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Politik

Biegen und Brechen

NRW wird seit zwei Jahren von einer schwarz-gelben Landesregierung regiert, die es binnen kürzester Zeit geschafft hat, dass sich die Bevölkerung die zuletzt verhasste rot-grüne Vorgängerregierung zurückwünscht. Wer nach dem Machtwechsel geglaubt hatte, es könne ja eigentlich nur noch besser werden, wurde negativ überrascht. Redet man mit Menschen, die ein bisschen Einblick in das Innere dieser Landesregierung haben, möchte man das Land danach so schnell als möglich verlassen: Vom Ministerialrat bis zum Minister scheinen alle mindestens unfähig (aber wie und wo sollten die in 100 Jahren SPD-Regierung auch Erfahrung sammeln?) und von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers heißt es, er sei selbst zum Vorlesen vorgeschriebener Reden nicht zu gebrauchen.

Aber was ist schon eine desaströse Bildungs- oder Baupolitik gegen äußerst fragwürdige (und unterirdisch schlecht verschleierte) Taktierereien?

Die “WAZ” meldet heute, die Landesregierung wolle die Kommunalwahl 2009, die für den selben Tag wie die Bundestagswahl vorgesehen war, verschieben:

Nach Informationen der WAZ haben die Generalsekretäre von CDU und FDP den Verantwortlichen im NRW-Innenministerium aber bereits diktiert, dass “aus politischen Erwägungen” eine Kopplung von Kommunal- und Bundestagswahl unerwünscht sei.

Meinungsforscher rechnen bei einer Doppelwahl mit einer deutlich höheren Wahlbeteiligung, weil sie vor allem viele der wahlmüde gewordenen SPD-Anhänger zurück an die Urnen holt. Das gute Abschneiden von CDU und FDP bei der Kommunalwahl 2004 wurde auch mit der im Vergleich zur Bundestagswahl 2005 dramatisch niedrigeren Beteiligung (54,4% Komm./ 81,3% Bund) erklärt.

Nochmal: Die Generalsekretäre von CDU und FDP wollen keine gemeinsame Kommunal- und Bundestagswahl, weil dann mehr SPD-Anhänger zur Bundestagswahl gehen könnten und gleichzeitig ihrer Partei auch bei der Kommunalwahl ihre Stimme geben könnten. Und das soll das Innenministerium jetzt regeln.

Es geht aber nicht nur um dieses leicht fragwürdige politische Taktieren, es geht auch knallhart um etwa 42 Millionen Euro, die zwei entkoppelte Wahlen mehr kosten würden. Von dem zusätzlichen Aufwand für Wahlhelfer und Wahlkämpfer mal ganz zu schweigen.

[via Pottblog]

Nachtrag 21. August: Auch heute berichtet die “WAZ” wieder über das Thema und lässt u.a. Oppositionspolitiker zu Wort kommen, die die Idee naturgemäß nicht so doll finden. Auch der WDR hat unter Berufung auf die “WAZ” groß darüber berichtet, ein bisschen kleiner die “Ruhr Nachrichten”, der “Kölner Stadt-Anzeiger”, die “Westdeutsche Zeitung”, die “Kölnische Rundschau” und das “Westfalen-Blatt”.

Noch irgendwelche größeren NRW-Medien ohne Fahrschein? Ja: “Express”, “Bild” und die “Rheinische Post”.

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Musik Unterwegs

Haldern-Liveblog (Samstag)

15:06 Uhr: Was bisher geschah: Drecksverdammtes Mistwetter! Diese Hitze! Im Zelt fühle ich mich wie Colonel Kurtz in der grünen Hölle, außerhalb wie Erwin Rommel in Nordafrika. Wie, mir kann man’s auch nicht recht machen? 22°C, bewölkt – sollte doch kein Problem sein.

Auf dem Weg zum Festivalgelände noch lauwarmes Bier vernichtet, aber was tut man nicht alles für authentisches Festival-Feeling? Das ist nämlich jetzt schon wieder vorbei, weil ich Prollo-Pressemensch im schattigen Pressezelt sitzen darf, während die unbarmherzige niederrheinische Sonne auf den ehemals matschigen Alten Reitplatz niederbrennt. Navel und Sereena Maneesh hab ich deshalb schon verpasst, aber das Haldern-Blog schafft Abhilfe.

Gerade stehen Friska Viljor auf der Bühne und von dem, was hier hinten noch ankommt, würde ich auf Indie-Rock tippen. Das sollte mal genauer untersucht werden.

15:35 Uhr: Denken Sie bei einem bärtigen, langhaarigen Mann mit Hut und Mandoline nicht auch automatisch an Hans Süper? Sie könnten auch an Friska Viljor denken. Die klangen ein bisschen wie eine Mischung aus Arcade Fire, Kaizers Orchestra, The Smith und einer durchgeknallten Countryband und waren (natürlich deshalb, nicht trotzdem) außergewöhnlich unterhaltsam. Wenn es auf dem Niveau weitergeht, wird das ein sehr feiner, aber ultra-anstrengender Tag.

16:30 Uhr: Na gut: Sooooo doll ging’s dann doch nicht weiter. Voxtrot haben zwar ein Klavier dabei und klingen ein bisschen wie dir frühen R.E.M., aber so ganz können mich die Texaner nicht überzeugen.

Dafür hat der WDR wieder seine Kameras eingeschaltet und in den Weg gestellt, was mich aus obskuren Gründen an den schönsten Festival-TV-Moment ever erinnert …

17:19 Uhr: Auch wenn sie mal ausnahmsweise nicht auftreten, sind The Divine Comedy auf dem Haldern Pop omnispärsent – und wenn es nur als Umbaumusik und T-Shirt-Beschriftung ist.

Gerade spielen Johnossi, die “schwedischen White Stripes”. Es sei sehr heiß auf der Bühne sagt Sänger John und ein “Ach was” geht durch die Menge. Aber man habe auch gehört, es sei das erste trockene Haldern-Festival seit dem 18. Jahrhundert. Das Publikum hockt zur Zeit vermutlich lieber im Badesee neben dem Festivalgelände und hört von dort aus zu. Alle anderen haben schon braungebrannte Haut oder pfeifen auf Sonnenbrände. Wenn es nicht so unerträglich heiß wäre, würden die Leute vielleicht nicht nur beim größten Hit der Band tanzen. Aber der heißt ja immerhin “Man Must Dance”.

18:17 Uhr: Ein Teil des gerade antrocknenden Festivalgeländes stand zwischenzeitlich wieder unter Wasser – dort war eine provisorische Festival-Dusche zur Abkühlung aufgebaut worden. Auch wenn es schon früher Abend ist, sind die Temperaturen nach wie vor hoch.

Die Zuschauer, die sich gerade Malajube geben, lassen sich davon aber nicht aufhalten. Und auch wenn die Kanadier sonst “Montréal -40°C” besingen, kommt ihr französischsprachiger Indierock gut an. Ich vermute unter den lauten Gitarren und Krachwänden kleine Pop-Perlen, aber die sollen offenbar nicht zu auffällig sein.

19:38 Uhr: Gerade gab es die obligatorische Pressekonferenz. Veranstalter Stefan Reichmann ist zufrieden mit dem Wetter und den Besucherzahlen (5.500 bis 6.000). Er erzählt, dass Indie in vielen Bereichen jetzt Mainstream sei, und man in Haldern nicht bereit sei, den “Headliner-Terror”, der letztendlich nur die Kosten der Eintrittskarten in die Höhe treibe, weiter mitzumachen. Und auch ohne die ganz großen “Indie”-Headliner sind Besucherzahlen und Stimmung ja bestens.

Zur Zeit stehen Architecture In Helsinki auf der Bühne, was Raum für etwa ein Halbdutzend mieser Wortspiele ließe. Lassen wir das lieber bleiben und freuen uns an dem dezent verspulten Indiepop, der gerade von der Bühne donnert.

Ab 20 Uhr soll Eins Live, die sog. Jugendwelle des omnipräsenten WDR, übrigens das Festival für vier Stunden live übertragen. Ich bin ja mal gespannt, ob man dort seinem Publikum wirklich ein Konzert von Loney, Dear “zumutet” und dann nach zehn Minuten Jan Delay aussteigt, wie es der Zeitplan vorsieht.

20:28 Uhr: Es gibt Geschichten, da habe ich das Gefühl, dass mir ein Puzzleteil fehle. Bei Architecture In Helsinki bin ich mir dessen sogar sicher: Alle erzählen einem, wie toll die doch seien, doch weder auf Platte noch live kann mich die Band irgendwie packen. Letztendlich klingt ihre Musik in meinen Ohren wie der Migräneanfall einer Waldorf-Kindergärtnerin.

Gossip am Rande: Hier im VIP-Zelt läuft auch Dennis von Muff Potter rum, den ich gerade auf vermutlich recht peinliche Weise angequatscht habe. Ich sollte mir dieses unprofessionelle Fandom im Dienst mal abgewöhnen. Andererseits: Sollte man Leuten, die großartige Musik machen, nicht auch in ihrer Freizeit sagen dürfen, dass sie das tun? Vielleicht grübel ich gleich bei Loney, Dear mal darüber nach.

21:00 Uhr: Während die tiefstehende Sonne den niederrheinischen Himmel in ein holländisches Orange taucht, geht die Swedish Invasion auf der Bühne in die nächste Runde: Loney, Dear alias Emil Svanängen und seine Begleitband zaubern melancholischen Indiepop zwischen Bright Eyes und The Postal Service. Die mitunter überraschend textarmen Songs (“Nananananana”, “Dadadadada”, “Lalalalala”, …) klingen live nicht so elektrisch wie auf Platte, weswegen sich der Postal-Service-Vergleich nicht mehr ganz so aufdrängt. Irgendwie aber eben doch, weswegen ich die Band ebenso als Referenz nennen möchte wie Electric President. Solche Musik würde auch schön in die Nacht passen.

Apropos Nacht: Nach den Erfahrungen von gestern Abend grübel ich noch, ob ich es überhaupt versuchen soll, mir Ghosts und Duke Special im Spiegelzelt anzusehen. Zwar muss man der Fairness halber erwähnen, dass das Geschehen aus dem Zelt auch nach draußen übertragen wird (inkl. Großbildleinwand) – aber ob das so viel bringt, wenn auf der Hauptbühne gerade Jan Delay und seine Band spielen?

Nachträge Sonntag: Pünktlich zu den Shout Out Louds wurde es voll auf dem Platz. So viel zum Thema “Mäh, gibt ja keinen Headliner”. Es war von vorne bis hinten ein großartiger Auftritt und als nach fünfzig Minuten “Tonight I Have To Leave It” kam (als letzter regulärer Song vor dem dreiteiligen Zugabenblock), brannte wie erwartet die Luft. Man kommt um diese ständigen The-Cure-Vergleiche wirklich kaum umhin, weil Adam Olenius wirklich wie Robert Smith klingt. Ganz klar ein würdiger Abschluss des Festivals.

Aber das Festival war ja noch nicht vorbei: Während immer mehr Menschen zu Jan Delay auf den Platz strömten, wetzte ich hinaus ins Spiegelzelt, wo gerade The Drones am … haha: dröhnen waren. Ich war mir auch am Ende des Auftritts nicht sicher, was ich von ihrem Noise-Blues-Rock mit Post-Grunge-Einflüssen halten sollte, aber interessant war es allemal.

So langsam füllte sich das Spiegelzelt mit Leuten, die den Platz teils fluchtartig verlassen haben mussten. Ihre Ausführungen über das, was Jan Delay da so gebracht habe, sollen vor einer möglicherweise minderjährigen Leserschaft geheimgehalten werden, deswegen nur so viel: Ich war froh, dass ich mich fürs Zelt entschieden hatte.

Gegen halb eins legten dort Ghosts aus London mit ihrem charmanten Indiepop los, der live nicht mehr ganz so zuckersüß-lieblich klingt wie auf Platte. Die Band war (wie eigentlich alle anderen auch) völlig begeistert vom Publikum und das Publikum auch von ihnen. Mitten im Set gab es ein neues Kapitel der Serie “Britpop-Bands covern gänzlich unwahrscheinliche Songs”, als Sänger Simon Pettigrew “Don’t Cha” von den Pussycat Dolls anstimmte, was wir natürlich alle erst im Refrain bemerkten.

Während die Kräfte der Zuschauer schwanden und manche schon im Stehen einschliefen, wurde ein halbes Instrumentenmuseum auf die Bühne des Spiegelzelts geschleppt. Duke Special, sonst eigentlich nur Sänger/Pianist Peter Wilson, spielten in vierköpfiger Besetzung, bei der unter anderem auch Küchenquirl und Käsereibe zum Einsatz kamen. Wilson stand hinter seinem Klavier wie sonst nur Ben Folds, und wer so schöne Circus-Cabaret-Indie-Folk-Orchester-Pop-Musik macht, dem sieht man auch mal nach, dass er Wursthaare auf dem Kopf trägt.

Danach war Schluss. Zwar stand mit The Earlies noch eine letzte Band auf dem Programm, aber Rücken, Füße, Lunge und Augen schrien “Bett!” bzw. wenigstens “Schlafsack”. Und so endete das regenfreie Haldern-Pop-Festival 2007 in dieser seligen Haldern-Stimmung, die einen irgendwie jedes Jahr befällt. Auf dem Zeltplatz gab es noch Johnny Hills “Ruf Teddybär Eins-Vier” und Howard Carpendales “Ti Amo” und ich wusste: “Irgendwie ist es auch gut, dass es jetzt erst mal wieder vorbei ist.”

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Digital

Jesus, etc.

Oft genug sind es ja die sog. “etablierten Medien”, die die sog. “neuen Medien” meiden wie der Teufel das Weihwasser. Wenn deren Vertreter dann doch mal über so etwas wie Blogs reden, kann es schnell peinlich, und wenn sie Sinn und Funktionsweise von Blogs nicht verstehen, auch mal oberpeinlich werden.

Umso wichtiger ist es in meinen Augen, auf Beispiele hinzuweisen, bei denen ein “etabliertes Medium” auf geradezu beispielhafte Weise ein Blog eingesetzt hat – und das bei einem Thema, das auf den ersten Blick so gar nicht Web 9 3/4 ist. Ich rede natürlich vom Kirchentagblog von wdr.de. Dort haben die Online-Redakteurinnen Marion Kretz-Mangold und Sabine Tenta bereits Ende Mai zu bloggen angefangen und während des Evangelischen Kirchentags in Köln waren sie richtig aktiv.

Dabei haben die beiden Damen das Blog genau für die Dinge genutzt, für die in der “klassischen” Berichterstattung im Hörfunk oder Fernsehen kein Platz gewesen wäre: kleine Beobachtungen am Rande, Berichte über die Podiumsdiskussionen (inkl. mildem Jürgen-Fliege-Bashing) und Hintergrundinformationen. Wer nicht vor Ort sein konnte, hatte so zumindest die Möglichkeit, eine ordentliche Portion Kirchentagsatmosphäre vom eigenen Computer aus genießen zu können. Manchmal entsponnen sich in den Kommentaren sogar kleine Diskussionen, aber leider nicht oft – so ganz passen Thema und Medium wohl immer noch nicht zusammen.

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Rundfunk Politik

“Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, …”

“… und meine Wangen denen, die mich rauften.” (Jesaja 50,6)

In Köln findet ja gerade der großangelegte Gegenentwurf zu G8-Gipfel und -Gegendemonstrationen statt: der Evangelische Kirchentag. Das ist mir irgendwie sympathischer und die schöneren Bilder gibt es da auch.

So ließ es sich der WDR gerade nicht nehmen, während der Grußworte von Frank-Walter Steinmeier und Jürgen Rüttgers – die beide beim Versuch einer Johannes-Rau-Impersonation kläglich scheiterten – demonstrativ zu zeigen, wie Zuschauer den Ort des Geschehens verließen. Manchmal ist ein Rücken eben eine deutlichere Botschaft als eine Stirn oder gar Faust …

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Rundfunk Leben Fernsehen

Hat man beim WDR etwas gegen Veronica Ferres?

Ich habe seit Montag im WDR zwei Dokumentationen über Jörg Immendorff gesehen, die zwar teilweise aus dem gleichen Material bestanden, aber eben doch zwei verschiedene Filme waren.

In beiden Filmen waren Ausschnitte von öffentlichen Veranstaltungen zu sehen (die Eröffnung der Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie 2005 und die Übergabe des Kanzlerporträts im Frühjahr 2007), bei denen neben Immendorff jeweils Gerhard Schröder und Veronica Ferres zugegen waren. Und, ungelogen: Jedes mal, wenn Frau Ferres im Bild war, sagte die Sprecherin gerade etwas von “Nutznießern”, “Bussi-Bussi-Gesellschaft” und Leuten, die Immendorff am Ende “zuwider” gewesen seien. Das kann doch kein Zufall mehr sein, oder?

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Rundfunk Fernsehen

Programmdirektor spielen (Nachtrag)

Ich bin großer Fan der “Daily Show” mit Jon Stewart. Der Start von Comedy Central Deutschland hat sich allein deshalb schon gelohnt, weil man die jeweils aktuellste Folge der großartigen amerikanischen Satiresendung dort online schauen kann. In den vergangenen Wochen habe ich mich des öfteren gefragt, ob ein solches Format wohl auch in Deutschland funktionieren würde. Nachdem der Name Jon Stewart kürzlich auch in unseren Kommentaren und damit in räumlicher Nähe zum Namen Stefan Raab auftauchte, habe ich den Gedanken mal zu Ende gedacht:

“Lustige Nachrichtensendungen” haben in Deutschland eine lange Tradition: Begonnen hat es (wie immer) mit Rudi Carrell und seiner “Tagesshow”, es gab die “Wochenshow” auf Sat 1 und zuletzt die “Freitag Nacht News” bei RTL. Diese Reihenfolge ist nicht nur die chronologisch korrekte, sondern auch eine nach Qualität absteigende. Im Gegensatz zur “Daily Show”, die die Politik in den USA auch (oder vor allem) inhaltlich auseinander nimmt, handelten Witze in den “Freitag Nacht News” hauptsächlich von Angela Merkels Frisur. Das deutsche Äquivalent der “Daily Show” müsste also mittig zwischen Comedy und politischem Kabarett platziert werden – und zwar, ohne auch nur auf einen Vertreter der beiden Genres zurückzugreifen.

Als Moderator kann ich mir von den bekannteren Vertretern ihrer Zunft deshalb eigentlich nur Dieter Moor vorstellen. Der hat in der Vergangenheit mit den brillanten Sendungen “Canale Grande” (Vox) und “Ex! Was die Nation erregte” (SWR/ARD) bewiesen, dass er ein sehr feines Gespür für Ironie hat und intelligente Interviews führen kann. Ihm würde man (nicht zuletzt wegen einer gewissen optischen Ähnlichkeit mit Jon Stewart) den Anchorman einer Nachrichtensendung abnehmen. Alternativ könnte man es auch mit einem jungen, unverbrauchten Gesicht versuchen.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob in Deutschland überhaupt genug passiert, um eine tägliche Satiresendung an vier Wochentagen mit Inhalten zu versorgen. In den USA gibt es einige Dutzend Nachrichtensender, fünfzig Bundesstaaten, hundert Senatoren, 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus und eine Regierung, deren Mitglieder bei so ziemlich jedem öffentlichen Auftritt so viel sagt (oder nicht sagt), dass man damit mehrere “Daily Shows” füllen könnte. Für wöchentliche Satiresendungen wie die WDR-2-“Zugabe”, den “Wochenrückblick” von Peter Zudeick oder – mit Abstrichen – “Extra 3” reicht aber auch das in Deutschland verzapfte Material aus, Satireseiten im Internet wie die “Schandmännchen” oder die der “Titanic” haben sogar täglich Material. Die wenigen guten politischen Kabarettisten (also Volker Pispers und die, die bei “Neues aus der Anstalt” und den “Mitternachtsspitzen” auftreten) schaffen es auch, noch in jeder Suppe, die der Politik dem Volk aingebrockt hat, diverse Haare zu finden. Mithilfe einiger guter Autoren (also nicht die, die demnächst bei “Harald Schmidt” freigesetzt werden) sollte es möglich sein, eine wenigstens wöchentliche Sendung zusammenzustellen, die gleichzeitig über Hintergründe informiert und die Aussagen von Politikern und sonstigen “hohen Tieren” auseinandernimmt. Außerdem haben wir Politiker wie Wolfgang Bosbach und Guido Westerwelle (gibt’s den eigentlich noch?), die mit nahezu jeder Äußerung um satirische Würdigung flehen. Und dann gibt es ja auch noch Wolfgang Schäuble

Auch wenn das Interesse an “intelligenter Unterhaltung” immer wieder bezweifelt wird, ich denke, die Zielgruppe wäre nicht einmal gering: Es gibt genug Leute, die die “Titanic” lesen; genug, die sich für Satire interessieren, aber Berührungsängste vor dem Lehrer-in-Lederwesten-Kabarett beim “Scheibenwischer” haben. In den USA ist die “Daily Show” für viele (gerade jüngere) Zuschauer inzwischen ein Hauptlieferant für Nachrichten geworden – obwohl die Macher immer wieder betonen, Unterhaltung und keine ernsthaften Nachrichten zu produzieren. Dass eine Untersuchung der Indiana University dennoch zu dem Ergebnis kam, dass der Nachrichtengehalt in der “Daily Show” im großen und ganzen mit dem in “richtigen” Nachrichtensendungen vergleichbar ist, spricht eine deutliche Sprache im Bezug auf die Mainstream-Nachrichten, denen viele US-Bürger ausgesetzt sind. Dazu passen aber die Einschaltquoten im deutschen Fernsehen, bei denen “RTL Aktuell” immer öfter vor der “Tagesschau” liegt.

Bleibt natürlich die Frage, welcher Sender so eine Sendung ausstrahlen würde. Wer hätte die Eier, nicht nach drei Wochen mit nicht ganz so guten Quoten (denn vielleicht irre ich mich und die rund 5.000 User, die sich die “Daily Show” online angucken, haben gar keinen Bock mehr auf das Uralt-Medium Fernsehen oder interessieren sich gar nicht für deutsche Politik) die ganze Show gleich wieder zu kippen? Wer könnte die vielen Redakteure und Autoren, die eine solche Sendung selbst mit dem besten Moderator nun mal bräuchte, bezahlen? Hält man sich die (sicherlich preisgünstigeren) Testballons vor Augen, die der WDR im vergangenen Sommer in seinem Spätabendprogramm losgelassen hat, scheint zumindest etwas Experimentierfreude und Geld vorhanden zu sein. Vielleicht wagt es sogar ein Privatsender wie Vox, der ja mit hohem Anspruch gestartet war und sich in den letzten Jahren als erfolgreichster Fernsehsender der zweiten Reihe etablieren konnte. Ich würde mich freuen und immer einschalten!

Nachtrag 29.05.: Auf meine Anfrage (die ich bereits einige Tage vor diesem Eintrag hier gestellt hatte) bestätigte man mir beim deutschen Comedy Central, dass weiterhin an einer Integration der jeweils aktuellsten “Daily Show” ins Fernsehprogramm gearbeitet werde. Pläne, eine ähnliche Show für Deutschland zu produzieren, gebe es bisher aber nicht.

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Radio Rundfunk

I’m A Yesterday Man

Am Donnerstag startete in den deutschen Kinos “Robert Altman’s Last Radio Show” (was – angedenk der Tatsache, dass Regisseur Robert Altman inzwischen verstorben ist – ein überraschend passender “deutscher” Titel für “A Prairie Home Companion” ist). In dem höchst vergnüglichen Revuefilm mit Starbesetzung geht es um eine traditionsreiche amerikanische Radioshow, die nach vielen Jahren eingestellt werden soll.

Radio ist heute ein sog. Nebenbeimedium, d.h. die Radiomacher sind der Ansicht, ihre Hörer hörten ihnen sowieso nicht zu, weswegen sie ihr Programm so gestalten, dass ihnen auch wirklich niemand mehr zuhören will: Überdrehte Gute-Laune-Maschinen aus dem Privatradio, die eine Hektik verbreiten wie ein Hamster, der ein Kilo Ecstasy gefuttert hat, könnte ich nicht mal “nebenbei” ertragen, und die ehemaligen Qualitätssendungen der öffentlich-rechtlichen Sender sind inzwischen auch im “Formatprogramm” angekommen (zwei beliebige Popsongs; ein Studiogespräch, das auf keinen Fall länger als anderthalb Minuten dauern darf und mit einem nervigen “Musikbett” unterlegt ist; zwei beliebige Popsongs; eine kurze, pointenlose Zwischenmoderation; zwei beliebige Popsongs; Werbung – dazu alle drei Minuten der Hinweis, welchen Sender man gerade noch mal eingeschaltet hatte).

Da grenzt es fast an ein Wunder, dass es auch im deutschen Radio noch eine richtige Radioshow im besten, im klassischen Sinne gibt: sie heißt “Yesterday”, läuft seit 1995 auf WDR 2 und wird von ihrem Erfinder Roger Handt moderiert. Früher hieß sie “Yesterday – Die Oldie-Show” und genau das ist sie eigentlich auch: In der ersten Stunde der dreistündigen Sendung werden Hörerwünsche erfüllt (als “Oldie” gilt ein Song, der vor mehr als zehn Jahren erschienen ist, d.h. spätestens Ende dieses Jahres können wir mit “Angels” von Robbie Williams rechnen), in den zwei darauffolgenden Stunden findet das “Yesterday-Quiz” statt, bei dem je zwei Hörer in zwei Runden und einem Finale gegeneinander antreten.

Die Kandidaten, meist 55jährige Lehrer aus Essen, müssen (manchmal recht simple, manchmal wirklich knifflige) Fragen zu einem bestimmten Jahrzehnt beantworten, dazwischen gibt es viele Musiktitel, die – auch das ist im Radio inzwischen eine Seltenheit – fast immer ausgespielt werden. Als es im Januar um die Neunziger Jahre (des zwanzigsten Jahrhunderts) ging, fühlte ich mich plötzlich sehr, sehr alt. Einmal im Monat findet die Sendung vor einem Livepublikum statt, das mitunter mehrere Jahre auf seine Eintrittskarten warten musste, und was “Yesterday” (neben der vielen Musik, die heute kaum noch im Radio gespielt wird, und den durchaus interessanten Quizrunden) so besonders macht, ist die Art, mit der Roger Handt sie moderiert: es gibt keinen strikten Sendeplan, keine Anderthalb-Minuten-Regelungen, keinerlei Hektik.

Die Vorstellung der Kandidaten nimmt so viel Zeit in Anspruch, wie andere Sendungen gerade mal einem Starinterview (inkl. Musiktitel) einräumen würden. Handt kann sich minutenlang mit einem kaufmännischen Angestellten aus dem Siegerland über den Ein- und Verkauf von Schrauben (“für den Trockenbau, für Holz”) unterhalten oder sich von einer Hausfrau aus Köln über ihre Kinder berichten lassen, ohne dass es auch nur ansatzweise langweilig wird. Er interessiert sich für seine Anrufer (und wohl für alle seine Hörer) und die freuen sich, “endlich mal durchgekommen” zu sein – ob sie hinterher etwas gewinnen (es geht um CDs und Konzertkarten), ist den meisten fast egal. Handt ist locker im positiven Sinn, ohne dabei ins Joviale (s. Thomas Gottschalk) oder Überdrehte (s. Frühstücksmoderatoren auf jedem verdammten Sender) abzurutschen, und er sagt Sachen wie “Schon komisch, dass so ein Franz Beckenbauer mal Platten eingesungen hat. Obwohl: Marius Müller-Westernhagen singt ja auch …”

Die Sendung läuft Samstagabends ab 19 Uhr und sorgt damit regelmäßig dafür, dass man sich beim Abendessen festhört und das abendliche Fernsehprogramm einfach ignoriert. Roger Handt kennt jeden Song, den er spielt, und weiß, wer ihn wann (wahrscheinlich auch wo) geschrieben, und wer ihn Jahre später auf der B-Seite welcher Single gecovert hat – und wer dabei die Leadgitarre spielte, obwohl er gar nicht in den Liner Notes auftauchte. Sollte er sich doch mal einen groben Schnitzer erlauben, weist er hinterher ganz zerknirscht darauf hin.

Roger Handt ist kein deutscher John Peel. Der legendäre englische Radio-DJ entdeckte bis zu seinem plötzlichen und viel zu frühen Tod 2004 noch wöchentlich neue Platten und feierte Musiker, die seine Enkelkinder hätten sein können. Handt, der 1945 und damit sechs Jahre nach Peel geboren wurde, sagt heute in Interviews Sätze wie

Ich muss mich nur noch für das interessieren, was mich interessiert.

und dass Freddy Quinn ein paar geistreichere Sachen gesungen habe als Xavier Naidoo. Das ist sein gutes Recht, und gerade bei solchen Vergleichen wagt man – schon wegen mangelnder Werkkenntnis beider Künstler – kaum zu widersprechen.

“Yesterday” ist echte Radiounterhaltung. Man kann sich irre jung (“Das war Karl Schiller, Bundeswirtschaftsminister von 1966 bis 1972.”) und wahnsinnig alt (“Und als nächstes hören wir Hanson mit ‘MMMbop’!”) fühlen. Bei mir erzeugt die Sendung das, was schon lange keine Fernsehshow mehr erreicht: das Gefühl der Geborgenheit, so wie vor vielen Jahrzehnten die Illies’sche Badewanne vor “Wetten dass …?”