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Born To Sing Along

Über das All-Songs-Con­side­red-Blog bin ich auf die­sen Ein­trag im Musik­blog I Am Fuel You Are Fri­ends auf­merk­sam gewor­den, der sehr pas­send mit „If you’ve ever won­de­red what pure, unfet­te­red joy looks like….“ beti­telt ist.

Man sieht dar­in ein Live­vi­deo von The Gas­light Anthem, die gemein­sam mit Bruce Springsteen ihren Song „The ’59 Sound“ beim Glas­ton­bu­ry Fes­ti­val spie­len:


the 59 sound – bruce springsteen & gas­light anthem( glas­to )
von runa­way­d­ream

Da dach­te ich noch „Na ja, könn­te man noch mal blog­gen, so nach einem Monat. Aber muss man auch nicht …“, aber dann fiel mir ein, wie vie­le Vide­os ich schon im Inter­net gese­hen hat­te, in denen Bruce Springsteen ander­erleuts Songs ver­edelt. Und dann dach­te ich, die kann man doch mal schön zusam­men­tra­gen:

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Listenpanik 02/​09

Der Febru­ar ist ein blö­der Monat: Ver­dammt kurz, aber vol­ler span­nen­der Ver­öf­fent­li­chun­gen. Alles habe ich nicht geschafft zu hören, eini­ge waren erschre­ckend öde, aber irgend­wie sind mir dann doch noch genug Alben und Songs ein­ge­fal­len, die man sich für die Jah­res­end­lis­te vor­mer­ken soll­te.

Bevor im März mit Star­sail­or und Ben Lee das ganz gro­ße Fan-Fass auf­ge­macht wird, hier erst­mal der Febru­ar:

Alben
Lily Allen – It’s Not Me, It’s You
Sel­ten habe ich mich im Bekann­ten­kreis für etwas so sehr recht­fer­ti­gen müs­sen wie für mei­ne Lily-Allen-Ver­eh­rung. Aber im Gegen­satz zu die­sen gan­zen Café- und Fami­li­en­kom­bi­beschal­le­rin­nen (Duffy, Amy Wine­house, Amy Mac­Do­nald, Ade­le, Gabrie­la Cil­mi, …) hat Lily Allen Eier (das hört sich im Bezug auf Frau­en immer komisch an, weil Frau­en natür­lich gene­rell Eier haben – ganz anders als Män­ner). Ihre Songs sind klug und wit­zig, gehen ins Ohr und in die Füße und ihr zwei­tes Album setzt das phan­tas­ti­sche Debüt kon­se­quent fort. So und nicht anders soll­ten jun­ge Frau­en mit 23 klin­gen.

Bei­rut – March Of The Zapo­tec /​ Real­peo­p­le: Hol­land
Und damit zum nächs­ten Musi­ker, der jün­ger als ich ist: Zach Con­don hat mit sei­ner Band Bei­rut bereits zwei Alben ver­öf­fent­licht, jetzt kommt eine Dop­pel-EP, bestehend aus sechs Songs, die er mit einer 19-köp­fi­gen Band in Mexi­ko auf­ge­nom­men hat, und fün­fen, die er schon vor län­ge­rer Zeit mit sei­nem Elek­tro­nik-Pro­jekt Real­peo­p­le auf­ge­nom­men hat. Der ers­te Teil ist Welt­mu­sik für Leu­te, die sonst kei­ne Welt­mu­sik mögen, der zwei­te Elek­tro­nik für Leu­te, die sonst kei­ne Elek­tro­nik hören. Trotz die­ser zwei doch recht unter­schied­li­chen Ansät­ze wird das Album (die Dop­pel-EP) von Con­dons Stim­me und sei­nen Ideen wun­der­bar zusam­men­ge­hal­ten.

U2 – No Line On The Hori­zon
U2 zäh­len zu jenen Bands, die ich durch­aus schät­ze, die mir aber nie in den Sinn kämen, wenn es um die Nen­nung mei­ner Lieb­lings­bands geht. „No Line On The Hori­zon“ wird jetzt als ihr bes­tes Album seit lan­gem gefei­ert und erst­mals seit lan­ger Zeit höre ich ein Album, von dem bei mir so gar nichts hän­gen blei­ben will. Nach etli­chen Durch­gän­gen könn­te ich gera­de andert­halb Refrains benen­nen, ansons­ten geht das Album ein­fach so durch mei­nen Kopf durch. Selt­sa­mer­wei­se weiß ich trotz­dem, dass ich das Album gut fin­de.

Mor­ris­sey – Years Of Refu­sal
Ja, klar: The Smit­hs waren schon sehr, sehr groß und Mor­ris­sey ist eine coo­le Sau. Trotz­dem haben mich die Alben des Man­nes, den Musik­jour­na­lis­ten stets wis­send mit merk­wür­di­gen Attri­bu­ten beden­ken, nie so wirk­lich inter­es­siert. Die Sin­gles: ja („First Of The Gang To Die“ als abso­lu­ter Über­hit), aber sonst? „Years Of Refu­sal“ ist da anders: Das Album rockt und bockt und zickt und alle schrei­en laut „Ach Gott, ach Gott, das kann er doch nicht machen. Und jetzt hört man auch noch die Ver­zer­rer und das schep­pern­de Schlag­zeug …“. Und ich fin­de es zum ers­ten Mal rich­tig inter­es­sant.

The Whitest Boy Ali­ve – Rules
In einem wachen Moment mei­ner by:Larm-Berichterstattung hat­te ich Erlend Øye als „eine Art Thees Uhl­mann Nor­we­gens“ beschrie­ben, was sich aller­dings pri­mär auf die Mas­kott­chen- und Paten­haf­tig­keit der Bei­den für die jewei­li­gen Musik­sze­nen bezog. (Wit­zi­ger­wei­se ist Øye ja unge­fähr so sel­ten in Nor­we­gen wie Uhl­mann in Ham­burg, weil bei­de in Ber­lin woh­nen, der Stadt, in der man halt wohnt.) Außer­dem sind Bei­de – zumin­dest in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung – jeweils ihre Band. Kaum jeman­den inter­es­siert, wer sonst noch bei The Whitest Boy Ali­ve bzw. bei Tom­te spielt – aber damit ist end­lich Schluss mit den Gemein­sam­kei­ten, denn The Whitest Boy Ali­ve sind per­ma­nent so fun­ky wie Tom­te in ihren fun­kigs­ten Momen­ten. „Rules“ ist von vor­ne bis hin­ten eine Auf­for­de­rung zum Tanz, eine Plat­te, die man erst mit den Füßen hört und dann mit den Ohren (eine ana­to­misch etwas abwe­gi­ge Idee), ein­fach schö­ner, klang­vol­ler Pop.

Songs
Lily Allen – Who’d Have Known
Die Idee, ein­fach den Refrain eines Hits vom Take-That-Come­back-Album zu neh­men („Shi­ne“) und dar­aus einen kom­plett neu­en Song zu ent­wi­ckeln, ist so uncool und absurd, dass man sie ein­fach lie­ben muss. Ansons­ten ist „Who’d Have Known“ auch noch ein so rüh­rend unschul­di­ges Lie­bes­lied, in dem sich Roman­tik und all­täg­li­ches Rum­lun­gern auf sehr sym­pa­thi­sche Wei­se tref­fen. Bezie­hung durch Gewohn­heits­recht, qua­si.

Klee – Ich lass ein Licht an für Dich
Und gleich noch so eine rüh­rend unschul­di­ge Num­mer: „Ber­ge ver­set­zen“, das aktu­el­le, mit­un­ter an Goldf­rapp erin­nernd Klee-Album, war ein biss­chen an mir vor­bei­ge­gan­gen, bis mir der Shuff­le Mode die­sen Song in die Ohren und direkt ins Herz jag­te. Die­ses Lied ist der bes­te Beweis, wie man auch in deut­scher Spra­che völ­lig unpein­lich ganz gro­ße Gefüh­le behan­deln kann. (Ich muss da immer an „Halt Dich an Dei­ner Lie­be fest“ den­ken.)

Kili­ans – Said And Done
Lus­tig: Wenn man es direkt nach „Ich lass ein Licht an für Dich“ hört, klingt es fast wie die Fort­set­zung des Songs. Irgend­je­mand muss ja auch mal „Never Thought I’d Say That It’s Alright“ und „When Did Your Heart Go Miss­ing“ beer­ben, was gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­den Air­play angeht. War­um also nicht die Kili­ans, die mit ein paar Strei­chern im Rücken das Feld beackern, das seit dem Ende von Rea­dy­ma­de und Miles brach liegt? Und kei­ne Angst vor dem Pop: Das Album rockt dann wie­der mehr.

Man­do Diao – Go Out Tonight
Wirk­lich span­nend ist auch deren neu­es Album nicht gewor­den (wenn auch nicht ganz so öde wie das von Franz Fer­di­nand), aber kurz vor Schluss kommt dann wenigs­tens so eine Man­do-Diao-typi­sche Schun­kel­num­mer mit Motown-Rhyth­mus, Melan­cho­lie und ordent­lich Feu­er in den Stim­men.

[Lis­ten­pa­nik, die Serie]

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Melodien für Melonen

In der aktu­el­len Musik­welt gibt es kaum ein wei­che­res Ziel als Cold­play. Okay: Kea­ne, Brit­ney Spears und Razor­light viel­leicht, aber bei denen (zumin­dest den bei­den letzt­ge­nann­ten) ist das ja auch berech­tigt. Die einen jam­mern, die Band sei ja „frü­her mal“ gut gewe­sen, die ande­ren regen sich dar­über auf, dass die Leu­te, die die Band „frü­her mal“ gut gefun­den hät­ten, die­se jetzt wie­der gut fän­den, wo das neue Album doch ganz klar schei­ße sei. Ihnen allen ist gemein, dass sie Cold­play vor­wer­fen, zu den zwei­ten U2 gewor­den zu sein – als wäre das schon das Schlimms­te, was einer Band pas­sie­ren kann, und nicht etwa die zwei­ten Sta­tus Quo, die zwei­ten Oce­an Colour Sce­ne oder die zwei­ten Razor­light zu sein. ((Chuck Klos­ter­man hat mal über die frü­hen Cold­play geschrie­ben, sie klän­gen wie ein mit­tel­mä­ßi­ge Kopie von Tra­vis, die wie­der­um wie eine mit­tel­mä­ßi­ge Kopie von Radio­head klän­gen. Wir sind nicht immer einer Mei­nung.))

Cold­play haben bis heu­te kein schlech­tes Album auf­ge­nom­men, dar­an ändert sich auch mit „Viva La Vida“ nichts. Zwar konn­ten sie nie mehr die durch­gän­gig hohe Qua­li­tät ihres Debüts errei­chen, dafür sind auf allen fol­gen­den Alben ein­zel­ne Songs drauf, die bes­ser sind als jeder des Debüts. ((Das hört sich nur kom­pli­ziert und wider­sprüch­lich an: Stel­len Sie sich das Debüt als durch­gän­gig 90% gut vor, wäh­rend Songs wie „The Sci­en­tist“, „In My Place“, „Fix You“ oder „Talk“ Wer­te von 93% bis 98% errei­chen, die durch 60%-Nummern wie „Speed Of Sound“ oder „God Put A Smi­le Upon Your Face“ wie­der aus­ge­gli­chen wer­den.)) Dass ihre Kon­zer­te von Fri­seu­sen und Medi­zin­stu­den­tin­nen besucht wer­den, kann man der Band auch nicht anlas­ten: als Oasis-Fan weiß man dar­über hin­aus um die mit­un­ter erschüt­tern­de Erkennt­nis, dass sehr merk­wür­di­ge Men­schen die glei­chen Bands ver­eh­ren kön­nen wie man selbst.

Zuge­ge­ben: Cold­play machen es einem nicht leicht. Nicht nur, dass sie seit Jah­ren die Welt ret­ten wol­len (s. U2), ihr neu­es Album heißt fast wie ein Ricky-Mar­tin-Song ((In Wahr­heit stammt der Titel von einem Gemäl­de von Fri­da Kahlo, das auch die humor­vol­le Über­schrift die­ses Blog-Ein­trags erklärt.)) und hat dar­über hin­aus ein völ­lig durch­ge­nu­del­tes Cover­bild: das 180 Jah­re alte „La Liber­té gui­dant le peu­ple“ von Eugè­ne Delacroix. Um Frank­reich geht’s in dem Album aber weni­ger, um Revo­lu­ti­on schon sehr viel mehr und letzt­lich auch um Roman­tik.

Aber reden wir über das ein­zi­ge, was zählt: die Musik. Mit dem instru­men­ta­len Ope­ner „Life In Tech­ni­co­lor“ haben Cold­play bei mir schon einen Bro­cken im Brett: es plu­rrt, zirpt und schep­pert, als hät­ten Angels & Air­wa­ves und Arca­de Fire einen gemein­sa­men Track von Jim­my Tam­bo­rel­lo remi­xen las­sen. Das muss an Bri­an Eno lie­gen, der das Album mit­pro­du­ziert hat. Für das gan­ze Album muss man Refe­ren­zen von Arca­de Fire über Death Cab For Cutie bis Pink Floyd, von Stars über Radio­head bis … äh: Tim­ba­land her­an­zie­hen, nach U2 klin­gen immer nur die hal­li­gen Gitar­ren. Nach Cold­play klingt dafür jeder Song, was wohl an der prä­gnan­ten Stim­me von Chris Mar­tin lie­gen dürf­te.

Melo­dien waren bei Cold­play schon immer nur in Aus­nah­me­fäl­len cat­chy ((Zum Bei­spiel, wenn sie von Kraft­werk über­nom­men waren.)), „Trou­ble“ kann man auch nach acht Jah­ren noch nicht aus dem Stand sin­gen. Inso­fern braucht das Album Zeit und mög­li­cher­wei­se auch grö­ße­re Gewit­ter oder Voll­mond­näch­te zur Unter­ma­lung. Die Song­struk­tu­ren sind kom­ple­xer gewor­den, mit­un­ter wer­den zwei Lie­der in einem Track ver­eint, was auch nur im Fall „Lovers In Japan/​Reign Of Love“ auf der offi­zi­el­len Track­list ver­merkt wird. „42“ besteht aus min­des­tens drei ver­schie­de­nen Tei­len und wirkt ein biss­chen, als hät­ten sich a‑ha „Para­no­id Android“ von Radio­head vor­ge­nom­men. ((Über­haupt a‑ha: So eini­ges auf „Viva La Vida“ erin­nert an die chro­nisch unter­schätz­te nor­we­gi­sche Band, zu deren Kon­zer­ten Fri­seu­sen und allen­falls ehe­ma­li­ge Medi­zin­stu­den­tin­nen gehen. Hören Sie sich deren letz­tes Album „Ana­lo­gue“ an – was Sie sowie­so tun soll­ten – und Sie wer­den ver­ste­hen, was ich mei­ne.))

Bei den ers­ten Hör­durch­gän­gen von „Viva La Vida“ hat­te ich das Gefühl, der Band gehe in der Mit­te die Luft aus: der Span­nungs­bo­gen fällt ab, das Gefühl, alles schon ein­mal gehört zu haben, nimmt zu. Aber dann grät­schen bei „Yes“ plötz­lich bal­ka­ni­sche Strei­cher ins Lied, ganz so, als habe man noch Chan­cen auf eine erfolg­rei­che Grand-Prix-Teil­nah­me wah­ren wol­len.

Spä­tes­tens beim Titel­track hat mich die Band dann aber wie­der: Four-To-The-Flo­or-Beats fin­de ich außer­halb ihres natür­li­chen Lebens­raums Kir­mes­tech­no fast immer gut und Stak­ka­to-Strei­cher, Glo­cken und Pau­ken haben auf mich genau die Aus­wir­kun­gen, die ihnen Edmund Bur­ke in sei­ner Ästhe­tik des Erha­be­nen zuschreibt. Für die Par­al­le­len, die die ame­ri­ka­ni­sche Band Cre­aky Boards zwi­schen „Viva La Vida“ und einem ihrer Songs erkannt haben will, bin ich hin­ge­gen taub. An „Vio­let Hill“, die Vor­ab­sin­gle, hat man sich inzwi­schen so gewöhnt, dass es nicht wei­ter stört, „Straw­ber­ry Hill“ lässt kurz vor Schluss schon mal die Füße sanft ent­schlum­mern, ehe „Death And All His Fri­ends“ und das ange­häng­te „The Esca­pist“ den Rest des Kör­pers ins Reich der Träu­me über­füh­ren.

„Viva La Vida“ ist ein gutes, wenn auch kein genia­les, Album und nach dem ufer­lo­sen Vor­gän­ger „X&Y“ mit 45 Minu­ten auch wie­der schön kom­pakt gera­ten. Ich kann mir vor­stel­len, dass man Cold­play wegen die­ses Albums has­sen kann ((Über die mit­un­ter recht gewag­ten Tex­te haben wir ja noch gar nicht gespro­chen.)), aber mir gefällt es zufäl­li­ger­wei­se. Und wenn Fri­seu­sen und Medi­zin­stu­den­tin­nen der­art anspruchs­vol­len Pop hören statt die neu­es­te DSDS-Grüt­ze, ist das doch auch schon mal was.

Coldplay - Viva La Vida (Albumcover)
Cold­play – Viva La Vida

VÖ: 13.06.2008
Label: Par­lo­pho­ne
Ver­trieb: EMI

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Musik

Lieder für die Ewigkeit: U2 – Beautiful Day

See the bird (with no leaf in her mouth)

Es gibt unge­fähr gleich vie­le Grün­de, U2 zu lie­ben, wie sie zu has­sen. Man muss das Pathos mögen, das sie fast unent­wegt ver­brei­ten, sonst hat man kei­ne Chan­ce. Man muss damit klar kom­men, dass Sän­ger Bono sich mit­un­ter auf­führt wie der unehe­li­che Sohn von Mut­ter The­re­sa und Al Gore, aber immer­hin schö­ner sin­gen kann. Aber man muss nur mal das lang­ge­zo­ge­ne Intro von „Whe­re The Streets Have No Name“ hören, um das Prin­zip Sta­di­on­rock zu ver­ste­hen.

U2 hat­ten in mei­ner musi­ka­li­schen Früh­erzie­hung nur eine Neben­rol­le gespielt, im Plat­ten­schrank mei­ner Eltern fin­det sich bis heu­te kein ein­zi­ges Album der Iren. 1998 wünsch­te ich mir das „Best Of 1980–1990“ zu Weih­nach­ten und hör­te die nächs­ten Wochen und Mona­te „I Still Haven’t Found What I’m Loo­king For“, „Sun­day Bloo­dy Sun­day“ und „With Or Wit­hout You“. U2 waren die ers­te Rock­band in mei­nem Regal.

Im Herbst 2000 erschien dann „All That You Can’t Lea­ve Behind“, der von den Fans heiß erwar­te­te „Pop“-Nachfolger. Da mir die Expe­ri­men­te der Neun­zi­ger Jah­re qua­si kom­plett unbe­kannt waren, war der Über­gang vom Acht­zi­ger-Best-Of flie­ßend. Es war die Zeit, wo man CDs am Don­ners­tag nach Erschei­nen kauf­te (weil der ört­li­che Elek­tronik­händ­ler dann sei­ne Ange­bo­te raus­brach­te) und erst­mal fünf- bis zwan­zig­mal hin­ter­ein­an­der hör­te.

Auf „All That You Can’t Lea­ve Behind“ ist mit „Stuck In A Moment You Can’t Get Out Of“ der viel­leicht bes­te Song der gan­zen Band­ge­schich­te ent­hal­ten, aber nach­hal­ti­ger hat mich das eupho­ri­sche „Beau­tiful Day“ beein­druckt. Der Rhyth­mus, den Lar­ry Mullen dort klopft, war damals noch neu – heu­te kommt er in jedem zwei­ten Song von Cold­play, Snow Pat­rol oder Jim­my Eat World vor. Das Gitar­ren­spiel von The Edge hat mich damals tage­lang in mei­nem Zim­mer fest­ge­hal­ten, wo ich ver­such­te, die­se neben­säch­li­che Ele­ganz auf der Kon­zert­gi­tar­re mei­ner Schwes­ter nach­zu­emp­fin­den. Der Text grub sich durch das unzäh­li­ge Noch­mal-Hören tief in mei­ne Gehirn­win­dun­gen ein, obwohl ich bis heu­te nicht genau weiß, was er eigent­lich aus­sa­gen soll. Und dann war da noch die­ses Video von Meis­ter­re­gis­seur Jonas Åker­lund:

Wann immer ich danach in einem Flug­zeug saß und mir kurz vor dem Start doch ein wenig mul­mig wur­de, summ­te ich die­sen Song vor mich hin und stell­te mir vor, wir wür­den jetzt direkt über die auf der Start­bahn rocken­de Band flie­gen.

Ich wür­de mich bis heu­te nicht als U2-Fan bezeich­nen. Ich kau­fe mir die Alben, ich mag fast alles, was die Band macht, aber es fehlt trotz­dem noch etwas bis zu der kul­ti­schen Ver­eh­rung, die ich bei­spiels­wei­se R.E.M. oder Tra­vis ent­ge­gen­brin­ge. Trotz­dem: Als „Beau­tiful Day“ auf mei­ner Fahrt nach Ber­lin im ICE-Bord­ra­dio lief, wur­de ich plötz­lich so ent­spannt und gut gelaunt, dass mir das gan­ze Thea­ter drum­her­um egal wur­de. Da wuss­te ich: das Lied ist ein Fall für die­se Rubrik.

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IV For Pop Culture

Chuck Klosterman IV (Cover der gebundenen Ausgabe)Manch­mal nei­ge ich zu sehr wohl­wol­len­den Zukunfts­pro­gno­sen. An die­sem Ein­trag war des­halb nahe­zu alles falsch: Das bestell­te Buch kam nicht (wie wir inzwi­schen wis­sen) am dar­auf­fol­gen­den Mon­tag an, son­dern konn­te erst nach einer Woche aus sei­ner Gefan­gen­schaft befreit wer­den. Auch brauch­te ich für die Lek­tü­re nicht die ver­an­schlag­te eine Woche, son­dern derer drei.

Jetzt aber: „Chuck Klos­ter­man IV: A Deca­de of Curious Peo­p­le and Dan­ge­rous Ide­as“ ist (wie der Titel schon nahe­legt) das vier­te Buch von Chuck Klos­ter­man. Chuck Klos­ter­man ist ein ame­ri­ka­ni­scher Musik‑, Film- und Pop­kul­tur­jour­na­list, der lan­ge Jah­re für das „Spin Maga­zi­ne“, aber auch für „Esqui­re“, das „New York Times Maga­zi­ne“ und diver­se ande­re Druckerzeug­nis­se gear­bei­tet hat. Ich kam mit sei­ner Arbeit erst­mals bewusst in Kon­takt, als der deut­sche „Rol­ling Stone“ im ver­gan­ge­nen Jahr das Kapi­tel über Kurt Cobain aus dem damals frisch auf deutsch erschie­ne­nen Klos­ter­man-Buch „Eine zu 85% wah­re Geschich­te abdruck­te. Das Buch heißt im Ori­gi­nal „Kil­ling Yours­elf To Live“ („85% Of A True Sto­ry“ ist der Unter­ti­tel, sooo abwe­gig ist deut­sche Vari­an­te dann doch nicht) und Klos­ter­man reist dar­in durch die hal­ben USA und klap­pert dabei Orte ab, an denen Rock­stars zu Tode gekom­men sind.

Als ich ein paar Mona­te spä­ter bei Bor­ders in San Fran­cis­co stand und mich nicht ent­schei­den konn­te, mit wel­chem Buch ich als nächs­tes mei­ne Kre­dit­kar­te belas­ten soll­te, fiel mir „Kil­ling Yours­elf To Live“ in die Hän­de. Ich kauf­te es, las es in einer Woche durch1 und wur­de Fan. In den nächs­ten Wochen kauf­te ich mir nach­ein­an­der „Sex, Drugs and Cocoa Puffs“, eine Arti­kel- und Essay­samm­lung über Pop­kul­tur im wei­te­ren Sin­ne, und „Far­go Rock City“, ein Buch über Hea­vy Metal, Hard­rock und Land­le­ben, das sehr spät mei­ne Begeis­te­rung für die Musik von Guns N‘ Roses weck­te.

„Chuck Klos­ter­man IV“ war im letz­ten Herbst schon als Hard­co­ver erschie­nen, aber ich woll­te es zwecks bes­se­rer Optik im Bücher­re­gal ger­ne eben­falls als Taschen­buch haben.2 Dafür hab ich jetzt auch ein paar zusätz­li­che Essays und Fuß­no­ten mit drin, die bei der Erst­ver­öf­fent­li­chung teil­wei­se noch gar nicht geschrie­ben waren. Essays und Fuß­no­ten gibt es in dem Buch eine gan­ze Men­ge, denn es ver­eint – wie der Unter­ti­tel schon andeu­tet – Tex­te aus zehn Jah­ren und ist in drei Tei­le geglie­dert: „Things that are true“, „Things that might be true“ und „Some­thing that isn’t true at all“.

„Things that are true“ sind Por­träts über Musi­ker wie Brit­ney Spears, U2, Radio­head, Wil­co oder Bil­ly Joel, aber auch Repor­ta­gen über The-Smit­hs-Fan­tref­fen vol­ler Lati­nos, Goths in Dis­ney­land und eine ein­wö­chi­ge Chi­cken-McNug­gets-Diät (acht Jah­re vor „Super Size Me“). Klos­ter­man hat ihnen klei­ne Ein­füh­run­gen vor­an­ge­stellt, die mit­un­ter min­des­tens so unter­halt­sam und erhel­lend sind wie die Arti­kel selbst. Er bemüht sich, sei­ne The­men und Por­trä­tier­ten ernst zu neh­men (sogar Brit­ney Spears) und beschreibt Sze­nen, Gesprä­che und Ereig­nis­se mit einem unglaub­li­chen Gespür für Spra­che und Komik. Dabei kommt es ihm sehr zu Gute, dass angel­säch­si­scher Jour­na­lis­mus (im Gegen­satz zum deut­schen) dem Ver­fas­ser eine eige­ne Posi­ti­on und sogar ein Ich zuge­steht. Statt umständ­li­cher Kon­struk­tio­nen kann er somit ganz per­sön­li­che Ein­drü­cke brin­gen, die viel aus­sa­ge­kräf­ti­ger sind als es die Vor­täu­schung von Objek­ti­vi­tät je wäre. Fast nie erhebt er sich über den Gegen­stand, nur Euro­pä­er und Soc­cer sind The­men, bei denen er schnell emo­tio­nal wird.

„Things that might be true“ ver­eint zahl­rei­che „Esquire“-Kolumnen zu eher abs­trak­ten Gedan­ken. Er jon­gliert mit kul­tur­theo­re­ti­schen, zwi­schen­mensch­li­chen und gesell­schaft­li­chen The­men, was ihm meis­tens sehr gut gelingt, wor­in er sich mit­un­ter aber auch ein wenig ver­hed­dert. Die­se Tex­te regen aber, mehr als die aus Teil Eins, zum Nach­den­ken an und ich bin mir sicher, dass sie an ame­ri­ka­ni­schen Unis bereits Gegen­stand eini­ger Semi­na­re und Haus­ar­bei­ten sind. Ihnen vor­an­ge­stellt ist je eine (mit­un­ter höchst hypo­the­ti­sche Fra­ge), die den Leser schon mal an den Rand des Wahn­sinns brin­gen kann. Bei­spiel gefäl­lig?

Q: Think of someone who is your fri­end (do not sel­ect your best fri­end, but make sure the per­son is someone you would clas­si­fy as „con­sider­a­b­ly more than an acquain­tance“).
 This fri­end is going to be atta­cked by a grizz­ly bear.
 Now, this per­son will sur­vi­ve this bear attack; that is gua­ran­teed. The­re is a 100 per­cent chan­ce that your fri­end will live. Howe­ver, the ext­ent of his inju­ries is unknown; he might recei­ve not­hing but a few super­fi­ci­al scrat­ches, but he also might lose a lim (or mul­ti­ple lim­bs). He might reco­ver com­ple­te­ly in twen­ty-four hours with not­hing but a gre­at sto­ry, or he might spend the rest of his life in a wheel­chair.
 Somehow, you have the abili­ty to stop this attack from hap­pe­ning. You can magi­cal­ly save your fri­end from the bear. But his (or her) sal­va­ti­on will come at a pecu­li­ar pri­ce: if you choo­se to stop the bear, it will always rain. For the est of your life, whe­re­ver you go, it will be rai­ning. Some­ti­mes it will pour and some­ti­mes it will drizz­le – but it will never not be rai­ning. But it won’t rain over the tota­li­ty of the earth, nor will the hydro­lo­gi­cal cycle be dis­rupt­ed; the­se storm clouds will be iso­la­ted, and they will focus enti­re­ly on your spe­ci­fic whe­re­a­bouts. You will never see the sun again.
 Do you stop the bear and accept a life­time of rain?

Also bit­te, wie bril­lant ist denn sowas?

„Things that are­n’t true at all“ ent­hält eine etwa drei­ßig­sei­ti­ge Kurz­ge­schich­te über einen jun­gen Film­kri­ti­ker, dem eini­ge ziem­lich abge­fah­re­ne3 Sachen pas­sie­ren. Die Geschich­te ist gut geschrie­ben, mit der Klos­ter­man-übli­chen Lie­be zu aus­ge­fal­le­nen Details und sie ist nur etwa drei­ßig Sei­ten lang. Viel mehr posi­ti­ves lässt sich dar­über nicht sagen, sie ist halt „ganz nett“, aber ihr Feh­len hät­te für das Buch kei­nen gro­ßen Makel bedeu­tet.

Wenn Sie sich jetzt seit unge­fähr dem zwei­ten Absatz fra­gen, ob Chuck Klos­ter­man „sowas wie der ame­ri­ka­ni­sche Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re“ sei: Schwer zu sagen. Bei­de beherr­schen ihr Hand­werk sicher­lich sehr gut, aber es gibt schon deut­li­che Unter­schie­de, die ganz pro­fan bei der Spra­che anfan­gen (ich lie­be die­ses For­mel­haf­te der eng­li­schen Spra­che, ihre idio­ma­ti­schen Wen­dun­gen und die zahl­rei­chen Mög­lich­kei­ten, sich vom Beschrie­be­nen zu distan­zie­ren) und bei der Ein­stel­lung der Autoren gegen­über ihren Inhal­ten auf­hö­ren.

„Chuck Klos­ter­man IV“ ist für alle, die sich für Pop­kul­tur im wei­te­ren Sin­ne (und für ame­ri­ka­ni­sche Mas­sen­kul­tur) inter­es­sie­ren, die ger­ne gut geschrie­be­ne Por­träts und Repor­ta­gen lesen und sich für etwas absei­ti­ge Gedan­ken­gän­ge erwär­men kön­nen. Und für kurio­se Leu­te.

1 Es ist bedeu­tend dün­ner als das neue Buch (257 zu 416 Sei­ten).
2 Iro­nie der Geschich­te: Die Bücher ste­hen gar nicht bei mir im Regal. Das ist näm­lich voll. Sie lie­gen jetzt auf einer Rei­he ste­hen­der Bücher und wer­den noch dazu von einer Borus­sia-Mön­chen­glad­bach-Flag­ge ver­deckt.
3 Dem­nächst an die­ser Stel­le: Die zehn schöns­ten Acht­zi­ger-Jah­re-Adjek­ti­ve.

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It’s gonna be an easy ride

Jacqui Naylor (photo by Thomas Heinser)Es gibt Alben, die sind so Gen­re-spren­gend, dass sie haar­scharf an jeder Ziel­grup­pe vor­bei­schram­men. „The Color Five“ von Jac­qui Nay­lor könn­te so ein Fall sein: Eigent­lich ist die Kali­for­nie­rin Jazz­sän­ge­rin, aber ihre Alben und Kon­zer­te öff­nen auch die Schub­la­den „Folk“ und „Pop“ so weit, dass die Kom­mo­de, auf der groß „Musik­gen­res“ steht, und die Musik­jour­na­lis­ten­me­ta­phern um die Wet­te aus­ein­an­der­fal­len.

Gemein­sam mit ihrer (sehr guten, aber dazu kom­men wir noch) Band hat Jac­qui Nay­lor etwas erfun­den, was sie „acou­stic smas­hes“ nennt: Singt Nay­lor den Text eines Pop­songs („Hot Legs“ von Rod Ste­wart“, „I Still Haven’t Found What I’m Loo­king For“ von U2, „Lola“ von den Kinks), spielt die Band dazu einen Jazz­stan­dard („Can­ta­lou­pe Island“ von Her­bie Han­cock, „All Blues“ von Miles Davis, „Side­win­der“ von Lee Mor­gan); singt Nay­lor einen … nun ja: etwas abge­grif­fe­nen Klas­si­ker wie das unver­meid­li­che „Sum­mer­ti­me“ von Geor­ge und Ira Gershwin, bemerkt man das viel­leicht gar nicht auf Anhieb, weil die Band lie­ber „Whip­ping Post“ von den All­man Brot­hers spielt. Hört sich kom­pli­ziert, merk­wür­dig oder schlicht unvor­stell­bar an? Hier kann man in alle Songs rein­hö­ren und sich davon über­zeu­gen, dass es ziem­lich gut klingt.

Ein Drit­tel der fünf­zehn Songs sind die­se „acou­stic smas­hes“, ein Drit­tel „nor­ma­le“ Cover­ver­sio­nen und ein Drit­tel Ori­gi­nals, also Songs, die Nay­lor und ihr Musi­cal Direc­tor Art Khu selbst geschrie­ben haben. Das nicht gänz­lich unre­nom­mier­te Maga­zin „Jazz Times“ ver­glich das Song­wri­ting der bei­den mit dem der nicht gänz­lich unbe­deu­ten­den Joni Mit­chell und Paul Simon, und ich möch­te wenigs­tens noch Sara McLach­lan, Tori Amos und Neil Finn name­drop­pen. „Easy Ride From Here“ z.B. ist ein der­art run­der Pop­song, dass ich ihn bit­te in den nächs­ten Jah­ren in min­des­tens fünf ver­schie­de­nen roman­ti­schen Komö­di­en oder ame­ri­ka­ni­schen Hoch­glanz­se­ri­en hören möch­te.

Ich weiß nicht, ob ich je von Jac­qui Nay­lor erfah­ren hät­te, wenn ich sie nicht per­sön­lich ken­nen­ge­lernt hät­te; ob ich auch so von ihrer Musik begeis­tert wäre, wenn ich sie nicht live gese­hen hät­te. Ihre Stim­me bewegt sich zwi­schen but­ter­weich und ange­nehm krat­zig und ihre Band … Ach, die­se Band: Jazz­mu­si­kern zuzu­se­hen, ist für Men­schen wie mich, die stolz sind, drei Akkor­de feh­ler­frei grei­fen zu kön­nen, immer in glei­chem Maße beein­dru­ckend wie ernüch­ternd. Die­se Band ist beson­ders tight (ist „tight“ über­haupt eine Voka­bel, die zum Beschrei­ben von Jazz­bands geeig­net ist?): Art Khu könn­te man ver­mut­lich ein Alp­horn in die Hand drü­cken und nach fünf Minu­ten wür­de er dem Instru­ment lieb­lichs­te Töne ent­lo­cken, Drum­mer Josh Jones spielt nicht nur die ver­track­tes­ten Beats und Rhyth­men­wech­sel, er gri­mas­siert dabei auch noch, als müs­se er wäh­rend des Kon­zerts noch einer Grup­pe durch­ge­knall­ter Comic­zeich­ner Modell sit­zen.

Es gibt Alben, die sind so Gen­re-spren­gend, dass sie jede Ziel­grup­pe begeis­tern. „The Color Five“ von Jac­qui Nay­lor könn­te so ein Fall sein.