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Wette sich, wer kann

Die Nach­richt, dass die Unter­hal­tungs­sen­dung „Wet­ten, dass..?“ nach 33 Jah­ren ihren Geist auf­ge­ben wür­de, war der Redak­ti­on von „Spie­gel Online“ am Abend des 5. April sogar eine Brea­king News wert. Aut­op­sie und Trau­er­fei­er waren da bereits in vol­lem Gan­ge.

Das ZDF wur­de für sei­ne Pres­se­mit­tei­lungs­for­mu­lie­rung der „geän­der­ten Seh­ge­wohn­hei­ten“ mit Häme über­zo­gen – über­wie­gend von Men­schen, die ger­ne ame­ri­ka­ni­sche TV-Seri­en auf Com­pu­tern und Tablets schau­en und sich Sonn­tags­abends online ver­ab­re­den, um gemein­schaft­lich eine ein­zel­ne deut­sche TV-Serie schei­ße zu fin­den. Mar­kus Lanz und die Redak­ti­on wur­den zu den Allein­schul­di­gen erklärt, was auch Quatsch war: Zwar hat­ten der jovia­le Bau­markt­er­öff­nungs­ch­ar­meur und sei­ne Trup­pe im Hin­ter­grund, die es auch schon mal für eine gute Idee gehal­ten hat­te, sich völ­lig ohne Grund eine aus­schwei­fen­de Ras­sis­mus­de­bat­te an den Hals zu holen, tat­säch­lich kei­nen guten Job gemacht, aber das Pro­blem lag auch woan­ders. In einer Zeit, wo wirk­lich jeder durch Cas­ting­show und You­Tube zum „Star“ wer­den kann, braucht der Nor­mal­bür­ger kei­ne absei­ti­gen Bega­bun­gen mehr, um für einen Abend im Ram­pen­licht zu ste­hen. Man kann es jetzt zu mit­tel­fris­ti­ger TV-Pro­mi­nenz brin­gen, ohne Wärm­fla­schen auf­zu­pus­ten oder die Post­leit­zah­len aller deut­schen Städ­te benen­nen zu kön­nen. ((Oder ohne irgend­et­was zu kön­nen.)) Frank Elst­ner mel­de­te sich auf Twit­ter zu Wort und vie­ler­orts las man wie­der von Elst­ner, klei­nen Kin­dern in der Bade­wan­ne und im Bade­man­tel. ((Was jetzt viel­leicht ein biss­chen unglück­lich for­mu­liert ist.))

Immer wie­der kam das Bild auf, das Flo­ri­an Illies 2000 beschrie­ben hat­te: Wie er als Kind Sams­tags­abends, frisch geba­det und im Bade­man­tel auf der Couch sit­zen und „Wet­ten, dass..?“ mit Frank Elst­ner gucken durf­te. Illies beschrieb dies in sei­nem Best­sel­ler „Gene­ra­ti­on Golf“, des­sen Titel schon Teil des Pro­blems ist, zu dem wir gleich noch kom­men, und je mehr deckungs­glei­che Wort­mel­dun­gen in den Sozia­len Netz­wer­ken auf­schlu­gen, des­to boh­ren­der wur­de die Fra­ge: Hat­ten wir – das Per­so­nal­pro­no­men ist hier beson­ders wich­tig – wirk­lich so ähn­li­che Kind­heits­er­leb­nis­se oder brach sich hier gera­de die Erin­ne­rungs­ver­fäl­schung Raum, die sonst ger­ne auch schon mal ger­ne dafür sorgt, dass Men­schen sich detail­reich dar­an erin­nern, wo sie bei der Mond­lan­dung, der Ermor­dung John F. Ken­ne­dys, dem Mau­er­fall, dem Unfall­tod von Dia­na Spen­cer und am 11. Sep­tem­ber 2001 waren – nur, dass das oft gar nicht stimmt.

Ich für mei­nen Teil bin zum Bei­spiel zu jung, um jemals bewusst „Wet­ten, dass..?“ mit Frank Elst­ner gese­hen zu haben. Ich erin­ne­re mich an eine Aus­ga­be, in der jemand mit­hil­fe hand­li­cher Schrott­bal­len sagen konn­te, um was für ein Auto es sich zuvor gehan­delt hat­te. Es mag mein ers­ter bewuss­ter Kon­takt mit der Sen­dung gewe­sen sein, der Mode­ra­tor war wohl schon Tho­mas Gott­schalk und wenn es da drau­ßen jeman­den gibt, der auf Anhieb sagen kann, ob das stimmt, wann die Sen­dung lief und aus wel­cher Mehr­zweck­hal­le die Sen­dung damals kam, dann ist es jetzt zu spät, um aus die­ser Insel­be­ga­bung noch Kapi­tal zu schla­gen.

Frank Elst­ner, das war für mich der Mode­ra­tor von „Nase vorn“, dem viel­leicht über­am­bi­tio­nier­tes­ten Unter­hal­tungs­show­ver­such, bis es ProSiebenSat1 mit der „Mil­lio­närs­wahl“ ver­such­te, und der teil­wei­se live von der Trab­renn­bahn in Dins­la­ken über­tra­gen wur­de, in deren buch­stäb­li­cher Wurf­wei­te unse­re dama­li­ge Woh­nung lag. Mit gro­ßem Eifer glotz­te ich damals jede Sams­tag­abend­show weg, die das öffent­lich-recht­li­che Fern­se­hen Ende der 1980er, Anfang der 1990er auf die Gebüh­ren­zah­ler los­ließ, ((„Ver­ste­hen Sie Spaß?“ mit Pao­la und Kurt Felix! Der „Flit­ter­abend“! Die „Gold­mil­li­on“!)) zur Not zwang ich mei­ne Groß­el­tern (und nicht anders­her­um), mit mir den „Musi­kan­ten­stadl“ zu schau­en – es war eben Sams­tag­abend, ich war da und woll­te unter­hal­ten wer­den! Am Liebs­ten aber die „Rudi Car­rell Show“ ((Ich bin unsi­cher, wann genau ich begriff, dass die Kan­di­da­ten – „gera­de noch im Rei­se­bü­ro, jetzt auf unse­rer Show­büh­ne!“ – sich gar nicht so schnell umzie­hen konn­ten, son­dern dort mit vor­ab auf­ge­zeich­ne­ten Bei­trä­gen gear­bei­tet wur­de, fürch­te aber, es ist noch gar nicht sooo lan­ge her.)) und spä­ter „Geld oder Lie­be“ mit Jür­gen von der Lip­pe, das ich im Nach­hin­ein ger­ne zur bes­ten Sams­tag­abend­show aller Zei­ten ver­klä­re. Wenn es mir gelän­ge, heu­te etwas ähn­lich harm­los-anar­chisch-unter­halt­sa­mes zu kon­zi­pie­ren, wäre ich ein gemach­ter Mann.

„Wet­ten, dass..?“, jeden­falls, ist im Begriff, sehr bald Geschich­te zu sein, und all jene, die damals tat­säch­lich oder gefühlt im Bade­man­tel zuge­schaut hat­ten, gaben sich dem hin, was seit „Gene­ra­ti­on Golf“ All­ge­mein­gut ist: der fra­ter­ni­sie­ren­den, leicht aniro­ni­sier­ten Nost­al­gie derer, die für ech­te Nost­al­gie nicht nur zu jung sind, son­dern auch zu wenig erlebt hat­ten. Und weil die Ver­tre­ter die­ser … nun ja: Gene­ra­ti­on heu­te an den ent­schei­den­den Stel­len bun­des­deut­scher Online­diens­te und Medi­en­sei­ten sit­zen, kann man die­se Erin­ne­run­gen über­all lesen, wo sie von Men­schen mit den glei­chen tat­säch­li­chen oder gefühl­ten Erin­ne­run­gen kom­men­tiert wer­den, auf dass sich auch die Nach­ge­bo­re­nen damit infi­zie­ren und sich spä­ter fel­sen­fest dar­an erin­nern, wie sie damals selbst auf der Couch …

„Kids today get­tin‘ old too fast /​ They can’t wait to grow up so they can kiss some ass /​ They get nost­al­gic about the last ten years /​ Befo­re the last ten years have pas­sed“, hat Ben Folds mal gesun­gen. Das ist inzwi­schen neun Jah­re her und die Ent­wick­lung der Sozia­len Netz­wer­ke hat seit­dem nicht gera­de zu einer Ent­span­nung der Situa­ti­on bei­getra­gen. „Throw­back Thurs­day“ nen­nen sie es, wenn Men­schen am Don­ners­tag beson­ders pein­li­che ((Zu irgend­ei­ner Zeit hät­te man gesagt: „affi­ge“.)) Fotos von sich selbst in einem jün­ge­ren Zustand auf Face­book oder Twit­ter pos­ten, was beson­ders reiz­voll ist, wenn die Men­schen Anfang Zwan­zig und die Fotos selbst noch nicht mal im Grund­schul­al­ter sind. Jan Böh­mer­mann ((Je nach Bezugs­ge­ne­ra­ti­on der Harald Schmidt oder Ste­fan Raab sei­ner eige­nen Gene­ra­ti­on.)) sorg­te im Früh­jahr mit einem „So waren die 90er“-Video für Furo­re im deutsch­spra­chi­gen Inter­net, 90er-Par­ties erfreu­en sich schon seit eini­ger Zeit wach­sen­der Beliebt­heit und ich saß auch schon stock­nüch­tern inmit­ten unter­schied­lich alko­ho­li­sier­ter Men­schen auf Par­ties, starr­te auf einen Lap­top­bild­schirm und nahm einen You­Tube-Rei­gen von Mr. Pre­si­dent, Take That, Echt und Tic Tac Toe mit einer stets wech­seln­den Mischung aus Fas­zi­na­ti­on, Abscheu, Nost­al­gie, Fas­sungs­lo­sig­keit und Begeis­te­rung zur Kennt­nis. Es waren Men­schen mit ansons­ten ver­mut­lich tadel­lo­sem Musik­ge­schmack, aber nie­mand kam auf die Idee, wenigs­tens mal zur Abwechs­lung Inter­pre­ten wie Nir­va­na, Oasis oder Pearl Jam in die Run­de zu wer­fen. Das war auch nicht mehr mit dem lei­di­gen The­ma Über­i­ro­ni­sie­rung zu erklä­ren.

Mein Vater ver­ab­scheut heu­te mit gro­ßer Hin­ga­be vie­les, was sich auf den angeb­lich reprä­sen­ta­ti­ven Hit-Sam­plern sei­ner Jugend fin­det, ((Mungo Jer­ry! The Lovin‘ Spoon­ful!)) trotz feh­len­den Alters wal­tet bei mir eine erschüt­tern­de Mil­de: Ich könn­te jeder­zeit aus­führ­lich und fun­diert begrün­den, war­um Sun­ri­se Ave­nue gro­ße Grüt­ze sind, wür­de mich aber im Zwei­fels­fall ver­mut­lich dazu hin­rei­ßen las­sen, „What Is Love?“ von Had­da­way wort­reich gegen jed­we­de Kri­tik zu ver­tei­di­gen.

Die Musik, die heu­te dort ange­sagt ist, wo Indie­be­reich und Main­stream klei­nen Grenz­ver­kehr pfle­gen, klingt oft, als sei sie schon min­des­tens 40 Jah­re alt. Vor zehn, fünf­zehn Jah­ren wur­den hau­fen­wei­se Fern­seh­se­ri­en der 70er und 80er fürs Kino adap­tiert, heu­te sind plötz­lich Fern­seh­se­ri­en erfolg­reich, die auf 20 Jah­re alten Kino­fil­men basie­ren. Und das ist erst der Anfang.

Der Herm frag­te letz­te Woche auf Twit­ter:

Kurz dar­auf ging dann ein neu­er „Terminator“-Trailer online.

Über das Phä­no­men der „Retro­ma­nie“ sind inzwi­schen Arti­kel und gan­ze Bücher geschrie­ben wor­den. Und, klar: Wenn Kul­tur­epo­chen nicht mehr 50 oder 100 Jah­re dau­ern, son­dern nur ein paar Mona­te ((Oder gar 140 Zei­chen.)), kön­nen sie auch schnel­ler wie­der­kom­men. Die Renais­sance rekur­rier­te noch auf ein Zeit­al­ter, das seit etwa 800 Jah­ren vor­bei war.

Und so ist in einer Zeit, in der angeb­lich alles indi­vi­du­el­ler wird ((Mode- und Ein­rich­tungs­blogs spre­chen da eine etwas ande­re Spra­che.)), die Erin­ne­rung an „Dolo­mi­ti“, „Yps“ und „Rai­der“ („heißt jetzt ‚Twix‚“) das, was die Men­schen hei­me­lig zusam­men­bringt. Die Jea­nette-Bie­der­mei­er-Epo­che.

Um „Wet­ten dass..?“ wird jetzt bis zuletzt ein Gewe­se gemacht, das die Show selbst seit min­des­tens zehn Jah­ren nicht mehr gerecht­fer­tigt hat. Aber so ist das in Deutsch­land: Wir haben ja kul­tu­rell nicht so viel und wenn wir doch mal jeman­den haben, wer­den die­je­ni­gen so sehr gefei­ert, bis sie nie­mand mehr ernst­haft ertra­gen kann. Stich­wort: Til Schwei­ger, Jan Josef Lie­fers, Hele­ne Fischer, Unhei­lig. Alle vier sind am Sams­tag bei der letz­ten Sen­dung dabei.

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Musik Digital

Man sollte die guten Kerzen kaufen

Ich kann mit der Band Unhei­lig und ihrer Musik nichts anfan­gen, habe aber einen gewis­sen Respekt davor, wie der soge­nann­te Graf da seit Jah­ren sein Ding durch­zieht und damit inzwi­schen auch gro­ße Erfol­ge fei­ert. Ver­gan­ge­nen Frei­tag erschien das neue Album „Lich­ter der Stadt“, das natür­lich auf Platz 1 der Charts ein­stei­gen wird.

Der Kol­le­ge Sebas­ti­an Dal­kow­ski hat den Gra­fen für „RP Online“ getrof­fen und es ist das groß­ar­tigs­te Inter­view mit dem König des Gothic-Schla­gers, das ich je gele­sen habe.

Gut: Es ist auch das bis­her Ers­te, aber es ist trotz­dem über­ra­schend unter­halt­sam.

Auf Ihren Kon­zer­ten und in Ihren Vide­os sind immer Ker­zen zu sehen. Wo kau­fen Sie die?

Das sind Altar­ker­zen. Mei­ne ers­ten Ker­zen habe ich, da ich aus Aachen kom­me, noch im Ker­zen­la­den am Dom gekauft. Die haben sich natür­lich gefreut, als ich 30 Stück genom­men habe. Die Din­ger sind schließ­lich schwei­ne­teu­er. Damals war es noch rich­tig schwer, so vie­le auf ein­mal zu kau­fen. Heu­te geht das alles übers Inter­net. Als ich mit Unhei­lig ange­fan­gen habe, war Inter­net noch nicht nor­mal. Ich habe 1999 noch dar­über nach­ge­dacht: Solls­te dir die­ses Inter­net anschaf­fen?

Augen auf beim Ker­zen­kauf?

Man soll­te die guten Ker­zen kau­fen. Die Ker­zen wer­den auf Tour oft an- und aus­ge­macht. Und bei schlech­ten Ker­zen wird der Docht dann immer kür­zer und du bekommst sie nicht mehr an. Das ken­nen wir vom Advents­kranz, wenn schon am zwei­ten Advent die Ker­ze vom ers­ten Advent nicht mehr bren­nen will. Da musst du dann das Schwei­zer Taschen­mes­ser raus­ho­len, um den Docht frei­zu­krat­zen.

„Kauft kei­ne schlech­ten Ker­zen!“ bei „RP Online“

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Musik Gesellschaft

Death Of A Clown

Heu­te pfei­fen wir mal auf all unse­re Prin­zi­pi­en und brin­gen eine Pres­se­mit­tei­lung im vol­len Ori­gi­nal-Wort­laut:

Pres­se­mit­tei­lung

Top Ten der Trau­er­hits: Unhei­lig Auf­stei­ger des Jah­res bei Beer­di­gun­gen

Ham­burg, 08. Sep­tem­ber 2011 – Seit über einem Jahr domi­niert die Band Unhei­lig die deut­schen Album Charts. Ihre Hit­sin­gle „Gebo­ren um zu leben“ ist laut einer Umfra­ge von Bestattungen.de schon das zweit­meist gespiel­te Lied bei Trau­er­fei­ern. Dies ist nur ein Bei­spiel für den all­ge­mei­nen Trend: Trau­er­mu­sik wird aktu­el­ler und indi­vi­du­el­ler. Bestattungen.de hat Bestat­ter und Ange­hö­ri­ge befragt und die dies­jäh­ri­gen Top Ten der „Trau­er­hits“ erstellt.

2011 belegt wie im Vor­jahr „Time To Say Good­bye“ von Sarah Bright­man den ers­ten Platz. „Pop-Bal­la­den domi­nie­ren wei­ter. Aber der Erfolg von Unhei­lig und die Top Ten Plat­zie­rung des Titels ‚High­way To Hell‘ von AC/​DC zei­gen, dass sich der gesell­schaft­li­che Trend zum Indi­vi­dua­lis­mus eben­falls bei der Aus­wahl von Trau­er­mu­sik abzeich­net“, erläu­tert Bestattungen.de-Geschäftsführer Fabi­an Schaaf.

Hin­ter Bright­man und Unhei­lig folgt der ver­stor­be­ne Hawai­ia­ner Isra­el Kama­ka­wi­wo’o­le mit „Some­whe­re Over The Rain­bow“ auf Platz drei. Auch Klas­sik und Schla­ger fin­det sich in der Bes­ten­lis­te, wie „Ave Maria“
von Franz Schu­bert (Platz vier) und „Über den Wol­ken“ von Rein­hard Mey (Platz acht). „Älte­re Titel sind wei­ter­hin stark ver­tre­ten. Jedoch zeigt sich, dass sich immer mehr Ange­hö­ri­ge für aktu­el­le Titel ent­schei­den“, erläu­tert Schaaf.

Wäh­rend Bestat­tun­gen frü­her gemäß den gesell­schaft­li­chen Nor­men sehr kon­ser­va­tiv waren, gibt es heu­te nicht mehr die „nor­ma­le“ Bestat­tung. Daher erwar­ten die Exper­ten von Bestattungen.de, dass sich der Trend
zu indi­vi­du­el­ler und aus­ge­fal­le­ner Musik wei­ter ver­stär­ken wird.

„Musik ist enorm wich­tig für die Trau­er­be­wäl­ti­gung. Bestat­ter müs­sen mit der Zeit gehen und den per­sön­li­chen Wil­len des Ver­stor­be­nen und der Ange­hö­ri­gen akzep­tie­ren. Ganz egal, wel­che Musik­rich­tung gewünscht wird“, for­dert Bestat­ter Burk­hard Huber. Musik von Unhei­lig und Lie­der wie „Always Look On The Bright Side Of Life“ von Eric Idle oder sogar „Bie­ne Maja“ von Karel Gott sind heu­te kein Tabu mehr, son­dern wer­den bei Trau­er­fei­ern immer häu­fi­ger gespielt.

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Musik

2010 – the year something broke

In Jah­res­end­zeit­stim­mung schaut man ja ger­ne zurück auf das enden­de Jahr, resü­miert und fer­tigt – wenn man der­lei Neu­ro­sen pflegt – obsku­re Lis­ten an. Auf eine Leser­wahl haben wir nach dem Muse-Deba­kel im Vor­jahr ein­fach mal ver­zich­tet und Unhei­lig per Akkla­ma­ti­on zu Ihrer Lieb­lings­band 2010 ernannt.

Doch die letz­ten Dezem­ber­ta­ge lie­ßen mich auch per­sön­lich nach­denk­lich zurück: Was hat­te ich eigent­lich gehört und gut gefun­den?

Mei­ne last.fm-Charts waren eini­ger­ma­ßen wert­los: Aus ver­schie­de­nen Grün­den tauch­ten Songs wie „Fire­f­lies“ (Owl City), „Baby“ (Jus­tin Bie­ber) oder „Catch Me I’m Fal­ling“ (Real Life, hät­ten Sie’s gewusst?) in mei­nen Jah­res-Top-25 auf, was ich in ers­ter Linie besorg­nis­er­re­gend fand. Außer­dem waren alle Songs des Albums von The Natio­nal dabei, was immer­hin schon mal einen deut­li­chen Hin­weis auf das Album des Jah­res gibt, denn so unfass­bar groß wie „High Vio­let“ war 2010 tat­säch­lich nichts mehr.

Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass ich das Bes­te wie üblich über­se­hen habe: Arca­de Fire, Get Cape. Wear Cape. Fly, Eels, Suf­jan Ste­vens – alles nicht oft genug gehört, weil mir der Sinn grad nach etwas Ande­rem stand. So habe ich ja auch „Only Revo­lu­ti­ons“ von Biffy Cly­ro erst im Okto­ber 2010 für mich ent­deckt, es ist also denk­bar, dass es auch im letz­ten Jahr wenigs­tens ein gutes Gitar­ren­rock-Album gab – wahr­schein­lich ist es aller­dings nicht, zu wenig ist in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Rock­seg­ment pas­siert. Die Manic Street Pre­a­chers etwa haben mit „Post­cards From A Young Man“ ein durch­aus sehr gutes Spät­werk raus­ge­bracht, aber geknallt hat das jetzt auch nicht rich­tig. Und falls es span­nen­de Neu­lin­ge gab, muss ich sie alle­samt über­se­hen haben: The Hold Ste­ady haben sou­ve­rän gerockt, Jason Lyt­le hat mit sei­ner Post-Grand­ad­dy-Band Admi­ral Rad­ley schön ver­schro­be­nen Indie­rock gemacht, The Gas­light Anthem waren okay, Ende des Jah­res kam mit „All Soul’s Day“ ein ordent­li­ches Lebens­zei­chen von The Ata­ris – aber, Ent­schul­di­gung: Wir spre­chen vom Jahr 2010! Völ­lig okay, dass Ben Folds mit lyri­scher Unter­stüt­zung von Nick Horn­by end­lich mal wie­der ein rich­tig gutes Album gemacht hat, aber der Mann ist jetzt auch schon seit 17 Jah­ren dabei.

Immer­hin haben nicht alle Bands so ent­täuscht wie Wir Sind Hel­den, Shout Out Louds, Ste­reo­pho­nics oder – rich­tig schlecht – Jim­my Eat World und Danko Jones. Weezer haben angeb­lich schon wie­der min­des­tens ein Album ver­öf­fent­licht. Die meis­ten mei­ner Lieb­lings­bands hat­ten sich eh eine Aus­zeit genom­men und ihre Sän­ger solo vor­ge­schickt: Alles über­rag­te dabei Jón­si von Sigur Rós, des­sen „Go“ zu den bes­ten Alben des Jah­res gehört. Jakob Dylan war schon zum zwei­ten Mal ohne Wall­flowers unter­wegs, hat die Band aber immer noch nicht auf­ge­löst. Dabei ist das düs­ter-fol­ki­ge „Women & Coun­try“ eigent­lich bes­ser als alles, was er vor­her gemacht hat. Fran Hea­ly (Tra­vis) und Bran­don Flowers (The Kil­lers) lie­ßen erst The­ra­pie­sit­zun­gen erwar­ten, klan­gen dann aber gar nicht mehr so anders als ihre Bands – eben gut, aber auch nicht mehr so rich­tig span­nend. Carl Barât gehört auch irgend­wie in die­se Auf­zäh­lung, obwohl er die Dir­ty Pret­ty Things ja längst auf­ge­löst hat und es die Liber­ti­nes wie­der gibt. Kele (Bloc Par­ty) und Paul Smith (Maxï­mo Park) hab ich ver­passt. Und die­ses Jahr ver­öf­fent­licht dann Thees Uhl­mann (Tom­te) sein Solo-Debüt …

In Sachen Hip-Hop ging auch nicht mehr so rich­tig viel: Kid Cudi blieb mit sei­nem Zweit­werk hin­ter den Erwar­tun­gen zurück, Kanye West hat ein irres Gesamt­kunst­werk raus­ge­bracht, das mit dem Album eines Ein­zel­in­ter­pre­ten wenig gemein hat und sich mir womög­lich erst in ein, zwei Jahr­hun­der­ten erschlie­ßen wird. Emi­nem war durch­aus kraft­voll wie­der da, krieg­te den meis­ten Air­play aber für ein Duett mit der lang­sam unver­meid­li­chen Rihan­na. Aus Groß­bri­tan­ni­en kam immer­hin Pro­fes­sor Green mit einem dre­ckig-bun­ten Grime-Strauß.

Im Pop gab es (neben Lady Gaga) vor allem zwei The­men: Das gro­ße Come­back von Take That als Quin­tett und Lena. Mit Hil­fe von Stuart Pri­ce (s.a. Scis­sor Sis­ters) nahm die eins­ti­ge Vor­zei­ge-Boy­group (Huch, aus wel­chem Par­al­lel­uni­ver­sum kam denn die­se Kli­schee-For­mu­lie­rung?) ein erstaun­lich elek­tro­ni­sches Album auf – „reif“ hat­te die Band seit ihrem Come­back 2006 ja die gan­ze Zeit geklun­gen. Die zu „Pro­gress“ gehö­ren­de Doku­men­ta­ti­on „Look Back, Don’t Sta­re“ zeigt die Fünf dann auch als wei­se älte­re Her­ren, die ihre Dämo­nen lang­sam aber sicher alle bekämpft haben und jedem Mann Mitte/​Ende Zwan­zig Mut machen, in zehn bis fünf­zehn Jah­ren so gut aus­zu­se­hen wie nie zuvor. Oder man zeugt wenigs­tens eine Toch­ter wie Lena Mey­er-Land­rut, die exakt fünf Tak­te brauch­te, bis sich erst alle Zuschau­er von „Unser Star für Oslo“ und dann 85% der deut­schen Bevöl­ke­rung in sie ver­lieb­ten. Natür­lich war der Tri­umph beim Euro­vi­si­on Song Con­test eine mit­tel­schwe­re Sen­sa­ti­on und auch für mich per­sön­lich ein Erleb­nis, aber das Album „My Cas­set­te Play­er“ war lei­der trotz­dem eine ziem­li­che Ent­täu­schung. Text­lich schwer rüh­rend, aber auch völ­lig see­len­los pro­du­ziert, ragt das von Ellie Goul­ding geschrie­be­ne „Not Fol­lo­wing“ her­vor, der Rest ist nett, aber belang­los.

Was kam sonst aus Deutsch­land? Toco­tro­nic, die mich etwas rat­los zurück­lie­ßen, Erd­mö­bel mit dem bes­ten deutsch­spra­chi­gen Album seit Jah­ren, Die Fan­tas­ti­schen Vier, die sich irgend­wo zwi­schen „Bild“-Interview (in Mor­gen­män­teln im Bett!) und Wer­be­deals voll­ends der Bedeu­tungs­lo­sig­keit hin­ga­ben, wäh­rend Fet­tes Brot ihr vor­läu­fi­ges Ende ver­kün­de­ten. Und dann halt so Leu­te, die man per­sön­lich kennt wie Tom­my Fin­ke, Enno Bun­ger oder die phan­ta­sischen Poly­a­na Fel­bel.

Auf vier bis acht groß­ar­ti­ge Alben folgt eine gan­ze Men­ge Mit­tel­maß und die Gewiss­heit, dass ich vie­les sicher noch über­hört habe. Dafür haben mich die Alben, die ich dann tat­säch­lich gehört habe, zu sehr auf­ge­hal­ten: The Natio­nal, Erd­mö­bel, Del­phic, Jón­si, Jakob Dylan und die Vor­jah­res­über­se­hun­gen Biffy Cly­ro und Mum­ford & Sons. Die Lis­te mei­ner Lieb­lings­songs wird irgend­wo hin­ter Platz 8 recht schnell belie­big, hat aber immer­hin einen rich­ti­gen Kra­cher auf der Eins: „Tokyo“ von The Wom­bats, mit denen ich ehr­lich gesagt am aller­we­nigs­ten gerech­net hät­te.

In den Charts domi­nier­ten erst die Fuß­ball­hym­nen (das vom Kom­merz zer­stör­te „Wavin‘ Flag“ von K’na­an und das nur ner­vi­ge „Waka Waka“ von Shaki­ra), ehe sich das Land zum Jah­res­en­de zwei wahn­sin­nig unwahr­schein­li­che Num­mer-Eins-Hits gönn­te: Eine 17 Jah­re alte Kreu­zung zwei­er Ever­greens auf der Uku­le­le, gesun­gen vom schwer­ge­wich­ti­gen und zwi­schen­zeit­lich ver­stor­be­nen Isra­el Kama­ka­wi­wo’o­le und ein aus dem Wer­be­fern­se­hen bekann­ter, ursprüng­lich nicht als Sin­gle ange­dach­ter Song von Empire Of The Sun, die andert­halb Jah­re zuvor erfolg­los ver­sucht hat­ten, mit einem sehr viel ein­gän­gi­ge­ren Song über das Wer­be­fern­se­hen erfolg­reich zu sein. In den Album­charts durf­te sowie­so jeder mal ran und wenn gera­de kein gro­ßer Name (Peter Maf­fay, AC/​DC, Iron Mai­den, Joe Cocker, Depe­che Mode, Bruce Springsteen) sein neu­es Album raus­ge­hau­en hat­te, schos­sen wie selbst­ver­ständ­lich Unhei­lig wie­der an die Spit­ze der Hit­pa­ra­de.

Na ja: Neu­es Jahr, neu­es Glück.

Songs & Alben 2010 – Die Lis­ten

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Musik Rundfunk

Leser fragen, Heinser antworten (1)

Lese­rin Katha­ri­na S. aus K. fragt: „Unhei­lig. Was ist das für Musik, wer hört das?“

Lukas Hein­ser ant­wor­tet: Vie­le Men­schen, die sich sonst nicht für Musik inter­es­sie­ren

Und: Elmar The­ve­ßen, Stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur und Ter­ro­ris­mus­exper­te des ZDF:

Was hat ihn am meis­ten beschäf­tigt, beein­druckt, betrof­fen gemacht?

„Zwi­schen all dem Leid in die­sem Jahr haben die Bil­der von der Ret­tung der Berg­leu­te in Chi­le so unend­lich gut getan. Dazu noch der Song ‚Gebo­ren, um zu leben‘. Genau dar­um geht es doch eigent­lich bei allem, auch wenn wir das manch­mal ver­ges­sen“, so The­ve­ßen.

[Quel­le: Pres­se­news­let­ter des ZDF.]

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2010 — Der Jahresrückblick (Teil 2)

In der zwei­ten Fol­ge unse­res Jah­res­rück­blicks spre­chen Herr Fin­ke, Herr Rede­lings und ich über Musik, Fuß­ball und Poli­tik, sowie über ande­re Kata­stro­phen:

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Musik Digital

Wer kann am längsten?

Das mit den Charts ist natür­lich sowie­so so eine Sache: Bis vor weni­gen Jah­ren wur­den die Hit­pa­ra­den der meist­ver­kauf­ten Ton­trä­ger noch mit Hil­fe der Kno­chen von im Mond­licht geschlach­te­ten Hüh­nern errech­net. Mitt­ler­wei­le lis­ten sie tat­säch­li­che Ver­käu­fe auf, aber was drückt das schon aus, solan­ge die abso­lu­ten Zah­len geheim gehal­ten wer­den und man in man­chen Wochen angeb­lich schon mit drei­stel­li­gen Absatz­zah­len in die Top 100 kommt?

Die­se Woche wur­de den­noch eine klei­ne Sen­sa­ti­on gefei­ert: Die Band Unheil…

Moment, bevor ich wei­ter­schrei­be: Ich habe kei­ne Ahnung, wer oder was Unhei­lig ist oder wie ihre Musik klingt. Die Sin­gle „Gebo­ren um zu Leben“, die angeb­lich über Wochen die Charts und die Radio­sta­tio­nen domi­niert hat und in die­ser Zeit meh­re­re Mil­li­ar­den Male gekauft wur­de, habe ich ein ein­zi­ges Mal ver­se­hent­lich im Musik­fern­se­hen gese­hen. Ich fand’s nicht gut, aber auch zu egal, um mich dar­über auf­zu­re­gen, solan­ge es noch Revol­ver­held gibt.

Unhei­lig jeden­falls ist eine klei­ne Sen­sa­ti­on gelun­gen: 15 Mal stand ihr Album „Gro­ße Frei­heit“ auf Platz 1 der deut­schen Charts – ein Mal öfter als Her­bert Grö­ne­mey­ers „Ö“ von 1988.

Wich­tig ist hier das Wört­chen „öfter“, denn wäh­rend Grö­ne­mey­er 14 Wochen am Stück die Chart­spit­ze blo­ckier­te, gin­gen Unhei­lig immer mal wie­der „auf Eins“. Die Behaup­tung „am längs­ten“ wäre also falsch.

Und damit kom­men wir zu einer Pres­se­mit­tei­lung, die Media Con­trol, das Unter­neh­men, das in Deutsch­land die Charts ermit­telt, am Diens­tag ver­schick­te:

Unglaub­li­cher Rekord für den Gra­fen und sei­ne Band Unhei­lig: Zum 15. Mal ste­hen sie mit „Gro­ße Frei­heit“ an der Spit­ze der media con­trol Album-Charts – und legen damit das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten hin.

Dabei schloss man sich der For­mu­lie­rung von Unhei­ligs Plat­ten­fir­ma Uni­ver­sal an, die am Vor­tag ver­kün­det hat­te:

Seit die­ser Woche ist Unhei­lig mit dem aktu­el­len Album „Gros­se Frei­heit“ mit ins­ge­samt 15 Wochen an der Spit­ze der deut­schen Album­charts das am längs­ten auf Num­mer 1 plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten!

Mit die­sen Vor­la­gen stan­den die Chan­cen auf eine feh­ler­freie Bericht­erstat­tung bei Null:

Die Plat­te „Gro­ße Frei­heit“ ist das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album in den deut­schen Charts.

(„Welt Online“)

Damit ist die Plat­te „das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album“.

(dpa)

Damit ist die Plat­te das am längs­ten auf Rang eins plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten.

(„RP Online“)

Zum 15. Mal ste­hen sie mit ihrer Plat­te „Gro­ße Frei­heit“ an der Spit­ze der Album-Charts und legen damit das am längs­ten auf Platz 1 plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten hin, wie Media Con­trol mit­teil­te.

(Bild.de)

Und weil die Anzahl der Chart­plat­zie­run­gen kei­ner­lei Schlüs­se auf die tat­säch­li­chen Absatz­zah­len zulässt, ist die For­mu­lie­rung von motor.de beson­ders falsch:

Damit ver­drängt Bernd Hein­rich Graf, wie der Musi­ker mit bür­ger­li­chen Namen heißt, sei­nen Kol­le­gen Her­bert Grö­ne­mey­er vom ewi­gen Thron der am meist­ver­kauf­ten deutsch­spra­chi­gen Pop-Alben aller Zei­ten.

Das Schö­ne ist: Es ist alles noch kom­pli­zier­ter. Media Con­trol ist näm­lich erst seit 1977 für die Erfas­sung der deut­schen Musik­charts zustän­dig, vor­her oblag die­se Auf­ga­be dem Maga­zin „Musik­markt“. Und das führ­te vom 31. Mai bis zum 3. Okto­ber 1974 – und damit geschla­ge­ne 18 Wochen – „Otto 2“ von Otto Waal­kes auf Platz 1. Somit wür­den Unhei­lig, die heu­te mal wie­der von der Spit­zen­po­si­ti­on gefal­len sind, noch vier Wochen feh­len zum Rekord.

Aber auch hier gibt es wie­der einen Haken: Der „Musik­markt“ hat die Charts damals noch Monats­wei­se ver­öf­fent­licht, man kann also nicht sagen, ob sich wäh­rend der 18 Wochen nicht viel­leicht mal das eine oder ande­re Album für eine Woche bes­ser ver­kauft hat als „Otto 2“.

Wie gesagt: Das mit den Charts ist so eine Sache. Aber was wären die Medi­en und die Plat­ten­fir­men ohne sie?

Mit Dank auch an Mar­co Sch.