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That’s When I Reach For My Revolver

Auf der einen Sei­te: Libe­ra­lis­mus. Die Idee, dass jede Band, deren Musik auch nur einer ein­zi­gen Per­son etwas bedeu­tet, ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung hat. Die Erin­ne­rung, dass selbst die „Punk­band“, in der ich vor zehn Jah­ren in Dins­la­ken Schlag­zeug gespielt habe, Fans hat­te – und wenn es nur dicke Kin­der aus dem Nach­bar­dorf waren.

Auf der ande­ren Sei­te: Revol­ver­held. Eine Band, die für mich alles ver­kör­pert, was in der Musik­in­dus­trie falsch gelau­fen ist. Ein Syn­onym für spie­ßi­ges Rock­be­am­ten­tum, für Musik, die von Leu­ten gehört wird, die sich nicht für Musik inter­es­sie­ren.

Was macht man also, wenn man einen Ruck­sack vol­ler Vor­ur­tei­le spa­zie­ren trägt? Man lässt sie sich eins zu eins im Real Life bestä­ti­gen. Zum Start der U20-Frau­en-Fuß­ball-WM, die zu einem erheb­li­chen Teil im Bochu­mer Ruhr­sta­di­on statt­fin­det, spiel­ten die Ham­bur­ger Chart­stür­mer ein kos­ten­lo­ses Kon­zert in der Bochu­mer Innen­stadt – was die Rege­ne­ra­ti­ons­zeit für Anwoh­ner und Gas­tro­no­men zwi­schen dem Fina­le der Her­ren-Fuß­ball-WM und dem Bochum Total (ab Don­ners­tag) auf ein abso­lu­tes Mini­mum redu­ziert. Der Kon­zert­ort in Wurf­wei­te mei­ner Woh­nung hat­te den Vor­teil, in direk­ter Nach­bar­schaft mei­ner Stamm­knei­pe zu lie­gen, so dass ich nach einem kur­zen Gang durch das Publi­kum (kei­ne Men­schen mit Hör­nern oder Zie­gen­fü­ßen gese­hen) den Auf­tritt aus siche­rer Ent­fer­nung und in bes­ter Gesell­schaft ver­fol­gen konn­te.

Aber so sehr ich mich auch um Unvor­ein­ge­nom­men­heit bemüh­te: Schon wäh­rend der ers­ten zwei Songs hat­te Sän­ger Johan­nes Stra­te das gan­ze Anbie­de­rungs-Arse­nal von „Bochum, seid Ihr da?“ und „Ich will Eure Hän­de sehen!“ abge­feu­ert, auf das er im Ver­lauf des Abends aber ger­ne noch mal zurück­griff. Und das bei Lie­dern, deren Egal­heit mun­ter zwi­schen Spät­neun­zi­ger-Drei­strei­fen­me­tal und deut­schem Schla­ger oszil­liert.

Aus der Fer­ne war die Demar­ka­ti­ons­li­nie zwi­schen ech­ten Fans (die – um das noch mal zu beto­nen – um Him­mels Wil­len ihren Spaß an der­lei Musik haben sol­len) und Mit­nah­me­men­ta­lis­ten gut zu erken­nen: Da, wo die Arme nicht mehr wie beim Bank­über­fall dau­er­haft erho­ben waren und im Takt wog­ten, da began­nen die, die sich das ein­fach nur mal anschau­en woll­ten. Vor­ne wur­de mit­ge­sun­gen („Und jetzt alle!“) und es kam zum Ein­satz von Sei­fen­bla­sen­flüs­sig­keit.

Es war schlimm. Unge­fähr nach einer hal­ben Stun­de hät­te ich mir eine Lesung vogo­ni­scher Dicht­kunst her­bei­ge­wünscht – oder alter­na­tiv irgend­je­man­des Hän­de, deren Fin­ger­nä­gel ich auch noch hät­te abna­gen kön­nen. Revol­ver­held sind eine Band, die mit ihrer naiv-dump­fen Pen­nä­ler­ly­rik und ihrer musi­ka­li­schen Sim­pli­zi­tät selbst Sil­ber­mond pro­gres­siv erschei­nen las­sen. Der Umstand, dass sich sol­che Musik bes­ser ver­kauft als die von Tom­te oder kett­car, könn­te dem deut­schen Volk der­einst vor irgend­ei­nem inter­na­tio­na­len Gerichts­hof noch zum Nach­teil gerei­chen. Und dann kamen die gan­zen Hits (also der Kram, dem man im Radio nicht aus­wei­chen kann) auch noch geballt zum Schluss.

Als die Band dann auch noch „Was geht“ anstimm­ten, eine Tri­bu­te-Album-erprob­te Remi­nis­zenz an die Fan­tas­ti­schen Vier (die ja selbst auf dem bes­ten Weg Rich­tung Revol­ver­held sind), war bei uns am Tisch alles vor­bei: Hek­tisch wur­de in Mobil­te­le­fo­nen und Taschen­ka­len­dern über­prüft, ob wir tat­säch­lich das Jahr 2010 schrie­ben. Erin­ne­run­gen an Bands wie Such A Sur­ge wur­den geweckt wie schla­fen­de Hun­de. Dann irgend­wann end­lich „Freun­de blei­ben“ und Abgang. Hat man das auch mal erlebt.

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Hörsturz 2008

Wir befin­den uns in dem Zeit­raum, den Men­schen, die auch vor For­mu­lie­run­gen wie „zum Blei­stift“ oder „ich bin nie­mand, der sich hin­stellt und sagt …“ nicht zurück­schre­cken, als „zwi­schen den Jah­ren“ bezeich­nen wür­den. Für mich ist dies immer eine Zeit höchs­ter nerv­li­cher Belas­tung, was nur zu einem gerin­gen Teil dar­an liegt, dass ich auf das Jahr und sei­ne zahl­rei­chen Rück­schlä­ge und Nie­der­la­gen zurück­schau­en muss, und zu einem gro­ßen Teil dar­an, dass ich mich selbst zwin­ge, alber­ne Lis­ten mit den bes­ten Songs und Alben des Jah­res zu erstel­len.

Die­se wer­den erfah­rungs­ge­mäß noch ein wenig auf sich war­ten las­sen (und fünf Minu­ten nach Ver­öf­fent­li­chung als völ­lig falsch und ahnungs­los ver­wor­fen wer­den), aber eine ande­re Lis­te kann ich ja schon mal aus dem Hand­ge­lenk schüt­teln: das Worst Of. (Falls zufäl­li­ger­wei­se Ihr Lieb­lings­song dabei sein soll­te: Die Lis­te ist natür­lich streng sub­jek­tiv und mei­ne Hits des Jah­res wer­den Ihnen bestimmt auch nicht gefal­len.)

Mein Pro­blem bei der Benen­nung der schlimms­ten Songs des Jah­res ist aber fol­gen­des: ich höre (außer an Spiel­ta­gen der Fuß­ball­bun­des­li­ga) kein For­mat­ra­dio. Die meis­ten Songs der Jah­res­charts sind mir (zumin­dest dem Titel nach) unbe­kannt und „I Kissed A Girl“ habe ich ein­fach nicht oft genug gehört, um das Lied von „nett“ auf „schei­ße“ run­ter­zu­stu­fen.

Dass es trotz­dem ein paar Songs geschafft haben, mir nega­tiv auf­zu­fal­len, spricht also defi­ni­tiv gegen sie:

5. Leo­na Lewis – Run
Nein, ich hät­te es erst­mal nicht für mög­lich gehal­ten, dass es mög­lich wäre, einen Snow-Pat­rol-Song zu über­frach­ten. Nor­ma­ler­wei­se gibt die Band selbst ja schon alles, um auf bis zu zehn Bono zu kom­men. Aber was Gary Light­bo­dy man­gels Jodel­di­plom nicht schafft, gelingt der „X Factor“-Gewinnerin Leo­na Lewis spä­tes­tens nach drei Minu­ten: sie singt eine für unzer­stör­bar gehal­te­ne Num­mer in Grund und Boden. Men­schen, die sol­che Stim­men ertra­gen, ohne an die ganz gro­ßen Hacke­beil­chen im hei­mi­schen Mes­ser­block zu den­ken, sind mir suspekt.
(Wie man trotz Cas­ting­show, Über­per­for­mance und Orches­ter einen Song nicht kaputt kriegt, zeigt Alex­an­dra Bur­ke mit Leo­nard Cohens „Hal­le­lu­jah“ – ande­rer­seits kann man einen Song, der von alt­tes­ta­ment­li­chen Geschich­ten und Musik­theo­rie han­delt, auch schwer­lich über­trei­ben.)

4. Revol­ver­held – Hel­den 2008
Revol­ver­held. Ein Hur­ra-Deutsch­land-Fuß­ball-Song. Natür­lich: ein ganz bil­li­ges Opfer. Ande­rer­seits auch ein schö­nes Geschenk: man konn­te das machen, was man als Deut­scher eh fast immer macht (also sich für sei­ne Her­kunft schä­men), und „Wir wer­d’n Euro­pa­meis­ter“ war auch eine Fehl­pro­gno­se. Wer sich mit den Sport­freun­den Stil­ler, Revol­ver­held und Xavier Naidoo umgibt, spielt dann halt hin­ter­her wie eine Mann­schaft mit Micha­el Bal­lack, Miros­lav Klo­se und Mario Gomez.

3. Brit­ney Spears – Woma­ni­zer
Das Video … ach, spre­chen wir nicht über das Video. Muss ja jeder selbst wis­sen, wie weit er sich ernied­ri­gen lässt – viel­leicht schreibt Froll­ein Spears ja nächs­tes Jahr noch für die „B.Z.“. Die Stro­phen ver­spre­chen ja auch noch einen durch­aus net­ten Flo­or­fil­ler, der zwar eher nach 2006 als nach 2008 klingt, aber halt was trotz­dem funk­tio­nie­ren könn­te. Nur hat irgend­ein Idi­ot im Stu­dio ver­ges­sen, einen Refrain ein­zu­fü­gen (das ist der Teil des Lie­des, der immer wie­der kommt und den alle mit­sin­gen kön­nen). Und eine Melo­die, die über einen Umfang von drei Tönen nicht hin­aus­kommt, müss­te schon sehr cat­chy sein, um zu funk­tio­nie­ren. Die hier gewähl­te nervt lei­der nur.

2. Kid Rock – All Sum­mer Long
Die Idee, einen der aus­ge­lutsch­tes­ten Top-40-Radio-Songs zu samplen, könn­te unter Umstän­den wit­zig sein – oder tie­risch schief gehen. „Wir waren jung, haben viel getrun­ken und den Som­mer durch­ge­fei­ert“ ist ein The­ma, mit dem man mich nor­ma­ler­wei­se (Bruce Springsteen, The Ata­ris, A) schnell begeis­tern kann. Aber – Ent­schul­di­gung – Kid Rock geht gar nicht und die­ses Lied rei­tet so lan­ge auf andert­halb net­ten Ideen rum, bis auch der letz­te Kegel­bru­der mit­schun­kelt. Wenn sich Atze Schrö­der nächs­tes Jahr an „Mar­mor, Stein und Eisen bricht“ ver­grif­fe – es könn­te kaum noch schlim­mer sein.

1. Amy Mac­Do­nald – This Is The Life
Ja, ja: Pete Doh­erty und Fran Hea­ly fin­den die Frau ganz toll. Aber ich kann mir nicht hel­fen: seit dem ers­ten Hören klingt „This Is The Life“ für mich, als ob Dolo­res O’Rior­dan von den Cran­ber­ries den Ket­chup-Song singt. Das ist so bie­de­rer Folk­pop, dass mei­ne Füße ein­schla­fen, noch bevor sie den dumpf vor sich hin schnau­fen­den Beat auf­neh­men kön­nen. Hät­te ich einen eige­nen Plat­ten­la­den, fän­den Sie Amy Mac­Do­nald in dem Fach mit der Auf­schrift „Musik für Men­schen, die sonst kei­ne Musik hören“.

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Enduring Freedom

Auf die Idee muss man erst mal kom­men: aus­ge­rech­net eines der wider­lichs­ten, prä­ten­tiö­ses­ten Lie­der deut­scher Spra­che aus der Gruft der Acht­zi­ger-Jah­re-Deutschro­cker zu schlei­fen und im Jahr 2008 als Sam­ple ein­zu­set­zen.

Der Rap­per Cur­se, der seit lan­gem mit Xavier Naidoo um den Titel als prä­ten­tiö­ses­ter Musi­ker deut­scher Zun­ge ringt, hat sich also „Frei­heit“ vor­ge­nom­men, Wes­tern­ha­gens besorg­nis­er­re­gen­den Pathos-Schla­ger, des­sen auf ewig archi­vier­te Live-Dar­bie­tung in der Dort­mun­der West­fa­len­hal­le den anbie­dernds­ten Moment bun­des­re­pu­bli­ka­ni­scher Deutschrock­ge­schich­te („So wie wir heu­te Abend hier!“) ent­hält.

Das dabei ent­stan­de­ne Werk hört eben­falls auf den Namen „Frei­heit“ und muss wohl als gelun­ge­ner Ver­such betrach­tet wer­den, gleich­zei­tig Gän­se­haut und Brech­reiz aus­zu­lö­sen. Man hört die­ses Lied und fragt sich, ob nati­ve spea­k­er des Eng­li­schen eigent­lich genau­so lei­den müs­sen, wenn sie die Tex­te von U2 oder Cold­play hören. Ver­mut­lich nicht.

Und weil ich mich jetzt gera­de durch die­se grau­en­haf­te Null­num­mer gequält habe, lade ich Sie herz­lich ein, es mir unter die­sem Link gleich­zu­tun.

Den­ken Sie immer dar­an: Frei­heit heißt vor allem, jeder­zeit auf die Stop-Tas­te drü­cken zu kön­nen.

[via Visions.de]