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One Way Ticker to Hell… and Back

Ich muss zuge­ben: Ich habe noch kei­ne Minu­te der aktu­el­len Cham­pi­ons-League-Sai­son in die­sem neu­en Modus gese­hen. Zum einen, weil ich kein DAZN habe (zu teu­er und zu schlecht), zum ande­ren, weil sich weder der VfL Bochum noch Borus­sia Mön­chen­glad­bach hat­ten qua­li­fi­zie­ren kön­nen.

Muss ich aber auch nicht, denn Tobi­as Ahrens und Max Din­ke­la­ker haben ges­tern für „11 Freun­de“ den letz­ten Spiel­tag der Vor­run­de geti­ckert, bei dem 18 Spie­le (um mal mei­nen ver­stor­be­nen Groß­va­ter zu zitie­ren: „in Wor­ten: acht­zehn“) gleich­zei­tig statt­fan­den („36 Mann­schaf­ten, also cir­ca 720 Fuß­bal­ler, 123 Trai­ner und Betreu­er, 7.000.000 Fans im Sta­di­on“).

Und so konn­te ich heu­te Mor­gen ent­spannt nach­le­sen, wie irr­lich­ternd, hek­tisch, über­for­dernd und schlicht unver­ar­beit­bar der gest­ri­ge Abend gewe­sen sein muss. Es ist ein groß­ar­ti­ges jour­na­lis­ti­sches Werk, das mut­maß­lich unter­halt­sa­mer ist als die Ver­an­stal­tung selbst.

Von Anfang:

1. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Geht gut los.

Bis Ende:

Mit welcher Penetranz DAZN das 4:1 von Salzburg (längst ausgeschieden) gegen Atletico (längst im Achtelfinale) zeigt, erinnert mich an meine Mutter, die mir nochmal erzählt, dass mein Kindergartenfreund Stefan ja jetzt geheiratet hat und einen VW Tiguan vor der Tür steht und sag mal, wann zahlst du deinen Bafög-Kredit denn nun ab?!

Ous­ma­ne gese­hen haben – Die gro­ße Cham­pi­ons-League-Kon­fe­renz im Live­ti­cker bei 11freunde.de

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Wie der Scorpions-Song

Man ver­gisst das ange­sichts immer neu­er Ver­fah­ren gegen Donald Trump, ange­sichts von sich über­schla­gen­den und inein­an­der ver­kei­len­der Kri­sen, schnell, aber es gab mal einen US-Prä­si­den­ten, der Barack Oba­ma hieß. Sein (erfolg­rei­cher) Wahl­kampf 2008 grün­de­te unter ande­rem auf dem von Bob, dem Bau­meis­ter, ent­lehn­ten Slo­gan „Yes, we can“, der als Mem eine zeit­lang die digi­ta­le und vor allem ana­lo­ge Welt beherrsch­te.

Bei der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung“ haben sie ein gutes Gedächt­nis (oder Archiv), denn so sah am Mon­tag der Sport­teil aus:

Grafik in der F.A.Z.: „Yes we Kane?“

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Frauenfußball — jetzt erst recht

Drei schril­le Pfif­fe been­den das Spiel. Fas­sungs­lo­sig­keit und Trau­er auf dem Platz, Fas­sungs­lo­sig­keit und Trau­er vor dem Fern­se­her. Trä­nen und Schmerz auf der einen Sei­te, Freu­de und Stolz auf der ande­ren. Der Super-GAU ist ein­ge­tre­ten: Ein Vor­run­den­aus, schon wie­der. Im Win­ter des ver­gan­ge­nen Jah­res traf es die Män­ner, jetzt trifft es auch die Frau­en. Mit einem 1:1 gegen Süd­ko­rea ver­ab­schie­den sich die als Favo­ri­tin­nen gehan­del­ten Spie­le­rin­nen des deut­schen Natio­nal­teams vom Wett­be­werb und schlie­ßen sich damit gro­ßen Frau­en­fuß­ball-Natio­nen wie Bra­si­li­en und Kana­da an, die eben­falls in der Vor­run­de aus­ge­schie­den sind.

Wäh­rend sich die Korea­ne­rin­nen für ihre Leis­tung fei­ern, müs­sen sich die Deut­schen nun erst ein­mal sam­meln und begrei­fen, was da eigent­lich pas­siert ist. Wie konn­te es über­haupt so weit kom­men? Es hat­te mit dem 6:0 gegen Marok­ko doch so gut ange­fan­gen! Die Stim­mung war groß­ar­tig, die Eupho­rie schoss ins Uner­mess­li­che – und viel­leicht war auch genau das das Pro­blem. Nach dem Spiel wur­de die Leis­tung der Spie­le­rin­nen von allen Sei­ten gelobt, schließ­lich star­te­te man direkt mit einem Kan­ter­sieg ins Tur­nier und über­zeug­te, im Gegen­satz zu den ande­ren Favo­ri­tin­nen, mit Leis­tung und Toren. Es fühl­te sich ein­fach an. Zu ein­fach?

Das zwei­te Grup­pen­spiel gegen Kolum­bi­en war so ziem­lich das Gegen­teil von ein­fach. Es folg­te die ers­te Nie­der­la­ge für das Team, ein klei­ner Dämp­fer – aber es gab ja schließ­lich noch das drit­te und zugleich letz­te Grup­pen­spiel gegen Süd­ko­rea und die Hoff­nung auf ein Wei­ter­kom­men in die K.O.-Runde. Über poten­zi­el­le Geg­ner wur­de direkt im Anschluss an das zwei­te Grup­pen­spiel dis­ku­tiert, Jour­na­lis­tin­nen, Jour­na­lis­ten und Fans waren sich eines Wei­ter­kom­mens sicher, viel­leicht ein wenig zu sicher. Und wie der Zufall es so will, kam plötz­lich alles anders. Am Ende kamen die DFB-Spie­le­rin­nen nicht über ein 1:1 gegen Süd­ko­rea hin­aus, wäh­rend ihre Grup­pen­kon­kur­ren­tin­nen aus Marok­ko Kolum­bi­en mit 1:0 schlu­gen und damit das Aus von Pop­pi, Obi, Jule und Co. besie­gel­ten.

Sofort trat auch das ein, wovor ich mich schon die gan­ze Zeit über fürch­te­te: Sexis­mus-Ergüs­se, Häme und Scha­den­freu­de in den Kom­men­tar­spal­ten. Haupt­säch­lich von Män­nern, wer hät­te das gedacht? Die Spie­le­rin­nen sol­len doch wie­der zurück in die Küche, wo sie hin­ge­hö­ren, denn Fuß­ball sei ja sowie­so nichts für sie – nur einer der unzäh­li­gen „geist­rei­chen“ Kom­men­ta­re bei Face­book und Insta­gram. Glück­li­cher­wei­se hal­ten zahl­rei­che Fans dage­gen und sichern auch wei­ter­hin ihre vol­le Unter­stüt­zung zu. Auch ich bin jetzt noch ent­schlos­se­ner, den Frau­en­fuß­ball in Deutsch­land noch stär­ker zu unter­stüt­zen und noch mehr Spie­le zu besu­chen als in der ver­gan­ge­nen Sai­son, sofern es Zeit und Finan­zen denn zulas­sen.

Als Kind und Jugend­li­che spiel­te ich für mein Leben ger­ne Fuß­ball. Jede freie Minu­te und jede Pau­se in der Schu­le ver­brach­te ich mit einem Groß­teil mei­ner Mit­schü­ler und einer wei­te­ren Mit­schü­le­rin auf dem Bolz­platz auf dem Schul­hof. Ich drib­bel­te, schoss Tore, ging in Zwei­kämp­fe rein und fand mich nicht sel­ten mit auf­ge­schürf­ten Knien auf dem Boden wie­der. Fuß­ball war, obwohl ich auch Ten­nis spiel­te, mein abso­lu­ter Lieb­lings­sport. Das Wochen­en­de war Bun­des­li­ga-Zeit, die Sport­schau gehör­te zum Stan­dard­pro­gramm, und Spie­le der bos­nisch-her­ze­go­wi­ni­schen und der deut­schen Natio­nal­mann­schaf­ten ver­folg­te ich fast schon reli­gi­ös. Aber einem Ver­ein bei­zu­tre­ten und irgend­wann viel­leicht sogar selbst pro­fes­sio­nell spie­len? Kei­ne Opti­on. Mir fehl­ten die weib­li­chen Vor­bil­der und die Visi­on, dass Pro­fi­fuß­ball für Frau­en wirk­lich etwas war, was erreich­bar war. Ich kann mich kaum an eine Über­tra­gung eines Spiels der deut­schen Pro­fif­rau­en in mei­ner Kind­heit und mei­ner Jugend erin­nern. Auf dem Schul­hof sprach sowie­so nie­mand über sie, son­dern nur über Cris­tia­no Ronal­do, Fer­nan­do Tor­res und Micha­el Bal­lack. Ich hat­te kei­ner­lei Berüh­rungs­punk­te mit den Frau­en und zog im Hype um die Män­ner mit.

Umso wich­ti­ger ist es also, dass weib­li­che Vor­bil­der wie bei­spiels­wei­se Alex­an­dra Popp, die Spa­nie­rin Ale­xia Putel­las und die Bra­si­lia­ne­rin Mar­ta heu­te für Mäd­chen und jun­ge Frau­en exis­tie­ren und dass sie prä­sent sind. Im Fern­se­hen und vor Ort im Sta­di­on. Die­ses Vor­run­den­aus ist viel­leicht ein klei­ner Rück­schlag, aber das, was mit der EM 2022 und unmit­tel­bar danach ins Rol­len gebracht wur­de, ist nicht mehr auf­zu­hal­ten. Und das ist auch gut so!

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Du und Dein VfL

Trainingsauftakt beim VfL Bochum

Heu­te Vor­mit­tag: Trai­nings­auf­takt beim VfL Bochum. Viel wei­ter kannst Du im Pro­fi­fuß­ball nicht von Mes­si, Ronal­do, Mbap­pé und den Scheich-Mil­li­ar­den ent­fernt sein. Dafür sind die Fans mit ihrer gan­zen Fami­lie ganz nah dran, kau­fen die (wirk­lich sehr schö­nen) neu­en Tri­kots und essen Cur­ry­wurst.

Vor der drit­ten Bun­des­li­ga-Sai­son in Fol­ge haben sich die Erwar­tungs­hal­tung der Anhänger*innen und das Selbst­ver­ständ­nis der Offi­zi­el­len ein biss­chen ver­scho­ben: Dies­mal soll es nicht mehr nur um den Klas­sen­er­halt gehen, ein wenig wei­ter oben erscheint denk­bar. Von allen Ruhr­ge­biets­ver­ei­nen kommt der VfL jeden­falls mit dem größ­ten Rücken­wind aus dem letz­ten Spiel­tag der letz­ten Sai­son.

Beim Trai­nings­spiel lie­fern die rund 1.500 Fans schon mal einen Vor­ge­schmack, wie es mit 28.000 klin­gen wird. Von den Neu­ver­pflich­tun­gen ist noch nicht ganz so viel zu sehen, eini­ge Fans müs­sen die neu­en Spie­ler auch erst­mal goo­geln, bevor sie die­se um ein Auto­gramm bit­ten, aber: Hey, es geht ja gera­de erst los!

Die vor vier Jah­ren noch so gefürch­te­ten und chro­nisch unzu­frie­de­nen Fans sind opti­mis­tisch — was sie natür­lich trotz­dem nicht davon abhält, auf der Tri­bü­ne rum­zum­eckern. Doch trifft es heu­te eher die eige­nen Kin­der oder abwe­sen­de Drit­te.

Qua­si par­al­lel hat Her­bert Grö­ne­mey­er für den 12. Juni 2024 sein ers­tes Kon­zert im Ruhr­sta­di­on seit neun Jah­ren ange­kün­digt. Selbst, wenn es für den VfL nicht so rund lau­fen soll­te: Die Rele­ga­ti­ons­spie­le sind bis dahin über die Büh­ne gegan­gen.

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Liebling, ich bin gegen Deutschland

Es ist inzwi­schen ein paar Jah­re her, dass die Müns­te­ra­ner Band muff pot­ter. einen Song ver­öf­fent­lich­te, in dem sie – vor­sich­tig aus­ge­drückt – Kri­tik übte an einem merk­wür­di­gen neu­en deut­schen Natio­nal­stolz:

Neue Stim­men und neue Lie­der
ver­kün­den: Wir sind wie­der wer!
Und wer sind eigent­lich wir?
Und ich frag mich: Was zum Teu­fel wollt eigent­lich Ihr?

Der Song heißt „Punkt 9“, ((Benannt nach Punkt 9 auf der Lis­te der Tour­bus­re­geln der Band: „Klap­pe hal­ten!“)) klingt „als ob Refu­sed ABBA covern“ ((Schlag­zeu­ger Bra­mi, der Mann hat Recht!)) und das bemer­kens­wer­tes­te dar­an ist: er erschien schon im Herbst 2005, also fast ein Jahr, bevor „die Welt zu Gast bei Freun­den“ war und sich Deutsch­land im „Som­mer­mär­chen“ „schwarz-rot-geil“ ((„Bild“, natür­lich.)) fand.

Deutsche Flagge

Ich erin­ne­re mich noch gut, wie ich am Mit­tag des 9. Juni 2006 mit der Bahn von Bochum nach Dins­la­ken fuhr und in Duis­burg an einer Häu­ser­front vor­bei­kam, die vol­ler deut­scher Flag­gen hing, und dach­te: „Hol­la! Goeb­bels wäre stolz!“ ((Ja, mir war auch damals schon klar, dass Joseph Goeb­bels über schwarz-rot-gol­de­ne Beflag­gung ver­mut­lich eher erbost gewe­sen wäre, aber die klei­ne Trans­fer­leis­tung kön­nen wir schon gemein­sam erbrin­gen, ne?)) Rund fünf Stun­den spä­ter saß ich bei Schul­freun­den im elter­li­chen Wohn­zim­mer, Phil­ipp Lahm schoss das 1:0 gegen Cos­ta Rica und für vier Wochen war ich bereit, dem Nar­ra­tiv eines neu­en, „posi­ti­ven“ oder „unver­krampf­ten“ Patrio­tis­mus zu glau­ben.

muff pot­ter. bezo­gen sich damals aber nicht (nur) auf Fuß­ball­fans, son­dern z.B. auf die Medi­en­kam­pa­gne „Du bist Deutsch­land“, an die sich heu­te außer ein paar Agen­tur­na­sen ver­mut­lich nie­mand mehr erin­nert und die eine „Initi­al­zün­dung einer Bewe­gung für mehr Zuver­sicht und Eigen­in­itia­ti­ve in Deutsch­land“ sein soll­te – also ein Remix von Roman Her­zogs „Ruck“-Rede vor dem zeit­ge­schicht­li­chen Hin­ter­grund der Agen­da 2010.

Den Start­punkt für die­se „neue deut­sche Zeit­rech­nung“ ver­or­te­ten Sänger/​Gitarrist Nagel und Schlag­zeu­ger Bra­mi in ihrem Text „Neun­zehn­vier­und­fünz­ig in Bern“ und tat­säch­lich war „Das Wun­der von Bern“ 2003 in einem erfolg­rei­chen Kino­film von Sön­ke Wort­mann noch ein­mal für die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen auf­be­rei­tet wor­den.

Wenn man „Punkt 9“ heu­te hört, hat man ein biss­chen das Gefühl, dass das Lied sei­ner Zeit nicht nur im Bezug auf den „Par­ty-Patrio­tis­mus“ vor­aus war, son­dern auch, was Poli­tik angeht:

Mit war­men Visio­nen von Iden­ti­tät
und der Refle­xi­on auf Null­di­ät
wird Geschich­te ver­tauscht, ver­dreht und umge­kehrt
Hys­te­risch, wer sich da beschwert

„Ja, gab’s denn damals schon die AfD?“, möch­te man fra­gen – und über­sieht dabei, dass ein Alex­an­der Gau­land damals schon seit über 30 Jah­ren in der CDU war und in der Uni­on auch Leu­te wie Peter Gau­wei­ler, Roland Koch, Horst See­ho­fer, Fried­rich Merz und Eri­ka Stein­bach zu Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten neig­ten. Merz zum Bei­spiel hat­te im Jahr 2000 mit dem Begriff der „deut­schen Leit­kul­tur“ für ein gro­ßes Hal­lo in der damals noch jun­gen Ber­li­ner Repu­blik gesorgt. Und der Schrift­stel­ler Mar­tin Wal­ser hat­te 1998 in sei­ner Pauls­kir­chen­re­de eine „Instru­men­ta­li­sie­rung unse­rer Schan­de“ beklagt und die­se als „Moral­keu­le“ bezeich­net und somit eine Blau­pau­se geschaf­fen für alle noch zu hal­ten­den Reden von Björn Höcke und Alex­an­der Gau­land.

Das alles war, nach der Ein­schrän­kung des Asyl­rechts und zahl­rei­chen, mit­un­ter töd­li­chen Brand­an­schlä­gen auf Asylbewerber*innen und Migrant*innen Anfang der 1990er Jah­re, ((Übri­gens auch in Hün­xe und damit ganz in mei­ner Nähe.)) also das Kli­ma, in dem „Punkt 9“ ent­stand. ((Dar­über hin­aus hat­ten die Mit­glie­der des soge­nann­ten „Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds“ bis zur Ver­öf­fent­li­chung des Songs schon sie­ben Mor­de began­gen, die aber erst sechs Jah­re spä­ter als rechts­extrem moti­viert ein­ge­stuft wer­den soll­ten.))

Und es war auch nicht der ers­te Song zum The­ma.

Schon im Okto­ber 1990 – und damit gera­de mal drei Mona­te nach dem deut­schen Sieg bei der Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft und drei Wochen nach der for­mel­len Wie­der­ver­ei­ni­gung – erschien das Album „X für ’e U“ („Ein X für ein U“) der Köl­ner Band BAP, des­sen Ope­ner „Denn mer sinn wid­der wer“ („Denn wir sind wie­der wer“) in hoch­deut­scher Über­set­zung so beginnt:

Wo man hin­schaut, nur noch Deutsch­land,
So pene­trant, wie ich es noch nicht kann­te,
Als gäbe es sonst nichts mehr, als gäbe es sonst nichts mehr.

Der Song ent­wi­ckel­te zusätz­li­che und beson­de­re Bedeu­tung beim Kon­zert auf dem Köl­ner Chlod­wig­platz, auf dem am 9. Novem­ber 1992 100.000 Men­schen unter dem Mot­to „Arsch huh, Zäng ussen­an­der“ („Arsch hoch, Zäh­ne aus­ein­an­der“) gegen Ras­sis­mus und Neo­na­zis demons­trier­ten. ((Die man damals übri­gens noch gut erken­nen konn­te: „Mit deut­scher Reichs­fah­ne und mit Bom­ber­ja­cke“.)) BAP-Sän­ger Wolf­gang Nie­de­cken beschreibt bei die­sem Auf­tritt die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Songs, als nach dem deut­schen WM-Sieg „die ers­ten Hir­n­is mit der Reichs­kriegs­flag­ge rum­fuh­ren und mein­ten, sie könn­ten ihr Süpp­chen mit­ko­chen“. Die­se For­mu­lie­rung ist – viel­leicht ganz bewusst, viel­leicht eher aus Ver­se­hen – ziem­lich gut, weil sie zunächst ein­mal zwi­schen Fuß­ball-Anhän­gern und Neo­na­zis unter­schei­det und dann aber doch einen, wenn auch eher para­si­tä­ren, Zusam­men­hang zwi­schen bei­dem her­stellt.

Ich hat­te „Denn mer sinn wid­der wer“ wie­der im Kopf, als wir nach dem End­spiel der WM 2002, bei dem Deutsch­land gegen Bra­si­li­en ver­lo­ren hat­te, mit unse­ren Fahr­rä­dern nach Hau­se fuh­ren und in der Innen­stadt von Dins­la­ken Men­schen mit Deutsch­land­fah­nen rum­lie­fen, von denen eini­ge tat­säch­lich rie­fen: „Deutsch­land den Deut­schen, Aus­län­der raus!“ Es fühl­te sich nach Jah­ren einer gefühl­ten Ent­span­nung der Lage an wie ein Schlag in die Magen­gru­be – und war im Nach­hin­ein ein Vor­ge­schmack auf das, was noch kom­men soll­te.

Wäh­rend der WM 2010 stand im Bochu­mer Ber­mu­da­drei­eck ein fast schon Kari­ka­tu­ren­haf­ter Mann mit einer schwarz-weiß-roten Flag­ge, als wäre es das Nor­mals­te der Welt. Die von uns infor­mier­te Poli­zei konn­te nichts machen: Die Flag­ge des Kai­ser­rei­ches ist nicht ver­bo­ten.

Tat­säch­lich sehen nicht weni­ge Exper­ten einen mehr oder weni­ger gro­ßen Zusam­men­hang zwi­schen dem seit 12 Jah­ren regel­mä­ßig aus­bre­chen­den „Par­ty-Patrio­tis­mus“ und dem Auf­kom­men neu­er natio­na­lis­ti­scher Strö­mun­gen wie der AfD.

Wenn also die Welt­meis­ter­ti­tel von 1954 und 1990 wahl­wei­se Aus­gangs­punk­te oder zumin­dest Mar­ker eines ver­än­der­ten deut­schen Selbst­ver­ständ­nis­ses waren: Baby, what did you expect, 2014? ((Bonus­fra­ge: Wie fuck­ing gut muss es Deutsch­land 1974 trotz vor­he­ri­ger Ölkri­se gegan­gen sein, dass der WM-Sieg ver­gleichs­wei­se fol­gen­los blieb?)) Drei Mona­te spä­ter „spa­zier­te“ die Pegi­da-Bewe­gung zum ers­ten Mal durch Dres­den. ((Ande­rer­seits gibt es die­se natio­na­lis­ti­schen Ten­den­zen aktu­ell fast über­all in Euro­pa. Ita­li­en, Ungarn und Öster­reich sind bei der WM gar nicht dabei, Polen und Deutsch­land haben ihre Auf­takt­spie­le ver­lo­ren.))

Den Über­gang von ver­meint­lich harm­lo­ser Fuß­ball­be­geis­te­rung hin zu Per­ma­nenz­na­tio­na­lis­mus kann man in einem klei­nen Sti­cker sehen: 2006, als das „Som­mer­mär­chen“ lang­sam zu Ende ging, brach­te „Bild“ einen Auf­kle­ber in Umlauf, der ver­kün­de­te: „Schwarz rot geil – Wir machen wei­ter!“. Im Blatt schrieb die Redak­ti­on dazu: „Las­sen Sie sich die gute Stim­mung nicht ver­der­ben, zei­gen Sie wei­ter Flag­ge!“

Mal davon ab, dass die Deutsch­land-Besof­fen­heit von „Bild“ schon wäh­rend der WM alles ande­re als ent­spannt und unver­krampft gewe­sen war (BILD­blog berich­te­te mehr­fach), konn­te ab hier kei­ner mehr behaup­ten, dass es „nur“ um Fuß­ball und die Far­ben einer Mann­schaft ging.

Das pas­sen­de Lied zur aktu­el­len Lage kommt von kett­car und heißt „Mann­schafts­auf­stel­lung“:

Wir bil­den eine Mau­er, machen alle Räu­me dicht
Mit einem Popu­lis­ten, der durch die Abwehr bricht
Ein Stamm­tisch­phi­lo­soph am rech­ten Außen­feld
Die Dop­pel­sechs, die alles Frem­de ins Abseits stellt

kett­car-Sän­ger Mar­cus Wie­busch hat­te Fuß­ball bei sei­ner frü­he­ren Band …But Ali­ve schon öfter als Bild­spen­der benutzt – aller­dings im Bezug auf geschei­ter­te Bezie­hun­gen („Ent­las­sen (Vor der Win­ter­pau­se)“) und Freund­schaf­ten („Erin­nert sich jemand an Kal­le ‚del Haye?“). Der Text zu „Mann­schafts­auf­stel­lung“ stammt vom Bas­sis­ten Rei­mer Bus­torff.

Der Refrain kommt dann auf den Punkt:

Und als wir gemein­sam vor dem Radio saßen
Die Auf­stel­lung hör­ten, unser Abend­brot aßen
Nahmst du mei­ne Hand und sag­test:
„Lieb­ling, ich bin gegen Deutsch­land“

Der Irr­sinn ist nur inzwi­schen so weit fort­ge­schrit­ten, dass es ange­sichts der „Bild“-Kampagne gegen Mesut Özil und der „Ankün­di­gung“ der AfD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Ali­ce Wei­del, die deut­sche Mann­schaft nicht unter­stüt­zen zu wol­len, inzwi­schen bei­na­he eine lin­ke, sub­ver­si­ve Posi­ti­on ist, für das deut­sche Team zu sein – so wie man ange­sichts der „Mer­kel muss weg!“-Rufe aus der ganz rech­ten Ecke bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl ja trotz aller Kri­tik irgend­wie für Ange­la Mer­kel sein muss­te.

Die Musik zum Tur­nier ist natür­lich wie­der die übli­che Erbau­ungs­ly­rik mit „Viva La Vida“-Chören, die man lei­der kaum bes­ser zusam­men­fas­sen kann als mit „Men­schen Leben Tan­zen Welt“. 2018 heißt der Max Gie­s­i­ni­ger unter den Andre­as Bou­ra­nis die­ser Welt Adel Tawil und singt in „Flut­licht“:

Im Wind wehen unse­re Fah­nen, über ein Meer aus unsern Far­ben
Auf die­sen Moment war­ten wir schon so lang
Wir sin­gen eure Namen, uns’­re Lie­der sol­l’n euch tra­gen
Wir ste­hen hin­ter euch wie ein zwölf­ter Mann

(„Fah­nen“ waren bei muff pot­ter. und BAP noch Sym­bo­le des Bösen, hier sind sie ganz banal Fah­nen. Immer­hin sind sie nicht hoch.)

Lie­der, die mal irgend­wie Stel­lung bezie­hen, darf man von den aktu­el­len Pop­bar­den nicht erwar­ten, da muss man ja schon froh sein, wenn sich mal jemand der­ge­stalt äußert, dass er kei­ne AfD-Anhän­ger unter sei­nen Fans haben will. Aber gut: Was will man von Leu­ten erwar­ten, die ein Lied sin­gen über den anstren­gen­den All­tag einer allein­er­zie­hen­den Mut­ter, das dann in der Sen­tenz „Wenn sie tanzt ist sie woan­ders“ gip­felt? Tanz den Hartz!

Das war Anfang der 1990er Jah­re noch anders. Die Prin­zen, damals eine der erfolg­reichs­ten deut­schen Bands über­haupt, san­gen 1992 in ihrem Lied „Bom­be“:

Schmierst Du an die Wand eine hoh­le
Nazi­pa­ro­le,
Dann möch­te ich …
Wenn Du einen „Kana­cke“ nennst,
Weil Du sei­ne Spra­che nicht kennst,
Dann möch­te ich …
Willst Du allen in die Fres­se hau’n
Und bist im Kopf schon ganz braun,
Dann möch­te ich …
Wenn Du Dir den Schä­del rasierst
Und im Gleich­schritt mar­schierst,
Dann möch­te ich …

Die­ses „Möch­ten“ wird im Refrain so auf­ge­löst:

Dann möch­te ich ’ne Bom­be sein
Und ein­fach explo­die­ren,
Wenn alle Leu­te „Hil­fe schrei­en,
Dann wür­de was pas­sie­ren.
Manch­mal möch­te ich zer­plat­zen und laut knal­len
Und alles, was nicht stimmt, wür­de aus­ein­an­der fal­len.

Im Song gibt es noch eine gan­ze Rei­he wei­te­rer Din­ge, wegen derer das Lyri­sche Ich ger­ne „explo­die­ren“ wür­de („Wenn man­che Eltern sich trau­en, ihre Kin­der zu hau­en“, „Wenn Jan das Essen nicht schmeckt und er schmeißt es weg“), die manch­mal fast rüh­rend naiv erschei­nen. ((Im Fall von „Ruf ich nachts bei Dir an und Du gehst nicht ran“ müss­te man heu­te auch min­des­tens eine #MeToo-Augen­braue heben.)) Jede Men­ge Mini­mal­po­si­tio­nen, mit denen man heu­te als „mutig“ oder „kon­tro­vers“ gel­ten wür­de. Und wenn jemand ange­ben wür­de, einen Lied­text gut zu fin­den, in dem explo­diert wird und alles aus­ein­an­der fällt, müss­te er/​sie damit rech­nen, von Juli­an Rei­chelt öffent­lich ange­grif­fen zu wer­den.

Ein wei­te­res Bei­spiel für Main­stream-Anti­fa­schis­mus: Udo Lin­den­berg mit sei­nem Song „Panik Pan­ther“, eben­falls von 1992.

Die Zei­ten wer­den här­ter,
wir kön­nen kei­nem trau­en.
Erst ges­tern haben so Zom­bies
schon wie­der bru­tal drauf­ge­hau­en.
Total blind im Ras­sen­wahn,
zün­den sie nachts Häu­ser an.
Aber wir klä­ren hier in unse­rer Stadt,
dass kein Skin was zu sagen hat.

Das Lied zählt jetzt weder musi­ka­lisch noch text­lich zu Lin­den­bergs bedeu­tends­ten Wer­ken, war aber damals Sin­gle und Titel­track des Albums.

In mei­ner Kind­heit war es gesell­schaft­li­cher Kon­sens, gegen „rechts“ zu sein. Die Nazis waren kla­rer zu erken­nen, zu beschrei­ben und zu kari­kie­ren ((„Glat­zen“ bei Lin­den­berg, „Bom­ber­ja­cke“ bei BAP.)) und die Gefahr war viel­leicht greif­ba­rer, weil noch groß in den Medi­en berich­tet wur­de, wenn mal wie­der Häu­ser brann­ten. Ich erin­ne­re mich noch gut an die­se Nach­rich­ten, die man als Kind natür­lich über­haupt nicht ein­ord­nen kann, ((Okay: Wie soll man das als Erwach­se­ner?)) und an die Ängs­te, die ich damals hat­te. Der „ratio­na­le“ Beru­hi­gungs­ver­such „Bei uns im Haus woh­nen kei­ne Aus­län­der“ ist ja nicht wirk­lich ein Trost, son­dern im Rück­blick schlicht­weg Zynis­mus.

Heu­te sit­zen Politiker*innen, die sich nicht scheu­en, bewusst auf Nazi-Voka­bu­lar zurück­zu­grei­fen, nicht nur in vie­len Par­la­men­ten, son­dern sogar in vie­len Regie­run­gen. Die dies­jäh­ri­ge Fuß­ball-WM, die wegen ihres Aus­tra­gungs­or­tes schon poli­tisch genug wäre, ist für die Medi­en nicht mehr nur Eska­pis­mus, Bild- und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­spen­der, son­dern sie wird direkt mit der von der CSU aus­ge­lös­ten und am Kochen gehal­te­nen Regie­rungs­kri­se ver­knüpft: „Bild“ mon­tiert im Rah­men der inof­fi­zi­el­len Kam­pa­gne „Scha­de: Immer noch kein Bür­ger­krieg“ die Maxi­mal-Kri­tik an Mesut Özil neben die Trump’schen Lügen einer gestie­ge­nen Kri­mi­na­li­täts­ra­te in Deutsch­land und sug­ge­riert damit, Natio­nal­elf und Poli­tik sei­en das glei­che. Wenn Deutsch­land in der Vor­run­de aus­schei­det, ist auch die Kanz­ler­schaft Ange­la Mer­kels vor­bei.

Das alles macht kei­nen Spaß mehr. Nicht an Fuß­ball, schon gar nicht an Poli­tik. Aber wenn’s mal so rich­tig schei­ße ist, ist wenigs­tens noch die Musik da.

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Komm, Welt, lass Dich umarmen

Der ers­te Spiel­tag der neu­en Bun­des­li­ga­sai­son ist rum, Glad­bach hat 1:0 gegen den 1. FC Köln gewon­nen.

Zeit, noch ein­mal nost­al­gisch an mei­ne aller­ers­te Sai­son als Fan zurück­zu­den­ken und an das Lied, das für mich auf ewig die Glad­ba­cher Tor­hym­ne sein wird:

Falls ich den Song jemals in vol­ler Län­ge gehört haben soll­te, ist das sicher über zwan­zig Jah­re her. Es ist natür­lich ein Song, des­sen natür­li­cher Lebens­raum schon bei Uwe Hüb­ner in der „ZDF-Hit­pa­ra­de“ liegt, aber man muss die­sen gan­zen Schla­ger­sän­gern der 1980er und 1990er gegen­über ja Abbit­te leis­ten, denn so viel schlim­mer als das Aller­meis­te, was aktu­ell im Radio läuft, war das ja nun wirk­lich nicht. Und die Stim­me ist schon geil, oder? (Sie kommt viel­leicht noch ein biss­chen bes­ser rüber in die­sem Auf­tritt, der auch noch kom­plett stil­echt von Die­ter-Tho­mas Heck anmo­de­riert und ‑gewun­ken wird.)

Mario Jor­dan (fra­gen Sie mich bit­te nicht, war­um mein Gehirn die­sen Namen sofort griff­be­reit hat­te!) hieß, wie ich der Wiki­pe­dia ent­neh­me, eigent­lich Mario Leh­ner und ist lei­der schon vor sie­ben Jah­ren gestor­ben.

Das Lied ken­nen Sie natür­lich auch, wenn Sie nie im Bökel­berg­sta­di­on waren, denn es war sei­ner­zeit auch der Wer­be­song einer sym­pa­thi­schen nie­der­rhei­ni­schen Braue­rei, die damals Tri­kot­spon­sor von Borus­sia Mön­chen­glad­bach war – und das Lied ver­mut­lich gleich mit­ge­bracht hat.

(Kur­zer Exkurs: Die Braue­rei Die­bels war bis zum Jahr 2011 auch Geträn­ke­part­ner des Hald­ern Pop Fes­ti­vals, was bedeu­te­te, dass man – sym­pa­thisch und nie­der­rhei­nisch hin oder her – dort lan­ge nur Alt­bier trin­ken konn­te. Ab 2005 brau­te Die­bels dann auch (wie­der) Pils, das aber seit 2010 schon nicht mehr in Fäs­sern ange­bo­ten wur­de. Die Web­site des Unter­neh­mens wirkt selt­sam ver­waist und der aktu­el­len Bericht­erstat­tung ent­neh­me ich, dass der welt­größ­te Brau­kon­zern Anheu­ser-Busch Inbev – „sym­pa­thisch“ und „nie­der­rhei­nisch“ – die Mar­ke offen­bar drin­gend los­wer­den will. Wenn also irgend­je­mand über­haupt nicht vom aktu­el­len Craft­beer-Trend pro­fi­tiert hat, dann das Alt-Bier. Und Haus­ge­tränk der soge­nann­ten Alt-Right-Bewe­gung will man ja auch nicht sein. Exkurs Ende.)

Die legen­dä­ren Die­bels-Wer­be­spots sind übri­gens auch der Grund dafür, war­um ich „Welch ein Tag“ auch jedes Mal im Ohr habe, wenn ich ein Ket­ten­ka­rus­sell sehe:

(Ich hat­te den Spot übri­gens so in Erin­ne­rung, dass da zwei Men­schen gemein­sam auf dem Karus­sell fah­ren und sich dort zupros­ten. Alter Roman­ti­ker, ich.)

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 14

Hu! Da sind sie wie­der: Lucky und Fred, die Fern­fah­rer der Äther­wel­len, bli­cken zurück auf die letz­ten Wochen, in denen soooo viel jetzt gar nicht …

Okay, sei­en wir ehr­lich: Die Welt steht am Abgrund, Odin hat die nächs­te Mann­schaft ein­be­ru­fen und bald ist ver­mut­lich alles vor­bei. Vor­her schau­en wir aber noch nach Groß­bri­tan­ni­en (solan­ge es noch da ist), in die USA und natür­lich auf die Popu­lis­ten die­ser Welt. Ein paar gute Nach­rich­ten haben wir dann aber doch noch gefun­den und außer­dem kommt in die­sem Pod­cast zwei­mal das Wort „Fick“ vor, wes­we­gen wir davon abra­ten, ihn in der Nähe von Kin­dern zu hören. (Für die ist er aber eh lang­wei­lig.)

Wei­ter­füh­ren­de Links:

„Lucky & Fred“ als RSS-Feed
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„Lucky & Fred“ bei Face­book

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Digital Gesellschaft

Die Geräusche meiner Kindheit

Aus­ge­löst durch eine Kolum­ne von Caro­lin Emcke schrei­ben die Men­schen auf Twit­ter heu­te unter dem Hash­tag #geräu­sche­der­kind­heit Geräu­sche auf, die sie an ihre Kind­heit erin­nern. Das ist sehr toll, aber weil ich kei­nen Bock mehr habe, mei­ne Gedan­ken immer­zu in den Sphä­ren der Social Media zu ver­bal­lern, und weil 140 Zei­chen nun wirk­lich zu wenig sind, nut­ze ich die­ses Blog für das, wozu es mal gedacht war, und blog­ge:

  • Fuß­ball­re­por­ta­gen aus dem Nach­bar­gar­ten. Als mei­ne Geschwis­ter und ich noch sehr klein waren, hat­ten mei­ne Eltern einen Schre­ber­gar­ten, der sich seit Gene­ra­tio­nen im Fami­li­en­be­sitz befand. Wenn das Wet­ter gut war (aber auch, wenn es nicht so gut war), waren wir gefühlt das gan­ze Wochen­en­de dort. Unse­re Eltern schnit­ten Sträu­cher, zupf­ten Unkraut, mäh­ten den Rasen und bau­ten an der Gar­ten­lau­be her­um (kein Strom­an­schluss, ein Torf­klo hin­term Haus), wäh­rend wir Kin­der auf dem Klet­ter­ge­rüst schau­kel­ten, fri­sches Obst aßen (das natur­ge­mäß wohl eher sai­so­nal begrenzt und nicht, wie mei­ne Erin­ne­rung mir weis­ma­chen will, immer) oder irgend­wo her­um­lie­fen (ande­re Kin­der gab es in der Kolo­nie, soweit ich mich erin­nern kann, kaum). Fes­ter Bestand­teil eines sol­chen Wochen­en­des waren schrei­en­de Män­ner, unter­legt von einem viel­stim­mi­gen Rau­schen, die aus den Radi­os der umlie­gen­den Gär­ten schall­ten. Mein Inter­es­se für Fuß­ball außer­halb der gro­ßen inter­na­tio­na­len Tur­nie­re begann erst mit der Bun­des­li­ga­sai­son 1994/​95 (5. Platz, Pokal­sieg, Ste­fan Effen­berg, Hei­ko Herr­lich, Mar­tin Dah­lin), des­we­gen hat­te ich nur eine unge­fäh­re Ahnung, was die­se Geräu­sche zu bedeu­ten hat­ten. Sie durch­misch­ten sich auch, gera­de am Sonn­tag, ger­ne mit den tat­säch­li­chen Durch­sa­gen, die von der nahe­ge­le­ge­nen Bezirks­sport­an­la­ge her­über weh­ten, wo der SuS Dins­la­ken 09 sei­ne Spie­le absol­vier­te. Noch heu­te ist Fuß­ball für mich eher ein akus­ti­sches als ein visu­el­les Erleb­nis (das Geräusch eines ordent­lich getre­te­nen Leder­balls lässt mich auch heu­te immer noch sofort zusam­men­zucken, weil ich damit rech­ne, das Teil Sekun­den­bruch­tei­le spä­ter an den Hin­ter­kopf, gegen die Nase oder in den Unter­leib zu bekom­men) und vor allem Bun­des­li­ga­nach­mit­ta­ge ver­brin­ge ich lie­ber am Radio als vor dem Fern­se­her.
  • Die Feu­er­wehr­si­re­ne. In den 1980er und 1990er Jah­ren wur­den Brän­de und ähn­li­che Kata­stro­phen noch von einem anschwil­len­den Sire­nen­ge­heul beglei­tet, das angeb­lich die Feu­er­wehr­leu­te zum Dienst rufen soll­te. Für mich war das ein schreck­li­ches Geräusch mit dunk­lem Hin­ter­grund: nach eini­gen Brän­den in umlie­gen­den Indus­trie­ge­bie­ten, nach denen die Bevöl­ke­rung ange­hal­ten wor­den war, Türen und Fens­ter geschlos­sen zu hal­ten, war das Geräusch für mich gleich­be­deu­tend mit einem nahen­den, bei unver­schlos­se­nen Fens­tern unaus­weich­li­chen Ersti­ckungs­tod. Wenn die Sire­ne los­ging, wäh­rend wir nicht zuhau­se waren, kam eine zwei­te, min­des­tens genau­so schlim­me Mög­lich­keit in Betracht: der Alarm galt unse­rem Haus, das gera­de in Flam­men stand – und mit ihm mei­ne Spiel­sa­chen und Kuschel­tie­re. Erst im Nach­hin­ein däm­mert mir, dass das Geräusch bei mei­ner Oma, die die Bom­bar­die­rung gleich meh­re­rer deut­scher Groß­städ­te er- und über­lebt hat­te, und ihren Alters­ge­nos­sen mög­li­cher­wei­se noch ein klein biss­chen beschis­se­ne­re Asso­zia­tio­nen aus­ge­löst haben muss. Ein­mal im Monat wur­den die­se ver­damm­ten Sire­nen, die in der gan­zen Stadt auf höhe­ren Häu­sern (dar­un­ter auch auf unse­rer Schu­le) mon­tiert waren, getes­tet – und es war für mich immer eine Schreck­se­kun­de, bis ich mich ver­ge­wis­sert hat­te: „Ja, ers­ter Sams­tag im Monat, 11.30 Uhr – dies­mal haben wir noch mal Glück gehabt.“ Aller­dings habe ich bis heu­te kei­ne Ahnung, was eigent­lich pas­siert wäre, wenn es aus­ge­rech­net zu die­ser Zeit tat­säch­lich mal gebrannt hät­te.
  • Das Fie­pen einer Bild­röh­re. Wir waren jung, wir durf­ten eine hal­be Stun­de am Nach­mit­tag fern­se­hen und wir hat­ten Rock’n’Roll, Walk­man und Kon­zer­te noch nicht für uns ent­deckt: natür­lich konn­ten wir hören, wenn irgend­wo in der Woh­nung ein Fern­se­her ein­ge­schal­tet war – selbst ohne Ton. Noch heu­te sind Bild­röh­ren für mich die ein­zig waren Fern­seh­ge­rä­te – auch, weil die so schö­ne Din­ge mit den eige­nen Haa­ren machen, wenn man direkt davor steht. Inzwi­schen bin ich 32 Jah­re alt, höre Musik über­wie­gend über Kopf­hö­rer, habe bei gro­ßen Ver­an­stal­tun­gen vor, hin­ter und auf der Büh­ne gear­bei­tet – und krie­ge regel­mä­ßig einen Rap­pel, wenn ich so etwas wie Lap­top-Netz­tei­le, Akku­la­de­ge­rä­te oder Tra­fos von Halo­gen­lam­pen immer noch fie­pen hören kann. Wozu die gan­ze Mühe?!
  • Der Anlas­ser­zug eines Zweitakt-Rasen­mäh­rer­mo­tors. Nach sei­ner Pen­sio­nie­rung hat­te mein Groß­va­ter drei gro­ße Hob­bies: Rei­sen, Golf spie­len und sei­nen Rasen. Die ers­ten bei­den lie­ßen sich ganz gut kom­bi­nie­ren, die letz­ten bei­den hät­ten immer noch eine Teil­zeit-Beschäf­ti­gung als Green­kee­per zuge­las­sen. So aber pfleg­te er den hei­mi­schen Rasen mit jähr­li­chem Ver­ti­ku­tie­ren, aus­gie­bi­gem Ein­satz von Dün­ge- und Unkraut­ver­nich­tungs­mit­teln und regel­mä­ßi­gem Rasen­mä­hen. Der Rasen­mä­her ist min­des­tens so alt wie ich und auch heu­te noch im Ein­satz, was – neben Autos der Mar­ke Opel – stark zu mei­nem unbe­irr­ten Glau­ben an die deut­sche Inge­nieurs­kunst bei­getra­gen hat. Gestar­tet wird das Teil mit einem Seil­zug­star­ter (die­ses Wort habe ich gera­de natür­lich ergoo­gelt), wobei der Motor fast laut ist wie der einer klei­nen Pro­pel­ler­ma­schi­ne, der Mäher aber bei rich­ti­ger Bedie­nung auch ähn­li­che Geschwin­dig­kei­ten erreicht – nur halt auf der Erde. Als ich alt genug war, um die Auf­ga­be des Rasen­mä­hens über­neh­men zu kön­nen, griff ich auf eine alt­be­währ­te Tak­tik zurück: ich ließ das selbst­fah­ren­de Unge­tüm ein­mal ins Blu­men­beet bret­tern und muss­te danach nie wie­der ran.
  • Der Rasen­spren­ger mei­nes Groß­va­ters. Glei­cher Rasen, ande­res Werk­zeug: Ein Kreis­ra­sen­spren­ger (auch gera­de ergoo­gelt – toll, dass die­se Din­ge alle auch einen rich­ti­gen Namen haben!), der ver­mut­lich schon zu Vor­kriegs­zei­ten in den Krupp’schen Stahl­wer­ken gefer­tigt wor­den war, des­sen Geräusch­ku­lis­se jeden­falls etwas mecha­nisch-mar­tia­li­sches an sich hat­te. Schnap­pend dreh­te sich der Kopf zunächst ruck­wei­se in die eine Rich­tung und spie gro­ße Was­ser­fon­tä­nen auf den zu benet­zen­den Grund, nach einer Dre­hung von schät­zungs­wei­se 320 Grad schnell­te er mit einem Mal zurück in die Aus­gangs­po­si­ti­on und begann die nächs­te Run­de. Als Kin­der konn­te man sich einen Spaß dar­aus machen, genau vor dem Was­ser­strahl her­zu­ren­nen und sich dann im toten Win­kel in Sicher­heit zu brin­gen. Ich glau­be, das Gerät ist irgend­wann kaputt­ge­gan­gen (mut­maß­lich zer­ros­tet) – oder es wur­de gewinn­brin­gend an Steam-Punk-Fans ver­kauft.
  • Zuge­schla­ge­ne Auto­tü­ren. Als Kind habe ich gefühlt sehr viel Zeit mit War­ten ver­bracht: Dar­auf, dass mei­ne Freun­de end­lich von ihren Eltern zum Spie­len vor­bei­ge­bracht wür­den, oder dar­auf, dass Tan­ten, Onkels oder ähn­li­cher Besuch kam. Die­ses War­ten ging ein­her mit der auf­merk­sa­men Beob­ach­tung der Park­plät­ze unter unse­rer dama­li­gen Miet­woh­nung, wobei ich jetzt nicht die gan­ze Zeit auf der Fens­ter­bank saß und nach drau­ßen starr­te – ich konn­te ja auch auf die Geräu­sche ach­ten. Jede zuge­schla­ge­ne Auto­tür konn­te bedeu­ten, dass es gleich end­lich an der Tür klin­geln wür­de und mein zwangs­wei­se auf Pau­se gesetz­ter Tages­ab­lauf (gut: ich hät­te auch lesen, Kas­set­ten hören oder irgend­et­was spie­len kön­nen) wei­ter­ge­hen konn­te. Was die Rück­kehr mei­nes Vaters von der Arbeit angeht, so bin ich mir sicher, auch heu­te noch einen Kadett E Cara­van, Bau­jahr 1988, aus einer belie­big gro­ßen Men­ge ande­rer Fahr­zeu­ge her­aus­hö­ren zu kön­nen.
  • Die Schwimm­hal­le mei­ner Groß­el­tern. Bevor im Pri­vat­fern­se­hen jeder Hinz und Kunz einen Pool oder einen Schwimm­teich vor lau­fen­der Kame­ra in Eigen­ar­beit zusam­men­bau­te, hat­ten mei­ne Groß­el­tern schon Anfang der 1970er Jah­re eine der ers­ten pri­va­ten Schwimm­hal­len der Stadt. Die­ser Stand­ort­vor­teil half mir zwar weder dabei, beson­ders früh Schwim­men zu ler­nen, noch dabei, als Teen­ager Mit­schü­le­rin­nen in den Feri­en zum Besuch im Biki­ni zu bewe­gen, aber Schwim­men ist heu­te immer noch mei­ne liebs­te Art sport­li­cher Betä­ti­gung. Das Becken ist mit fünf mal zehn Metern gar nicht mal so klein und ermög­licht es auch einem unge­üb­ten Sport­ler, bei­na­he Welt­re­kord­zei­ten zu schwim­men – weil man ja stän­dig umkeh­ren muss und sich dabei ordent­lich absto­ßen kann. Aus Grün­den der Ener­gie­ef­fi­zi­enz ist das Becken bei Nicht­be­nut­zung mit einer 50 Qua­drat­me­ter gro­ßen Pla­ne bedeckt, die auf eine gro­ße elek­trisch betrie­be­ne Rol­le am Ende auf­ge­wi­ckelt wer­den kann. Das Geräusch der sich öff­nen­den Pla­ne war stets Teil der Vor­freu­de auf den zu erwar­ten­den Bade­spaß. Die­ser ging dann anschlie­ßen­den meist mit lau­tem Plat­schen (im Gegen­satz zu öffent­li­chen Schwimm­bä­dern durf­te man hier vom Becken­rand sprin­gen – man muss­te nur anschlie­ßend wie­der tro­cken machen) und Gekrei­sche ein­her, das von den geka­chel­ten Wän­den und der gro­ßen Fens­ter­front wider­hall­te und sich gera­de bei geöff­ne­ter Front im Som­mer auch weit über den angren­zen­den Gar­ten ver­teil­te. Stil­echt abge­schlos­sen ist ein sol­cher Schwimm­bad­be­such bis heu­te übri­gens erst mit einem anschlie­ßend auf einem Bade­hand­tuch in der Son­ne kon­su­mier­ten „Däumling“-Eis der Fir­ma Bofrost.

Damit wären wir vor­erst am Ende mei­nes klei­nen Aus­flugs die Erin­ne­rungs­gas­se hin­un­ter. Ich bin sicher, dass mir schon bis heu­te Abend noch fünf ande­re Geräu­sche ein­ge­fal­len sein wer­den, die hier unbe­dingt hät­ten erwähnt wer­den müs­sen. Und in der nächs­ten Aus­ga­be machen wir es dann wie Mar­cel Proust und las­sen uns von Gebäck­stü­cken und ähn­li­chen Geschmä­ckern in der Zeit zurück­wer­fen.

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Musik

Song des Tages: Oasis – Don’t Look Back In Anger

Ges­tern Abend, als mei­ne favo­ri­sier­ten Hol­län­der gera­de das Elf­me­ter­schie­ßen gegen Argen­ti­ni­en ver­lo­ren hat­ten (in einem WM-Halb­fi­na­le, das als eines der belang­lo­ses­ten in die Fuß­ball­his­to­rie ein­ge­hen dürf­te), hör­te ich im Hin­ter­grund des Sta­di­on­tons „Won­der­wall“. Ich dach­te (und twit­ter­te), dass das der fal­sche Song sei.

Der rich­ti­ge sei auf dem Album einen Track wei­ter:

Zum ers­ten Mal gehört: Bestimmt irgend­wann 1995, zum ers­ten Mal bewusst im April 1996 auf dem Rück­flug von San Fran­cis­co im Bord­ra­dio von Bri­tish Air­ways. Mein 12-jäh­ri­ges Ich wuss­te: Das sind Oasis und aus irgend­ei­nem Grund fin­de ich die­ses Lied toll. Es bekam dann auch noch mal sei­nen gro­ßen Fern­seh­auf­tritt nach dem Sieg der deut­schen Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft bei der EM in Eng­land (ich fürch­te, hier schließt sich am Sonn­tag ein Kreis), als es – eigent­lich etwas unpas­send – zur Unter­ma­lung gro­ßer Jubel­bil­der ein­ge­setzt wur­de.

Wer musi­ziert da? Zwei Brü­der und ein paar Kum­pels aus Man­ches­ter.

War­um gefällt mir das? Schon als Eigent­lich-noch-Kind haben mich die Har­mo­nien die­ses Songs tief bewegt. Ich habe zu wenig Ahnung von Musik­theo­rie, aber irgend­wie sind die so auf­ge­baut, dass die Musik direkt ins Herz geht. In der Wiki­pe­dia ist das aber ein biss­chen erklärt. Und dann ist da Noel Gal­lag­hers Stim­me, die damals schon etwas sehr Beru­hi­gen­des aus­strahl­te. „(What’s The Sto­ry) Mor­ning Glo­ry?“ ist bis heu­te eines mei­ner Lieb­lings­al­ben und „Don’t Look Back In Anger“ mein erklär­ter Oasis-Favo­rit – „Won­der­wall“ kommt irgend­wo auf Platz 5 oder 6.

[Alle Songs des Tages]

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Rundfunk Politik

Schwarz-grün ist die Haselnuss

Ja, es war die Halb­zeit­pau­se des Fuß­ball­län­der­spiels Schwe­den – Deutsch­land, in die das „Heu­te Jour­nal“ ges­tern Abend hin­ein­sen­den muss­te. 9,3 Mil­lio­nen saßen vor dem Fern­se­her (oder, rea­lis­ti­scher: lie­ßen den Fern­se­her an, als sie gera­de erst zum Klo und dann zum Kühl­schrank gin­gen) und soll­ten sich jetzt, nach einer aus deut­scher Sicht eher ent­täu­schen­den ers­ten Halb­zeit, auf so kna­cki­ge The­men und Fremd­wör­ter wie „Son­die­rungs­ge­sprä­che“ ein­las­sen.

Mari­et­ta Slom­ka tat also lie­ber mal so, als wür­de sie mit einem Erst­kläss­ler spre­chen, des­sen Ent­wick­lung noch etwas hin­ter der sei­ner Alters­ge­nos­se hin­ter­her­hinkt. Bei den Gesprä­chen zwi­schen Uni­on und SPD am Mon­tag wur­de, so Frau Slom­ka, „nicht mehr mit Wat­te­bäusch­chen gewor­fen – es soll sogar rich­tig laut gewor­den sein“. Das mache die heu­ti­gen Son­die­rungs­ge­sprä­che mit den Grü­nen „natür­lich noch inter­es­san­ter“.

Es sei auf jeden Fall „eine span­nen­de Par­tie“, augen­zwin­ker­te Mari­et­ta Slom­ka noch. Dann ging’s los:

Hin­ter den zuge­zo­ge­nen Vor­hän­gen sit­zen sie noch immer: Schwar­ze und Grü­ne. Ein Spiel dau­ert 90 Minu­ten, heißt es, Koali­ti­ons­son­die­run­gen aber viel, viel län­ger.

Es sah ein biss­chen so aus, als wür­den zwei Mann­schaf­ten den Platz betre­ten. Vor über vier Stun­den, vor dem, ja: Ent­schei­dungs­spiel über eine mög­li­che schwarz-grü­ne Koali­ti­on.

Als würden zwei Mannschaften den Platz betreten (Screenshots: ZDF).

Wahr­schein­lich muss man froh sein, dass das „Heu­te Jour­nal“ ges­tern nicht in der Ring­pau­se eines Box­kampfs oder zwi­schen zwei Fol­gen irgend­ei­ner skan­di­na­vi­schen Kri­mi­se­rie lief. Aber das macht es ja nicht bes­ser.

Ob Absicht oder nicht: Das Fuß­ball-Fee­ling wur­de noch ver­stärkt durch einen lei­der nicht unter­ti­tel­ten O‑Ton des baye­ri­schen Grü­nen-Poli­ti­kers Anton Hof­rei­ter, von dem man als Nicht-Bay­er ent­spre­chend wenig ver­stand.

Also wei­ter im Off-Text:

Die Chan­cen, dass die Grü­nen­spit­ze sich für eine schwarz-grü­ne Koali­ti­on aus­spricht, sind indes gering. Zu groß die Unter­schie­de zur Uni­on, etwa bei der Kli­ma­po­li­tik, beim Umgang mit Flücht­lin­gen. Auf bei­den Sei­ten aber will sich nie­mand dem Vor­wurf aus­set­zen, die neue Macht­paa­rung nicht wirk­lich geprüft zu haben.

Klingt soweit meta­phern-unver­däch­tig, wenn ZDF-Repor­ter Tho­mas Reich­art beim Wort „Macht­paa­rung“ nicht die Anfüh­rungs­zei­chen, die Kur­siv­set­zung und Fet­tung aus dem Skript mit­ge­spro­chen hät­te.

Dann schwang er sich wie­der auf sein von vor­ne her­ein ziem­lich ange­schla­ge­nes Meta­phern-Pferd:

Bei den Grü­nen gehen sie trotz­dem davon aus, dass es am Ende wohl zur Gro­ßen Koali­ti­on kommt, auch wenn Scharz und Rot ges­tern mit­ein­an­der ein eher rup­pi­ges Spiel hat­ten.

Das Werk schließt mit den Wor­ten:

Solan­ge die Vor­hän­ge zuge­zo­gen sind, ist schwarz-grün noch im Spiel. Es hat aber: nur noch Außen­sei­ter­chan­cen.

Das „Heu­te Jour­nal“ in der ZDF-Media­thek.

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Mein Fan-Problem

Es mag so die 82. Minu­te im WM-Vier­tel­fi­nal­spiel Deutsch­land gegen Kroa­ti­en gewe­sen sein, als ich den Fern­se­her im Wohn­zim­mer mei­nes Eltern­hau­ses zurück­ließ, in den Gar­ten ging und mei­nen Fuß­ball immer wie­der gegen die Wand des Gar­ten­hau­ses drosch. „So geht das, Ihr Ver­sa­ger“, rief ich an die Adres­se der deut­schen Mann­schaft, die gera­de in Lyon 0:2 zurück­lag. Mei­ne Mut­ter trat auf die Ter­ras­se, beob­ach­te­te skep­tisch mein wüten­des Gebol­ze und ver­kün­de­te, es ste­he jetzt 0:3.

In der deut­schen Mann­schaft spiel­ten damals so klang­vol­le Namen wie Chris­ti­an Wörns, Jörg Hein­rich, Diet­mar Hamann, Micha­el Tar­nat und Olaf Mar­schall.

* * *

Ich bin jetzt seit 22 Jah­ren Fuß­ball­fan – und das hat viel mit Miss­ver­ständ­nis­sen zu tun:

Das ers­te Fuß­ball­spiel, an das ich mich erin­nern konn­te, war das Ach­tel­fi­na­le Deutsch­land gegen die Nie­der­lan­de bei der Ita­lia 90. Zuvor waren wir im Som­mer­ur­laub in den Nie­der­lan­den gewe­sen, wo damals alle der Mei­nung waren, dass ihr Team Welt­meis­ter wer­den wür­de. Alles war in Oran­je deko­riert und seit­dem bin ich Hol­land-Fan. Hol­land ver­lor gegen Deutsch­land, Deutsch­land wur­de Welt­meis­ter und ich muss­te – eben­so wie Franz Becken­bau­er – anneh­men, dass Deutsch­land auf Jah­re unbe­sieg­bar sein wer­de. Dann ver­lor Deutsch­land das EM-Fina­le 1992 gegen Däne­mark ((Das sich nicht mal regu­lär qua­li­fi­ziert hat­te und in mei­nem Pani­ni-Sam­mel­al­bum nur mit einem zwei­tei­li­gen Mann­schafts­fo­to gewür­digt wur­de, nicht mit einer Dop­pel­sei­te vol­ler Ein­zel­por­träts!)) und ich wein­te als Acht­jäh­ri­ger hei­ße Trä­nen der Ent­täu­schung.

Da mei­ne Begeis­te­rung für Sport (genau­so wie mei­ne Begeis­te­rung für den Euro­vi­si­on Song Con­test) von Anfang an vor allem von mei­ner Begeis­te­rung für Zah­len und Sta­tis­ti­ken geprägt wur­de, tipp­te ich vor der WM 1994 alle Spie­le des Tur­niers, errech­ne­te die Grup­pen­sie­ger und Ach­tel­fi­nal­paa­run­gen und kam zu dem Schluss, dass Deutsch­land sei­nen Titel ver­tei­di­gen wür­de. Dar­aus wur­de nichts, ich war wie­der ein­mal bit­ter ent­täuscht, aber der Gedan­ke, dass die­ser Final­sieg 1990 nicht die Regel, son­dern die Aus­nah­me gewe­sen sein könn­te, kam mir erst vie­le Jah­re spä­ter. Ich hat­te mich unter­des­sen in die schwe­di­sche Mann­schaft ver­liebt, die mit offen­kun­di­gen Welt­klas­se­spie­lern wie Tho­mas Ravel­li, Patrik Anders­son, Tho­mas Bro­lin, Hen­rik Lars­son, Ken­net Anders­son und Mar­tin Dah­lin WM-Drit­ter wur­de. Als ansons­ten ahnungs­lo­ser Jun­ge muss­te ich davon aus­ge­hen, dass Schwe­den eine inter­na­tio­na­le Top-Mann­schaft sei.

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End­gül­tig vom Fuß­ball ange­fixt, brauch­te ich natür­lich auch eine eige­ne Bun­des­li­ga­mann­schaft. Mei­ne Wahl fiel auf Borus­sia Mön­chen­glad­bach, was nicht so will­kür­lich wahr, wie es sich im ers­ten Moment anhö­ren mag: Ste­fan Effen­berg, der wegen sei­nes Mit­tel­fin­ger-Ein­sat­zes gegen deut­sche Fans bei der WM aus dem Kader geflo­gen war, woll­te nach dem Tur­nier in die Bun­des­li­ga wech­seln. Aus irgend­ei­nem früh­pu­ber­tä­ren Grund fand ich die „Stinkefinger“-Aktion als Zehn­jäh­ri­ger cool und dach­te mir: „Hey, wo der hin­geht, das ist mein Ver­ein: Bre­men oder Mön­chen­glad­bach!“ Für Glad­bach spra­chen dann aber auch noch die schwe­di­schen Natio­nal­spie­ler Patrik Anders­son und Mar­tin Dah­lin und mein Paten­on­kel, der in Mön­chen­glad­bach wohn­te.

Vor dem Beginn der Bun­des­li­ga­sai­son 1994/​95 hat­te ich kei­ne Ahnung, wie erfolg­reich die­se Borus­sia aus Mön­chen­glad­bach sein könn­te, ein Jahr spä­ter waren „wir“ Fünf­ter in der Bun­des­li­ga und DFB-Pokal­sie­ger gewor­den. ((Das Pokal­fi­na­le in Ber­lin hat­te ich als mein zwei­tes Fuß­ball­spiel über­haupt sogar live im Ber­li­ner Olym­pia­sta­di­on ver­folgt.)) Ich muss­te wie­der ein­mal anneh­men, mich für eine Top-Mann­schaft ent­schie­den zu haben.

Am letz­ten Spiel­tag der Sai­son 1997/​98 ret­te­te sich Glad­bach ((Mit Schüt­zen­hil­fe von Han­sa Ros­tock!)) vor dem Abstieg, ein Jahr spä­ter stieg mein Ver­ein dann doch in die zwei­te Liga ab. Ich beschloss, mich eher auf Musik zu kon­zen­trie­ren, wo ich auf weni­ger Ent­täu­schun­gen hoff­te. Nach einem Jahr lös­ten sich zwei mei­ner dama­li­gen Lieb­lings­bands auf.

Als ich gera­de nach Bochum gezo­gen war, qua­li­fi­zier­te sich der VfL für den UEFA-Cup, ein Jahr spä­ter stieg er ab. Glad­bach ent­ließ 2006, nach der erfolg­reichs­ten Sai­son seit zehn Jah­ren, den Trai­ner und ging 2007 wie­der in die zwei­te Liga. Letz­tes Jahr tra­fen bei­de Mann­schaf­ten in der Rele­ga­ti­on auf­ein­an­der, ich konn­te mich kaum ent­schei­den – und ein Jahr spä­ter been­de­te Glad­bach die Sai­son in der ers­ten Liga auf Platz 4, Bochum Elf­ter in Liga Zwei.

Man lernt als Fuß­ball­fan viel fürs Leben, denn es gilt das glei­che, was Jason Lee in „Vanil­la Sky“ über die Lie­be sagt:

You can do wha­te­ver you want with your life, but one day you’ll know what love tru­ly is. It’s the sour and the sweet. And I know sour, which allows me to app­re­cia­te the sweet.

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Was mei­ne Lie­be zum Fuß­ball, aber auch die zur Musik, immer etwas schwie­rig gestal­tet hat, waren die ande­ren Fans. Ich hat­te immer Schwie­rig­kei­ten damit, Teil einer Grup­pe zu sein. Ich den­ke dann immer: „Wir mögen ja gemein­sa­me Inter­es­sen haben, aber ich bin doch ganz anders als Ihr!“

Wenn ich wäh­rend der zwei Wochen Euro­vi­si­on den­ke, so lang­sam sei es aber auch mal gut, mit den Kli­scheeschwu­len, die da blon­diert und nasal flö­tend um mich rum­tu­cken, muss ich mich nur dran erin­nern, wie es im Fuß­ball­sta­di­on aus­sieht: Homo­pho­bie statt Homo­se­xua­li­tät, plum­pes Gebrüll statt ent­zück­tem Gekrei­sche und gene­rell null Takt­ge­fühl. Natür­lich: Nicht alle Fuß­ball­fans sind so, aber in der Sum­me ist es für mich dann doch schwer erträg­lich. Schon in der Knei­pe sind mir die­se Typen ein Graus, die immer hin­ter einem ste­hen und in jeder ver­damm­ten Sze­ne die Spie­ler laut­stark anbrül­len – dabei kön­nen Men­schen im Fern­se­hen einen nun wirk­lich nicht hören.

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Schlim­mer als die­se Fans, die es mit ihrer Begeis­te­rung für den Sport dann viel­leicht doch ein biss­chen über­trei­ben, sind aber jene Leu­te, die sich zu inter­na­tio­na­len Tur­nie­ren in schwarz-rot-gol­de­ne Scha­le wer­fen und gemein­sam mit der Bou­le­vard­pres­se dar­auf hof­fen, dass „wir“ den Titel holen.

Natür­lich kann man inter­na­tio­na­le Fuß­ball­tur­nie­re ver­fol­gen, ohne die Abseits­re­gel oder die FIFA-Welt­rang­lis­te zu ken­nen. Auch habe ich in den letz­ten sechs Jah­ren ver­stan­den, dass die Men­schen, die ihre Häu­ser und Autos mit Deutsch­land­flag­gen schmü­cken, in den aller­we­nigs­ten Fäl­len Neo­na­zis sind. Aber die­se Schön­wet­ter­fans sind schon schwer erträg­lich.

Wenn man von den unglück­li­chen Vogts-Welt­meis­ter­schaf­ten 1994 und ’98 und den EM-Total­aus­fäl­len 2000 und 2004 absieht, zählt Deutsch­land seit 26 Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich zu den vier bes­ten Mann­schaf­ten Euro­pas bzw. der Welt. Wer Fuß­ball nur guckt, weil er auf einen Titel­ge­winn der eige­nen Mann­schaft ((Oder schlim­mer noch: der eige­nen Nati­on.)) hofft, ist kein Fan der Sport­art, son­dern ein­fach nur jemand, der sein Ver­hält­nis zu die­ser Sport­art von einem ein­zi­gen Fak­tor abhän­gig macht: dem Titel. Mit die­ser Ein­stel­lung kann man die­ser Tage nicht mal mehr Fan des FC Bay­ern Mün­chen wer­den – und sel­ber Sport trei­ben sowie­so nicht.

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Das EM-Vier­tel­fi­na­le gegen Grie­chen­land war sicher kein bril­lan­tes Spiel. Die deut­sche Mann­schaft hat sich gegen eine eher dritt­klas­si­ge Mann­schaft zwei Gegen­to­re ein­ge­fan­gen, das Spiel letzt­lich inner­halb einer sehr guten Vier­tel­stun­de gewon­nen.

„Bild“ titel­te am nächs­ten Mor­gen:

Uns stoppt keiner mehr!

Die „Bild“-Schlagzeilen vor und nach dem Halb­fi­nal-Aus, die mein Kol­le­ge Mats Schö­nau­er im BILD­blog gesam­melt hat, stam­men aller­dings noch aus einer ganz ande­ren Welt: Ich fin­de es eh schwie­rig, wenn Jour­na­lis­ten (oder in die­sem Fall: „Bild“-Mitarbeiter) „wir“ sagen und damit die deut­sche Mann­schaft mei­nen. Wenn ein klei­ner Jun­ge und viel­leicht auch älte­rer Fuß­ball­fan ent­täuscht und wütend sind, ist das mensch­lich – aber Medi­en soll­ten nicht mensch­lich, son­dern sach­lich berich­ten. Was „Bild“ da macht, geht über den nor­ma­len Wahn­sinn eines ent­täusch­ten Fans hin­aus. Da arbei­tet eine gan­ze Redak­ti­on an Schlag­zei­len, die all dem ent­ge­gen­ste­hen, was sie selbst weni­ge Tage zuvor erar­bei­tet hat. Ein mensch­li­ches Gehirn müss­te eigent­lich implo­die­ren, wenn sich sein Besit­zer der­art selbst wider­spricht.

„Bild“ reagiert wie ein trot­zi­ger Drei­jäh­ri­ger, der sei­ner Mut­ter „Ich has­se Dich!“ ent­ge­gen schleu­dert, wenn sie ihm kein zwei­tes Eis mehr kau­fen mag, oder wie ein Stal­ker – in jedem Fall wie nie­mand, dem man ratio­na­les Den­ken unter­stel­len könn­te.

Die Mann­schaft sei „zu soft“ für den Titel, so urteilt „Bild“. Die neo­li­be­ra­le Moral der Cas­ting-Shows der „Bild“-Freund Die­ter Boh­len und Hei­di Klum wird so wei­ter im Bewusst­sein jun­ger Men­schen ver­an­kert: „Du musst es nur hart genug wol­len! Wenn Du es nicht schaffst, hast Du nicht hart genug gewollt!“

Hier wer­den Men­schen so behan­delt, als sei­en sie Maschi­nen, die man nur rich­tig opti­mie­ren muss, damit sie Erfolg haben. Und Erfolg heißt immer nur, Ers­ter zu sein. Es geht nie dar­um, für sich selbst das Bes­te her­aus­zu­ho­len, son­dern aus­schließ­lich dar­um, „Bes­ter“ zu sein. Alles ande­re ist immer eine Ent­täu­schung. Wer so denkt, wird fast immer ein Leben vol­ler Ent­täu­schun­gen füh­ren.

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Es spricht eh wenig dafür, dass im Sport­jour­na­lis­mus irgend­je­mand arbei­tet, der Fuß­ball liebt: Spie­le wer­den in so vie­le sta­tis­ti­sche Wer­te (gelau­fe­ne Meter, gespiel­te Päs­se, gewon­ne­ne Zwei­kämp­fe, etc.) zer­legt, dass nicht mal ich als Sta­tis­tik-Freund irgend­ei­nen Sinn dar­in sehe – und ich weiß, dass Hei­ko Herr­lich und Mario Bas­ler in der Bun­des­li­ga­sai­son 1994/​95 mit jeweils 20 Tref­fern Tor­schüt­zen­kö­ni­ge der Bun­des­li­ga wur­den.

Der Sta­tis­tik­wahn der aktu­el­len Sport­be­richt­erstat­tung ist so, als ob man eine CD nach ihrer Spiel­zeit, der Beat­zah­len der ein­zel­nen Tracks und der Anzahl der Har­mo­nie­wech­sel bewer­ten wür­de. Man möch­te sich nicht vor­stel­len, wie sol­che Men­schen ihre Ehe­part­ner aus­su­chen. Wer die gan­ze Welt in angeb­lich objek­ti­ve Zah­len zer­legt, wird irgend­wann über­rascht fest­stel­len, dass er sie trotz­dem nicht ver­steht.

Und dann immer die­se Beno­tun­gen nach Fuß­ball­spie­len! Natür­lich hat Lukas Podol­ski am Don­ners­tag schlecht gespielt, aber was hat man davon, wenn man ihm dafür eine „6“ geben kann?

Wirt­schafts­ver­bän­de und Leh­rer kri­ti­sie­ren die Noten­ver­ga­be an Schu­len in ihrer aktu­el­len Form als wenig aus­sa­ge­kräf­tig. Ich habe es immer schon für Unfug gehal­ten, dass jemand, der Medi­zin stu­die­ren möch­te, dafür gute Schul­no­ten in Geschich­te, Eng­lisch, Sport und Reli­gi­on braucht. Und wenn Sie jetzt sagen: „Ja, aber irgend­wie muss man so eine Stu­di­en­platz­zu­las­sung ja regeln“, dann ent­geg­ne ich Ihnen: „Wenn unser Bil­dungs­sys­tem es nicht ein­mal auf die Ket­te bekommt, gerech­te und logi­sche Zulas­sungs­ver­fah­ren zu ent­wi­ckeln, dann brau­chen wir mit dem Ver­such, künf­ti­ge Eli­ten aus­zu­bil­den, ja gar nicht erst anzu­fan­gen!“

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Im Novem­ber 2009 war aus einem Volk von 82 Mil­lio­nen poten­ti­el­len Bun­des­trai­nern kurz­zei­tig eine Nati­on von 82 Mil­lio­nen Psy­cho­lo­gen gewor­den: Nach dem Sui­zid des depres­si­ven Natio­nal­tor­hü­ters Robert Enke erklär­ten Funk­tio­nä­re, Fans und Medi­en, es müs­se ein soge­nann­tes Umden­ken ein­set­zen.

Wal­ter M. Stra­ten, damals stell­ver­tre­ten­der Sport­chef bei „Bild“, hat­te sich damals von der „Süd­deut­schen Zei­tung“ so zitie­ren las­sen:

„Wir wer­den wohl mit extre­men Noten etwas vor­sich­ti­ger sein“, sagt der stell­ver­tre­ten­de Bild-Sport­chef. Man wer­de sich ein­mal mehr über­le­gen, „ob der Spie­ler, der eine kla­re Tor­chan­ce ver­ge­ben hat, oder der Tor­wart, der den Ball hat durch­flut­schen las­sen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht“.

Schnell zeig­te sich, dass Stra­tens Aus­sa­ge exakt so ernst zu neh­men war, wie ande­re Aus­sa­gen der „Bild“-Chefredaktion.

In der Zwi­schen­zeit ist ein Bun­des­li­ga­trai­ner wegen Burn­outs zurück­ge­tre­ten, hat ein Schieds­rich­ter einen Sui­zid­ver­such unter­nom­men, wird einem Bun­des­li­ga­pro­fi vor­ge­wor­fen, sein Haus in Brand gesetzt zu haben.

Jedes Mal zei­gen sich alle ent­setzt und jedes Mal geht es danach wei­ter: Fuß­bal­ler sind ent­we­der Hel­den oder Luschen, es gibt nur hop oder top.

Als Fan fand ich den Satz „Es ist doch nur ein Spiel“, immer schlimm. Er kann nur von Men­schen kom­men, die selbst nie mit­ge­fie­bert und mit­ge­lit­ten haben. Aber an etwas ande­res soll­te man immer mal wie­der erin­nern: Die­se Göt­ter oder Ver­sa­ger, die da Tore schie­ßen oder Chan­cen ver­ge­ben, die bril­lant auf­spie­len oder gran­di­os ver­ge­ben, das sind letzt­end­lich auch nur Men­schen. Also: „nur“.

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Digital Sport

Zweites Futur bei Sonnenaufgang

Es müs­sen unwür­di­ge Sze­nen gewe­sen sein, als sich die Spie­ler von Bay­er Lever­ku­sen dar­um strit­ten, wer denn nun nach dem Cham­pi­ons-League-Ach­tel­fi­nal­spiel das Tri­kot von Lio­nel Mes­si haben darf.

Ande­rer­seits haben sie sportbild.de damit zu sprach­li­chen Höchst­leis­tun­gen ange­spornt:

Vol­ler Stolz ging Kad­lec in der Fol­ge über den Platz in Rich­tung Kabi­ne. „Die­ses Tri­kot bekommt einen Ehren­platz bei mir“, sag­te er der Bild, und es wirk­te fast so, als hät­te er gut über­rascht gewe­sen sein kön­nen, in der Kabi­ne nach der Plei­te, die das Aus­schei­den in der Königs­klas­se bedeu­tet haben dürf­te, nicht nur fröh­li­che Gesich­ter anzu­tref­fen…