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Digital Leben

Teil einer Jugendbewegung

Am Wochenende fand – wie bereits erwähnt – das erste Barcamp Ruhr statt. Da das angekündigte Video noch ein wenig auf sich warten lassen wird ((Ich muss erst noch neuen Arbeitsspeicher kaufen.)), wollte ich das Erlebte vorab schon mal in relativ ungefilterte Worte fassen:

Was genau ein Barcamp ist, wusste ich vor dem Wochenende selbst nicht so genau. Man sagte mir stets, es handele sich um eine “Unkonferenz”, was in etwa so hilfreich ist, wie der Versuch, Quantenphysik mit Hilfe japanischer Vokabeln erklären zu wollen. In Wahrheit ist es ein betont lockeres Zusammentreffen von Menschen, die irgendwas mit Internet zu tun haben. Zu Beginn des jeweiligen Veranstaltungstages stellen die Teilnehmer ((Externe Referenten sind nicht vorgesehen.)) Themen vor, über die sie gerne sprechen würden. Per Handzeichen wird abgestimmt, wie viele Leute sich für das Thema interessieren – daraus ergibt sich dann, in welchem Raum und zu welcher Uhrzeit der Vortrag stattfindet.

“Vortrag” ist im Übrigen falsch. Es handelt sich um sogenannte “Sessions” und deren sprachliche nähe zur jam session in der Musik kommt nicht von ungefähr: “Einer redet, die anderen hören zu” gibt’s nicht und ist angeblich auch nicht erwünscht.

Exkurs: Ich habe in der Schule immer Frontalunterricht gemocht, weil ich nie verstehen werde, warum ein Lehrer, der die Fakten kennt und aufsagen könnte, erst mal eine Dreiviertelstunde lang aufschreibt, was die Schüler, denen er etwas beibringen soll, denn bisher zum Thema wissen. “Hitler war böse” ist zwar eine richtige Feststellung, als Einstieg ins Thema “Zweiter Weltkrieg” aber irgendwie dürftig. Der Geschichtsunterricht der Oberstufe ist deshalb auch heute noch dafür verantwortlich, dass ich beim Wort “Mindmap” kaltschweißig werde und unkontrollierte Laute ausstoße. Auch in der Uni sind mir Vorlesungen hundert Mal lieber als Diskussionen. Andererseits sind mir Diskussionen immer noch hundert Mal lieber als schlechte Referate. Exkurs Ende.

Die Qualität der Sessions bei einem Barcamp hängt deshalb nicht nur von den Kompetenzen des Vortragenden ((Keine Ahnung, wie der richtige Begriff lautet, vermutlich “Session Leader” oder so.)) ab, sondern auch von der Gruppe der Zuhörer. Da kann es schon mal vorkommen, dass spannende Ausführungen abgewürgt werden und ein Zuhörer ohne vorherige Meldung einfach vor sich hin doziert. Auch wenn ich mich an solche Umgangsformen im Laufe des Wochenendes gewöhnen konnte, wird dieses Verfahren nie zu meiner favorisierten Art der Wissensvermittlung zählen. Um verschiedene Ansichten zu einem Thema kennen zu lernen, ist es aber ganz hilfreich.

Thematisch sind den Sessions keine Grenzen gesetzt, alles, was auch nur im Entferntesten mit Internet zu tun haben könnte, kommt darin vor. Damit stand ich persönlich vor einem weiteren Problem: Wirtschaft ist zum Beispiel ein Thema, dass mich noch nie interessiert hat – null. Ich könnte auch unter Androhung von körperlicher Gewalt keine zehn DAX-Unternehmen auflisten – geschweige denn fünf Startups. ((Ein Startup ist eine Existenzneugründung im Internet. Da gibt es alles von social networks (MySpace oder Facebook waren mal Startups) bis hin zu Internetseiten, auf denen man sein Müsli oder seinen Kaffee individuell zusammenstellen kann.))

Ich finde es faszinierend, auf welche Ideen Leute kommen, deren kreative Hirnhälfte auch Synapsen zu dem Teil, der ans Geldverdienen denkt, aufgebaut hat, aber ich will kein Unternehmen gründen. Die Worte “business plan”, “crowd sourcing” oder “break even” erscheinen mir immer wie Parodien auf die Wirtschaft und laden mich allenfalls zum Bullshit-Bingo ein. Da fällt es schwer, ernst zu bleiben, und die Leute, die sicherlich alle total nett sind und tolle Ideen haben, nicht für den gleichen schrecklichen Menschenschlag zu halten, wie die Investoren, denen sie Geld für ihre Projekte abringen wollen.

Ein Schwerpunkt des Barcamps Ruhr lag auf Musik im Internet, was mich als Musikfan und Gelegenheitsmusiker schon interessierte. Entsprechend irritiert war ich aber, als in diesbezüglichen Sessions plötzlich von “content”, statt von “Musik” die Rede war. Das ist für mich dann auch kein großer Unterschied mehr zu dem bösen, bösen Majorlabel, wo alle ständig von “Produkten” faseln.

Überhaupt: Für Mitglieder des unsäglichen “Vereins Deutsche Sprache” wäre ein Barcamp das, was Sodom und Gomorrha für einen guten Katholiken sind. Wer schon technische Begriffe wie “Laptop” oder “Browser” geißelt, der wird inmitten von “Sessions”, “Startups” und “Back Offices” foam vor dem mouth bekommen und im triangle springen. Das Unperfekthaus in Essen ((Eine Art Hippiekommune mit kurzen Haaren, in der man sich ganz rührend um uns kümmerte.)) wurde übrigens stets als “Location” bezeichnet, was dann ungefähr der Punkt war, an dem es selbst mir ein bisschen too much wurde. “Schlimmer als die wahllose Verwendung fremdsprachlicher Begriffe ist aber immer noch die falsche Aussprache derselben”, dachte ich, während ich gedankenverloren in meinem Tschappukino rührte.

Was mich auch einigermaßen verstörte, war die Einstellung mancher Leute. Bisher hatte ich den unendlichen Reiz des Internets unter anderem darin gesehen, dass dort jeder tun und lassen kann, was er ganz alleine will, maximal begrenzt durch Gesetze, die bitte nicht zu streng sind. Plötzlich kamen Leute an, die von einer “Bloggerkultur” sprachen und Sätze sagten wie: “Wer nicht auf Barcamps geht, ist für mich kein Blogger”, “Journalisten sind keine Blogger” oder “Ein Blog ohne Kommentare ist kein Blog”. Da waren sie wieder, die Leute, die man im Bereich der Musik “Indienazis” nennt, und die in Schubladen denken, die ihnen “Spex”, “Intro” und “Visions” aus dem Holz eines abgebrochenen Soziologiestudiums gezimmert haben. Menschen, die im Usenet und in Webforen schreiben, warum diese oder jene Band einfach scheiße sein muss und nicht Indie sein kann, und die sich selbst vor allem über die Abgrenzung zu anderen und die Ausgrenzung derselben definieren. Solche gibt es also auch im Web 2.0. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihre Interpretation des Konzepts “Blog” irgendwann einmal tatsächlich zu einer Definition werden sollte, werde ich mir schon mal einen neuen Begriff überlegen, unter dem diese lose Textsammlung im Internet dann firmieren wird.

Jetzt habe ich alles aufgeschrieben, was ich merkwürdig bis abschreckend fand, und es wirkt, als sei das Barcamp Ruhr für mich eine ganz und gar schreckliche Veranstaltung gewesen. Das ist falsch. Zwar war der Samstag wirklich verwirrend und anstrengend, aber der Sonntag hat viel wieder wettgemacht. Es waren sehr viele nette Leute da und bei rund 120 Teilnehmern ist auch bei optimistischster Weltanschauung rein statistisch klar, dass darunter mindestens eine Handvoll sein wird, deren Bekanntschaft man lieber nie gemacht hätte. Die Atmosphäre war die ganze Zeit über sehr angenehm und dass ich vor größeren Gruppen ((“größer” = “mehr als fünf Leute”.)) Angst habe und kein großer Freund von Smalltalk und ziellosen Diskussionen bin, ist ja letztlich mein persönliches Problem.

Ich habe in der Tat noch einige interessante Dinge erfahren ((So habe ich zum Beispiel qik.com kennengelernt, eine Internetseite, die meiner Meinung nach für den endgültigen Untergang des Abendlandes und das Ende der Menschheit verantwortlich sein könnte.)) und einige spannende Gespräche geführt. Die Altersspanne der Teilnehmer reichte von 18 bis 57, wobei ich es vor allem großartig finde, wenn auch Menschen im fortgeschrittenen Alter mit mehr Offenheit auf neue Sachen zugehen als ich selbst mit meinen 24 Jahren.

Überall erwähnt wurde die überaus unschöne Tatsache, dass während des Barcamps zwei iPods ((Mobile Musikabspielgeräte der Firma Apple.)) (ein Nano, ein Touch), eine Kamera, ein Asus Eee ((Eine Art Laptop, aber noch kleiner.)) und ein iBook gestohlen wurden. Das war im Nachhinein leider fast abzusehen bei den unzähligen Leuten, die zusätzlich zu den Teilnehmern noch durchs Haus liefen. Ich bin aber überzeugt davon, dass dem Dieb seine Hände, seine Zunge und sein Glied abfaulen werden. Wenn Sie also demnächst in der Essener Innenstadt einen stummen Mann mit Armstümpfen sehen, sollten Sie ihm noch kurz die Hose runterziehen und ihn dann zur Polizei schleifen.

Vor Monaten hatte ich gemutmaßt, ein Barcamp sei “eine Art Kirchentag”. Jetzt habe ich beides einmal mitgemacht und muss sagen, dass diese Einschätzung geradezu prophetisch war. Beide Male blieb trotz einer Menge Skepsis und Ärger ein ziemlich positiver Eindruck – und die Frage, ob ein Mal nicht ausreicht.

Demnächst dann: Die ganze Grütze noch mal in Ton und Bild.

Nachtrag, 21. März: JETZT! Grütze gibt’s hier.

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Digital

Generation Blog

Ich werde eher selten zur Teilnahme an Podiumsdiskussionen geladen, weswegen ich diese ermüdenden Anti-Blog-Diskussionen, von denen man bei renommierteren Bloggern immer wieder liest, noch nie aus der Nähe erlebt habe. Das änderte sich aber am Donnerstag, als wir in einem Literaturseminar auf das “Vanity Fair”-Blog von Rainald Goetz zu sprechen kamen.

Die meisten der etwa zehn Seminarteilnehmer kannten den Namen Rainald Goetz nicht ((Sie hörten sogar von der berühmten Stirn-aufschlitz-Geschichte zum ersten Mal, fanden sie aber gleich doof.)) und hatten noch nie ein Blog gelesen. Beides ist sicherlich verzeihlich, bei Germanistikstudenten Anfang Zwanzig aber vielleicht auch etwas unerwartet.

Da wir mit der Interpretation des Goetz’schen Werkes nicht so recht aus dem Quark kamen, driftete die Diskussion in grundsätzlichere Gefilde. Einem Kommilitonen ((“Kommilitone” gehört zu den Begriffen, die ich nur schreiben kann, wenn ich an einem Computer mit automatischer Rechtschreibüberprüfung sitze. Weitere Beispiele: Atmosphäre, Feuilleton, Kommissar, aufpfropfen.)) missfiel diese ganze “Selbstdarstellung” in Form von StudiVZ, Blogs und Videos, und eine Kommilitonin, die zuvor geäußert hatte, außer Auslandstagebüchern von Freunden noch nie ein Blog gesehen zu haben, echauffierte ((Ha, noch so ein Wort!)) sich in harschem Ton über die mindere Qualität und die allerorten anzutreffende Selbstdarstellung, die sie “peinlich” finde.

Nun gehöre ich nicht zu den Vertretern jener Zunft, die im Internet die Heilsbringung für alles und jeden sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch in fünfzig Jahren noch Menschen geben wird, die das Internet überhaupt nicht nutzen. Es gibt ja auch heutzutage Leute, die weder Telefon noch Fernseher besitzen, und von Eugen Drewermann liest man immer wieder, dass er noch nicht einmal einen Kühlschrank in seiner Wohnung habe. Etwas erstaunt bin ich aber, wenn Menschen in meinem Alter, die mitten im Leben stehen ((Gut: Einige von ihnen wollen vielleicht Lehrer werden …)), moderne Medien und Phänomene rundherum ablehnen, und halbwegs sauer werde ich, wenn sie dies ohne vorherige Inaugenscheinnahme tun.

Ich kippelte mit meinem Stuhl nach hinten, breitete die Arme aus und lächelte. “Natürlich gibt es viel Schrott im Internet, aber den hat man in der traditionellen Literatur oder wo auch immer ja auch. Ich finde es gerade spannend, dass man sich selbst ein bisschen umsehen muss, um gute Sachen zu finden. Aber es gibt eben jede Menge gute und spannende Sachen im Netz.”

So ganz wusste die junge Frau wohl nicht, was in Blogs überhaupt so drinstehen kann. Oder Goetz hatte sie auf die falsche Fährte gelockt: Sie erzählte jedenfalls, in ihrem Bekanntenkreis gebe es Dutzende Leute, die immer schon erzählt hätten, sie würden gerne mal ein Buch schreiben. Getan habe das zum Glück noch keiner. Aber jetzt könnten alle mit ihrer minderen Qualität das Internet vollschreiben.

Mit der gleichen Begründung, so entgegnete ich, könne sie ja auch Konzerte von Nachwuchsbands in Jugendzentren verdammen, weil die oft auch nicht so doll seien. “Das ist doch das spannende, dass heute endlich die Versprechungen der Pop Art und fast aller wichtigen Medientheorien des 20. Jahrhunderts eingelöst werden”, geriet ich etwas zu heftig in Fahrt. “Warhols 15 Minuten Ruhm, ‘Jeder ist ein Künstler’, ‘the medium is the message’: jeder kann sich einbringen!” Ich dachte: “Jetzt hassen sie mich alle. Namedropping, Angeberei und Pathos. Das kann in einer Universität nicht gut gehen.” Dann fügte ich hinzu: “Ich finde, dass jede Form von Kunst, die irgendjemandem was bedeutet – und sei es nur dem Künstler selbst – ihre Berechtigung hat.” ((Das ist übrigens eine Einstellung, die ich regelmäßig verwerfen will, wenn ich das Radio einschalte und mit Maroon 5 oder Revolverheld gequält werde.))

Meine Gegenüberin äußerte nun die Vermutung, wir hätten offensichtlich recht unterschiedliche Kunstbegriffe. Leider befanden wir uns zeitlich schon in der Verlängerung, so dass wir uns nicht mehr wirklich hochschaukeln konnten. Aber ich fühlte mich schon etwas knüwer als sonst.

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Digital Gesellschaft

Warum ich meine Brüste bei MySpace zeige

Manche Dinge sind nur schwer zu erklären: die Abseitsregel angeblich, der Erfolg von Modern Talking oder alles, was mit dem sogenannten Web 2.0 zu tun hat. Wer einmal versucht hat, seinen Großeltern das Konzept eines Blogs oder gar die Funktionsweise von Twitter zu erklären, kennt danach alle Metaphern und Synonyme der deutschen Sprache.

Zu den Dingen, die für Außenstehende (aber nicht nur für die) unverständlich erscheinen, gehört die Bereitschaft junger Menschen, privateste Dinge im World Wide Web preiszugeben. Bei MySpace, Facebook, LiveJournal, StudiVZ und ähnlichen Klonen teilen sie theoretisch der ganzen Welt ihr Geburtsdatum, ihre Schule und ihre sexuelle Orientierung mit und bebildern das Ganze mit jeder Menge Fotos, auf denen sie – wenn man der Presse glauben schenken darf – mindestens betrunken oder halbnackt sind, meistens sogar beides.

In der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” von gestern war ein großer Artikel von Patrick Bernau zu dem Thema – interessanterweise im Wirtschaftsteil. Dort geht es hauptsächlich um die personalisierten Werbeanzeigen, die StudiVZ, Facebook und die “Hallo Boss, ich suche einen besseren Job!”-Plattform Xing zum Teil angekündigt, zum Teil eingeführt und zum Teil schon wieder zurückgenommen haben. Bernau montiert die Auskunftsfreudigkeit der User gegen die Proteste gegen die Volkszählung vor zwanzig Jahren, er hätte aber ein noch größeres scheinbares Paradoxon finden können: die Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung.

Gelegentlich frage ich mich selbst, warum ich einerseits so entschieden dagegen bin, dass Polizei und Staatsanwaltschaft im Juli nachgucken könnten, wen ich gestern angerufen habe (sie brauchen nicht nachzugucken: niemanden), ich aber andererseits bei diversen Plattformen und natürlich auch hier im Blog in Form von Urlaubsfotos (also Landschaftsaufnahmen), Anekdoten und Meinungen einen Teil meines Lebens und meiner Persönlichkeit einem nicht näher definierten Publikum anbiete. Aber erstens halte ich Auskünfte über meine Lieblingsbands und -filme oder die Tatsache, dass ich Fan von Borussia Mönchengladbach bin, für relativ unspektakulär (ich drücke diese Präferenzen ja auch durch das Tragen von entsprechenden T-Shirts öffentlich aus), und zweitens gebe ich diese Auskünfte freiwillig, ich mache von meinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gebrauch.

Wenn also beispielsweise die Juso-Hochschulgruppe Bochum auf einem Flugblatt angesichts der personalisierten Werbung im Web 2.0 fragt:

Muss der Staat eingreifen? Wie weit darf die “Marktwirtschaft 2.0” gehen?

und dann auch noch “SchnüffelVZ” und Vorratsdatenspeicherung bei einer Podiumsdiskussion gemeinsam behandeln will, weiß ich schon mal, welcher Liste ich bei der Wahl zum “Studierendenparlament” nächste Woche meine Stimme nicht gebe. ((Nicht, dass nach der großen Geldverbrennungsaktion des Juso-AStAs noch die Gefahr bestanden hätte, diesem Haufen mein Vertrauen auszusprechen, aber doppelt hält besser.))

Ich habe ein wenig Angst, wie die FDP zu klingen, aber: Die Mitgliedschaft in der Gruschelhölle oder beim Freiberufler-Swingerclub Xing ist freiwillig, niemand muss dort mitmachen, niemand muss dort seine Daten angeben. Sie ist darüberhinaus aber auch kostenlos (Xing gibt’s gegen Bares auch als Premium-Version, aber das soll uns hier nicht stören) und wird dies auf lange Sicht nur bleiben können, wenn die Unternehmen über die Werbung Geld verdienen. Und warum personalisierte Werbung effektiver (und damit für den Werbeflächenvermieter ertragreicher) ist, erklärt der “FAS”-Artikel in zwei Sätzen:

Wenn zum Beispiel nur die angehenden Ingenieure die Stellenanzeigen für Ingenieure bekommen, bleiben die Juristen von den Anzeigen verschont. Wenn ein beworbenes Rasierwasser schon zur Altersgruppe passt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es dem Nutzer tatsächlich gefällt.

Ob ich nun nach der einmaligen postalischen Bestellung bei einem Musikinstrumentenversand unaufgefordert die Probeausgabe einer Musikerzeitschrift im Briefkasten habe, oder ein wenig automatisch erzeugte Digitalwerbung auf meinem Monitor, macht qualitativ kaum einen Unterschied. Wenn mich das nervt oder mir meine hinterlegten Daten zu ungeschützt erscheinen, kann ich mich ja bequem zurückziehen – dann allerdings sollte ich auch die Möglichkeit haben, meine Daten Rückstandslos entfernen zu lassen, diese Mindesterwartung habe ich an den Plattform-Anbieter.

Wir brauchen also viel weniger einen staatlichen Eingriff (obwohl die Vorstellung, dass Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im Fernsehen erklären soll, was denn so ein “social network” ist, durchaus einen erheblichen Trash-Charme hat) und viel mehr Medienkompetenz. Die kommt freilich nicht von selbst, wie man auch am Super-RTL-Kritiker Günther “Scheiß Privatfernsehen!” Oettinger sehen kann. Medienkompetenz könnte auch nicht verhindern, dass von ein paar Millionen Computerspielern und Horrorfilm-Zuschauern zwei, drei Gestörte auf die Idee kommen, das Gesehene nachzuahmen, aber sie könnte Jugendliche wenigstens so weit bringen, dass diese das Für und Wider von Betrunken-in-Unterwäsche-im-Internet-Fotos abwägen könnten.

Aber auch bei dem Thema sehe ich noch Verständnisschwierigkeiten: Wenn Mädchen und junge Frauen in ihren Fotogalerien bei MySpace oder Facebook Bikini- oder Unterwäschebilder von sich reinstellen, heißt das ja noch lange nicht, dass sie von einer Karriere im Pornogeschäft träumen, wie es für manche Beobachter aussehen mag. Zwar lässt sich bei ein paar Millionen Mitgliedern nicht ausschließen, dass darunter auch ein paar Perverse sind, aber die Bilder dienen ja ganz anderen Zwecken: sich selbst zu zeigen ((Und ich höre mich mit bebender Stimme rufen: “Wir sollten in Zeiten von Magerwahn froh sein, wenn unsere Töchter so zufrieden mit ihrem Körper sind, dass sie ihn im Internet zeigen!”)) und den Herren in der peer group gefallen.

Nacktfotos von sich selbst hat bestimmt jede zweite Frau, die heute zwischen 18 und 30 ist, schon mal gemacht – mindestens, denn die Digitaltechnik vereinfacht auch hier eine Menge. Ob sie die ins Internet stellt und vielleicht sogar bei SuicideGirls oder ähnlichen Seiten Karriere macht ((Ich finde SuicideGirls ziemlich spannend und sehe darin eine geradezu historische Möglichkeit weiblicher Selbstbestimmung, doch das vertiefen wir ein andermal.)), sollte sie natürlich auch vor dem Hintergrund der angestrebten Berufslaufbahn (“Frollein Meier, mein großer Bruder hat sie nackt im Internet gesehen!”), ihres Selbstverständnisses und des Risikos der Belästigung gut abwägen. In jeder Kleinstadt gibt es ein Fotostudio, das im Schaufenster mit schwarz-weißen Aktfotos irgendeiner Dorfschönheit wirbt – diese Bilder sind oft von geringer künstlerischer Qualität und sind Lehrern, Nachbarn und gehässigen Mitschülern oft viel leichter zugänglich als MySpace-Fotos.

Auch Bilder von Alkoholgelagen gibt es, seit die erste Kleinbildkamera auf eine Oberstufenfahrt mitgenommen wurde. Ob Kinder ihren betrunkenen Vater mit Papierkorb auf dem Kopf im Wandschrank einer Münchener Jugendherberge ((Ich habe eine blühende Phantasie, müssen Sie wissen.)) nun zum ersten Mal sehen, wenn er zum fünfzigsten Geburtstag von seinen Alten Schulfreunden ein großes Fotoalbum bekommt ((Alles ausgedacht!)), oder sie die Fotos jederzeit im Internet betrachten können, ist eigentlich egal. Nicht egal ist es natürlich, wenn die Abgebildeten ohne ihre Einwilligung im Internet landen oder die Bilder jemandem zum Nachteil gereichen könnten.

Doch auch das wird auf lange Sicht egal werden, wie Kolumnist Mark Morford letztes Jahr im “San Francisco Chronicle” schrieb:

For one thing, if everyone in Generation Next eventually has their tell-all MySpace journals that only 10 friends and their therapist are forced to read, then soon enough the whole culture, the entire workforce will mutate and absorb the phenomenon, and it will become exactly no big deal at all that you once revealed your crazy love of pet rats and tequila shooters and boys’ butts online, because hell, everyone revealed similar silliness and everyone saw everyone else’s drunken underwear and everyone stopped giving much of a damn about 10 years ago.

Es wird zukünftigen Politikern vermutlich nicht mehr so gehen wie Bill Clinton, der irgendwann mit nicht-inhalierten Joints konfrontiert war, oder Joschka Fischer, dessen Steinwurf-Fotos nach über dreißig Jahren auftauchten: Über wen schon alles bekannt (oder zumindest theoretisch zu ergoogeln) ist, der muss keine Enthüllungen oder Erpressungen fürchten. Auch die Bigotterie, mit der Menschen, die ihre eigenen Verfehlungen geheimhalten konnten, anderen dieselben vorhalten, könnte ein Ende haben. Und das Internet könnte über Umwege tatsächlich zur Gleichmachung der Gesellschaft beitragen.

Nachtrag 16. Januar: Wie es der Zufall so will, hat sich “Frontal 21” dem Thema gestern angenommen. Wenn man die übliche Weltuntergangsstimmung und die Einseitigkeit der Expertenmeinungen ausklammert, ist es ein recht interessanter Beitrag, den man sich hier ansehen kann.

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Wir warten aufs Christkind

Nun ist es endlich soweit: der einzige Tag, der nur ein Abend ist, ist da. ((Es gibt natürlich auch Regionen, in denen es jede Woche einen Tag gibt, der nur ein Abend ist. Ich sage aber Samstag, schon allein weil ich finde, dass “Sonnabendabend” total bescheuert klingt.))

Der 24. Dezember ist der Tag, an dem einem vielleicht am deutlichsten wird, dass man älter wird und dass die Zeit mit zunehmendem anders zu vergehen scheint: Als Kind wollte dieser verdammte Nachmittag einfach nicht vergehen und man musste sich mit Michael Schanze und doofen Kinderfilmen beschäftigen. Heute verbringt man seinen 24. Dezember auf der Suche nach Geschenken in überheizten Einkaufszentren mit überreizten Menschen, die sich das ganze irgendwie auch anders vorgestellt haben, aber das doofe Päckchen mit dem Geschenk, das sie bei eBay ersteigert hatten, kam halt nicht rechtzeitig an. ((Diese Geschichte ist rein fiktiv. Ich habe schon alle beiden Geschenke und würde auch nie auf die Idee kommen, weitere zu kaufen.))

Falls Sie trotzdem Zeit haben und diese gerne sinnvoll verbringen möchten, dann nehmen Sie doch an unserer Leserwahl teil oder sehen Sie sich die Weihnachtsansprache unseres Frühstücksdirektors an:

Hier klicken, um den Inhalt von de.sevenload.com anzuzeigen


Link: sevenload.com

Ich wünsche Ihnen jetzt schon mal ein frohes Weihnachtsfest!

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Digital

The Lonesome Crowded West

Ich hatte ja noch gar nicht über “DerWesten” geschrieben, das wahnsinnige neue Onlineportal der WAZ-Gruppe. Etwas völlig neues sollte es werden, Lokaljournalismus 2.0 oder sowas in der Art. Deshalb hat die Entwicklung auch so lange gedauert, dass für einen Beta-Test keine Zeit mehr war. Und nach positiven Ersteindrücken kristallisiert sich langsam heraus: das Ding droht ein Desaster zu werden.

Ich nutze “DerWesten” nicht sonderlich intensiv, möchte aber gerne per RSS-Feed über die Geschehnisse in Bochum und Dinslaken auf dem Laufenden bleiben. Nach dem Wechsel vom alten Online-Auftritt der WAZ bzw. NRZ zu “DerWesten” funktionierten die alten Feeds nicht mehr und ich musste mir mühsam die neuen raussuchen. Das kann bei einem kompletten Plattformwechsel natürlich schon mal passieren, ist aber trotzdem unglücklich.

Seit ungefähr drei Wochen wird im Bochumer Feed ein Beitrag spazieren geführt, der immer da ist, auch wenn alle anderen Meldungen wechseln. Die Überschrift lautet:

Demenz: Noch vergesslich oder schon dement?

Das ist übrigens die Original-Überschrift von derwesten.de in der Original-Farbe.
Bitte nicht mit unserer Original-Farbe verwechseln!

Was man aber wirklich von “DerWesten” halten kann, möchte ich Ihnen anhand eines willkürlichen Beispiels vorführen – wobei die Willkür weniger bei mir als viel mehr auf Seiten der Portalbetreiber zuhause zu sein scheint.

Beginnen wir mit der gefetteten Einleitung, die neben der Überschrift übrigens auch der einzige Teil des Artikels ist, der im Feedreader angezeigt wird – man muss also immer auf die Seite. ((“Spiegel Online” und n-tv.de schicken nicht mal Kurzfassungen oder Einleitung per RSS)) Besonders gut gefällt mir dabei der Cliffhanger zwischen Einleitung

Dort wo bald schon die Bagger für das Bochumer Konzerthaus anrücken sollen, gibt es seit dem 16. …

und Artikel

… November einen ganz besonderen Parkplatz.

Da hat “DerWesten” von den Profis gelernt, die bei sueddeutsche.de die Bildergalerien betexten. Müssen.

Geo-Tagging-Funktion bei “DerWesten”Die eigentlich sehr sinnvolle Geo-Tagging-Funktion, mit der bei jedem Artikel der “Ort des Geschehens” angezeigt werden soll, wird leider kaum genutzt – dafür sind nämlich die User zuständig und deren Zahl liegt nach vier Wochen bei der einigermaßen deprimierenden Zahl von 5655.

In diesem speziellen Fall hätte es aber natürlich sehr geholfen zu erfahren, wo denn wohl der Parkplatz, um den es die ganze Zeit geht, eigentlich liegt – das wird ja wohl kaum jeder Bochumer auf Anhieb wissen. Ich will zu Gunsten aller Beteiligten mal davon ausgehen, dass die Information beim Umkopieren des Textes verloren ging und nicht auch schon in der gedruckten WAZ ausführlich über einen anonymen Parkplatz berichtet wurde. Sie ahnen, in welchen Bahnen wir uns bewegen, wenn wir zu Gunsten der Beteiligten von technischer Unfähigkeit ausgehen.

Abschließen möchte ich aber mit einem Bild, das ja bekanntlich mehr als tausend Worte sagt. Oder in diesem Fall auch mehr als zwei:

Unendlich viele Kommentare bei “DerWesten”

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Conquer yourself rather than the world

Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, was genau ein BarCamp ist – den Schilderungen nach zu urteilen muss es sich dabei um eine Art Kirchentag für die Jünger des Web 9 3/4 handeln. Trotzdem habe ich irgendwie zugesagt, bei der Organisation eines solchen mitzuhelfen. Die Hauptarbeit bleibt aber – so sind sie, diese modernen Frauen – an Katti hängen.

Alles weitere erfahren Sie (und ich hoffentlich auch) unter barcampruhr.de.

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Kneipenbekanntmachung

Ich bin nicht unbedingt immer sonderlich schnell, was das Aufspüren neuer Trends angeht. Noch ist es nicht so schlimm, dass ich bei “Polylux” anfangen müsste, aber die Nachfolge von Matthias Horx werde ich so bald nicht antreten. Würd’ ich mal so vorhersagen …

Deshalb ist das, worüber ich neulich bei Thomas Knüwer gestolpert bin, vielleicht schon gar nicht mehr wirklich das hippste, neueste Space-Age-Ding im Web 9 3/4. Aber ich finde es ganz und gar großartig und möchte es gerne mit möglichst vielen Menschen teilen:

Kloß und Spinne
(Screenshot: youtube.com)

Es geht um “Kloß und Spinne”, eine Animationsserie von Volker Strübing, die man am Besten als eine Mischung aus “Dittsche” und “South Park” beschreiben kann, garniert mit ganz viel von dem, was ich als Ruhrpottler für Berliner Lokalkolorit halten würde. Das sind unglaublich witzige und anrührende Cartoons, die ich am Liebsten in einer Endlosschleife gucken würde.

Bisher gibt es vier Episoden (“Computer kaputt!”, “Klimakatastrophe”, “Gehacktes!” und “Die Hölle war och schonma besser!”), die alle knapp fünf Minuten lang sind und mit so viel Kreativität und Liebe zum Detail gestaltet wurden, dass man sich fragt, wozu man eigentlich noch Fernsehen braucht. Ein Blog hat Volker Strübing übrigens auch.

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SpOn findet “funzen” nicht k3w1

Wenn der “Spiegel” übers Internet schreibt, ist das meist ähnlich desaströs, wie wenn der “Spiegel” über Sprache schreibt. Wie erreicht man also maximales Desaster mit minimalem Aufwand? Richtig: Indem man jemanden über Internetsprache schreiben lässt.

Die eigenwillige Sprachgestaltung hat Tradition im Netz. Da schreiben Menschen schon mal Sätze wie “Das Hijacking-Problem könnte man mit dem header-redirect 301 leicht vermeiden.” Diese Sprache nervt Web-Nutzer.

Ja ja, diese ganzen verrückten Betrüger, Kriminellen und Kinderschänder im sogenannten “Internet”, ganz komische Leute.

Warum liest man eigentlich nie sowas:

Die eigenwillige Sprachgestaltung hat Tradition im Journalismus. Da schreiben Menschen schon mal Sätze wie “Das Musikmagazin ‘Rolling Stone’ zählte Spector noch 2004 zu den ‘100 großartigsten Künstlern aller Zeiten’.” Diese Sprache nervt Leser.

Spiegel Online ließ seine Leser über die “grässlichsten Web-Wörter” abstimmen. Mit erwartbaren Ergebnissen:

Blogosphäre. Übersetzung von Blogosphere. Meint die Gesamtheit aller Weblogs.

Leider erfahren wir nicht, was jetzt so “grässlich” an dem Wort ist. Ist es die Eindeutschung des englischen Begriffs, der englische Begriff selbst oder die Tatsache, dass man doch auch bequem “die Gesamtheit aller Weblogs” sagen könnte. Was wir aber sicher wissen: Autor Konrad Lischka hätte sein “meint” von seinem notorischen Kollegen Bastian Sick um die Ohren gehauen bekommen.

Netiquette. Benimmregeln für den Umgang miteinander im Netz. Es gibt keine einheitliche Liste, sondern viele, zum Teil schriftliche Vorschläge – und den gesunden Menschenverstand.

So what? Wir reden auch vom “Gesetz”, obwohl es sich dabei auch um “keine einheitliche Liste, sondern viele, zum Teil schriftliche” Texte handelt. Verstöße dagegen werden übrigens – im Gegensatz zu Netiquette-Verstößen – trotz gesunden Menschenverstands auch noch geahndet.

Zu den “von den SPIEGEL-ONLINE-Lesern meistgenannten Stör-Wörtern aus dem Internet”, die aber etwas anderes sind als die “grässlichsten Web-Wörter”, zählt unter anderem:

Googeln: “Mit Google im Internet suchen”, definiert der Duden, in dem dieser Ausdruck für das Recherchieren im Web inzwischen auch zu finden ist. “Google Earthen” kann man beim Googlen schon 384 Mal finden!

Schrecklich! Worte, die im Duden stehen! So tu doch jemand etwas!

Zu den “gedankenlosen Verniedlichungen, die man am liebsten nie mehr lesen oder hören will” zählt Spiegel Online dann das Wort “funzen”, womit endgültig klar sein dürfte, dass Texte zu Sprachthemen dort grundsätzlich nur von Nicht-Linguisten geschrieben und gegengelesen werden – sonst wäre sicher jemandem aufgefallen, dass “funzen” bekanntlich zu den Vokabeln der Ruhrgebietssprache zählt und eben kein Computer-Neologismus ist. Und eine “Verniedlichung” schon dreimal nicht.

Ich will das ganze Elend (“Jeder anständige Web-2.0-Dienst hat nicht nur einen vokalarmen Namen, sondern auch ein entsprechendes Verb.”) gar nicht weiter ausbreiten. Dass “Spiegel” und Spiegel Online” dumpfen Sprachprotektionismus betreiben wollen und sich noch nicht einmal von Linguistik-Professoren beeindrucken lassen, ist spätestens seit Mathias Schreibers großer Titelgeschichte (ist die 50 Cent nicht wert) offensichtlich. Das könnte einem ja egal sein, wenn derartige Geschichten nicht aufgegriffen und von selbsternannten “Sprachschützern” nachgeplappert würden.

Sprache lebt und verändert sich. Gerade Beispiele wie die auch verteufelten Verben “qypen”, “posten” oder “voipen” zeigen, wie kreativ man mit Sprache umgehen kann, und wie schnell Sprache auf technische Veränderungen reagiert (viel schneller als weite Teile der Gesellschaft oder gar der sog. Qualitätsjournalismus). Diese Veränderungen zu verurteilen, ist ungefähr so sinnvoll, wie die Evolution zu verurteilen.

Und wer schon über Internetsprache schreibt, sollte (wir wissen: “Qualitätsjournalismus”) wenigstens auch mal den einen oder anderen Fachmann zu Wort kommen lassen.

Kaufen Sie sich deshalb unbedingt das “Spiegel”-Sonderheft “Leben 2.0 – Wir sind das Netz”, wenn auch Sie an niedrigem Blutdruck leiden oder gerne Leserbriefe schreiben!

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Pferd 2.0

Bei Indiskretion Ehrensache und beim Handelsblatt selbst kann man seit einigen Wochen das schöne Essay “Web 0.0” lesen, in dem Thomas Knüwer anhand einiger Beispiele aufzählt, warum Wirtschaft und Politik auf der einen und Internet auf der anderen Seite immer noch nicht unter einen Hut zu kriegen sind.

Die Kernaussage lautet:

Nun ist klar: Die digitale Spaltung ist da – doch sie verläuft quer durch die Gesellschaften der industrialisierten Nationen.

Und ob man sich in Sachen Computerdurchsuchung nun keine oder gleich riesige Sorgen machen sollte, kann jeder nach diesem Zitat für sich selbst entscheiden:

Oder Jörg Zierke. Dem Chef des Bundeskriminalamtes wurde bei einem Fachgespräch der Grünen zum Thema Bürgerrechte vom Dresdner Datenschutzprofessor Andreas Pfitzmann vorgeworfen: “Mit dieser Unbefangenheit über Informatik reden kann nur jemand, der nicht mit Informatik arbeitet.” Zierkes entwaffnend naive Antwort: “Ich sage auch nur, was mein Mitarbeiter aufschreibt.”

Warum erzähle ich das? Zum einen ist der/die/das Essay recht lesenswert, zum anderen meldete die Netzeitung heute:

Deutsche Medienmanager zweifeln an Web 2.0

Das passt schön zu Knüwers Beobachtungen:

Und Gründer erhalten nur Geld, wenn sie ein Geschäftsmodell aus den USA kopieren. Originäre Ideen werden von Kapitalgebern abgelehnt mit ebendieser Begründung: es gebe kein US-Vorbild.

Im Netzeitungs-Artikel steht aber auch der Absatz:

In einem Punkt waren sich indes deutsche und ausländische Manager in der Befragung einig: Blogs und nutzergenerierte Inhalte werden etablierte und hochwertige Portale und Nachrichten im Internet nicht verdrängen.

Ich glaube auch nicht, dass Blogs “Portale und Nachrichten im Internet” (was immer das genau sein soll) verdrängen werden – wenn, dann machen die das schon selbst, z.B. durch fortschreitende Boulevardisierung und nachlassende Qualität.

Trotzdem würde ich so einen Satz nie sagen. Meine Angst wäre viel zu groß, eines Tages im “Lexikon der größten Fehleinschätzungen” oder wie sowas heißen mag, abgedruckt zu werden. Gleich hinter den totzitierten Worten von Wilhelm II.:

Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.

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Jesus, etc.

Oft genug sind es ja die sog. “etablierten Medien”, die die sog. “neuen Medien” meiden wie der Teufel das Weihwasser. Wenn deren Vertreter dann doch mal über so etwas wie Blogs reden, kann es schnell peinlich, und wenn sie Sinn und Funktionsweise von Blogs nicht verstehen, auch mal oberpeinlich werden.

Umso wichtiger ist es in meinen Augen, auf Beispiele hinzuweisen, bei denen ein “etabliertes Medium” auf geradezu beispielhafte Weise ein Blog eingesetzt hat – und das bei einem Thema, das auf den ersten Blick so gar nicht Web 9 3/4 ist. Ich rede natürlich vom Kirchentagblog von wdr.de. Dort haben die Online-Redakteurinnen Marion Kretz-Mangold und Sabine Tenta bereits Ende Mai zu bloggen angefangen und während des Evangelischen Kirchentags in Köln waren sie richtig aktiv.

Dabei haben die beiden Damen das Blog genau für die Dinge genutzt, für die in der “klassischen” Berichterstattung im Hörfunk oder Fernsehen kein Platz gewesen wäre: kleine Beobachtungen am Rande, Berichte über die Podiumsdiskussionen (inkl. mildem Jürgen-Fliege-Bashing) und Hintergrundinformationen. Wer nicht vor Ort sein konnte, hatte so zumindest die Möglichkeit, eine ordentliche Portion Kirchentagsatmosphäre vom eigenen Computer aus genießen zu können. Manchmal entsponnen sich in den Kommentaren sogar kleine Diskussionen, aber leider nicht oft – so ganz passen Thema und Medium wohl immer noch nicht zusammen.