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Baby guck mich an, ich bin ein Rockstar

Die gute Nach­richt: Auch nach fünf Jah­ren inten­si­ve­rer Beschäf­ti­gung mit den eher unschö­nen Sei­ten des Jour­na­lis­mus glau­be ich offen­bar immer noch an das Gute in der Bran­che.

Die schlech­te Nach­richt: Des­we­gen habe ich ges­tern Unfug geschrie­ben.

In mei­nem Cro-Kon­zert­be­richt hat­te ich behaup­tet, dass wegen des Foto-Ver­bots für Pres­se-Foto­gra­fen in der Lokal­pres­se kei­ne Kon­zert­re­zen­sio­nen erschie­nen sind. Das war blau­äu­gig.

Die „Ruhr Nach­rich­ten“ been­den ihren Arti­kel mit einer kri­ti­schen ent­täusch­ten Anmer­kung zum Foto-Ver­bot:

Wenig nach­voll­zieh­bar war indes, dass das Manage­ment des Künst­lers kurz­fris­tig alle Foto­gra­fen vom Kon­zert aus­ge­schlos­sen hat­te. Etwa drei Stun­den vor der Show wur­de mit­ge­teilt, dass kei­ne Fotos von exter­nen (Presse-)Fotografen ange­fer­tigt wer­den dür­fen. Ledig­lich die vom Manage­ment frei­ge­ge­be­nen Bil­der durf­ten im Nach­gang der Show benutzt wer­den. Ob sol­che Extra-Würs­te tat­säch­lich von Nöten sind, darf bezwei­felt wer­den. Immer­hin pro­fi­tiert auch der Künst­ler selbst von der Arbeit der Foto­gra­fen und der Pres­se vor Ort.

Dafür wur­den wäh­rend des Kon­zerts tau­sen­de Han­dy­fo­tos gemacht und Vide­os gedreht, die schon wenig spä­ter im Inter­net kur­sier­ten. Kon­se­quen­ter­wei­se hät­te Cros Manage­ment auch alle Han­dys ein­kas­sie­ren las­sen müs­sen – so bleibt ein fader Bei­geschmack. Auch wenn das Kon­zert rich­tig gut war.

Es braucht schon sehr wenig Selbst­ach­tung, um eine Kon­zert­kri­tik, die so schließt, dann mit zwei der vom Manage­ment frei­ge­ge­be­nen Bil­der zu bebil­dern. Da kann man einem bocki­gen Klein­kind, das statt Gemü­se lie­ber Fast Food möch­te, den Bur­ger auch gleich auf dem Sil­ber­ta­blett ser­vie­ren.

Die­se Merk­wür­dig­keit ver­blasst aller­dings völ­lig gegen das Fass, das die „WAZ“ gleich­zei­tig auf­ge­macht und zum Über­lau­fen gebracht hat.

Im über­re­gio­na­len Kul­tur­teil gab Georg Howahl Cro einen „klei­nen Foto­tipp für Pan­dar­ap­per“ mit auf den Weg:

Lie­ber Cro, wenn Du dich dem­nächst, an einem ein­sa­men, kal­ten Win­ter­abend mal wie­der selbst auf den ein­schlä­gi­gen Netz­ka­nä­len suchst: Wäre es da nicht schön, wenn du zur Abwechs­lung auch mal ein gutes Bild oder Video von dir fän­dest? Denk mal drü­ber nach!

„Zur Abwechs­lung“, weil es auf You­Tube „zwölf (!) kräch­zen­de, unschar­fe Wackel­vi­de­os“ von Cros Auf­tritt in Bochum zu sehen gebe, was aller­dings bei genau­er Betrach­tung erstaun­lich wenig mit der Fra­ge zu tun hat, ob Foto­gra­fen Fotos (also: Stand­bil­der ohne Ton) von dem Auf­tritt machen durf­ten.

Auf der glei­chen Sei­te erklär­te der Bochu­mer Lokal­re­dak­teur Jür­gen Stahl:

Die WAZ hat sich ent­schlos­sen, auf eine Kri­tik des Cro-Auf­tritts zu ver­zich­ten. Kei­ne Fotos, kei­ne Kon­zert­be­spre­chung.

Eine kla­re, nach­voll­zieh­ba­re Ansa­ge, die nur leicht davon kon­ter­ka­riert wird, dass die „WAZ“ nicht einen, nicht zwei, son­dern gleich drei Kon­zert­be­spre­chun­gen ver­öf­fent­licht hat.

Eine erschien im Lokal­teil von Hat­tin­gen, eine im Lokal­teil von Wit­ten und eine im Lokal­teil von Bochum.

Letz­te­re geschrie­ben von dem Jür­gen Stahl, der erklärt hat­te, die „WAZ“ wer­de kei­ne Kri­tik des Kon­zer­tes ver­öf­fent­li­chen. Sei­nen WAZ-Kol­le­gen Ingo Otto (in Bochum berühmt für sei­ne beson­de­re Gabe, bei wirk­lich jedem The­ma und Motiv noch eine blon­de jun­ge Frau im Bild zu plat­zie­ren) zitiert Stahl mit den Wor­ten, einen kom­plet­ten Aus­schluss wie bei Cro habe er noch nie erlebt.

Stahl erklärt, dass die Orga­ni­sa­to­ren kei­ne Schuld tref­fe, dann wie­der­holt er sei­ne Ankün­di­gung:

Auf wei­te­re Infor­ma­tio­nen aus dem Spar­kas­sen­zelt müs­sen die WAZ-Leser ver­zich­ten. Die Redak­ti­on hat sich ent­schlos­sen, über das 75-minü­ti­ge Cro-Gast­spiel nicht zu berich­ten. Kei­ne Foto­er­laub­nis, kei­ne Kon­zert­be­spre­chung.

Dann refe­riert er aber doch noch, dass „sämt­li­che 4200 jun­gen Besu­cher die Hit­ze­schlacht unbe­scha­det über­stan­den“ haben, dass „etli­che Kin­der und Jugend­li­che (90 Pro­zent weib­lich) schon Stun­den vor Kon­zert­be­ginn auf Ein­lass“ gewar­tet hat­ten, „um sich die begehr­ten Plät­ze direkt vor der Büh­ne zu sichern“, der „größ­te Tee­nie-Auf­marsch der letz­ten Jah­re in Bochum“ ohne beson­de­re Zwi­schen­fäl­le ver­lau­fen sei und dass ange­sichts der Tem­pe­ra­tu­ren im Zelt das Mit­brin­gen eige­ner Geträn­ke erlaubt war.

Gut: Kein Wort über die Musik, aber Stahl hat es trotz­dem geschafft, mit dem Kon­zert, über das er kein Wort ver­lie­ren woll­te, eine hal­be Sei­te zu fül­len. Das muss­te er natür­lich auch, denn der Platz war ja ver­mut­lich fest ein­ge­plant, außer­dem war der Redak­teur ja auch extra vor Ort gewe­sen.

Also onkelt Stahl auch noch in einem Kom­men­tar:

Wir Medi­en­men­schen machen im Umgang mit Pro­mi­nen­ten immer wie­der eine Erfah­rung: Je grö­ßer der Name, des­to unkom­pli­zier­ter die Zusam­men­ar­beit. Im Musik­ge­schäft ist es beson­ders auf­fäl­lig. Bei­spiel Zelt­fes­ti­val 2012: Wäh­rend die Rock-Legen­den von Sta­tus Quo sofort und ger­ne zu einem WAZ-Leser­tref­fen bereit waren, ließ New­co­mer Cro eine ent­spre­chen­de Anfra­ge unse­rer Zei­tung lan­ge unbe­ant­wor­tet, um schließ­lich abzu­leh­nen. Scha­de, aber bei wei­tem nicht so skan­da­lös wie das Arbeits­ver­bot, dass der Jüng­ling kur­zer­hand offen­bar will­kür­lich vor sei­nem Kon­zert „erließ“. Wer der­art selbst­herr­lich mit Fans und Medi­en umgeht, wird als­bald wie­der dort lan­den, wo er her­ge­kom­men ist: ganz unten.

Nun mögen Sta­tus Quo für Jür­gen Stahl einen gro­ßen Namen haben, aber es geht ja um etwas ganz ande­res als WAZ-Leser­tref­fen. Und beim The­ma „exzen­tri­sche Wün­sche bezüg­lich Kon­zert­fo­tos“ sind Künst­ler wie Lin­kin Park, Cold­play, Brit­ney Spears, The Off­spring, Tom Jones und Ramm­stein schon nega­tiv auf­ge­fal­len. Gro­ße Namen, wahn­sin­nig kom­pli­zier­te Zusam­men­ar­bei­ten.

Auch ist Cro ja nicht „selbst­herr­lich mit Fans und Medi­en“ umge­gan­gen, son­dern „nur“ mit Medi­en. Dass die das nicht gut fin­den, ist klar und ver­ständ­lich, aber es ist ja auch nicht der Unter­gang des Abend­lan­des oder der Pres­se­frei­heit, nicht über ein Kon­zert berich­ten zu kön­nen. Denn was ist ein Kon­zert? Men­schen bezah­len Geld dafür, damit sie ande­ren Men­schen beim Musi­zie­ren zuse­hen kön­nen. Ob Drit­te, die kein Geld bezahlt haben, hin­ter­her drü­ber schrei­ben, ist da erst mal ziem­lich zweit­ran­gig.

Klar: Ohne Medi­en wäre kaum ein Pop­star da, wo er heu­te ist. (Wobei: Wie vie­le Hörer mag Cro der „WAZ“ und den „Ruhr Nach­rich­ten“ ver­dan­ken?) Wenn man sich dann aber den müh­sam gefüll­ten Platz in der Zei­tung und Jür­gen Stahls bil­li­ges „ganz unten“-Gerumpel anschaut, stellt sich schon die Fra­ge, wer hier eigent­lich wen drin­gen­der braucht.

Die Ant­wort weiß Ed Sheeran, der pas­sen­der­wei­se nächs­ten Diens­tag beim Zelt­fes­ti­val Ruhr spielt. Schau­en wir mal, ob mit Foto­gra­fen und Lokal­re­dak­teu­ren oder ohne.

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Wir waren hier

Wir sind alt, sehr alt. Die vie­len jun­gen, meist weib­li­chen Men­schen um uns her­um könn­ten unse­re Kin­der sein – zumin­dest, wenn wir damals so früh geschlechts­reif gewe­sen wären wie sie offen­sicht­lich heu­te. Trotz­dem bie­tet uns nie­mand einen Sitz­platz an, so dass wir auf der 24-minü­ti­gen Fahrt mit dem Shut­tle­bus ste­hen müs­sen. Wenigs­tens ist der kli­ma­ti­siert.

Am Ziel („Frei­zeit­bad Heve­ney“) herrscht eine Stim­mung wie auf einem Schul­aus­flug zum One-Direc­tion-Kon­zert. Mor­gen ist der letz­te Feri­en­tag und heu­te war es den gan­zen Tag so heiß, dass Mama und Papa nichts sagen kön­nen, wenn ihre Töch­ter wenig mehr anha­ben als beim Aus­flug ins Frei­bad. Das hier ist aber Kon­zert, genau­er: Fes­ti­val.

Ich füh­le mich schon wie­der so alt, wenn ich den­ke, dass ich kei­nen Bock mehr auf Zelt­plät­ze vol­ler Skin­ny Jeans, Was­ser­pfei­fen und Akus­tik­gi­tar­ren habe, aber es ist doch wahr: Kon­zer­te besu­chen und anschlie­ßend im eige­nen Bett schla­fen und am nächs­ten Mor­gen duschen kön­nen, das hat eine gewis­se Lebens­qua­li­tät, auch wenn Punk natür­lich anders geht.

Hier, beim Zelt­fes­ti­val Ruhr, soll Punk aber auch gar nicht gehen, son­dern Rap. Oder prä­zi­ser: Raop. Selbst­er­nann­ter König die­ses Sub­gen­res ((vgl. Wend­ler, Micha­el: Der König des Pop­schla­gers.)) ist Cro und wenn Sie noch nie von dem Mann mit der Pan­da­mas­ke gehört haben, waren Sie ver­mut­lich blin­der Pas­sa­gier auf dem Mars­ro­bo­ter Curio­si­ty. Mit „Easy“ hat­te der jun­ge Mann das Kunst­stück fer­tig­ge­bracht, einen Song erst als Teil eines Mix­tapes zu ver­schen­ken und anschlie­ßend bei kom­mer­zi­el­ler Ver­öf­fent­li­chung mit dem Lied trotz­dem auf Platz 2 der Charts zu gehen. Sein Album „Raop“ ging direkt auf 1, blieb dort zunächst vier Wochen, muss­te dann für eine Woche den Ami­gos den Vor­tritt las­sen, wird aber am Frei­tag wie­der auf die Spit­zen­po­si­ti­on gehen. Einen grö­ße­ren Pop­star gibt es zur Zeit in Deutsch­land nicht.

Das zeigt sich auch dar­an, dass am Nach­mit­tag die Ansa­ge an die Pres­se­ver­tre­ter ergeht, dass beim Auf­tritt kei­ne Foto­gra­fen zuge­las­sen sind. In der Lokal­pres­se wer­den ent­spre­chend kei­ne Kon­zert­re­zen­sio­nen erschei­nen.* Es ist ja durch­aus noch ver­ständ­lich, wenn ein (angeb­lich) 19-Jäh­ri­ger öffent­lich nur mit Mas­ke auf­tre­ten und abge­bil­det wer­den will, aber bei Foto­ver­bo­ten auf Kon­zer­ten wird’s dann doch pein­lich. Zumal die mehr als 4.000 Teen­ager im Zelt natür­lich foto­gra­fie­ren und fil­men, was das iPho­ne her­gibt.

Erst mal aber krei­schen sie. Als das Licht aus­geht, als der Beat los­geht, als Cro auf die Büh­ne kommt. Waren wir auch mal so? Bestimmt. Die Zeit, wo man sich wochen­lang auf Kon­zer­te freut, Tage vor­her nur die Musik des auf­tre­ten­den Künst­lers hört, alle Tex­te aus­wen­dig kann und sich auf­bre­zelt wie spä­ter nur noch für Abi­ball und Hoch­zeit, ist kurz und kost­bar. Wenn man im fort­ge­schrit­te­nen Alter nicht gera­de in ein Par­al­lel­uni­ver­sum wie den Euro­vi­si­on Song Con­test stol­pert, ist es mit dem Fan­dom irgend­wann ein­fach vor­bei.

Hier steht es hin­ge­gen in vol­ler Blü­te: Das größ­te Zelt ist aus­ver­kauft, was man nicht ahnen wür­de, wenn man wei­ter hin­ten steht. Die gan­ze Mas­se der Besu­cher ist auf zwei Drit­tel der Flä­che kom­pri­miert. Arme sind in der Luft, die Lyrics parat und die Leu­te begeis­tert. Ein paar Meter hin­ter der Meu­te ste­hen wir, noch ein paar Meter dahin­ter: Eltern. Wir sind doch nicht die Ältes­ten!

Cro live in Bochum

Die Stim­mung ist hehr, die Samples sind cle­ver zusam­men­ge­sucht (Bloc Par­ty, Cae­sars, Kili­ans), kein Track dau­ert län­ger als drei Minu­ten. Wenn man vor­her noch kei­nen Song von Cro gehört hat, kann man das hier nicht ver­ste­hen: Die Tex­te nicht und den Aus­nah­me­zu­stand der Men­schen nicht. Letz­te­res erklärt sich aber vor allem durch Ers­te­re, denn Cros Tex­te loh­nen tat­säch­lich die nähe­re Betrach­tung. Wäre ich noch zwan­zig Jah­re älter, wür­de ich schrei­ben, da habe jemand den Nerv einer Gene­ra­ti­on getrof­fen, sei zu deren Stim­me gewor­den. Viel­leicht fehlt einem irgend­wann der Zugang zu Zei­len wie „Wir schi­cken SMS, denn wir haben kein‘ Bock zu reden /​ Und kein Plan, was du ernst­haft brauchst /​ Komm drück auf Like, sie gefällt dir doch auch“, aber irgend­wo zwi­schen 12 und 30 kann das noch ver­dammt bedeut­sam sein.

Nach 45 Minu­ten ist erst mal Schluss, dann kommt der fast halb­stün­di­ge Zuga­ben­block inkl. „Easy“. Die Hüt­te brennt, Herr Cro muss kaum noch was machen, das Publi­kum rappt selbst. Wir auch. Wenn alt sein so wei­ter­geht, kann ich damit leben.

*) Nach­trag, 22. August: Oder eben doch. „Ruhr Nach­rich­ten“ halt.

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Up and coming

Din­ge, die ich nor­ma­ler­wei­se auf Pres­se­kon­fe­ren­zen mache: Käst­chen auf mei­nen Notiz­block malen; mich über die Fra­gen der anwe­sen­den Jour­na­lis­ten auf­re­gen; in den aus­ge­teil­ten Pres­se­mit­tei­lun­gen lesen, was die Leu­te gleich noch sagen wer­den; The­men­be­rei­che anspre­chen, die noch nicht ange­spro­chen wur­den (sel­ten).

Din­ge, die ich auf Pres­se­kon­fe­ren­zen eher sel­ten mache: Gro­ße Augen krie­gen; nach jemand Ver­trau­tem Aus­schau hal­ten, dem ich freu­de­strah­lend zulä­cheln kann; am Liebs­ten „Yeah!“ brül­len wol­len.

Letz­te Woche war einer die­ser sel­te­ner Fäl­le. Nach­dem für das dies­jäh­ri­ge Zelt­fes­ti­val Ruhr mit Acts wie Sta­tus Quo, Sun­ri­se Ave­nue, Tim Bendz­ko und Sil­ly schon ande­re Ziel­grup­pen ver­sorgt waren, fiel auf der Pres­se­kon­fe­renz der Name Ed Sheeran und ich hät­te am Liebs­ten „Yeah!“ gebrüllt.

Ed Sheeran hat­te ich bei mei­nen Songs und Alben des letz­ten Jah­res sehr weit oben auf der Lis­te. Ver­gan­ge­ne Woche ist sein phan­tas­ti­sches Debüt „+“ auch in Deutsch­land erschie­nen, nach­dem Kat­ja Petri schon ein paar Wochen zuvor sei­nen Song „Lego House“ bei „Unser Star für Baku“ gesun­gen hat­te.

Am 28. August wird Ed Sheeran also beim Zelt­fes­ti­val Ruhr auf­tre­ten und ich wer­de da sein. Der Vor­ver­kauf hat heu­te begon­nen.

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Es gilt das erbrochene Wort

Ich ver­eh­re Jochen Malms­hei­mer seit mehr als einer Deka­de. Ich schrie­be nicht, wenn er und sein dama­li­ger Tre­sen­le­sen-Kol­le­ge Frank Goo­sen mir nicht gezeigt hät­ten, was man alles Schö­nes mit der deut­schen Spra­che anfan­gen kann (der Rest mei­nes Schrei­bens stützt sich auf die Gesamt­wer­ke von Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re, Chris­ti­an Kracht und natür­lich Max Goldt). Des­halb freut es mich beson­ders, dass Herrn Malms­hei­mer das gelun­gen ist, was in unse­rer bei­der Hei­mat­stadt Bochum maxi­mal alle zwei Wochen pas­siert: Er hat einen „Eklat“ aus­ge­löst.

Ort und Grund war die Eröff­nung des Zelt­fes­ti­vals Ruhr, das auch in die­sem Jahr wie­der hoch­ka­rä­ti­ge Künst­ler, aber auch Acts wie Ich + Ich, die Simp­le Minds oder die H‑BlockX an den Gesta­den des male­ri­schen Kem­n­ader Sees ver­sam­melt. Malms­hei­mer war gela­den, ein Gruß­wort zu spre­chen, und er nutz­te die Gele­gen­heit, dass die gesam­te Stadt­spit­ze wehr­los vor ihm saß, zu einer „Sua­da“ („West­deut­sche All­ge­mei­ne Zei­tung“), um „vom Leder zu zie­hen“ (ebd.), zu einer „Lita­nei“ („Ruhr Nach­rich­ten“) und um zu „scho­cken“ (ebd.).

Da ich nicht zu den rund 500 gela­de­nen Wür­den­trä­gern aus Poli­tik, Wirt­schaft und Kul­tur gehör­te (it’s a long way to the top, even in Bochum), muss ich mich auf die Aus­zü­ge aus der elf­sei­ti­gen Rede ver­las­sen, die die „Ruhr Nach­rich­ten“ ins Inter­net gestellt haben. Die­se gefal­len mir jedoch außer­or­dent­lich.

Zum Bei­spiel das, was Malms­hei­mer über das geplan­te, jedoch nicht vor der Wie­der­kehr Chris­ti fer­tig­ge­stell­te Bochu­mer Kon­zert­haus zu sagen hat:

…dies ist die Stadt, die voll­mun­dig, um nicht zu sagen: groß­mäu­lig, die Not­wen­dig­keit zur Instal­la­ti­on eines voll­kom­men unnüt­zen Kon­zert­hau­ses ver­kün­det, ohne einen Bedarf dafür zu haben und die Kos­ten des lau­fen­den Betrie­bes decken zu kön­nen, und das alles in einem Kul­tur­raum, der inzwi­schen über mehr nicht aus­ge­las­te­te Kon­zert­häu­ser ver­fügt, als er Orches­ter unter­hält, und die das alles dann doch nicht hin­kriegt, weil der Regie­rungs­prä­si­dent zum Glück sol­chen und ähn­li­chen Unfug einer Gemein­de unter­sagt hat, die ihre Rech­nun­gen in einer Grö­ßen­ord­nung im Kel­ler ver­schlampt, die unser­ei­nen für Jah­re in den Knast bräch­te und die finan­zi­ell noch nicht mal in der Lage ist, die Frost­schä­den des letz­ten Win­ters im Stra­ßen­netz zu besei­ti­gen…

Den gekürz­ten Rest gibt’s auf ruhrnachrichten.de.

Malms­hei­mers Wor­te jeden­falls ver­fehl­ten nicht ihr Ziel. Ober­bür­ger­meis­te­rin Otti­lie Scholz ließ eine erneu­te Ein­la­dung, sich zu bla­mie­ren, nicht unge­nutzt ver­fal­len, wie die „WAZ“ berich­tet:

Die Ober­bür­ger­meis­te­rin beschwer­te sich bei den Ver­an­stal­tern, die­se distan­zier­ten sich sogleich von ihrem Gast; in sei­nem „pola­ri­sie­ren­den Vor­trag“ habe Malms­hei­mer „für sich selbst gespro­chen“.

Das hat­te Malms­hei­mer selbst frei­lich direkt klar­ge­stellt – aber dafür hät­te man ihm natür­lich zuhö­ren müs­sen:

Dabei möch­te ich gleich zu Beginn dar­auf hin­wei­sen, dass ich, anders als jene, die vor mir adres­sier­ten, aus­schließ­lich für mich sel­ber spre­che, eine Fähig­keit, die ich mir unter Mühen antrai­nier­te und die mich eigent­lich seit­dem hin­rei­chend aus­füllt.

[via Jens]

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Zelt am See

Mit dem Ruhr­ge­biet und der Kul­tur ist das so eine Sache: natür­lich gibt es hier wel­che, aber jeder ver­steht etwas ande­res dar­un­ter. Man wäre ger­ne mehr als man ist (oder zumin­dest anders), wes­we­gen es zwi­schen Duis­burg und Dort­mund eini­ge hun­dert mit­tel­gu­te, aber sat­te (weil tot­sub­ven­tio­nier­te) Thea­ter, Orches­ter und Kul­tur­zen­tren gibt. Dafür kei­ne Love­pa­ra­de, denn wenn man eines im Ruhr­ge­biet noch mehr liebt als Sub­ven­tio­nen und Kom­pe­tenz­ge­ran­gel, dann die Mög­lich­keit, sich auf einer mög­lichst gro­ßen Büh­ne völ­lig zu bla­mie­ren. ((Bochums Ober­bür­ger­meis­te­rin Otti­lie Scholz ließ sich kürz­lich zitie­ren: „Wir in Bochum sind nicht pro­vin­zi­ell!“ Son­dern nur doof und unfä­hig, oder was?))

Das kom­men­de Jahr, in dem das Ruhr­ge­biet „Kul­tur­haup­stadt Euro­pas“ genannt wer­den darf, wird sicher ein völ­li­ges Desas­ter, und eine Gegend, in der man Don­ners­tag­abends um Vier­tel nach Zehn eine hal­be Stun­de auf einen Zug war­ten muss, ((Been the­re, done that.)) der einen in die Nach­bar­stadt bringt, ist vie­les, aber sicher kei­ne inter­na­tio­nal kon­kur­renz­fä­hi­ge „Metro­pol­re­gi­on“.

Bei die­sen Vor­aus­set­zun­gen freue ich mich immer, wenn jemand ankommt und ohne Sub­ven­tio­nen sein eige­nes Ding durch­zieht – es muss ja nicht immer Hoch­kul­tur sein. So gese­hen ist das „Zelt­fes­ti­val Ruhr“, das im ver­gan­ge­nen Jahr erst­ma­lig statt­fand, eine Berei­che­rung für die unüber­sicht­li­che und oft­mals ver­fein­de­te Kul­tur­land­schaft im Ruhr­ge­biet.

Ich war in der Pre­mie­ren­sai­son lei­der nie vor Ort am Kem­n­ader See, ((Der Nah­ver­kehr, s.o.)) aber es heißt, die Mischung aus Ver­an­stal­tun­gen, Gas­tro­no­mie und Kunst­hand­werk­markt sei recht schön gewe­sen. In die­sem Jahr soll natür­lich alles noch schö­ner und grö­ßer wer­den, wie die Ver­an­stal­ter auf der heu­ti­gen Pres­se­kon­fe­renz ankün­dig­ten.

Veranstalter, Sponsoren und ein Kulturdezernent

Bei beleg­ten Bröt­chen und Kaf­fee erfuhr die ver­sam­mel­te Lokal­pres­se, ((Da merkt man den Unter­schied zwi­schen Bochum und Dins­la­ken dann doch: in Dins­la­ken waren wir immer zu zweit bei sol­chen Pres­se­kon­fe­ren­zen, heu­te waren es min­des­tens zwan­zig Jour­na­lis­ten.)) was man sich für die­ses Jahr so alles aus­ge­dacht hat: Das Pro­gramm soll deut­lich aus­ge­wei­tet wer­den, es gibt ein drit­tes Ver­an­stal­tungs­zelt und Koope­ra­tio­nen mit loka­len Ver­an­stal­tern.

Auf der Lis­te der bereits bekannt­ge­ge­be­nen Künst­ler fin­den sich neben Götz Als­mann, Sil­ber­mond, Max Raa­be und Die­ter Tho­mas Kuhn mit Hagen Rether, Hea­ther Nova, Polar­kreis 18, Jochen Malms­hei­mer und den frisch wie­der­ver­ein­ten Selig auch eini­ge Pro­gramm­punk­te, die auch mich inter­es­sie­ren wür­den.

Und dann ist da noch ein Ter­min, den man bei einem regio­na­len Kul­tur­fes­ti­val eigent­lich nicht erwar­tet hät­te: eine spo­ken word per­for­mance von Hen­ry Roll­ins.

Alle Ter­mi­ne und wei­ter Infos gibt es dem­nächst unter zeltfestivalruhr.de