Ach ja, liebe “WAZ” in Bochum, wie war das noch mal mit der deutschen Fahne?
Schlagwort: waz
Skandale abblasen mit der “WAZ”
Wir müssen nochmal auf die Ankündigung des Ryanair-Chefs Michael O’Leary zurückkommen, seine Airline werde bald Transatlantikflüge mit “beds and blowjobs” anbieten. Das hatte ja zumindest die “WAZ” am vergangenen Mittwoch berichtet.
Zum einen habe ich inzwischen den Hinweis erhalten, der Ausdruck sei zumindest im Irischen einigermaßen umgangssprachlich für “vollendeten Service”, was bedeuten würde, dass es sich bei der Ankündigung streng genommen noch nicht mal um einen “Witz”, sondern schlicht um ein kulturelles Missverständnis gehandelt hätte. Da man aber von deutschsprachigen Journalisten keine Tiefenkenntnisse in speziellerer irischer Umgangssprache erwarten kann, soll uns dieses Detail mal egal sein.
Zum anderen aber bleibt die “WAZ” auch in ihrem Internetportal derwesten.de weiterhin bei ihrer Darstellung. Katharina Borchert, Chefredakteurin bei derwesten.de, hatte mir am vergangenen Donnerstag auf Anfrage mitgeteilt, es werde nach Rücksprache mit dem Autor einen Beitrag im Korrekturblog und einen entsprechenden Hinweis darauf unter dem eigentlichen Artikel geben, von beidem fehlt aber bisher jeder Spur.
Wolfgang Pott, der Autor des besagten Artikels, hat auf meine E-Mail vom Donnerstag bisher gar nicht nicht reagiert. Das muss er natürlich nicht, aber es wäre ja schon interessant gewesen zu erfahren, ob während der Pressekonferenz davon auszugehen war, dass Michael O’Leary seine Ankündigung ernst gemeint haben könnte; ob die “WAZ” sich noch einmal bei Michael O’Leary oder anderen Ryanair-Verantwortlichen nach der Ernsthaftigkeit der Ankündigung erkundigt hatte, und ob die “WAZ” den Scherz als solchen aufklären werde. (Letzteres lässt sich mithilfe des Onlineauftritts und der Zeitungen der letzten Tage natürlich auch ganz leicht selber mit “vermutlich nicht” beantworten.)
Sogar bei Bild.de, wo die Geschichte am Donnerstag aufgegriffen hatte, hat man herausfinden können, dass O’Learys Ankündigung nicht ganz ernst gemeint war. Mehr noch: das Video, das Bild.de von der Pressekonferenz veröffentlicht, verweist einen weiteren Satz des “WAZ”-Artikels ins Reich der künstlerischen Freiheit.
Sogar die Pressesprecherin zu seiner Linken verschluckt sich beinahe, wollte sie doch gerade am Wasserglas nippen.
Von der lauen Anspielung mal ab: die Pressesprecherin neben Michael O’Leary will im Video weder “gerade am Wasserglas nippen”, noch “verschluckt” sie sich “beinahe” – sie lächelt vielmehr höflich, während ihr Chef seine Sprüche reißt.
Überhaupt, das Korrekturblog des Westens: Nähme man es ernst, hätte “Der Westen” seit seinem Start im vergangenen Oktober ganze sechs Fehler gemacht – davon drei, die aufs Konto der Technik gehen.
Zum Skandal aufgeblasen
Im Onlinejournalismus gibt es eine Faustregel: Wo “Skandal” drüber steht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendetwas faul. Was also erwarten Sie, liebe Leser, bei dieser Überschrift von derwesten.de?
Auf der Pressekonferenz hatte Ryanair Flüge in die USA für 10 Euro in der Economy Class in Aussicht gestellt.
In der Business-Klasse kündigte O’Leary dann einen ganz besonderen Service an. “Da wird es dann noch ‘Betten und Blowjobs’ extra für die Fluggäste geben.”
Wie “handfest” ((Hihihi.)) der “Skandal” ist, lässt sich vielleicht schon daran ablesen, dass Google News zur Stunde keine einzige Meldung darüber findet. ((Dass derwesten.de auch ein halbes Jahr nach seinem Start noch nicht für die Nachrichten-Suche von Google indiziert ist, ist eine andere Geschichte, für die bei der WAZ-Gruppe eigentlich ein paar Köpfe rollen müssten. Wenn es denn dort mal jemand bemerkte.))
Beim Ramsch-Nachrichtenaggregator shortnews.de, wo man die Meldung von derwesten.de aufgegriffen hatte, schrieb dann auch ein Kommentator:
“Bed and Blowjob” ist umgangssprachlich und bedeutet soviel wie Spitzenkomfort. Er hätte auch sagen können man wird in den Schlaf gewiegt oder es wird einem eine GutenachtGeschichte vorgelesen.
Zugegeben: das wäre mir auch mit meinem Abschluss in Anglistik nicht bekannt gewesen. Erste Umfragen im Bekanntenkreis ergaben auch, dass “umgangssprachlich” wohl ein wenig übertrieben sein könnte.
Das “Urban Dictionary” erklärt “Bed & Blowjob” so:
A seedy hotel. The kind of place that may even rent rooms by the hour. A place you take a chick to solely for sex.
Einig sind sich aber alle Quellen darüber, dass die Aussage des für seine krawalligen Promo-Auftritte und seinen abseitigen Humor bekannten Ryanair-Chefs wohl auf keinen Fall wörtlich zu nehmen seien.
Möglicherweise ist die “Skandal”-Offensive bei derwesten.de und die anschließende Meditation über den Begriff “Blowjob” aber auch Teil des Angriffs auf “RP Online”, zu dem Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, kürzlich geblasen ((Hihihihi.)) hatte.
Nachtrag, 18. Juni 00:25 Uhr: derwesten.de hat was geändert. Aus der 14-zeiligen Meldung ist ein ganzer Artikel geworden, den Sie heute wohl auch in der gedruckten “WAZ” lesen können, und die Überschrift sieht auch ganz anders aus:
Die Kommentare darunter beziehen sich natürlich noch auf die alte Meldung, was aber auch relativ egal ist, da der Autor Wolfgang Pott auch in seinem neuen Langtext die Aussagen von Michael O’Leary nur allzu wörtlich nimmt:
Diese Flüge würden inklusive Sex zwischen 4000 und 5000 Euro kosten, sagt O’Leary.
Der Umstand, dass weder “Bild” noch “Express” (bisher) über diesen “Skandal” berichten und sich selbst das Boulevardblatt “Rheinische Post” zu dem Thema ausschweigt, sollte der “WAZ” zu denken geben.
Jens weist übrigens im Pottblog darauf hin, dass derwesten.de entgegen meiner Aussagen “sehr wohl” bei Google News auftauche. Eine kurze Stichprobe meinerseits mit den Suchbegriffen “Ryanair”, “Dinslaken”, “Bochum” und “Ulrich Reitz” (Chefredakteur der “WAZ”) erbrachte exakt drei Treffer von derwesten.de in den letzten zwölf Stunden (alle drei bei “Bochum”). Das würde ich in einem Moment großer Güte und Gelassenheit als “ausbaufähig” bezeichnen.
Nachtrag, 18. Juni 16:10 Uhr: oe24.at (es sind meistens die Österreicher) hatte die Meldung ursprünglich unter dem Titel “Ryanair bietet bald Übersee-Flüge inklusive Sex” aufgegriffen. Der Artikel klingt nun ganz anders und heißt jetzt “Übersee-Flüge inklusive Sex nur Scherz”.
Noch spannender ist allerdings, dass es bei derwesten.de einen weiteren Artikel zum Thema gibt – allerdings aus der “NRZ” und nicht aus der “WAZ”. Dort heißt es:
Und in der Business-Klasse werde es einen Extra-Service für reiche Reisende geben: „Betten und Blowjobs”. – Der Ryanair-Chef grinst über seinen vermeintlichen Scherz zu seinen US-Flugplänen so breit, wie sich die Golden Gate Bridge über die Bucht von San Francisco spannt.
Ein “vermeintlicher Scherz”, aha. (Und die Golden Gate Bridge überspannt natürlich nicht wirklich die San Francisco Bay, sondern die namensgebende Meerenge, die zwischen Bay und Pazifik liegt.)
Nachtrag, 18. Juni 23:50 Uhr: Es ist wohl endlich ein Journalist auf die Idee gekommen, mal bei Ryanair nachzufragen. Die österreichische “Kronenzeitung” war’s:
“Das kann ich nicht bestätigen, das sind definitiv nicht die Pläne von Herrn O’Leary”, sagte eine Ryanair-Pressesprecherin am Mittwoch auf Anfrage. Es habe sich schlicht um einen Witz gehandelt.
Einen schönen Gruß nach Essen gab’s auch noch:
“Viele Leute haben darüber gelacht”, sagte die Pressesprecherin. Doch offenbar haben nicht alle den Witz als Witz verstanden.
Auch shortnews.de stellte daraufhin richtig – natürlich ohne Hinweis in der Ursprungsmeldung.
Im Westen nichts Neues
Ende November machte ich mich zum ersten Mal über DerWesten, das töfte neue Onlineportal der WAZ-Gruppe lustig.
Damals schrieb ich:
Seit ungefähr drei Wochen wird im Bochumer Feed ein Beitrag spazieren geführt, der immer da ist, auch wenn alle anderen Meldungen wechseln. Die Überschrift lautet:
Diese Überschrift verschwand wenige Tage später aus dem Feed mit Nachrichten aus Bochum. Aber sie fand einen würdigen Nachfolger, der jetzt seit über fünf Wochen dabei ist, egal welche anderen Meldungen rundherum stehen:
“Bitte nicht wiederwählen!”, hieße es in der ZDF-Hitparade, “irgendwie passend”, über DerWesten.
Nachtrag, 6. Januar: Gerade erst festgestellt: Auch der Dinslakener Feed hat seine eigene Karteileiche:
The Lonesome Crowded West
Ich hatte ja noch gar nicht über “DerWesten” geschrieben, das wahnsinnige neue Onlineportal der WAZ-Gruppe. Etwas völlig neues sollte es werden, Lokaljournalismus 2.0 oder sowas in der Art. Deshalb hat die Entwicklung auch so lange gedauert, dass für einen Beta-Test keine Zeit mehr war. Und nach positiven Ersteindrücken kristallisiert sich langsam heraus: das Ding droht ein Desaster zu werden.
Ich nutze “DerWesten” nicht sonderlich intensiv, möchte aber gerne per RSS-Feed über die Geschehnisse in Bochum und Dinslaken auf dem Laufenden bleiben. Nach dem Wechsel vom alten Online-Auftritt der WAZ bzw. NRZ zu “DerWesten” funktionierten die alten Feeds nicht mehr und ich musste mir mühsam die neuen raussuchen. Das kann bei einem kompletten Plattformwechsel natürlich schon mal passieren, ist aber trotzdem unglücklich.
Seit ungefähr drei Wochen wird im Bochumer Feed ein Beitrag spazieren geführt, der immer da ist, auch wenn alle anderen Meldungen wechseln. Die Überschrift lautet:
Das ist übrigens die Original-Überschrift von derwesten.de in der Original-Farbe.
Bitte nicht mit unserer Original-Farbe verwechseln!
Was man aber wirklich von “DerWesten” halten kann, möchte ich Ihnen anhand eines willkürlichen Beispiels vorführen – wobei die Willkür weniger bei mir als viel mehr auf Seiten der Portalbetreiber zuhause zu sein scheint.
Beginnen wir mit der gefetteten Einleitung, die neben der Überschrift übrigens auch der einzige Teil des Artikels ist, der im Feedreader angezeigt wird – man muss also immer auf die Seite. ((“Spiegel Online” und n-tv.de schicken nicht mal Kurzfassungen oder Einleitung per RSS)) Besonders gut gefällt mir dabei der Cliffhanger zwischen Einleitung
Dort wo bald schon die Bagger für das Bochumer Konzerthaus anrücken sollen, gibt es seit dem 16. …
und Artikel
… November einen ganz besonderen Parkplatz.
Da hat “DerWesten” von den Profis gelernt, die bei sueddeutsche.de die Bildergalerien betexten. Müssen.
Die eigentlich sehr sinnvolle Geo-Tagging-Funktion, mit der bei jedem Artikel der “Ort des Geschehens” angezeigt werden soll, wird leider kaum genutzt – dafür sind nämlich die User zuständig und deren Zahl liegt nach vier Wochen bei der einigermaßen deprimierenden Zahl von 5655.
In diesem speziellen Fall hätte es aber natürlich sehr geholfen zu erfahren, wo denn wohl der Parkplatz, um den es die ganze Zeit geht, eigentlich liegt – das wird ja wohl kaum jeder Bochumer auf Anhieb wissen. Ich will zu Gunsten aller Beteiligten mal davon ausgehen, dass die Information beim Umkopieren des Textes verloren ging und nicht auch schon in der gedruckten WAZ ausführlich über einen anonymen Parkplatz berichtet wurde. Sie ahnen, in welchen Bahnen wir uns bewegen, wenn wir zu Gunsten der Beteiligten von technischer Unfähigkeit ausgehen.
Abschließen möchte ich aber mit einem Bild, das ja bekanntlich mehr als tausend Worte sagt. Oder in diesem Fall auch mehr als zwei:
Fast jede deutsche Tageszeitung (und ich habe sie fast alle gesehen) hatte heute die gestern verstorbene Evelyn Hamann auf dem Titel, was völlig richtig und verdient ist.
Viele Zeitungen haben sich um Zitate und Anspielungen auf ihre berühmten Sketche mit Loriot bemüht, wirklich gelungen ist es nur der “WAZ” – das aber dann direkt auf wirklich anrührende Weise:
“Sagen Sie jetzt nichts!”
Man muss in diesem Zusammenhang mal wieder “Bild” tadeln, die es überhaupt als einzige Zeitung für nötig hielt, die “kurze Krankheit”, an der Frau Hamann verstorben ist, zu benennen – und das noch in riesigen Lettern auf der Titelseite.
Biegen und Brechen
NRW wird seit zwei Jahren von einer schwarz-gelben Landesregierung regiert, die es binnen kürzester Zeit geschafft hat, dass sich die Bevölkerung die zuletzt verhasste rot-grüne Vorgängerregierung zurückwünscht. Wer nach dem Machtwechsel geglaubt hatte, es könne ja eigentlich nur noch besser werden, wurde negativ überrascht. Redet man mit Menschen, die ein bisschen Einblick in das Innere dieser Landesregierung haben, möchte man das Land danach so schnell als möglich verlassen: Vom Ministerialrat bis zum Minister scheinen alle mindestens unfähig (aber wie und wo sollten die in 100 Jahren SPD-Regierung auch Erfahrung sammeln?) und von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers heißt es, er sei selbst zum Vorlesen vorgeschriebener Reden nicht zu gebrauchen.
Aber was ist schon eine desaströse Bildungs- oder Baupolitik gegen äußerst fragwürdige (und unterirdisch schlecht verschleierte) Taktierereien?
Die “WAZ” meldet heute, die Landesregierung wolle die Kommunalwahl 2009, die für den selben Tag wie die Bundestagswahl vorgesehen war, verschieben:
Nach Informationen der WAZ haben die Generalsekretäre von CDU und FDP den Verantwortlichen im NRW-Innenministerium aber bereits diktiert, dass “aus politischen Erwägungen” eine Kopplung von Kommunal- und Bundestagswahl unerwünscht sei.
Meinungsforscher rechnen bei einer Doppelwahl mit einer deutlich höheren Wahlbeteiligung, weil sie vor allem viele der wahlmüde gewordenen SPD-Anhänger zurück an die Urnen holt. Das gute Abschneiden von CDU und FDP bei der Kommunalwahl 2004 wurde auch mit der im Vergleich zur Bundestagswahl 2005 dramatisch niedrigeren Beteiligung (54,4% Komm./ 81,3% Bund) erklärt.
Nochmal: Die Generalsekretäre von CDU und FDP wollen keine gemeinsame Kommunal- und Bundestagswahl, weil dann mehr SPD-Anhänger zur Bundestagswahl gehen könnten und gleichzeitig ihrer Partei auch bei der Kommunalwahl ihre Stimme geben könnten. Und das soll das Innenministerium jetzt regeln.
Es geht aber nicht nur um dieses leicht fragwürdige politische Taktieren, es geht auch knallhart um etwa 42 Millionen Euro, die zwei entkoppelte Wahlen mehr kosten würden. Von dem zusätzlichen Aufwand für Wahlhelfer und Wahlkämpfer mal ganz zu schweigen.
[via Pottblog]
Nachtrag 21. August: Auch heute berichtet die “WAZ” wieder über das Thema und lässt u.a. Oppositionspolitiker zu Wort kommen, die die Idee naturgemäß nicht so doll finden. Auch der WDR hat unter Berufung auf die “WAZ” groß darüber berichtet, ein bisschen kleiner die “Ruhr Nachrichten”, der “Kölner Stadt-Anzeiger”, die “Westdeutsche Zeitung”, die “Kölnische Rundschau” und das “Westfalen-Blatt”.
Noch irgendwelche größeren NRW-Medien ohne Fahrschein? Ja: “Express”, “Bild” und die “Rheinische Post”.
“TV Total” ist nicht mehr so gut, wie es früher einmal war. Das wissen wir spätestens seit Peer Schaders Artikel für die FAS (und, äh: die WAZ). In der Tat taucht fast nichts mehr von dem, was die Sendung früher ausmachte (und ihr ihren Namen gab) in den heutigen Shows auf.
Auf der anderen Seite gilt: Stefan Raab ist besser denn je. Beinahe unbemerkt hat er bei Pro 7 all die Posten besetzt, für die andere Sender eine halbe Fußballmannschaft, wenigstens aber Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Dieter Bohlen, Günther Jauch, Ralph Siegel und, äh: Axel Schulz brauchen. Er hatte als Musiker bisher acht Top-Ten-Hits, schickte drei Acts (darunter sich selbst) zum Schlager-Grand-Prix, erfand hernach aus Trotz über die erfolglosen Teilnahmen den Bundesvision Song Contest, ist Wok-Weltmeister und Grimme-Preis-Träger, sowie mehrfach wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte verurteilt worden. Zuletzt sorgte er für eine Renaissance der Samstagabendshow und wenn er demnächst seine Casting-Show “SSDSDSSWEMUGABRTLAD” startet, kann man sicher sein, dass auch dies ein Erfolg und eine wichtige Unterstützung des Musiknachwuchs sein wird.
In der letzten Zeit legt Raab bei “TV Total” das Verhalten an den Tag, das bei Harald Schmidt zu beobachten war, als der noch von allen (und vor allem: zu Recht) gut gefunden wurde: Er wirkt immer mehr, als interessiere ihn die Sendung gar nicht mehr, und setzt dadurch neue Akzente. So verbrachte er vor einigen Monaten die Hälfte der Sendung auf einem Segway stehend und wie wild durchs Studio rollend – eine Aktion, für die Schmidt gleich drei Grimmepreise bekommen hätte.
Gestern zeigte Stefan Raab mal wieder eine neue Seite: Bei “TV Total” war der Pianist Martin Stadtfeld zu Gast, mit dem sich Raab ein zunächst etwas zickig wirkendes, dann aber höchst unterhaltsames Gespräch lieferte. Je länger sich die Beiden unterhielten, desto offenkundiger wurde Raabs Faszination auch für die klassische Musik. Er warf mit Mozart und Bach um sich, schaffte es aber anfangs noch gekonnt, den Gast als Feingeist und sich selbst als albernen Halb-Intellektuellen zu inszenieren. Als er sein Publikum im Saal und vor den Fernsehgeräten dann vollends verloren hatte, war er aber mit so viel Freude dabei, dass ein weiterer angekündigter Gast schlichtweg auf seinen Auftritt verzichten musste. Stattdessen gab es – wohl erstmalig in der Geschichte von Pro 7 – Bach (Johann Sebastian, nicht Dirk oder Bodo) auf dem Konzertflügel.
Seit diesem Auftritt (der Stadtfelds aktuelle CD in den Amazon-Verkaufsrängen nach oben schießen ließ), frage ich mich, wie Raab wohl ohne sein Publikum wäre. Ohne den ewigen “Showpraktikanten” Elton und ohne die pubertären Scherze, die die Zuschauer erwarten. Was zum Beispiel passierte, wenn man ihm eine Sendung bei 3Sat gäbe (Absurde Idee? Oliver Pocher wechselt zur ARD!).
Man kann von Stefan Raab halten, was man will, aber er ist wahrscheinlich einer der fünf wichtigsten Medienmenschen in Deutschland. Was er macht, zieht er mit einem mitunter beunruhigenden Ehrgeiz und Ernst durch. Und er schafft es heutzutage noch, medienwirksame “Skandale” auszulösen, die nur indirekt etwas mit Talentshow–Jurys zu tun haben. Eigentlich könnte er “TV Total” doch einfach ganz Elton überlassen …
“Die wichtigen medienethischen Grundsätze”
Die Karriere des Bodo Hombach ist geprägt von merkwürdigen Zufällen. So war er z.B. neun Monate Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder, ehe er u.a. wegen Vorwürfen, der Energiekonzern VEBA habe den Bau seines Privathauses in Mülheim a.d. Ruhr mit einer sechsstelligen Summe unterstützt, zurücktrat. Daraufhin wurde er Special Coordinator of the Stability Pact for South-East Europe bei der EU und sollte u.a. dabei helfen, die Korruption in Südosteuropa zu bekämpfen.
Seit 2002 ist Hombach Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, die daraufhin eine monopolähnliche Stellung auf dem Medienmarkt Südosteuropas aufbaute.
Das alles soll uns aber gar nicht interessieren, denn dieser Bodo Hombach von dieser WAZ-Mediengruppe hat nun einen Verhaltenskodex vorgestellt, der u.a. eine klare Trennung von redaktionellen Inhalten und Werbung vorsieht:
Werbebotschaften dürfen nicht in einer Aufmachung (Schriftart und Typographie) präsentiert werden, die für redaktionelle Beiträge üblich ist.
Die Idee ist natürlich weder neu noch blöd, genau genommen findet man sie auch unter Ziffer 7 im Pressekodex, an den sich alle Journalisten halten sollten – die Ergebnisse sind bekannt.
Spannender ist schon, was der Kodex zur immer wieder kritisierten Praxis bei Reisereportagen (das Reiseunternehmen zahlt, der Artikel fällt entsprechend wohlwollend aus) zu sagen hat:
Für Pressereisen, bei denen der Veranstalter alle Kosten übernehmen will, ist vor einer Zusage der journalistische Wert kritisch zu prüfen. Anzustreben ist die Herausrechnung eines WAZ-Kostenanteils, den der Verlag bezahlt. Von der Grundregel der Kostenübernahme kann abgewichen werden, wenn die Herausrechnung eines Eigenanteils nicht praktikabel ist oder bei den Einladern des Anlasses auf Befremden stoßen würde – zum Beispiel bei Eröffnungsflügen.
Reine „Lustreisen“ müssen abgelehnt werden.
Auch die Vorteile der sog. Journalistenrabatte sollen eingeschränkt werden:
Die Inanspruchnahme von Presserabatten ist dem Chefredakteur / der Chefredakteurin anzuzeigen, wenn die Vorteilsgewährung deutlich über den Rahmen handelsüblicher Rabatte hinausgeht. Diese Regelung dient der Vermeidung von Interessenkollisionen.
Und auch ein paar eh gesetzlich geregelte Sachen werden noch mal klargestellt:
Auf nicht-öffentlichen Vorausinformationen beruhende Insider-Geschäfte mit Wertpapieren sind verboten. Eine Vorab-Unterrichtung darf nur für die journalistische Veröffentlichung, nicht aber geschäftlich und zur persönlichen Vorteilsgewinnung genutzt werden.
Leider findet sich im WAZ-Kodex kein Wort zum Thema Ideendiebstahl und Quellenangaben. Vielleicht geht man davon aus, dass niemand bei der WAZ je auch nur auf die Idee käme, irgendwas irgendwo abzuschreiben und vertraut auf die Aufrichtigkeit seiner Autoren. Wo man doch jetzt das Qualitätssiegel des Deutschen Journalistenverbands hat.
Mal davon ab, dass seit der Veröffentlichung des UN-Klimaberichts eh die Freudenfeuer in den Wissenschaftsredaktionen sämtlicher Medien brennen (bzw. hoffentlich nicht, wegen CO2), hat Umweltminister Sigmar Gabriel mit seinem Vorschlag, doch auf Flugreisen in den Urlaub zu verzichten, jetzt auch noch sämtliche Wortspielfetischisten in Verzückung versetzt.
Coffee And TV präsentiert deshalb hier die große X-statt-Y-Liste mit gesammelten Kostbarkeiten und Selbstgedachtem zur Weiterverwendung:
- Allgäu statt Anden (20 Minuten)
- Bayern statt Bali (Thüringer Allgemeine)
- Berlin statt Bangkok (20 Minuten)
- Chemnitz statt Chicago
- Dortmund statt Dubai
- Eifel statt Eiffelturm
- Frankfurt statt Frankreich
- Göttingen statt Griechenland
- Hallig statt Hawaii (Schleswig Holstein Zeitung, online nicht verfügbar)
- Ingolstadt statt Indien
- Jülich statt Jersey
- Kanal statt Kurzurlaub (WAZ)
- Lübeck statt Libanon
- Münster statt Madagaskar
- Neuss statt New York
- Oberursel statt Osttimur
- Pirmasens statt Portugal
- Quickborn statt Queens
- Rügen statt Rimini (Stern)
- Sylt statt Seychellen (u.a. sueddeutsche.de)
- Taunus statt Tropen (taz, online nicht verfügbar)
- Unna statt USA
- Viersen statt Vereinigte Arabische Emirate
- Westerland statt Washington
- Xanten statt Xi’an
- Y statt eines Ortsnamens, der damit anfängt (gibbet nämlich nicht)
- Zwönitz statt Zaire
Abzüge wegen nicht verstandener Alliterations-Voraussetzungen:
- Tirol statt Malediven (Kronen Zeitung Österreich)
- Helgoland statt Malediven (Netzeitung, inzwischen entfernt)