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Musik Leben

18 Jahre, 18 Songs

Für Gün­ter und Jür­gen, die ich ohne die­ses Blog nie ken­nen­ge­lernt hät­te.
Und für Dör­te, die immer alles gele­sen hat.

Es war die nahe­lie­gends­te Idee der Welt: Zum 18. Geburts­tag des Blogs wäh­le ich einen Song aus jedem Jahr aus — fer­tig ist die Play­list!

Aber nach wel­chen Kri­te­ri­en? Ein­fach das Lied neh­men, das jeweils mei­ne Lis­te „Song des Jah­res“ ange­führt hat? Das wäre ja ein biss­chen lang­wei­lig — und sol­che Lis­ten gab es auch gar nicht in jedem Jahr.

Die Kaffeetasse aus dem ersten Coffee-And-TV-Logo

Also: 18 ande­re Songs. Wel­che, die ihr jewei­li­ges Jahr, aber auch die­ses Blog gut reprä­sen­tie­ren; die für mich eine per­sön­li­che Bedeu­tung haben; die ich auch heu­te noch höre. Eine halb­wegs aus­ge­wo­ge­ne Mischung aus Gen­res, Geschlech­tern und Spra­chen, also eben dann doch auch: Kon­text.

Und so wur­de aus einem klei­nen Gim­mick zum Jubi­lä­um eine aus­ufern­de Recher­che-Akti­on im eige­nen Leben ’n‘ Werk und einer der längs­ten Tex­te, der hier in den letz­ten 18 Jah­ren erschie­nen ist:

2007: Mika – Grace Kel­ly
Als die­ses Blog an den Start geht, sind Gitar­ren­mu­sik im All­ge­mei­nen und Indie­rock im Spe­zi­el­len noch ein Ding. Bei der damals noch statt­fin­den­den „Leser­wahl“ (ein Kon­strukt, das wir uns rela­tiv offen­sicht­lich von „Plat­ten­tests online“ abge­schaut haben), wird „A Weekend In The City“ von Bloc Par­ty (Wann habt Ihr zuletzt an die­se Band gedacht?) zum „Album des Jah­res“ gewählt und „Ruby“ von Kai­ser Chiefs (Oder an die­se Band?!) zum „Song des Jah­res“.

Auf mei­ner Jah­res­bes­ten­lis­te ganz vor­ne ist „Tonight I Have To Lea­ve It“ von Shout Out Louds, das ich auch ewig nicht mehr gehört habe. Und ganz ver­steckt, auf Platz 22: „Grace Kel­ly“ von Mika, ein etwas exal­tier­ter over-the-top-Pop­song mit Vau­de­ville- und Musi­cal-Anlei­hen von einem jun­gen Mann, den das Adjek­tiv „andro­gyn“ beglei­tet. (Es waren, wie gesagt, ande­re Zei­ten.) Ein Song, den mir „Plan B“, die etwas anspruchs­vol­le­re Musik­sen­dung von 1Live (ich unter­schied damals noch puber­tär zwi­schen „guter“ Indie- und „schlech­ter“ Main­stream-Musik; ande­re Zei­ten inde­ed), in die WG-Küche gebracht hat.

15 Jah­re spä­ter sit­ze ich beim Euro­vi­si­on Song Con­test in Turin in der deut­schen Kom­men­ta­to­ren­ka­bi­ne, zum neun­ten Mal als Assis­tent von Peter Urban, der wegen der aus­klin­gen­den COVID-19-Pan­de­mie von Ham­burg aus kom­men­tiert. Gelan­det war ich bei die­ser Ver­an­stal­tung über­haupt nur, weil Ste­fan Nig­ge­mei­er 2007 mei­ne Kom­men­ta­re in sei­nem Blog gele­sen und mich gefragt hat­te, ob ich mit ihm einen „Grand-Prix-Füh­rer“ schrei­ben wür­de. Der Rest ist Geschich­te, bzw. BILD­blog, Oslog, Dus­log, Baku­b­log, besag­ter Job als Kom­men­ta­to­ren-Assis­tent und mein Buch. Und die­ser Mika mit sei­nem Song über Grace Kel­ly (bzw. dar­über, wie man sich anpasst, um den Men­schen zu gefal­len) mode­riert da jetzt die­se Ver­an­stal­tung gemein­sam mit Lau­ra Pausi­ni und Ales­san­dro Cat­tel­an, er bringt inter­na­tio­na­len Gla­mour in eine (vor allem hin­ter den Kulis­sen) eher chao­ti­sche TV-Sen­dung und er singt ein Med­ley sei­ner Hits.

Es ist ein selt­sa­mer, rüh­ren­der full-cir­cle-Moment, der die größ­te Musik­show der Welt mit mei­ner alten WG-Küche und allem dazwi­schen kurz­schließt, und in einem Anfall von Geis­tes­ge­gen­wart und emo­tio­na­ler Über­for­de­rung schrei­be ich auf jener Social-Media-Platt­form, die damals noch Twit­ter heißt: „Es ist schön, an das Jahr 2007 erin­nert zu wer­den. Es ist noch schö­ner, dass in mei­nem Leben heu­te unge­fähr alles bes­ser ist als damals.“ Oder, mit Mikas Wor­ten: „Ca-ching!
[Songs 2007 von damals]

2008: The Hold Ste­ady – Con­s­truc­ti­ve Sum­mer
Die Leser*innen, die ich damals noch „Leser“ nen­ne, wäh­len „Sex On Fire“ von Kings Of Leon zum Song und „Heu­re­ka“ von Tom­te zum Album des Jah­res. Ich samm­le die wich­tigs­ten Nazi-Ver­glei­che (eine Kate­go­rie, der damals noch ein gewis­ser Unter­hal­tungs­fak­tor anzu­haf­ten scheint) und Barack-Oba­ma-Refe­ren­zen und arbei­te den Rest der Zeit fürs BILD­blog.

Mei­ne wich­tigs­te Quel­le für neue Musik ist „All Songs Con­side­red“, ein Pod­cast von NPR, der auch das Vor­bild für mei­ne eige­ne, kurz­le­bi­ge Musik­sen­dung bei Spo­ti­fy 2023/​24 wird. Hier sto­ße ich erst­mals auf The Hold Ste­ady, eine Band aus Brook­lyn (ursprüng­lich: Minneapolis/​St. Paul), die Geschich­ten von Ver­lie­rern und Under­dogs in hym­ni­schen Rock­songs erzählt wie sonst nur Bruce Springsteen. Ihr Album „Stay Posi­ti­ve“ bringt mich durch ein Jahr, von dem ich heu­te so gut wie nichts mehr weiß, des­halb las­se ich mir das Sym­bol vom Album­co­ver 2011 auf mei­ne Wade täto­wie­ren.

Auch ihre Musik bleibt: 2009 kau­fe ich mir alle Alben und höre sie rauf und run­ter (wie man es in einer Welt ohne Strea­ming eben so mach­te), 2010 rufe ich den „Con­s­truc­ti­ve Sum­mer“ aus: „We’­re gon­na build some­thing this sum­mer.“ Hier ent­ste­hen dann end­lich Erin­ne­run­gen, die für immer blei­ben wer­den, unter­malt von „Boys And Girls In Ame­ri­ca“, „Stay Posi­ti­ve“ und dem damals neu­en Nach­fol­ge-Album „Hea­ven Is When­ever“.
[Songs 2008 von damals]

2009: Kili­ans – Home­town
Nach über fünf Jah­ren im Stu­den­ten­wohn­heim muss ich mir mal lang­sam eine eige­ne Woh­nung suchen und ich über­le­ge: In Bochum blei­ben oder nach Ham­burg zie­hen? Es ist ein Jahr der gro­ßen Gefüh­le zwi­schen Welt erobern wol­len und zuhau­se ein­sper­ren, beglei­tet von der ganz gro­ßen, uner­füll­ten Lie­be.

Mei­ne Freun­de von den Kili­ans (Bru­der, Demo-CD, Thees Uhl­mann, Tom­te-Tour — you know the sto­ry!) ver­öf­fent­li­chen im April ihr zwei­tes Album „They Are Cal­ling Your Name“ und spie­len aus die­sem Anlass ein Kon­zert auf dem Hans-Böck­ler-Platz in Dins­la­ken, jener Stadt, in der wir alle – die Kili­ans, ich und die ganz gro­ße, uner­füll­te Lie­be – auf­ge­wach­sen waren. Ihr Song „Home­town“ ist das Ange­bot einer Hym­ne.

Die Band löst sich 2013 auf, da wird der Hans-Böck­ler-Platz gera­de mit einem Ein­kaufs­zen­trum über­baut. Wenn man heu­te „Dins­la­ken“ sagt, reagie­ren nicht mehr vie­le Men­schen mit „Aaaah, die Kili­ans!“ (aber – und das wird die Bür­ger­meis­te­rin freu­en – auch nicht mehr mit „Aaaah, der Wend­ler!“ oder „Aaaah, die Sala­fis­ten!“). Die Stadt hat sogar die Emscher­mün­dung ver­lo­ren. Aber Erin­ne­run­gen und Musik wer­den ja immer blei­ben.

(Ich ent­schei­de mich 2009 übri­gens für Bochum. My home­town.)

2010: Lena – Satel­li­te
„Irgend­wann musst Du Dir das mal vor Ort anschau­en“, hat­te Ste­fan Nig­ge­mei­er 2008 über den Euro­vi­si­on Song Con­test (damals und immer schon: „Euro­vi­si­on Song Con­test“) gesagt, aber weil Mos­kau schon damals kein Ort ist, an dem man ger­ne sein möch­te, ver­schie­ben wir unser Pro­jekt auf das Fol­ge­jahr und nach Oslo. Womit wir nicht rech­nen: dass in Deutsch­land ein regel­rech­ter ESC-Hype um eine 18-jäh­ri­ge Abitu­ri­en­tin aus Han­no­ver aus­bricht und die die­se merk­wür­di­ge Quatsch-Ver­an­stal­tung tat­säch­lich gewinnt. (Also: In der ers­ten Fol­ge des Oslog wet­te ich natür­lich genau das, aller­dings ohne auch nur einen ande­ren Wett­be­werbs­bei­trag zu ken­nen.)

Als altes Thea­ter-Kind zieht mich die jähr­li­che Leis­tungs­schau der Büh­nen­tech­nik-Indus­trie sofort in ihren Bann und auch musi­ka­lisch ist das alles gar nicht mehr so schlimm, wenn man es nur oft genug gehört hat. Aber trotz der ein­schnei­den­den, im Nach­hin­ein lebens­weg­wei­sen­den Erfah­rung in Oslo traue ich mich nicht, „Satel­li­te“ auf mei­ne Jah­res­bes­ten­lis­te zu packen. Da sol­len auch wei­ter nur Indie-kre­di­be­le Sachen zu fin­den zu fin­den sein (und so igno­rie­re ich offen­bar auch das tol­le Take-That-mit-Rob­bie-Album „Pro­gress“ kom­plett). Das passt zu einem Jahr, in dem ich nicht gera­de dadurch auf­fal­le, irgend­wel­che Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, son­dern mich lie­ber vom Großstadt‑, vor allem aber Nacht­le­ben rund um mei­ne neue Woh­nung in der Innen­stadt mit­rei­ßen las­se und als neu­er BILD­blog-Chef in Talk­shows gehe und zu Jour­na­lis­ten­kon­gres­sen ins Aus­land flie­ge. („It’s phy­sics /​ There’s no escape.“)

Hier also spä­te Genug­tu­ung für einen Song und ein Ereig­nis, ohne die ich heu­te nicht da wäre, wo ich bin, und ohne die der ESC in Deutsch­land immer noch als „Schla­ger-Grand-Prix“ fir­mie­ren wür­de, bei dem man ohne­hin nichts rei­ßen kann.
[Songs 2010 von damals]

2011: Thees Uhl­mann – 17 Wor­te
Mein Kum­pel Thees Uhl­mann ist im Jahr 2011 wie so oft wei­ter als ich: Vater gewor­den, Bezie­hung zer­bro­chen, dabei, das Glück im Klei­nen zu suchen. Ich bin vier bis fünf Aben­de die Woche im Frei­beu­ter im Bochu­mer Bermuda3eck und schrei­be neben­her das BILD­blog voll. Des­we­gen igno­rie­re ich Thees‘ selbst­be­ti­tel­tes Solo-Debüt damals auch rüpe­lig bei den „Alben des Jah­res“ (und lobe lie­ber das nächs­te ega­le Cold­play-Album), obwohl ich es wirk­lich oft höre.

Aber die­se Lis­te hier ist auch eine Chan­ce auf Wie­der­gut­ma­chung, denn sechs Jah­re spä­ter ste­he ich beim GHvC-Geburts­tag in Ham­burg im Nie­sel­re­gen: Vater gewor­den, Bezie­hung zer­bro­chen, dabei, das Glück im Klei­nen zu suchen. Also völ­lig ande­re Prio­ri­tä­ten und Prin­zi­pi­en: „Mei­ne Wahr­heit in 17 Wor­ten: /​ Ich hab ein Kind zu erzie­hen /​ Dir einen Brief zu schrei­ben /​ Und ein Fuß­ball-Team zu sup­port­en.“ (Bei Erschei­nen des Albums hat­te ich Thees eine SMS geschrie­ben, dass das nur 16 Wor­te wären, weil man „Fuß­ball­team“ zusam­men­schrei­be. Sei­ne Ant­wort kam natür­lich prompt: „Fuß­ball Team!“)

2021 sehe ich Thees Uhl­mann und Band live im Burg­thea­ter in Dins­la­ken (weil: natür­lich). Es ist mein ers­ter Kon­zert­be­such seit andert­halb Jah­ren, mein Sohn ist an mei­ner Sei­te, mei­ne Eltern irgend­wo in mei­nem Rücken, der VfL Bochum ist auf­ge­stie­gen. Wei­te Tei­le der Öffent­lich­keit sind wäh­rend der immer noch anhal­ten­den Pan­de­mie dem Wahn­sinn anheim­ge­fal­len, aber als Thees „17 Wor­te“ spielt, macht für mich alles Sinn: Wir sin­gen, um uns zu erin­nern.
[Songs 2011 von damals]

2012: Car­ly Rae Jep­sen – Call Me May­be
Die­ser beklopp­te Euro­vi­si­on Song Con­test hat mich nach Aser­bai­dschan ver­schla­gen. Ich sit­ze in Baku im Hotel­zim­mer, gucke rus­si­sches Musik­fern­se­hen und sehe die­ses Video. Als der Song zu Ende ist, zap­pe ich wei­ter und sehe das glei­che Video auf dem nächs­ten Kanal direkt noch mal von vorn. „Komi­sche Rus­sen“, den­ke ich, will den Song bei Face­book pos­ten und stel­le fest, dass ich mit „Call Me May­be“ einen inter­na­tio­na­len Hit ver­passt habe.

Wahr­schein­lich ist es die­ser Moment, in dem ich die­ses eli­tär-puber­tä­re Musik-nur-gut-fin­den-wenn-sie-sonst-kei­ner-hört-Din­gen auf­ge­be und end­lich frei bin, Din­ge gut zu fin­den, nur weil ich sie gut fin­de. Um Din­ge auch öffent­lich gut zu fin­den (jeden­falls meis­tens), star­ten Tom The­len und ich im Blog unse­ren Kino-Pod­cast „Cine­ma And Beer“.

„Befo­re you came into my life /​ I missed you so bad“ ist immer noch eine der bes­ten Zei­len, die je über roman­ti­sche Lie­be geschrie­ben wur­de — und das waren ja nun wirk­lich nicht weni­ge. Car­ly Rae Jep­sen in der Köl­ner Essig­fa­brik ist im Febru­ar 2020 mein letz­tes Kon­zert vor dem Lock­down (ist es nicht Magie, wie hier alles inein­an­der­greift?!) und die fröh­li­che Stim­mung die­ses durch­aus ESC-taug­li­chen Publi­kums trägt mich durch die ers­ten, dunk­len Mona­te der Iso­la­ti­on.
[Songs 2012 von damals]

2013: Daft Punk feat. Phar­rell Wil­liams & Nile Rogers – Get Lucky
Ich sit­ze in einem Auto, das mich vom Hotel zur Mal­mö Are­na bringt, neben mir: ESC-Kom­men­ta­to­ren­le­gen­de Peter Urban. Als wäre das nicht schon absurd genug, wippt die­ser 65-jäh­ri­ge Mann zur Musik aus dem Auto­ra­dio mit: „Get Lucky“ von Daft Punk, Phar­rell Wil­liams und Nile Rogers. Natür­lich kennt er das, denn es ist ja ein inter­na­tio­na­ler Super­hit, dem man nur schwer ent­kom­men kann, und Peter wür­de auch jede Men­ge deut­lich obsku­re­re Songs mit­sin­gen, die in den letz­ten ca. 50 Jah­ren erschie­nen sind, aber irgend­wie über­rascht es mich in die­sem Moment doch, denn Daft Punk, das sind doch die von Viva 2 (wo sie jetzt zuge­ge­be­ner­ma­ßen auch nicht zwin­gend zur Avant­gar­de gezählt hat­ten).

Die Domi­no­stei­ne, von denen die­ses Blog der ers­te war, haben mich hier­her gebracht, ins Epi­zen­trum des Enter­tain­ments. Nur einen Monat spä­ter sol­len sie mich zum Late-Night-Mei­nungs­ma­ga­zin „Tages­schaum“ mit Fried­rich Küp­pers­busch füh­ren und von dort zu unse­rem gemein­sa­men Pod­cast „Lucky & Fred“. Das Leben meint es gut mit mir, beruf­lich wie pri­vat.
[Songs 2013 von damals]

2014: Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – High Dive
Ich hät­te immer gesagt, dass das Jahr 2014 hier im Blog gar nicht statt­ge­fun­den hat, aber es gibt doch eini­ge Ein­trä­ge aus die­ser Zeit — die meis­ten als Teil der kurz­le­bi­gen Serie „Song des Tages“. Ich erin­ne­re mich an nichts, weil ich zu sehr mit ande­ren Sachen beschäf­tigt bin: Umzug, neue Jobs, Hoch­zeit pla­nen und absa­gen, Vater wer­den, irgend­wie ver­su­chen, mei­ne Bezie­hung zu ret­ten. Alles Din­ge, auf die einen Pop­kul­tur nur unzu­rei­chend vor­be­rei­tet; alles Din­ge, die für Pop­kul­tur wenig Zeit las­sen.

Das ers­te neue Album, das ich mit mei­nem Sohn höre, ist das Solo­de­büt von Andrew McMa­hon, der mich mit sei­nen Bands Some­thing Cor­po­ra­te und Jack’s Man­ne­quin jetzt auch schon mehr als zehn Jah­re beglei­tet. Er ist auch gera­de Papa gewor­den, so kann ich die Ver­ar­bei­tung mei­ner Lebens­wirk­lich­keit wie­der mal auf ihn abwäl­zen und ein­fach sei­ne Songs hören. Obwohl wir doch noch jung sind, ist da viel Nost­al­gie in sei­nen Tex­ten wie „High Dive“, aber Face­book ersetzt Knei­pen­aben­de mit Freund*innen ja auch nur bedingt.

2015: Ben Folds feat. yMu­sic – Pho­ne In A Pool
2015 ist dann tat­säch­lich das Jahr, das nicht war, denn ich schrei­be sen­sa­tio­nel­le sie­ben Blog­ein­trä­ge, von denen die meis­ten ursprüng­lich Face­book-Posts waren. Offen­bar schaf­fe ich es immer­hin ein paar Mal ins Kino. (Ach, „The Force Awa­kens“ ist von 2015?!) Ich kann mich an nichts erin­nern und es geht mir wirk­lich nicht gut.

Ein biss­chen Trost kommt von mei­nem ewi­gen Hel­den Ben Folds, der gera­de die vier­te Schei­dung (von inzwi­schen fünf) hin­ter sich hat und mit dem Kam­mer­mu­sik-Ensem­ble yMu­sic ein Album ein­spielt, auf dem auch sein ers­tes Kla­vier­kon­zert zu hören ist. (Wir gehen alle unter­schied­lich mit Lebens­kri­sen um.) In „Pho­ne In A Pool“ berich­tet er: „Found the love of my life again /​ Y’all knows what I means /​ And I’ll be back on the sofa in a pudd­le in a cou­ple of weeks“. Bei all dem Elend ist es schön, dass jemand, der mich mein hal­bes Leben lang beglei­tet, immer noch Songs schrei­ben kann, die so gut zu mei­nem eige­nen Leben pas­sen. Natür­lich gibt es am Ende des Jah­res kei­ne Lis­ten — ich hab ja eh viel zu wenig Musik gehört und wann hät­te ich die denn noch schrei­ben sol­len?

2016: Weezer – Cali­for­nia Kids
Neu­an­fang in einer eige­nen Woh­nung und das Vor­ha­ben, das Blog jetzt aber wirk­lich wie­der zu befeu­ern. Da passt es ganz gut, dass Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re, des­sent­we­gen ich als Teen­ager mit dem Schrei­ben ange­fan­gen hat­te, ein neu­es Buch ver­öf­fent­licht, unge­fähr zeit­gleich mit dem neu­en Album der von uns hoch ver­ehr­ten Pet Shop Boys und dem von Weezer. Alle drei Acts eint, dass ihr Schaf­fen nicht zu jedem Zeit­punkt ihrer Kar­rie­re den Ansprü­chen des eige­nen Publi­kums genüg­te, aber jetzt sind sie wie­der voll da.

Also eigent­lich eine gute Gele­gen­heit, dar­über zu schrei­ben und über ande­re Din­ge, die mir Freu­de berei­ten, aber das Inter­net ist damals im wesent­li­chen Face­book und dort sind wir alle damit beschäf­tigt, mit irgend­wel­chen AfD-Anhän­gern zu dis­ku­tie­ren, die irgend­wo etwas Dum­mes kom­men­tiert haben. Um die­sem gan­zen Irr­sinn zu ent­flie­hen, schrei­be ich nicht etwa wie­der mehr ins Blog, son­dern star­te mei­nen eige­nen News­let­ter. Da macht das Schrei­ben immer­hin auch Spaß.

Weezer, jeden­falls, ken­ne ich seit mehr als 20 Jah­ren, als das Video zu „Bud­dy Hol­ly“ bei „Hit-Clip“ lief und auf der Win­dows-95-CD-Rom ent­hal­ten war. Jetzt ver­öf­fent­li­chen sie schon das vier­te Album namens „Weezer“ (nach dem blau­en, dem grü­nen und dem roten Album jetzt ganz Beat­les-mäßig das wei­ße), das mei­nen Sohn und mich auf vie­len Aus­flü­gen zum Kem­n­ader See beglei­tet und ihr bes­tes seit Jahr­zehn­ten ist. Der ope­ning cut „Cali­for­nia Kids“ han­delt von den glück­li­chen jun­gen Men­schen aus dem Gol­den Sta­te, die einem das Leben ret­ten. Ich nen­ne Kali­for­ni­en ger­ne „my home away from home“, was viel­leicht etwas prä­ten­ti­ös ist, aber ich hab da halt Fami­lie und es ist auch der ein­zi­ge Ort außer­halb des Ruhr­ge­biets, an dem ich je so viel Zeit am Stück ver­bracht habe. Der Staat bleibt auch nach der Wahl von Donald Trump zum US-Prä­si­den­ten das (natür­lich eher theo­re­ti­sche) Ide­al, das ich bewun­de­re, genau­so wie ich Men­schen auch lie­ber aus der Fer­ne toll fin­de — Cali­for­nia Kids halt.

2017: kett­car – Ankunfts­hal­le
Als die­ses Blog an den Start geht, haben kett­car bereits zwei Alben ver­öf­fent­licht: ihr Debüt „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“, ein instant clas­sic, und – beglei­tet von Fern­seh­auf­trit­ten und ganz­sei­ti­gen Zei­tungs­ar­ti­keln – den Nach­fol­ger „Von Spat­zen und Tau­ben, Dächern und Hän­den“. Trotz­dem schrei­be ich in all den Jah­ren rela­tiv weni­ge Tex­te über die­se Band, die mir so wich­tig ist. Viel­leicht weil ich den­ke, dass das eh klar ist.

2017 liegt das letz­te (eher okaye) kett­car-Album fünf Jah­re zurück, Mar­cus Wie­busch hat in der Zwi­schen­zeit ein (ziem­lich gutes) Solo­al­bum ver­öf­fent­licht, aber plötz­lich ist die Band wie­der ein Macht­block mit­ten in Euro­pa: Ihre stets kla­re poli­ti­sche Hal­tung, die Jah­re vor­her noch ein biss­chen folk­lo­ris­tisch anmu­te­te, ist inzwi­schen not­wen­dig, aber neben Songs wie „Som­mer ’89“, „Wagen­burg“ und „Mann­schafts­auf­stel­lung“ gibt es auch jene, die sich anfüh­len wie Pola­roids (oder Ins­ta-Posts) aus dem All­tag. „Die Stra­ßen unse­res Vier­tels“ ersetzt eine gan­ze Fern­seh­se­rie über das Fami­li­en­le­ben in Hips­ter-Vier­teln, ohne sich für eine Sekun­de Harald-Schmidt-mäßig über Hafer­milch lus­tig zu machen; „Trost­brü­cke Süd“ ist ein Kame­ra­schwenk durch einen Lini­en­bus vol­ler Men­schen, die auf­ste­hen, atmen, sich anzie­hen und hin­ge­hen, und „Ankunfts­hal­le“ der Blog-Ein­trag, News­let­ter oder Song, den ich immer hat­te schrei­ben wol­len: ein Lob­lied auf die hei­len­de Kraft von Flug­ha­fen-Ankunfts­hal­len, wo Men­schen sich nach lan­ger Zeit der Tren­nung wie­der in die Arme fal­len.

Als kett­car und Thees Uhl­mann im August im Ham­bur­ger Nie­sel­re­gen 15 Jah­re Grand Hotel van Cleef fei­ern, ist weni­ge Tage zuvor mei­ne Oma gestor­ben, die hier von Anfang an mit­ge­le­sen hat­te. Ende Dezem­ber liegt mein Opa im Ster­ben und ich fah­re mit mei­nem Sohn zum Düs­sel­dor­fer Flug­ha­fen, Men­schen in der Ankunfts­hal­le gucken.
[Songs des Jah­res 2017 damals]

2018: Rae Mor­ris – Do It
Hat­te ich oben – also vor ca. 18.000 Zei­chen – nicht noch geschrie­ben, dass in die­ser Lis­te expli­zit nicht die jewei­li­gen Songs des Jah­res auf­tau­chen sol­len? Well: We make up the rules as we go along!

Rae Mor­ris hat sich ihre Son­der­rol­le hier im Blog ver­dient: Weil ich mich 2012 instant­ly in ihren Song „Don’t Go“ aus dem (eigent­li­chen) Seri­en­fi­na­le von „Skins“ (der ein­zi­gen Fern­seh­se­rie neben „Die Brü­cke“, von der ich alle Fol­gen gese­hen habe) ver­liebt habe; weil sie der ers­te (und bis heu­te ein­zi­ge) Act in der Geschich­te die­ses Blogs ist, der in einem Jahr (2018) mei­nen per­sön­li­chen „Song des Jah­res“ und mein „Album des Jah­res“ ver­öf­fent­licht hat (das haben Tom­te 2006 zwar auch geschafft, aber halt sechs Wochen, bevor die­ses Blog an den Start ging, also zählt das nur an unge­ra­den Wochen­ta­gen ohne Neu­mond); weil sie der ers­te (und bis heu­te ein­zi­ge) Act ist, der zwei Mal mei­nen per­sön­li­chen Song des Jah­res (2012 und 2018) geschrie­ben hat.

Irgend­wie alles tro­cke­ner Sta­tis­tik-Kram ange­sichts eines Songs, der davon han­delt, auf die Zwei­fel zu pfei­fen und sich kopf­über in die Lie­be zu stür­zen. Rae Mor­ris singt das über ihren musi­ka­li­schen Part­ner und heu­ti­gen Ehe­mann Fryars und sie macht das so toll, dass ich mit ihr an die gro­ße Lie­be glau­ben will, die sich anfühlt wie Feu­er­werk aus­sieht. Doch mei­ne Ver­su­che, „Do It“ in „Joko Win­ter­scheidts Druckerzeug­nis“ zum Som­mer­hit des Jah­res zu pushen, schei­tern und Men­schen wie ich blei­ben bes­ser allein.

Aber, so den­ke ich heu­te, eigent­lich ist die­ses Blog hier ja auch nichts ande­res als die Umset­zung des Gedan­kens „We could just do it“: Gestar­tet als „die Online-Zei­tung, die wir ger­ne lesen wür­den“ (puh!), konn­te ich mich hier an der Tas­ta­tur und vor der Kame­ra aus­to­ben, aus­pro­bie­ren und dar­an wach­sen, um dann für Zei­tun­gen und Fern­seh­sen­dun­gen zu arbei­ten, die ich frü­her nur rezi­piert hat­te. Wenn man aus 18 Jah­ren Cof­fee And TV unbe­dingt irgend­et­was ler­nen will, dann, dass Selbst­er­mäch­ti­gung manch­mal (es gehört ja auch bei mir sicher­lich eini­ges an Glück dazu) wirk­lich funk­tio­nie­ren kann.
[Songs des Jah­res 2018 damals]

2019: LOKI – The Girl With No Eyes
Für die, die hier ernst­haft Buch füh­ren (also: für mich), mag es etwas über­ra­schend sein, dass ein Song, der auf Platz 59 einer Jah­res­bes­ten­lis­te stand, ein Jahr reprä­sen­tie­ren soll. Nun: Ers­tens kön­nen wir uns glaub ich dar­auf eini­gen, dass es eh schon ein ganz klei­nes biss­chen wahn­sin­nig ist, einen „Platz 59“ auf einer per­sön­li­chen Bes­ten­lis­te zu haben; zwei­tens habe ich erst bei der Durch­sicht mei­ner diver­sen Lis­ten, Ein­trä­ge und Play­lists fest­ge­stellt, dass ich tat­säch­lich schon mal Musik von LOKI gehört haben muss, bevor ich sie letz­tes Jahr beim Fes­ti­val Sounds Like Sugar in Her­ne gese­hen habe und so begeis­tert war, dass ich sie beim Bochum Total direkt wie­der sehen muss­te.

Damit steht „The Girl With No Eyes“, des­sen Bon-Iver-Haf­tig­keit mich schon 2019 über­zeugt haben muss, näm­lich für etwas ande­res: Für das wil­de Über­an­ge­bot an Wer­ken (oder: „Con­tent“, wie die Arsch­lö­cher sagen, die in ihrem Leben nicht einen ein­zel­nen genui­nen Gedan­ken hat­ten), aus dem wir theo­re­tisch wäh­len kön­nen, das aber auch das Risi­ko birgt, alles belie­big und egal zu machen. Dass es etwas ande­res ist, tage­lang in phy­si­schen Läden nach einer CD zu fahn­den und sie dann end­lich zu fin­den, als ein­fach alles immer sofort (terms and con­di­ti­ons app­ly) zur Ver­fü­gung zu haben, hab ich schon 2016 auf­ge­schrie­ben. Es ist seit­dem nicht weni­ger gewor­den. Wenn ich mich nicht mehr an irgend­wel­che Acts erin­nern kann (natür­lich auch, weil ihre Namen nur noch über Bild­schir­me flim­mern und nicht aus­ge­druckt vor mir lie­gen, was mei­nem Gehirn immer­hin ein biss­chen hel­fen wür­de), ist es alles ein biss­chen viel.

Ich selbst tra­ge fröh­lich zum Über­an­ge­bot bei: Mit Fried­rich Küp­pers­busch ste­he ich jetzt regel­mä­ßig auf Büh­nen in Dort­mund und Ber­lin, um „Lucky & Fred“ vor Publi­kum auf­zu­zeich­nen. Da kommt das Thea­ter-Kind von frü­her wie­der zum Vor­schein, Applaus ist immer noch die stärks­te Wäh­rung. Weil Likes dage­gen abstin­ken und dort eh nichts mehr los ist, lösche ich am Sil­ves­ter­abend mei­nen Face­book-Account. Im Nach­hin­ein möch­te ich sagen: Ich habe schon düm­me­re Din­ge zu einem schlech­te­ren Zeit­punkt gemacht.
[Songs des Jah­res 2019 damals]

2020: Tay­lor Swift – Epi­pha­ny
Alles beginnt so schön mit wei­te­ren Live-Auf­trit­ten und Kon­zert­be­su­chen bei kett­car, Ider und Car­ly Rae Jep­sen. Und dann endet alles: Kon­zer­te, Kin­der­gar­ten, Bun­des­li­ga, sogar der Euro­vi­si­on Song Con­test wird erst­mals abge­sagt. „Wegen Coro­na“ wird ein soge­nann­tes geflü­gel­tes Wort, was auch irgend­wie zu den ver­damm­ten Flug­hun­den auf dem Nass­markt von Wuhan passt, die uns die gan­ze Schei­ße (mut­maß­lich) ein­ge­brockt haben.

Popkultur-Freund*innen ver­glei­chen die Stra­ßen mit jenen aus dem Zom­bie­film „28 Days Later“ und wir ler­nen die Wohn­zim­mer von Kolleg*innen und Rock­stars ken­nen, die von dort aus Mini-Kon­zer­te in die Welt strea­men (die Rock­stars, nicht die Kolleg*innen). Die Leu­te erschei­nen all das mit erstaun­li­chem Gleich­mut zu ertra­gen, aber die­ses Bild bekommt – um eine wei­te­re Phra­se zu ver­mei­den – schnell Ris­se: Als sich im April eine Frau, die vor einem Café war­ten muss, um Kuchen zum Mit­neh­men zu kau­fen, über die „Gesund­heits­dik­ta­tur“ beschwert, bin ich viel zu über­rascht und scho­ckiert, ihr vor­zu­schla­gen, dass wir ger­ne gemein­sam einen Bekann­ten von mir, der Arzt in Padua ist, anru­fen könn­ten und sie ja mal mit dem spre­chen kön­ne, wenn er nicht gera­de dabei ist, um Leben zu kämp­fen.

Es ist ein Vor­ge­schmack auf das, was kommt: Weil man sich jetzt nir­gend­wo mehr in die Augen gucken kann, ver­ges­sen nahe­zu alle, dass sie online mit ande­ren Men­schen dis­ku­tie­ren. Man­che von uns nut­zen die vie­le freie Zeit, um sich über Ras­sis­mus fort­zu­bil­den, ande­re, um sich zu radi­ka­li­sie­ren. Ich schrei­be viel in mei­nen News­let­ter und wenig ins Blog, star­te aber zusam­men mit Sue Reind­ke immer­hin einen neu­en Pod­cast namens „Bist Du noch wach?“

In all das hin­ein ver­öf­fent­licht Tay­lor Swift, die nach einer abge­sag­ten Welt-Tour­nee auch zu viel Frei­zeit hat, ein Album, das sie in den ers­ten Mona­ten des Lock­downs mit Aaron Dess­ner von The Natio­nal auf­ge­nom­men hat, remo­te. „Folk­lo­re“ wird zum Sound­track des ers­ten Coro­na-Som­mers und über­zeugt selbst jene, die ihrer Musik bis­her kri­tisch gegen­über­ge­stan­den hat­ten. Mit „Ever­mo­re“ erscheint ein paar Mona­te spä­ter noch so ein gro­ßer Wurf. Nach dem groß­ar­ti­gen „1989“ von 2014 hab ich end­lich die nächs­te era, in der ich mich ein­rich­ten kann. Es ist der Sound­track zu sehr aus­gie­bi­gen Spa­zier­gän­gen durch die ver­schie­de­nen Nach­bar­schaf­ten hier in Bochum. Und mit­ten­drin ein Song über Sol­da­ten und Men­schen im Gesund­heits­we­sen, über das Ster­ben in Ein­sam­keit und über das Wei­ter­ma­chen der Über­le­ben­den: „Epi­pha­ny“. „Someone’s daugh­ter, someone’s mother /​ Holds your hand through pla­s­tic now“ sind Zei­len, die mir auf ewig die Trä­nen in die Augen trei­ben und einen Klos in den Hals drü­cken wer­den. Die gute Nach­richt: Mei­ne Omi, die mit 94 noch allein in ihrem viel zu gro­ßen Haus wohnt, über­lebt all das ohne Anste­ckung. Das ist nicht ihr Song.
[Songs des Jah­res 2020 damals]

2021: Meet Me @ The Altar – Never Gon­na Chan­ge
2021 ist die etwas öde Fort­set­zung des Seu­chen­jah­res, aber als Far­ce: Hash­tag Oster­ru­he. Die Amts­zeit von Donald Trump endet, die von Ange­la Mer­kel auch. In Rot­ter­dam, wo der ESC unter Pan­de­mie-Bedin­gun­gen statt­fin­det, lau­tet der schon 2019 erson­ne­ne Slo­gan pas­sen­der­wei­se „Open Up“. Den Som­mer ver­brin­ge ich damit, mein Buch über den Song Con­test zu schrei­ben, an Omis Geburts­tag und an Weih­nach­ten sind wir wie­der alle ver­eint.

In Aachen tref­fe ich einen mei­ner aller­größ­ten Hel­den: Micha­el Sti­pe von R.E.M. Er ist so bezau­bernd, wie ich erhofft hat­te, und gibt mir das Gefühl, als sei ich der aller­ers­te Mensch, der „You’­ve chan­ged my life“ zu ihm sagt. Der VfL Bochum steigt nach elf Jah­ren wie­der in die Bun­des­li­ga auf. Natu­re is heal­ing.

Mei­ne aktu­el­le Lieb­lings­band heißt Meet Me @ The Altar, que­er Women of Color aus den USA, die Pop-Punk zwi­schen Avril Lavi­gne, Para­mo­re und Blink-182 machen. Zum ers­ten Mal hören tue ich von ihnen bei – natür­lich – „All Songs Con­side­red“ auf – natür­lich – einem mei­ner lan­gen Spa­zier­gän­ge, in Erin­ne­rung blei­ben mir ihre EP „Model Citi­zen“ und der Song „Never Gon­na Chan­ge“ aber vor allem als Sound­track zu den ers­ten Besu­chen im Fit­ness­stu­dio, die jetzt wie­der mög­lich sind.
[Songs des Jah­res 2021 von damals]

2022: Maro – Sau­da­de, Sau­da­de
Am Ende wird es das Jahr gewe­sen sein, das ich so lang gefürch­tet hat­te: das, in dem mei­ne Omi stirbt. Es wer­den lan­ge vier Mona­te des Abschieds, die ihren Kin­dern alles abver­lan­gen, aber es eine Zeit des bewuss­ten, lie­be­vol­len Abschieds und der Lie­be in ihrer reins­ten Form.

All das ahne ich noch nicht, als ich beim ESC in Turin sit­ze und völ­lig gebannt (das eng­li­sche Wort mes­me­ri­zed ken­nen wir im Deut­schen lei­der nicht, obwohl es doch auf einen deut­schen Arzt zurück­geht) dem Auf­tritt der por­tu­gie­si­schen Künst­le­rin fol­ge, die das spe­zi­fisch por­tu­gie­si­sche Gefühl sau­da­de besingt, das mit „ver­mis­sen“ nur unzu­rei­chend über­setzt wer­den kann und das sie nach dem Tod ihres gelieb­ten Groß­va­ters emp­fin­det. „Sau­da­de, Sau­da­de“ erreicht am Ende einen tol­len 9. Platz, Deutsch­land hat auch teil­ge­nom­men. Aller­spä­tes­tens hier in Turin ist der ESC nicht mehr die leicht tra­shi­ge Quatsch-Ver­an­stal­tung, als die er noch galt, als Ste­fan und ich 2007 erst­ma­lig dar­über gebloggt haben. Er ist ein ech­tes Musik­fes­ti­val, bei dem man Gen­res und Acts vor­ge­stellt bekommt, auf die man sonst viel­leicht nie gesto­ßen wäre. Wer hier noch alles doof fin­det, mag wahr­schein­lich ein­fach kei­ne Musik.

Mein Buch über die­se Ver­an­stal­tung erscheint qua­si zeit­gleich mit Beginn des rus­si­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne, was mir eine ordent­lich Por­ti­on der Freu­de raubt. Als ich den Release trotz­dem mit Freund*innen in mei­ner Stamm­knei­pe feie­re, ste­cke ich mich (end­lich) mit COVID-19 an und bin immer noch reich­lich außer Atem, als ich das Buch in einer klei­nen gro­ßen Live­show in der Zeche Carl in Essen vor­stel­le. Irgend­wie schaf­fe ich es sogar, in die­sem Jahr noch einen Pod­cast zu pro­du­zie­ren: die Talk­sen­dung „Woher ken­nen wir uns?“
[Songs des Jah­res 2022 damals]

2023: Foo Figh­ters – Res­cued
Omi und Tay­lor Haw­kins sind im sel­ben Jahr gestor­ben, was inso­fern beson­ders tra­gisch ist, als der Schlag­zeu­ger der Foo Figh­ters 46 Jah­re jün­ger gewe­sen war. Dave Grohl hat­te zum drit­ten Mal einen sei­ner bes­ten Freun­de ver­lo­ren, Mona­te spä­ter sei­ne Mut­ter. Ob das der Beginn einer etwas ver­spä­te­ten mid­life-cri­sis war, in deren Ver­lauf jene Toch­ter ent­stand, die „außer­halb mei­ner Ehe“ gebo­ren wur­de, wie er auf Insta­gram schrieb, ver­mag ich nicht zu beur­tei­len — es war zumin­dest der Aus­lö­ser, „But Here We Are“ auf­zu­neh­men, das bes­te Foo-Figh­ters-Album seit fast 25 Jah­ren, auf dem er wie­der ein­mal Trau­er in Wut ver­wan­delt und umge­kehrt.

„Res­cued“ ist einer der ers­ten Songs, den ich in mei­ner klei­nen Musik­sen­dung spie­le, die ich in einem Anfall beson­de­rer Geis­tes­ge­gen­wart auch „Cof­fee And TV“ genannt habe. Sie ist das, wor­auf ich Jahr­zehn­te lang gewar­tet hat­te: die Mög­lich­keit, Songs in einem Pod­cast zu spie­len, ohne in einem kost­spie­li­gen Büro­kra­tie­ge­wit­ter namens „GEMA“ unter­zu­ge­hen. Das Ergeb­nis kann man zwar nur beim fins­te­ren Tech-Kon­zern Spo­ti­fy hören, aber ent­schei­den­der ist für mich eh, sowas über­haupt machen zu kön­nen. Aber wie so oft mit den schö­nen Din­gen im Inter­net: Nur ein Jahr spä­ter zieht Spo­ti­fy den Ste­cker und schafft die Mög­lich­keit, sol­che Musik­sen­dun­gen zu bau­en, direkt wie­der ab.

„But Here We Are“ wird auch 2024 wie­der für mich da sein: Als mei­ne gelieb­te Tan­te Dör­te stirbt, eine groß­ar­ti­ge Grund­schul­leh­re­rin, höre ich den Song, den Dave Grohl für sei­ne ver­stor­be­ne Mut­ter Vir­gi­nia geschrie­ben hat, die eben­falls Leh­re­rin gewe­sen war: „The Tea­cher“.

2024: Ezra Coll­ec­ti­ve feat. Yaz­min Lacey – God Gave Me Feet For Dancing
Das ist mir in all den Jah­ren auch noch nicht pas­siert, dass ich – trotz aller Play­lis­ten, Noti­zen-Apps und Zet­tel – beim Zusam­men­stel­len der „Alben“ oder „Acts des Jah­res“ ein Album bzw. einen Act kom­plett ver­ges­se. Ob’s am Alter liegt oder dem schon erwähn­ten Über­an­ge­bot?

Immer­hin habe ich hier die Gele­gen­heit, den Feh­ler schnell halb­wegs wett­zu­ma­chen: „God Gave Me Feet For Dancing“ von Ezra Coll­ec­ti­ve und Yaz­min Lacey. Ezra Coll­ec­ti­ve sind eine Jazz-Fusi­on-Band aus Lon­don, die Ele­men­te aus Afro­beat, Calyp­so, Reg­gae, Hip-Hop, Soul und Jazz ver­bin­den und deren Songs bei BBC Radio 6 Music, mei­ner aktu­el­len Haupt­quel­le für neue Musik, rauf und run­ter läuft. Es ist die­se Musik, die ich mit dem leicht­fü­ßi­gen Som­mer 2024 ver­bin­de, als wir alle den­ken, dass Kama­la Har­ris US-Prä­si­den­tin wer­den wird, und die Olym­pi­schen Spie­le in Paris ein Gefühl von Hoff­nung, Zuver­sicht und Gemein­schaft ver­mit­teln, das wir so lan­ge ver­misst hat­ten. Sich ein paar Mona­te spä­ter über die eige­ne ver­meint­li­che Nai­vi­tät lus­tig zu machen, wäre aber auch zynisch.
[Songs des Jah­res 2024 von „damals“]

Epi­log
„Am Ende wird alles okay sein — und wenn es nicht okay ist, ist es nicht das Ende“, hat der bra­si­lia­ni­sche Autor Fer­nan­do Sabi­no geschrie­ben und Weezer nann­ten ihr 2015er Album „Ever­y­thing Will Be Alright In The End“. „Schwimm für die Songs, die noch geschrie­ben wer­den“, hat Mar­cus Wie­busch von kett­car auf sei­nem Solo­al­bum gesun­gen — und dabei Andrew McMa­hon refe­ren­ziert. Alles hängt immer mit allem zusam­men.

Social Media ist, spä­tes­tens seit sich die Tech-Olig­ar­chen um Donald Trump scha­ren, ein dumps­ter fire, das unse­re See­len und Gehir­ne ver­zehrt. Doch das hier sind nur die ers­ten 18 Jah­re und die ers­ten 18 Songs. Cof­fee And TV ist mein Zuhau­se und ich pla­ne zu blei­ben, mein Freund.

Denn wie sang einst Gra­ham Coxon in jenem Blur-Song, des­sen Titel wir uns damals ein­fach gemopst haben?

Take me away from this big bad world
And agree to mar­ry me
So we can start over again

(Auf das mit dem Hei­ra­ten wür­de ich nach den oben erwähn­ten Erfah­run­gen aller­dings ger­ne ver­zich­ten.)

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Leben

Wochenendspaß mit der WAZ (1)

Am Mor­gen (oder, genau­er: Vor­mit­tag) nach der „1Live Kro­ne“ durch­weht den Bochu­mer Haupt­bahn­hof immer ein ent­fern­ter Hauch von Jet­set und Gla­mour: Musik­in­dus­trie­mit­ar­bei­ter, leicht zu erken­nen an der Kom­bi­na­ti­on „Jog­ging­an­zu­g/­Lou­is-Vuit­ton-Weeken­der“ und der Base­ball­kap­pe auf dem Kopf, war­ten auf ihre Züge, die sie zurück nach Ham­burg, Ber­lin oder … äh, ja: nach Ham­burg oder Ber­lin brin­gen.

Ich habe ges­tern kurz den Schluss der Ver­an­stal­tung im WDR Fern­se­hen gese­hen und bekam das woh­li­ge Gefühl, es mir gera­de exakt in dem Lebens­ab­schnitt bequem machen zu kön­nen, wo ich 90% der dort ver­tre­te­nen Leu­te nicht mehr bzw. noch nicht ken­nen muss.

Das bringt aber auch gewis­se Schwie­rig­kei­ten mit sich, wenn man sich über Ver­lauf und Aus­gang der Ver­an­stal­tung bei WAZ.de (ehe­mals Der Wes­ten) infor­mie­ren will.

Oder kön­nen Sie mir sagen, wie vie­le Per­so­nen die fol­gen­de Auf­zäh­lung umfasst?

Mark Fos­ter, Sil­ber­mond, die Kat­ze, Danie­la Kat­zen­ber­ger mit ihrem Mann, Felix Jaehn, die Rap­per von Bonez MC & Raf Camo­ra.

Mei­ne Lieb­lings­stel­le in dem Arti­kel, die bei mir wil­des­tes Kopf­ki­no aus­ge­löst hat, ist aber die­se hier:

Nach dem Ende der Ver­an­stal­tung aber hat [Ober­bür­ger­meis­ter Tho­mas Eis­kirch (SPD)] dann ein ande­res Pro­blem. Er müss­te drin­gend auf die Toi­let­te, die Hal­le füllt sich nur lang­sam.

Und wo wir ein­mal auf der „Bochum“-Seite von WAZ.de sind, möch­te ich Ihnen noch zwei wei­te­re aktu­el­le High­lights mit an die Hand geben: Die­se Bil­der­ga­le­rie, die beweist, dass man im Ruhr­ge­biet wirk­lich zu fei­ern weiß (und zwar alles), und die­sen Blau­licht­mel­dung über einen Mann, der mit 2,8 Pro­mil­le im Blut einen Not­arzt­wa­gen in Wat­ten­scheid mit But­ter bewor­fen hat­te, weil ihn des­sen Mar­tins­horn stör­te.

So weit, so nor­mal. Spek­ta­ku­lär wird die Mel­dung durch die­sen Satz:

Spon­tan ent­riss der 46-Jäh­ri­ge sei­ner eben­falls betrun­ke­nen Beglei­te­rin zwei Päck­chen But­ter, wie die Poli­zei berich­te­te.

Laut Pres­se­mit­tei­lung der Poli­zei Bochum waren es übri­gens sogar „zwei zuvor gekauf­te Pake­te But­ter und ein Kunst­stoff­teil, das aus einer Bau­stel­len­ab­sper­rung stamm­te“.

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Musik

Song des Tages: Ini Kamoze – Here Comes The Hotstepper

Zum ers­ten Mal gehört: Ich hät­te jetzt „auf Eins­li­ve“ gesagt, aber das kommt chro­no­lo­gisch nicht hin. Dann war es ver­mut­lich „Hit Clip“. Jeden­falls erin­ne­re ich mich noch dar­an, dass mein Onkel, als ich ihn im April 1995 zum ers­ten Mal in San Fran­cis­co besuch­te, den Sound­track zu Robert Alt­mans „Prêt-à-Por­ter“ auf­leg­te und die­ser Song durch sein Apart­ment schall­te (wor­an ich selbst­ver­ständ­lich jedes Mal den­ken muss, wenn ich den Song höre).

Wer musi­ziert da? Ini Kamo­ze, ein jamai­ka­ni­scher Reg­gae-Musi­ker. In Wahr­heit noch vie­le ande­re, denn das Lied steckt vol­ler Samples. Ich weiß noch, wie ich vor ein paar Jah­ren zum ers­ten Mal bewusst „Land Of 1000 Dances“ von Wil­son Picket hör­te und erstaunt fest­stell­te, dass da die­se „Naaa-naa-na-na“-Chöre her­ka­men (also: streng genom­men aus der Ver­si­on von Can­ni­bal & The Head­hun­ters, aber Sie ver­ste­hen, was ich mei­ne).

War­um gefällt mir das? Mir gefällt erschre­ckend vie­les von dem, mit dem ich auf­ge­wach­sen bin. Ich fin­de aber, dass der Song auch nach 20 Jah­ren noch eine ganz eige­ne Cool­ness hat, und – zumin­dest bei mir – sofort gute Lau­ne bringt.

[Alle Songs des Tages]

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Rundfunk Literatur Radio

Pop revisited

von Katha­ri­na Schliebs und Lukas Hein­ser

Eins­li­ve jeden­falls, die „Jugend­wel­le“ des West­deut­schen Rund­funks, fei­er­te am Frei­tag ihren 15. Geburts­tag.

Wir ver­brach­ten den gan­zen Nach­mit­tag in einer Köln-Ehren­fel­der Woh­nung, lie­ßen uns beko­chen und hör­ten dabei Eins­li­ve. Zumin­dest letz­te­res gehört zu den Din­gen, die Men­schen in unse­rem Alter sonst eher ver­mei­den. Doch dies­mal war es etwas ande­res: Wir hör­ten regel­recht gebannt zu und ver­an­stal­te­ten ein pri­va­tes Pop­quiz, denn gefei­ert wur­de mit einem eigent­lich nur bril­lant zu nen­nen­den Sen­de-Mara­thon, in dem zwi­schen 6 und 21 Uhr jede Stun­de einem ande­ren Jahr gewid­met war. Los ging es mit dem Jahr 2009 und dann immer wei­ter vor­wärts in die Ver­gan­gen­heit.

So saßen wir zu dritt vor dem Radio und hör­ten die Jah­re 1998, 1997, 1996, 1995 und wur­den dabei immer alber­ner und über­tra­fen und gegen­sei­tig mit Nerd­wis­sen aus 100 Jah­ren Pop­mu­sik. Dabei sind per­sön­li­che Musik­hör-Bio­gra­fien natür­lich irgend­wann stark abwei­chend zu dem, was im Radio an Musik läuft. Den­noch darf man nicht unter­schät­zen, wie viel Radio man dann aber doch gehört hat und wie vie­le Lie­der man kennt, auch wenn man sie eigent­lich schlimm oder belang­los fin­det (Wer um alles in der Welt kann ernst­haft auf die Idee kom­men, ein so völ­lig ega­les Lied wie „Got ‚Til It’s Gone“ von Janet Jack­son irgend­wie gut zu fin­den oder sogar die Sin­gle zu kau­fen? Ein Rie­sen­hit den­noch!), und wie vie­le Erin­ne­run­gen ver­bun­den sind mit die­sen Radio­pop­songs und den Radio­co­me­dys. Und sogar mit den Bet­ten, Drops und Jin­gles! Nie­mals hät­te man „Eins­li­ve macht hörig“ raus­schmei­ßen dür­fen.

Exkurs „Nerd­wis­sen über Eins­li­ve“: Frü­her kam direkt nach den Nach­rich­ten eine Begrü­ßung. Mit dem Relaunch 2007 lief nach den Nach­rich­ten erst ein Lied und dann sag­te der Mode­ra­tor Hal­lo. Sogar die­sen Relaunch hat Eins­li­ve für eini­ge Stun­den zurück­ge­nom­men und die Mode­ra­to­ren haben wie­der direkt nach den Nach­rich­ten eine Begrü­ßung gespro­chen! Mit dem Ori­gi­nal-Bett von frü­her! Und wenn das nie­man­dem sonst auf der gan­zen Welt auf­ge­fal­len sein soll­te: In der Ehren­fel­der Küche wur­de es bemerkt. Und beju­belt. Exkurs Ende.

Je näher der Rück­blick dem Grün­dungs­jahr 1995 kam, des­to deut­li­cher wur­de die Rol­le, die Eins Live bei der eige­nen Ado­les­zenz gespielt hat­te: Nahe­zu jeden Song konn­ten wir noch mit­sin­gen – nicht bei jedem kann­te man Titel und Inter­pret, aber wir hat­ten alles unzäh­li­ge Male gehört. Damals tat­säch­lich noch aus­schließ­lich über Radio, denn wir hat­ten ja nichts. Die Ziel­grup­pe, die jetzt zuhau­se vor dem Web­stream saß und damals noch gar nicht gebo­ren war, wird in 15 Jah­ren kaum so vie­le gemein­sa­me Erin­ne­run­gen an ein Medi­um ihrer Jugend haben.

Wir fühl­ten uns natür­lich alt und spra­chen dar­über, dass das Kon­ser­va­ti­ve manch­mal auch sei­ne guten Sei­ten habe, der Gast­ge­ber brach­te Bier – und das war der Moment, in dem wir ent­deck­ten, dass die „Beck’s“-Flaschen neue Eti­ket­ten haben. Unse­re Reak­ti­on dar­auf darf man ruhig hys­te­risch nen­nen.

Was ja auch nur in einer Medi­en­me­tro­po­le wie Köln geht: Den Beginn einer lan­des­weit aus­ge­strahl­ten Sen­dung am hei­mi­schen Radio ver­fol­gen und eine Stun­de spä­ter selbst in der Sen­dung sit­zen und applau­die­ren. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war zu Gast in der Sen­dung „Klub­bing“ und das pass­te irgend­wie ganz wun­der­bar zur Pop­kul­tur-Nost­al­gie an die­sem Kar­frei­tag: Stuck­rad-Bar­re ver­kör­pert die spä­ten 1990er Jah­re fast noch bes­ser als Eins Live. Aber wäh­rend der Sen­der mit sei­nem immer pro­fil­är­me­ren Pro­gramm gera­de die größ­te Hörer­schaft sei­ner Geschich­te fei­ert, hat es der Lite­rat mit sei­nem durch­aus famo­sen neu­en Buch „Auch Deut­sche unter den Opfern“ nicht mehr auf die sicht­ba­ren Plät­ze irgend­wel­cher Best­sell­ler-Charts geschafft. In gro­ßen Buch­hand­lun­gen lie­gen zwar genug Exem­pla­re von „Axolotl Road­kill“ aus, um damit die gan­ze Ober­stu­fe eines Gym­na­si­ums zu ver­sor­gen, aber den neu­en Stuck­rad-Bar­re müss­te man bestel­len. Wenn einem das jemand vor zehn Jah­ren erzählt hät­te, als man am Tag der Ver­öf­fent­li­chung von „Black­box“ klei­ne Buch­lä­den in Dins­la­ken und Göt­tin­gen gestürmt hat …

Wenigs­tens sei­ne Lesun­gen (zuletzt ger­ne mit Chris­ti­an Ulmen) sind immer noch aus­ver­kauft. Und auch hier im drit­ten Stock über dem nächt­li­chen Media­park ist der Eins­li­ve Salon gut besucht. Außen an der Tür hängt immer noch ein Schild, das den Raum als „Kult­kom­plex­ca­fé“ bezeich­net, die­ser selt­sam absur­de Name, der in sei­ner Eigen­ar­tig­keit unbe­dingt erhal­tens­wert gewe­sen wäre, denn „Salon“ ist ja nun doch, mit Ver­laub, immer noch das, wo man zum Haa­re­schnei­den hin­geht.

Das ers­te Gespräch, das Sabi­ne Hein­rich mit Stuck­rad-Bar­re noch ohne Publi­kum im Stu­dio führ­te, ließ zwar nicht das Schlimms­te, aber doch Ungu­tes befürch­ten: Nach einem etwas umständ­li­chen „Sie oder Du“-Einstieg waren die bei­den unge­fähr eine Minu­te beim sehr uner­gie­bi­gen The­ma „Oster­mär­sche“ hän­gen geblie­ben, wobei Stuck­rads Ant­wor­ten zuse­hends knap­per und generv­ter klan­gen.

Doch dann steht sie vor einem und man ist sofort ver­zau­bert: Sabi­ne Hein­rich hört sich bes­ser an und sieht bes­ser aus als im Fern­se­hen, wie sie da auf der Büh­ne des Eins­li­ve Salons steht und dem Publi­kum erklärt, dass es die Han­dys nach der Lesung ger­ne wie­der anstel­len darf. Eins ihrer Hosen­bei­ne ist aus den Stie­feln gerutscht und hängt jetzt über dem Schuh, sie trägt ein wei­ßes T‑Shirt und einen Pfer­de­schwanz, und wenn sie so die Echo-Ver­lei­hung mode­riert hät­te, dann wäre das mit Rob­bie Wil­liams viel­leicht was gewor­den.

Jetzt aber betritt erst mal Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re die Büh­ne. Er sitzt nicht ein­fach schon da rum wie vie­le ande­re Autoren vor ihm, er braucht den Auf­tritt – und wenn es nur einer durch eine ganz nor­ma­le Zim­mer­tür ist. Hat er nicht frü­her sei­ne Lesun­gen auch mit „Let Me Enter­tain You“ eröff­net?

Benjamin von Stuckrad-Barre

DJ Lar­se legt irgend­wel­che Elek­tro-Musik auf, dann wird abwech­selnd gele­sen und getalkt, wobei sich zwei Din­ge abzeich­nen: Stuck­rad-Bar­re ist ein sehr guter Autor, aber ein noch bes­se­rer Per­for­mer, und Sabi­ne Hein­rich ist zwar eine wahn­sin­nig char­man­te Mode­ra­to­rin, aber eben auch eine eher nur mit­tel­gu­te Inter­viewe­rin.

Es ist ein denk­bar ungüns­ti­ge Kon­stel­la­ti­on: Eine auf­ge­reg­te Fra­ge­stel­le­rin trifft auf einen Talk­gast, der kei­ner­lei Bereit­schaft zeigt, die etwas unglück­lich for­mu­lier­ten Fra­gen wohl­wol­lend auf­zu­neh­men. „Was ist denn ein Sit­ten­ge­mäl­de?“ – „Naja ich mein das ist ein ganz schö­nes deut­sches Kom­po­si­tum. Sit­ten-Gemäl­de. Das ist ja … Heiz-Kör­per. Was ist ein Heiz­kör­per?“ – „Ich hab noch nie so ein Wort benutzt! Sit­ten­ge­mäl­de!“ – „Du bist zuviel mit Mat­thi­as Opden­hö­vel zusam­men.“

Es läuft nicht. Im Salon ist es heiß, sti­ckig, und sehr, sehr voll. Man könn­te jetzt die eige­ne Hand abna­gen (oder die des Sitz­nach­barn). Mag gar nicht auf­hö­ren, den Dia­log zwi­schen Sabi­ne Hein­rich und BvSB wie­der­zu­ge­ben, man kann ein­fach nicht weg­hö­ren.

Sabi­ne Hein­rich sagt: „Hör mal, in dei­nem Buch war mal die Rede von Müs­li mit Brom­bee­ren.“
BvSB: „Ja, das ist sai­son­ab­hän­gig. Nä?“
Hein­rich: „Pflückst du die sel­ber in dei­nem eige­nen Gar­ten?“
BvSB: „Im Super­markt.“
Hein­rich: „Eige­ner Bio­gar­ten.“
BvSB: „GARTEN?!? Nein, nein. Gär­ten gilt es wirk­lich zu ver­mei­den. Das ist ja der Anfang vom Ende.“
Hein­rich: „Du hast ja auch kei­ne Küche, hast du gesagt.“
BvSB: „Aber das mit dem Gar­ten stimmt! Ja, nee, nein. Gär­ten.“

Es geht so wei­ter. Frau Hein­rich frag­te, wie Herr von Stuck­rad-Bar­re lebt, wie er wohnt, was er von Möbeln hält, ob er denn sel­ber kocht (Ant­wort: „Nein!“). Er kann sich offen­sicht­lich nicht ent­schei­den, ob er Frau Hein­rich jetzt wirk­lich per­ma­nent auf­lau­fen las­sen soll oder nicht und schwankt dann zwi­schen abso­lu­ter Sabo­ta­ge des Gesprächs und mit­lei­di­gem Nach­ge­ben.

Und man will ja Sabi­ne Hein­rich nett fin­den! Und ein biss­chen Mit­leid mit ihr haben, weil Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re sich so bockig zeigt! Aber dann sagt sie Sachen, da ist man froh, dass ihr Gesprächs­part­ner ent­spre­chend reagiert:

„Ich hab dich bei Jörg Tha­de­usz in der Sen­dung gehört, als Pod­cast, lie­be Grü­ße an den Jörg, und der hat dich gefragt, -“
„Jetzt wird’s aber ein biss­chen pri­vat, oder?“, unter­bricht Stuck­rad-Bar­re erneut, zurecht, leicht amü­siert.
„Es kann ja sein, dass Jörg die­se Sen­dung beim Lau­fen hört“, gibt Frau Hein­rich tap­fer zu beden­ken.
„Na dann aber auch schö­ne Grü­ße. Lie­ber Jörg, es war schön mit dir in Leip­zig.“ Zu Frau Hein­rich, ver­schwö­re­ri­scher Unter­ton: „Mein­ze der hört das?“ – „Bestimmt!“ – „Jörg? Sol­len wir in Bochum zusam­men lesen oder in Dort­mund?“

Und jetzt raten Sie, wer im Publi­kum an die­ser Stel­le nicht an sich hal­ten kann und laut „Bochum!“ ruft. Stuck­rad-Bar­re wen­det sich dar­auf­hin dem Publi­kum zu und will das aus­dis­ku­tie­ren, aber da wirft sich Frau Hein­rich dazwi­schen: „Darf ich jetzt bit­te mal mei­ne Fra­ge durch­brin­gen?!“ Sie darf. Aber sie hät­te es auch las­sen kön­nen.

Irgend­wann liest Stuck­rad-Bar­re Aus­schnit­te aus dem längs­ten Text des Buches, in dem er von der Ent­ste­hung der letz­ten Udo-Lin­den­berg-Plat­te berich­tet. Was bei der Lesung nur am Ran­de anklingt: Es ist einer der per­sön­lichs­ten und inten­sivs­ten Tex­te, den der Autor je ver­öf­fent­licht hat. Kommt Lin­den­berg zu Wort, par­odiert Stuck­rad den typi­schen Ton­fall des Musi­kers, was sehr, sehr pein­lich wir­ken könn­te (steht nicht irgend­wo im Früh­werk des Pop­li­te­ra­ten, dass Lin­den­berg an Par­odis­ten-Schu­len in der ers­ten Stun­de auf dem Lehr­plan stün­de?), hier aber magi­scher­wei­se funk­tio­niert. Als Sabi­ne Hein­rich im inzwi­schen legen­dä­ren Ange­la-Mer­kel-Inter­view die Rol­le der Kanz­le­rin liest, ist sie aller­dings ihrer­seits so klug, auf jed­we­den Par­odie-Ver­such zu ver­zich­ten.

Um Mit­ter­nacht ist die Sen­dung vor­bei, Kar­frei­tag und das Tanz­ver­bot. Es ist wie­der 2010 und Eins­li­ve klingt auch wie­der so. Alle sind wie­der so alt, wie sie sich füh­len, und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re signiert Bücher.

Pod­cast der Sen­dung her­un­ter­la­den

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Radio Musik Rundfunk

Über Kronen

Im Dezem­ber wird die WDR-„Jugendwelle“ (die sich glaub ich schon län­ger nicht mehr selbst mit die­sem Acht­zi­ger-Jah­re-Wort­kon­strukt bezeich­net) 1Live zum zehn­ten Mal die „1Live Kro­ne“ ver­lei­hen. Wie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren auch fin­det die Ver­lei­hung des „größ­ten deut­schen Radio Awards“ (WDR-Pres­se­info) in der Bochu­mer Jahr­hun­dert­hal­le statt.

Neben Jan Delay, Sil­ber­mond, Ste­fa­nie Heinz­mann und Jen­ni­fer Ros­tock befin­den sich unter den Nomi­nier­ten auch die …

*Trom­mel­wir­bel*

Kili­ans!

In der sehr ehren­haf­ten Kate­go­rie „Bes­ter Live-Act“ gehen sie gegen Phil­ipp Poisel,die Toten Hosen, Peter Fox und Ramm­stein ins Ren­nen. Das wird sicher nicht ganz leicht, aber da es sich um einen Publi­kums­preis han­delt, ist alles mög­lich.

Abstim­men kann man jeden­falls ab sofort auf einslive.de

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Musik Rundfunk Radio

Merkt ja eh keiner (1)

Es ist ja nicht so, dass ich mor­gens auf­ste­he und den­ke „Was könn­te ich heu­te mal Böses über den WDR schrei­ben?“ Das machen die ja alles sel­ber.

Ges­tern war Thees Uhl­mann zu Gast im „1Live Kas­set­ten­deck“, das vom Kon­zept her eine Super-Radio­sen­dung ist und des­halb um Mit­ter­nacht lau­fen muss: Ein Pro­mi (meist Musi­ker) stellt eine Stun­de lang Songs vor, die ihm sein Leben lang oder gera­de jetzt im Moment wich­tig sind. Ges­tern also der Sän­ger der „umstrit­te­nen Band Tom­te“ (O‑Ton welt.de, wo man auch nicht nach gutem Musik­jour­na­lis­mus suchen soll­te).

Thees erzähl­te also und spiel­te Songs (Rod Ste­wart, Kool Savas, Esca­pa­do) und sag­te nach jedem Lied, wer er ist und was wir da hören (ist ja Radio). Und dann kün­dig­te er wort­reich „Rain On The Pret­ty Ones“ von Ed Har­court an, zitier­te noch aus dem Text („I’m the Chris­ti­an, that can­not for­gi­ve“, „I’m the hun­ter, who’s kil­led by his dog“) und sag­te „Hier ist Ed Har­court mit ‚Rain On The Pret­ty Ones‘ “.

Und was lief? Ed Har­court mit „Late Night Part­ner“. Auch schön, sogar vom glei­chen Album, aber ein ganz ande­rer Song. Auch, wenn er von Thees mit „Das war Ed Har­court mit ‚Rain On The Pret­ty Ones‘ “ abmo­de­riert wur­de.

Nun ist es ja nicht so, dass da ges­tern Nacht ein über­näch­ti­ger Thees Uhl­mann im 1Li­ve-Stu­dio geses­sen und unbe­merkt den fal­schen Track gefah­ren hät­te: Weil man einen Pro­mi kaum eine Stun­de im Stu­dio hal­ten kann (dich­ter Pro­mo-Zeit­plan!), lässt man ihn ein­fach alle Mode­ra­ti­ons­tex­te hin­ter­ein­an­der auf­sa­gen, wenn er eh grad mal für ein Inter­view da ist. Dann gibt er einen Zet­tel mit der Play­list ab und irgend­je­mand muss die Songs zwi­schen die Mode­ra­tio­nen schnei­den. Und die­ser Jemand hat offen­bar einen Feh­ler gemacht.

Das ist kein gro­ßes Dra­ma, kein Skan­dal und kein Eklat. Es ist nur ein Bei­spiel, war­um es mir so schwer fällt, Medi­en­schaf­fen­de in die­sem Land ernst zu neh­men: Weil sie ihre Arbeit selbst nicht ernst neh­men.

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Rundfunk

The Ruf is on fire

Der Radio­sen­der 1Live hat am Mitt­woch in sei­ner Rei­he „Plan B – Talk“ den Fern­seh­mo­de­ra­tor und Schau­spie­ler Niels Ruf zu Gast. Und die zustän­di­gen Redak­teu­re hiel­ten es offen­bar für eine wit­zi­ge Idee, die Sen­dung wie folgt zu beti­teln:

1LIVE, 08.10.2008, 23.00 - 24.00 Uhr. 1LIVE Plan B – Talk. Ist der Ruf erst ruiniert ...? Talk mit Niels Ruf

Inter­es­san­ter­wei­se war Niels Ruf schon ein­mal in einer WDR-Sen­dung zu Gast, die unter die­sem The­ma stand: vor fast exakt acht Jah­ren bei „Bou­le­vard Bio“. Damals war er aller­dings einer von meh­re­ren Gäs­ten und Alfred Bio­lek stell­te erhei­tert fest, dass das Mot­to ja im dop­pel­ten Sin­ne auf Herrn – haha­ha – Ruf pas­se.

Teil­le­gen­där wur­de die­se Aus­ga­be von „Bou­le­vard Bio“ übri­gens dadurch, dass Nina Hagen, die Talk­run­den­spren­ge­rin Num­mer Eins, nach einem flap­si­gen Kom­men­tar von Niels Ruf das Stu­dio ver­ließ.

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Digital

Everybody comes to Schmollywood

Ingo und Paul

Lukas und ich waren bei­lei­be nicht die ein­zi­gen, die wäh­rend des Hald­ern Pop Fes­ti­vals live gebloggt haben. Unter ande­rem auch mit von der Par­tie: Ingo Schmoll. Eini­gen haupt­säch­lich bekannt als Mode­ra­tor bei Eins­li­ve macht er nicht nur seit März 2006 mit Radio Brennt einen schi­cken eige­nen Pod­cast, son­dern ver­ar­bei­tet All­täg­li­ches seit Kur­zem auch in sei­nem pri­va­ten Blog.

Zu gibt es nicht nur Ein­bli­cke in sei­nen Job bei Eins­li­ve, son­dern aktu­ell auch Fotos der gera­de zuen­de gegan­ge­nen Dreh­ar­bei­ten eines Kurz­films mit einem Team des Hes­si­schen Rund­funks, in dem er die Haupt­rol­le spielt.

All­zu lang gibt es das Blog übri­gens noch nicht: Am 1. August ging es los mit dem Foto eines Gagen­nach­wei­ses: In der kom­men­den, vier­ten Staf­fel von Dr. House ist Ingo Syn­chron­spre­cher für Fred Durst. Bin jetzt schon gespannt, wie das klin­gen soll.

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Rundfunk Gesellschaft

Herdenprämie

Frü­her, als Fuß­bäl­le noch aus Schwei­ne­bla­sen her­ge­stellt wur­den und das ein­zi­ge Bild­schirm­emp­fangs­ge­rät einer Gemein­de in der ört­li­chen Gast­stät­te stand, traf sich die Dorf­ge­mein­schaft zu wich­ti­gen Ereig­nis­sen wie dem Gewinn einer Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft in der voll­ge­qualm­ten Gast­stu­be und schau­te sich die Über­tra­gung im Kol­lek­tiv und im Schwarz-Weiß-Fern­se­her an. Spä­ter hat­ten immer mehr Men­schen einen eige­nen Fern­se­her, der sogar Farb­bil­der dar­stel­len konn­te, und man guck­te den Gewinn von Welt- und Euro­pa­meis­ter­schaf­ten im hei­mi­schen Wohn­zim­mer.

Vor zwei Jah­ren fin­gen die Deut­schen dann wie­der an, sich in gro­ßen Grup­pen auf öffent­li­chen Plät­zen zu ver­sam­meln und ihre Natio­nal­flag­ge zu schwen­ken. Sehr zur Freu­de der rest­li­chen Welt ver­zich­te­ten sie dabei aber auf die gan­zen ande­ren Ele­men­te ihres merk­wür­di­gen Brauch­tums. Statt­des­sen guck­ten sie auf eine Groß­bild­lein­wand und lausch­ten sogar den Aus­füh­run­gen der Sport­jour­na­lis­ten­dar­stel­ler Rein­hold Beck­mann, Johan­nes B. Ker­ner und Bèlá Rêthý, ohne dadurch zum maro­die­ren­den Mob zu wer­den. Vor allem das muss man den Deut­schen sehr hoch anrech­nen.

Die­ses öffent­li­che Gucken nann­ten die glei­chen Mar­ke­ting­ex­per­ten, die sich so genia­le phan­ta­sie­sprach­li­che For­mu­lie­run­gen wie „Han­dy“, „Powered by emo­ti­on“ oder jetzt „We love the new“ aus der Nase gezo­gen haben, „Public Vie­w­ing“. Zyni­ker über­setz­ten das mit „Völ­ki­scher Beob­ach­ter“, ande­re wuss­ten zu berich­ten, dass man die öffent­li­che Auf­bah­rung von Toten in den USA so nen­ne (was natür­lich stimmt, aber genau­so wie das gemein­sa­me Fern­se­hen nur einen klei­nen Teil der Bedeu­tung des Begriffs aus­macht).

Im Vor­feld der Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter­schaft bat der Jugend­ra­dio­sen­der Eins­li­ve sei­ne Hörer um Alter­na­tiv­vor­schlä­ge zum Begriff „Public Vie­w­ing“ und bekam eini­ges an Zusen­dun­gen. In einer Abstim­mung ent­schied sich das Publi­kum für den Begriff „Rudel­gu­cken“, der seit­dem bei Eins­li­ve mit an Bru­ta­li­tät gren­zen­der Vehe­menz pro­mo­tet wird. Irgend­wie mag ich den Klang des Wor­tes nicht – es erin­nert pho­ne­tisch viel zu sehr an „Rudel­bum­sen“ und hat auch sonst einen nega­ti­ven Bei­klang.

Ana­tol vom sehr emp­feh­lens­wer­ten Bre­mer Sprach­blog fasst die­sen ganz gut in Wor­te:

da klingt doch über­all die Ver­ach­tung der­je­ni­gen durch, die Fuß­ball lie­ber gepflegt zu Hau­se, oder, noch bes­ser, gar nicht gucken.

Das wirk­lich Inter­es­san­te ist aber: im Gegen­satz zu den pein­li­chen Aktio­nen, die die gru­se­li­ge „Stif­tung deut­sche Spra­che“ regel­mä­ßig durch­führt (im Moment sucht sie übri­gens ein deut­sches Pen­dant für … äh: „Public Vie­w­ing“) scheint der Begriff „Rudel­gu­cken“ sofort Ein­zug in die All­tags­spra­che vie­ler (vor allem jun­ger) Men­schen gefun­den zu haben. Goog­le fin­det der­zeit 71.000 Such­ergeb­nis­se, fragt aber auch, ob man nicht „rudel gur­ken“ gemeint haben könn­te. Die­ser Vor­gang ist durch die geziel­te Plat­zie­rung durch einen Radio­sen­der zwar eini­ger­ma­ßen unna­tür­lich, aber das war die Ver­brei­tung von „Public Vie­w­ing“ ja auch.

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Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht

Am Don­ners­tag wur­de in der Welt­stadt Bochum die „Eins Live Kro­ne“, der “größ­te deut­sche Radio­preis” ver­lie­hen. Weil die Kili­ans als bes­te New­co­mer nomi­niert waren, fühl­te ich mich genö­tigt, mir das Spek­ta­kel anzu­hö­ren.

Da die Ver­lei­hung zwar live im Radio lief, im Fern­se­hen aber erst mit 25-stün­di­ger Verpä­tung, muss­te Max von Malot­ki das Gesche­hen für die Hörer beschrei­ben. Das führ­te oft zu dezen­tem Cha­os, wenn zu zwei bis drei Stim­men noch der Kom­men­tar dazu­kam – mal davon ab, dass es schon ein biss­chen, äh: wirr ist, bei der Ver­lei­hung eines Radioprei­ses im Radio stän­dig zu hören: „Ja, das könnt Ihr jetzt nicht sehen, dann müsst Ihr mor­gen Fern­se­hen gucken!“

Der Preis für den bes­ten New­co­mer war zum Glück der Drit­te. Viel län­ger hät­te ich das Elend von schlecht geschrie­be­nen und durch Mir­ja Boes und Olli Briesch noch schlech­ter vor­ge­tra­ge­nen Mode­ra­ti­ons­tex­ten und die unsicht­ba­ren Video­ein­spie­ler (Radio!) auch nicht ertra­gen. Dass der Preis aus­ge­rech­net an Boundzound ging, des­sen Sin­gle „Lou­der“ ich bekannt­lich für einen der schlech­tes­ten Songs des Gen­res „nerv­tö­ten­de, repe­ti­ti­ve Par­tymu­cke“ hal­te, hob mei­ne Lau­ne nicht gera­de und so war ich froh, das Radio aus­schal­ten zu kön­nen.

Die TV-Aus­strah­lung ges­tern (wir erin­nern uns: „High­lights“, “Mehr­wert der Bil­der”) war dann in man­cher Hin­sicht erhel­lend. So war die Bild­re­gie zum Bei­spiel exakt so, wie man sie von einer Radio­sen­dung erwar­ten wür­de: Die Bochu­mer Jahr­hun­dert­hal­le wirk­te abwech­selnd wie ein schwar­zes Loch und wie ein völ­lig über­füll­tes Tan­ten-Café; stän­dig sah man, wie sich Mode­ra­to­ren, die sich längst im Off wähn­ten, über ihre feh­ler­frei­en Ansa­gen freu­ten, und bei den Nomi­nier­ten …

Nun ist man eigent­lich von jeder Feld‑, Wald- und Wie­sen­ga­la gewohnt, dass bei der Vor­stel­lung der Nomi­nier­ten, meis­tens sogar beim Auf­ruf der Gewin­ner, die­se auch im Bild sind. Ent­we­der hat­te der WDR kei­ne fünf Hand­ka­me­ras zur Ver­fü­gung, die man auf die Gäs­te hät­te rich­ten kön­nen, oder man hielt es ernst­haft für anspre­chen­der und auf­schluss­rei­cher, Bal­ken­dia­gram­me zu zei­gen, deren Aus­sa­ge­kraft ich im Übri­gen hef­tig bezweif­le ((Lei­der gibt es (bis­her) kei­ne Zah­len zu den Hörer-Abstim­mun­gen, aber wenn die Ärz­te 72.000 Stim­men für „Jun­ge“ bekom­men haben und das wirk­lich so viel mehr als für die ande­ren Nomi­nier­ten war, dann hät­te ihr Bal­ken ja auch deut­lich län­ger sein müs­sen.)), und dann in eine schlecht aus­ge­leuch­te­te Tota­le zu wech­seln und zu hof­fen, dass der oder die Gewin­ner schon irgend­wo im Bild sein wür­den. Falls letz­te­res der Plan war, fragt man sich aller­dings, wozu es Licht­dou­bles bei den Pro­ben gebraucht hat. Dass die Sport­freun­de Stil­ler fünf mal so lang wie jede ande­re Band im Bild waren, ist ein sub­jek­ti­ver Ein­druck, den ich nicht mit Mes­sun­gen bele­gen kann. Viel­leicht waren die auch nur immer in den Sze­nen zu sehen, die man beim WDR für die „High­lights“ hielt.

Doch hal­ten wir uns nicht an sol­chen Äußer­lich­kei­ten auf: Die teil­wei­se recht auf­wän­dig pro­du­zier­ten Video­ein­spie­ler waren durch­aus nett gemeint und manch­mal sogar unter­halt­sam. Auch die Idee, „Let’s Dance“-Juror Joa­chim Llam­bi zwi­schen­durch Wer­tungs­tä­fel­chen hoch­hal­ten zu las­sen, war wit­zig. Wohl­ge­merkt: die Idee, nicht ihre Umset­zung. Dass man für beson­ders gelun­ge­ne Mode­ra­ti­ons­übergän­ge (Haha, Sie ver­ste­hen …) Bruce Dar­nell das Mikro wei­ter­rei­chen ließ (Radio!!!1) kom­plet­tier­te dann mei­nen Ein­druck, dass man die Pla­nungs­kon­fe­renz nach dem ers­ten „ein­fach mal drauf los“-Brainstorming been­det und die dort vor­ge­tra­ge­nen Ideen zu Pro­gramm­punk­ten erklärt hat­te. Ich kann lei­der nicht schrei­ben, dass mei­ne eige­ne offi­zi­el­le Abi­fei­er lus­ti­ger gewe­sen sei, denn das wäre eine furcht­ba­re Lüge.

Aber, hey: Der WDR ist ja immer­hin auch der Sen­der, der für „Schmidt & Pocher“ ((„Schmidt & Pocher“ waren übri­gens in der Kate­go­rie „Bes­te Come­dy“ nomi­niert, was auch schon des­halb erstaun­lich ist, da die Nomi­nie­run­gen am 28. Sep­tem­ber bekannt gege­ben wur­den – vier Wochen vor der ers­ten Sen­dung.)) ver­ant­wort­lich ist, inso­fern muss man davon aus­ge­hen, dass das dor­ti­ge Unter­hal­tungs­res­sort, äh: nicht exis­tiert. Dass man den Toten Hosen, die den Preis für ihr Lebens­werk beka­men, anschei­nend die hal­be Lau­da­tio (durch Jan Wei­ler) und die hal­be Dan­kes­re­de weg­ge­schnib­belt hat, lag sicher dar­an, dass es sich dabei nicht um die „High­lights“ han­del­te – dazu gehör­te ja schon die Come­dy (im schlimms­ten Wort­sin­ne) „Lukas‘ Tage­buch“.

Es war ja trotz­dem nicht alles schlecht bei der „Kro­ne“: Der Auf­tritt von Cul­cha Can­de­la mit der WDR Big Band war zum Bei­spiel wirk­lich gelun­gen, obwohl ich „Ham­ma“ nach wie vor für die zweit­däm­lichs­te Sin­gle des Jah­res hal­te. Kate Nash spiel­te sehr char­mant und ver­huscht ihren Hit „Foun­da­ti­ons“ und klang dabei wie auf Plat­te. Wir Sind Hel­den gaben „Kaputt“ akus­tisch zum Bes­ten. Die Toten Hosen haben sich sehr ehr­lich und auf­rich­tig gefreut und ihr Auf­tritt mit „Wort zum Sonn­tag“ war auch ange­mes­sen. ((Wobei Cam­pi­no natür­lich inzwi­schen schon irgend­wie nah an der Sech­zig ist.)) Dar­über hin­aus bleibt noch die Fest­stel­lung, dass die Eins-Live-Mode­ra­to­rin­nen und ‑Mode­ra­to­ren gar nicht mal so schlecht aus­se­hen, wie man es bei Radio­leu­ten erwar­ten wür­de ((Ich darf das sagen, ich habe schließ­lich sel­ber mal Radio gemacht.)) und man die Ver­an­stal­tung mit einem bes­se­ren Buch und ande­ren Mode­ra­to­ren sicher­lich schon geschau­kelt gekriegt hät­te.

Fürs nächs­te Jahr wün­sche ich mir dann mehr Klar­heit, ob es sich um eine Radio- oder eine TV-Ver­an­stal­tung han­deln soll. Viel­leicht klappt das ja mal mit einer Live-Aus­strah­lung im WDR Fern­se­hen.

Und wenn Sie jetzt der Mei­nung sind, ich sei irgend­wie sehr klein­lich und mie­se­pe­trig an die Ver­an­stal­tung ran­ge­gan­gen: Die Wie­der­ho­lung der „Eins Live Kro­ne“ kann man sich heu­te Abend um 23:00 Uhr im WDR Fern­se­hen anse­hen. Dann angeb­lich sogar eine Vier­tel­stun­de län­ger als ges­tern.

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Lukas fragt, Eins Live antwortet

[Dis­clai­mer: Die­ser Bei­trag ver­fügt nur über ein gerin­ges Maß an Rele­vanz.]

Am Don­ners­tag ver­leiht Eins Live, die soge­nann­te Jugend­wel­le des WDR, in der Bochu­mer Jahr­hun­dert­hal­le die „Eins Live Kro­ne“, den „größ­ten deut­schen Radio­preis“. Am Frei­tag um 20:15 Uhr wird die Ver­lei­hung im WDR Fern­se­hen zu sehen sein.

Viel­leicht geht es nur mir so, aber eine Preis­ver­lei­hung, bei der die Gewin­ner aus­nahms­wei­se mal nicht im Vor­feld bekannt sind, mit 24 Stun­den Ver­zö­ge­rung zu über­tra­gen, erschien mir irgend­wie kon­tra­pro­duk­tiv. Also frag­te ich mal nach, was das soll.

Schon lan­ge habe man sich, so erzähl­te man mir bei Eins Live, einen Sen­de­ter­min um 20:15 Uhr gewünscht. Ers­tens sei das Renom­mee dort grö­ßer und zwei­tens müss­te die Ziel­grup­pe ja am Frei­tag Mor­gen in die Schu­le, wes­we­gen der bis­he­ri­ge TV-Ter­min um 22 Uhr am Ver­an­stal­tungs­abend nie beson­ders glück­lich gewe­sen sei. Dass es nun aus­ge­rech­net der Frei­tag­abend sein soll­te, sei erst bekannt gewor­den als die Pla­nun­gen für die Show am Don­ners­tag schon abge­schlos­sen waren, des­halb die gro­ße zeit­li­che Ver­zö­ge­rung.

Natür­lich sei­en die Preis­trä­ger bei der Aus­strah­lung am Frei­tag nun schon bekannt, deut­lich stär­ker bekannt als bei der bis­he­ri­gen Zeit­ver­schie­bung von zwei oder drei Stun­den zur Live­über­tra­gung auf Eins Live. Dafür habe man ja den „Mehr­wert der Bil­der“ (zum Bei­spiel beim Auf­tritt von Cul­cha Can­de­la mit der WDR Big Band), für den die Radio­über­tra­gung als „Appe­ti­zer“ fun­gie­ren kön­ne. Außer­dem gibt’s im Fern­se­hen nur die High­lights zu sehen, als kna­cki­gen Zusam­men­schnitt.

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Wenn Campusradios ihre Tage haben

Am Sams­tag wur­de CT das radio, das ältes­te Cam­pus­ra­dio Nord­rhein-West­fa­lens, zehn Jah­re alt. Gefei­ert wur­de mit einer end­lo­sen (ca. 16 Stun­den dau­ern­den) Live-Sen­dung mit bei­na­he allen High- und Low­lights der Sen­der­ge­schich­te, mit einer gro­ßen Par­ty im Men­sa­foy­er und mit einem offi­zi­el­len Teil, dem Cam­pus-Radio-Tag1 der Lan­des­an­stalt für Medi­en NRW (LfM).

Letz­te­res war eine Art Kon­fe­renz, auf der sich Cam­pus­ra­dio-Macher aus ganz Deutsch­land tref­fen und aus­tau­schen soll­ten. Ich war als ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter und Chef­re­dak­teur von CT zum ers­ten Mal bei einer sol­chen Ver­an­stal­tung und mein Inter­es­se an einer Wie­der­ho­lung schwand mit jeder Minu­te der „Work­shop“ genann­ten Podi­ums­dis­kus­sio­nen. Ein wenig erin­ner­ten die „Panels“, also die Men­schen, die da vor­ne zum Dis­ku­tie­ren saßen, näm­lich ein biss­chen an das, was die Kol­le­gen so immer von den Tref­fen haupt­be­ruf­li­cher Jour­na­lis­ten berich­ten.

Nein, das war jetzt unge­recht. Aber es gibt schon Par­al­le­len: Wie in den gro­ßen Sen­de­an­stal­ten und Zei­tungs­re­dak­tio­nen, so gibt es auch bei den Cam­pus­ra­di­os Leu­te, die mit viel Herz­blut und Ener­gie (und in den meis­ten Fäl­len auch noch ohne Bezah­lung) am Pro­gramm arbei­ten, und Leu­te, die sich hin­stel­len und schön daher­re­den.

Lei­der (oder glück­li­cher­wei­se) boten die ein­zel­nen „Work­shops“ kei­ne Mög­lich­kei­ten zu Dis­kus­sio­nen, geschwei­ge denn zu kon­tro­ver­sen. Zwar glau­be ich nicht, dass auch nur einer der Dis­ku­tan­ten ange­fan­gen hät­te, Inter­net­me­di­en als „Müll“ oder „Scheiß­häu­ser“ zu bezeich­nen (für sol­che Aus­fäl­le wären sie wohl auch nicht alt oder ver­bit­tert genug), aber irgend­was span­nen­des hät­te durch­aus mal pas­sie­ren kön­nen.

In der Dis­kus­si­ons­run­de „Per­so­nal­ma­nage­ment im Cam­pus-Radio“ (s.a. das Live­blog von Domi­nik Oster­holt bei Radio Q) ging es um die in der Tat bri­san­te Fra­ge, wie man in Zei­ten ver­schul­ter Stu­di­en­gän­ge und Stu­di­en­ge­büh­ren über­haupt noch Mit­ar­bei­ter mit Tages­frei­zeit fin­den kön­ne. Nur Ant­wor­ten gab es lei­der kei­ne. „Wie­der mal“, muss man sagen, denn das The­ma ist natür­lich min­des­tens eben­so alt wie die Bache­lor-/Mas­ter-Stu­di­en­gän­ge.

Ech­te Lösungs­vor­schlä­ge hät­te ich auch kei­ne, aber die Fra­ge, war­um man als Mit­glied einer Fach­schaft (und man­che Stu­di­en­gän­ge haben fast so vie­le Fach­schafts-Mit­glie­der wie Stu­den­ten) die Stu­di­en­ge­büh­ren erlas­sen kriegt, nicht aber als Mit­ar­bei­ter eines Cam­pus­ra­di­os, das die Uni ja auch weit nach außen hin reprä­sen­tiert. Viel­leicht stellt die ja noch mal jemand sei­ner Uni-Ver­wal­tung.

Erfreu­lich hin­ge­gen ist, dass sich vie­le Radi­os im Moment nicht über feh­len­de Mit­ar­bei­ter bekla­gen. In Bochum kann man sein Radio-Prak­ti­kum aber zum Bei­spiel für die cre­dit points des Bache­lor-Stu­di­ums anrech­nen las­sen – wie vie­le Prak­ti­kan­ten hin­ter­her wei­ter­ma­chen, lässt sich nie vor­her­sa­gen. Wolf­gang Sabisch vom Mün­che­ner Aus­bil­dungs­ra­dio M94.5 sag­te des­halb den inter­es­san­ten Satz, man müs­se sich von dem Gedan­ken ver­ab­schie­den, dass man als Cam­pus- oder Aus­bil­dungs­ra­dio immer eine gleich­blei­ben­de Qua­li­tät lie­fern kön­ne. Ich sehe das durch­aus ähn­lich, hät­te ihm aber noch deut­li­cher zuge­stimmt, wenn er statt Qua­li­tät von Quan­ti­tät gespro­chen hät­te. Denn das Schö­ne an Cam­pus­ra­di­os (zumin­dest in NRW) ist ja, dass man nur zu zwei Stun­den Liv­e­pro­gramm pro Werk­tag ver­pflich­tet ist und man nicht wie öffent­lich-recht­li­che oder Pri­vat­sen­der gezwun­gen ist, sei­ne Musik­schlei­fe immer wie­der mit schlech­ten Bei­trä­gen oder ner­vi­gen Gewinn­spie­len zu unter­bre­chen.

Um die Pro­gramm­in­hal­te ging es dann im nächs­ten Work­shop (s.a. das Radio-Q-Live­blog), genau­er: um neue Pro­gramm­ideen. Das hat­te dem Kol­le­gen von Radio Hertz aus Bie­le­feld lei­der nie­mand gesagt, so dass der erst ein­mal zehn Minu­ten sei­ne Per­son und die all­ge­mei­ne Pro­gramm­struk­tur sei­nes Sen­ders vor­stell­te. Als in sei­ner Power­point-Prä­sen­ta­ti­on dann die Schrift ins Bild zu flie­gen begann, muss­te ich den Saal ver­las­sen, um mich an der fri­schen Luft zu beru­hi­gen.

Zuvor hat­te ich aber immer­hin noch zwei inter­es­san­te Sen­de­kon­zep­te ken­nen­ler­nen dür­fen: das Aus­lands­ma­ga­zin „Hin & Weg“ von Radio Sirup aus Sie­gen und die eng­lisch­spra­chi­ge „Mil­ler & John­son Show“ beim Cam­pus­Ra­dio Bonn. Denn auch das ist ja das Schö­ne an Cam­pus­ra­di­os: Man kann ohne Quo­ten­druck und Gre­mi­en-Ter­ror neue Ideen aus­pro­bie­ren. Hin­ter­her enden ja eh alle Mode­ra­to­ren bei Eins­li­ve und Das Ding.

Inter­es­sant und sogar unter­halt­sam wur­de es erst in der letz­ten Dis­kus­si­ons­run­de. Das inter­es­san­te war das The­ma „Cam­pus­ra­di­os auf dem Weg von der ana­lo­gen in die digi­ta­le Welt“ (Live­blog), das unter­halt­sa­me war unter ande­rem die Mode­ra­ti­on von Radio-Q-Urge­stein Dani­el Fie­ne. Wäh­rend das „Impuls­re­fe­rat“ von Mat­thi­as Felling die Idee des „digi­ta­len“ noch sehr weit fass­te (Digi­tal­ra­dio, Inter­net, Pod­casts, mobi­le End­ge­rä­te), ging es anschlie­ßend lei­der fast nur noch um das The­ma Digi­tal­ra­dio, von dem alle immer wie­der beton­ten, dass das noch Zukunfts­mu­sik sei. Vom Dach­ver­band Cam­pus­Ra­di­os NRW (ange­sichts der Tat­sa­che, dass dort nicht alle Cam­pus­ra­di­os NRWs ver­tre­ten sind, soll­te man viel­leicht bes­ser von einem „Vor­dach­ver­band“ spre­chen) gab es noch zu hören, dass es ihn seit zwei Jah­ren gibt, was sich im Wesent­li­chen mit mei­nen Erfah­run­gen in die­sem Ver­ein deck­te. Denn so gut und wich­tig die Idee ist, eine gemein­sa­me Ver­tre­tung zu haben: Die Idee, meh­re­re unab­hän­gi­ge Sen­der irgend­wie koope­rie­ren zu las­sen, äußert sich auf einer höhe­ren Ebe­ne ja vor allem durch Gre­mi­en-Ter­ror.

So ende­te der Cam­pus-Radio-Tag (sieht das Wort nicht herr­lich albern aus mit den gan­zen Bin­de­stri­chen?) lei­der ohne einen nen­nens­wer­ten Erkennt­nis­ge­winn für mich. Noch vor dem Gespräch mit NRW-„Innovationsminister“ Andre­as Pink­wart, der Ver­lei­hung des Cam­pus­ra­dio-Prei­ses und dem gemein­sa­men Abend­essen ver­ließ ich die Ver­an­stal­tung. Ich muss­te unbe­dingt Bay­ern Mün­chen ver­lie­ren sehen.

P.S.: Ich dan­ke Schandmaennchen.de für die Inspi­ra­ti­on für die Über­schrift.