Kategorien
Politik Medien

Straßenschäden unter sich

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat heute in einer – zugegebenermaßen schön bebilderten – Presseerklärung bekanntgegeben, wie ihr „Wort des Jahres 2024“ lautet: „Ampel-Aus“.

Gemeint ist damit das Scheitern der Bundesregierung aus SPD (rot), FDP (gelb) und Grünen (nun …), die im sogenannten Volksmund als „Ampel-Koalition“ oder schlicht als „Ampel“ bekannt war.

Nun zögere ich als studierter Linguist, die GfdS (nicht zu verwechseln mit dem „Verein Deutsche Sprache“, einer Art Vorfeld-Organisation der AfD) zu kritisieren, aber ich bin der Meinung, dass mit dieser Auszeichnung eine zunehmende Infantilisierung der Polit-Kommunikation gewürdigt und damit auch weiter vorangetrieben wird.

Bei dem legendär-öden Pressetermin in der Bayerischen Vertretung in Berlin, auf dem er Friedrich Merz mit einem mittel-enthusiastischen „Ich bin damit fein“ zum Kanzlerkandidaten der Union kürte, sprach Markus Söder mehrfach vom „Ampelschaden“, als sei er ehrenamtlicher Bürgermeister einer Kleinstadt, die über eine einzige Kreuzung verfügt. Dem Adjektiv „staatstragend“ kam der bayerische Ministerpräsident damit so nahe wie der Wachtmeister Dimpfelmoser, aber den würde Söders Kernzielgruppe, der Stammtisch (bzw. dessen Bewohner), wahrscheinlich auch nach zwei Maß Bier noch freundlich grüßen.

Ampel-Aus-Symbolbild (Foto: Lukas Heinser)

Die „Ampel“, das ist für Menschen, die auf Social Media gerne erklären, dass sie „selbst denken“, die Vorstufe zu „rot-grün-versifft“, zum „Kinderbuchautor“ Robert Habeck, zum müffeligen Namenswitz „Greta Thunfisch“: eine vermeintlich originelle Formulierung, die man irgendwo zwischen „Welt“-Kommentarspalte, Gabor Steingarts Lebenswerk und Facebook aufgelesen hat, die man als Erkennungszeichen für Gleichgesinnte vor sich herträgt und die ihre eigene Replik gleich mitbringt: „Okay, Boomer!“

„Ampelzoff“ war schon 2023 unter den „Wörtern des Jahres“ gewesen, was eine gewisse Fixierung auf Wörter der Duden-Kategorie „veraltend“ nahelegt (Kunden, die „zoffen“ kauften, interessierten sich auch für „pennen“, „funzen“ und „bumsen“), andererseits sprechen die meisten weiteren Begriffe aus den Top 10 nicht dafür, dass sich die Gesellschaft für deutsche Sprache an das Luther’sche Diktum hält, dem Volk aufs Maul zu schauen: „Klimaschönfärberei“, „kriegstüchtig“, „Rechtsdrift“, „generative Wende“, „SBGG“, „Life-Work-Balance“, „Messerverbot“, „angstsparen“ und „Deckelwahnsinn“ wirken jedenfalls nicht, als könnten sie – um mal ein beliebiges Wort zu verwenden, das 2024 tatsächlich viel zu hören war – das popular vote gewinnen.

Von Guido Westerwelle ist ein überraschend poetischer (auch Joachim Ringelnatz und Ernst Jandl sind Poesie) Moment überliefert, in dem er einmal erklärte: „Wir gehen in keine Ampel, Schwampel und andere Hampeleien sind mit uns nicht zu machen.“ Das ist allerdings so lange her, dass der Fußballverein, für den Kevin Kampl heute spielt, noch gar nicht gegründet war.

Die allererste Regierungskoalition der Bundesrepublik aus CDU/CSU, FDP und DP hatte keinen Spitznamen, der sich bis heute erhalten hätte, was auch daran gelegen haben mag, dass man die Farben der Deutschen Partei (schwarz-weiß-rot) jetzt vielleicht nicht mehr als unbedingt nötig hervorheben wollte. 1953 wurde diese Koalition noch um den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten erweitert, wirklich in Erinnerung blieb aber eh nur der Bundeskanzler: Konrad Adenauer. Der konnte von 1957 bis 1961 alleine (also: mit absoluter Mehrheit für die Union) regieren und saß ab 1961 einer Koalition vor, die man heute „schwarz-gelb“ nennen würde (oder, für die Teilzeit-Komiker der Hauptstadtpresse: „BVB“), damals aber nicht, weil die FDP Gelb erst seit 1972 einsetzt. Entsprechend regierte sie mit der SPD zusammen auch als „sozial-liberale Koalition“, was heute geradezu rührend aussagekräftig wirkt, wo man derlei Inhaltsangaben nur noch in bizarren Schwundstufen wie dem „Gute-Kita-Gesetz“ begegnet. Die Regierungen von 1966-1969, 2005-2009 und 2013-2021, die aus Union und SPD bestanden, nannte man „große Koalition“, weil sie – zumindest anfangs – eine erhebliche Mehrheit der Abgeordneten abdeckte.

In den 1980er Jahren begann das Farbenspiel. Das hat wenig mit dem gleichnamigen Album von Helene Fischer zu tun, wohl aber mit ihrem Namensvetter Joschka. Einer der vielen ungeschriebenen Artikel meines Jahres hätte deshalb die Geschichte dieses Begriffs zurückverfolgen sollen (denn ich liebe wenig mehr an meiner journalistischen Arbeit, als mich stundenlang durch Archive zu wühlen, eine erstaunliche Menge Beifang mit meinen peers zu teilen und daraus hinterher einen Text zu schnitzen, bei dem die Redaktion kritisch eine Augenbraue hebt und sagt: „Das ist jetzt selbst für Deine Verhältnisse extrem nerdig!“), bis in die frühen 1990er Jahre und zu einem Mann namens Björn Engholm, der für kurze Zeit das war, was nach ihm viele waren: Der schnell vergessene Hoffnungsträger der SPD.

Vorbei die Zeiten wie im November 1992, als die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb:

Fertig ist sie, die ‘Ampelkoalition’, die wir deshalb in Gänsefüßchen setzen, weil wir uns unter diesem Gebilde technisch nichts vorstellen können.

Dass Naturwissenschaften im öffentlichen Diskurs eher eine Nebenrolle spielen, wissen wir spätestens seit der Covid-19-Pandemie, und zu den Dingen, die über Eure Vorstellungskraft gehen, gehört allenfalls eine Bobmannschaft aus, genau: Jamaika.

In der medialen Dauer-Erregung schon lang vergessen ist das Wort „Schwampel“ (für: „schwarze Ampel“), das Jörg Schönenborn am Wahlabend 2005 mit besorgniserrgendem Verve in den aktiven Wortschatz seiner Gesprächspartner*innen und Zuschauer*innen überführen wollte. Es klingt, als würde es etwas sehr, sehr Ekliges beschreiben — mutmaßlich das knorpelige Stück Fleisch, das man beim Mittagessen bei der „feinen“ Oma plötzlich im Mund hat und sich nicht auszuspucken traut (was, seien wir ehrlich, andererseits nah dran ist an dem, was man von einer schwarz-gelb-grünen Koalition erwarten kann).

Dann hat irgendjemand den Flaggen-Atlas seines Kindergartenkindes mit in irgendeine Redaktion gebracht und nach intensivem Studium und sicherlich tagelangen Konferenzen wurde beschlossen, fürderhin den Begriff „Jamaika-Koalition“ zu verwenden. Heute könnte man über die Gleichsetzung der Begriffe „schwarze Ampel“ und „Jamaika“ noch mal ganze post-koloniale, rassismuskritische Diskurse aufsperren, aber der Gelbe Wagen, er ist inzwischen in jeder Hinsicht weitergerollt, und es liegt eine feine Ironie darin, dass die Cannabis-Legalisierung eben nicht von einer Jamaika-Koalition beschlossen wurde. (Als Led Zeppelin einen Reggae-lastigen Song aufnahmen, nannten sie ihn „D’yer Mak’er“, was man [dʒəˈmeɪkə] aussprechen sollte, also wie den Inselstaat, was The Hold Steady in ihrem Song „Joke About Jamaica“ noch mal thematisieren, uns aber leider gerade nirgendwohin bringt.)

Der Flaggen-Atlas blieb in der Redaktion und erwies sich als praktisch, als schwarz-rot-grüne Regierungsbündnisse gebildet und benamt werden mussten: „Afghanistan“ hatte einen in vieler Hinsicht unglücklichen Beiklang (und nach Gras auch noch Opium in die politische Kommunikation einzuführen, hätte vielleicht auch merkwürdig gewirkt — eine „Kolumbien“-Koalition aus SPD, FDP und AfD scheint wenigstens erstmal ausgeschlossen), weswegen sich die Medien mehrheitlich auf „Kenia“ verständigten.

Die weiteren tektonischen Ereignisse in der Parteienlandschaft stellen Redaktionen und Parteien vor immer neue Probleme: Für schwarz-rot-lila hatte nichtmal mehr Sheldon Cooper eine Flagge parat, weswegen sich Berichte aus Thüringen nun um eine „Brombeer-Koalition“ ranken. Und anstatt dass irgendjemand mal innehält und sich (und bestenfalls auch andere) fragt, ob das nicht langsam alles ein bisschen albern wird, wird wahrscheinlich schon wertvolle Arbeitszeit mit der Frage verschwendet, was – zum Henker – eigentlich rot-grün-lila sein könnte oder schwarz-gelb-lila (Menschen mit Gastro-Erfahrungen wissen: Erbrochenes nach Weihnachtsmarkt-Besuch).

Angesichts der angeblichen Polarisierung der Gesellschaft (auch hier hilft ein Blick in Zeitungen von, sagen wir mal: 1968) und der damit einhergehenden Schwarz-Weiß-Einteilung bietet sich als nächste Eskalationsstufe vielleicht eine „Panda-Koalition“ an. Oder einfach, denn jetzt ist auch alles egal: eine „Koalalition“.

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Kategorien
Gesellschaft

Wanted dead or alive

Walter Krämer, Vorsitzender des schrecklichen “Vereins Deutsche Sprache”, durfte sich in der Ruhrgebietsausgabe von “Bild” mal wieder über “Sprachpanscher” und “Denglisch” aufregen.

Der Dortmunder Statistik-Professor, den Bild.de irritierenderweise als “Sprach-Professor” bezeichnet, erklärt in dem Interview:

“Inzwischen machen 33 000 Leute in unserem Verein mit. Darunter rund 100 bekannte Persönlichkeiten wie Hape Kerkeling, Jürgen von der Lippe, Reinhard Mey oder die kürzlich verstorbenen Otto von Habsburg und Gunter Sachs.”

Dass beim “Verein Deutsche Sprache” auch Tote mitmachen dürfen, erklärt natürlich vieles.

Kategorien
Politik Gesellschaft

Eine Sprache vor die Deutschen

T-Shirt-Aufdruck in fremder Sprache (vielleicht bald verboten).

Die CDU-Basis hat ihre Parteispitze überstimmt. Leider nicht bei irgendeiner relevanten Entscheidung über Personal- oder Politikfragen, sondern bei einem Thema, das nicht viel kostet, aber intensive Diskussionen verspricht: die Partei will jetzt die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufnehmen.

dpa tickert dazu:

Saarlands Ministerpräsident Peter Müller meinte hingegen, die Partei müsse sich klar dazu bekennen, «was den Staat ausmacht». Neben der Flagge gehöre dazu auch die deutsche Sprache.

Das ist natürlich schon mal ein Super-Anfang, der in die gleiche Kerbe schlägt wie Bundestagspräsident Norbert Lammert im Sommer dieses Jahres:

Es gebe „für die Kultur und das Selbstverständnis dieses Landes keinen wichtigeren Faktor als die Sprache“.Sie sei „noch wichtiger als die Festlegung auf Berlin als Hauptstadt und auf Schwarz-Rot-Gold als Landesfarben“.Beides regle das Grundgesetz, die Sprache „leider nicht“.

Zunächst einmal sollte man den beiden Herren also stecken, dass auch die Nationalhymne nicht im Grundgesetz verankert ist — aber deren Einbindung wollten sie vermutlich erst im nächsten Jahr fordern.

Kommen wir nun zur Forderung an sich: Konkret soll Artikel 22 des Grundgesetzes um ein “Die Sprache in der Bundesrepublik ist Deutsch” ergänzt werden. Das ist natürlich schon mal ein gutes Beispiel für die Schönheit der deutschen Sprache: Ein halbfertiger Satz mit Hilfsverb, der noch dazu gar nichts aussagt.

Denn was soll das heißen, “die Sprache” “ist Deutsch”? Würde man die Amtssprache festlegen wollen, wäre das noch verständlich — aber die ist schon im Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt. Und was hieße das für den Kreis Nordfriesland und die Insel Helgoland, wo auch Friesisch als Amtssprache zugelassen ist?

Die deutsche Sprache mache also “den Staat aus”, findet Peter Müller, studierter Jurist. Müssen denn Dinge, die den Staat “ausmachen” (was auch immer Müller damit meint) und die uns in jedem Moment überall in diesem Land umgeben, noch gesetzlich geregelt werden?

Es gibt eigentlich nur zwei Lesarten für diese Forderung: Die eine würde es den Bastian Sicks und Wolf Schneiders dieser Republik erlauben, gegen jeden “Service Point” eine Verfassungsklage anzustrengen. Die andere wäre die Ansage, dass jeder, der in diesem Land lebt, gefälligst und jederzeit Deutsch zu sprechen habe. So oder so klingt es wie die staatsrechtliche Umsetzung des unsäglichen Slogans “Der Klügere spricht deutsch” des idiotischen “Vereins Deutscher Sprache”.

Linguisten lernen im ersten Semester: Sprache ist einem ständigen Wandel unterworfen. Sprache ist kein scheues Reh, das unter Artenschutz gestellt und von staatlicher Seite gepflegt werden muss. Sprache wird gesprochen und geschrieben und wenn sie nicht gesprochen wird, stirbt sie aus. Wir dürften uns sicher sein, dass junge Menschen heute in Social Networks und SMS-Nachrichten mehr Text produzieren, als unsere Elterngeneration je handschriftlich geschrieben hat. Auch wenn die Müllers, Schneiders und Sicks es nicht begreifen wollen: Diese jungen Menschen kommunizieren in der Sprache, die in diesem Moment den Stand der deutschen Sprache darstellt. Wenn es überhaupt Sprachen gibt, die in Deutschland eines gesetzlichen Schutzes bedürfen, dann sind es die Regionalsprachen und Dialekte (die streng linguistisch betrachtet keine Sprachen, sondern Varietäten sind).

Ganz schnell ist man bei dem Thema ja dann immer bei Goethe, Schiller und Adalbert Stifter und der Behauptung, dass man so “schönes” Deutsch heutzutage gar nicht mehr höre. Dieser Aussage liegen gleich mehrere Denkfehler zugrunde: Erstens ist Schönheit subjektiv, zweitens haben auch zur Zeit der Weimarer Klassik die wenigsten Bauern schöne, druckreife Sätze gesprochen (geschweige denn geschrieben), und drittens empfiehlt einem jede treusorgende Buchhändlerin bei Interesse sicher gerne ein paar Dutzend zeitgenössischer Autoren, die mit der deutschen Sprache formvollendet umzugehen verstehen.

Das Perfide an der Nummer mit dem Grundgesetz ist natürlich auch: Wer im Bundestag gegen diesen albernen Vorschlag stimmen würde, dürfte sein Gesicht mit ziemlicher Sicherheit am nächsten Tag auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung (kreativster Umgang mit deutscher Sprache: “Wir sind Papst”) wiederfinden, versehen mit der Frage “Was haben Sie gegen unsere schöne deutsche Sprache?”

Für den Beginn würde es also vielleicht reichen, wenn unsere Politiker ein wenig nachdächten, bevor sie ihre Münder öffneten, und wenn unsere Zeitungen uns auch mal ab und an mit ein paar ausgewählten Formulierungen erfreuten. Ich bin sicher: zwei Drittel der Bevölkerung hätten damit Probleme, aber das war in der Goethezeit ja nicht anders.

Einen wie üblich sehr fundierten Artikel zum Thema “Amtssprache Deutsch” hat Anatol Stefanowitsch bereits vor anderthalb Jahren im Bremer Sprachblog veröffentlicht.