Gestern, auf dem Weg nach hause, hatte ich die Idee, “Reiß die Trauer aus den Büchern” von Jupiter Jones zum heutigen Song des Tages zu machen. Zum einen, weil es auch nach zehn Jahren immer noch ein unglaublich guter Song ist, aber auch ein bisschen, um mich und alle anderen daran zu erinnern, wie diese Band mal angefangen hat. Und wegen der Textzeile “Hebt die Gläser für John Keating”.
Heute erwachte ich zu der Nachricht, dass Robin Williams, der den Lehrer John Keating in Peter Weirs “Der Club der toten Dichter” gespielt hatte, gestorben ist.
Wir haben “Der Club der toten Dichter” in der zehnten Klasse im Deutschunterricht gelesen, was insofern ein bisschen absurd ist, weil es sich um ein ursprünglich englischsprachiges Buch handelte, das auf Grundlage des Drehbuchs zu einem Hollywood-Film geschrieben wurde. Und “gelesen” habe ich es, wie ungefähr alle Lektüren in der Schulzeit, allenfalls quer. Natürlich haben wir uns auch den Film angesehen, von dem ich weniger über Literatur gelernt habe (noch heute werde ich mit Lyrik nicht so richtig warm), aber viel über unpassende Synthesizer-Klänge und über Pathos.
Die Schlussszene, wenn die Schüler auf ihre Tische steigen und die erste Zeile aus Walt Whitmans “O Captain! My Captain!” rezitieren, während Ihr Lehrer John Keating abberufen wird, traf mich mit ungeheurer Wucht ins Herz. Sie sorgte dafür, dass ich im Real Life häufig von Abschieden etwas enttäuscht war, weil sie mit dieser Fiktion nicht mithalten konnten. Ich sehe eine direkte Linie zwischen dieser Szene und meiner Begeisterung für leicht melodramatische amerikanische Popkultur (“Dawson’s Creek”, Springsteen, Bücher von John Green) und für die Lieder von Tomte. Schon an normalen Tagen kann ich diese Szene nicht anschauen, ohne Gänsehaut und feuchte Augen zu bekommen.
Meine erste richtige “Begegnung” mit Robin Williams lag zu dieser Zeit schon fünf Jahre zurück: Mit zehn hatte ich “Mrs. Doubtfire” gesehen und für einige Jahre zu meinem Lieblingsfilm erkoren. Ich muss den Film in dieser Zeit buchstäblich Dutzende Male gesehen haben.
Robin Williams spielt darin den Vater Daniel Hillard, der seine Kinder nach der Trennung von seiner Frau zu selten sehen darf und sich deshalb als Kindermädchen verkleidet, um ihnen dennoch nahe sein zu können. Ich bezweifle, dass mir das als Zehnjährigem aufgefallen ist und es ist schon Jahre her, dass ich den Film zuletzt gesehen habe, aber in der Erinnerung ist es eine unglaubliche Mischung aus Klamauk und Warmherzigkeit, die diesen Film ausmacht — und aus schrecklichen 90er-Jahre-Klamotten.
Die jetzt zitierten essentiellen Robin-Williams-Filme wie “König der Fischer” oder “Hook” habe ich nie gesehen, aber viele andere: “Jumanji”, “Good Morning, Vietnam”, “Good Will Hunting” und die deutlich düstereren “One Hour Photo” und “Insomnia”, in denen er den Psychopathen hinter der Maske des netten Jedermanns gab. Wer, wie ich, die Filme überwiegend der deutschen Synchronfassung kennengelernt hat, für den ist Williams’ Gesicht untrennbar mit der Stimme von Peer Augustinski verknüpft, der zwischendurch nach einem Schlaganfall lange pausieren musste. Es ist sicherlich nicht einfach, jemanden wie Williams zu sprechen, der in den albernen Szenen selbst ständig die Stimme wechselte und in anderen Momenten eine ungeheure Weisheit, Ruhe und Melancholie ausstrahlen konnte, aber Augustinski hat dies meisterhaft gemacht.
Robin Williams war irgendwie immer in Sichtweite, so wie der etwas merkwürdige Onkel in einer Familie, von dem man mal gute, mal schlechte Nachrichten hört: in den letzten Jahren las man von einem Entzug, einer Herz-OP und von einem Comedian, der nach Jahrzehnten des Strauchelns mit sich selbst im Reinen schien. Seine neue TV-Serie “The Crazy Ones” – von der ich Dank der Kurzatmigkeit von ProSieben eine Folge gesehen habe – wurde nach nur einer Staffel eingestellt, aber es gab wohl recht konkrete Pläne für eine Fortsetzung von “Mrs. Doubtfire”.
Robin Williams ist im Alter von 63 Jahren gestorben. Er litt offenbar an Depressionen, was einen Reigen von “Trauriger Clown”-Artikeln nach sich ziehen dürfte. Dabei war er deutlich mehr als nur das.
Hebt die Gläser für Robin Williams!