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Armut und Irrtum

Wal­ter Krä­mer hat Bücher geschrie­ben, die „Lexi­kon der popu­lä­ren Irr­tü­mer“, „Lexi­kon der Städ­te­be­schimp­fun­gen“, „Die Ganz­jah­res­to­ma­te und ande­res Plas­tik­deutsch – Ein Lexi­kon der Sprach­ver­ir­run­gen“, „Modern Tal­king auf deutsch – Ein popu­lä­res Lexi­kon“ oder „Die bes­ten Geschich­ten für Bes­ser­wis­ser“ hei­ßen. Er grün­de­te den „Ver­ein Deut­sche Spra­che“, eine Art Bür­ger­wehr gegen den Sprach­wan­del, des­sen Arbeit wenig mit Lin­gu­is­tik und viel mit popu­lä­ren Irr­tü­mern zu tun hat. Von Jour­na­lis­ten muss­te er sich als „Viel­schrei­ber“ und „Prof. Bes­ser­wis­ser“ titu­lie­ren las­sen, er selbst klagt auch ger­ne mal gegen Jour­na­lis­ten oder sagt, er könn­te sie „erwür­gen und an die Wand klat­schen“.

Eigent­lich ist Wal­ter Krä­mer aber Lei­ter des Insti­tut für Wirt­schafts- und Sozi­al­sta­tis­tik an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Dort­mund.

Mit dem Ber­li­ner Psy­cho­lo­gen Gerd Gige­renz­er und dem Bochu­mer Öko­nom Tho­mas Bau­er hat Krä­mer die­ses Jahr die Akti­on „Unsta­tis­tik des Monats“ ins Leben geru­fen, was eigent­lich ein Fall für den „Ver­ein deut­sche Spra­che“ wäre.

Über ihr Pro­jekt schrei­ben die drei:

Sie wer­den jeden Monat sowohl jüngst publi­zier­te Zah­len als auch deren Inter­pre­ta­tio­nen hin­ter­fra­gen. Die Akti­on will so dazu bei­tra­gen, mit Daten und Fak­ten ver­nünf­tig umzu­ge­hen, in Zah­len gefass­te Abbil­der der Wirk­lich­keit kor­rekt zu inter­pre­tie­ren und eine immer kom­ple­xe­re Welt und Umwelt sinn­vol­ler zu beschrei­ben.

Die „Unsta­tis­tik des Monats Okto­ber“ wur­de ges­tern gekürt (Pres­se­mit­tei­lung als PDF):

Die Unsta­tis­tik des Monats Okto­ber heißt 15,8% und kommt vom Sta­tis­ti­schen Bun­des­amt in Wies­ba­den: „15,8 % der Bevöl­ke­rung waren 2010 armuts­ge­fähr­det“ mel­de­ten die Amts­sta­tis­ti­ker am 17. Okto­ber 2012 (zur Pres­se­mit­tei­lung).

Die Zahl ist kor­rekt, nicht aber deren Inter­pre­ta­ti­on. Als „armuts­ge­fähr­det“ gilt, wer jähr­lich net­to weni­ger als 11.426 Euro zur Ver­fü­gung hat. Der Haupt­kri­tik­punkt ist die Berech­nung die­ser Armuts­gren­ze. Dazu nimmt man euro­pa­weit 60 % des Durch­schnitts­ein­kom­mens. Wenn sich also alle Ein­kom­men ver­dop­peln, ver­dop­pelt sich auch die Armuts­gren­ze, und der Anteil der Armen ist der glei­che wie vor­her.

Nun kann man die Defi­ni­ti­on des Begriffs „armuts­ge­fähr­det“ durch­aus kri­ti­sie­ren, dafür soll­te man sie nur kor­rekt wie­der­ge­ben kön­nen: Es geht näm­lich nicht um das Durch­schnitts­ein­kom­men (die Sum­me aller Ein­kom­men geteilt durch deren Anzahl), son­dern um das mitt­le­re Ein­kom­men, den soge­nann­ten Medi­an. Man erhält die­sen Wert, indem man alle Bür­ger sor­tiert nach Ein­kom­men in einer Rei­he auf­stellt und den­je­ni­gen, der dann genau in der Mit­te steht, fragt, was er ver­dient.

Im kon­kre­ten Fall hat das kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die wei­te­re Argu­men­ta­ti­on (das kennt man ja auch anders), aber als Pro­fes­sor für Wirt­schafts- und Sozi­al­sta­tis­tik soll­te man den Unter­schied schon ken­nen.

Wal­ter Krä­mer kennt ihn offen­bar nicht.

[via Peter K.]

Nachtrag/​Korrektur, 2. Novem­ber: Offen­sicht­lich ist der Begriff „Durch­schnitt“ unter Sta­tis­ti­kern all­ge­mei­ner gefasst als in der Umgangs­spra­che, wo er das Arith­me­ti­sche Mit­tel bezeich­net. Inso­fern meint Wal­ter Krä­mer womög­lich tat­säch­lich den Medi­an, wenn er vom „Durch­schnitt“ spricht, und ich muss den Vor­wurf, er ken­ne den Unter­schied nicht, zurück­neh­men. (Zumin­dest weit­ge­hend.)

Krä­mer steht ja nur dem „Ver­ein Deut­sche Spra­che“ vor und nicht dem „Ver­ein für Nicht­ma­the­ma­ti­ker und Jour­na­lis­ten ver­ständ­li­che Spra­che“.

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Kürzen und Würgen

Zuge­ge­ben: Ich hal­te Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler und Art­ver­wand­te sowie­so für moder­ne Scha­ma­nen. Ich wäre nicht im Min­des­ten über­rascht, wenn man im Kel­ler des ifo-Insti­tuts (bekannt durch sei­nen monat­lich ermit­tel­ten „Geschäfts­kli­ma­in­dex“, einer Art Gefühls­ba­ro­me­ter der Wirt­schaft) groß­flä­chi­ge Krei­de­krei­se und Hüh­ner­kno­chen fän­de oder bei den soge­nann­ten Rating­agen­tu­ren Glas­kol­ben mit ver­schie­den­far­bi­gen Flüs­sig­kei­ten. Ich habe also auch nicht näher ver­folgt, was es mit dem aktu­ell statt­fin­den­den Öko­no­men­streit auf sich hat – mut­maß­lich eine Art His­to­ri­ker­streit ohne Nazis, also für Außen­ste­hen­de sehr, sehr lang­wei­lig.

Ges­tern berich­te­te „Han­dels­blatt Online“ unter der ange­mes­sen unauf­ge­regt Über­schrift „Der Krieg der Öko­no­men eska­liert“ über den Dort­mun­der Sta­tis­tik­pro­fes­sor Wal­ter Krä­mer:

Nichts zeigt die Zer­strit­ten­heit deut­scher Öko­no­men so dra­ma­tisch, wie ein Inter­view mit dem Öko­no­mie­pro­fes­sor Wal­ter Krä­mer in der Dort­mun­der Stu­den­ten­zei­tung „Pflicht­lek­tü­re“. „Was von unse­ren Geg­nern an Gehäs­sig­keit in die Tin­te geflos­sen ist, das ist ja kaum zu glau­ben, Leu­te wie Herr Bofin­ger der übri­gens eine aka­de­mi­sche Null­num­mer ist.“ Kei­ner neh­me Herrn Bofin­ger ernst, wet­tert Krä­mer. Die­ser sei nur in den Rat der Wirt­schafts­wei­sen gekom­men, weil die Gewerk­schaf­ten ihn dort rein koop­tiert hät­ten. Han­dels­blatt Online kon­fron­tier­te Bofin­ger mit der har­ten Kri­tik, eine Reak­ti­on gab es auf die Email-Anfra­ge aber bis­her nicht.

Mit man­geln­dem Exper­ten­tum muss sich Krä­mer aus­ken­nen wie kaum ein Zwei­ter, ist der Öko­no­mie­pro­fes­sor doch Vor­sit­zen­der des „Ver­eins Deut­sche Spra­che“, der mit ernst­zu­neh­men­der Ger­ma­nis­tik unge­fähr so viel gemein hat wie Krea­tio­nis­ten mit der Evo­lu­ti­on.

Vor ein paar Wochen hat Krä­mer einen Appell ver­öf­fent­licht. Bei der Bericht­erstat­tung dar­über fühl­te er sich miss­ver­stan­den, wie „Han­dels­blatt Online“ wei­ter schreibt:

Im Inter­view mit der Dort­mun­der Stu­den­ten­zei­tung ver­sucht Krä­mer nun, auf­zu­klä­ren. [Hans-Wer­ner] Sinn sei an dem Auf­ruf nicht betei­ligt gewe­sen, sagt er. Der „Spie­gel“ stel­le ihn aber als medi­en­gei­len Dumm­schwät­zer da. „Die­sen Redak­teur könn­te ich erwür­gen und an die Wand klat­schen“, so Krä­mer.

Der Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler Gus­tav Horn ver­link­te den „Handelsblatt“-Text bei Face­book und kom­men­tier­te, Krä­mer habe sich „für wei­te­re wirt­schafts­po­li­ti­sche Debat­ten als unge­eig­net erwie­sen“. Dann bekam Horn offen­bar Post von Krä­mer, die er „der Korekt­heit wegen“ eben­falls auf Face­book ver­öf­fent­lich­te:

Sehr geehr­te Damen und Her­ren,
ich fal­le gera­de aus allen Wol­ken, im Han­dels­blatt einen nicht auto­ri­sier­ten Mit­schnitt einer flap­si­gen Neben­be­mer­kung wäh­rend eines Inter­views zu fin­den.
Den von Ihnen zitier­ten Text hat­te ich bis heu­te Mit­tag nicht gese­hen.
Sie dür­fen ger­ne in der Redak­ti­on der Pflicht­lek­tü­re nach­fra­gen.
Die auto­ri­sier­te Fas­sung des Inter­views fin­den Sie hier:

http://www.pflichtlektuere.com/

Wie Sie dar­in sehen, bemü­he ich mich nach Kräf­ten um das Gegen­teil des­sen, was Sie mir vor­wer­fen.
Näm­lich die Gemein­sam­kei­ten der ver­schie­de­nen Ansät­ze her­aus­zu­stel­len.
Und bei dem Kol­le­gen Bofin­ger wer­de ich mich für die­sen faux pas ent­schul­di­gen.
Was treibt eigent­lich das Han­dels­blatt, mit aller Gewalt eine allen­falls auf per­sön­li­cher, aber kaum auf wis­sen­schaft­li­cher Ebe­ne exis­tie­ren­de Fron­ten­bil­dung zwi­schen deut­schen Öko­no­men zu erfin­den?

Mit irri­tier­ten Grü­ßen Wal­ter Krä­mer

PS: Bit­te lei­ten Sie die­se Nach­richt auch an den zustän­di­gen Redak­teur wei­ter, ich habe die elek­tro­ni­sche Anschrift lei­der nicht

(„Faux pas“ ist offen­bar okay für den „Ver­ein Deut­sche Spra­che“.)

Wenn man nun das Inter­view auf pflichtlektuere.com liest, fin­det man dort tat­säch­lich kei­ne Erwäh­nung Bofin­gers und kei­ne Gewalt­phan­ta­sien gegen­über „Spiegel“-Redakteuren.

Man fin­det sie nicht mehr.

Rund eine Woche stand das Inter­view offen­bar in sei­ner ursprüng­li­chen Form online, ges­tern wur­de es über­ar­bei­tet und die ent­spre­chen­den Pas­sa­gen wur­den ohne einen Hin­weis ent­fernt.

Bei scribd.com oder im Goog­le-Cache kann man aber noch ein­mal nach­le­sen, wie Krä­mer ande­ren vor­warf, sich im Ton zu ver­grei­fen:

Neben der Kanz­le­rin gab es aber auch noch deut­li­che­re Wor­te, bei­spiels­wei­se von Wolf­gang Schäub­le. Man­che Kri­ti­ker wer­fen Ihnen unter ande­rem Pathos und inhalt­li­che Armut vor…

Krä­mer: Also, wenn sich hier jemand im Ton ver­greift, dann sind das die ande­ren. Was von unse­ren Geg­nern an Gehäs­sig­keit in die Tin­te geflos­sen ist, das ist ja kaum zu glau­ben. Leu­te wie Herr Bofin­ger (Anmerk. Der Red.: Peter Bofin­ger, VWL-Pro­fes­sor an der Uni Würz­burg und einer der fünf Wirt­schafts­wei­sen) der übri­gens eine aka­de­mi­sche Null­num­mer ist. Kei­ner nimmt ihn ernst, er ist nur in den Rat gekom­men, weil von den Gewerk­schaf­ten rein koop­tiert wor­den ist. Wenn hier jemand auf Stamm­tisch­ni­veau argu­men­tiert, dann die Gegen­sei­te.

An fast 20 Stel­len unter­schei­den sich die Ver­sio­nen mal mehr, mal weni­ger stark von­ein­an­der. Die Leser von „Pflicht­lek­tü­re“ erfuh­ren davon bis zum heu­ti­gen Nach­mit­tag nichts, nur der Hin­weis „[Update 24.7.2012]“ im Vor­spann deu­te­te vage eine Über­ar­bei­tung an.

Ich habe mich an die Redak­ti­on gewandt und unter ande­rem gefragt, ob die Über­ar­bei­tung des Inter­views, gera­de wenn es beim „Han­dels­blatt“ zitiert und ver­linkt wird, nicht kennt­lich gemacht wer­den müss­te. Der Redak­ti­ons­lei­ter erklär­te mir dann, dass es meh­re­re Nach­fra­gen gege­ben habe und man dar­auf nun reagie­ren wer­de.

Seit dem spä­ten Nach­mit­tag steht nun unter dem Arti­kel:

Hin­weis der Redak­ti­on:

Das ver­schrift­li­che Inter­view mit Wal­ter Krä­mer vom 17. Juli 2012 lag dem Befrag­ten vor der Ver­öf­fent­li­chung nicht vor. Die aktua­li­sier­te Fas­sung ent­hält die Ände­run­gen, die Herr Wal­ter Krä­mer am 24. Juli 2012 ergänzt hat.

Tobi­as Schweig­mann
Lei­ter der Lehr­re­dak­ti­on Online

„Ergänzt“, soso. Wenn der „Ver­ein Deut­sche Spra­che“ von die­ser Bedeu­tungs­ver­schie­bung erfährt …

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Wanted dead or alive

Wal­ter Krä­mer, Vor­sit­zen­der des schreck­li­chen „Ver­eins Deut­sche Spra­che“, durf­te sich in der Ruhr­ge­biets­aus­ga­be von „Bild“ mal wie­der über „Sprach­pan­scher“ und „Deng­lisch“ auf­re­gen.

Der Dort­mun­der Sta­tis­tik-Pro­fes­sor, den Bild.de irri­tie­ren­der­wei­se als „Sprach-Pro­fes­sor“ bezeich­net, erklärt in dem Inter­view:

„Inzwi­schen machen 33 000 Leu­te in unse­rem Ver­ein mit. Dar­un­ter rund 100 bekann­te Per­sön­lich­kei­ten wie Hape Ker­ke­ling, Jür­gen von der Lip­pe, Rein­hard Mey oder die kürz­lich ver­stor­be­nen Otto von Habs­burg und Gun­ter Sachs.“

Dass beim „Ver­ein Deut­sche Spra­che“ auch Tote mit­ma­chen dür­fen, erklärt natür­lich vie­les.