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Hebt die Gläser für John Keating

Gestern, auf dem Weg nach hause, hatte ich die Idee, “Reiß die Trauer aus den Büchern” von Jupiter Jones zum heutigen Song des Tages zu machen. Zum einen, weil es auch nach zehn Jahren immer noch ein unglaublich guter Song ist, aber auch ein bisschen, um mich und alle anderen daran zu erinnern, wie diese Band mal angefangen hat. Und wegen der Textzeile “Hebt die Gläser für John Keating”.

Heute erwachte ich zu der Nachricht, dass Robin Williams, der den Lehrer John Keating in Peter Weirs “Der Club der toten Dichter” gespielt hatte, gestorben ist.

Wir haben “Der Club der toten Dichter” in der zehnten Klasse im Deutschunterricht gelesen, was insofern ein bisschen absurd ist, weil es sich um ein ursprünglich englischsprachiges Buch handelte, das auf Grundlage des Drehbuchs zu einem Hollywood-Film geschrieben wurde. Und “gelesen” habe ich es, wie ungefähr alle Lektüren in der Schulzeit, allenfalls quer. Natürlich haben wir uns auch den Film angesehen, von dem ich weniger über Literatur gelernt habe (noch heute werde ich mit Lyrik nicht so richtig warm), aber viel über unpassende Synthesizer-Klänge und über Pathos.

Die Schlussszene, wenn die Schüler auf ihre Tische steigen und die erste Zeile aus Walt Whitmans “O Captain! My Captain!” rezitieren, während Ihr Lehrer John Keating abberufen wird, traf mich mit ungeheurer Wucht ins Herz. Sie sorgte dafür, dass ich im Real Life häufig von Abschieden etwas enttäuscht war, weil sie mit dieser Fiktion nicht mithalten konnten. Ich sehe eine direkte Linie zwischen dieser Szene und meiner Begeisterung für leicht melodramatische amerikanische Popkultur (“Dawson’s Creek”, Springsteen, Bücher von John Green) und für die Lieder von Tomte. Schon an normalen Tagen kann ich diese Szene nicht anschauen, ohne Gänsehaut und feuchte Augen zu bekommen.

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Meine erste richtige “Begegnung” mit Robin Williams lag zu dieser Zeit schon fünf Jahre zurück: Mit zehn hatte ich “Mrs. Doubtfire” gesehen und für einige Jahre zu meinem Lieblingsfilm erkoren. Ich muss den Film in dieser Zeit buchstäblich Dutzende Male gesehen haben.

Robin Williams spielt darin den Vater Daniel Hillard, der seine Kinder nach der Trennung von seiner Frau zu selten sehen darf und sich deshalb als Kindermädchen verkleidet, um ihnen dennoch nahe sein zu können. Ich bezweifle, dass mir das als Zehnjährigem aufgefallen ist und es ist schon Jahre her, dass ich den Film zuletzt gesehen habe, aber in der Erinnerung ist es eine unglaubliche Mischung aus Klamauk und Warmherzigkeit, die diesen Film ausmacht — und aus schrecklichen 90er-Jahre-Klamotten.

Die jetzt zitierten essentiellen Robin-Williams-Filme wie “König der Fischer” oder “Hook” habe ich nie gesehen, aber viele andere: “Jumanji”, “Good Morning, Vietnam”, “Good Will Hunting” und die deutlich düstereren “One Hour Photo” und “Insomnia”, in denen er den Psychopathen hinter der Maske des netten Jedermanns gab. Wer, wie ich, die Filme überwiegend der deutschen Synchronfassung kennengelernt hat, für den ist Williams’ Gesicht untrennbar mit der Stimme von Peer Augustinski verknüpft, der zwischendurch nach einem Schlaganfall lange pausieren musste. Es ist sicherlich nicht einfach, jemanden wie Williams zu sprechen, der in den albernen Szenen selbst ständig die Stimme wechselte und in anderen Momenten eine ungeheure Weisheit, Ruhe und Melancholie ausstrahlen konnte, aber Augustinski hat dies meisterhaft gemacht.

Robin Williams war irgendwie immer in Sichtweite, so wie der etwas merkwürdige Onkel in einer Familie, von dem man mal gute, mal schlechte Nachrichten hört: in den letzten Jahren las man von einem Entzug, einer Herz-OP und von einem Comedian, der nach Jahrzehnten des Strauchelns mit sich selbst im Reinen schien. Seine neue TV-Serie “The Crazy Ones” – von der ich Dank der Kurzatmigkeit von ProSieben eine Folge gesehen habe – wurde nach nur einer Staffel eingestellt, aber es gab wohl recht konkrete Pläne für eine Fortsetzung von “Mrs. Doubtfire”.

Robin Williams ist im Alter von 63 Jahren gestorben. Er litt offenbar an Depressionen, was einen Reigen von “Trauriger Clown”-Artikeln nach sich ziehen dürfte. Dabei war er deutlich mehr als nur das.

Hebt die Gläser für Robin Williams!

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Musik

Songs des Jahres 2011

Bevor 2012 richtig Fahrt aufnimmt oder ich meine Liste komplett verworfen habe, hier noch schnell meine Songs des Jahres 2011 (die Alben gibt’s hier):

25. Andreas Bourani – Nur in meinem Kopf
Na, da überrasch ich mich doch mal selbst und fang mit einem deutschsprachigen Singer/Songwriter an! “Nur in meinem Kopf” hab ich geliebt, als ich es das erste Mal im Radio gehört habe, und auch massive Rotationen konnten dem Lied nicht viel anhaben. Es wirkt aber zugegebenermaßen auch wie für mich am Reißbrett entworfen: Pianointro, Four-To-The-Floor-Beat, galoppierende Beats, gerade so viel U2-Anleihen, wie ich ertrage, und dann noch die großartige Zeile von wegen “alles kaputthauen”. Schöne Stimme übrigens und sehr schönes Video, auch!

24. Death Cab For Cutie – You Are A Tourist
“Codes And Keys”, das letztjährige Album von Death Cab For Cutie, hat mich nie so richtig packen können. Kein schlechtes Album, gewiss, aber die Band hatte schon bessere und mein Indie-Müdigkeit macht sich einmal mehr bemerkbar. Die spektakulärste Meldung im Bezug auf die Band im vergangenen Jahr war die Nachricht, dass sich Sänger Ben Gibbard und Zooey Deschanel scheiden lassen (und ich mich nicht entscheiden kann, wen von beiden ich lieber heiraten würde). ANYWAY: “You Are A Tourist” ist ein schöner Song mit einem sehr spannenden Groove, der auf der Tanzfläche noch bedeutend mitreißender ist, als vor dem heimischen Plattenspieler.

23. Lady GaGa – The Edge Of Glory
Wenn man in ein-, zweihundert Jahren ein Buch über die Geschichte des Pop schreiben wird, wird man an Lady Gaga nicht vorbeikommen. Die Frau schafft es meisterhaft, sowohl den intellektuellen Hintergrund des Begriffs “Pop” auszufüllen, als auch Songs am Fließband rauszuhauen, die genau das sind: Pop. Wenn “Spex”-Leser und Schützenfestbesucher zur gleichen Musik tanzen können, ist das eine Leistung, die zumindest die Nominierung für den Friedensnobelpreis nach sich ziehen sollte. Weiteres Argument für “The Edge Of Glory”: Es ist die letzte veröffentlichte Aufnahme von E-Street-Band-Saxophonist Clarence Clemons vor dessen Tod. Gerade noch rechtzeitig, damit eine ganz neue Generation von Musikfans den “Big Man” ins Herz schließen konnte.

22. James Blake – The Wilhelm Scream
“Songs” sind die wenigsten Tracks auf James Blakes phantastischem Debütalbum, Radio-Singles gibt es eigentlich keine. Aber wenn überhaupt, dann ist “The Wilhelm Scream” das poppigste und zugänglichste Stück. Am ausschließlich in musikjournalistischen Texten verwendeten Verb “pluckern” führt kaum ein Weg vorbei, aber es dröhnt, rauscht, zirpt und echot auch ganz gewaltig unter und über Blakes Falsettgesang. Musik wie ein verstörender, aber doch sehr erholsamer Traum.

21. Jupiter Jones – Still
Das Einmal-zu-oft-gehört-Phänomen im neuen Gewand: Wenn “Still” im Radio anfängt, bin ich ein bisschen genervt. Wenn ich den Song selber auflege ist es aber immer noch wie im ersten Moment: Wow! Allein diese Bassline, die gleichermaßen Schlag in die Magengrube wie Schulterklopfen ist! Jupiter Jones hatten vielleicht schon bessere, wütendere oder verzweifeltere Trennungslieder, aber “Still” ist auf seine Art schon sehr besonders — und besonders wahr. Die schönste Version ist natürlich die mit Ina Müller.

20. Rihanna feat. Calvin Harris – We Found Love
Für Rihanna gilt ähnliches wie das, was ich gerade über Lady GaGa geschrieben habe. Sie arbeitet zwar nicht so aktiv selbst an ihrem Gesamtkunstwerk mit, aber sie ist einer der bestimmenden Superstars unserer Zeit. Allein die Liste ihrer Kollaborationen deckt die gegenwärtige Popmusik sehr gut ab: Jay-Z, Kanye West, David Guetta, Eminem, will.i.am, Justin Timberlake, Ne-Yo und Coldplay stehen da zum Beispiel drauf. Diesmal also mit Calvin Harris, der ein House-Feuerwerk abbrennt, während Rihanna einen Song von erhabener Schönheit singt. Ja: “We Found Love” ist nicht nur cool/geil/whatever, sondern auch schön und sollte jedem einsamen Menschen “in a hopeless place” zwischen Dinslaken und Bitterfeld Hoffnung machen.

19. Noah And The Whale – Tonight’s The Kind Of Night
“Last Night On Earth”, das aktuelle Album von Noah And The Whale, hatte ich schon bei den Alben gelobt. “Tonight’s The Kind Of Night” ist ein perfektes Beispiel für diesen Technicolor-Pop mit seinen treibenden Rhythmen und euphorisierenden Chören. Und sagt man sich nicht jeden Abend “Tonight’s the kind of night where everything could change”? Eben! Muss ja nicht, aber könnte!

18. Foster The People – Pumped Up Kicks
Einmal Indiepop-Sommerhit zum Mitnehmen, bitte! “Pumped Up Kicks” hat einen schlichten Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Der Song lief merkwürdigerweise nie in der Werbung eines Mobilfunkanbieters (was eigentlich sein natürlicher Lebensraum gewesen wäre), hat eine Saison länger zum Hit gebraucht als angenommen und hat darüber hinaus noch einen milde gewaltverherrlichenden Text, der dem amerikanischen MTV zu viel war — aber davon ab ist es auch einfach ein sehr schöner Song.

17. Jack’s Mannequin – My Racing Thoughts
Hatte ich schon mal erwähnt, dass keine Band in den letzten fünf Jahren eine so große Bedeutung für mich hatte wie Jack’s Mannequin? Gut. So richtig genau kann ich nämlich auch nicht erklären, warum mir “My Racing Thoughts” so gut gefällt, beim ersten Hören fand ich es nämlich regelrecht cheesy. Jetzt aber mag ich es, weil es ein harmloser, erbaulicher Popsong ist. Und dieser “she can read my, she can read my”-Part ist toll!

16. Rival Schools – Wring It Out
Nein, ein zweites “Used For Glue” ist auf dem zweiten Rival-Schools-Album nicht enthalten. Aber fast. “I wanna wring it out / Every ounce / I wanna do the right thing, when the right thing counts” sind doch genau die Zeilen, die man zum Beginn eines Jahres hören möchte. Und dann einfach rein ins Leben, die richtigen Dinge tun, die falschen Dinge tun, aber in jedem Fall jede Unze rausquetschen. Was für eine Hymne!

15. Maritime – Paraphernalia
Das vierte Maritime-Album “Human Hearts” ist irgendwie komplett an mir vorbeigegangen, aber die Vorab-Single, die hat mich das ganze Jahr über begleitet. Indierock, der nicht nervt, weil er nicht ach so cool sein will, sondern beschwingt unterhält. So einfach ist das manchmal.

14. Adele – Rolling In The Deep
Die Geschichte mit der Echo-Verleihung hab ich ja blöderweise schon bei den Alben erzählt. Muss ich mir jetzt was neues ausdenken? Ach was! Großer Song, bleibt groß! Punkt.

13. Example – Stay Awake
Auf “Playing In The Shadows” sind fünf, sechs Songs, die alle in dieser Liste hätten auftauchen können. “Stay Awake” ist es letztlich geworden, weil die stampfenden House-Elemente (manche würden auch sagen: “die Kirmes-Elemente”) sonst ein wenig unterrepräsentiert gewesen wären. Und dann dieser Refrain: “If we don’t kill ourselves we’ll be the leaders of a messed-up generation / If we don’t kid ourselves will they believe us if we tell them the reasons why” und der Kontrast zwischen dem Four-To-The-Floor-Refrain und den zitternden Dubstep-Strophen! Hach, jetzt ‘n Autoscooter …

12. The Naked And Famous – Young Blood
Vielleicht hab ich mich vertan und es war gar nicht “Pumped Up Kicks” der Indiepop-Sommerhit, sondern “Young Blood”. Immerhin war der Song Jingle-Musik bei Viva und WDR 2 (!) und lief in gefühlt jeder TV-Sendung. Egal, sie können’s ja auch beide gewesen sein, wobei “Young Blood” ganz klar überdrehter und charmanter und … äh: lauter ist. Wegen maximaler Penetration kurz vor nervig, aber eben nur vor.

11. Twin Atlantic – Make A Beast Of Myself
Dieser Break nach zwei Sekunden! Dieses Brett von Gitarrengeschrammel! Diese entspannt vor sich hin groovenden Strophen, die sich in diesen Orkan von Refrain entladen! Und, vor allem: Dieser niedliche schottische Akzent, vor allem beim Wort “universe”! Mein Punkrock-Song des Jahres!

10. Patrick Wolf – The City
Dieser Song hätte unter Umständen der britische Beitrag zum Eurovision Song Contest sein können — und wäre damit einer der besten in der Geschichte des Wettbewerbs gewesen. Nun ist es “nur” ein dezent überdrehter Indiepop-Song mit Handclaps, Saxophon, verzerrten Stimmen und hypnotischen Beats.

9. Coldplay – Every Teardrop Is A Waterfall
Sie haben’s schon bemerkt: Wir sind in dem Teil der Liste angekommen, wo ich die vorgeblich rationalen Argumente weggepackt habe und mehr mit hilflosen Emotionalitäten und “Hach”s um mich werfe. Hier toll: Das absurde Sample, die Rhythmusgitarre, die Leadgitarre, die grandiose Schlagzeugarbeit von Will Champion, der Text und der Moment nach drei Minuten, wenn sich alles aufeinander türmt. Hüpfen! Tanzen! Hach!

8. Jonathan Jeremiah – Happiness
Mein Jahr 2011 lässt sich in zwei Teile teilen: den vor Jonathan Jeremiah und den danach. Mit “Happiness” fühlt sich mein Leben an wie eine britische Komödie mit Hugh Grant. I’m going home where my people live.

7. Imaginary Cities – Hummingbird
Der Weakerthans-Livegitarrist Rusty Matyas hat mit Sängerin Marti Sarbit die Band Imaginary Cities gegründet, deren Debütalbum “Temporary Resident” im letzten Jahr auf Grand Hotel van Cleef erschienen ist. So viel zur Theorie. Die Praxis … ach, hören Sie einfach selbst! Was für ein Song!

6. Cold War Kids – Finally Begin
Früher, als ich noch mit dem Fahrrad durch die Stadt meiner Jugend gefahren bin, hab ich manchmal auf dem Heimweg die Arme ausgebreitet, die Augen zugemacht und bin zur Musik aus meinem Walkman quasi durch die Nacht geflogen. Glücklicherweise nie auf die Fresse, aber das ist schon recht gefährlich, Kinder. Jedenfalls: “Finally Begin” wäre ein Song für genau solche Flugmanöver. Diese Gitarren! Diese Harmonien, die offenbar direkt die Endorphinausschüttung im Hirn anwerfen können! Und dieser Text über überwundene Bindungsangst! Für eine Nacht noch mal 16 sein in Dinslaken, bitte!

5. The Mountain Goats – Never Quite Free
Wie gesagt: “Never Quite Free” wurde Anfang Dezember innerhalb von 48 Stunden zu einem der meist gehörten Songs des Jahres. Wer braucht schon das Strophe/Refrain-Schema? Wenn ich Ihre Aufmerksamkeit auf diese Stelle nach ziemlich exakt zwei Minuten lenken darf, wo das Schlagzeug richtig losscheppert und der Schellenkranz einsetzt: für solche Momente wird Musik gemacht und für solche Momente höre ich Musik.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Heart In Your Heartbreak
Gerade beim Tippen festgestellt: Wenn man für jedes “heart” in Bandnamen und Songtitel einen Schnaps trinken würde, wäre das ein schöner Start in den Abend. Schöner würde der natürlich, wenn der Song auch liefe, denn es ist ein herrlicher Song, der übrigens auch in der (ansonsten etwas freudlosen) fünften Staffel von “Skins” zu hören war. (Radio-)DJs hassen die beunruhigend lange Pause nach 2:42 Minuten, aber ansonsten kann man diesen Song natürlich nur lieben.

3. Ed Sheeran – The A Team
“+”, das großartige Debüt-Album von Ed Sheeran, das Sie bald auch in Deutschland kaufen können (und sollten!), habe ich mir im September im Schottland-Urlaub gekauft, weil Plattenfirma und HMV mich mit ihrer Platzierungspolitik geradezu gewaltsam dazu gedrängt haben. Auf dem Weg zum Flughafen habe ich es zum ersten Mal gehört und ich war nicht direkt verzaubert, was aber auch an dem schottischen Landregen gelegen haben mag, mit dem ich auf meinem Fußmarsch noch zu kämpfen hatte. Beim zweiten Mal jedoch: Was für ein Album! Und was für ein Opener! Zärtlich, ohne weinerlich zu sein! Schmusig, ohne zu langweilen. Vergleiche mit deutschen Singer/Songwritern verbieten sich, aber vielleicht kommt ja auch mal ein Ed-Sheeran-Äquivalent daher.

2. Bon Iver – Calgary
Zugegeben: Das war beim ersten Hören schon etwas verwirrend mit diesen ganzen Keyboardflächen. Aber nur kurz! Justin Vernon könnte auch das Telefonbuch von Milwaukee singen (und manchmal habe ich ehrlich gesagt den Verdacht, er würde es zwischendurch zumindest mal versuchen) und ich würde immer noch eine Gänsehaut bekommen.

1. Bright Eyes – Shell Games
Anfang April schrieb ich, dass der Popsong des Jahres, wenn in den verbleibenden neun Monaten nicht noch ein Wunder geschehe, “Shell Games” sein würde, und ich sollte Recht behalten. Es wirkt ein bisschen, als habe sich Conor Oberst die Pop-Blaupause eines Gregg Alexander vorgenommen und nur noch ein paar persönliche Sonderheiten reingeworfen. Zur Bilder-des-Jahres-Montage in meinem Kopf läuft dieser Song, der auch das Liedzitat 2011 bereit hält: “My private life is an inside joke / No one will explain it to me”.

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Musik

Alben des Jahres 2011

Schnell auf “Pause” gedrückt, noch einmal kurz zurückgeguckt und dann beschlossen, dass ich jetzt die definitive Liste meiner Lieblingsalben 2011 (Stand: 23. Dezember, 13.59.42 Uhr) habe. Die Plätze 25 bis 8 sind heiß umkämpft und könnten auch eine ganz andere Reihenfolge haben, die Plätze 5 bis 2 auch.

Aber jetzt ist es halt so:

25. Rival Schools – Pedals
Gerade als der Eindruck entstand, dass Walter Schreifels endgültig den Überblick verlieren könnte über all seine Bands und Projekte, besann sich das Hardcore-Urgestein auf seine Band Rival Schools, mit der er vor immerhin zehn Jahren mal ein Album aufgenommen hatte. “Pedals” reicht nicht an “United By Fate” heran, ist aber ein erfrischend lebendiges Rockalbum für Menschen, die sich unter “Rock” dann doch noch etwas anderes vorstellen als Nickelback oder Sunrise Avenue.

24. Foo Fighters – Wasting Light
Leute, irgendwas stimmt da nicht: Dave Grohl ist (wie Walter Schreifels auch) 42 Jahre alt, was im Rockbusiness früher mal 90 Jahren im Schlagergeschäft entsprach. Und doch müssen diese verdienten “alten” Herren der Jugend zeigen, wie man ordentliche Rockmusik macht? Den Foo Fighters kann man jedenfalls nichts vorwerfen, außer, dass sie sich ein bisschen aufs business as usual verlegt haben. Aber dann hauen die so Dinger wie “Rope”, “White Limo” und ganz am Ende “Walk” raus und der Nachwuchs steht irgendwo in der Gegend rum und guckt betreten zu Boden. Das ist ja, als ob man sich in der ersten eigenen Wohnung von den Eltern die Ikea-Regale aufbauen lassen muss!

23. Oh, Napoleon – Yearbook
Was habe ich auf dieses Album gewartet! Vor zwei Jahren. Doch bis Universal das Debüt endlich auf den Markt gebracht hatte, war der Spannungsbogen in sich zusammengefallen, und dann waren die besten Songs ausgerechnet die, die schon vor zwei Jahren auf der selbstbetitelten EP enthalten waren. Doch von diesen (kleinen) Enttäuschungen ab ist “Yearbook” ein wunderbares Popalbum geworden. “To Have / To Lose” und “A Book Ending” haben nichts von ihrer erhabenen Schönheit eingebüßt und mit “Save Me”, “I Don’t Mind” oder “Pick Some Roses” sind auch genug Perlen unter den “neuen” Songs (die die Band seit Jahren live spielt). Deutschlands beste Nachwuchsbands kommen halt nach wie vor vom Niederrhein, aber eine Frage hätte ich noch: Warum läuft so schöne Musik nicht im Radio?

22. The Wombats – This Modern Glitch
“Tokyo (Vampires & Wolves)”, die (Weit-)Vorab-Single zum Zweitwerk der Wombats, war eine verdammt große Ansage und mein Song des Jahres 2010. “This Modern Glitch” löst das Versprechen der Single weitgehend ein: Cleverer Indierock mit viel Gelegenheit zum Mitsingen und -tanzen, der sich dank ausuferndem Synthie-Einsatz vom schlichten Jungs-mit-wilden-Haaren-schaukeln-ihre-Gitarren-im-Achteltakt-Gedöns abhebt.

21. The Decemberists – The King Is Dead
Autos, die auf endlosen staubigen amerikanischen Highways Richtung Sonnenuntergang brausen. Jetzt haben Sie zumindest ein Bild von den Bildern, die “The King Is Dead” in mir beim Hören auslöst. Recht countrylastig ist es geworden, das sechste Album der Band um Colin Meloy, aber fernab des schrecklichen Kommerz-Radio-Country und fernab von Truck Stop. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich geh grad meinen LKW-Führerschein machen.

20. Yuck – Yuck
Die Neunziger sind zurück und mit ihnen die Shoegaze-Bands mit unscheinbaren Frontmännern und Jeanshemden. “Yuck” enthält zwölf charmante Popsongs, die sich ein bisschen hinter verzerrten Gitarren verstecken, und sich deshalb vielleicht nicht immer sofort entfalten.

19. Fink – Perfect Darkness
Ich habe nie eine Liste im Kopf gehabt, was wohl die besten Konzerte gewesen sein könnten, die ich in meinem Leben besucht habe. Dann habe ich Fink im Oktober in der Bochumer Zeche gesehen und war mir sicher, dass er es gerade mindestens in die bisher nicht vorhandene Top 5 geschafft hatte. Was für ein klarer Sound, was für grandiose Songs, wie perfekt dargeboten von Fin Greenall und seiner Band. Ich habe “Perfect Darkness” viel zu selten gehört, weil es mir von der Stimmung her meistens nicht passte, aber es ist ein sehr, sehr gutes Album, so viel ist klar.

18. Jack’s Mannequin – People And Things
“The Glass Passenger”, das zweite Album von Jack’s Mannequin, war für mich persönlich das wichtigste Album der letzten fünf Jahre, vielleicht habe ich in meinem ganzen Leben kein Album so oft gehört wie dieses. Der Nachfolger musste also gegen schier übermenschliche Erwartungen ankämpfen und konnte nur verlieren. Tatsächlich waren die ersten fünf, sechs Durchgänge eine Enttäuschung, ich war schon kurz davor, “People And Things” einfach im Regal verschwinden zu lassen. Aber so langsam habe ich mich dann doch in die Songs reingehört. Sie sind zwar insgesamt schon arg glatt geraten, aber ich kann Andrew McMahon einfach nicht widerstehen, wenn er von den Herausforderungen und Rückschlägen des Lebens singt, die es zu meistern und zu überwinden gilt. Das kann man alles ganz, ganz schrecklich finden, aber ich finde es wunderbar.

17. Delay Trees – Delay Trees
“Kunden, denen Band Of Horses gefiel, kauften auch Delay Trees”. Steht da merkwürdigerweise nicht, würde aber stimmen. Ich kenne das Debüt der finnischen Indieband erst seit wenigen Wochen, deswegen bin ich womöglich ein bisschen zu vorsichtig mit meinem Lob, aber allein der Opener “Gold” ist mit seiner stetigen Steigerung ein wahres Meisterwerk. Diese Mischung aus Melancholie und Euphorie hält an und lässt das ganze Album klingen wie den Soundtrack zu dem Moment, in dem man sich nach einer durchfeierten Nacht und nach Sonnenaufgang ins Bett fallen lässt.

16. Cold War Kids – Mine Is Yours
Manchmal ist die Musikwelt schon rätselhaft: Während die Kings Of Leon inzwischen riesige Arenen füllen, treten die Cold War Kids nach wie vor in kleinen Clubs auf. Dafür haben sie keinen Song über sexuell übertragbare Krankheiten, der dank Dauerpenetration in Clubs, Radios und Fußballstadien inzwischen unhörbar geworden ist, sondern leicht angeschmutzte Rockhymnen wie den Titelsong oder “Louder Than Ever”.

15. R.E.M. – Collapse Into Now
Das war es dann also, das letzte Album dieser lebenden Legenden aus Athens, GA. Und alle kamen noch mal vorbei, um ihre Aufwartung zu machen: Patti Smith und Lenny Kaye, Eddie Vedder, Peaches und Joel Gibb von den Hidden Cameras. Es war ein würdevoller Abschied, der nur einen Nachteil hatte: “Collapse Into Now” war bereits das fünfzehnte Album einer Band, die so viele Klassiker geschaffen hatte, dass jeder neue Song ein bisschen sinnlos und unnötig wirkte. Aber, mein Gott: Das ist Jammern auf allerhöchstem Niveau.

14. Jupiter Jones – Jupiter Jones
Keiner Band der Welt hab ich ihren späten Erfolg so sehr gegönnt wie Jupiter Jones: Jahrelang hat sich die Truppe den Arsch abgespielt, jetzt dürfen sie endlich den Lohn der Arbeit einfahren. Dass nach “Still”, im Frühjahr die meistgespielte deutschsprachige Single im Radio, jetzt auch Revolverheld-Hörer zu Hunderten in die Konzerte strömen, ist völlig okay: Erstens ist das einfach ein großartiger Song und zweitens entschädigt die Fassungslosigkeit, die sich einstellt, wenn Jupiter Jones Songs aus ihrem Punk-Frühwerk auspacken, für alles. Den höheren Preis eines erfolgreichen Major-Acts muss die Band im Januar zahlen, wenn “Jupiter Jones” als “Deluxe Edition” erneut auf den Markt geschmissen wird.

13. Drake – Take Care
Es ist ein bisschen traurig, dass in Rezensionen immer wieder darauf hingewiesen werden muss, dass es auch intelligenten Hip-Hop gibt — zumal das dann gleich an den langweiligen deutschen “Studentenrap” erinnert. Lassen Sie es mich also so sagen: “Take Care” ist ein sehr langes, sehr zurückgelehntes Album, das so ungefähr das Gegenteil von all dem Protz- und Blingbling-Rap darstellt, den man sonst (mutmaßlich) im Musikfernsehen sieht. Wenn Drake über “bitches” und sex (“four times this week”) rappt, dann selbstreflexiv und -kritisch. Das Album ist ein achtzigminütiger Emo-Kater, nach dem man alles werden möchte, nur nicht erfolgreicher Rapper. Andererseits: Wenn dabei so grandiose Musik herumkommt …

12. The Low Anthem – Smart Flesh
Beim Haldern 2010 stand ich mit offenem Mund im Spiegelzelt und konnte mich nicht entscheiden, ob ich jetzt Gänsehaut kriegen, losheulen oder vor lauter Schönheit einfach tot umfallen sollte. 2011 spielten The Low Anthem dann auf der großen Bühne, aber das Publikum war fast stiller als im letzten Jahr. Was für ein berührendes, großartiges Folk-Album!

11. The Mountain Goats – All Eternals Deck
Über Jahre waren die Mountain Goats immer nur via Rockmagazin-Sampler am Rande meiner Wahrnehmung aufgetaucht, bis mir eine Freundin dieses Jahr (genau genommen: vor zwei Wochen) “Never Quite Free” vorspielte. Nachdem ich den Song etwa zwei Dutzend Mal auf YouTube gehört hatte, wollte ich mehr und “All Eternals Deck” hält viel davon bereit: Vom hingerotzten “Estate Sale Sign” bis zu dunklen Balladen wie “The Age Of Kings”. Und natürlich immer wieder “Never Quite Free”.

10. Adele – 21
Über Wochen hatte ich “Rolling In The Deep” im Radio gehört und für “ganz gut” befunden, dann stand ich während der Proben zur Echo-Verleihung irgendwo hinter der Bühne, guckte auf einen der Kontrollmonitore und dachte “Wow!” Trotzdem brauchte es noch acht Monate und gefühlte zwanzig Singleauskopplungen, bis ich mir “21” endlich gekauft habe. Was für ein tolles Album das ist und wie unkaputtbar die Songs selbst bei maximaler Radiorotation sind! Mit Unterstützung von unter anderem Rick Rubin und Dan Wilson (Semisonic) hat Frau Adkins hier ein Album geschaffen, das sicher in einigen Jahren als Klassiker gelten wird. Und wer “Someone Like You” ungerührt übersteht, sollte vielleicht mal beim Arzt feststellen lassen, ob er nicht vielleicht einen Eisklotz im Brustkorb spazieren trägt.

9. Noah And The Whale – Last Night On Earth
Noah And The Whale waren für mich so eine typische Haldern-Band: Hundertmal auf Plakaten und im Programmheft gelesen, aber nie bewusst gesehen. Dann habe ich “L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.” gehört, dieses ebenso dreiste wie gelungene Beinahe-Kinks-Cover. Und was soll ich sagen? Auch das Album lohnt sich: Makelloser Indiepop mit schönen Melodien und durchdachten Arrangements, der irgendwie direkt in die Euphoriesteuerung meines Gehirns eingreift.

8. Example – Playing In The Shadows
Hip-Hop, House, Grime, Dubstep, Indie — alles, was heutzutage mehr oder weniger angesagt ist, ist in der Musik von Elliot Gleave alias Example enthalten. Vom stampfenden “Changed The Way You Kissed Me”, das jedem Autoscooter gut zu Gesicht stünde, über das fast britpoppige “Microphone” bis hin zum dramatischen “Lying To Yourself”: Example rappt und singt sich durch die verschiedensten Stile und schafft damit ein abwechslungsreiches, aber in sich völlig schlüssiges Album, das irgendwie all das abdeckt, was ich im Moment gern hören möchte.

7. Coldplay – Mylo Xyloto
Es scheint unter Journalisten und anderen Indienazis inzwischen zum guten Ton zu gehören, Coldplay scheiße zu finden. “Iiiih, sie sind erfolgreich, ihre Konzerte machen Band und Publikum Spaß und überhaupt: Ist das nicht U2?”, lautet der Tenor und tatsächlich kann ich viele Kritikpunkte verstehen, aber nicht nachvollziehen. Auf “Mylo Xyloto” sind Coldplay so ungestüm unterwegs wie noch nie, ihre Songs sind überdreht und uplifting und zwischendurch schließen sie mit ruhigen Akustiknummern den Kreis zu ihrem ersten Album “Parachutes” aus dem Jahr 2000. Seit “A Rush Of Blood To The Head” hat mich kein Album von Coldplay mehr so begeistert und womöglich sind die vier Engländer tatsächlich die letzte große Band. Kaum eine andere Band schafft es, ihren Sound mit jedem Album so zu verändern und sich doch immer treu zu bleiben. Wenn sie jetzt auf einem Album Alex Christensen und Sigur Rós samplen und ein Duett mit Rihanna singen, dann ist das so konsequent zu Ende gedachte Popmusik, wie sie außer Lady Gaga kaum jemand hinbekommt. Und wenn das jetzt alle hören, sollte man das feiern — es gibt ja nun wirklich Schlimmeres.

6. Bright Eyes – The People’s Key
So richtig hohe Erwartungen hatte wohl niemand mehr an die Bright Eyes. Zu egal waren Connor Obersts letzte Lebenszeichen gewesen. Und dann kommt er einfach und haut ein Indierockalbum raus, zu dem man sogar tanzen kann. Gut: Die Passagen mit gesprochenem Text und Weltraumsounds muss man natürlich aushalten, aber dafür bekommt man ein merkwürdig optimistisches Gesamtwerk und mit “Shell Games” einen fast perfekten Popsong.

5. James Blake – James Blake
Nie in meinem Leben habe ich heftigere Bässe in meinem Körper vibrieren spüren als bei James Blakes Auftritt auf dem Haldern Pop. Es regnete leicht und diese Singer/Songwriter-Post-Dubstep-Songs zogen über das Publikum wie sehr gefährliche Gewitterwolken. Diese düstere und anstrengende Musik ist nicht für die Beschallung von Dinnerpartys geeignet, aber sie ist verdammt brillant.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Belong
Die Neunziger sind, wie gesagt, zurück und The Pains Of Being Pure At Heart haben ihr Shoegaze-Erfolgsrezept von vor zwei Jahren um minimale Grunge-Einsprengsel erweitert. Das ist auf Platte ebenso schön wie live und begleitet mich jetzt seit Mai.

3. Jonathan Jeremiah – A Solitary Man
Auf dem Haldern Pop Festival war ich so weit, dass ich dem nächsten Jungen mit Akustikgitarre selbige über den Schädel ziehen wollte. Dann hörte ich “Happiness” von Jonathan Jeremiah im Radio und war begeistert. Der Mann packt die Seele zurück in Soul — und alles Andere hab ich ja schon im August geschrieben.

2. Ed Sheeran – +
Na so was: Noch ein Junge mit Gitarre! Ed Sheeran war während meines Schottland-Urlaubs im September das Hype-Thema auf der Insel und er ist so etwas wie das fehlende Bindeglied zwischen Damien Rice und Jason Mraz, zwischen Get Cape. Wear Cape. Fly und Nizlopi. Die ruhigen Songs sind erschreckend anrührend, ohne jemals Gefahr zu laufen, kitschig zu werden, und bei den schnelleren Stücken kann der 21-Jährige (fuck it, I’m old) beweisen, dass er genauso gut rappen wie singen kann. “+” ist ein phantastisches Album, das ich gar nicht oft genug hören kann. In Deutschland kommt es im neuen Jahr raus.

1. Bon Iver – Bon Iver
Noch ein Junge mit Gitarre. Und noch zwei Gitarren. Und ein Bass. Synthesizer. Eine Bläsersektion. Und nicht einer, sondern gleich zwei Schlagzeuger. Justin Vernon hat gut daran getan, seine als Ein-Mann-Projekt gestartete Band zur Bigband auszubauen, und einen deutlich opulenteren Sound zu wählen als bei “For Emma, Forever Ago”. So lassen sich Debüt und Zweitwerk kaum vergleichen und “Bon Iver” kann ganz für sich selbst stehen mit seinen Tracks, die teilweise eher Klangräume sind als Songs, und die trotzdem ganz natürlich und kein Stück kalkuliert wirken. Vom anfänglichen Zirpen des Openers “Perth” bis zu den letzten Echos des viel diskutierten Schlusssongs “Beth/Rest” ist “Bon Iver” ein Meisterwerk, an dem 2011 nichts und niemand vorbeikam.

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Die Musik von hier nach dort

Drei Monate des Jahres sind schon wieder um (oder “ein Quartal”, wie regelmäßige Arztbesucher sagen) und wir haben fast nichts über Musik geschrieben. Nachdem der geplante Podcast zu aktuellen Neuerscheinungen wegen akuten Irrsinns bürokratischer Hürden auch nicht aus den Puschen kommt, dachte ich mir: Schnell mal irgendwas aufschreiben, bevor ich völlig den Überblick verliere.

Der Popsong des Jahres kommt, wenn in den verbleibenden neun Monaten nicht noch ein Wunder geschieht, von einer Band, die bisher eher nicht so durch Popsongs aufgefallen war. Aber “Shell Games” von Bright Eyes ist einfach ein Meisterwerk von einem Song. Das dazugehörige Album “The People’s Key” ist dann gleich noch das beste Album der Band seit sechs Jahren. Womit wir direkt bei R.E.M. wären, die mit “Collapse Into Now” mal eben ihr bestes Album seit 15 Jahren veröffentlicht haben — das mit “Überlin” einen der besten Songs ihrer inzwischen mehr als dreißigjährigen Karriere enthält.

Das Jahr hat aber bisher auch einige sehr gute Newcomer zu bieten: Über James Blake ist womöglich schon alles gesagt. Im Gegensatz zu Radiohead, die wohl auch ein neues Album veröffentlicht haben, interessieren mich die flackernden Beats und die entrückte Stimme von James Blake — und sie gefallen mir. Ein bisschen, wie wenn Bon Iver auf The Postal Service trifft. Deutlich eingängiger sind die Debütalben von The Naked And Famous und Neon Trees: Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mich noch mal für neue Indie-Bands interessieren würde, aber diese beiden Alben gefallen mir tatsächlich. Wohl auch, weil so viele Synthesizer und Keyboards zum Einsatz kommen und vergleichsweise wenige Gitarrenriffs über Achtelbeats.

Die Cold War Kids hatte ich seit ihrem Debüt vor vier Jahren aus den Augen verloren, aber ihr drittes Album “Mine Is Yours” klingt eh ganz anders als damals: Auch wieder deutlich mehr nach Killers und insgesamt deutlich runder. The Low Anthem hingegen schließen direkt an ihr fantastisches Debüt an und zaubern mit “Smart Flesh” Folkmusik, die einen zudeckt wie eine weiche Wolldecke. Schön zu lesen, dass die Band dieses Jahr direkt wieder auf dem Haldern Pop Festival spielen wird, wo sie mich letztes Jahr schon völlig begeistert zurückgelassen hat.

Neun Jahre nach ihrem Debüt hat Walter Schreifels die Rival Schools wieder zum Leben erweckt. Ein zweites “Used For Glue” fehlt auch auf “Pedals” und insgesamt klingt das Album ein wenig nach angezogener Handbremse (oder wahlweise angegrautem Haupthaar), aber schön ist die Platte dennoch geworden — man sollte sie nur nicht direkt mit dem Frühwerk des Herrn Schreifels vergleichen. Auch die White Lies haben mit “Ritual” kein Meisterwerk geschaffen, aber ein grundsolides Album mit Achtziger-Jahre-angehauchtem Düsterpop, das mit “Bigger Than Us” eine sehr, sehr gelungene Single enthält.

Weitere tolle Singles, bei denen ich die Alben noch nicht gehört habe: “Milk And Honey” von den Beatsteaks, “Post Break-Up Sex” von The Vaccines (sensationell doofer Text, aber dadurch womöglich um so beeindruckenderer Song) und tatsächlich dann auch irgendwann “Rolling In The Deep” von Adele, mit der ich sonst so gar nichts anfangen kann.

Heute dann hörte ich tatsächlich zum ersten Mal Jupiter Jones im Radio — und das gleich auf WDR2. Es könnte am Major-Deal liegen oder daran, dass “Still” einfach ein wahnsinnig guter, anrührender Song ist. Das dazugehörige, vierte Album der Band, das einfach nur “Jupiter Jones” heißt, ist ihr bestes seit dem Debüt. Zwar klingt die Platte an einigen Stellen, als hätte Sänger Nicholas Müller einfach nur über bereits fertige Bänder von Biffy Clyro gesungen, aber das ist ja nicht die schlechteste Ausgangslage. Und wer Songs wie “Berlin”, “Alter Mann wo willst Du hin”, “Hey! Menetekel” und “ImmerFürImmer” auf der Habenseite hat, der hat offenbar sowieso wenig falsch gemacht. Wenn Sell-Out immer so klingen würde, sollten ruhig alle Bands bei großen Plattenfirmen unterschreiben.

Womit wir nicht zwingend bei Thea Gilmore wären: Die Frau hat, obwohl erst 31 Jahre alt, mit “Murphy’s Heart” gerade ihr elftes Album veröffentlicht, was mir womöglich völlig entgangen wäre, wenn im Plattenladen meines Vertrauens nicht ein Label-Sampler gelaufen wäre, auf dem zwei Songs von ihr drauf waren. Schöne, unaufdringliche Folk-Musik, die über das Mädchen-mit-Gitarre-Schema hinausgeht und auch mal auf Bläser und Keyboards zurückgreift. Das ist schon eher Musik zum Nebenherhören, aber durchaus schön.

Schön klang das nicht, was The Get Up Kids vorab von ihrem Comeback-Album hören ließen, weswegen dieses Album von mir bisher ungehört ist. Näherungsweise nicht gehört, bekloppterweise aber gekauft habe ich das Debüt-Album von Beady Eye. Zwar sind Oasis ohne Noel Gallagher nicht ganz so schlimm, wie ich erwartet hätte, aber in Sachen Egalheit unterscheidet sich “Different Gear, Still Speeding” auch nicht groß von den letzten beiden Oasis-Alben. Auch noch nicht gehört habe ich das neue Album von The Strokes, was ich allerdings schon aufgrund der sehr gelungenen Single schnellstmöglich nachholen möchte.

Und sonst? Hat Ben Folds mal wieder in der Kölner Live Music Hall gespielt — und zwar so lange, dass ich vor den Zugaben zum Zug hechten musste. Bis dahin war es ein gutes Konzert gewesen, das alle Schaffensphasen schön abbildete und musikalisch dank vierköpfiger Begleitband nah an den Sound der Alben herankam. Leider wurde der Meister selbst dadurch etwas an den Rand gedrängt, was ihn aber nicht von wüsten Improvisationen abhielt, die wir dann womöglich auf der nächsten Platte wiederfinden werden.

Völlig unabhängig vom öffentlichen Personennahverkehr war ich beim Konzert von Jupiter Jones, die 80 Meter Luftlinie von meiner Wohnung (400 Meter Fußweg, wenn man nicht die Bahngleise überqueren will) spielten und dabei das ausverkaufte Bochumer Riff zum Kochen brachten, wie man so schön sagt. In der Stadt, in der man zuhause ist, und mit den Menschen, die Freunde sind, wirkt ein Song wie “Berlin” (“über Menschen, die glauben, dass sie, wenn sie einen Mietvertrag in Berlin unterschreiben, auch einen Vertrag für das Glück unterschreiben”, Nicholas Müller) noch hundert Mal doller. Und die dazugehörigen Publikumschöre waren gerade noch so viel U2-Haftigkeit, wie ich in meinem Leben ertragen kann.

Das beste Konzert der Monate Januar bis März besuchte ich allerdings am letzten Tag dieses Zeitraums in Düsseldorf: Erdmöbel, deren famoses Album “Krokus” auf Platz 2 meiner letztjährigen Bestenliste gelandet war, spielten im Savoy-Theater auf und obwohl Sitzkonzerte tendenziell eher nicht Rock’n’Roll sind, erlebte ich eines der besten und vor allem beglückendsten Konzerte ever. Wenn man nämlich (versehentlich) in der ersten Reihe hockt und eine bestens eingespielte und aufgelegte Band quasi in Armreichweite wunderbar musiziert, dann muss das gar nicht Rock’n’Roll sein, dann ist das einfach toll. Ich habe jedenfalls vermutlich noch nie bei einem Konzert so entrückt gestrahlt — außer vielleicht bei Auftritten von Lena Meyer-Landrut.

Die hat ja auch ein neues Album draußen und das ist ehrlich gesagt gar nicht so schlecht. Klar: Ein anderer Produzent (und damit ein lebendigerer Sound) würde ihr gut tun und es fällt auch schwer zu glauben, dass das die zwölf besten Songs gewesen sein sollen, die ein paar hundert internationale Songwriter innerhalb von neun Monaten geschrieben haben, aber “Good News” ist schon ein völlig okayes Album. Und “Taken By A Stranger” tatsächlich ein sehr guter Song.

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Musik

Das Gegenteil von Stadion

Vergangene Woche hat das sehr empfehlenswerte Internetmusikmagazin getaddicted.org im mindestens ebenso empfehlenswerten Freibeuter einen Akustik-Cover-Abend veranstaltet. Es spielten und sangen Nicholas Müller von Jupiter Jones, die mir bisher unbekannte Band Tengo Hambre Pero No Tengo Dinero und mein Kumpel Tommy Finke, der Laden war voll und die Stimmung hehr.

Tommy Finke im Freibeuter

Die Auswahl der gecoverten Songs war mindestens eklektisch zu nennen und beinhaltete Leonard Cohens “Hallelujah” ebenso wie “Can You Feel The Love Tonight” von Elton John, Ingrid Michaelsons “Be Ok” ebenso wie “With Or Without You” von U2.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Die netten Menschen von getaddicted.org haben angefangen, Videos von dem Abend online zu stellen. Und so können Sie jetzt noch einmal miterleben, wie Nicholas Müller “Timshel” von Mumford & Sons singt, oder Tommy Finke mit “Wonderwall” (Originalinterpret bekannt) den ganzen Laden zum Mitsingen bringt.

Mein persönliches Highlight aber … Ach, sehen Sie selbst!

(Weil die Videos automatisch starten, hab ich sie hier nicht eingebaut.)

Das dürfte ja wohl eine der cleversten Riff-Amputationen in einem Coversong seit Cat Powers “Satisfaction” sein!

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Unterwegs Musik

Bochum Total 2009

In den letzten Tagen war Bochum mal wieder der Mittelpunkt irgendeiner Welt — mutmaßlich der Musikwelt Nordrhein-Westfalens. Jedenfalls war Bochum Total und aus mir selbst nicht ganz nachvollziehbaren Gründen wollte ich möglichst viel davon mitkriegen.

Ort der Gegensätze: Bochum Total

Vier Tage, 60 Bands, hunderttausende Liter Bier und noch ein bisschen mehr Regenwasser — eine persönliche Dokumentation:

Donnerstag, 2. Juli

Man kann nicht behaupten, ich sei schlecht vorbereitet gewesen: Centimeterdick hatte ich Sonnencreme aufgetragen, um eine zerfetzte Nase wie nach meinem Nordsee-Urlaub zu vermeiden. Ich hatte eine Sonnenbrille auf, die nicht nur ungefährdetes fassungsloses Anstarren bizarr gekleideter Menschen ermöglichte, sondern auch derbste Gewittertierchen-Schwärme davon abhielt, mir in die Augen zu fliegen. Warum das alles nur halbgut vorbereitet war, lesen Sie gleich …

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Musik

Listenpanik 05/09

Wieder einmal ist ein Monat schon länger vorbei, wieder einmal habe ich längst nicht alles hören können und wieder einmal werde ich in einer Minute mit der Revision dieser Liste beginnen, aber was soll’s?

Let’s give it a try:

Alben
Fink – Sort Of Revolution
Manchmal entdeckt man Bands oder Künstler eben erst beim vierten Album (s.a. The Hold Steady). Fin Greenall aus Brighton macht Musik, die im Wikipedia-Artikel mit “Jazz, Blues, Dub, Folk, Indie” bezeichnet wird, was gleichzeitig alles und nichts sagt.

Ein bisschen erinnert die Musik an Bon Iver (also, historisch betrachtet: andersherum), an Nick Drake und an diverse Saddle-Creek- und Sub-Pop-Bands. Anders ausgedrückt: Es würde mich nicht wundern, wenn eines der Stücke auf dem Soundtrack des nächsten Zach-Braff-Films zu hören wäre.

Bis dahin wird mich diese wunderbar entspannte, leicht melancholische Popmusik sicher noch den ganzen Sommer über begleiten.

The Alexandria Quartet – The Alexandria Quartet
Es passiert ja auch nicht so oft, dass man eine Band eher zufällig zwei Mal live gesehen hat, bevor ihr Album überhaupt in Deutschland rauskommt.

Hatte ich The Alexandria Quartet in Oslo noch als “Indierock zwischen Mando Diao, den frühen Killers und Travis” beschrieben, muss ich über die Platte etwas völlig anderes behaupten: Die erinnert gerade in den ruhigeren Momenten (in denen die Band am Besten ist) eher an Jeff Buckley, Eskobar und Richard Ashcroft und – wenn sie dann losrocken – an Feeder und die frühen Radiohead. (Die Chancen stehen allerdings gut, dass ich auch diese Vergleiche in drei Monaten wieder für völlig lächerlich halten werde.)

Jedenfalls: Das selbstbetitelte Debüt der Norweger kommt, wie White Tapes ganz richtig bemerkt, “eigentlich circa 10 Jahre zu spät”, aber irgendwo zwischen Athlete, Embrace und Thirteen Senses wird schon noch ein Platz frei sein für diesen Britpop der melancholischeren Sorte.

Manic Street Preachers – Journal For Plague Lovers
Ich bin bekanntlich ein eher unpolitischer Mensch, aber wenn plakative Parolen mit Pop-Appeal daherkommen wie bei The Clash, Asian Dub Foundation, Rage Against The Machine oder eben den Manics, dann höre ich mir das gerne an, singe laut mit und stelle mir vor, wie sich das anfühlt, da auf den Barrikaden. Die Lehnstuhl-Revolution auf dem iPod, sozusagen.

Die Texte des neuen Manics-Albums stammen aus einer Zeit vor Barack Obama, vor dem 11. September und vor New Labour. Sie stammen aus dem (wohl leider tatsächlich) Nachlass des vor 14 Jahren verschwundenen Band-Gitarristen Richey Edwards und sind vor allem bildgewaltig und kryptisch.

Die Songs sind nicht unbedingt das, was man als “eingängig” bezeichnen würde, aber sie haben eine rohe Energie, die zu Zeiten des lahmenden Spätwerks “Lifeblood” kaum noch jemand für möglich gehalten hätte. Und wenn zum Schluss Bassist Nicky Wire “William’s Last Words” anstimmt (“singt” wäre dann vielleicht doch das falsche Wort), dann ist das schon ein ganz großer Gänsehaut-Moment, der sich nach dem endgültigen Abschied von einem Freund anhört.

Ob das Album auch ohne diese ganze Vorgeschichte so spannend wäre? Kunst funktioniert eigentlich nie ohne Kontext, aber ich glaube schon.

Phoenix – Wolfgang Amadeus Phoenix
Eine vorab: Die beste Phoenix-Platte des Jahres kommt dann vermutlich doch von The Whitest Boy Alive. Für die Franzosen wird es aber aller Voraussicht nach immer noch für den zweiten Platz reichen, was unter anderem an Songs wie “Lisztomania” und “Rome” liegt. Vielleicht wird das Album noch ein bisschen über sich hinauswachsen, wenn ich es endlich mal in der Sonne hören kann, aber im Ruhrgebiets-Regen verbreitet es auch schon mal eine ordentliche Portion Sommer.

Jupiter Jones – Holiday In Catatonia
Mit dem zweiten Jupiter-Jones-Album “Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich” nie ganz warm geworden, aber für “Holiday In Catatonia” sieht es besser aus: Nach einem wahren Dampfhammer-Auftakt schaltet die Band ein bis zwei Gänge zurück, schafft es aber, so schöne Melodien rauszuhauen wie noch nie. Das hat manchmal ein bisschen was von Kettcar, aber das ist durchaus als Kompliment gemeint. Bei der Wahl zum deutschsprachigen Liedzitat des Jahres empfiehlt sich “Mit dem Alter kommt die Weisheit / Nach der Jugend kommt die Eiszeit” jedenfalls jetzt schon für die Shortlist.

Songs
Manic Street Preachers – Jackie Collins Existential Question Time
Diesmal gibt’s keine Singles, aber das Lied mit dem ellenlangen Titel ist trotzdem so etwas wie das Flaggschiff für “Journal For Plague Lovers”. Warum? Zwei Zitate: Das unschlagbare “Oh mummy what’s a Sex Pistol?” im Refrain und die spannende Frage “If a married man, if a married man fucks a Catholic / And his wife dies without knowing / Does that make him unfaithful, people?”. (Dass das “fuck” im Video durch ein “beg” ersetzt wurde, ist allerdings schon ein bisschen lame.)

Und dann natürlich noch dieses Riff, das meine Behauptung, das Album sei nicht eingängig, Lügen straft.

a-ha – Foot Of The Mountain
Ich hatte mein Verhältnis zu a-ha und meine Begeisterung für diese Mal-wieder-Comeback-Single ja schon ausführlich geschildert. Aber dieser Song ist ja wohl auch ein Musterbeispiel der Kategorie “der etwas anspruchsvollere Popsong”.

Fink – Sort Of Revolution
6:32 Minuten sind nicht gerade das, was sich Formatradiomacher als Songlänge wünschen. Aber der Titeltrack und Opener des vierten Fink-Albums (s.o.) besticht durch seine Instrumentierung (dieses Schlagwerk!) und den genuschelten Gesang. “Let me know when we get there / If we get there”, so oft wiederholt, bis es einen fast komplett eingelullt hat. Und dann geht das Album erst richtig los.

The Alexandria Quartet – Montauk
Wenn ich jetzt Saybia und Lorien als Orientierungshilfe nenne, bin ich mir zwar ausnahmsweise mal sicher, habe aber auch treffsicher zwei längst vergessene Bands des Genres hervorgeholt.

“Montauk” gehört zu der Sorte schleppender Balladen, bei denen sich die Pärchen auf Konzerten ganz eng umschlungen im Takt der Musik wiegen, das Bühnenlicht in ein verklärendes Gelb getaucht wird, und die, die allein zum Konzert gekommen sind, mit viel Glück noch ihr Handy zücken, um den Moment mit jemandem zu teilen. Wer ganz allein ist, genießt eben für sich.

Jarvis Cocker – Angela
Es ist schwierig, bei den Zeilen “Angela / An unfinished symphony” nicht an die Bundeskanzlerin zu denken, aber irgendwie geht es dann schon. Jarvis Cocker klingt für 2:58 Minuten, als wolle er an seiner Elvis-Costello-Werdung arbeiten und der neue Bart legt diese Vermutung nahe. Leider ist dieser trockene Stampfer dann auch schon der Höhepunkt von Cockers zweitem Soloalbum, das ansonsten eher unspannend vor sich hin dümpelt.

Phantom/Ghost – Thrown Out Of Drama School
Wenn da nicht die Stimme (und der Akzent) von Dirk von Lowtzow wäre, ginge dieser Song sicher auch als B-Seite von The Divine Comedy durch: Dieses Ragtime-Piano, der melodramatische Text, all das ergibt ein wunderbar skurriles Gesamtbild, dessen Faszination man sich selbst kaum erklären kann.

[Listenpanik, die Serie]

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Musik

Listenpanik (4): Knietief im Pop

Dank der zu Anfang etwas kruden Abrechnungszeiträume war Teil 3 unserer Serie für den Mai gedacht, dieser (vierte) befasst sich also mit den Alben und Singles des Monats Juni. Wie immer streng subjektiv und ohne den Hauch eines Anspruchs auf Vollständigkeit – und diesmal besonders poppig:

Alben (inkl. Amazon.de-Links)
1. Crowded House – Time On Earth
Crowded House war trotz der großen Hits (“Weather With You”, “Don’t Dream It’s Over”, “Four Seasons In One Day”, …) die Band, die kaum jemand kannte. Das änderte sich auch nicht groß, als sich die Band 1996 auflöste und ihr Kopf Neil Finn alleine und mit seinem Bruder Tim schöne bis großartige Pop-Alben veröffentlichte. Jetzt hat sich die Band in Beinahe-Originalbesetzung (Schlagzeuger Paul Hester beging 2005 Selbstmord) wieder zusammengetan und ihr fünftes reguläres Album veröffentlicht. Und man muss sagen: Wenn es je eine Band verdient hat, das musikalische Erbe der Beatles anzutreten, dann Crowded House. Die wunderschönen, oft melancholischen Melodien purzeln nur so aus den Boxen und Songs wie die Single “Don’t Stop Now” hätten es verdient, mindestens so berühmt zu werden wie “Weather With You”.

2. Jupiter Jones – Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich
Zweieinhalb Jahre nach ihrem Debüt sind Jupiter Jones zurück und machen beinahe da weiter, wo sie aufgehört haben. Zu den grandiosen Texten über Liebe und Einsamkeit, Aufbruch und Aufgeben hat sich die Band musikalisch weiterentwickelt und beeindruckt jetzt mit Bläsern, Streichern und natürlich auch weiterhin mit jede Menge Feuer unterm Arsch. Nenn’ es Punkrock, nenn’ es Deutschrock oder Emo – das ist eigentlich egal, denn es ist und bleibt gut: Musik mit kathartischer Wirkung.

3. Mark Ronson – Version
Mark Ronson ist DJ und Produzent (Lily Allen, Robbie Williams, …) und das, was er auf seinem zweiten Soloalbum betreibt, ist das, was ein DJ und Produzent eben so macht: Songs ineinander übergehen lassen und überraschende Klänge hervorzaubern. Neun Coverversionen gibt es, zwei Remixe und drei Instrumentaltracks und die Gaststars geben sich die Klinke in die Hand: Die charmante Lily Allen gewinnt “Oh My God” von den Kaiser Chiefs ein weibliche Londoner Komponente ab, Daniel Merriweather schmachtet sich durch “Stop Me” von The Smiths, Phantom-Planet-Sänger Alex Greenwald bezwingt (wie schon auf diesem Tribute-Sampler) Radioheads “Just” und Robbie Williams darf bei “The Only One I Know” von den Charlatans zeigen, dass er immer noch singen kann. Dazu gibt’s fette Beats und satte Bläser und schon hat man etwas ganz seltenes: ein Album, dass man auf einer Party durchlaufen lassen kann.

4. Ryan Adams – Easy Tiger
Fast anderthalb Jahre lagen zwischen der Veröffentlichung von “29” und “Easy Tiger” – Ryan Adams hatte doch nicht etwa eine Schreibblockade? Iwo: Der leicht verpeilte Alt.-Country-Rocker hat nur Anlauf genommen und will dieses Jahr noch ein Boxset mit Outtakes und Raritäten veröffentlichen. Vorher gibt es aber “Easy Tiger”, das so ziemlich alle Qualitäten des früheren Whiskeytown-Sängers vereint: Rock’n’Roll-, Folk-, Country- und Popsongs stehen nebeneinander wie Geschwister, die sich nicht so hundertprozentig ähnlich sehen, aber doch den gleichen Papa haben. Es ist Adams’ abwechslungsreichstes Album seit dem phantastischen “Gold” und vielleicht auch sein bestes seitdem. Das merkt man u.a. daran, dass bei “Two” noch nicht mal Sheryl Crow stört.

5. Ghosts – The World Is Outside
Jedes Jahr kommen junge britische Bands zu uns, die die Nachfolge von a-ha oder wenigstens der New Radicals antreten wollen. Bei manchen (Keane) klappt das, andere laufen zwar im Radio, schaffen den Durchbruch dann aber doch nicht (Orson, The Feeling, Thirteen Senses. …). Wozu Ghosts gehören werden, ist noch nicht abzusehen. Man kann aber schon sagen, dass sie schicke Popmusik machen, die uns durch den Sommer begleiten soll – egal, wie das Wetter noch wird. Das klappt vielleicht nich über die volle Albumdistanz und ist auch alles andere als neu, aber eben doch sehr nett gemacht. Wer jetzt sagt: “Na, das ist aber kein besonders überzeugendes Plädoyer”, dem sage ich: “Kann schon sein. Aber hören Sie sich das einfach mal an, es könnte Ihnen gefallen.”

Singles (inkl. iTunes-Links)
1. Beatsteaks – Cut Off The Top
Das dazugehörige Album hatte ich hier schon sträflich vernachlässigt, die Single muss aber rein. Die Beatsteaks machen mal wieder alles richtig und hauen einen schwer zu kategorisierenden Song (und ein tolles Video) raus. “Damage! Damage!”

2. Smashing Pumpkins – Tarantula
Dafür bringt man als 16-Jähriger all sein Taschengeld zum Tickethändler und geht auf ein Konzert der “Abschiedstournee”, damit sich die Band sieben Jahre später reformiert. Oder: Damit sich Billy Corgan ein paar neue Banddarsteller auf die Bühne stellt und Paris Hilton aufs Single-Cover klatscht. Der Song ist aber schon recht beachtlich, der einzige andere Ur-Pumpkin Jimmy Chamberlin knüppelt sich durch mindestens vier verschiedene Rhythmen und ich muss gleich dringend los und mir das Album kaufen. Bleibt nur die Frage: Was ist mit dem “The” im Bandnamen passiert?

3. Mika – Relax (Take It Easy)
Mika habe ich ja schon einige Male gefeiert (z.B. hier sein Album), “Relax” kann man ruhig aber noch mal extra erwähnen. Für alle, die keine Cutting-Crew-Samples und keine Kopfstimmen mögen, ist der Song natürlich eine Zumutung, für mich eine charmant durchgeknallte Disco-Nummer, die auch durch die Verwendung im Werbefernsehen keinen großen Schaden nimmt.

4. Ghosts – Stay The Night
Schon wieder Ghosts. Ja, das ist halt eingängiger Radiopop und “Stay The Night” das, was man wohl als “Gute-Laune-Musik” bezeichnen würde, wenn das nicht ein absolut widerlicher, bescheuerter Begriff wäre. Mal darüber nachgedacht, dass diese Singles-Liste immer so poplastig sein könnte, weil so wenig Mathcore- oder Experimental-Bands Singles veröffentlichen? Ist mir auch gerade erst aufgefallen.

5. Take That – Reach Out
Jawoll, ich bin endgültig wahnsinnig geworden und packe Take That auf meine Liste. Aber wieso eigentlich wahnsinnig? Das ist doch wohl einfach ein schöner Popsong, sauber geschrieben und gut gesungen. Und um mich gleich richtig lächerlich zu machen: Bin ich der einzige, den die Strophen an “Die Tiere sind unruhig” von Kante erinnern?

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Musik

Bochum-Total-Tagebuch (Tag 1)

In die Bochumer Innenstadt sollte man derzeit besser nicht mit dem Auto fahren wollen (wobei: sollte man eigentlich besser eh nie), denn es ist Bochum Total, das größte Umsonst-und-draußen-Festival-Europas (Gerüchten zufolge dankt man in Bochum immer noch alljährlich der Popkomm für ihren Umzug nach Berlin und das daraus resultierende Ende des Kölner Ringfests). Ich tu mir das als guter Lokalpatriot natürlich mit Freuden an, zumal das Line-Up in diesem Jahr besonders gut ist.

Kilians (Eins-Live-Bühne)
Kilians beim Bochum Total 2007Ach, die schon wieder. Zwei Konzerte einer Band innerhalb von 19 Stunden – das hatte ich auch noch nicht. Das Wetter meinte es nicht gut mit der Band, über die ich schon beinahe alles geschrieben habe. Aber sie waren wieder sehr, sehr gut. Der Vollständigkeit halber (und um “Schiebung!”-Rufe entweder zu unterbinden oder erst anzustacheln) sei noch erwähnt, dass sie mir ein Lied gewidmet haben. Die Süßen!

Karpatenhund (Eins-Live-Bühne)
Bei plötzlicher Trockenheit und aufkommendem Sonnenschein gab es das deutschsprachige Indie-Ding dieses Jahres mit tatkräftiger Unterstützung und okayer Single. Nicht mein Ding, aber in der Runde, in der ich den Auftritt mehr an mir vorbeiströmen ließ, als ihn wirklich zu verfolgen, war auch eher das Aussehen der Frontfrau das beherrschende Thema. (Zwischenruf: “Das war jetzt aber ein saudummer Chauvi-Spruch!” Antwort: “Schon, aber leider auch der Wahrheit. Heute ist aber eigentlich eh ohne Zwischenrufe.”)

Jupiter Jones (Ring-Bühne)
Hallo, liebe Emo-Kinder, jetzt beschüttet Euch doch mal nicht gegenseitig mit Bier, sondern konzentriert Euch auf die Band da vorne! Die schreiben Texte, die Euch sicher sehr entgegenkommen, und rocken wie Schmitz’ Katze. Wie, “Life goes on und irgendwie schaff ich das schon” ist kein Text für Euch? Na, dann eben nicht.
Da fällt mir ein: ich brauche dringend noch das neue Album mit dem fantastischen Titel “Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich”.

Virginia Jetzt! (Eins-Live-Bühne)
Ich mag die ja. Zum einen, weil ihr sehr charmantes Debüt-Album 2003 ein treuer Begleiter war, zum anderen, weil Gitarrist/Keyboarder/Songschreiber Thomas Dörschel und ich uns irgendwann noch um den Titel “Größter Ben-Folds-Fan Deutschlands” prügeln müssen (wobei ich mir sicher bin, das keiner von beiden ernsthaft kämpfen würde). Virginia Jetzt! sind aber auch einfach eine verdammt gute Liveband, die sehr schöne Songs haben und eine ungeheure Spielfreude an den Tag legen. Folgende Songs wurden daher im Laufe des Sets angespielt: “The Sweet Escape” von Gwen Stefani, “Eye Of The Tiger” von Survivor, “No Limits” von 2Unlimited, “Jump” von Van Halen und “Seven Nation Army” von den White Stripes.

Nach dem Opener “Mein sein” gab es als zweiten Song “Liebeslieder” und mir dämmerte, dass die große Diskussion, die dieses Lied vor drei Jahren über “deutschtümelige Liedzeilen” (“Das ist mein Land, meine Menschen, das ist die Welt, die ich versteh”) ausgelöst hatte, noch alberner war als so manch aktuelle Diskussion in der Blogosphäre. Meinen aus diesem Gedanken entsprungenen Essay “Wer sich worüber aufregt, ist eigentlich egal, Hauptsache, es hört irgendjemand zu” hoffe ich zu einem späteren Zeitpunkt in der Wochenzeitung “Freitag” präsentieren zu können – sonst erscheint er als Book on demand.

Im Laufe des Sets kam so ziemlich alles an neuen und älteren Songs vor, was man sich wünschen konnte, und als der Tag Schlag 22 Uhr (“die Nachbarn, die Nachbarn …”) endete, war ich froh, dass ich mich nicht von dem bisschen Wolkenbruch am Nachmittag hatte aufhalten lassen. So lief ich zwar vier Stunden in einer Regenhose durch die Gegend (das nur als Antwort auf die Frage, was das uncoolste Kleidungsstück ist, was ich mir spontan vorstellen könnte), aber erstens hatte die mich zuvor weitgehend trocken gehalten und zweitens shall the geek ja bekanntlich inherit the earth.

Das verwendete Foto stammt von Kathrin. Hier hat sie noch mehr vom Bochum Total.