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Song des Tages: Five For Fighting – Superman

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Zum ersten Mal gehört: Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, glaube aber, dass es auf “Songs from ‘Dawson’s Creek’, Vol. 2” war. Irgendwann im Herbst 2001 könnte zeitlich passen.

Wer musiziert da? Five For Fighting, der Projektname von John Ondrasik. Zur Jahrtausendwende hätte das das nächste große Ding in einem Genre werden können, das wir mal “College Rock” nennen wollen und das erst von R.E.M. und dann von den Counting Crows dominiert wurde. Statt Five For Fighting gelang dann ein paar Jahre später The Fray der mittelgroße Durchbruch.

Warum gefällt mir das? Nun ja: Klavier, Melancholie — gewisse Wirkprinzipien sollten hier inzwischen klar geworden sein. Aber es ist vor allem der Text, der mich hier begeistert: Der Comic-Held Superman erklärt, dass er das Fliegen nicht abkönne, dass er Heimweh habe, dass er auch als Held das Recht hätte, Schwäche zu zeigen. Und als wäre das nicht schon tragisch genug, schließt er dieses Wehklagen ab mit dem Hinweis: “Well, it’s alright / You can all sleep sound tonight / I’m not crazy or anything”. Da ist er schon wieder ganz in der Pflichterfüllung angekommen. Die halb banale, halb bedrückende Botschaft: Superhelden sind also auch nur Menschen — also genau das, was uns jeder Superhelden-Film seit “Spider-Man” mit zunehmender Schwere und Humorlosigkeit vorbetet.

[Alle Songs des Tages — auch als Spotify-Playlist]

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Nichts mit Waterloo

Das Maß, in dem britische Nachwuchsbands häufig gehypt werden, ist für Deutsche oft überraschend. Aber in Großbritannien gibt es eben relevante Musikzeitschriften, die noch dazu teils wöchentlich erscheinen und deshalb viel mehr Künstler aufs Cover packen können, und man hat eh ein anderes Verhältnis zur Popkultur.

Oh, Napoleon live

Dass eine deutsche Nachwuchsband schon renommierte internationale Acts supporten darf, bevor sie selbst auch nur irgendwas veröffentlicht hat, kommt dagegen eher selten vor. Oh, Napoleon ((Bandnamen, die Satzzeichen enthalten, stören den Lesefluss leider immer ein bisschen (vgl. Therapy?, WHY?, Get Cape. Wear Cape. Fly, Portugal. The Man oder Loney, Dear) — aber schöner als der vorherige Bandname Your Dumb Invention ist Oh, Napoleon auf alle Fälle. Außerdem gibt es einen Song von The Acorn, der “Oh Napoleon” heißt.)) haben schon mehrfach vor Portugal. The Man und Starsailor (bei denen ich sie auch entdeckt habe) gespielt, ihre erste EP ist aber erst vor elf Tagen erschienen.

Gut, man sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass die Band von Marc Liebscher (Sportfreunde Stiller) gemanagt wird, einen Vertrag mit Universal hat und auch sonst über einige wichtige Förderer verfügt. Das macht die Sache mit den Support-Slots vielleicht einfacher, aber solche Hintergründe nützen auch nicht viel, wenn die Musik nicht stimmt.

Oh, Napoleon liveAber wie die Musik stimmt: Fand ich die Band live schon ziemlich gut, vermisste aber so ein bisschen die Spannung, hat mir die selbstbetitelte Debüt-EP vom ersten Moment an die Schuhe ausgezogen. Der Sound, für den Produzent Oliver Zülch (noch so ein großer Name: The Notwist, Slut, Die Ärzte, Juli, …) verantwortlich zeichnet, ist glasklar. Die Gitarren, das Klavier und die Rhythmusgruppe bilden eine sehr gute Grundlage für die – Hilfe, ich muss schon wieder eine ausgelutschte Musikjournalistenvokabel benutzen! – ausdrucksstarke Stimme der Sängerin Katrin Biniasch.

Die vier Songs erinnern an Kathleen Edwards, ((Ja ja, zugegeben: Ich hab auch ewig gebraucht, um Regina Spektor zu entdecken. Aber wie kann es denn sein, dass Kathleen Edwards hierzulande derart übersehen wird?)) die Cardigans in ihrer “Long Gone Before Daylight”-Phase und diverse amerikanische Singer/Songwriterinnen, die man vor allem aus dem Soundtrack von “Dawson’s Creek” kennt. Folkpop im besten Sinne, ideal für den Herbst und sicherlich auch voll radiotauglich.

Der Opener “To Have (To Lose)” ist schwungvoll, danach geht es entspannt zu. In den Texten geht es um Beziehungsenden, Einsamkeit und Liebe, “K” ist mit seinem etwas repetitiven Refrain bei mir am nachdrücklichsten hängen geblieben. Und wenn die Männerstimmen in “A Book Ending” nicht mehr nur formvollendete “Uuuuuh”-Chöre bilden, sondern mit eigenem Text und Gesangslinie in den Lead-Gesang reingrätschen, ((Na ja, vielleicht schmiegen sie sich auch eher an den Lead-Gesang an. Gegrätscht wird bei Oh, Napoleon nicht.)) ist das noch mal ein ganz großer Gänsehautmoment.

Seit langem (also: seit First Aid Kit im Februar) hat mich kein Newcomer so sehr begeistert wie Oh, Napoleon. War Krefeld musikalisch bisher nur durch Blind Guardian und Andrea Berg aufgefallen, ((Parallelen zu anderen niederrheinischen Städten mit berühmten Popschlagerinterpreten und Nachwuchsbands deuten sich am Horizont an.)) könnte sich das Dank dieser fünf unverschämt jungen Musiker schon bald ändern. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland einen Markt für solche Musik gibt, ((Und ob man auf dem nicht ein ähnliches Schicksal erleiden könnte wie das One-Hit-Wonder Bell, Book And Candle.)) aber ich denke schon, dass Oh, Napoleon sehr schnell den Status des Geheimtipps loswerden dürften. Im Frühjahr 2010 soll das Album erscheinen — bis dahin werde ich die EP vermutlich ein paar hundert Mal gehört haben.

Oh, Napoleon - Oh, Napoleon EP (Cover)
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Livefotos: © Martina Drignat.

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Rundfunk Gesellschaft

Vom Fernsehen und der Wirklichkeit

Gestern Abend habe ich die dritte Staffel meiner neuen Lieblingsserie “Skins” auf DVD zu Ende geguckt (die übrigens wieder sehr gut ist). Anschließend hing ich der nicht gerade neuen Frage nach, was eigentlich eine Fernsehserie – und sei sie noch so realistisch – von der Wirklichkeit unterscheidet.

Ein Schlüssel liegt in den Staffeln, in denen Serien ausgestrahlt werden, und vor allem an deren Finalen: Lose Enden werden zusammengefügt, lange aufgestaute Konflikte endlich gelöst und am Ende schippern die Hauptfiguren in den Sonnenuntergang. ((Ich sag nur: dritte Staffel “Dawson’s Creek”!)) Pünktlich zum Beginn der neuen Staffel gibt es dann neue Konflikte.

Die Wirklichkeit kennt natürlich so etwas ähnliches: Jedes Jahr endet mit einem Weihnachtsfest, auf das ab dem beginnenden Herbst alles hinsteuert, und das immer wieder dafür herhalten muss, einem ansonsten hin- und herschlingernden Jahr einen würdigen Abschluss zu geben. ((Und bestehe der nur aus Geschenken und Verwandtenbesuchen.)) Schuljahre enden auch mit großen Ereignissen und gehen danach in eine Auszeit, die wir Ferien nennen. ((Deshalb haben Jugendserien eine dankbarere und fast immer bessere Dramaturgie als Serien mit Erwachsenen als Hauptpersonen. “Emergency Room” hat sogar mal das Kunststück vollbracht, zum Beginn einer neuen Staffel direkt an den Cliffhanger der vorhergehenden Folge anzuschließen, während in der Rahmenhandlung mehrere Monate vergangen sind.)) An die letzten Jahre an meinem Gymnasium kann ich mich wegen der klaren zeitlichen Struktur bestens erinnern, während ich bei manchen Ereignissen in meiner Studienzeit nicht mal weiß, in welchem Jahr sie eigentlich stattgefunden haben.

Und dennoch: Wir können uns die Wirklichkeit durch Zeitzyklen zu strukturieren versuchen, aber sie findet doch unabhängig von derartigen Dramaturgien statt. Die Welt dreht sich weiter, egal ob jemand stirbt und jemand anders nicht über diesen Verlust hinweg kommt, egal ob jemand um sich schießt oder ein Haus einstürzt, ((Wenn ich mich recht entsinne wiederum “Emergency Room”, nicht Deutschland im März 2009.)) egal ob man sich trennt oder zusammenkommt. ((Eine Beziehung ist übrigens das, was anfängt, wenn im Kino der Abspann läuft oder man das Buch zuschlägt, nachdem sich die beiden Liebenden endlich gefunden haben.))

Es ist dieses Immer-weiter-Gehen, das das Leben von seinen medialen Abbildungen unterscheidet. Daily Soaps sind – formal betrachtet – daher sehr viel realistischer als abgeschlossene Filme, weil immer wieder neue Menschen hinzukommen, die vom Schicksal dahingerafft werden können. ((Der Regisseur Niko von Glasow hat mir mal erzählt, Daily Soaps seien “gute Geschichten, nur scheiße gemacht.”))

Überhaupt, der Realismus: Da belächelt man die Familie Beimer, weil sich die Eltern scheiden lassen, der eine Sohn zwischendurch Nazi wird und dann eine komische Frau heiratet, während der andere auf dem Weg zur neuen Hochzeit seiner Mutter ums Leben kommt (und das alles innert 20 Jahren und mehr) — aber es bedarf nur eines Telefonats mit der eigenen Mutter, um Geschichten aus seiner Heimatstadt zu hören, die so absurd und unrealistisch erscheinen, dass man einen Autoren geschlagen hätte, wenn er damit angekommen wäre.

Wirklichkeitsnähe ist ja sowieso kein Wert an sich, sonst bräuchte man ja gar nichts anderes mehr als ein paar doofe Realityshows und die Schilderungen der Nachbarin aus dem ersten Stock. “Skins” ist ja beispielsweise so gut, weil das, was Millionen Jugendliche jeden Tag erleben, sortiert, künstlerisch überhöht und dann von und mit kompetenten Leuten gut umgesetzt wurde. Die Geschichte eines alten Mannes, der unbedingt einen Fisch fangen will, wird ja auch erst spannend, wenn man sie ordentlich erzählen kann.

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Rundfunk

Leute Häute

Vor vielen, vielen Jahren war “Dawson’s Creek” meine liebste Fernsehserie. Nicht nur, weil sie gut gemacht und sehr stimmungsvoll war, und nicht nur, weil sie damals auf dem idealen Sendeplatz (Sonntagnachmittag) lief — die Serie hatte auch viel mit meinem Leben gemein: Ich war eindeutig Dawson Leery (ich wollte ja selber lang genug Regisseur werden), mein bester Freund war eindeutig Pacey Whitter und für einen halben Sommer hatten wir sogar eine Joey Potter. Dann wechselte “Dawson’s Creek” in Deutschland den Sendeplatz, die Serie wurde immer dramatischer und merkwürdiger und die letzten drei Staffeln habe ich (bis auf das große Finale) nie gesehen.

Während Katie “Joey Potter” Holmes eine Beziehung mit Tom Cruise begann und uns lehrte, dass die tollsten Mädchen immer bei den größten Freaks enden, lief eine neue Jugendserie an: “O.C., California”. Die hatte mit meinem Leben schon weniger zu tun (mal von Seth Cohens, also meinem Musikgeschmack abgesehen), war aber immerhin eine Staffel lang gut und unterhaltsam. Dann wurde sie erst schal, dann sehr, sehr schlimm, dann eingestellt.

Ich war zu alt geworden für Jugendserien. Meine neuen Lieblingsserien hießen “Scrubs”, “Dr. House” und “Weeds” und hatten vordergründig nichts mehr mit meinem Leben als Nicht-Mediziner und Nicht-Kiffer am Hut.

Und dann kam – Gottseidank, wir haben soeben die Einleitung hinter uns gebracht! – “Skins”. Bei Julia hatte ich etwas über die Serie gelesen und da ich das unbestimmte Gefühl hatte, vorher schon mal lobende Worte vernommen zu haben, guckte ich mir die erste Folge im Internet an.

Ich war so begeistert, dass ich – so viel zum Thema “Copy kills irgendwas” – Minuten später die DVDs der ersten beiden Staffeln bestellte. Natürlich bei amazon.co.uk, wo ja im Moment alles so herrlich günstig ist, und sich Serien-Fans deshalb reihenweise ins Unglück stürzen. Ich hatte vorher noch nie das Bedürfnis gehabt, Fernsehserien auf DVD zu gucken (meine erste Staffel “Dawson’s Creek” habe ich bis zur vierten oder fünften Folge geschafft), aber “Skins” wollte ich unbedingt sehen. Sonntag Abend hatte ich bestellt, Mittwoch früh war das Paket da.

Die Serie hat dabei den (für soziale Restkontakte sehr nützlichen) Vorteil, dass die ersten beiden Staffeln zusammen aus nur 19 Folgen á 45 Minuten besteht, was man theoretisch locker an einem Wochenende weggucken könnte.

Aber worum geht’s eigentlich? Um eine Gruppe von Teenagern in Bristol und ihre Probleme mit Schule, Eltern, Liebe, Sex und sich selbst. Nun bin ich selbst nicht mehr 17 (ich war selbst mit 17 kein großer Partygänger) und kenne mich besonders mit britischen Jugendkulturen nicht hundertprozentig aus, aber ich habe das Gefühl, die Serie könnte zum Realistischsten zählen, was man je auf dem Gebiet der Jugendserie gesehen hat. (Was wiederum am 23-jährigen Jamie Brittain liegen könnte, der die Serie gemeinsam mit seinem Vater Bryan Elsley entwickelt hat.)

Da “Skins” keine amerikanische Serie ist, dürfen die jungen Hauptpersonen hemmungslos fluchen, Drogen konsumieren, in Unterwäsche rumlaufen und Sex haben. Und trotzdem ist “Skins” nicht nur eine Jugendserie, sie funktioniert auf vielen Ebenen: Die Dialoge sind oftmals brillant, Kameraarbeit und Tonschnitt fügen eine eigene Erzählebene hinzu und überhaupt ist die ganze Serie so voll von literarischen Anspielungen (und ein paar auf “Dawson’s Creek” und “The O.C.”), dass man selbst mit einem Magister in griechischer Mythologie noch seinen Spaß daran haben kann.

Große Konflikte um Loyalität, Religion, Sexualität und Entscheidungen werden holzschnittartig, aber gar nicht mal so plump verhandelt. Die Darsteller sind durch die Bank gut, im gleichen Alter wie ihre Rollen und nicht übertrieben hübsch (man sieht regelmäßig deutlich ihr notdürftig überpuderten Pickel). Nicholas Hoult, der den coolen Tony spielt, kennt man noch aus “About A Boy”, alle anderen wird man sicherlich noch in irgendwelchen großen Filmprojekten wiedersehen. Sogar ich habe mit dem nerdigen Sid wieder eine Identifikationsfigur.

Das einzige, was ich an “Skins” kritisieren könnte, ist der klassische Serien-Fluch: In der zweiten Staffel sind ein paar Konflikte zu viel in die Drehbücher gerutscht. Zwar bewegt sich alles noch im realistischen Rahmen (Schicksalsschläge treten ja bekanntlich immer in Gruppen auf), aber ein kleines bisschen weniger wäre auch okay gewesen. Und dann ist am Ende von Staffel 2 plötzlich Schluss mit den altbekannten Gesichtern der ersten beiden Staffeln und in der dritten (die im Moment im UK im Fernsehen läuft) geht es um ganz andere Personen. Das ist ein guter Kunstgriff, den die Autoren da gemacht haben, um ihre Charaktere nicht totzuerzählen, aber nach allem, was man gemeinsam “durchgemacht” hat, schmerzt der Abschied schon.

Sie entnehmen meinen ungewohnt euphorischen Schilderungen, dass “Skins” eine Serie ist, die jeder, wirklich jeder, von Ihnen gesehen haben sollte (einzige Ausnahme: Eltern von Kindern, die gerade zwischen 15 und 18 Jahre alt sind). Ich habe in meinem Leben keine Fernsehserie gesehen, die so witzig, aufrichtig, realistisch, traurig, sexy, wahr und großartig ist, wie “Skins” — und dann haben die Macher auch handwerklich noch alles richtig gemacht.

Bei aller Verehrung für die amerikanische Popkultur: Das haben die Briten wirklich verdammt gut hingekriegt.