Warum musst du springen wie der Springer dich schuf
Mädchen, hattest du nicht eigentlich einen anderen Beruf
(Wir Sind Helden – Zieh Dir was an)
Wenn man Besucherzahlen und Verlinkungen als Parameter für Erfolg ansieht, war es eine sehr erfolgreiche Woche fürs BILDblog. Was uns allerdings verwundert hat: Nicht einer der vielen Artikel über die Sonderbehandlung, die “Bild” Karl-Theodor zu Guttenberg angedeihen ließ, hat letztlich unseren Server zum Knirschen gebracht, sondern der wütende, leicht hilflose Brief einer Popsängerin.
Die Werbeagentur Jung von Matt hatte bei Judith Holofernes und ihrer Band Wir Sind Helden angefragt, ob diese nicht im Rahmen einer Werbekampagne “ihre offene, ehrliche und ungeschönte Meinung zur BILD” äußern wollten. Das war angesichts der Tatsache, dass Holofernes mit ihrer Meinung zu “Bild” nie hinterm Berg gehalten hatte, eine steile Anfrage — nach Maßstäben von Werbern also womöglich eine brillante Idee.
Aber Sängerin und Band wollten nicht auf ein Plakat, sie teilten ihre Ansichten der Menschheit lieber unentgeltlich mit: auf der eigenen Website, bei uns und später, als beide Server am Boden waren oder in den Seilen hingen, auch noch anderswo.
Die Reaktionen haben alles getoppt, was wir (und wohl auch die Band selbst) erwartet hätten. Mehr als 50.000 Menschen haben inzwischen den Facebook-“Gefällt mir”-Button unter dem BILDblog-Eintrag geklickt, was für uns eine so unvorstellbar hohe Zahl ist, dass ich sie nur noch mit der Einwohnerzahl meiner alten Heimatstadt vergleichen kann. So gesehen geht da also noch was.
Die Reaktionen waren überwiegend, aber nicht ausschließlich positiv. Und sie warfen auch Fragen auf, die ein Facebook-Freund von mir so auf den Punkt brachte:
Warum ist das so ne Sensation, das “Wir sind Helden” nicht für BILD werben? Das ist doch wohl das Mindeste, das man von jemandem mit Anstand erwarten kann.
Ja, das stimmt natürlich. Dennoch werben Leute wie Hans-Dietrich Genscher, Gregor Gysi, Jonathan Meese, David Garrett, Philipp Lahm, Richard von Weizsäcker, aber natürlich auch Til Schweiger für das Blatt. Die dürfen dann zwar auch ein bisschen Kritik äußern, aber sie machen natürlich trotzdem für bundesweite Plakatierung und 10.000 Euro für einen guten Zweck gemeinsame Sache mit “Bild”. (Bemerkenswert übrigens, dass der am ehesten “kritisch” zu nennende Beitrag ausgerechnet der Radiospot des Komikers Atze Schröder ist.) Die damalige Frauenrechtlerin und heutige “Bild”-Gerichtsreporterin Alice Schwarzer war übrigens schon bei einer früheren “Bild”-Kampagne dabei.
Offenbar ist der (an vielen Stellen rührend ungelenke) Brief von Judith Holofernes ein bisschen wie das Kind aus “Des Kaisers neue Kleider”, das “Aber der ist doch nackt!” ruft. “Endlich sagt’s mal jemand”, lautete an vielen Stellen der Tenor, was einen natürlich schon ein bisschen betrübt zurück lässt, wenn man seit Jahren zu belegen versucht, was Holofernes jetzt noch mal aufschreibt:
Die BILD -Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-Kulturgut und kein harmloses “Guilty Pleasure” für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild -Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands.
Genau das war ja die Motivation von Stefan Niggemeier und Christoph Schultheis, als sie vor fast sieben Jahren BILDblog gegründet haben: zu zeigen, dass “Bild” eben “kein lustiges Quatschblatt” ist, wie Stefan es immer wieder ausgedrückt hat.
Das scheint plötzlich auch der “Spiegel” erkannt zu haben, der morgen – ein Zufall, tatsächlich – mit dieser Geschichte aufmacht:
Ich habe das Heft noch nicht gelesen, die Vorabbesprechungen fallen ziemlich enttäuscht aus und doch ist es bemerkenswert, dass sich ein großes deutsches Medium so explizit mit “Bild” befasst.
Den etwa 40.000 BILDblog-Lesern an einem durchschnittlichen Tag (diese Woche waren es meist mehr oder sehr viel mehr) und den 50.000 Facebook-Likes des Helden-Aufsatzes steht eine “Bild”-Auflage gegenüber, die zwar kontinuierlich sinkt, aber immer noch bei 2,9 Millionen liegt. Die Reichweite (eine Zahl, die durch das Werfen von Hühnerknochen bei Vollmond ermittelt wird) liegt sogar bei über elf Millionen. Dagegen nehmen sich selbst die Auflage und die Reichweite des “Spiegel” (knapp eine Million und 5,9 Millionen) eher bescheiden aus, aber es ist eben ein Vielfaches dessen, was wir oder ein Medienmagazin wie “Zapp” erreicht. (Zumal der Anteil der Leute, die “Bild” bisher “irgendwie ganz okay” fanden, unter den “Spiegel”-Lesern deutlich größer sein dürfte, als unter denen des BILDblog.)
Ein Vorwurf, der immer mal wieder aufkam, lautete, mit ihrer Antwort hätten Wir Sind Helden “Bild” nur noch mehr Aufmerksamkeit verschafft. Mit der gleichen Logik könnte man Greenpeace vorwerfen, indirekte PR für BP zu machen. Das alte Mantra “Any PR is good PR” steht im Raum, das ich für ziemlichen Unfug halte. Fragen Sie mal Jörg Kachelmann, welche Auswirkungen die ständige Erwähnung seines Namens in den Medien während der letzten elf Monate auf dessen Karriere und Leben gehabt haben! Zudem braucht die “Marke” “Bild” ungefähr so dringend weitere Aufmerksamkeit von jungen, kritischen Menschen, wie die “Marke” “Apple” von Microsoft-Verehren und Linux-Fans.
Der andere Haupt-Kritikpunkt war, die Band wolle doch nur auf sich aufmerksam machen. Stefan Winterbauer, der Blinde unter den Einäugigen bei “Meedia”, schrieb:
Es ist bezeichnend, dass “Wir sind Helden” einen solchen Popularitätsschub mit einer eher oberflächlichen und wirren Bild-Schelte erreicht und nicht mit ihrer Musik. Das jüngst erschienene Best-of-Album “Tausend wirre Worte” schaffte es nicht mehr in die Top-Ten der Album Charts und rangiert auch bei Download-Plattformen wie iTunes weit hinten.
Die Kommentare bei “Meedia” fielen überwiegend vernichtend aus, einige zeigten sich gar “enttäuscht” von dem Mediendienst, was insofern erstaunlich ist, als das ja immerhin eine vage positive Erwartungshaltung voraussetzen würde.
Natürlich kann man der Band diesen Vorwurf machen. Ich glaube nur, dass er in diesem speziellen Fall ins Leere läuft: Es ist ja nicht das erste Mal, dass Judith Holofernes öffentlich zu gesellschaftlichen Themen Stellung bezieht, und auch nicht das erste Mal, dass sie “Bild” schilt. Wenn eine Frau, die sonst für ihre durchdachten Texte gelobt wird, sich regelrecht auskotzt und dabei ein Brief entsteht, den man unter ästhetischen Gesichtspunkten eher so als “mittel” bezeichnen würde, nehme ich ihr die Empörung wirklich ab.
Nun kam am Freitag auch die neue Single der Helden auf den Markt, weswegen man der Aktion ein “Geschmäckle” attestieren kann. Allerdings lag uns das Angebot der Band, den Text zu veröffentlichen, schon neun Tage vorher vor. Dass es letztlich so lange dauerte, lag an der Verpeiltheit auf beiden Seiten.
Und so richtig berechnend wirkt Judith Holofernes auch nicht, wenn sie im Interview mit jetzt.de schon gegen die nächsten stichelt:
Also, wenn diese E -Mail uns fünf schlaue, nette Leute in die Arme treibt, die uns bis jetzt scheiße fanden, und wir die dann vielleicht gegen die fünf Leute eintauschen können, die uns in ihrem Plattenregal neben den “Grafen” gestellt ahaben [sic!], weil sie “halt irgendwie so deutsche Texte mögen”, dann ist das doch ein guter Deal.
Und während ich diesen Eintrag schrieb, erreichte mich die Nachricht, dass der Brief von Judith Holofernes morgen in einer ganzseitigen Werbeanzeige von “Bild” in der “taz” erscheinen wird. Damit setze ich dann gerne auch darauf, wer aus diesem Scharmützel als Verlierer hervorgehen wird: die “taz”, wenn morgen wieder ein paar hundert Abo-Kündigungen eingehen.
Disclosure: Ich kann mit dem aktuellen Album von Wir Sind Helden nichts anfangen.