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Lucky & Fred: Episode 16

Der Ver­eins­vor­sit­zen­de aller Hor­ror­clowns ist zum US-Prä­si­den­ten gewählt wor­den, aber in Deutsch­land gibt es Hoff­nung: Mar­tin Schulz will Bun­des­kanz­le­rin wer­den. Über die­se The­men und über alles ande­re spre­chen Lucky & Fred in der neu­es­ten Aus­ga­be ihres belieb­ten Pod­casts.

Wei­ter­füh­ren­de Links:
4:50: Arte-Doku­men­ta­ti­on über Donald Trump
11:27: Emi­ly Nuss­baum: „How jokes won the elec­tion“
20:00: correctiv.org: Pret­zell und Petry in Erklä­rungs­not
48:14: Con­chi­ta singt „Satel­li­te“

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Wir müssen reden!

Vier Tage sind seit der Wahl Donald Trumps zum US-Prä­si­den­ten ver­gan­gen und ich habe seit­dem vie­le Tex­te gele­sen, war­um das über­ra­schend oder nicht über­ra­schend war, dass die Demo­kra­ten dar­an schuld sei­en oder die wei­ßen Män­ner, dass viel­leicht alles gar nicht so schlimm wird oder viel­leicht alles noch schlim­mer, dass wir mit den AfD-Wäh­lern reden müs­sen oder ihnen zuhö­ren, dass wir Ver­ständ­nis für sie zei­gen sol­len oder kla­re Kan­te. Kurz­um: Das links­li­be­ra­le Lager, in dem ich mich bewe­ge, ist min­des­tens genau­so gespal­ten wie die Gesell­schaft selbst. Der Motor hat gerat­tert, diver­se Warn­lam­pen sind ange­gan­gen, es kam Qualm aus der Motor­hau­be und die Tank­an­zei­ge leuch­te­te und jetzt ste­hen wir vor einem lie­gen­ge­blie­be­nen Auto und dis­ku­tie­ren dar­über, ob wir viel­leicht Luft in die Rei­fen hät­ten packen sol­len.

Manch­mal wird jetzt dar­auf hin­ge­wie­sen, dass nicht alle Trump-Wäh­ler Ras­sis­ten und/​oder Sexis­ten sei­en, was sicher­lich rich­tig ist. Aber sie sam­meln sich hin­ter einem Mann, der mit ras­sis­ti­schen Res­sen­ti­ments nur so um sich gewor­fen hat und bei dem alles dafür spricht, dass er Frau­en als Objek­te betrach­tet, mit denen er machen kann, was er will. Und das wirft ja dann doch Fra­gen auf. Nicht jeder, der einen ras­sis­ti­schen oder sexis­ti­schen Witz macht, ist des­halb auto­ma­tisch Ras­sist oder Sexist, aber es ist unse­re Auf­ga­be als Gesell­schaft, auf den ras­sis­ti­schen bzw. sexis­ti­schen Hin­ter­grund des Wit­zes auf­merk­sam zu machen und zu ver­ste­hen zu geben, dass wir so etwas nicht akzep­tie­ren. Wer das nicht ver­ste­hen will und mun­ter wei­ter macht, erhöht damit die Wahr­schein­lich­keit, dass er tat­säch­lich Ras­sist bzw. Sexist ist, deut­lich.

Ich glau­be, dass es eini­ger­ma­ßen müßig ist, sich öffent­lich mit Chef­pro­pa­gan­dis­ten wie Udo Ulfkot­te oder nam­haf­ten AfD-Poli­ti­kern zu bekämp­fen (und es schmerzt mich wirk­lich, eine For­mu­lie­rung wie „nam­haf­te AfD-Poli­ti­ker“ zu ver­wen­den). Die wird man auf kei­nen Fall über­zeu­gen kön­nen und deren Anhän­ger reagie­ren mit Ableh­nung, wenn man ihre Hel­den mit dem schwe­ren Gerät in die Man­gel nimmt, das für Volks­ver­het­zer, Lüg­ner und Popu­lis­ten not­wen­dig ist.

Aber wir kön­nen mit den „nor­ma­len Men­schen“ reden. (Ein­schub: Die­se For­mu­lie­rung klingt immer so, als sei­en auf­ge­klär­te, fort­schritt­li­che Lin­ke und Libe­ra­le kei­ne nor­ma­len Men­schen und als ob es irgend­ei­nen natür­li­chen Inter­es­sen­kon­flikt zwi­schen der Arbei­ter­klas­se und intel­lek­tu­el­ler ori­en­tier­ten Groß­städ­tern gäbe. Mei­ne Freun­de und ich sind erst mal genau­so nor­mal wie Bau­ern im All­gäu, Auto­me­cha­ni­ker in Sach­sen-Anhalt oder Werft­ar­bei­ter in Nie­der­sach­sen. Wenn jemand anfängt, ande­ren Men­schen Rech­te abzu­spre­chen, schwenkt er aus dem Bereich der Nor­ma­li­tät aus. Ein­schub Ende.) Nicht, indem wir ver­su­chen, ihnen die gesam­te Welt zu erklä­ren, son­dern indem wir ihnen von ande­ren Men­schen erzäh­len, die genau­so nor­mal sind und sich im aktu­el­len poli­ti­schen Kli­ma ernst­haf­te Sor­gen um ihr Leben und das ihrer Kin­der machen. Wir müs­sen Fak­ten aus­wen­dig ler­nen, Zah­len ken­nen und von Men­schen aus unse­rem Umfeld berich­ten. Wenn wir die Auf­stel­lun­gen aller Bun­des­li­ga­ver­ei­ne, die Sie­ger des Euro­vi­si­on Song Con­test seit 1956 und die Zita­te aus allen Fil­men von Mon­ty Python und Lori­ot ken­nen, kann es ja nicht so schwer sein, sich ein paar zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen drauf­zu­schaf­fen.

Ich habe als direk­te, ers­te per­sön­li­che Kon­se­quenz aus Donald Trumps Wahl­er­folg ange­fan­gen, online mit Men­schen zu dis­ku­tie­ren. Nicht, sie beschimp­fen, son­dern ihnen mei­nen Stand­punkt zu erklä­ren und zu ver­su­chen, ihren Stand­punkt zu ver­ste­hen. Ich habe dabei zahl­rei­che Beschimp­fun­gen in mein Wohn­zim­mer gebrüllt, nur um zwei, drei Kom­men­ta­re spä­ter fest­zu­stel­len, dass wir inhalt­lich gar nicht so weit aus­ein­an­der­lie­gen. Zum Bei­spiel beim The­ma „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“, die frü­her „Anstand“ hieß und die für vie­le Men­schen, auch sol­che, die weit davon ent­fernt sind, AfD zu wäh­len auf merk­wür­di­ge Art ein rotes Tuch dar­stellt. Ich ver­ste­he nicht, war­um Men­schen sich so schwer damit tun, auf Begrif­fe zu ver­zich­ten, durch die sich ande­re Men­schen ver­letzt oder aus­ge­grenzt füh­len. Es bricht einem doch kein Zacken aus der Kro­ne, wenn in einem Behör­den­schrei­bern „Bürger*Innen“ steht oder man zu einer Back­wa­re, die sowie­so schon alles ande­re als gesund und natür­lich ist, jetzt „Schaum­kuss“ sagen soll, obwohl man jah­re­lang ein ande­res Wort gebraucht hat.

Das heißt: Aus sprach­wis­sen­schaft­li­cher Sicht habe ich da sogar ein gewis­ses Ver­ständ­nis. Bücher über Gram­ma­tik und Recht­schrei­bung waren anfangs deskrip­tiv, irgend­wel­che Leu­te haben also alle paar Jah­re oder Jahr­zehn­te auf­ge­schrie­ben, wie die Men­schen gera­de so gespro­chen und geschrie­ben haben. Der „Duden“, wie wir ihn seit unse­rer Schul­zeit ken­nen, fun­gier­te aber schon als Unter­schei­dung zwi­schen „rich­tig“ und „falsch“ (es ist halt auch ein­fa­cher, wenn man weiß, wovon der ande­re schreibt). Dann kam die soge­nann­te Recht­schreib­re­form und ein Gre­mi­um hat­te plötz­lich ganz vie­le neue Vor­schlä­ge für Schreib­wei­sen, die sich aber nicht an dem ori­en­tier­ten, wie die Leu­te schrie­ben (denn die schrie­ben ja so, wie es bis­her im Duden stand), son­dern die manch­mal ver­ständ­li­che, manch­mal falsch abge­lei­te­te neue Vor­schlä­ge waren. Nicht nur, dass (Ach­tung, Ach­tung: das „dass“ ist ein schö­nes Bei­spiel!) die Leu­te plötz­lich anders schrei­ben soll­ten ohne zu wis­sen war­um, die Zei­tun­gen hiel­ten sich nicht dar­an, in den Schu­len gab es ein Hin und Her im Lehr­plan und letzt­lich weiß seit 20 Jah­ren unge­fähr nie­mand mehr, was „rich­tig“ und was „falsch“ ist. Spra­che ist aber etwas, was uns Men­schen ganz nahe ist, die wir alle benut­zen. Selbst Men­schen, die von Geburt an nicht hören kön­nen, nut­zen sehr häu­fig eine Gebär­den­spra­che – wes­we­gen sie – Hal­lo, Poli­ti­cal Cor­rect­ness! – auch nicht „taub­stumm“ sind, son­dern „gehör­los“. Wir alle benut­zen Spra­che, über­all auf der Welt. Spra­che wird von mehr Men­schen genutzt als Autos, es kön­nen mehr Men­schen spre­chen als schwim­men, wir nut­zen Spra­che, um uns gegen­sei­tig bei Face­book anzu­schrei­en, aber auch, um unse­ren Liebs­ten mit­zu­tei­len, was wir für sie emp­fin­den. Wenn da jemand an unse­ren Wort­schatz her­an­möch­te, ist das irri­tie­rend, viel­leicht sogar erschre­ckend und wenn man dann noch zufäl­lig mal irgend­was über Geor­ge Orwells „1984“ gele­sen hat, ist der Schrei, hier sei die „Sprach­po­li­zei“ am Werk, nicht mehr weit.

Vor 30 Jah­ren war es total nor­mal, in öffent­li­chen Gebäu­den, Gast­stät­ten, sogar in Zügen und Flug­zeu­gen zu rau­chen. Jeder ein­zel­ne Rau­cher konn­te die Luft für hun­dert Men­schen um ihn her­um ver­pes­ten und deren Gesund­heit gefähr­den. Inzwi­schen gibt es einen brei­ten gesell­schaft­li­chen Kon­sens, dass Rauch­ver­bo­te in öffent­li­chen Gebäu­den, Zügen und Flug­zeu­gen in Ord­nung sind (bei Gast­stät­ten ist das schwie­ri­ger und mei­ne eige­ne Posi­ti­on zu dem The­ma könn­te drei wei­te­re Blog-Ein­trä­ge fül­len, denen ich mich ger­ne wid­men will, wenn wir wie­der Zeit für die etwas weni­ger drän­gen­den Pro­ble­me haben), dass man eher nicht raucht, wenn Kin­der in der Nähe sind und dass Rau­chen gene­rell nicht so doll für die Gesund­heit ist. Die­se Rauch­ver­bo­te kamen natür­lich auch auf Druck von Bür­ger­initia­ti­ven zustan­de, die Poli­tik muss­te sie aber von oben her­ab durch­set­zen – gegen den erklär­ten Wil­len der mäch­ti­gen Tabak­lob­by. Ein „Lasst uns doch ein­fach alle mal auf­hö­ren, in der Stra­ßen­bahn zu rau­chen“ hät­te kei­nen Erfolg gehabt. Die­se Rauch­ver­bo­te sind für alle bes­ser, aber sie zwin­gen Rau­cher dazu, vor die Tür zu gehen oder stun­den­lan­ge Bahn- und Flug­rei­sen ohne Niko­tin­zu­fuhr durch­zu­ste­hen, was tat­säch­lich wahn­sin­nig anstren­gend sein kann.

„Bürger*Innen“, „Schaum­kuss“ und „gehör­los“ tun nie­man­dem weh. Nie­mand bekommt des­we­gen Schmacht. Ja, es kann sogar jeder, der die­se Begrif­fe nicht mag, voll­kom­men legal ande­re benut­zen. Er soll­te sich nur nicht wun­dern, wenn er von ande­ren Men­schen schief ange­schaut wird, weil die im Lau­fe der Zeit eine stär­ke­re Sen­si­bi­li­tät dafür ent­wi­ckelt haben. Denn Spra­che hat auch Macht und prägt das Den­ken. (Das ist jetzt schwer ver­ein­facht aus­ge­drückt, aber ich habe das Gefühl, mit mei­nem Mans­plai­ning hier schon genug Lese­rin­nen und Leser ver­lo­ren zu haben. Ent­schul­di­gung, aber ich ver­su­che wirk­lich, das alles Schritt für Schritt ver­ständ­lich zu machen und ich hab das auch mal stu­diert.) Ich möch­te nicht, dass mein Kind in einer Welt auf­wächst, wo „schwul“ und „behin­dert“ als Syn­ony­me für „doof“, „schlecht“ oder „schei­ße“ ver­wen­det wer­den. Denn selbst wer dar­auf beharrt, nichts gegen Schwu­le und Men­schen mit Behin­de­rung zu haben, sorgt sonst dafür, dass die­se Begrif­fe nega­tiv kon­no­tiert sind. Und wäh­rend ich ganz gut damit leben kann, dass Voka­beln wie „geil“ oder „Chip“ im Lau­fe der Zeit ihre Bedeu­tung geän­dert bzw. meh­re­re Bedeu­tun­gen haben, fin­de ich es inak­zep­ta­bel, dass Begrif­fe, die eine Bevöl­ke­rungs­grup­pe beschrei­ben, in einem ande­ren Kon­text als abwer­tend benutzt wer­den.

Mei­ne Mut­ter hat sich in den 1980er Jah­ren mit ande­ren Eltern zusam­men­ge­tan, um lokal gegen Umwelt­ver­schmut­zung, Atom­kraft­wer­ke und den Kli­ma­wan­del zu kämp­fen. Es ist unfass­bar, dass wir nicht nur die­se Pro­ble­me noch nicht in den Griff bekom­men haben, son­dern wir jetzt auch noch ganz ernst­haft vor Pro­ble­men ste­hen, die damals schon seit Jahr­zehn­ten über­stan­den schie­nen. Aber so ist eben jetzt die Lage, also müs­sen wir da ran und gleich­zei­tig für die völ­li­ge Gleich­stel­lung von Frau­en, der LGBTI-Com­mu­ni­ty und Men­schen mit Behin­de­rung auf der einen Sei­te kämp­fen, wäh­rend wir auf der ande­ren Sei­te mit Leu­ten dis­ku­tie­ren, die die sim­pels­ten men­schen­recht­li­chen Errun­gen­schaf­ten auf den Prüf­stand stel­len wol­len.

Wir müs­sen also jetzt mit den Leu­ten in der Knei­pe reden, in der Stra­ßen­bahn, im Sta­di­on, schlimms­ten­falls sogar beim Fami­li­en­kaf­fee. Wir dür­fen nicht die Augen ver­dre­hen und gleich „Nazi!“ den­ken, wenn jemand etwas sagt, was nicht unse­rer Mei­nung ent­spricht. Wir müs­sen klar­stel­len, dass uni­ver­sel­le Men­schen­rech­te nicht ver­han­del­bar sind, und in Detail­fra­gen den Aus­tausch suchen. Wir müs­sen sagen, dass wir es auch nicht gut fin­den, wenn mus­li­mi­sche Frau­en gezwun­gen wer­den, ein Kopf­tuch zu tra­gen, es aber auch nicht ver­tret­bar ist, sie dazu zu zwin­gen, kei­nes zu tra­gen, wenn sie denn eins tra­gen wol­len. Und wir müs­sen bei der Fra­ge: „Und wie soll man das unter­schei­den?“ sagen, dass wir das jetzt auch nicht wis­sen, dass es aber kei­ne Lösung sein kann, eine Volks­grup­pe unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len. (Es aber ande­rer­seits auch nicht in Ord­nung ist, alle Men­schen, die ein Pro­blem damit haben, dass Mus­li­mas ein Kopf­tuch tra­gen, ohne wei­te­re Dis­kus­si­on als „Faschis­ten“ zu brand­mar­ken.)

Wir müs­sen die­sen Leu­ten sagen, dass Rechts­po­pu­lis­ten viel­leicht Pro­ble­me benen­nen, dann aber nur Sün­den­bö­cke prä­sen­tie­ren und kei­ne Lösungs­an­sät­ze, die irgend­wie rea­lis­tisch oder mora­lisch oder legal sind. Dass Schwu­le und Les­ben end­lich wirk­lich hei­ra­ten und eine Fami­lie grün­den wol­len und dass deren Leben dadurch viel bes­ser wird, aber das Leben kei­ner ein­zi­gen Hete­ro-Fami­lie des­we­gen schlech­ter. Dass wir, wenn die Poli­tik die­ses lang­wie­ri­ge Orchi­deen­the­ma Gleich­be­rech­ti­gung end­lich mal abge­hakt hat (was nach mei­ner Ein­schät­zung fast an einem Tag in Bun­des­tag und Bun­des­rat zu schaf­fen sein könn­te), sofort über ande­re The­men spre­chen kön­nen. Dass „Vic­tim Bla­ming“ noch so ein doo­fes, neu­es Aka­de­mi­ker­wort sein mag, dass aber auch nie­mand „selbst schuld“ ist, wenn er oder sie Opfer eines Ver­bre­chens wird. Dass frem­de Men­schen in der eige­nen Hei­mat kei­ne Gefahr sein müs­sen, son­dern auch eine Chan­ce dar­stel­len kön­nen. Dass man nie­mals Men­schen gegen­ein­an­der aus­spie­len soll­te. Dass Jour­na­lis­ten kei­ne „Regie­rungs­agen­da“ vor­an­trei­ben, son­dern manch­mal höchs­tens ein biss­chen faul und auf ihre eige­ne Welt fokus­siert sind. Dass Exper­ten nicht ein­ge­bil­de­te, welt­frem­de Affen sind und man sich mit Zahn­schmer­zen, Aus­schlag oder Herz­in­farkt ja auch ger­ne in fach­män­ni­scher Obhut wüss­te. Dass Clau­dia Roth ganz sicher nicht die Sha­ria ein­füh­ren will. Dass die Fra­ge, ob hier irgend­ein Abend­land isla­mi­siert wer­den könn­te, bald kei­ne Rol­le mehr spie­len wird, weil wir, wenn wir den Kli­ma­wan­del (den es übri­gens tat­säch­lich gibt!) nicht ganz schnell in den Griff bekom­men, bald weder Abend­land noch Mus­li­me haben. Und wir müs­sen ihnen sagen, dass „die da oben“ nicht machen, was sie wol­len, son­dern dass Poli­tik wahn­sin­nig kom­plex ist.

Ich für mei­nen Teil kann eini­ger­ma­ßen damit leben, dass Poli­ti­ker von mei­ner Lebens­wirk­lich­keit kei­ne Ahnung haben – ich habe ja umge­kehrt auch kein Inter­es­se an Details über Ver­kehrs­aus­schüs­se, Ergän­zungs­an­trä­ge zu Ver­ord­nun­gen und die­sem gan­zen Kram. Ich tue mich ehr­lich gesagt etwas schwer damit, Poli­ti­ker über­haupt gegen ihre Kri­ti­ker zu ver­tei­di­gen, denn es gibt zahl­rei­che Din­ge, die mich an der Poli­tik auf­re­gen (und die steu­er­li­che Bes­ser­stel­lung kin­der­lo­ser Ehe­paa­re gegen­über unver­hei­ra­te­ten Eltern ist nur das wich­tigs­te Bei­spiel), und ich sehe Lob­by­is­mus und den Ein­fluss von Groß­kon­zer­nen mit Sor­ge. Ich glau­be aber auch, dass die meis­ten Mit­glie­der des Bun­des­ta­ges schon im Gro­ßen und Gan­zen ihr Bes­tes geben. Mit mir haben in den letz­ten Jah­ren kei­ne Poli­ti­ker gespro­chen. Ich aber auch nicht mit ihnen.

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Musik Politik

Die Nummer Eins im Land sind die hier:

Wäh­rend wir uns alle bereit machen, die wich­tigs­te US-Prä­si­dent­schafts­wahl seit der letz­ten US-Prä­si­dent­schafts­wahl live zu ver­fol­gen und in Sozia­len Medi­en zu kom­men­tie­ren …

Egal. Ich hab gegoo­gelt und nichts gefun­den. Des­we­gen jetzt hier noch eben ganz schnell eine wei­te­re wich­ti­ge Lis­te für heu­te Nacht: Wel­che Songs bei wel­cher Wahl auf Platz 1 der Bill­board-Charts waren!

2012: Maroon 5 – One More Night
2008: T.I. – Wha­te­ver You Like
2004: Usher & Ali­cia Keyes – My Boo
2000: Chris­ti­na Agui­lera – Come On Over Baby (All I Want Is You)
1996: Los del Rio – Mac­a­re­na (Bay­si­de Boys Mix)
1992: Boyz II Men – End Of The Road
1988: The Beach Boys – Koko­mo
1984: Bil­ly Oce­an – Carib­be­an Queen (No More Love On The Run)
1980: Bar­bra Strei­sand – Woman In Love
1976: Chi­ca­go – If You Lea­ve Me Now
1972: John­ny Nash – I Can See Cle­ar­ly Now
1968: The Beat­les – Hey Jude
1964: The Supre­mes – Baby Love
1960: The Drift­ers – Save The Last Dance For Me

[Quel­le: billboard.com]

Wel­che Bedeu­tung die­se Lis­te für den Wahl­aus­gang heu­te hat, müs­sen Sie selbst ent­schei­den.

Das ist übri­gens die aktu­el­les Num­mer Eins:

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Denkt denn niemand an die Kinder?

Beim Frei­han­dels­ab­kom­men, das die EU seit die­ser Woche mit den USA aus­zu­han­deln ver­sucht, geht es – neben vie­len ande­ren Din­gen – auch um Kul­tur. Frank­reich besteht dar­auf, dass die­se unan­ge­tas­tet bleibt und in dem Land auch wei­ter die­se wahl­wei­se furcht­bar depri­mie­ren­den oder herr­lich augen­zwin­kern­den Fil­me gedreht wer­den kön­nen, deret­we­gen ich beim Besuch im Pro­gramm­ki­no immer ger­ne bis nach den Trai­lern war­ten wür­de, bis ich Platz neh­me.

Ges­tern war ich nicht im Pro­gramm­ki­no, son­dern in „Ich, ein­fach unver­bes­ser­lich 2“ (zu dem es viel­leicht auch noch einen Pod­cast geben wird, falls Herr The­len sich den Film auch noch gibt), was bedeu­te­te, dass ich statt fran­zö­si­scher Art­house-Vor­schau­en sol­che zu Kin­der­fil­men über mich erge­hen las­sen muss­te. Deut­schen Kin­der­fil­men.

Da wäre zum Bei­spiel „V8 – Du willst der Bes­te sein“, das ich als „ ‚The Fast And The Furious‘ trifft auf ‚Die wil­den Fuß­ball­ker­le‘ “ bezeich­net hät­te, wenn es nicht vom Erfin­der des Letz­te­ren gewe­sen wäre:

Auch nicht schön: „Sys­tem­feh­ler – Wenn Inge tanzt“, bei dem ich mich sehr wun­dern wür­de, wenn der Trai­ler nicht bereits die kom­plet­te Hand­lung vor­weg­näh­me:

Und dann war da noch das hier:

Jetzt sehe ich mich ers­tens in mei­nem Plan bestärkt, aus­wan­dern zu wol­len, bevor ich eine Fami­lie grün­de, und betrach­te zwei­tens das Kon­zept von „kul­tu­rel­ler Aus­nah­me“ und Film­för­de­rung doch eher kri­tisch.

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Film

Cinema And Beer: „Lincoln“

Nach län­ge­rer Pau­se waren Tom The­len und Lukas Hein­ser end­lich mal wie­der zusam­men im Kino – und im Geschichts­un­ter­richt: „Lin­coln“ von Ste­ven Spiel­berg refe­riert ame­ri­ka­ni­sche Geschich­te, ist aber viel­leicht noch mehr.

Lincoln (Offizielles Filmplakat)

Cine­ma And Beer: „Lin­coln“
(Zum Her­un­ter­la­den rechts kli­cken und „Ziel spei­chern unter …“ wäh­len.)
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Gesellschaft

Der Untergang des Abendbrotlandes

Schon immer kam alles Schlech­te aus den USA: Die Mei­nungs­frei­heit, das Frau­en­wahl­recht, der Rock’n’Roll und das Fast Food. Der neu­es­te (na ja: „neu­es­te“) Angriff auf die deut­sche Kul­tur ist ein Fest, das von denen, die es bege­hen wol­len, heu­te began­gen wird: Hal­lo­ween.

Eines vor­ab: Ich has­se es, mich zu ver­klei­den. Ich habe das als Kind mit gro­ßer Begeis­te­rung getan und mei­nen Vor­rat dabei offen­bar auf­ge­braucht. Wer sicher­ge­hen will, dass ich nicht zu sei­ner Geburts­tags­fei­er kom­me, rich­tet ein­fach eine Bad-Tas­te- oder Mot­to­par­ty aus. Es kos­tet mich schon Über­win­dung, einen Anzug zu tra­gen oder Hosen, die kei­ne Jeans sind. Als ich vor sechs Jah­ren den Herbst in Nord­ka­li­for­ni­en ver­brach­te, fand ich mich aller­dings plötz­lich in einem eilig aus grü­nen Filz­bah­nen zusam­men­geta­cker­ten Ampel­männ­chen-Kos­tüm wie­der – und hat­te gro­ßen Spaß. Nie­mand kann­te mich, alle waren sehr auf­wen­dig kos­tü­miert und es herrsch­te die­se fei­er­li­che ame­ri­ka­ni­sche Ernst­haf­tig­keit vor.

Wenn ich mir aller­dings einen ame­ri­ka­ni­schen Fei­er­tag für den Import aus­su­chen dürf­te, wäre es – neben einem Natio­nal­fei­er­tag im Som­mer – Thanks­gi­ving: Die Fest­lich­keit und Gesel­lig­keit von Weih­nach­ten ohne die­sen gan­zen Geschen­kestress – die Ame­ri­ka­ner ver­ste­hen es zu fei­ern. Hal­lo­ween ist ja doch eher was für Men­schen, die sich vom Kalen­der vor­schrei­ben las­sen, wann sie mal aus­ge­las­sen fei­ern gehen kön­nen, und denen Kar­ne­val zu spie­ßig ist. ((Mein in Rhein­land­nä­he auf­ge­wach­se­nes Herz hät­te bei­na­he geschrie­ben: die für Kar­ne­val zu fei­ge sind.))

Aber gut, muss jeder selbst wis­sen, wie er sei­ne Frei­zeit ver­bringt. Fähn­chen­schwen­kend durch das Pres­se­zen­trum bei Euro­vi­si­on Song Con­test zu ren­nen, fällt bei den meis­ten Leu­ten sicher auch eher unter „Spe­cial Inte­rest“. Wir sind ein frei­es Land. Wenn ich mir aber so anschaue, wie heu­te in mei­ner Face­book-Time­line west­li­che Kul­tur auf west­li­che Kul­tur trifft, fin­de ich, dass die Kon­tak­te mit der isla­mi­schen Welt im Gro­ßen und Gan­zen doch bei­na­he har­mo­nisch zu nen­nen sind.

Auf der einen Sei­te ste­hen die Leu­te, die Hal­lo­ween mit qua­si reli­giö­sem Eifer bege­hen. Auf der ande­ren jene, die sagen, heu­te sei doch Refor­ma­ti­ons­tag und mor­gen Aller­hei­li­gen. ((Klei­ner Aus­fall­schritt zu Aller­hei­li­gen: Es kann mei­nes Erach­tens nicht sein, dass in einem Land, in dem die Tren­nung von Staat und Kir­che im Grund­ge­setz garan­tiert wird, soge­nann­te Tanz­ver­bo­te an kirch­li­chen Fei­er­ta­gen aus­ge­spro­chen wer­den. Und auch nicht, dass ein Land an zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Tagen volks­wirt­schaft­lich gelähmt wird, weil am einen Tag in fünf Bun­des­län­dern, am nächs­ten in fünf ande­ren kirch­li­cher Fei­er­tag ist. Die Katho­li­ken haben schon Fron­leich­nam (wenn auch nicht über­all), also wären hier mal die Pro­tes­tan­ten dran!)) Ja, stimmt. Heu­te ist auch Welt­spar­tag (außer in Deutsch­land, das für einen Welt-Irgend­was-Tag natür­lich wie­der eine Aus­nah­me brauch­te – übri­gens wegen des Refor­ma­ti­ons­tags) und mor­gen – für die, denen die Katho­li­sche Kir­che nicht ideo­lo­gisch genug ist – Welt­ve­gan­tag. Die ver­rück­tes­ten Geis­ter könn­ten sich nicht aus­den­ken, wel­che Gedenk‑, Fei­er- und Akti­ons­ta­ge es im Lau­fe des Jah­res so gibt, aber sie wer­den offen­bar alle began­gen – man­che nur von denen, die sie aus­ge­ru­fen haben, man­che von wei­ten Tei­len der Mensch­heit, wobei durch­aus Schnitt­men­gen von Per­so­nen mög­lich sind, die am 15. Okto­ber sowohl den „Tag des wei­ßen Sto­ckes“ als auch den „Inter­na­tio­na­len Tag der Frau in länd­li­chen Gebie­ten“ bege­hen. Solan­ge nie­mand einen Refor­ma­ti­ons­tags­got­tes­dienst stürmt, um „Süßes oder Sau­res“ zu rufen, klappt das auch ganz gut.

Der durch­schnitt­li­che Deut­sche, die Volks­see­le, der Michel, Otto Nor­mal­ver­brau­cher oder – wie ich ihn heu­te aus rei­ner Bos­haf­tig­keit nen­nen möch­te – Jür­gen Six­pack hat eine pani­sche Angst davor, dass ihm sei­ne kul­tu­rel­le Iden­ti­tät ver­lo­ren geht. Die Angst vor der „Über­frem­dung“ ist nicht auf den Islam oder Flücht­lin­ge aus Nord­afri­ka beschränkt, sie gilt auch – und ganz beson­ders – im Bezug auf die USA: Jung­ge­sel­len­ab­schie­de (bei denen ich mir tat­säch­lich staat­li­che Inter­ven­ti­on wünsch­te) statt Pol­ter­aben­de, „Han­dy“ statt „Mobil­te­le­fon“, der Weih­nachts­mann statt des Christ­kinds – Ame­ri­ka­ni­sie­rung lau­ert über­all. Oder genau­er: eine loka­le Inter­pre­ta­ti­on davon.

Mit der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät ist das so: Man braucht etwas, wor­an man sich hal­ten kann, wes­we­gen der Fuß­ball – eine Sport­art, die ich lie­be, die ame­ri­ka­ni­sche Sport­fans aber als stil­los und banal betrach­ten – hier so schön iden­ti­täts­stif­tend Raum grei­fen kann. Ansons­ten sieht’s näm­lich so aus: Unse­re Städ­te sehen fast alle gleich trü­be und grau aus, so wie Städ­te eben aus­se­hen, wenn sie sehr schnell und bil­lig wie­der auf­ge­baut wer­den müs­sen, weil sie in Schutt und Asche lagen, nach­dem es Deutsch­land mit der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät wirk­lich auf die Spit­ze getrie­ben hat­te. Unse­re Ein­kaufs­stra­ßen sehen gleich aus, weil sie mit den immer­glei­chen Filia­len deut­scher Groß­bä­cker, Dro­ge­rie- und Super­markt­ket­ten, bri­ti­scher Kör­per­pfle­ge­mit­tel­her­stel­ler, ame­ri­ka­ni­scher Fast­food­ver­füt­te­rer und schwe­di­scher Beklei­dungs­händ­ler voll­ge­stopft sind.

Woh­nun­gen welt­weit sind von der Schwe­den­ma­fia uni­for­miert wor­den und müss­ten theo­re­tisch alle gleich aus­se­hen, was sie dann aber über­ra­schen­der­wei­se doch nicht tun, weil da eben immer noch Per­sön­li­ches, Indi­vi­du­el­les mit rein­kommt. Die kul­tu­rel­le Iden­ti­tät des Ein­zel­nen, der gleich­zei­tig Stif­ter und Rezi­pi­ent der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät einer Grup­pe ist.

Wer die Eröff­nungs- und Abschluss­fei­er der Olym­pi­schen Spie­le in Lon­don gese­hen hat, erleb­te dort einen bun­ten Rei­gen bri­ti­scher Geschich­te und – vor allem – Pop­kul­tur. Schier unend­lich der Fun­dus an aus Eng­land stam­men­den Welt­hits, Ever­greens und Meis­ter­wer­ken. Bei uns, so wur­de dann schnell geunkt, stün­den da Pur, Nena und Xavier Naidoo. ((Na ja, oder halt Kraft­werk, die Erfin­der der moder­nen Pop­mu­sik, aber nun gut.)) Das deut­sche Fern­seh­pro­gramm besteht ja auch über­wie­gend aus Kri­mi­se­ri­en und Quiz­shows (bei­des kei­ne genu­in deut­schen Pro­duk­te)

Die kul­tu­rel­le Iden­ti­tät Deutsch­lands nach dem zwei­ten Welt­krieg hat gleich zwei ampu­tier­te Bei­ne: Das mit dem Traum vom gro­ßen deut­schen Volk war gründ­lich schief gegan­gen, fand sei­ne Fort­set­zung aber in einer Art Light-Ver­si­on in Hei­mat­fil­men und Volks­tü­meln­dem Schla­ger, und die Leu­te, die Ber­lin in den 1920er Jah­ren zum kul­tu­rel­len Hot­spot gemacht hat­ten, waren alle ver­trie­ben oder gleich getö­tet wor­den. Bil­ly Wil­der präg­te im Kino flei­ßig das Ame­ri­ka­bild der Nach­kriegs­zeit, in Deutsch­land fei­er­te „Grün ist die Hei­de“ unglaub­li­che Erfol­ge. Die Jugend­be­we­gun­gen schwapp­ten in der Fol­ge­zeit fast alle aus den USA oder Groß­bri­tan­ni­en nach Deutsch­land und mit ihnen der seit­her andau­ern­de Unter­gang des Abend­lan­des – oder prä­zi­ser viel­leicht: des Abend­brot­lan­des.

Zuvor waren die einst heid­ni­schen Gebie­te des heu­ti­gen Deutsch­lands chris­tia­ni­siert wor­den. Die Gotik war aus Frank­reich gekom­men, die Renais­sance und der Barock aus Ita­li­en. Ohne die­se äuße­ren Ein­flüs­se hät­ten die Bom­ben der Alli­ier­ten allen­falls spät­mit­tel­al­ter­li­che Fach­werk­häu­ser, ver­mut­lich eher irgend­wel­che Stein­zeit­höh­len tref­fen kön­nen. Eine Zeit­lang galt es im Bür­ger­tum als aus­ge­spro­chen chic, Mas­ken­bäl­le vene­zia­ni­scher Prä­gung abzu­hal­ten. Geh­we­ge nann­te man „Trot­toir“, ((Kein Mensch, der noch alle Tas­sen im Schrank hat, wür­de in einem deut­schen Satz das Wort „side­walk“ benut­zen.)) Abor­te „Toi­let­te“.

Über­spitzt gesagt ist der Inbe­griff von Kul­tur in Deutsch­land immer noch Bay­reuth, dabei sind die Wag­ner-Fest­spie­le auch nur eine Art geho­be­ner Kar­ne­val: Men­schen, die allen­falls den Schluss­satz von Beet­ho­vens Neun­ter von Mozarts „Klei­ner Nacht­mu­sik“ aus­ein­an­der­hal­ten kön­nen, ver­klei­den sich einen Abend als kul­tur­in­ter­es­sier­te Bil­dungs­bür­ger.

85 Pro­zent mei­ner eige­nen kul­tu­rel­len Iden­ti­tät sind von angel­säch­si­scher Pop­kul­tur geprägt, der Rest von von angel­säch­si­scher Pop­kul­tur Gepräg­ten. Ja, ich mag kei­ne fran­zö­si­schen Fil­me und ein gut sor­tier­ter und gut gefüll­ter HMV löst in mir mehr Glücks­ge­füh­le aus als die Six­ti­ni­sche Kapel­le. Ich wür­de einen Urlaub im ver­reg­ne­ten Schott­land (und das dor­ti­ge Pub Food) jeder­zeit einem Aus­flug ans Mit­tel­meer vor­zie­hen.

Aber ich stei­ge nicht empört auf die Bar­ri­ka­den (fran­zö­si­sche Spe­zia­li­tät), wenn Men­schen Ita­lie­nisch­kur­se in der Volks­hoch­schu­le besu­chen, bei Aldi den etwas teu­re­ren Rot­wein kau­fen und ihren Urlaub in der Tos­ca­na ver­brin­gen wol­len.

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Gesellschaft

Septemberkinder

Eine Jury in New Jer­sey hat ges­tern den 20-jäh­ri­gen Dha­run Ravi für schul­dig befun­den, ein hate crime an sei­nem Mit­be­woh­ner Tyler Cle­men­ti began­gen zu haben. „Spie­gel Online“ beschreibt die Aus­gangs­la­ge so:

Es war der 19. Sep­tem­ber, an dem Cle­men­ti laut Zeu­gen­aus­sa­gen Ravi bat, den gemein­sa­men Raum zu ver­las­sen, er wol­le einen Gast emp­fan­gen. Ravi twit­ter­te: „Mit­be­woh­ner woll­te den Raum bis Mit­ter­nacht haben. Ich bin in Mol­lys (eine Freun­din, Anm. d. Redak­ti­on) Zim­mer gegan­gen und habe mei­ne Web­cam ange­schal­tet. Ich habe gese­hen, wie er mit einem Kerl rum­mach­te. Juhu.“

So fing es an. Am Ende war Cle­men­ti tot.

Die „New York Times“ führt wei­ter aus:

The case was a rare one in which almost none of the facts were in dis­pu­te. Mr. Ravi’s lawy­ers agreed that he had set up a web­cam on his com­pu­ter, and had then gone into a friend’s room and view­ed Mr. Cle­men­ti kis­sing a man he met a few weeks ear­lier on a Web site for gay men. He sent Twit­ter and text mes­sa­ges urging others to watch when Mr. Cle­men­ti invi­ted the man again two nights later, then dele­ted mes­sa­ges after Mr. Cle­men­ti kil­led hims­elf.

That account had been estab­lished by a long trail of elec­tro­nic evi­dence — from Twit­ter feeds and cell­pho­ne records, dor­mi­t­ory sur­veil­lan­ce came­ras, dining hall swi­pe cards and a “net flow” ana­ly­sis show­ing when and how com­pu­ters in the dor­mi­t­ory con­nec­ted.

Die digi­ta­len Bewei­se waren dann wohl auch aus­schlag­ge­bend für die sehr dif­fe­ren­zier­ten Ent­schei­dun­gen der Jury.

Ravis Anwäl­te hat­ten argu­men­tiert, ihr Man­dant sei „ein Kind“, das wenig Erfah­rung mit Homo­se­xua­li­tät habe und in eine Situa­ti­on gera­ten sei, die ihn geängs­tigt habe. In ent­schul­di­gen­den SMS-Nach­rich­ten an Cle­men­ti habe Ravi geschrie­ben, dass er kei­ne Pro­ble­me mit Homo­se­xua­li­tät habe und sogar einen engen Freund habe, der schwul sei.

Die „New York Times“ notiert:

(At almost the exact moment he sent the apo­lo­gy, Mr. Cle­men­ti, 18, com­mit­ted sui­ci­de after pos­ting on Face­book, „jum­ping off the gw bridge sor­ry“).

* * *

Der Selbst­mord von Tyler Cle­men­ti war einer von meh­re­ren im Spätsommer/​Herbst 2010. Min­des­tens neun Schü­ler und Stu­den­ten zwi­schen 13 und 19 Jah­ren glaub­ten, kei­nen ande­ren Aus­weg mehr zu haben, als ihrem Leben ein Ende zu set­zen, weil sie Opfer von Dis­kri­mi­nie­run­gen und Angrif­fen wur­den, nur weil sie schwul waren oder man sie dafür hielt.

Als Reak­ti­on auf die­se Selbst­mor­de wur­de das sehr bewe­gen­de Pro­jekt „It gets bet­ter“ ins Leben beru­fen, bei der Pro­mi­nen­te und Nicht­pro­mi­nen­te, Künst­ler und Poli­ti­ker, TV-Mode­ra­to­ren und Poli­zis­ten homo­se­xu­el­len Jugend­li­chen – ach, eigent­lich allen Jugend­li­chen – Mut mach­ten, dass ihr Leben bes­ser wer­de.

Ste­fan Nig­ge­mei­er hat damals geschrie­ben:

Dem Pro­jekt ist vor­ge­wor­fen wor­den, gefähr­lich unter­am­bi­tio­niert zu sein, weil es nicht auf die Besei­ti­gung der Ursa­chen von Dis­kri­mi­nie­rung zielt, son­dern bloß ihre Opfer zum Über­le­ben auf­for­dert. Die­se Kri­tik ist nach­voll­zieh­bar, aber sie trifft nicht. Zum einen hat Dan Sava­ge recht, wenn er sagt, dass es zunächst ein­mal dar­um geht, akut bedroh­ten Jugend­li­chen unmit­tel­bar Hoff­nung zu geben und auf Ansprech­part­ner hin­zu­wei­sen. Zum ande­ren belas­sen es die Mit­wir­ken­den kei­nes­wegs immer bei dem Ver­spre­chen, dass es nach der Schu­le, nach der Puber­tät, über­haupt in Zukunft schon bes­ser wer­den wird. Vie­le grei­fen, wie Ellen, den Skan­dal an, dass die Dis­kri­mi­nie­rung immer noch zuge­las­sen wird. Dass es ein Kli­ma der Into­le­ranz gibt, das die Ver­höh­nung von Schwu­len zulässt und för­dert.

* * *

Die Chi­ca­go­er Band Rise Against hat einen Song über die „September’s Child­ren“ geschrie­ben, mit dem die Musi­ker auch „It gets bet­ter“ unter­stüt­zen wol­len, und Sie soll­ten sich das Video unbe­dingt in vol­ler Län­ge anse­hen:

Rise Against – Make It Stop (September’s Child­ren) from LGBTQI Geor­gia on Vimeo.

Die Namen, die Front­mann Tim McIl­rath nennt, sind neben Tyler Cle­men­ti die von Bil­ly Lucas, Har­ri­son Cha­se Brown, Cody J. Bar­ker und Seth Walsh.

Jedes Mal, wenn ich die­ses Video sehe, den­ke ich vor der Mar­ke von 3:05 Minu­ten: „Das kön­nen die nicht wirk­lich so zei­gen“, und dann kommt die­ser Bruch und ich habe jedes ver­damm­te Mal wie­der Gän­se­haut und bin gerührt, auf­ge­wühlt und völ­lig fer­tig. So ein Video hät­te ver­dammt schief gehen kön­nen, aber ich fin­de, es ist der Band und ihrem Regis­seur Marc Klas­feld erstaun­lich gut gelun­gen.

* * *

Im Text heißt es „What God would damn a heart? /​ And what God dro­ve us apart? /​ What God could /​ Make it stop /​ Let this end“, und Reli­gi­on rückt in den USA auch nach Dha­run Ravis Schuld­spruch in den Fokus.

Brent Child­res schreibt im Reli­gi­ons-Blog der „Washing­ton Post“:

The­re are many more Tyler Cle­men­ti tra­ge­dies wai­ting to unfold if we con­ti­nue to clo­se our minds to the harm cau­sed by reli­gious teaching’s bias and inti­mi­da­ti­on toward gay. les­bi­an bise­xu­al and trans­gen­der indi­vi­du­als, espe­ci­al­ly youth and fami­lies.

The sto­ry of Tyler Clementi’s death has been one of the most publi­ci­zed teen sui­ci­des in recent memo­ry. Unfort­u­na­te­ly, a review of media inter­views and print news artic­les over the last 18 months pro­du­ces only a few hints to the role reli­gious tea­ching may have play­ed in Clementi’s emo­tio­nal and psy­cho­lo­gi­cal distress.

Es ist für Euro­pä­er kaum zu ver­ste­hen, was für christ­li­che Split­ter­grup­pen die­se Evan­ge­li­ka­len, Metho­dis­ten, Pres­by­te­ria­ner und Luthe­ra­ner eigent­lich sind, aber ihre Hal­tung zur Homo­se­xua­li­tät lässt die meis­ten deut­schen Kar­di­nä­le wie libe­ra­le Akti­vis­ten aus­se­hen. Und, was noch viel schlim­mer ist, die­se Grup­pie­run­gen wer­den von ihren Mit­glie­dern ernst genom­men:

Grace Church of Rid­ge­wood, New Jer­sey, is the church that Tyler Cle­men­ti atten­ded with his fami­ly. It was not an affir­ming and wel­co­ming place for a young per­son pro­ces­sing a same-sex sexu­al ori­en­ta­ti­on, accor­ding to some pas­tors in that com­mu­ni­ty. The church is a mem­ber of the Wil­low Creek Asso­cia­ti­on, a group of churches hea­ded by Bill Hybels, who as recent­ly as last year said that God desi­gned sexu­al inti­ma­cy to be bet­ween a man and a woman in mar­ria­ge and any­thing out­side of that is sexu­al impu­ri­ty in God’s eyes. The gay youth hears in tho­se words that they are dir­ty, unclean and some­thing for which they should be asha­med. […]

In an Octo­ber 2010 artic­le pos­ted on a church blog at St. Ste­phen Church, [Rev. Clar­ke] Olson-Smith wro­te „In the con­gre­ga­ti­on Tyler grew up in and his par­ents still belong to, the­re was no ques­ti­on. To be gay was to be cut off from God.“

Nach dem Schuld­spruch gab der Fern­seh­pre­di­ger Bill Kel­ler dem CNN-Mode­ra­tor Ander­son Coo­per, Rachel Mad­dow von CNBC, der Mode­ra­to­rin Ellen DeGe­ne­res, den Medi­en und den „fei­gen Pries­tern“ die Schuld am Tod von Tyler Cle­men­ti:

Sui­ci­de is a despe­ra­te and sel­fi­sh act that is ulti­m­ate­ly the sole respon­si­bi­li­ty of the per­son who made the choice to end their life. Ever­yo­ne who com­mits sui­ci­de has reasons that led them to make such a hor­ri­ble decis­i­on. The fact is, sui­ci­de is expo­nen­ti­al­ly hig­her among­st tho­se who choo­se the homo­se­xu­al life­style, and while tho­se in the media want to bla­me peo­p­le like mys­elf who take a Bibli­cal stand on this issue, the fact is, they are the ones most respon­si­ble!

So ein­fach kann man sich das machen: Nicht die Atmo­sphä­re voll Hass und Ableh­nung ist schuld, in der jun­ge Homo­se­xu­el­le auf­wach­sen müs­sen, natür­lich sowie­so nicht die­je­ni­gen, die sich auf die Bibel beru­fen, son­dern die, die sagen, dass es völ­lig okay sei, Men­schen des sel­ben Geschlecht zu lie­ben!

Ich habe die Hoff­nung, dass Hass­pre­di­ger wie Kel­ler der­einst mit einem „Sor­ry, Du hast da was wahn­sin­nig miss­ver­stan­den“ an der Him­mels­pfor­te abge­wie­sen wer­den.

* * *

Kin­der und Jugend­li­che waren immer schon grau­sam zuein­an­der, aber die heu­ti­gen tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten bie­ten denen, die sich über ande­re erhe­ben wol­len, ganz neue Ver­brei­tungs­we­ge und viel grö­ße­re Ziel­grup­pen – und letzt­lich ahmen die Jun­gen vor allem nach, was ihnen die Alten in der Gesell­schaft vor­le­ben. Es gibt unter­schied­li­che Mei­nun­gen, ob es eine gute Idee war, Ravi eines hate cri­mes für schul­dig zu befin­den, also einer aus Vor­ur­tei­len began­ge­nen Straf­tat, oder ob sich die Jury nicht auf die ande­ren Ankla­ge­punk­te hät­te beschrän­ken sol­len.

Der Jura-Pro­fes­sor Paul But­ler schreibt bei CNN.com:

Ravi did not invent homo­pho­bia, but he is being scape­goa­ted for it. Bias against gay peo­p­le is, sad­ly, embedded in Ame­ri­can cul­tu­re. Until last year peo­p­le were being kicked out of the mili­ta­ry becau­se they were homo­se­xu­als. None of the four lea­ding pre­si­den­ti­al can­di­da­tes – Pre­si­dent Oba­ma, Mitt Rom­ney, Rick San­torum, Newt Ging­rich – thinks that gay peo­p­le should be allo­wed to get mar­ried. A bet­ter way to honor the life of Cle­men­ti would be for ever­yo­ne to get off their high hor­se about a 20-year-old kid and ins­tead think about how we can pro­mo­te civil rights in our own lives.

Though a natio­nal con­ver­sa­ti­on about civi­li­ty and respect would have been bet­ter, as usu­al for social pro­blems, we loo­ked to the cri­mi­nal jus­ti­ce sys­tem. The United Sta­tes inc­ar­ce­ra­tes more of its citi­zens than any coun­try in the world. We are an extra­or­di­na­ri­ly puni­ti­ve peo­p­le.

Cle­men­ti died for America’s sins. And now, Ravi faces years in pri­son for the same reason.

* * *

Nach dem Schuld­spruch wand­te sich Tyler Cle­men­tis Vater Joe mit einer Bot­schaft an die Öffent­lich­keit:

To our col­lege, high school and even midd­le-school youngs­ters, I would say this: You’­re going to meet a lot of peo­p­le in your life­time. Some of the­se peo­p­le you may not like. But just becau­se you don’t like them, does not mean you have to work against them. When you see some­bo­dy doing some­thing wrong, tell them, „That’s not right. Stop it.“

You can make the world a bet­ter place. The chan­ge you want to see in the world beg­ins with you.

Es könn­te bes­ser wer­den. Es muss!

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Digital Unterwegs

Ich will Dich treffen, wo es am schönsten war

New York, NY

Face­book macht mein Inter­net kaputt. Wann immer mir etwas halb­wegs beson­de­res wider­fährt oder ich etwas tol­les ent­de­cke, pos­te ich das bei Face­book und dann ist gut. Des­we­gen ver­waist die­ses Blog lang­sam aber sicher und wird nur noch befüllt, wenn sich bei mir genug nega­ti­ve Ener­gie ange­sam­melt hat. Das ist nicht gut.

Mar­kus Herr­mann ali­as Herm, der uns zum Bei­spiel das Oslog und das Dus­log so schön tape­ziert hat, war letz­te Woche in New York. Er hat unge­fähr alles, was er dort erlebt hat (dach­te ich zunächst, waren aber nur zehn Pro­zent des­sen), bei Face­book geteilt, sich hin­ter­her aber auch noch die Mühe gemacht, das aus­führ­li­cher im Blog zu beschrei­ben.

Er war in zahl­rei­chen Fern­seh­stu­di­os, bei Goog­le, an jeder denk­ba­ren Tou­ris­ten­at­trak­ti­on und hat Mark Hop­pus, Conan O’Bri­en und Elmo aus der Sesam­stra­ße getrof­fen. Ihm sind die unglaub­lichs­ten Din­ge pas­siert und man sieht beim Lesen förm­lich, wie er da mit gro­ßen Augen durch die Gegend tappst.

Womög­lich fin­de ich das alles beson­ders toll, weil ich Herms Begeis­te­rung für Pop­kul­tur und die USA tei­le (letz­te­res ein biss­chen ein­ge­schränkt, aber – love them or hate them – irgend­wie kann man sich dem ja nicht ent­zie­hen) und ich fast auf den Tag genau fünf Jah­re vor ihm in New York war und vie­les ganz ähn­lich erlebt habe.

In jedem Fall wäre es viel zu scha­de, wie­der nur auf den „Gefällt mir“-Button zu kli­cken. Des­we­gen sei­en Ihnen die Ein­trä­ge aus New York aus­drück­lich auch hier im Blog emp­foh­len:

Herm in New York

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Musik

Fran Healy unplugged

Ein Bekann­ter mein­te mal, bei Tra­vis habe doch auch schon der „Chris-de-Burgh-Effekt“ ein­ge­setzt: „Nur noch in Deutsch­land erfolg­reich.“

Nun ja: Die ganz gro­ßen Erfolgs­zei­ten der vier Schot­ten sind vor­bei. Cold­play fül­len welt­weit Sta­di­en, wäh­rend sich die Ver­an­stal­tungs­or­te bei Tra­vis lang­sam aber sicher von „Hal­len“ in Rich­tung „Clubs“ zu ver­schie­ben schei­nen. Chris Mar­tin ist wenigs­tens anstän­dig genug zu erklä­ren, dass es sei­ne Band ohne Tra­vis nie gege­ben hät­te.

Man könn­te mut­ma­ßen, dass es vor allem wirt­schaft­li­che Grün­de hat, wenn im Moment nicht Tra­vis als Band mit Tour-Key­boar­der und Live­crew die USA berei­sen, son­dern Fran Hea­ly und Andy Dun­lop allein mit ihren Akus­tik­gi­tar­ren unter­wegs sind. Aber selbst wenn dem so wäre, wür­de ich eini­ges dafür geben, mir die bei­den in rich­tig klei­nen Clubs anschau­en zu kön­nen.

Screenshot: Spin.com

Einen klei­nen Ein­blick kann man auch als Euro­pä­er bekom­men, denn Fran Hea­ly war in der Redak­ti­on von „Spin“ zu Gast und hat den Mit­ar­bei­tern drei Songs vor­ge­sun­gen, die jetzt als Vide­os im Inter­net ste­hen.

Los geht’s mit „20“, jener „All I Want To Do Is Rock“-B-Seite, die einst fes­ter Bestand­teil im Live­set war. Es folgt „Wri­ting To Reach You“, bei des­sen Anblick mir schlag­ar­tig wie­der ein­fiel, war­um ich vor neun­ein­halb Jah­ren ange­fan­gen hat­te, mir selbst das Gitar­ren­spiel bei­zu­brin­gen. Zu guter letzt gibt es „The Litt­le Things In Life“, ein Cover der eher unbe­kann­ten Band Green On Red. Alles tadel­los gespielt und gesun­gen und mit ein paar net­ten Wor­ten anmo­de­riert.

Fran Hea­ly unplug­ged bei Spin.com
Das Video funk­tio­niert bei mir nicht im Fire­fox, ver­su­chen Sie’s zur Not mal mit einem ande­ren Brow­ser.

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Musik Gesellschaft

We don’t know why /​ But we know it’s not right

Ich muss Ihnen nicht sagen, wel­ches Datum heu­te ist. Wenn Sie in den letz­ten Tagen einen Fern­se­her ein­ge­schal­tet haben, wis­sen Sie eh, wor­um es geht.

Frank-Wal­ter Stein­mei­er woll­te mir ja erzäh­len (aus der Rei­he „Sel­te­ne Sät­ze deut­scher Spra­che“), dass „die Tage, Woche und Mona­te nach dem 11.9.“ in Deutsch­land „ein biss­chen außer Gedächt­nis gera­ten sei­en. Ich hal­te das für Quatsch. Ich weiß noch genau, dass ich mich gefragt habe, ob ich mei­nen 18. Geburts­tag zwei­ein­halb Wochen spä­ter noch erle­ben wür­de, oder ob wir bis dahin schon alle von Ter­ro­ris­ten oder ame­ri­ka­ni­schen Gegen­schlä­gen getö­tet sein wür­den (was man als 17-Jäh­ri­ger halt so denkt).

Es sind vie­le, vie­le Songs geschrie­ben wor­den über die­se Zeit (unter ande­rem das gan­ze „The Rising“-Album von Bruce Springsteen), aber am Bes­ten zusam­men­ge­fasst wird das alles in einem Song, der unwahr­schein­li­cher­wei­se von den Fun­punk­pop­pern Gold­fin­ger, Good Char­lot­te und Mest stammt und irgend­wann im Herbst 2001 im Inter­net ver­schenkt wur­de. Ver­lust, Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit und Angst (auch dar­über, was fremd aus­se­hen­den Men­schen plötz­lich blüht) sind auf eine so unmit­tel­ba­re, nai­ve Art Gegen­stand des Tex­tes, dass man acht Jah­re spä­ter fast ein biss­chen pikiert dar­über ist. Aber Pop­mu­sik ist nun mal ger­ne ein unre­flek­tier­tes Zeit­do­ku­ment und des­halb auch meis­tens per­sön­lich packen­der als ein Geschichts­buch:

Das Video ist ein biss­chen quat­schig, aber ich woll­te nicht schon wie­der bren­nen­de Tür­me zei­gen.

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Politik Gesellschaft

Ein Esszimmertisch aus ganz besonderem Holz

Mög­li­cher­wei­se haben Sie das Video schon gese­hen, in dem der demo­kra­ti­sche Abge­ord­ne­te Bar­ney Frank bei einem Town Com­mit­tee mee­ting in Dart­mouth, Mas­sa­chu­setts eine jun­ge Fra­ge­stel­le­rin rhe­to­risch voll­endet abbü­gelt, die ihm und Barack Oba­ma Nazi-Poli­tik vor­wirft.

Alter­na­tiv hät­te die „Dai­ly Show“ hier für Sie auch noch mal die schöns­ten Stel­len:

The Dai­ly Show With Jon Ste­wart Mon – Thurs 11p /​ 10c
Bar­ney Frank’s Town Hall Snaps
www.thedailyshow.com
Dai­ly Show
Full Epi­so­des
Poli­ti­cal Humor Health­ca­re Pro­tests

Was Sie viel­leicht nicht mit­be­kom­men haben: Die Fra­ge­stel­le­rin berief sich auf Lyn­don LaRou­che und hat­te die­ses sym­pa­thi­sche Pos­ter dabei, das man sich auf der Web­site des „Poli­ti­cal Action Com­mit­tee“ des LaRou­che-Clans her­un­ter­la­den kann:

I've changed - Barack Obama mit Hitler-Bärtchen

Sie erin­nern sich: Die merk­wür­di­gen Ver­ei­ni­gun­gen rund um Lyn­don LaRou­che und sei­ne Frau Hel­ga Zepp-LaRou­che waren hier im Blog ja schon mehr­fach The­ma.

Wäh­rend der deut­sche Able­ger „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ (BüSo) vor allem durch unfrei­wil­li­ge Komik und mys­te­riö­se Todes­fäl­le auf­fällt, tritt die Polit­sek­te in den USA weit weni­ger sub­til auf.

[via The Washing­ton Inde­pen­dent]

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Wie Barack Obama Twitter am Laufen hielt

Bei den Pro­tes­ten, die der­zeit im Iran statt­fin­den, spielt Twit­ter eine wich­ti­ge Rol­le: Demons­tran­ten kön­nen sich dar­über koor­di­nie­ren und Bot­schaf­ten ins Aus­land abset­zen. Um die­sen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­weg auf­recht zu erhal­ten, hat Twit­ter am Mon­tag kurz­fris­tig seit lan­gem für ges­tern geplan­te War­tungs­ar­bei­ten auf einen Zeit­punkt ver­scho­ben, als im Iran eh gera­de Nacht war.

Ges­tern ver­brei­te­te Reu­ters die Nach­richt, das US-Außen­mi­nis­te­ri­um habe Twit­ter gedrängt, die War­tungs­ar­bei­ten zu ver­schie­ben:

The U.S. Sta­te Depart­ment said on Tues­day it had cont­ac­ted the social net­wor­king ser­vice Twit­ter to urge it to delay a plan­ned upgrade that would have cut day­ti­me ser­vice to Ira­ni­ans who are dis­pu­ting their elec­tion.

Twit­ter wider­sprach die­ser Dar­stel­lung schon kurz dar­auf im eige­nen Blog:

Howe­ver, it’s important to note that the Sta­te Depart­ment does not have access to our decis­i­on making pro­cess. Nevert­hel­ess, we can both agree that the open exch­an­ge of infor­ma­ti­on is a posi­ti­ve force in the world.

Das war heu­te Nacht um 00:21 Uhr deut­scher Zeit.

Um 03:15 Uhr ticker­te afp:

Twit­ter: War­tungs­ar­bei­ten nicht wegen US-Regie­rung ver­scho­ben

Der Kurz­nach­rich­ten­dienst Twit­ter pocht auf sei­ne Unab­hän­gig­keit: Die Ver­schie­bung von War­tungs­ar­bei­ten inmit­ten der dra­ma­ti­schen Ereig­nis­se im Iran sei nicht auf Bit­ten der US-Regie­rung erfolgt, teil­te Twit­ter-Mit­be­grün­der Biz Stone am Diens­tag mit.

Nun weiß man natür­lich nicht, ob Twit­ter da die Wahr­heit sagt. Aber die bis­he­ri­gen Fak­ten lau­ten: Das Außen­mi­nis­te­ri­um spricht von Kon­tak­ten, Twit­ter erklärt, die Ent­schei­dung selbst getrof­fen zu haben.

Bei Asso­cia­ted Press hat­te man von all dem offen­bar nichts mit­be­kom­men und so war aus der „Bit­te“ des Außen­mi­nis­te­ri­ums heu­te mor­gen um 08:36 Uhr das hier gewor­den:

Twit­ter-War­tung auf Wunsch des US-Außen­mi­nis­te­ri­ums ver­scho­ben

Um 11:04 ging eine wei­te­re AP-Mel­dung über die Ticker, in der unter ande­rem stand:

Wie in Washing­ton ver­lau­te­te, inter­ve­nier­te des­halb das US-Außen­mi­nis­te­ri­um und bat die Betrei­ber, die War­tung auf eine Zeit zu ver­schie­ben, wenn es im Iran Nacht ist. Twit­ter folg­te die­sem Wunsch.

Wäh­rend vie­le Medi­en immer­hin offen lie­ßen, ob Twit­ter dem Wunsch der US-Regie­rung „gefolgt“ sei, und „Focus Online“ expli­zit auf Twit­ters Gegen­dar­stel­lung ver­wies, waren Medi­en, die sich auf AP ver­lie­ßen, auf­ge­schmis­sen:

Wie in Washing­ton ver­lau­te­te, inter­ve­nier­te des­halb das US-Außen­mi­nis­te­ri­um und bat die Betrei­ber, die War­tung auf eine Zeit zu ver­schie­ben, wenn es im Iran Nacht ist. Twit­ter folg­te die­sem Wunsch.

(Handelsblatt.com)

Ange­sichts der Bedeu­tung der Online­me­di­en für die Infor­ma­ti­on der Welt­öf­fent­lich­keit über die Ereig­nis­se im Iran inter­ve­nier­te das US-Außen­mi­nis­te­ri­ums beim Kurz­nach­rich­ten­dienst Twit­ter. Die­ser ver­schob auf Wunsch des Außen­mi­nis­te­ri­ums geplan­te War­tungs­ar­bei­ten, wie meh­re­re Gewährs­leu­te am Diens­tag in Washing­ton berich­te­ten.

(heute.de)

Eine ganz eige­ne Her­an­ge­hens­wei­se fand Bild.de, wo statt Mit­ar­bei­tern des Außen­mi­nis­te­ri­ums gleich jemand ganz ande­res mit Twit­ter gespro­chen haben soll:

Auch der Ein­satz von US-Prä­si­dent Barack Oba­ma dürf­te bei der ira­ni­schen Regie­rung für Miss­mut gesorgt haben. Oba­ma hat­te Twit­ter gebe­ten, die ange­setz­ten War­tungs­ar­bei­ten aus­zu­set­zen, um die Kom­mu­ni­ka­ti­on im Iran irgend­wie auf­recht zu erhal­ten.

Mit Dank auch an Dani S.