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Leben

In memoriam Renate Erichsen

Ich schreibe jetzt seit über 25 Jahren: Schulaufsätze, Liedtexte, Drehbücher, Rezensionen, Artikel, Seminararbeiten, Blogeinträge, Vorträge, Witze, Moderationen, Newsletter, Tweets, … 

Letzte Woche gab es eine Premiere, auf die ich auch noch ein paar Jahre hätte verzichten können: Ich habe meine erste Trauerrede geschrieben und gehalten — auf meine Oma, die heute vor einem Monat im Alter von 84 Jahren gestorben ist.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich darüber etwas schreiben soll, weil es ja nicht nur um mein Privatleben geht, sondern auch um das meiner Oma und meiner Familie, deswegen will ich nicht ins Detail gehen, aber andererseits war meine Oma medial bis zuletzt fit, hat mein Blog (und andere) gelesen, “Lucky & Fred” gehört (weswegen ich ihren Tod auch in der letzten Folge thematisiert habe) und mit uns Enkeln per Telegram kommuniziert (WhatsApp lief nicht auf ihrem iPad). Außerdem gab es ja sonst keine Nachrufe auf sie und mutmaßlich wird man auch keine Straßen nach ihr benennen oder ihr Statuen errichten.

Renate Erichsen, die für uns nur Omi Nate war, wurde 1932 in Berlin geboren, während des Krieges floh ihre Familie nach Fehmarn und ließ sich dann später in Dinslaken (of all places) nieder. Sie war, wohl auch deshalb, politisch und gesellschaftlich sehr interessiert und wollte von ihren Enkelinnen und Enkeln immer wissen, wie wir über bestimmte Dinge denken. 

Die Renationalisierungen, die in der EU – aber nicht nur dort – in den letzten Jahren zu beobachten waren, bereiteten ihr große Sorgen, politische Strömungen wie AfD und Donald Trump auch. “Das habe ich alles schon mal erlebt”, sagte sie dann und es gab keine Zweifel daran, dass sie das nicht noch mal haben musste — und auch niemandem sonst wünschte.

Bei einem unserer Telefongespräche nach dem Brexit-Referendum im vergangenen Jahr beklagte sie sich darüber, dass so wenige junge Menschen zur Wahl gegangen waren — aber auch und vor allem, dass so viele alte Menschen über die Zukunft der Jungen abgestimmt und ihnen damit die Zukunft verbaut hätten. Obwohl sie, wie sie oft erwähnte, eine kleine Rente hatte, stimmte sie bei Wahlen lieber so ab, wie sie es für “die jungen Leute” (also: uns) für richtig hielt.

All das und einige andere Dinge habe ich versucht, in meine Rede einzubauen und dabei festgestellt, dass das auf ein paar Seiten Text gar nicht so einfach ist. Klar: Auch in meinen journalistischen Arbeiten ist nie Platz für alles, aber die fühlen sich nicht an, als müssten sie ein Thema (oder in diesem Fall: ein Leben) quasi “abschließend” verhandeln.

Vor der Trauerfeier war es auch so, dass ich hauptsächlich an meine Rede gedacht habe, was sich einerseits total egoistisch und fehl am Platze anfühlte, andererseits aber eine ganz gute emotionale Ablenkung war — und ich wollte ja auch, dass die Rede einigermaßen gut und vor allem angemessen wird.

Ich habe deshalb auch noch mal die Rede gegoogelt, die Thees Uhlmann von Tomte im Februar 2004 (Wahnsinn, wie lang das schon wieder her ist!) auf der Beerdigung von Rocco Clein gehalten hat — für meine Zwecke nur bedingt hilfreich, aber auch all die Jahre später immer noch groß, gewaltig und tröstend. Und bei der Suche bin ich auch auf ein Doppelinterview mit Thees und Benjamin von Stuckrad-Barre gestoßen, das letztes Jahr im “Musikexpress” erschienen ist. Die beiden liegen mir ja eh sehr am Herzen (im Sinne von: ich würde ohne die beiden vermutlich gar nicht schreiben — oder zumindest nicht so, wie ich es jetzt – auch hier, gerade in diesem Moment – tue), aber es ist auch so ein schönes Gespräch, in dem es auch um besondere Menschen geht.

Und so erschien mir der Rückweg aus Dinslaken nach Trauerfeier, Urnenbeisetzung, Kaffeetrinken und sehr engem familiären Beisammensein dann auch der richtig Zeitpunkt, um nach Jahren mal wieder “Hinter all diesen Fenstern” zu hören, das Album mit dem Tomte damals in mein Leben gekracht waren und das ich damals ganz oft im Zug von Dinslaken nach Bochum und zurück gehört hatte.

Es war sicherlich auch den besonderen Umständen geschuldet, dass mich das Album noch einmal mitten ins Herz traf: “Schreit den Namen meiner Mutter, die mich hielt”, “Das war ich, der den wegbrachte, den Du am längsten kennst”, “Es könnte Trost geben, den es gilt zu sehen, zu erkennen, zu buchstabieren”, “Von den Menschen berührt, die an dem Friedhof standen, am Ende eines Lebens” — ich hätte mir sofort das gesamte Album tätowieren lassen können.

Dieses Gefühl, dass da jemand vor inzwischen 15 Jahren ein paar Texte geschrieben hat, die etwas mit seinem damaligen Leben zu tun hatten, und dass diese Texte dann zu verschiedenen Zeitpunkten im eigenen Leben in einem genau die wunden Stellen treffen und gleichzeitig wehtun und beim Heilen helfen: Wahnsinn! Immer wieder aufs Neue!

Und dann noch mal die liner notes zum Album lesen und immer wieder nicken und sich verstanden fühlen. Meine Oma hat Zeit ihres Lebens alle Literatur verschlungen, derer sie habhaft werden konnte — “ich habe mehr durch Musik gelernt, als durch Bibliotheken”, sang wiederum Thees Uhlmann auf der finalen Tomte-Platte.

Im Übrigen hat sich herausgestellt, dass so ein Tod (zumindest, wenn er nach einem langen und erfüllten Leben kam und die Verstorbene sich angemessen verabschieden konnte) ein vielleicht etwas abseitiger, aber zuverlässiger Gesprächsmotor ist. Ich habe jedenfalls in den letzten Wochen viele sehr gute Gespräche mit engen Freunden, aber auch ganz anderen Menschen geführt.

Dieser Text erschien ursprünglich in meinem Newsletter “Post vom Einheinser”, für den man sich hier anmelden kann.

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Gesellschaft

Der Untergang des Abendbrotlandes

Schon immer kam alles Schlechte aus den USA: Die Meinungsfreiheit, das Frauenwahlrecht, der Rock’n’Roll und das Fast Food. Der neueste (na ja: “neueste”) Angriff auf die deutsche Kultur ist ein Fest, das von denen, die es begehen wollen, heute begangen wird: Halloween.

Eines vorab: Ich hasse es, mich zu verkleiden. Ich habe das als Kind mit großer Begeisterung getan und meinen Vorrat dabei offenbar aufgebraucht. Wer sichergehen will, dass ich nicht zu seiner Geburtstagsfeier komme, richtet einfach eine Bad-Taste- oder Mottoparty aus. Es kostet mich schon Überwindung, einen Anzug zu tragen oder Hosen, die keine Jeans sind. Als ich vor sechs Jahren den Herbst in Nordkalifornien verbrachte, fand ich mich allerdings plötzlich in einem eilig aus grünen Filzbahnen zusammengetackerten Ampelmännchen-Kostüm wieder — und hatte großen Spaß. Niemand kannte mich, alle waren sehr aufwendig kostümiert und es herrschte diese feierliche amerikanische Ernsthaftigkeit vor.

Wenn ich mir allerdings einen amerikanischen Feiertag für den Import aussuchen dürfte, wäre es – neben einem Nationalfeiertag im Sommer – Thanksgiving: Die Festlichkeit und Geselligkeit von Weihnachten ohne diesen ganzen Geschenkestress — die Amerikaner verstehen es zu feiern. Halloween ist ja doch eher was für Menschen, die sich vom Kalender vorschreiben lassen, wann sie mal ausgelassen feiern gehen können, und denen Karneval zu spießig ist. ((Mein in Rheinlandnähe aufgewachsenes Herz hätte beinahe geschrieben: die für Karneval zu feige sind.))

Aber gut, muss jeder selbst wissen, wie er seine Freizeit verbringt. Fähnchenschwenkend durch das Pressezentrum bei Eurovision Song Contest zu rennen, fällt bei den meisten Leuten sicher auch eher unter “Special Interest”. Wir sind ein freies Land. Wenn ich mir aber so anschaue, wie heute in meiner Facebook-Timeline westliche Kultur auf westliche Kultur trifft, finde ich, dass die Kontakte mit der islamischen Welt im Großen und Ganzen doch beinahe harmonisch zu nennen sind.

Auf der einen Seite stehen die Leute, die Halloween mit quasi religiösem Eifer begehen. Auf der anderen jene, die sagen, heute sei doch Reformationstag und morgen Allerheiligen. ((Kleiner Ausfallschritt zu Allerheiligen: Es kann meines Erachtens nicht sein, dass in einem Land, in dem die Trennung von Staat und Kirche im Grundgesetz garantiert wird, sogenannte Tanzverbote an kirchlichen Feiertagen ausgesprochen werden. Und auch nicht, dass ein Land an zwei aufeinanderfolgenden Tagen volkswirtschaftlich gelähmt wird, weil am einen Tag in fünf Bundesländern, am nächsten in fünf anderen kirchlicher Feiertag ist. Die Katholiken haben schon Fronleichnam (wenn auch nicht überall), also wären hier mal die Protestanten dran!)) Ja, stimmt. Heute ist auch Weltspartag (außer in Deutschland, das für einen Welt-Irgendwas-Tag natürlich wieder eine Ausnahme brauchte — übrigens wegen des Reformationstags) und morgen – für die, denen die Katholische Kirche nicht ideologisch genug ist – Weltvegantag. Die verrücktesten Geister könnten sich nicht ausdenken, welche Gedenk-, Feier- und Aktionstage es im Laufe des Jahres so gibt, aber sie werden offenbar alle begangen — manche nur von denen, die sie ausgerufen haben, manche von weiten Teilen der Menschheit, wobei durchaus Schnittmengen von Personen möglich sind, die am 15. Oktober sowohl den “Tag des weißen Stockes” als auch den “Internationalen Tag der Frau in ländlichen Gebieten” begehen. Solange niemand einen Reformationstagsgottesdienst stürmt, um “Süßes oder Saures” zu rufen, klappt das auch ganz gut.

Der durchschnittliche Deutsche, die Volksseele, der Michel, Otto Normalverbraucher oder – wie ich ihn heute aus reiner Boshaftigkeit nennen möchte – Jürgen Sixpack hat eine panische Angst davor, dass ihm seine kulturelle Identität verloren geht. Die Angst vor der “Überfremdung” ist nicht auf den Islam oder Flüchtlinge aus Nordafrika beschränkt, sie gilt auch – und ganz besonders – im Bezug auf die USA: Junggesellenabschiede (bei denen ich mir tatsächlich staatliche Intervention wünschte) statt Polterabende, “Handy” statt “Mobiltelefon”, der Weihnachtsmann statt des Christkinds — Amerikanisierung lauert überall. Oder genauer: eine lokale Interpretation davon.

Mit der kulturellen Identität ist das so: Man braucht etwas, woran man sich halten kann, weswegen der Fußball – eine Sportart, die ich liebe, die amerikanische Sportfans aber als stillos und banal betrachten – hier so schön identitätsstiftend Raum greifen kann. Ansonsten sieht’s nämlich so aus: Unsere Städte sehen fast alle gleich trübe und grau aus, so wie Städte eben aussehen, wenn sie sehr schnell und billig wieder aufgebaut werden müssen, weil sie in Schutt und Asche lagen, nachdem es Deutschland mit der kulturellen Identität wirklich auf die Spitze getrieben hatte. Unsere Einkaufsstraßen sehen gleich aus, weil sie mit den immergleichen Filialen deutscher Großbäcker, Drogerie- und Supermarktketten, britischer Körperpflegemittelhersteller, amerikanischer Fastfoodverfütterer und schwedischer Bekleidungshändler vollgestopft sind.

Wohnungen weltweit sind von der Schwedenmafia uniformiert worden und müssten theoretisch alle gleich aussehen, was sie dann aber überraschenderweise doch nicht tun, weil da eben immer noch Persönliches, Individuelles mit reinkommt. Die kulturelle Identität des Einzelnen, der gleichzeitig Stifter und Rezipient der kulturellen Identität einer Gruppe ist.

Wer die Eröffnungs- und Abschlussfeier der Olympischen Spiele in London gesehen hat, erlebte dort einen bunten Reigen britischer Geschichte und – vor allem – Popkultur. Schier unendlich der Fundus an aus England stammenden Welthits, Evergreens und Meisterwerken. Bei uns, so wurde dann schnell geunkt, stünden da Pur, Nena und Xavier Naidoo. ((Na ja, oder halt Kraftwerk, die Erfinder der modernen Popmusik, aber nun gut.)) Das deutsche Fernsehprogramm besteht ja auch überwiegend aus Krimiserien und Quizshows (beides keine genuin deutschen Produkte)

Die kulturelle Identität Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg hat gleich zwei amputierte Beine: Das mit dem Traum vom großen deutschen Volk war gründlich schief gegangen, fand seine Fortsetzung aber in einer Art Light-Version in Heimatfilmen und Volkstümelndem Schlager, und die Leute, die Berlin in den 1920er Jahren zum kulturellen Hotspot gemacht hatten, waren alle vertrieben oder gleich getötet worden. Billy Wilder prägte im Kino fleißig das Amerikabild der Nachkriegszeit, in Deutschland feierte “Grün ist die Heide” unglaubliche Erfolge. Die Jugendbewegungen schwappten in der Folgezeit fast alle aus den USA oder Großbritannien nach Deutschland und mit ihnen der seither andauernde Untergang des Abendlandes — oder präziser vielleicht: des Abendbrotlandes.

Zuvor waren die einst heidnischen Gebiete des heutigen Deutschlands christianisiert worden. Die Gotik war aus Frankreich gekommen, die Renaissance und der Barock aus Italien. Ohne diese äußeren Einflüsse hätten die Bomben der Alliierten allenfalls spätmittelalterliche Fachwerkhäuser, vermutlich eher irgendwelche Steinzeithöhlen treffen können. Eine Zeitlang galt es im Bürgertum als ausgesprochen chic, Maskenbälle venezianischer Prägung abzuhalten. Gehwege nannte man “Trottoir”, ((Kein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde in einem deutschen Satz das Wort “sidewalk” benutzen.)) Aborte “Toilette”.

Überspitzt gesagt ist der Inbegriff von Kultur in Deutschland immer noch Bayreuth, dabei sind die Wagner-Festspiele auch nur eine Art gehobener Karneval: Menschen, die allenfalls den Schlusssatz von Beethovens Neunter von Mozarts “Kleiner Nachtmusik” auseinanderhalten können, verkleiden sich einen Abend als kulturinteressierte Bildungsbürger.

85 Prozent meiner eigenen kulturellen Identität sind von angelsächsischer Popkultur geprägt, der Rest von von angelsächsischer Popkultur Geprägten. Ja, ich mag keine französischen Filme und ein gut sortierter und gut gefüllter HMV löst in mir mehr Glücksgefühle aus als die Sixtinische Kapelle. Ich würde einen Urlaub im verregneten Schottland (und das dortige Pub Food) jederzeit einem Ausflug ans Mittelmeer vorziehen.

Aber ich steige nicht empört auf die Barrikaden (französische Spezialität), wenn Menschen Italienischkurse in der Volkshochschule besuchen, bei Aldi den etwas teureren Rotwein kaufen und ihren Urlaub in der Toscana verbringen wollen.

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Unterwegs Kultur

Mannheim für Deutschland

Gestern noch las ich bei der Riesenmaschine von den 1925 vorgestellten Plänen Le Corbusiers, Paris abzureißen und geordnet neu aufzubauen. “Nun ja”, dachte ich, “typisch Moderne: Tolle Ideen, aber irgendwie dann doch so ein bisschen abgedreht.”

Heute wollte ich einen Besuch in Mülheim an der Ruhr tätigen. Ich war schon etliche Male in der Straße, in dem Haus gewesen, wo ich hinwollte. Zwar war ich noch nie selbst dorthin gefahren, aber ich hatte mir bei Google Maps eine genaue Wegbeschreibung ausgedruckt und hegte ein gewisses Grundvertrauen in meine eigenen Orientierungskünste.

Sie ahnen, wie mein Tag und dieser Text weitergehen: Welch groteske Selbstüberschätzung!

Einen Moment war ich unaufmerksam, war verwirrt, weil Google Maps einem Straßenwechsel anzeigt, wenn sich nur der Name ändert (was in Mülheim/Ruhr an jeder Ampel passiert), und schon fand ich mich bald am Hauptbahnhof, bald im strömenden Regen an einem entlegenen Golfplatz wieder. Ich zerfleischte die Schaumstoffummantelung des Lenkrads, stieß vielfarbige Flüche aus, versetzte meine Beifahrerin in Angst und Schrecken und suchte nur noch nach einem geeigneten Baum, vor den ich das Auto hätte steuern können – aber nicht mal den gab es.

Schließlich rief ich per Telefon um Hilfe und wurde von der Gastgeberin mit einem Follow-Me-Fahrzeug zum Ziel gelotst. Natürlich war ich mehrfach haarscharf an der richtigen Straße vorbeigefahren, hätte nur einmal links und sofort wieder rechts fahren müssen und wäre am Ziel gewesen. Aber die Kreuzung war so übersichtlich gewesen wie ein Verteilerkasten der Deutschen Telekom, überall waren Autos und die wenigen Straßenschilder, die mit dem menschlichen Auge überhaupt zu erkennen gewesen wären – von der Straße aus, aus einem sich bewegenden Fahrzeug -, waren mit Straßennamen beschriftet, die in meinem spärlichen Google-Ausdruck schlichtweg nicht vorkamen.

Und da dachte ich mir: Warum fahre ich eigentlich durch so grauenhaft verschlungene Städte, deren Stadtpläne einer Röntgenaufnahme des menschlichen Darms oder einer Rosinenschnecke nachempfunden zu sein scheinen? Dieses Land, insbesondere das Ruhrgebiet, ist doch im zweiten Weltkrieg zu erheblichen Teilen zerstört worden. Warum hat man Straßenzüge, die komplett in Schutt und Asche lagen, in ihrem jahrhundertealten Verlauf wieder aufgebaut? Warum hat nicht wenigstens ein weiser Architekt in dieser vielzitierten “Stunde Null” gesagt: “Wenn wir schon ganz neu anfangen müssen, könnten wir es ja vielleicht ein einziges Mal richtig machen!”? Warum ist Deutschland also heute kein flächendeckendes Mannheim, sondern diese Katastrophe von Oberhausen, Köln und eben Mülheim/Ruhr?

Da meldete sich mein architektonisches Fachwissen und erinnerte mich höflich an Rudolf Hillebrecht und seinen Wiederaufbau Hannovers, dem zunächst ein paar noch verbliebene Gebäude zum Opfer gefallen waren und der noch heute dafür sorgt, dass Hannover wie eine mit scharfem Messer filetierte Pizza in der Landschaft liegt. Und parallel bzw. zueinander orthogonal sind die Straßen dort trotzdem nicht.

Und so bleibt mir wohl als einzige Option der Umzug in die USA, wo die Siedler weiland jede einzelne Stadt mit der Reißschiene in die Landschaft gezimmert haben und wo man Wegbeschreibungen gleichsam als Vektoren (“drei Blocks nach Norden, zwei nach Osten”) angeben kann. In den USA hängen die Ampeln auch hinter den Kreuzungen, was es einem immerhin ermöglicht, sie vom Auto aus auch zu sehen, und man kann bei Rot rechts abbiegen. Allerdings sind zumindest die Innenstädte immer derart verstopft, dass mein Verbrauch an Lenkradummantelungen wohl einfach zu hoch wäre.