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Rundfunk Fernsehen

Ein Abend mit Soße

Dafür, dass ich gele­gent­lich als „Medi­en­jour­na­list“ bezeich­net wer­de, kon­su­mie­re ich ver­gleichs­wei­se wenig Medi­en: Ich habe kein Abon­ne­ment einer Tages­zei­tung oder Zeit­schrift, ich höre täg­lich etwa 20 Minu­ten Radio am Früh­stücks­tisch und sehe außer­halb von Fuß­ball­über­tra­gun­gen und „Wer wird Mil­lio­när?“ eigent­lich kaum frei­wil­lig fern.

Jetzt aber hat­te ich außer­plan­mä­ßig einen beschäf­ti­gungs­frei­en Abend und weil etwa­ige Dead­lines noch viel zu weit weg waren, um mich halb­fer­ti­gen Pro­jek­ten zu wid­men, such­te ich mir eine Stel­le, an der mei­ne Couch noch nicht kom­plett durch­ge­le­gen ist, und schal­te­te den Fern­se­her ein. Das dau­ert bei mei­nem Digi­tal­re­cei­ver etwa 20 Sekun­den und erklärt viel­leicht, war­um ich so ungern fern­se­he.

Nach einer kur­zen Zap­ping-Ein­ge­wöh­nungs­pha­se lan­de­te ich beim MDR, einem für mich hoch­gra­dig rät­sel­haf­ten Sen­der. Ich geriet mit­ten hin­ein in „Echt – Das Maga­zin zum Stau­nen“, wo gera­de ein paar Feu­er­wehr­leu­te in ein Gebäu­de ein­dran­gen und sofort bewusst­los zu Boden gin­gen. Alles an die­ser Sen­dung wirk­te wie das, was ich von RTL 2 in Erin­ne­rung hat­te: Die nach­ge­stell­ten Sze­nen, die dazu­ge­hö­ri­ge Ton­spur mit dra­ma­ti­scher Musik und bedeu­tungs­schwan­ge­rem Off-Spre­cher, die Inter­views mit Betrof­fe­nen – sogar das Aus­se­hen der Bauch­bin­den, auf denen ihr Name stand. Alles schrie „Action“, und der Kon­trast zu dem bie­de­ren MDR-Logo oben rechts hät­te kaum grö­ßer sein kön­nen.

Tra­di­tio­nell spie­ßi­ges Regio­nal­fern­se­hen war Gott­sei­dank nur einen Tas­ten­druck ent­fernt, beim Hes­si­schen Rund­funk, der gera­de „Die Lieb­lings­ge­rich­te der Hes­sen“ kür­te. Dabei han­delt es sich um eine die­ser Lis­ten-Sen­dun­gen mit „pro­mi­nen­ten“ Stich­wort­ge­bern, die in den drit­ten Pro­gram­me der ARD inzwi­schen alle ande­ren For­ma­te erset­zen. Vom „Focus“ haben die Pro­gramm­ma­cher gelernt, dass sich alles in absur­den Ran­kings abbil­den lässt, und das wird jetzt gna­den­los durch­ge­zo­gen. Allein der HR hat im ver­gan­ge­nen Jahr 25 die­ser Sen­dun­gen aus­ge­strahlt, die Erst­aus­strah­lung der „Lieb­lings­ge­rich­te“ liegt immer­hin schon zwei­ein­halb Mona­te zurück. Ich kam gera­de recht­zei­tig, um u.a. den Komi­ker Bodo Bach, den ARD-Bör­sen­ex­per­ten Frank Leh­mann und ande­re, mir nicht bekann­te Hes­sen bei der Lob­prei­sung der „Grü­nen Soße“ zu beob­ach­ten. Mit gro­ßer Ernst­haf­tig­keit spra­chen sie über die Varie­tä­ten der Rezep­tur, konn­ten mir das gezeig­te Essen oder gene­rell die hes­si­sche Lebens­art dabei aber auch nicht schmack­haf­ter machen.

Auf Eins Extra erwisch­te ich im Anschluss die End­aus­läu­fer einer Wie­der­ho­lung von „Hart aber fair“, was ich eigent­lich aus Prin­zip nicht gucken kann. Im spe­zi­el­len Fall sprach aber gera­de Prof. Hell­muth Kara­sek über die Gemein­sam­kei­ten von Robert Musils „Die Ver­wir­run­gen des Zög­lings Tör­leß“ und dem Inter­net, nach­dem kurz zuvor der mir durch zahl­rei­che Tele­fon­ge­sprä­che bekann­te Medi­en­an­walt Ralf Höcker erklärt hat­te, wie man unlieb­sa­me Infor­ma­tio­nen über sich aus dem Inter­net löschen las­sen kann. „Was zum Hen­ker ist denn da das The­ma“, dach­te ich und war auch schon gefan­gen genom­men von Kara­sek, Höcker, Tho­mas Gott­schalk, Ross Ant­o­ny und Mir­jam Weich­sel­braun, die die Fra­ge ver­han­del­ten, wie viel Öffent­lich­keit der Mensch ver­tra­ge. Der­lei Fern­seh­dis­kus­sio­nen sind ja in der Regel so ergie­big wie Dis­kus­sio­nen im Inter­net, also: gar nicht, und das war doch mal eine schö­ne Erkennt­nis, dass das Inter­net, das Fern­se­hen und Robert Musil so viel gemein­sam haben. Außer­dem muss­te ich durch Zufall die ein­zi­ge Talk­show des Jah­res erwischt haben, in der weder Peter Hint­ze noch Niko­laus Blo­me saßen. Nicht mal Richard David Precht war anwe­send, dafür mach­te Kara­sek den ahnungs­lo­sen Frank Plas­berg kurz mit der Radio­theo­rie des Ber­tolt Brecht bekannt.

Zeit für den ZDF Info­ka­nal und den Mann, auf den ich schon den gan­zen Abend gewar­tet hat­te: Adolf Hit­ler. Irgend­ein His­to­ri­ker oder Medi­en­wis­sen­schaft­ler wird sicher schon her­aus­ge­fun­den haben, dass Hit­ler dank der vie­len Doku­men­ta­tio­nen auf n‑tv, N24 und eben ZDF info fast 70 Jah­re nach Kriegs­en­de pro Tag mehr Sen­de­zeit hat als zu Leb­zei­ten im staat­li­chen Rund­funk. Im kon­kre­ten Fall saß Hit­ler mal wie­der im Bun­ker. Auf einen Spoi­ler-Alert kann ich glaub ich ver­zich­ten, aber eine digi­tal ani­mier­te Kame­ra­fahrt durch den Pri­vat­raum, in dem Hit­ler und Eva Braun star­ben, hat­te ich noch nicht gese­hen. Die anschlie­ßen­de Schil­de­rung, wie ein Zeu­ge den Füh­rer auf­ge­fun­den hat­te, war dann lei­der nicht bebil­dert.

Nicht mit Ani­ma­tio­nen geiz­te auch die anschlie­ßen­de Doku­men­ta­ti­on über den Vesuv und die Gefahr, die von ihm aus­ging. Als hät­te Roland Emme­rich Pli­ni­us den Jün­ge­ren ver­filmt, konn­ten die Zuschau­er den kom­men­den Unter­gang Nea­pels beob­ach­ten, anmo­de­riert von drei armen Wis­sen­schaft­lern, die in einer Lager­hal­le Spiel­sze­nen­ar­tig die Rah­men­hand­lung geben muss­ten. Zusam­men­fas­send lässt sich wohl sagen, dass man so einem Vul­kan­aus­bruch bes­ser aus dem Weg gehen soll­te, wenn er sich denn so ereig­nen soll­te, wie er „zumin­dest nicht unwahr­schein­lich“ skiz­ziert, ach was: in Öl gemalt wur­de.

Da auch Umschal­ten bei mei­nem Recei­ver unan­stän­dig viel Zeit in Anspruch nimmt, blieb ich wei­ter beim ZDF Info­ka­nal, wo sie im Anschluss einen PKW fern­steu­er­ten. Na gut, dann viel­leicht doch noch mal von vor­ne durch­zap­pen. Im Ers­ten tra­fen sich inzwi­schen „Men­schen bei Maisch­ber­ger“ und nach dem irri­tie­ren­den „Hart aber Fair“-Erlebnis war hier wie­der alles wie erwar­tet: Da saßen fünf, sechs Leu­te in einer Sofa­land­schaft und schrie­en sich an. Puh, schnell wei­ter. Im ZDF erklär­te Harald Lesch, wir Men­schen, „Sie, ich, wir alle“, wür­den zu 92 Pro­zent aus Ster­nen­staub bestehen. Das habe auch Nova­lis schon geschrie­ben, nur anders gemeint.

Das reich­te. Ich konn­te nicht mehr.

Musik!


Moby – We Are All Made Of Stars von EMI_​Music