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Rundfunk

Mehr Sauerstoff!

Bevor ich morgens das Haus verlasse, schaue ich gerne ein wenig unverfängliches Fernsehprogramm. Heute Morgen blieb ich bei “Volle Kanne” im ZDF hängen, wo das Volksmusikantenduo Marianne & Michael zu Gast war. In dieser gänzlich unvolkstümlichen Atmosphäre waren mir die beiden – er der Typ oberkorrekter Hotelier, sie die leicht überdrehte Mutter daneben – auf Anhieb sympathisch.

Nach kurzem Geplänkel über die Verleihung der “Goldenen Hennen” ging Moderatorin Andrea Ballschuh gleich zum trostlosen Tagesgeschehen über und bald entspann sich ein Gespräch voller Überraschungen und Weisheit über Sauerstoff, Klappmesser und den Überwachungsstaat.

Ein Protokoll:

Ballschuh: “Eine Sache, über die heute jeder spricht, Sie haben’s sicher auch in den Nachrichten gehört: Die Polizei vereitelt ein Massaker an einer Kölner Schule. Und das ist ja nicht das erste gewesen: Am Donnerstag wurde aus Angst vor ‘nem Amoklauf ‘ne Schule in Mainz geschlossen, in Syke bei Bremen gab’s Drohungen an einer berufsbildenden Schule, wir denken alle auch noch an diesen schrecklichen Amoklauf in Finnland, wo ein achtzehnjähriger Schüler acht Menschen erschossen hat. Da greift man sich doch annen Kopf und fragt sich: Was ist hier mit dieser Jugend los, was passiert da? Ihr seid ja auch Eltern von zwei erwachsenen Söhnen …”
Michael: “Ja!”
Ballschuh: (seufzt)
Michael: “Man redet nicht mit denen.”
Ballschuh: “Ja, nee, das isses wohl?”
Michael: “Ich glaube, dass die sich unverstanden fühlen, dass vielleicht auch die andern in der Diskussion nicht die Ruhe haben um zuzuhören und das auseinander zu klabustern, was das tatsächlich ist, sondern man nimmt halt dann Alkohol.”
Marianne: “Oder sie wachsen in einer Welt auf, in Videodimensionen, sie sehen irgendetwas und haben dann noch dieses falsche Umfeld, falsche Freunde und … äh, ja, man, die Eltern, des ist einfach ‘ne schwierige Zeit, reden mit den Kindern net, verstehen sie auch nicht, ham gar kei’ Zeit womöglich und … öh …”
Michael: “Sie können sich auch nicht ausarbeiten.”
Marianne: “… da natürlich …”
Michael: “Also körperlich. Die Betätigung, die man körperlich normalerweise macht, …”
Marianne: “Sport fehlt jetzt auch!”
Michael: “In der Schule fehlt der Sport, in der Schule fehlt Gesang, Musik, was auch immer. ‘s ist ganz wichtig, weil das macht frei. Da kommt genügend Sauerstoff in die Zellen, das macht dann lockerer, leichter und vielleicht auch nicht so aggressiv.”
Ballschuh: “Wie seid Ihr mit Euern, ich mein Eure Söhne sind inzwischen erwachsen, ja …”
Marianne: “Es war auch ‘ne schwierige Zeit, eine ganz schwierige Zeit.”
Ballschuh: “Inwiefern?”
Marianne: “Ja, die war’n natürlich auch aufmüpfig gegen uns und … Na klar, und wir hatten auch unsere Sorgen und Nöte und waren froh, als sie wieder vernünftig wurden, dass sie diese Zeit einigermaßen unbeschadet überstanden haben. Äh, da kommt auch ‘n schlechter Einfluss von Freunden, da kannst Du dich gar net wehren, wenn die die wollen, wenn die mit diesen Leuten rumrennen, äh, und …”
Michael: “Ja und die Kinder sind ab Achtzehn volljährig, das heißt sie sind für alles selbst haftbar, das heißt sie können machen, was sie wollen. Obwohl sie …”
Ballschuh: “Aber Ihr seid zumindest noch durchs Reden an sie rangekommen?”
Michael: “Ja!”
Ballschuh: “Genau, darum geht’s: das Reden.”
Michael: “Das ist mir auch ganz, ganz wichtig!”
Marianne: “Ach, es ist ganz schwierig, also es ist ganz, ganz schwierig und ich kann mir auch vorstellen, die Situation jetzt in den Schulen, die werden ja alle überwacht, mir ham ja jetzt a’ schon Überwachungsstaat, …”
Michael: “Ja.”
Marianne: “… jetzt sind die Videokameras schon, Du musst ja schon Angst haben, was Du sagst!”
Michael: “Nein, nein, sondern man nimmt jetzt ja jeden Jugendlichen in irgendeiner Form ins Visier und sagt da, jeder ist a potentieller Geg… äh: Täter.”
Marianne: “Des ist a Katastrophe!”
Ballschuh: “Mmmm-hhhhh …”
Michael: “Des find ich auch a bissl, also total für mich übertrieben, also ich glaube, dass da scho’ was dran war, aber so, so, so Softpistolen oder sonst irgendwas, also da san die meisten Kinder und Jugendlichen, die dieses Ding dahoam ham, entweder kaufen’s die Eltern oder Oma und Opa, oder sie kaufen’s vom Taschengeld, also …”
Marianne: “Ich kann mi no’ erinnern, da ging’s um dieses komische Klappmesser.”
Michael: “Ja.”
Marianne: “Was ham wir mit unseren Buben damals in der Pubertät diskutiert, aber jeder wollte so ‘n deppertes Klappmesser haben, was da so raus …”
Michael: “Ja, alle hatten eins, also auch meine.”
Ballschuh: “Ja, heute hat man kein Klappmesser, heute hat man Pistolen, ja?”
Marianne: “Ja, furchtbar …”
Michael: “Ja ja, so ungefähr.”

Den ganzen Talk kann man sich auch noch einmal in der ZDF-Mediathek ansehen.

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Politik Gesellschaft

Uschis Spy Kids

Lange nichts mehr von der Bundesregierung gehört, was? Um daran zu erinnern, dass es immer noch eine gibt, hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen der überraschten Weltöffentlichkeit einen neuen Vorschlag unterbreitet: Kinder und Jugendliche sollten als “verdeckte Ermittler” in Geschäften ausprobieren, ob man ihnen Alkohol, Zigaretten oder “Gewaltvideos” verkaufen würde.

Das Ziel der Aktion ist klar und durchaus begrüßenswert: Es geht um die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes. Auch wenn ich persönlich nichts gegen Alkohol und Spielfilme habe (“Killerspiele” stehen sicher auch auf der Liste), so gibt es für all das doch bestimmte Altersgrenzen. Und auch wenn diese oft beliebig erscheinen (“Mama, warum darf ich heute noch kein Bier trinken, morgen aber schon?” – “Weil der Alkohol ab dem 16. Jahrestag Deiner Geburt weniger schädlich ist, mein Kind!”), ist ihre Einhaltung schon eine okaye Sache. Meinetwegen sollen mich die Kassiererinnen auch mit 24 noch nach meinem Ausweis fragen, wenn ich Bier kaufen will – nur wenn die bärtigen 15-Jährigen nach mir ohne Probleme ihre Spirituosen kaufen können, werde ich etwas ungehalten.

Von der Leyens Vorschlag aber ist aus mehreren Gründen schwierig: Erstens würden die Kinder die Händler direkt zu einer Straftat anstiften, da sie ohne echte Kaufabsicht an die Kasse gehen. Klar, die Händler dürfen nicht an an zu junge Personen verkaufen, wenn sie es doch tun sind sie im Prinzip “selbst schuld”. Aber ich sehe zumindest einen moralischen Unterschied zwischen einem Gesetzesverstoß und einem provozierten Gesetzesverstoß. Das ist ja, als ob einen Zivilpolizisten nachts auf einer entlegenen Straße verfolgen, bedrängen und einen anschließend wegen Geschwindigkeitsüberschreitung anhalten.

Viel schwerer wiegt aber, dass der Vorschlag bestens ins Gesamtbild der Bundesregierung passt, im Land ein Klima der Angst zu schüren. Überall wird man von Videokameras überwacht, der Bundesinnenminister will wissen, wann man wie lange mit wem telefoniert hat, und bald soll man nicht mal mehr Kindern trauen können? Die Vollendung des Überwachungsstaates stünde kurz bevor.

Und was, wenn Kinder erstmal erfolgreich Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz aufdecken? Was, wenn dann der nächste Politiker vorschlägt, man könnte Kinder doch auch als “Lockvögel” im Kampf gegen Kinderpornographie einsetzen? Das diente doch auch der “guten Sache” …

Noch was:

Wer einem Minderjährigen in Zukunft Schnaps, Zigaretten oder ein Gewaltvideo verkauft, muss danach mit Geldbußen bis zu 50.000 Euro rechnen.

(Quelle: sueddeutsche.de)

Nun ist es generell möglich, dass die Formulierung “in Zukunft” irgendwie von den Agenturen in die Meldung reingedichtet worden ist und nicht aus dem Familienministerium selbst stammt. Wir wollen es hoffen, denn im Jugendschutzgesetz (Abschnitt 6: Ahndung von Verstößen, § 28 Bußgeldvorschriften) steht schon seit längerem:

(5) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.

Nachtrag 21:59 Uhr: Jens weist in den Kommentaren darauf hin, dass der Vorschlag schon wieder vom Tisch ist. Jetzt “regieren” die schon schneller als ich bloggen kann …