Kategorien
Rundfunk Gesellschaft

Staatsakt

Wenn Sie der Mei­nung sind, die Ver­an­stal­tung zum 20. Jah­res­tag des Mau­er­falls heu­te Abend im ZDF sei irgend­wie wür­de­los, albern oder kla­mot­tig gewe­sen, dann haben Sie ganz sicher den Fest­akt zur Wie­der­eröff­nung des Bran­den­bur­ger Tors am 3. Okto­ber 2002 ver­ges­sen ver­drängt.

Aber da kann ich Ihnen viel­leicht kurz mit einem zeit­ge­nös­si­schen Zitat von Mar­tin Hoefs aus de.rec.tv.misc wie­der auf die Sprün­ge hel­fen:

Wenn mir jemand vor­her gesagt hät­te: „Zur Fei­er der 12jährigen Ein­heit wird ein ält­li­cher Mode­schöp­fer an einem Heli­um­bal­lon übers Bran­den­bur­ger Tor flie­gen, der­weil eine dick­li­che Opern­sän­ge­rin auf einem Hub­stap­ler vor einem Schild „Kan­dier­te Früch­te“ Film­me­lo­dien von Peter Tho­mas zum bes­ten gibt. Anschlie­ßend öff­net der flie­gen­de Mann vor dem 42ten Prä­si­den­ten der USA und ande­rer Pro­mi­nenz sei­nen (Werbe-)Reißverschluss. Nena singt als Gute-Nacht-Lied eine Cover­ver­si­on von ’99 Luft­bal­lons‘ in hal­ber Geschwin­dig­keit.“ …ich hät­te es nicht geglaubt.
[For­ma­tie­rung ange­passt]

Kategorien
Leben

Someday We’ll Know

Es wäre unhöf­lich, den Haupt­bahn­hof von Mül­heim an der Ruhr als her­un­ter­ge­kom­mens­ten Bahn­hof des Ruhr­ge­biets zu bezeich­nen. Es gibt ja noch Duis­burg und Dort­mund und sämt­li­che S‑Bahn-Hal­te­punk­te dazwi­schen. Die bes­te Zeit aber hat­te das Gebäu­de in der Stadt mei­ner Vor­vä­ter defi­ni­tiv schon län­ger hin­ter sich und das wuss­te auch jeder in Mül­heim.

Nun ist es soweit: Seit Diens­tag wird der Bahn­hof auf den bald begin­nen­den Umbau vor­be­rei­tet! Der Platz vor dem Haupt­ein­gang soll einen eige­nen „ ‚Kiss & Ride‘-Bereich“ bekom­men, was ich ganz ent­zü­ckend fin­de.

Mit den jetzt tat­säch­lich anste­hen­den Bau­ar­bei­ten ist dann aller­dings auch das legen­dä­re Schild hin­fäl­lig, das schon vor län­ge­rem (angeb­lich) den Mül­hei­mer Haupt­bahn­hof zier­te:

Bau­be­ginn: Dem­nächst
Eröff­nung: Nach Fer­tig­stel­lung

Kategorien
Digital

Leser fragen, Lukas antwortet

Leser Ste­fan N. aus B. an der S. fragt:

Lie­ber Lukas,

im Inter­net sto­ße ich immer wie­der auf Kolon­nen von Aus­ru­fe­zei­chen, die mit einer Eins abge­schlos­sen wer­den, also etwa „!!!!!1“. Vor­hin ist mir die­ses Bild auf­ge­fal­len. Was soll sowas über­haupt?

Ich bin sehr froh, dass Sie die­se Fra­ge stel­len, denn in der Tat habe ja auch ich bereits das eine oder ande­re Mal die mul­ti­plen Aus­ru­fe­zei­chen gebraucht.

Der Ursprung liegt wohl (wie so vie­les ande­re auch) im Use­net. Vie­le New­bies, also Neu­lin­ge (beson­ders die, die im ewi­gen Sep­tem­ber ins Use­net vor­stie­ßen), waren offen­bar der Mei­nung, dass ihre Äuße­run­gen („Me too!!!!!!!1“, „Send pix!!!!!!!1“, „Arschloch!!!!!!!!!1“) eher gele­sen wür­den, wenn sie die­se mit zahl­rei­chen Aus­ru­fe­zei­chen gar­nie­ren.

Das Aus­ru­fe­zei­chen ! liegt auf der Com­pu­ter­tas­ta­tur auf der glei­chen Tas­te wie die Zif­fer 1. Um ein Aus­ru­fe­zei­chen schrei­ben zu kön­nen, muss man die Shift- oder auch Hoch­stell­tas­te drü­cken. Lässt man die­se beim Schrei­ben (bzw. anhal­ten­den Drü­cken der 1/!-Taste) früh­zei­tig los, schreibt man am Ende der Aus­ru­fe­zei­chen­ko­lon­ne eine oder meh­re­re Ein­sen (bei Fra­ge­zei­chen ß: „Warum??????????ß“).

Die­se eigent­lich ja miss­glück­te Zei­chen­set­zung wur­de schnell per­si­fliert und erwei­tert (s.a. einklich.net zum The­ma). So fin­den sich statt „!!!!!!1“ oder „!!!!!!!1111“ auch Schreib­wei­sen wie „!!!!!!!!1eins“ bzw. „!!!!!!!!!!!!1one“, „!!!!!!!!!11einself“, „!!!!!!!!!!!!123“ oder belie­bi­ge Varia­tio­nen des The­mas. Zum Bei­spiel auch sol­che wie die von Ihnen ange­spro­che­ne bei Jojo Beet­le­bum.

Ech­te Use­net-Nerds wer­den übri­gens nie umhin­kom­men, in die­sem Zusam­men­hang Ter­ry Prat­chett zu zitie­ren:

“Mul­ti­ple excla­ma­ti­on marks are a sure sign for a dise­a­sed mind!”

Kategorien
Digital Leben

Ich gehöre nicht dazu

Ver­gan­ge­ne Woche wur­de ich von mei­nem bes­ten Freund, den ich seit mei­nem ers­ten Tag am Gym­na­si­um ken­ne (damals woll­te ich ihm eine rein­hau­en), gefragt, war­um ich denn immer noch nicht beim Stu­diVZ ange­mel­dt sei. Da sei­en doch schließ­lich fast all unse­re Freun­de und Bekann­ten aus Schul­zei­ten und man kön­ne so doch super in Kon­takt blei­ben. Ich erging mich in einem halb­stün­di­gen Vor­trag, den ich – weil ich die Argu­men­te ein­mal bei­sam­men hat­te – hier Aus­zugs­wei­se wie­der­ge­ben will:

Per­sön­li­che Daten
Ich weiß, dass mei­ne Daten im Inter­net nir­gend­wo wirk­lich sicher sind. Trotz­dem wür­de ich sie nur äußerst ungern nie bei einem Anbie­ter hin­ter­le­gen, der schon mehr­fach durch Sicher­heits­män­gel auf­ge­fal­len ist und in sei­nen „Daten­schutz­er­klä­run­gen“ andeu­tet, mög­li­cher­wei­se mei­ne Pri­vat­kor­re­spon­den­zen lesen zu wol­len. Fer­ner schreckt es mich ab, wenn in den AGBs eine „vom Betrei­ber nach bil­li­gem Ermes­sen fest­zu­set­zen­de […] Ver­trags­stra­fe“ in den Raum gestellt wird, die „auf ers­tes Anfor­dern an den Betrei­ber zu zah­len“ sei. Die­se wür­de bei peni­bler Aus­le­gung der AGBs zum Bei­spiel fäl­lig, wenn nicht „alle von ihm [dem Nut­zer] gegen­über dem Betrei­ber ange­ge­be­nen per­sön­li­chen Daten der Wahr­heit ent­spre­chen“ – ich also bei­spiels­wei­se mei­ne Kör­per­grö­ße oder Augen­far­be (kei­ne Ahnung, ob man die im Pro­fil ange­ben kann, ich kann ja von außen nicht mal pro­be­wei­se rein­gu­cken) nicht kor­rekt ange­be.

Die Macher
Man­chen Jung­un­ter­neh­mern steigt es zu Kopf, wenn sie plötz­lich mit Geld­sum­men zu tun haben, die ihre Eltern in einem gan­zen Leben har­ter und ehr­li­cher Arbeit nicht anspa­ren kön­nen. Man­chen von ihnen ent­glei­tet irgend­wann alles. Ehs­san Daria­ni, einer der drei Stu­diVZ-Grün­der, benimmt sich hin­ge­gen nur wie die Axt im Wal­de: Er ver­fügt über eine recht eigen­tüm­li­che Auf­fas­sung von „Sati­re“ und Frau­en. Das kann man natür­lich als per­sön­li­che Erzie­hungs­de­fi­zi­te abtun, für mich hin­ge­gen ist klar, dass ich mit sol­chen Leu­ten so wenig wie mög­lich zu tun haben möch­te.

Die Grund­idee
Das Medi­um heißt Inter­net und eine sei­ner Stär­ken ist, dass man damit ganz schnell Kon­tak­te knüp­fen kann – welt­weit eben. Wozu brau­che ich da eine Platt­form, die sich an die „Rand­grup­pe“ (etwas mehr als 2% Anteil an der Gesamt­be­völ­ke­rung der Bun­des­re­pu­blik) deutsch­spra­chi­ger Stu­den­ten rich­tet, wenn es Por­ta­le für alle gibt? Klar: Es gibt auch Fan-Foren für Tokio Hotel und News­groups für Kern­phy­si­ker. Das sind noch klei­ne­re Ziel­grup­pen. Aber bei denen sehe ich wenigs­tens ein, war­um die unter sich blei­ben wol­len.
Ich habe aber gene­rell ein Pro­blem mit In-Kon­takt-blei­ben- und Neue-Leu­te-Ken­nen­ler­nen-Platt­for­men: Wenn sich mei­ne frü­he­ren Mit­schü­ler für mich inter­es­sie­ren wür­den, wäre es ein Leich­tes für sie, mei­ne E‑Mail-Adres­se her­aus­zu­fin­den (falls sie die nicht eh hät­ten) oder mich über mei­ne Eltern zu kon­tak­tie­ren. Die, äh: gerin­ge Anzahl von Kon­takt­auf­nah­men seit unse­rem Abitur vor fünf Jah­ren lässt für mich den Schluss zu, dass das Inter­es­se so groß nicht sein kann. Jede „Und was machst Du jetzt so?“-Botschaft im Stu­diVZ wäre also genau­so albern wie ein Klas­sen­tref­fen. Mit den Mit­schü­lern, die wirk­li­che Freun­de waren, ste­he ich auch heu­te noch in (unre­gel­mä­ßi­gem, aber herz­li­chen) Kon­takt – auch ohne Stu­diVZ.
Und wie­so soll­te ich online Kom­mi­li­to­nen adden, mit denen ich im Semi­nar­raum kein Wort spre­che? Ganz extrem wird das dann an Geburts­ta­gen: Wenn mir jemand gra­tu­liert, möch­te ich mir wenigs­tens vor­stel­len kön­nen, dass er dies tut, weil ich ihm etwas bedeu­te und er sich des­halb das Datum gemerkt oder auf­ge­schrie­ben hat. Ich habe sehr gute Freun­de, die bis heu­te nicht wis­sen, wann ich mein Wie­gen­fest bege­he, und das ist für mich völ­lig okay. Aber wenn mir Wild- und Halb­frem­de gra­tu­lie­ren, nur weil ihnen ein Com­pu­ter­pro­gramm auto­ma­tisch mit­teilt, dass sie dies zu tun hät­ten, füh­le ich mich wie ein Kind, des­sen Groß­el­tern an Weih­nach­ten den kor­rek­ten Namen vom Geschenk­pa­pier able­sen müs­sen. Außer­dem soll­te ein Gespräch nicht schon mit dem Dank des Jubi­lars für die Glück­wün­sche enden, weil man sich sonst nichts zu sagen hat.

Die Über­sät­ti­gung
Ich habe je einen Account bei ICQ und Sky­pe; bin bei jetzt.de, last.fm, MySpace, xing.com und Live­jour­nal ange­mel­det; kann bei Ama­zon, eBay und im iTu­nes Store ein­kau­fen und trei­be mich mehr oder weni­ger regel­mä­ßig in min­des­tens einem Dut­zend Blogs, Web­fo­ren und News­groups rum. Ich habe kei­nen Nerv mehr, mir noch einen User­na­men aus­den­ken zu müs­sen, nur weil mein Stan­dard­nick schon ver­ge­ben ist. Ich weiß, dass jeg­li­che Sor­gen zum Daten­schutz längst absurd sind: Soll­te ich mor­gen mein Gedächt­nis ver­lie­ren, kann ich mir alles Wis­sens­wer­te (und sehr viel Unwich­ti­ges) über mei­ne Per­son im Inter­net zusam­men­su­chen.
Mit nur 23 Jah­ren hat sich bei mir eine gewis­se Tech­nik­mü­dig­keit ein­ge­stellt und will gar nicht mehr wis­sen, was Twit­ter, Mee­bo und Seek­freed sind.
Trotz­dem kommt alle paar Mona­te irgend­was daher, von dem ich nie dach­te, dass ich es brau­chen wür­de, was mich aber fes­selt und fas­zi­niert.

Für Stu­diVZ gilt aber das, was ich mei­nem Freund gleich zu Beginn mei­ner Tira­de sag­te: „Ich mel­de mich da an dem Tag an, an dem ich ein Bild-Zei­tungs-Abo abschlie­ße und mir einen Ken-Fol­lett-Roman kau­fe.“

Kategorien
Digital Politik

Tsang’s Law & Order

Lan­ge bevor es das Web 9 3/​4 gab, tum­mel­ten sich die Men­schen, deren Mit­tei­lungs­be­dürf­nis zwar vor­han­den, aber noch nicht auf Leser­brief­schrei­ber-Grö­ße aus­ge­wach­sen war, im Use­net. Das konn­te (und kann) alles, was Web­fo­ren und Blogs knapp zwan­zig Jah­re spä­ter auch konn­ten, kommt aber ohne jeg­li­che Kli­ckibun­ti-Ele­men­te aus.

Was ich am Use­net neben den oben beschrie­be­nen Vor­tei­len noch mag, sind die soge­nann­ten Use­net-Laws, die anzei­gen, wann eine Dis­kus­si­on den Null­punkt erreicht hat und sofort ein­ge­stellt gehört. Eines die­ser Laws heißt Tsang’s Law und geht wie folgt:

Wer die schwei­gen­de Mas­se als Kri­te­ri­um für Zustim­mung oder Ableh­nung einer Fra­ge her­an­zieht, hat auto­ma­tisch ver­lo­ren.

Die­ses Law kam mir heu­te Mor­gen in den Sinn, als ich mei­nen News­rea­der Brow­ser anwarf und bei sueddeutsche.de einen Blick auf die der­zeit hef­tigs­te Dis­kus­si­on (wir könn­ten lang­sam auch von einem Fla­me­war spre­chen) im deutsch­spra­chi­gen Real Life warf:

CSU-Gene­ral­se­kre­tär Mar­kus Söder sag­te jetzt der Bild-Zei­tung: „Die Äuße­rung ist ein Skan­dal. Sol­che Anwäl­te sind eine Schan­de für ihre Zunft.“ Stoi­ber küm­me­re sich mehr um die Opfer als um die Täter. Das sehe die Mehr­heit der Deut­schen sicher­lich genau­so.

Ähn­lich äußer­te sich der CDU-Innen­ex­per­te Cle­mens Bin­nin­ger. Der Zei­tung sag­te Bin­nin­ger: „Der Rechts­an­walt kann offen­sicht­lich nicht ver­kraf­ten, dass Stoi­ber der gro­ßen Mehr­heit der Bevöl­ke­rung aus dem Her­zen spricht.“

Im Use­net kann man übri­gens einem unlieb­sa­me Schrei­ber ins soge­nann­tes Kill­fi­le packen und kriegt ihre Bei­trä­ge von da an nicht mehr zu Gesicht.