Ich mag das Ruhrgebiet, wirklich. Ich lebe gerne hier und finde vieles in einem konventionellen, gar nicht ironischen Sinne “schön”. Neben ein paar kleineren Macken, die man in jeder Gegend finden könnte, hat das Ruhrgebiet aber ein paar eklatante Probleme, die existenzbedrohend sein können.
Damit meine ich noch nicht mal “DerWesten”, das lange und groß angekündigte, in der Umsetzung aber desaströse Online-Portal der WAZ. Zwar bin ich der Meinung, dass sich die WAZ-Gruppe vielleicht erst mal auf ihre Kernkompetenzen besinnen (bzw. solche aufbauen) sollte, bevor man sich an Konzertagenturen beteiligen will, und auch über die geplante Kooperation mit dem WDR werde ich mich zu gegebener Zeit sicherlich noch aufregen, “DerWesten” selbst habe ich aber völlig abgeschrieben und will mich am Einprügeln auf derart weiche Ziele auch nicht mehr beteiligen.
Reden wir lieber vom Ruhrgebiet selbst: Bei ruhrbarone.de gibt es einen sehr lesenswerten Artikel über das Image-Problem des Ruhrgebiets, das unter anderem auch daraus resultiert, dass die größte Metropolregion Deutschlands (und fünftgrößte Europas – allerdings mit Köln und Düsseldorf) nach wie vor als unübersichtliches Wirrwarr von 56 Städten und Kreisen wahrgenommen wird und sich tragischerweise auch noch selbst so wahrnimmt.
Im Ruhrgebiet leben 5,2 Millionen Menschen – aufgeteilt in drei Regierungsbezirke, von denen der eine nach einer Kleinstadt im Sauerland benannt ist, zwei Landschaftsverbände, vier Kreise, elf kreisfreie Städte, mindestens drei WDR-Landesstudios und ungezählte Nahverkehrsunternehmen. Der Regionalverband Ruhr (RVR) soll das ganze halbwegs zusammenhalten – wenn nicht gerade die nicht ganz unbedeutende Stadt Dortmund aussteigen und lieber Hauptstadt der westfälischen Provinz als Teil einer Metropole sein oder der Kreis Wesel lieber niederrheinische Provinz als grüne Lunge der Region sein will. Die SPD, die es in gefühlten hundert Jahren in der NRW-Landesregierung nicht geschafft hat, das Ruhrgebiet zusammenzubringen, will den RVR gar gleich ganz auflösen.
Fragt man Menschen aus Brandenburg nach ihrer Herkunft, werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit “Berlin” antworten. Wer im Umkreis von etwa hundert Meilen um Städte wie New York, Chicago oder Los Angeles lebt, wird sich als Einwohner dieser (zugegebenermaßen extrem namhaften) Metropolen fühlen. Im Ruhrgebiet leben Menschen, die darauf bestehen, aus einem seit 33 Jahren unselbständigen Stadtteil Bochums zu kommen, und ein lautes Wehklagen anstimmen, wenn sich das irgendwann auch mal in der Bahnhofsbeschilderung niederschlagen soll. Kein Wunder, dass im Ausland noch nie jemand vom Ruhrgebiet gehört hat und man immer “I live near Cologne” sagen muss. Köln hat außer seinem wunderbaren Dom keinen Grund, in der Welt bekannt zu sein – im Ruhrgebiet gibt es wenigstens Bier und fünf Mal so viele Leute.
Schafft es das Ruhrgebiet in die Nachrichten, sind gerade wieder ein paar Tausend Arbeitsplätze in Gefahr oder weggefallen und irgendein Oberbürgermeister, den nicht mal die Einwohner der Nachbarstadt kennen, spricht von einem “schweren Schlag” für seine Stadt und die dortige Wirtschaft. Wahrlich beeindruckend ist die Solidarität unter den Menschen hier: Da wird man als Besucher des Bochumer Schauspielhauses gebeten, Protestpostkarten an die Nokia-Führung in Finnland auszufüllen, und die allermeisten machen das einfach. Zu Demonstrationen am Nokia-Werk kommen tausende Leute mit unterschiedlichsten Berufen und sozialen Hintergründen, aber es klappt nicht, diese “Wir schaffen das!”-Stimmung über die Medien zu transportieren – dort heißt es dann, eine ganze Stadt stehe am Abgrund. Überhaupt: Wie wirkt denn das, wenn von “Nokianern” oder “Opelanern” die Rede ist, ganz so, als ginge es um außerirdische Lebensformen oder schlimme Krankheiten? Entlassene Simens-Mitarbeiter heißen doch auch “Siemens-Mitarbeiter”.
Zwar werden regelmäßig neue Forschungszentren, Industrieparks und ähnliches eröffnet (und manchmal auch wieder geschlossen), aber das wird selbst in der regionalen Presse immer unter einem Rubrum wie “IT statt Kohle” aufgeführt, ganz so, als liefen hier immer noch alle mit schwarz verschmierten Gesichtern durch staubige Straßen und würden gerade ihre erste elektrische Schreibmaschine anschließen. Fast scheint es, als wolle man den gerade stattfindenden Strukturwandel verschweigen, weil es immer noch besser ist, der “Kohlenpott” zu sein als so ein eigenschaftsloser Wachstumsraum wie Halle/Leipzig.
Dafür wird das Ruhrgebiet ja europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2010, mag man jetzt denken. Die Hoffnungen, dass von dieser Veranstaltung irgendein positiver Impuls ausgehen könnte, habe ich allerdings so gut wie begraben. Zwar ist es in Deutschland guter Brauch, alles im Vorhinein scheiße zu finden und es hinterher zu bejubeln (Weltausstellungen, Fußballweltmeisterschaften, Die Linke), aber in diesem Fall deutet vieles darauf hin, dass die “Ruhr.2010” in der Tat ein Desaster ungeahnten Ausmaßes werden könnte. Djure hat bei blog.50hz.de viel über den sog. Logostreit, den Slogan und die Finanzierung geschrieben und sich trotz optimistischer Ausgangshaltung inzwischen zur Forderung “Absagen, einfach absagen …” hochgearbeitet.
Wie gesagt: Ich mag das Ruhrgebiet. Aber ich habe das Gefühl, die Leute, die in dieser Region etwas zu sagen haben, hassen die Idee dahinter. Und die Leute, die hier leben, merken gar nicht, dass sie im Ruhrgebiet leben.