Kennen Sie das? Man fährt gemütlich in seinem Dienstwagen an der Spree entlang, hört ein bisschen Radio, und ab und an kriegt man die Scheiben an den Ampeln geputzt. Manchmal sagt man “Nein”, dann machen die Damen und Herren das trotzdem, man gibt fünfzig Cent, kein Problem, schließlich ist man ja Gesundheitsministerin, und schwupps hat man die Zeit vergessen und sitzt irgendwo in Spanien und das Auto ist einem unter dem Allerwertesten weg geklaut worden. So schnell kann’s gehen. Erstmal zum zweiten Thema:
Dienstwagen im Sommerloch – das ist ganz und gar brandgefährlich. Die Gedankenverbindung von “Dienstwagen” zu “Affäre” ist eine der kürzesten überhaupt.
Das steht heute auf Zeit Online und auch im Online-Angebot des “Tagesspiegel”. Man kann jetzt versuchen, sich zu erinnern, wann man das letzte Mal diese kürzeste aller Gedankenbrücken schlagen musste. Und wenn das überraschenderweise noch nie der Fall gewesen sein sollte, setzt man alles daran, die Assoziationskette genuin und neu nachzuverfolgen, aber wenn ich das tue, komme ich von “Dienstwagen” immer nur bei “Benzin” vorbei zu “Tankstelle” und dann vielleicht noch zu “Scheiße, EC-Karte nicht dabei”, aber das ist ja schon eine relativ lange Verbindung. Und wie man von “Scheiße, EC-Karte nicht dabei” so flugs zu “Affäre” kommt, ist mir in dem Zusammenhang eher schleierhaft. Vermutlich ist es eher so, dass da einmal wieder jemand dachte, dass man durch möglichst uneigentlichen Schreibstil besonders leicht zu knüppelharten Aphorismen kommt. Das sei so sicher wie die Rente.
Persönlich, und das muss natürlich nichts heißen, bin ich der Meinung, dass es nicht unbedingt nötig war, so eine Panzerlimousine mit in den Urlaub zu nehmen, aber die paar Tausend Euro hätte man auch ohne Dienstwagen gut anderweitig loswerden können. Muss man sich also nicht drüber aufregen. Aber: Wer bin ich schon, um so eine Behauptung aufzustellen?
Aufregen kann man sich nämlich auch über weit geringere Dinge, womit wir beim eigentlich ersten Thema angelangt wären. Die “Süddeutsche Zeitung” druckt heute (wie an jedem Tag seit 1946) auf ihrer Titelseite die Glosse mit dem Namen “Streiflicht”. Die ist manchmal ziemlich witzig, oft ziemlich bemüht, witzig zu sein und in den gottlob seltensten Fällen irgendwie ein Griff ins Klo. Heute geht es um besagte Fensterputzer an Berliner Ampelkreuzungen:
Bis vor kurzem handelte es sich bei diesen Serviceleuten um Punks. Sie waren sehr freundlich, denn an jeder Kreuzung des Lebens, an der es links zur Anarchie geht und rechts zur Schrankwand aus Eiche, waren sie einfach geadeaus weitergetrottet […]. Lehnte also der gemeine Berliner ihre Offerte ab, etwa mit den Worten “Solange ick dir hierdurch erkennen kann, lässte deine Finger von”, trollten sich die artigen Punks. Was ihre dem Aussehen und Vernehmen nach aus Südosteuropa kommenden Nachfolger nicht tun. Sie wischen trotzdem. Dann halten sie die nasse Hand auf.
Dann wird sich da noch ein bisschen über ein paar Aufkleber ausgelassen und geendet wird mit der unspezifischen Aussage, dass nicht jeder gleich ein Schwein sei, der an der Ampel nein sagt. Zunächst war ich mir nicht so ganz sicher, was ich davon zu halten hatte. Ich kenne leider niemanden persönlich, der sich durch seine finanziellen Umstände irgendwie dazu gezwungen sieht, den halben Tag mit Schwimmfingern auf der Friedrichstraße herumzustehen, aber ich kann mir vorstellen, dass dieser jemand, läse er diese Kolumne, sich ein bisschen fühlen würde wie der, über den man in der achten Klasse gelästert hat, ohne zu bemerken, dass er hinter einem stand. Auf der Titelseite ist das Ding jedenfalls irgendwie frech, auf der Meinungsseite wäre es aufgrund der fehlenden Relevanz sowieso nicht aufgetaucht, und wenn man es in die Panorama-Ecke stellt, wüsste der Leser ja sowieso gleich, was Phase ist. Hätte man man besser abgebügelt.
Dennoch gibt es heute auch eine frohe Botschaft: Die “taz” hat begriffen, dass die Wahrheit manchmal einfach schöner und leichter verdaulich ist als die Wahrheit.