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Musik Rundfunk Leben

Wenn wir wirklich Freunde wären

Damit war nicht zu rech­nen gewe­sen: Heu­te ist der 20. Jah­res­tag der legen­dä­ren Tic-Tac-Toe-Pres­se­kon­fe­renz und weder „Spie­gel Online“ (wahl­wei­se bei „Eines Tages“ oder „Ben­to“) noch Bild.de oder „Buzzfeed“ berich­ten dar­über. Ein­zig die „Gos­lar­sche Zei­tung“ erin­nert in ihrem „Kalen­der­blatt“ an den denk­wür­di­gen Ver­such, eine zer­strit­te­ne Girl­band auf offe­ner Büh­ne vor der ver­sam­mel­ten WeltPres­se zu ver­söh­nen – ein Ver­such, der gran­di­os schei­ter­te, weil sich die drei Mit­glie­der am Ende beschimpf­ten und teil­wei­se wei­nend das Podi­um ver­lie­ßen.

[Anschwel­len­de Musik, Gui­do-Knopp-Bedeu­tungs­brum­men]

Eine Pres­se­kon­fe­renz, die sich aber so ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis der Deut­schen ein­ge­brannt hat, dass sie auch 20 Jah­re spä­ter noch als Refe­renz taugt – sogar, wenn es um eine geschei­ter­te Regie­rungs­bil­dung geht.

[flot­tes 90er-Musik­bett]

An die­ser Stel­le ein kur­zes „Hal­lo!“ an unse­re fünf Leser unter 25: Tic Tac Toe waren eine drei­köp­fi­ge Girl­group aus dem öst­li­chen Ruhr­ge­biet, die mit Songs wie „Ich find‘ Dich schei­ße“, „Ver­piss Dich“ oder „War­um?“ nicht nur beacht­li­che Erfol­ge fei­er­te, son­dern auch die Gren­zen des­sen, was man im Radio und Fern­se­hen „sagen durf­te“, aus­lo­te­ten und ver­scho­ben. Bei ihrem Kome­ten­haf­ten Auf­stieg [hier Schnitt­bil­der Viva-Comet-Ver­lei­hung ein­fü­gen] wur­de das Trio aller­dings immer wie­der von der Bou­le­vard­pres­se und ent­spre­chen­den „Skan­da­len“ beglei­tet.

In der Wiki­pe­dia heißt es dazu:

Zunächst kam her­aus, dass die Alters­an­ga­ben der drei Sän­ge­rin­nen von Tic Tac Toe von der Plat­ten­fir­ma den Sän­ge­rin­nen ein jün­ge­res Alter beschei­nig­ten; bei­spiels­wei­se war Lee bereits 22 Jah­re alt, obwohl sie – laut Plat­ten­fir­ma – 18 Jah­re alt gewe­sen sein soll. Medi­al gro­ßes Auf­se­hen erlang­te die Band, als Lees dama­li­ger Ehe­mann nach Bezie­hungs­pro­ble­men Sui­zid beging. Eine Woche spä­ter wur­de bekannt, dass Lee kurz­zei­tig als Pro­sti­tu­ier­te gear­bei­tet hat­te, um mit dem Geld Dro­gen zu finan­zie­ren.

Und dann, am 21. Novem­ber 1997 lud die Plat­ten­fir­ma der Band, Ario­la, in Mün­chen zu einer Pres­se­kon­fe­renz, von der sie sich nach inter­nen Que­re­len Signal­wir­kung erhofft hat­te: Einig­keit, nach vor­ne schau­en, der Auf­bruch zu wei­te­ren Erfol­gen.

[Das Bild friert ein, wird schwarz/​weiß, her­an­zoo­men]

Doch dann kam alles ganz anders.

Die Pres­se­kon­fe­renz ist legen­där, aber bei You­Tube oder anders­wo nicht auf­zu­fin­den (dort stößt man aber auf kaum weni­ger bizar­re Medi­en­be­rich­te zur Band). Auch spä­te­re O‑Töne von Tho­mas M. Stein, als Chef der Ario­la gleich­sam Gast­ge­ber der ver­un­fall­ten PR-Akti­on und einer brei­ten Öffent­lich­keit spä­ter bekannt gewor­den als Juror der ers­ten bei­den Staf­feln von „Deutsch­land sucht den Super­star“, in denen er sich über den Her­gang der Ereig­nis­se äußert, haben es nicht ins kol­lek­ti­ve pop­kul­tu­rel­le Archiv geschafft. Die in der Wiki­pe­dia auf­ge­stell­te Behaup­tung, „Die­se Akti­on wur­de am Abend in der Tages­schau the­ma­ti­siert“, lässt sich zumin­dest für die 20-Uhr-Aus­ga­be nicht bele­gen.

Immer­hin gibt es aber ein Tran­skript, das sich auf die in die­sem Fall denk­bar seriö­ses­te Quel­le stützt, die „Bra­vo“

Aber auch wenn sich heu­te kein gro­ßer Jubi­lä­ums­be­richt auf­trei­ben lässt, wird die Pres­se­kon­fe­renz mit ihren zu geflü­gel­ten Wor­ten geron­ne­nen Zita­ten („Wenn wir wirk­lich Freun­de wären, dann wür­dest du so’n Scheiß über­haupt nicht machen!“, „Boah, ihr könnt echt gut lügen!“, „Jetzt kom­men wie­der die Trä­nen auf Knopf­druck.“) noch regel­mä­ßig her­vor­ge­kramt: Wenn die AfD eine Pres­se­kon­fe­renz abhält, wenn sich der Schla­ger­sän­ger Rober­to Blan­co und sei­ne Toch­ter Patri­cia auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se strei­ten (eine Mel­dung, die man sich jetzt auch eher nicht hät­te aus­den­ken kön­nen oder wol­len), wann auch immer sich ein „Was machen eigent­lich …?“ anbie­tet (außer natür­lich heu­te).

Als Fach­ma­ga­zin für Lis­ten, bevor jeder Depp Lis­ten ver­öf­fent­licht hat wol­len wir es uns bei Cof­fee And TV aber natür­lich nicht neh­men las­sen, die Tic-Tac-Toe-Pres­se­kon­fe­renz in den Gesamt­kon­text des Kon­zepts „Pres­se­kon­fe­renz“ in Deutsch­land ein­zu­ord­nen.

Also, bit­te: Die sie­ben legen­därs­ten deut­schen Pres­se­kon­fe­ren­zen!

7. Gert­jan Ver­beek, 21.09.2015

6. Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg, 18.02.2011

5. Chris­toph Daum, 09.10.2000/12.01.2001

4. Tic Tac Toe, 21.11.1997

3. Uwe Bar­schel, 18.09.1987

2. Gio­van­ni Trapp­a­to­ni, 10.03.1998

1. Gün­ter Schab­ow­ski, 09.11.1989

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Digital

Lucky & Fred: Episode 5

Es hat wie­der ein biss­chen län­ger gedau­ert, aber wir hat­ten unse­re Grün­de. Jetzt sind wir wie­der da und stel­len uns die ent­schei­den­de Fra­ge: „Was macht eigent­lich Jockel Gauck?“ Wir wid­men uns der Schei­ße am Fuß vom ZDF, spre­chen über Geld und Poli­tik, wer­fen einen Blick auf die (trau­ri­ge) Medi­en­land­schaft im Ruhr­ge­biet und erle­ben die Geburts­stun­de der Heinser’schen Hack­fres­sen­theo­rie.
Außer­dem: Fred hat ein neu­es Tele­fon und kriegt merk­wür­di­ge Anru­fe und wir füh­ren den belieb­ten Cock­tail­par­ty­dia­log „Unse­re Wiki­pe­dia-Ein­trä­ge“.

Link­lis­te:

„Lucky & Fred“ als RSS-Feed
„Lucky & Fred“ bei iTu­nes
„Lucky & Fred“ bei Face­book

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Digital

Gruppenbild mit Darm

Gera­de so gedacht: „Wie alt ist eigent­lich Hubert Bur­da?“ Schnell in der Wiki­pe­dia nach­ge­guckt und dabei die­ses groß­ar­tig ver­stö­ren­de Foto ent­deckt:

Hubert Burda (rechts) mit Christa Maar vor dem Darmmodell Faszination Darm in München

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Musik

You say party! We say Dinslaken!

Downtown Dinslaken

Wäh­rend Dins­la­kens größ­ter Sohn gera­de auf Sylt weilt, um sich dort zu ver­mäh­len (alles unter Vor­be­halt, es stand in „Bild“), wur­den die Kili­ans – wie ich erst jetzt fest­stell­te – schon vor mehr als einem Jahr wie­der aus dem Wiki­pe­dia-Arti­kel zur Stadt ent­fernt.

Es wird ihnen egal sein, denn in zwei Wochen wer­den die Kili­ans das (mut­maß­lich) größ­te Kon­zert spie­len, das die Stadt ohne Din­ge mit dem Eti­kett „Das muss man unbe­dingt gese­hen haben“ je erlebt hat.

Oder wie es der GHvC-News­let­ter noch eine Spur kryp­ti­scher aus­drückt:

Am 03.04. spie­len die Kili­ans (das ist klin­go­nisch für: „die coo­len Typen, die in der Schu­le rau­chen und sich dabei über Cunt, äh Kant unter­hal­ten!“) umsonst und drau­ßen auf dem Red Bull Bus!

Man kann nur auf Regen hof­fen, denn sonst könn­te das ein Ereig­nis von
epo­cha­ler Grö­ße wer­den für eine Kul­tur und Ästhe­tik lie­ben­de Stadt wie
Dins­la­ken:

19:30 Uhr Dins­la­ken, Hans-Böck­ler-Platz! Und danach gehen wir alle zusam­men in die KuKa zur After­show, wo uns das Kili­ans DJ Team zeigt, dass ihm auch die Plat­ten­tel­ler nicht fremd sind.

Am glei­chen Tag erscheint die Sin­gle „Said & Done“. Zufäl­le gibts, Wahn­sinn…

Wer immer schon mal nach Dins­la­ken woll­te, dazu aber bis­her (berech­tig­ter­wei­se) kei­nen Grund hat­te, soll­te die Gele­gen­heit nut­zen. Eine Cof­fee-And-TV-Dele­ga­ti­on wird eben­falls vor Ort sein und Bericht erstat­ten.

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Unterwegs Politik

Unter Grünen: Über Menschenrechte

Das mit Clau­dia Roth und mir ist irgend­wie komisch: im Fern­se­hen fin­de ich sie (wenn sie nicht gera­de bei „Zim­mer frei“ zu Gast ist) uner­träg­lich. Ich kann ihren Sät­zen nicht fol­gen, ich weiß hin­ter­her nicht, was sie der Welt sagen – oder bes­ser: zuru­fen – woll­te. Sie ist mir zu emo­tio­nal, zu laut, ja, letzt­lich: zu enga­giert.

Jetzt stand sie hier gera­de und hielt eine Rede zum The­ma „60 Jah­re Men­schen­rech­te“ und war wie­der emo­tio­nal, laut und enga­giert. Aber in der Hal­le habe ich zumin­dest ver­stan­den, war­um man die­se Frau die „See­le der Par­tei“ nennt: sie reißt ihre Par­tei­freun­de mit, weil sie emo­tio­nal und enga­giert ist – und laut, zu laut. Aber mehr­stün­di­ge Dis­kus­sio­nen, ob man jetzt die­ses Wort aus einem Antrag strei­chen oder jenes hin­zu­fü­gen soll­te, brau­chen als Gegen­pol wohl eine Par­tei­vor­sit­zen­de, die ein wenig mut­ter­bei­mert. Dass ich ihr beim The­ma Men­schen­rech­te und ihrer Kri­tik an der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung zustim­me, war ja vor­her schon abzu­se­hen.

Was also hat sie der Welt zuge­ru­fen? Im Dezem­ber wird die All­ge­mei­ne Erklä­rung der Men­schen­rech­te 60 Jah­re alt. Roth warn­te vor „Sonn­tags­re­den“ und Lip­pen­be­kennt­nis­sen zu die­sem Anlass. Im Hin­blick auf Guant­anomo und Abu Ghraib wet­ter­te sie: „Kei­ne Demo­kra­tie ist wirk­lich stark, wenn in ihr die Men­schen­rech­te miss­ach­tet wer­den.“ Der Kampf gegen den inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus dür­fe kein „Gene­ral­schlüs­sel“ sein, um Men­schen­rech­te aus­zu­he­beln: „Sie gel­ten für jeden Men­schen auf die­ser Welt.“

Anders als bei der Atom­ener­gie- und der Finanz­markt­de­bat­te war ich am The­ma Men­schen­rech­te per­sön­lich inter­es­siert und konn­te den ers­ten zehn, zwölf Rede­bei­trä­gen auch noch fol­gen. Aber dann war es wie­der vor­bei: alle wün­schen sich mehr Men­schen­rech­te, aber jeder muss noch ein­mal einen beson­de­ren Focus auf das The­ma legen. Jede ein­zel­ne Rede ist ihrem Red­ner inhalt­lich sicher sehr wich­tig, aber ich bezweif­le schon, dass die Par­tei­freun­de dem zwan­zigs­ten Red­ner über­haupt noch rich­tig zuhö­ren (kön­nen) – von den Außen­ste­hen­den ganz zu schwei­gen.

Wie­der wach wur­de ich dann bei dem Red­ner, der davor warn­te, sich blind hin­ter Barack Oba­ma zu stel­len, und for­der­te, lie­ber mit den ame­ri­ka­ni­schen Grü­nen zu koope­rie­ren. Also jener Par­tei, der man vor­wirft, durch ihren Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten im Jahr 2000 Geor­ge W. Bush den Weg ins Wei­ße Haus erst geeb­net zu haben.

Weil ich gera­de kaum zu ande­ren The­men kom­me – und weil es irgend­wie zum The­ma Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit passt – möch­te ich Ihnen hier noch zwei Link­tipps geben: Da ist zum einen die Kam­pa­gne, die der Deut­sche Fuß­ball­bund gera­de gegen den frei­en Sport­jour­na­lis­ten Jens Wein­reich fährt, und zum ande­ren Lutz Heil­mann, Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter der Links­par­tei, der gericht­lich gegen wikipedia.de vor­ge­gan­gen ist, weil ihm der Ein­trag zu sei­ner Per­son miss­fiel.

Beach­ten Sie für alle Par­tei­tags-Bei­trä­ge bit­te die Vor­be­mer­kun­gen.

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Digital Gesellschaft

Sommerschlussverkauf mal anders

Die Waren­haus­ket­te Her­tie hat heu­te beim Esse­ner Amts­ge­richt den Insol­venz­an­trag ein­ge­reicht. Was mich als Wirt­schafts­laie immer ein biss­chen über­rascht: Dies geschieht, damit der Betrieb der 73 Waren­häu­ser der frü­he­ren Kar­stadt-Kom­pakt-Grup­pe (dar­un­ter Häu­ser, die frü­her schon ein­mal Her­tie hie­ßen, bevor Kar­stadt Her­tie auf­ge­kauft und die Läden umbe­nannt hat­te) auf­recht­erhal­ten wer­den kann. Der eng­li­sche Mut­ter­kon­zern Dawnay Day war in erheb­li­che Schief­la­ge gera­ten, wes­we­gen die Zukunft von Her­tie kei­ne andert­halb Jah­re nach der Umbe­nen­nung nun in den Ster­nen steht.

Die Mel­dung wird (neben den Ange­stell­ten) auch die Stadt­obe­ren von Dins­la­ken sehr beun­ru­hi­gen – deren Plä­ne, ein neu­es Ein­kaufs­zen­trum in der Innen­stadt zu bau­en, fuß­ten näm­lich unter ande­rem auf der vagen Hoff­nung, dass Her­tie sich am Bau betei­li­gen wür­de. Jetzt könn­te es pas­sie­ren, dass es in Dins­la­ken bald nicht ein­mal mehr das alte Her­tie-Kauf­haus gibt.

Die vie­len An- und Ver­käu­fe, Um- und Rück­be­nen­nun­gen bei Kar­stadt und Her­tie sind natür­lich unglaub­lich ver­wir­rend. Als man sich bei „RP Online“ dar­an mach­te, „Zehn Fak­ten über Her­tie“ auf­zu­schrei­ben (natür­lich nicht etwa in einer Lis­te, son­dern in einer ver­damm­ten Klick­stre­cke) schlug das Schick­sal unbarm­her­zig zu:

Die Zulieferung der Waren vom Karstadt-Quelle-Konzern hat Hertie nach und anch eingestellt. Heute kommen 80 Prozent der Waren von der Arcandor AG

Um die gan­ze Trag­wei­te die­ser zwei Sät­ze zu ver­ste­hen, müs­sen Sie zwei Din­ge wis­sen:
Ers­tens sind die „80 Pro­zent“ offen­bar aus der Wiki­pe­dia abge­schrie­ben – aber lei­der genau falsch:

Bis Mit­te 2007 soll­ten 80 Pro­zent des Sor­ti­men­tes auf ande­re Zulie­fe­rer als die Arcan­dor AG umge­stellt wer­den.

Und zwei­tens ist „Arcan­dor“ seit 2007 der neue Name von … nun ja: Kar­stadt-Quel­le.

Nach­trag, 22:51 Uhr: Aus den „Zehn Fak­ten zu Her­tie“ sind neun „Fak­ten zu Her­tie“ gewor­den. Wer die Zulie­fe­rer sind oder nicht sind, erfährt der Leser jetzt nicht mehr.

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Gesellschaft

Nichts Wissen macht nichts

Als im Früh­jahr 2000 die ers­te „Big Brother“-Staffel in Deutsch­land lief (die selt­sa­mer­wei­se nicht zum erwar­te­ten Unter­gang des Abend­lan­des führ­te), geis­ter­te für kur­ze Zeit eine Mel­dung durch die Medi­en, die auch die Men­schen erreich­te, die „Big Brot­her“ nie gese­hen hat­ten: Der Kan­di­dat Zlat­ko Trp­kov­ski1 hat­te nicht gewusst, wer Wil­liam Shake­speare war. Ich erin­ne­re mich dar­an, wie mei­ne Fami­lie sich beim Oster­kaf­fee­trin­ken dar­über echauf­fier­te: dass man sowas nicht wis­se, sei doch „beschä­mend“. Lei­der war ich nicht schlag­fer­tig oder Wil­lens genug, die der­art erhitz­ten Grals­hü­ter der Kul­tur zu einem Kurz­re­fe­rat über den bri­ti­schen Dich­ter­fürs­ten auf­zu­for­dern („Nur die wich­tigs­ten Lebens­da­ten und Wer­ke – und sag nicht ‚Romeo und Julia‘ und ‚Ham­let‘!“) – ich bin mir sicher, es wäre „beschä­mend“ gewor­den.

Das Argu­ment, mit dem die Kri­ti­ker von einem Auto­me­cha­ni­ker basa­le Lite­ra­tur­ken­nt­nis­se ein­for­dern woll­ten, ist das glei­che, mit dem man in Abitur­prü­fun­gen ange­hen­de Bank­kauf­leu­te zur Pho­to­syn­the­se befragt, Theo­lo­gen zur Sto­chas­tik und Medi­zi­ner zum Expres­sio­nis­mus: „All­ge­mein­bil­dung“.

Nun ist gegen eine ordent­li­che All­ge­mein­bil­dung an sich nichts ein­zu­wen­den: Es ist auch für Auto­me­cha­ni­ker, Tech­ni­ker des Kampf­mit­tel­räum­diens­tes und Super­markt­kas­sie­re­rin­nen nicht völ­lig aus­ge­schlos­sen, dass sie mal in Situa­tio­nen gera­ten, in denen es von Vor­teil sein kann, Wis­sen über den Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg, die Theo­rien eines Adam Smith oder die Fil­me Jean-Luc Godards ein­zu­streu­en. Aller­dings wird ihnen in 85% der Fäl­le Gün­ter Jauch oder einer sei­ner Klo­ne gegen­über­sit­zen und sie um die Ant­wort „A“, „B“, „C“ oder „D“ bit­ten – oder ein poten­ti­el­ler Chef, der sich gezwun­gen sieht, die Anzahl der Stel­len­be­wer­ber mas­siv zu dezi­mie­ren. Man stel­le sich im Gegen­zug mal den Auf­schrei vor, der durchs Land gin­ge, wenn ein Biblio­the­kar im Vor­stel­lungs­ge­spräch gefragt wür­de, ob er denn auch ein biss­chen Ahnung von Stark­strom­elek­trik hät­te.

All­ge­mein­bil­dung um der All­ge­mein­bil­dung Wil­len hilft nie­man­dem. Ob einem zum Namen Wil­liam Shake­speare jetzt „Romeo und Julia“ und „Ham­let“ ein­fal­len oder gar nichts, macht eigent­lich kei­nen Unter­schied. Wer sein Abitur macht, kann in der Prü­fung viel­leicht die wich­tigs­ten Daten des ers­ten Welt­kriegs run­ter­rat­tern, aber was außer einer aus­rei­chen­den Geschichts­no­te hat er davon, wenn er mit die­sen Daten nichts ver­bin­det und sie spä­tes­tens beim Begie­ßen des Abischnitts wie­der ver­ges­sen hat?

1999 ver­öf­fent­lich­te Diet­rich Schwa­nitz sein Buch „Bil­dung – Alles, was man wis­sen muss“, das sofort ein Best­sel­ler wur­de. Auch wenn der Unter­ti­tel iro­nisch gemeint war, durch­weht das Buch doch eine ober­leh­rer­haf­te Ein­stel­lung und ein mit­un­ter bedroh­li­cher Hang zur Ver­knap­pung. Wer sich bewusst einen Über­blick über Phi­lo­so­phie, Geschich­te und Lite­ra­tur ver­schaf­fen kann, kann natür­lich eben­so beru­higt zu Schwa­nitz grei­fen wie ein ober­fläch­lich natur­wis­sen­schaft­lich inter­es­sier­ter Leser zu Bill Bry­son oder jeder ande­re zur Wiki­pe­dia. Wen aber nichts der­glei­chen inter­es­siert, der wird auch mit noch so guten „Ein­füh­run­gen“ nichts anzu­fan­gen wis­sen.

Das „Recht auf Bil­dung“ ist kei­ne Pflicht. Zwar erleich­tert es die Ein­ord­nung gesell­schaft­li­cher Vor­gän­ge, wenn man mit den Gedan­ken von Kant, Hob­bes oder Les­sing ver­traut ist, die blo­ße Nen­nung von kate­go­ri­schem Impe­ra­tiv, „Levia­than“ und „Nathan der Wei­se“ hin­ge­gen ist nicht son­der­lich hilf­reich. Aber Halb­wis­sen ist mitt­ler­wei­le nicht nur gesell­schaft­lich akzep­tiert, son­dern wird gera­de­zu gefor­dert2. Fast jeder Radio­sen­der hat Call-in-Sen­dun­gen, in denen die Hörer erzäh­len sol­len, was sie von Mafia­mor­den in Deutsch­land oder der glo­ba­len Erwär­mung hal­ten. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass immer wie­der Men­schen mit nur unzu­rei­chen­der Kennt­nis der Sach­la­ge von diver­sen Medi­en als „Exper­te“ in die Öffent­lich­keit gezerrt wer­den und sich dort den Ruf rui­nie­ren.

1 Ich wuss­te ohne Nach­zu­schla­gen, wie man die­sen Namen schreibt.
2 Spre­chen Sie eine belie­bi­ge Per­son auf die The­men „Glo­ba­li­sie­rung“, „Islam“ oder „Online-Durch­su­chung“ an und ren­nen Sie schrei­end weg!

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Nicht immer gut

Wer guckt sich eigent­lich die­se alber­nen Bil­der­ga­le­rien auf den Start­sei­ten diver­ser Web­mail-Diens­te an? Ich, zum Bei­spiel, wenn ich mich gera­de mal wie­der ver­klickt habe.

Und so stieß ich bei gmx.de auf eine Gale­rie, die wie folgt vor­ge­stellt wur­de:

GMX glaubt, dass manche Prominentenoutings der Karriere geschadet haben.
(Screen­shot: gmx.de)

Mal davon ab, dass auch hier mal wie­der mun­ter die Begrif­fe „Outing“ und „Coming-Out“ durch­ein­an­der gewor­fen wer­den, ist die Lis­te der Pro­mi­nen­ten (Hape Ker­ke­ling, Elton John, Pink, Peter Pla­te, Micha­el Sti­pe, Geor­ge Micha­el, Lilo Wan­ders, Tho­mas Her­manns, Klaus Wowe­reit, Melis­sa Ether­idge, Hel­la von Sin­nen, Jür­gen Domi­an, Dirk Bach, Vera Int-Veen und Ellen de Gene­res) unge­fähr so span­nend wie eine Fla­sche Pro­sec­co, die seit dem letzt­jäh­ri­gen Chris­to­pher Street Day offen rum­steht – man fragt sich eigent­lich nur, wer Georg Uecker und Maren Kroy­mann ver­ges­sen hat.

Natür­lich könn­te man sich jetzt fra­gen, bei wel­cher der genann­ten Per­so­nen sich das Coming-Out/Ou­ting denn als „nicht gut“ für die Kar­rie­re erwie­sen habe. „Na, für Ellen de Gene­res zum Bei­spiel“, ruft da gmx.de:

Als sie sich in einer Epi­so­de als lebisch outet, wird der Sen­der von Geld­ge­bern unter Druck gesetzt und setzt die Sen­dung ab.

Nein, ich weiß auch nicht, was „lebisch“ ist und ob sowas die Kar­rie­re zer­stö­ren kann. Aber wenn wir der Wiki­pe­dia trau­en kön­nen, schob man es bei ABC wohl auch eher auf die schwä­cheln­den Quo­ten und den Druck reli­giö­ser Orga­ni­sa­tio­nen nach de Gene­res‘ Coming-Out, als man „Ellen“ 1998 aus­lau­fen ließ.

Apro­pos Wiki­pe­dia: die scheint bei der Recher­che für den Arti­kel die Bild­be­gleit­tex­te eine wich­ti­ge Rol­le gespielt zu haben. So heißt es bei Ernie Rein­hardt (Lilo Wan­ders):

… im Zweifelsfall war’s die Wikipedia
(Screen­shot: gmx.de, Her­vor­her­bung: Cof­fee & TV)

Viel Arbeit war also offen­bar nicht von­nö­ten, um die Lis­te zu erstel­len und ein paar Fak­ten zusam­men­zu­tra­gen. Und trotz­dem kann man auch an so einer Auf­ga­be noch schei­tern:

Die meis­ten Men­schen ver­bin­den Elton John nur mit jener schwer ver­dau­li­chen Bal­la­de „Cand­le in the wind“, die 1997 zu Ehren der ver­stor­be­nen Lady Di in jedem Radio-Sen­der der Welt run­ter­ge­lei­ert wur­de. Trotz des Prä­di­kats „meist­ver­kauf­te Sin­gle aller Zei­ten“ muss sich der mitt­ler­wei­le geadel­te Sir Elton John für die­sen Schmacht­fet­zen auch heu­te noch Kri­tik gefal­len las­sen.

wird dem Leben ’n‘ Werk von Elton John jetzt viel­leicht nicht so ganz gerecht, ist aber harm­los ver­gli­chen mit dem, was bei Hape Ker­ke­ling steht:

Der 1964 gebo­re­ne Come­dy-Star oute­te sich Anfang der 90er-Jah­re als homo­se­xu­ell

Ist das jetzt nur unglück­lich for­mu­liert oder bewuss­tes Ver­schlei­ern der Tat­sa­che, dass Ker­ke­ling (wie auch Alfred Bio­lek) 1991 von Regis­seur Rosa von Praun­heim in der RTL-Sen­dung „Explo­siv – Der hei­ße Stuhl“ geoutet wur­de? Eine Pra­xis, die unter ande­rem der Bund les­bi­scher und schwu­ler Jour­na­lis­tIn­nen ver­ur­teilt.

Aber was soll so ein Para­dies­vo­gel-Sam­mel­al­bum unter dem Titel „Pro­mi­nen­te auf dem CSD? Die­se Stars könn­ten Sie dort tref­fen“ über­haupt? Und wer guckt sich die­se alber­nen Bil­der­ga­le­rien auf den Start­sei­ten diver­ser Web­mail-Diens­te eigent­lich an?

Gerüch­ten zufol­ge „könn­te“ man auf „dem CSD“ (gemeint ist ver­mut­lich der Chris­to­pher Street Day in Ber­lin am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de, Köln kommt aber z.B. auch noch) auch hete­ro­se­xu­el­le Pro­mi­nen­te tref­fen. Und homo- oder bise­xu­el­le Nicht-Pro­mi­nen­te. Und hete­ro­se­xu­el­le Nicht-Pro­mi­nen­te. Und und und …