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Erste Schlag-Sahne

so lang­wei­lig war schlag den raab glaub ich noch nie

(Ste­fan Nig­ge­mei­er, ges­tern Abend um 23:29 Uhr via ICQ)

Ziem­lich exakt zwei Stun­den spä­ter (und damit eine gute Stun­de nach dem anvi­sier­ten Ende der Sen­dung) konn­te der Kan­di­dat Oluf­e­mi, der zuvor desas­trös zurück­ge­le­gen hat­te, sei­nen Gewinn im Emp­fang neh­men: 2,5 Mil­lio­nen Euro, den Jack­pot aus fünf Sen­dun­gen, und damit die höchs­te Sum­me, die man je aus eige­ner Kraft im deut­schen Fern­se­hen hat­te gewin­nen kön­nen.

Und das macht unter ande­rem den Reiz von „Schlag den Raab“ aus: dass selbst pro­fes­sio­nel­le Fern­seh­zu­schau­er wie Ste­fan mit­ten in der Sen­dung deren Ende nicht erah­nen kön­nen. Ich selbst hat­te erst um Vier­tel nach Zehn ein­ge­schal­tet und damit in zwei Stun­den Sen­dung gera­de mal die Kan­di­da­ten­aus­wahl ver­passt – und die ers­ten vier Spie­le, die Oluf­e­mi eben­so ver­lo­ren hat­te wie das fol­gen­de fünf­te, dann das sieb­te und etli­che wei­te­re.

„Wie kann es denn sein, dass ich von den fünf­zehn Spie­len schon acht gewon­nen habe und trotz­dem noch wei­ter­ma­chen muss?“, frag­te Ste­fan Raab dann auch vor dem alles ent­schei­den­den letz­ten Spiel. Wer sich so einen Quatsch denn aus­ge­dacht habe? Letz­te­res war wohl eher als Witz gemeint, aber aus Sicht der Zuschau­er ist es ein­deu­tig ein Lob. Die Idee, dass es im ers­te Spiel gera­de mal einen Punkt zu holen gibt, im zwei­ten zwei, und immer so wei­ter bis zu den fünf­zehn Punk­ten im fünf­zehn­ten Spiel, macht die Sen­dung auch bei maxi­ma­ler Län­ge (fünf­ein­vier­tel Stun­den sind in etwa dop­pelt so lang wie eine durch­schnitt­li­che Aus­ga­be von „Ver­ste­hen Sie Spaß?“) noch span­nend. Im Ide­al­fall, der ges­tern fast erreicht wor­den sein dürf­te, wird es eben erst in den letz­ten zwei­ein­halb Stun­den rich­tig span­nend.

Gera­de der Umstand, dass die ers­ten fünf Spie­le geschlos­sen an Raab gin­gen, erzeug­ten beim Publi­kum zunächst ein­mal Mit­leid mit dem Kan­di­da­ten, das sich dann in auf­rich­ti­ge Unter­stüt­zung wan­del­te. Der völ­lig ver­bis­se­ne Gro­ßen­ter­tai­ner brauch­te viel­leicht genau die­sen Her­aus­for­de­rer, der nach dem ver­lo­re­nen Jet­ski-Ren­nen aus dem Was­ser gezo­gen wer­den muss­te, zu die­sem Zeit­punkt schon gar nicht mehr wie ein Geg­ner wirk­te und schließ­lich doch noch zurück­kam.

Dass die Sen­dung dann aus­ge­rech­net mit einem Elf­me­ter­schie­ßen ende­te (also einem tat­säch­li­chen), wirk­te ange­sichts eines Kan­di­da­ten, der Regio­nal­li­ga­fuß­ball spielt und bei 1860 Mün­chen im Mar­ke­ting arbei­tet, schon fast ein biss­chen insze­niert. Trotz Raabs Schwä­che war das Elf­me­ter­schie­ßen ange­sichts des win­ken­den Gewinns dann unge­fähr so span­nend wie das Shoot Out zwi­schen Deutsch­land und Argen­ti­ni­en bei der Fuß­ball-WM vor zwei Jah­ren.

Man kann es gar nicht oft genug schrei­ben: Aus­ge­rech­net Ste­fan Raab, der stets belä­chel­te „Blö­del­mo­de­ra­tor“ hat die gro­ße Sams­tag­abend­show zurück ins Fern­se­hen gebracht (viel mehr: die ganz gro­ße Spiel­show im Sti­le von „Spiel ohne Gren­zen“, das ja gar nicht am Sams­tag­abend lief). Der Trick dabei ist (neben der Abwechs­lung von Sport‑, Geschick­lich­keits- und Wis­sens­spie­len), nicht meh­re­re unbe­kann­te Kan­di­da­ten gegen­ein­an­der antre­ten zu las­sen, son­dern immer nur einen gegen den als fast krank­haft ehr­gei­zig bekann­ten Ste­fan Raab. So lie­gen die Sym­pa­thien fast immer beim Kan­di­da­ten – außer, der ist so blass wie der Her­aus­for­de­rer Anfang April.

Wie ernst es Raab in die­ser Sen­dung wirk­lich ist, stell­te er dann ges­tern auch noch mal eher unfrei­wil­lig unter Beweis: als er bei einem Spiel eine fal­sche Ant­wort gab, schlug er mit der fla­chen Hand so fest auf sein Pult, dass er die Glas­ab­de­ckung zum Bers­ten brach­te.

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Rundfunk Radio

I’m A Yesterday Man

Am Don­ners­tag star­te­te in den deut­schen Kinos „Robert Altman’s Last Radio Show“ (was – ange­denk der Tat­sa­che, dass Regis­seur Robert Alt­man inzwi­schen ver­stor­ben ist – ein über­ra­schend pas­sen­der „deut­scher“ Titel für „A Prai­rie Home Com­pa­n­ion“ ist). In dem höchst ver­gnüg­li­chen Revue­film mit Star­be­set­zung geht es um eine tra­di­ti­ons­rei­che ame­ri­ka­ni­sche Radio­show, die nach vie­len Jah­ren ein­ge­stellt wer­den soll.

Radio ist heu­te ein sog. Neben­bei­me­di­um, d.h. die Radio­ma­cher sind der Ansicht, ihre Hörer hör­ten ihnen sowie­so nicht zu, wes­we­gen sie ihr Pro­gramm so gestal­ten, dass ihnen auch wirk­lich nie­mand mehr zuhö­ren will: Über­dreh­te Gute-Lau­ne-Maschi­nen aus dem Pri­vat­ra­dio, die eine Hek­tik ver­brei­ten wie ein Hams­ter, der ein Kilo Ecsta­sy gefut­tert hat, könn­te ich nicht mal „neben­bei“ ertra­gen, und die ehe­ma­li­gen Qua­li­täts­sen­dun­gen der öffent­lich-recht­li­chen Sen­der sind inzwi­schen auch im „For­mat­pro­gramm“ ange­kom­men (zwei belie­bi­ge Pop­songs; ein Stu­dio­ge­spräch, das auf kei­nen Fall län­ger als andert­halb Minu­ten dau­ern darf und mit einem ner­vi­gen „Musik­bett“ unter­legt ist; zwei belie­bi­ge Pop­songs; eine kur­ze, poin­ten­lo­se Zwi­schen­mo­de­ra­ti­on; zwei belie­bi­ge Pop­songs; Wer­bung – dazu alle drei Minu­ten der Hin­weis, wel­chen Sen­der man gera­de noch mal ein­ge­schal­tet hat­te).

Da grenzt es fast an ein Wun­der, dass es auch im deut­schen Radio noch eine rich­ti­ge Radio­show im bes­ten, im klas­si­schen Sin­ne gibt: sie heißt „Yes­ter­day“, läuft seit 1995 auf WDR 2 und wird von ihrem Erfin­der Roger Handt mode­riert. Frü­her hieß sie „Yes­ter­day – Die Oldie-Show“ und genau das ist sie eigent­lich auch: In der ers­ten Stun­de der drei­stün­di­gen Sen­dung wer­den Hörer­wün­sche erfüllt (als „Oldie“ gilt ein Song, der vor mehr als zehn Jah­ren erschie­nen ist, d.h. spä­tes­tens Ende die­ses Jah­res kön­nen wir mit „Angels“ von Rob­bie Wil­liams rech­nen), in den zwei dar­auf­fol­gen­den Stun­den fin­det das „Yes­ter­day-Quiz“ statt, bei dem je zwei Hörer in zwei Run­den und einem Fina­le gegen­ein­an­der antre­ten.

Die Kan­di­da­ten, meist 55jährige Leh­rer aus Essen, müs­sen (manch­mal recht simp­le, manch­mal wirk­lich kniff­li­ge) Fra­gen zu einem bestimm­ten Jahr­zehnt beant­wor­ten, dazwi­schen gibt es vie­le Musik­ti­tel, die – auch das ist im Radio inzwi­schen eine Sel­ten­heit – fast immer aus­ge­spielt wer­den. Als es im Janu­ar um die Neun­zi­ger Jah­re (des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts) ging, fühl­te ich mich plötz­lich sehr, sehr alt. Ein­mal im Monat fin­det die Sen­dung vor einem Liv­e­pu­bli­kum statt, das mit­un­ter meh­re­re Jah­re auf sei­ne Ein­tritts­kar­ten war­ten muss­te, und was „Yes­ter­day“ (neben der vie­len Musik, die heu­te kaum noch im Radio gespielt wird, und den durch­aus inter­es­san­ten Quiz­run­den) so beson­ders macht, ist die Art, mit der Roger Handt sie mode­riert: es gibt kei­nen strik­ten Sen­de­plan, kei­ne Andert­halb-Minu­ten-Rege­lun­gen, kei­ner­lei Hek­tik.

Die Vor­stel­lung der Kan­di­da­ten nimmt so viel Zeit in Anspruch, wie ande­re Sen­dun­gen gera­de mal einem Star­in­ter­view (inkl. Musik­ti­tel) ein­räu­men wür­den. Handt kann sich minu­ten­lang mit einem kauf­män­ni­schen Ange­stell­ten aus dem Sie­ger­land über den Ein- und Ver­kauf von Schrau­ben („für den Tro­cken­bau, für Holz“) unter­hal­ten oder sich von einer Haus­frau aus Köln über ihre Kin­der berich­ten las­sen, ohne dass es auch nur ansatz­wei­se lang­wei­lig wird. Er inter­es­siert sich für sei­ne Anru­fer (und wohl für alle sei­ne Hörer) und die freu­en sich, „end­lich mal durch­ge­kom­men“ zu sein – ob sie hin­ter­her etwas gewin­nen (es geht um CDs und Kon­zert­kar­ten), ist den meis­ten fast egal. Handt ist locker im posi­ti­ven Sinn, ohne dabei ins Jovia­le (s. Tho­mas Gott­schalk) oder Über­dreh­te (s. Früh­stücks­mo­de­ra­to­ren auf jedem ver­damm­ten Sen­der) abzu­rut­schen, und er sagt Sachen wie „Schon komisch, dass so ein Franz Becken­bau­er mal Plat­ten ein­ge­sun­gen hat. Obwohl: Mari­us Mül­ler-Wes­tern­ha­gen singt ja auch …“

Die Sen­dung läuft Sams­tag­abends ab 19 Uhr und sorgt damit regel­mä­ßig dafür, dass man sich beim Abend­essen fest­hört und das abend­li­che Fern­seh­pro­gramm ein­fach igno­riert. Roger Handt kennt jeden Song, den er spielt, und weiß, wer ihn wann (wahr­schein­lich auch wo) geschrie­ben, und wer ihn Jah­re spä­ter auf der B‑Seite wel­cher Sin­gle geco­vert hat – und wer dabei die Lead­gi­tar­re spiel­te, obwohl er gar nicht in den Liner Notes auf­tauch­te. Soll­te er sich doch mal einen gro­ben Schnit­zer erlau­ben, weist er hin­ter­her ganz zer­knirscht dar­auf hin.

Roger Handt ist kein deut­scher John Peel. Der legen­dä­re eng­li­sche Radio-DJ ent­deck­te bis zu sei­nem plötz­li­chen und viel zu frü­hen Tod 2004 noch wöchent­lich neue Plat­ten und fei­er­te Musi­ker, die sei­ne Enkel­kin­der hät­ten sein kön­nen. Handt, der 1945 und damit sechs Jah­re nach Peel gebo­ren wur­de, sagt heu­te in Inter­views Sät­ze wie

Ich muss mich nur noch für das inter­es­sie­ren, was mich inter­es­siert.

und dass Fred­dy Quinn ein paar geist­rei­che­re Sachen gesun­gen habe als Xavier Naidoo. Das ist sein gutes Recht, und gera­de bei sol­chen Ver­glei­chen wagt man – schon wegen man­geln­der Werk­kennt­nis bei­der Künst­ler – kaum zu wider­spre­chen.

„Yes­ter­day“ ist ech­te Radio­un­ter­hal­tung. Man kann sich irre jung („Das war Karl Schil­ler, Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter von 1966 bis 1972.“) und wahn­sin­nig alt („Und als nächs­tes hören wir Han­son mit ‚MMM­bop‘!“) füh­len. Bei mir erzeugt die Sen­dung das, was schon lan­ge kei­ne Fern­seh­show mehr erreicht: das Gefühl der Gebor­gen­heit, so wie vor vie­len Jahr­zehn­ten die Illies’sche Bade­wan­ne vor „Wet­ten dass …?“