau, Arbeit und Leben bringt — eine witzige Lektüre für Zwischendurch) direkt auf Englisch schreiben, dann könnte ich vielleicht auch mehr Titel “abverkaufen”, wie sich mein Literaturagent immer ausdrückt. Mein Literaturagent lebt allerdings in Köln, da kann man keine schöne Sprache erwarten.

Nächste Woche ist ja der Jahrestag des Mauerfalls. Ich kann mich noch gut daran erinnern: Ich stand kurz vor meinem Abitur und am nächsten Tag kam unser Geschichtslehrer, so ein alter Nazi, in die Klasse und warf mit großer Geste unser Lehrbuch in die Tonne und sagte, das müsse jetzt alles umgeschrieben werden. Zwei Jahre später tanzte ich jedes Wochenende im Tresor in Berlin und schrieb meine ersten Texte fürs “Zitty”. Das waren Zeiten, als Berlin noch INTERESSANT war …

Vorgestern habe ich mit einem deutschen Radiosender telefoniert, der mich zum ersten Jahrestag von Barack Obamas Wahl zum US-Präsidenten interviewt hat. Das Interview war schlecht vorbereitet und der Moderator sprach immer von “BÄRÄCK OBÄMA”, was mich ganz wahnsinnig gemacht hat, aber anschließend spielten sie “What’s Happening Brother” von Marvin Gaye und da dachte ich, diesen Song muss ich jetzt sofort auch haben. Ich hab das Album noch auf Vinyl, aber das liegt irgendwo in einem Umzugskarton im Keller meines Elternhauses in Unna, und so habe ich mir das Album noch mal bei iTunes gekauft. Früher hätte ich erst in einen record store gehen müssen, wo es entweder gar keine Beratung gibt, oder die langhaarigen, ungewaschenen Verkäufer nur die aktuellen Sachen kennen und VIELLEICHT noch Sonic Youth und the Velvet Underground. Heute geht das alles ganz schnell, direkt auf mein iPhone.

Ich habe mir übrigens schon wieder ein neues iPhone kaufen müssen. Das letzte habe ich ausnahmsweise NICHT im Taxi vergessen (Ihr erinnert Euch), Nein, es ist mir beim Aussteigen aus dem Taxi aus meiner Manteltasche und in den Rinnstein gefallen. “Oh Gosh, not AGAIN”, hab ich gedacht, aber da war es bereits ertrunken. Taxis und iPhones passen anscheinend nicht zusammen, zumindest bei mir.

Nun ja, ich muss Schluss machen, gleich kommt ein Kamerateam von “Titel, Thesen, Temperamente” vorbei und möchte mich beim Joggen durch den Central Park filmen. Die planen ein großes Porträt über mich, das freut mich natürlich. Wo man ja sonst von den deutschen Medien doch eher ignoriert wird. Nach den Dreharbeiten bin ich dann mit einem Freund von Christian Kracht zum lunch verabredet. Ich muss ihn mal fragen, was Christian eigentlich im Moment macht.

Macht’s gut, meine Lieben, wir sprechen uns nächste Woche wieder!

Bussi!

Kategorien
Leben Unterwegs

Greetings From N

Gut, die Nummer hatten wir schon mal.

Aber damals konnte ich wenigstens auf den ersten Blick erkennen, woher die Karte kam. Diesmal hat’s etwas länger gedauert:

Heute anonym: Der Madison Square Garden

Kategorien
Unterwegs

Wenn Brücken ihre Tage haben

Heute ist ein sogenannter Brückentag. Und bevor es jemand anderes macht, dachten wir uns, wir präsentieren Ihnen einfach die schönsten Brückenfotos aus unserem Archiv:

Golden Gate Bridge in San Francisco, CA
Golden Gate Bridge in San Francisco, CA
Kategorien
Unterwegs

New York, New York

Die Freiheitsstatue vor New York

Unsere Autorin Annika fliegt in Kürze nach New York City. Wie schon im Januar mit San Francisco habe ich auch diesmal wieder einen kleinen Reiseführer zusammengestellt — aber weil ich nur vier Tage in New York war, gibt es diesmal nicht drei Teile, sondern nur einen, in dem dafür so ziemlich alles abgeklappert wird, was man in vier Tagen machen kann. Nur der obligatorische Ausflug auf einen der noch stehenden Wolkenkratzer fehlt hier — die waren mir einfach zu teuer.

Kategorien
Literatur

Besuch an der Ostküste

“Better late than never”, sagt der Nostalgiker. Oder der Bücherjunkie, der Bücher im Regal stehen hat, von deren Existenz er bis dato gar nicht mehr wusste.

So geschehen bei Ricky Moodys “Garden State”.

Sein Romandebüt, das er Anfang der 90er schrieb, spielt in New Jersey, dem typischen Heile-Welt-Vorortstaat mit all seinen Gärten, den Häusern mit den weißen Zäunen und den brach liegenden Industriegebäuden. Mit alten Lagerhallenruinen und alten Bars, die verraucht und vor allem verbraucht sind. Irgendwie zwischen New Economy und etwas anderem, was einen unterschwellig ein bisschen aufrüttelt, man aber nicht konkret benennen kann.

Es ist kein typisches “Coming of Age”-Romandebüt, die die Läuterung des tragischen Losers zum Held beschreibt. Es ist eine eigenwillige Milieustudie, die das Leben von Mitzwanzigern so erzählt, wie es ist. Alice, Dennis und Lane leben das Vorortleben, sind ständig unzufrieden und träumen davon, eine Band zu haben. Musik als Kontrast zum Leben in einem Vorort, der urbanen Warteschleife.

Der Blick hinter die Fassade von Garden State ist ungemütlich und real beschrieben. Moody beschönigt nichts und gerade deshalb lohnt sich diese kleine Buch so.

Wie lebt man zwischen dem Traum, eine Band zu gründen, und der Realität, sich im Alltag zurechtfinden? Was passiert, wenn Parties nicht so ganz laufen wie sie sollen? Was passiert, wenn keine Perspektive so richtig passt?

Direkt und unverkitscht erschafft Moody Wortlandschaften wie Polaroids, deren ganz Moody-typische Lakonie die Geschichte einer Generation erzählt, die man bisher übersehen hat, denn wer kann sich schon wirklich an die Neunziger erinnern?

Erschienen im Piper Verlag ( € 8.90), bei jedem Bücherdealer erhältlich. Mit dem Film von Zach Braff hat das Buch nur den Titel gemein.

Wenn man dann ein klein wenig aus der Vorstadt draußen ist, landet man unweigerlich auch in New York und damit am nächsten Schauplatz der “Tender Bar” von J.R. Moehringer.

Es handelt sich hierbei nicht um die Autobiographie von Dallas oder J.R. und wer sein Mörder war (Wer eigentlich?), sondern um eine sehr sphärische, witzigen und schönen Geschichte über das Erwachsenwerden eines Jungen auf Long Island in den 60ern Amerikas.

Was bleibt einem Jungen anders übrig, wenn man eine Mutter hat, die mit Lügen die Moral aufrecht erhält, als sich in einer Bar voller liebenswürdiger Gestalten das Erwachsenwerden beibringen zu lassen?

J.R., der Protagonist, nimmt uns mit zu seinem ersten Baseballspiel, zum Strand mit den Männern aus dem “Dickens”, zeigt uns seinen ersten Job, seinen ersten Kuss und die ersten Träume. Erzählt uns von seinem Vater, der für ihn nur “die Stimme” aus dem Radio ist.

Man geht mit ihm zum ersten Mal in den Big Apple und erlebt die große Hektik der Stadt und wie es ist, für einen großen Traum alles zu versuchen. Und vor allem, dass Tapferkeit und Träumen doch hilft.

Erschienen im Fischer Verlag (9,95 €)

Kategorien
Musik Film

Nimm mein Mixtape, Babe

Die Neunziger sind ein trauriges Jahrzehnt, denn sie mussten ohne die ganz großen, prägenden Teenager-Filme auskommen. Allenfalls “American Pie” (von 1999) hatte einen vergleichbaren Einfluss auf die Popkultur wie “Say Anything”, “Ferris Bueller’s Day Off”, “Fast Times At Ridgemont High” oder “Sixteen Candles”. Vor allem hatten die Neunziger keinen John Cusack.

Oh, glückliche Nuller, denn die haben Michael Cera, der in “Superbad” schon von erstaunlicher Lloyd-Dobler-Haftigkeit war, der in “Juno” die Rolle des liebenswerten, höflichen Jungen ohne Eigenschaften erneut spielte und jetzt mit gerade mal 20 schon sein “High Fidelity”-Pendant drehen durfte: “Nick and Norah’s Infinite Playlist”.

Nick ist ein Schüler, der nicht über die Trennung von seiner Freundin Tris hinwegkommt, ihre Mailbox vollquasselt und ihr unablässig Mix-CDs brennt. ((Ein bizarrer Anachronismus — sowohl Mixtapes als auch MP3-Listen würde man verstehen, aber CDs?!)) Die CDs, die Tris wegwirft, sammelt Norah (Kat Dennings) ein und verliebt sich über die Musik in den ihr unbekannten Absender. Dann treffen sich die Beiden erstmals in der Realität, mögen sich nicht, stolpern durch eine chaotische Nacht und Richtung Happy End.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal das Gefühl hatte, dass bei einem Film von der Atmosphäre über die Darsteller bis zur Musik alles stimmt, aber das Drehbuch leider völliger Quark ist. Vielleicht bei Cameron Crowes “Elizabethtown” und ein bisschen bei “Garden State”. ((Dessen Drehbuch allerdings nicht völliger Quark, sondern nur ein bisschen unstrukturiert war.)) Man kann im Sinne der Drehbuchautoren eigentlich nur hoffen, dass da ein Zweistünder ganz brutal auf 89 Minuten zusammengekürzt wurde, denn vieles passt nicht so recht zusammen und gerade das Verhalten der beiden Hauptpersonen wirkt oft völlig unmotiviert.

“Nick and Norah’s Infinite Playlist” ((Oder “Nick und Norah – Soundtrack einer Nacht”, wie der eher so mittelgute deutsche Titel lautet.)) ist trotzdem ein wunderbarer Film — und das liegt an allem, was nicht Drehbuch ist. ((Das Drehbuch hat übrigens auch ein paar hübsche Einfälle an den Rändern, aber die zentrale Handlung ist halt völlig verunglückt.)) Für einen Musikliebhaber ((Oder auch Musiknerd.)) sind der Film und sein Soundtrack ((Im Abspann werden 37 Songs aufgeführt, nur ein paar weniger als bei “High Fidelity” und “Almost Famous”.)) wie ein Besuch bei Freunden: Viele kennt man schon und die anderen sind auch nett. Bishop Allen treten live auf und Devendra Banhart latscht als Supermarkt-Kunde durchs Bild, dazu kommen Songs von unter anderem Vampire Weekend, The Dead 60s, We Are Scientists, Shout Out Louds, Band Of Horses und Rogue Wave.

Die Schauspieler spielen ihre Charaktere auf eine für einen Teenie-Film überraschend zurückhaltende und damit sehr angenehme Art. New York zeigt sich abseits der 5th-Avenue-Klischees von seiner sympathischsten Seite. Und hatte ich erwähnt, wie großartig die ganze Atmosphäre ist?

Und so kommt es, dass ich ein paar Stunden nach dem Kinobesuch ((Und beim Hören des Soundtracks, den iTunes freundlicherweise auch nach Ladenschluss noch vorrätig hatte.) mit wohliger Erinnerung an einen Film zurückdenke, während dessen Sichtung ich fast die Leinwand angeschrien hätte, um die Autoren zu verfluchen.

Billy Wilder hat einmal gesagt, für einen guten Film brauche man drei Dinge: 1. Ein gutes Drehbuch, 2. Ein gutes Drehbuch und 3. Ein gutes Drehbuch. Ich würde dem Meister nie widersprechen, aber vielleicht ist “Nick and Norah’s Infinite Playlist” ja einfach die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Trailer
Offizielle Website
IMDb

Kategorien
Rundfunk Digital

Von der Attraktivität deutscher TV-Nachrichten

Sie werden es mittlerweile alle mitbekommen haben: Gestern Nachmittag (Ortszeit) fielen bei einem Airbus A320 kurz nach dem Start am La Guardia Airport beide Triebwerke aus und der Pilot musste die Maschine auf dem Hudson River notlanden.

Dass alle 155 Insassen überlebt haben, darf man wohl getrost als ziemliches Glück bezeichnen: zwar ist der Hudson einigermaßen breit und frei von Brücken und damit – im Gegensatz zum East River auf der anderen Seite Manhattans – durchaus für Notwasserungen geeignet, aber ein Flugzeug auf einem viel befahrenen Fluss aufzusetzen und es anschließend zu evakuieren, während es langsam im eiskalten Wasser untergeht, das zählt schon zu den außergewöhnlicheren Aufgaben eines Linienpiloten.

Wer gestern Abend unserer Zeit beim Microblogging-Dienst twitter reingeschaut hat, wurde über die Lage bestens informiert: als eine der ersten Meldungen gab es ein Foto, das Janis Krums, der zufällig auf einer der Fähren im Hudson und damit direkt am Unfallort war, mit seinem iPhone gemacht hatte. twitpic.com brach zeitweise unter dem Ansturm zusammen und ziemlich viele Nachrichtenseiten berichteten darüber.

Wer mit einem Liveticker von Augenzeugen und ebenfalls twitternden Nachrichtenagenturen versorgt wurde, für den waren die Informationen, mit denen das deutsche Fernsehen seine Zuschauer zu beglücken versuchte, natürlich ein Desaster. Statt einfach “ins Internet” zu gucken, griff man lieber auf dünne Agenturmeldungen und Reporter vor Ort zurück.

Dabei ist es ein überholter Irrglaube der Nachrichtenmacher, bei einem Ereignis erst mal an den Ort des Geschehens schalten zu müssen. Dort steht dann ein überforderter Reporter den Rettern im Weg rum und kann seine Eindrücke schildern — wobei er sich natürlich gerade gar keine eigenen Eindrücke verschaffen kann, weil er ja in einer zwar atmosphärischen, aber weitgehend Informationslosen Schalte mit einem wissbegierigen Reporter gefangen ist. Wenn er Glück hat, hat er vorher einen Passanten fragen können, ob der einen lauten Knall gehört habe.

Nun würde ich nicht so weit gehen und sagen, das Internet könne schon jetzt das Fernsehen ersetzen. Wenn sich meine Großeltern, Eltern und viele meiner Freunde über derartige Ereignisse informieren wollen, schalten sie natürlich irgendeinen Nachrichtensender ein und auch ich hatte zwischendurch CNN laufen, wo Wolf Blitzer einen der Passagiere gerade telefonisch derart mit Fragen löcherte, als müsse er selbst noch in dieser Nacht den Untersuchungsbericht der Luftaufsichtsbehörde verfassen.

Aber was die deutschen Nachrichtensendungen da über den Äther schicken, war eine dumpfe Mischung aus Kaffeesatzlesen mit Tante Mimi, Onkel Heinz erzählt vom Angeln und Klein-Fritzchen erzählt seiner Mutti, wie es in der Kirche war, obwohl er währenddessen Fußballspielen war.

“Zahlreiche Fährschiffe versuchen, Überlebende zu retten”, teaserte RTL sein “Nachtjournal” an, was wohl ebenso richtig, aber weit weniger dramatisch war als das “Es gibt keine Anzeichen für einen Terroranschlag”, mit dem Gabi Bauer die ARD-Nachrichtenattrappe “Nachtmagazin” eröffnete, bevor sie eine Viertelstunde später Thorsten Schäfer-Gümbel mit der Frage, wie wichtig Sex im Wahlkampf sei (gemeint war wohl eher “Sexappeal”), völlig aus der Fassung brachte.

Den besonderen Ernst der Lage konnte man daran erkennen, dass n-tv seine geplanten “National Geographic”-Reportagen kippte und live auf Sendung ging. Während CNN, Fox News, MSNBC und BBC World ziemlich beeindruckende Live-Bewegtbilder aus New York hatten (die Hubschrauber der großen Networks schweben ja eh die ganze Zeit über der Stadt), hatte n-tv einen Moderator im Studio, mehrere “Breaking News”-Laufbänder, ein paar Fotos und einen Reporter am Telefon. Und der sagte, wenn ich ihn nicht völlig falsch verstanden habe, dass es wohl “bald” die ersten Handy-Fotos und -Videos im Internet zu sehen geben würde. Zu diesem Zeitpunkt war twitpic bereits down und bei flickr gab es jede Menge Fotostrecken und Einzelbilder zu sehen. Sogar erste Witze.

Es geht mir gar nicht darum, Internet und Fernsehen gegeneinander ausspielen zu wollen — und die Zeitungen von heute waren schon gedruckt, bevor das Flugzeug überhaupt abgehoben hatte. Aber ich denke, dass auch die Menschen, die nicht bei twitter, flickr und Facebook unterwegs sind, ein Anrecht auf aktuelle Informationen haben. Und die bekommt man heute nun wirklich so einfach und billig wie noch nie. Auch als Nachrichtenredakteur des deutschen Fernsehens.

Nachtrag, 20:20 Uhr: Auch meine Freunde von “RP Online” berichten über die Fotos bei twitter und bei flickr.

Das Sensationelle daran: Sie schaffen das ohne einen einzigen Link!

Nachtrag, 17. Januar, 00:23 Uhr: Zwei Tweets später hat “RP Online” alles verlinkt.