Kategorien
Musik

Songs 1/​25

Die­ses klei­ne Pop­kul­tur-Blog wird in zehn Tagen voll­jäh­rig (wait for it!) und weil wir so ein krea­ti­ver Laden sind und weil wir fin­den, dass es in die­sen Zei­ten drin­gend not­wen­dig ist, schö­ne Din­ge her­vor­zu­he­ben, haben wir uns ein neu­es For­mat aus­ge­dacht: 5 Songs, die Ihr im Janu­ar gehört haben soll­tet!

Natür­lich gibt es auch wei­ter­hin unser belieb­tes CTV-Mix­tape mit den 5 Songs aus dem Video und vie­len wei­te­ren. Die­ses Mal u.a. dabei: Neue Songs von Thurs­day, Hea­ther Nova und Tra­vis, ein Radio­head-Cover von Blos­soms und Klas­sik vom süd­afri­ka­ni­schen Cel­lis­ten Abel Sel­a­coe. Phi­li­ne Son­ny ist natür­lich genau­so ver­tre­ten wie das Grand Hotel van Cleef — dies­mal mit Amos The Kid.

Kategorien
Musik

Lukas‘ Lieblingslieder

Heu­te möch­te Lukas ein­fach mal die Schön­heit der Pop­kul­tur fei­ern. Des­halb spielt er nur Lieb­lings­lie­der. Wel­che genau, das wuss­te er wäh­rend der Auf­zeich­nung auch noch nicht.

Alle Songs:

  • Alex The Astro­naut – I Think You’re Gre­at
  • R.E.M. – Find The River
  • Car­ly Rae Jep­sen – Call Me May­be
  • Tra­vis – Drift­wood
  • Rae Mor­ris – Do It
  • The Pos­tal Ser­vice – Such Gre­at Heights
  • Gor­di – All The Light We Can­not See
  • The Kil­lers – Mr. Brights­ide

Show­no­tes:

Kategorien
Musik Leben

25 Jahre „The Man Who“

Die­ser Ein­trag ist Teil 7 von bis­her 10 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschie­nen jede Men­ge Alben, die für unse­re Autor*innen prä­gend waren. Zu ihrem 25. Jubi­lä­um wol­len wir sie der Rei­he nach vor­stel­len.

Travis - The Man Who (abfotografiert von Lukas Heinser)

Ein aller­letz­tes Mal habe ich die Sin­gle zuerst gehört. Denn das war ja frü­her so: Man kann­te einen Song aus dem Radio (oder Musik­fern­se­hen, um nicht ganz so alt zu erschei­nen) und wenn man dann beschlos­sen hat­te, ver­gleichs­wei­se viel Geld in die CD zu inves­tie­ren, fing das Album meist mit einem Song an, den man (noch) gar nicht kann­te. Man woll­te ja aber end­lich den ver­kaufs­för­dern­den Hit hören, des­sent­we­gen man den Weg zum Plat­ten­la­den auf sich genom­men hat­te. Mit dem Fahr­rad. An einem Sams­tag­vor­mit­tag im Janu­ar. In Dins­la­ken.

Ich weiß noch, wie ich auf der Couch im Wohn­zim­mer mei­ner Eltern lag (dem Drei­sit­zer an der Innen­wand, nicht dem Zwei­sit­zer an der Außen­wand, in case you’­re won­de­ring) und Track 7 aus­ge­wählt hat­te: „Why Does It Always Rain On Me?“, die­se über­le­bens­gro­ße Char­lie-Brown-Ver­lie­rer­hym­ne, die natür­lich direkt zu einem 16-jäh­ri­gen sprach, der sich irgend­wie nie so ganz dazu­ge­hö­rig fühl­te. Und danach dann das Album von vor­ne.

Tra­vis waren einen Monat zuvor – sor­ry, wenn ich mich da wie­der­ho­le – Teil der „Rol­ling Stone Road­show“ gewe­sen und mit Ben Folds Five und Gay Dad durch Deutsch­land getourt. (Ich weiß qua­si nichts über Gay Dad. Ich habe, seit wir im Jahr 2005 die CD-Schrän­ke bei CT das radio auf­ge­räumt haben, sogar ihr 1999er Album „Lei­su­re Noi­se“ im Regal ste­hen, aber in all den Jah­ren nie gehört. Wenn man über­legt, wel­che Bedeu­tung Ben Folds Five und Tra­vis in der Fol­ge in mei­nem Leben ein­neh­men soll­ten, ist es eigent­lich wahl­wei­se ein Wun­der oder eine Schan­de, dass Gay Dad als fünf­tes Rad am Wagen der­art an den Rand gedrängt wur­den. Ich ver­spre­che Euch jetzt ein­fach mal, dass ich zum 25. Jah­res­tag des ver­häng­nis­vol­len, nicht besuch­ten Kon­zerts in der Live Music Hall am 29. Novem­ber zum ers­ten Mal bewusst Gay Dad hören und hier dar­über schrei­ben wer­de!) „Why Does It Always Rain On Me?“ kann­te ich von Viva 2, obwohl ich das damals gar nicht gucken konn­te, und ich moch­te die Mischung aus unver­kenn­ba­rer Lebens­en­er­gie (der Rhyth­mus!) und Trau­rig­keit (alles ande­re).

Stell­te sich raus: Mit sei­nem hüpf­ba­ren Rhyth­mus war der Song noch der kla­re upper auf dem Album. Alle ande­ren Songs schlepp­ten sich eher dahin, kro­chen oder tau­mel­ten. Selbst der ein­zi­ge objek­ti­ve Rock­song auf „The Man Who“, der hid­den track „Blue Flas­hing Light“, dreht sich schwind­lig auf der Stel­le und han­delt davon, dass jemand allein zuhau­se sitzt, wäh­rend alle ande­ren fei­ern gehen. Wer weiß, wie ich das Album gefun­den hät­te, wenn ich es bei Ver­öf­fent­li­chung im Mai 1999 gehört hät­te – in den grau­en ers­ten Wochen des Jah­res 2000 pass­te es jeden­falls per­fekt zum Wet­ter und dem Mill­en­ni­umska­ter, der sich über die Welt gelegt hat­te: Die Zukunft hat­te ganz ein­deu­tig und aus­weis­lich des Kalen­ders begon­nen, aber alles war immer noch wie zuvor. Das Theo­dor-Heuss-Gym­na­si­um in Dins­la­ken war kein Ort, an dem Opti­mis­mus und Zuver­sicht (oder auch nur irgend­et­was ande­res als gene­rel­ler Welt­schmerz) gedei­hen und auf­blü­hen konn­ten.

Ich hat­te gera­de im Janu­ar (genau­er: am 7., als ich mir bei einem Aus­flug nach Essen den Sound­track zu „Abso­lu­te Gigan­ten“ gekauft hat­te) begon­nen, abends zum Ein­schla­fen Musik auf mei­nem Disc­man zu hören. Nicht etwa gan­ze Alben, son­dern drei Songs, sau­ber kura­tiert. „The Man Who“ bot sehr vie­le die­ser Songs. Noch heu­te kommt eine gan­ze Wel­le sehr spe­zi­fi­scher Emo­tio­nen hoch, wenn das Intro von „Drift­wood“, die ers­ten Tak­te von „Turn“ oder das Gitar­ren­so­lo aus „As You Are“ erklin­gen. Es ist wie­der Anfang 2000 und ich war vor ein paar Tagen mit mei­nem Papa und mei­nen Freun­den in die Groß­stadt (Duis­burg) gefah­ren, um im dor­ti­gen Art­house-Kino „Ghost Dog“ von Jim Jar­musch oder „The Mil­li­on Dol­lar Hotel“ von Wim Wen­ders zu sehen – Fil­me, die im Kern schon irgend­wie lebens­be­ja­hend sind, aber in ers­ter Linie schwel­ge­risch, melan­cho­lisch, lang­sam und rät­sel­haft. (Und falls sich jemand gefragt hat: Natür­lich habe ich an mei­nem 17. Geburts­tag um kurz nach Mit­ter­nacht „Why Does It Always Rain On Me?“ gehört, des­sen titel­ge­ben­de Fra­ge ja wei­ter­geht: „Is it becau­se I lied when I was seven­teen?“)

„Ever­y­day I wake up alo­ne becau­se /​ I’m not like all the other boys“, singt Fran Hea­ly zu Beginn von „As You Are“ und die­se Zei­le soll­te mir in den kom­men­den Jah­ren so etwas wie Man­tra und Trost wer­den, ste­ter Beglei­ter beim Melo­dra­ma­tisch-unglück­lich-ver­liebt-Sein, Die Lei­den des jun­gen Hein­sers. (Alter Vat­ter, was bin ich froh, dass die­se Zei­ten vor­bei sind! Kin­der, wenn Ihr glaubt, dass Euer Leben nur mit einem ande­ren Men­schen an Eurer Sei­te „gut“ und „rich­tig“ wer­den kann: Sucht Euch Hil­fe! Ihr wer­det geliebt, Ihr seid lie­bens­wert, aber die Exis­tenz oder Nicht­exis­tenz einer Zwei­er­be­zie­hung ist in die­sem Kon­text eben genau: zweit­ran­gig.)

Viel­leicht wäre ich auch ohne „The Man Who“ auf die Idee gekom­men, Musik zu machen, Schlag­zeug in einer Band zu spie­len, mir selbst Gitar­re bei­zu­brin­gen und eige­ne Songs zu schrei­ben. Die hät­ten aber zumin­dest sehr anders geklun­gen, denn Tra­vis waren, was trau­rig-antriebs­lo­se Songs in G‑Dur betrifft, ein gro­ßer Ein­fluss. Weil ich wuss­te, dass die Band­mit­glie­der Joni Mit­chell so sehr lie­ben, habe ich mit 18 ange­fan­gen, Joni Mit­chell zu hören. Ich hat­te sogar so einen faux hawk wie Fran Hea­ly (oder wahl­wei­se David Beck­ham)! Chris Mar­tin hat mal gesagt, dass es ohne Tra­vis kein Cold­play gege­ben hät­te, aber den vier Schot­ten jetzt die Schuld an der wei­te­ren Ent­wick­lung sei­ner Kapel­le zu geben, wäre auch üble Nach­re­de.

Im Juni 2001 erschien der Nach­fol­ger „The Invi­si­ble Band“, der heu­te eigent­lich einen noch grö­ße­ren Stel­len­wert bei mir hat. Als wir erst­mal schnel­les Inter­net hat­ten, habe ich alle, wirk­lich alle B‑Seiten, die Tra­vis jemals auf ihren Sin­gles ver­öf­fent­licht hat­ten, zusam­men­ge­sam­melt und sicher­lich öfter gehört als gro­ße Tei­le ihres Spät­werks. („Die B‑Seiten bri­ti­scher Gitar­ren­bands zwi­schen 1994 und 2002 sind bes­ser als alles, was nach 2005 von der Insel kam“ ist ein immer noch nicht geschrie­be­ner, aber in regel­mä­ßi­gen Abstän­den nam­haf­ten deut­schen Publi­ka­tio­nen ange­bo­te­ner Text von mir.) Ich habe Tra­vis zwi­schen Som­mer 2001 und Dezem­ber 2016 sie­ben Mal live gese­hen (ein­mal sogar tat­säch­lich am glei­chen Abend wie Ben Folds) und ein paar Mal kurz gespro­chen; im Sep­tem­ber könn­te ein ach­tes Mal hin­zu­kom­men. Ihre letz­ten Alben haben mich gar nicht mehr inter­es­siert, aber wenn einem eine Band mal so wich­tig war, ver­sucht man es ja doch immer wie­der.

Und irgend­ei­ne beson­de­re Bezie­hung muss es immer noch geben: Ich hät­te die­sen Text hier eigent­lich ges­tern schon schrei­ben wol­len, aber nicht die Zeit gefun­den. Da hät­te aber auch die Son­ne geschie­nen. Heu­te passt hin­ge­gen alles: Der VfL Bochum ist so gut wie abge­stie­gen und es reg­net. Weil ich mit 17 gelo­gen habe.

Tra­vis – The Man Who
(Inde­pen­di­en­te; 24. Mai 1999)
Apple Music
Spo­ti­fy
Ama­zon Music

Kategorien
Musik

Neue Musik von Travis, The Decemberists, Maro, Ider

Lukas blickt kurz zurück auf den 69. Euro­vi­si­on Song Con­test, wo schon wie­der ein Song gewon­nen hat, den wir in unse­rer ESC-Vor­schau nicht gespielt hat­ten: „The Code“ von Nemo aus der Schweiz.

Dann gibt es neue Songs von Maro, The Decem­be­rists, Amil­li, Ider — und den ers­ten inter­es­san­ten Tra­vis-Song seit lan­ger Zeit.

Alle Songs:

  • Nemo – The Code
  • Maro feat. Nesaya – Life­line
  • Blush Always feat. Brock­hoff – Big­ger Pic­tu­re
  • The Decem­be­rists feat. James Mer­cer – Buri­al Ground
  • Amil­li – Four Days
  • Ider – Girl
  • Tra­vis – Raze The Bar
  • Car­pool – Can We Just Get High?

Show­no­tes:

Kategorien
Musik

Podcast: Episode 5

Bochum, das musi­ka­li­sche Zen­trum der Bun­des­re­pu­blik: Jana von Janou erzählt uns, was es mit dem neu­en Song „Boy Is Bro­ken“ auf sich hat, dann hören wir Phi­li­ne Son­ny, unse­re Bot­schaf­te­rin beim SXSW. Außer­dem hat Lukas neue Musik von Meet Me @ The Altar, King Prin­cess und Kendrick Scott mit­ge­bracht, wir schwel­gen in Erin­ne­run­gen und tan­zen zum Oscar-prä­mier­ten „Naa­tu Naa­tu“.

Alle Songs:

  • Janou – Boy Is Bro­ken
  • Phi­li­ne Son­ny – Same Light
  • Meet Me @ The Altar – Thx 4 Not­hin’
  • Death Cab For Cutie – I Miss Stran­gers (Acou­stic)
  • Tra­vis – Flowers In The Win­dow (Live)
  • Kaa­la Bhai­ra­va, M. M. Keer­ava­ni, Rahul Sip­li­gunj – Naa­tu Naa­tu
  • Kendrick Scott – One Door Clo­ses, Ano­ther Opens
  • King Prin­cess – The Bend

Show notes:

Kategorien
Musik

Songs des Jahres 2013

Das neue Jahr ist auch schon wie­der zehn Tage alt, da wird es Zeit, die Alt­las­ten von 2013 abzu­tra­gen. In die­sem Fall: Mei­ne Songs des Jah­res. Die Aus­wahl ist wie immer völ­lig sub­jek­tiv, die Rei­hen­fol­ge im Moment ihrer Erstel­lung schon ver­al­tet und ver­mut­lich hab ich eh wie­der das Wich­tigs­te ver­passt.

25. Bos­se – Schöns­te Zeit
Ja, ja: Das ist schon sen­ti­men­ta­ler Quatsch, Kurt Cobain hul­di­gen zu wol­len mit so einem ver­gleichs­wei­se bana­len Pop­song, der im Text viel zu expli­zit durch dekli­niert, was er aus­drü­cken will. Aber was für ein Pop­song das dann eben doch ist! Und die­ses per­len­de Kla­vier, das die Instru­men­tal­stel­len zu einem der im Gebrauchs­fern­se­hen meist gespiel­ten Wer­ke des Jah­res gemacht hat! Doch, ich blei­be dabei: Ich mag die­sen Song!

24. Junip – Line Of Fire
Ich weiß defi­ni­tiv zu wenig über José Gon­zá­lez und sei­ne Band Junip, die zwar seit Jah­ren immer wie­der am äuße­ren Sicht­feld mei­nes Radars auf­tau­chen, aber es – außer mit Gon­zá­lez‘ Ver­si­on von „Heart­beats“ von The Kni­fe – nie wirk­lich in mei­ne Play­lis­ten geschafft haben. Aber die­sem hyp­no­ti­schen Song und vor allem dem dazu­ge­hö­ri­gen Video konn­te ich mich nicht ent­zie­hen. Wenn ich mehr Zeit mit dem Lied und dem dazu­ge­hö­ri­gen Album ver­bracht hät­te, wären bei­de ver­mut­lich deut­lich wei­ter oben in mei­ner Lis­te.

23. Elvis Cos­tel­lo & The Roots – Walk Us Upt­own
Die Idee, einen der viel­sei­tigs­ten Musi­ker der letz­ten Jahr­zehn­te mit einer der bes­ten Hip-Hop-Bands kol­la­bo­rie­ren zu las­sen, hat­te ein biss­chen was vom Clash der Kul­tu­ren. Schon beim Ope­ner stellt sich aber raus: Die Kom­bi­na­ti­on ist gar nicht so exo­tisch, son­dern eigent­lich erstaun­lich nahe­lie­gend. Wenn man nicht um die Hin­ter­grün­de wüss­te, wäre es ein­fach ein extrem coo­ler, tigh­ter Song.

22. Pet Shop Boys – Love Is A Bour­geois Con­s­truct
Bei Künst­lern, die schon seit Jahr­zehn­ten dabei sind, hat es immer eine gewis­se Wider­sprüch­lich­keit, wenn man ihnen nach­sagt, ein neu­er Song hät­te schon vor Jah­ren ver­öf­fent­licht wer­den kön­nen. Klar: „Love Is A Bour­geois Con­s­truct“ hät­te wun­der­bar auf „Very“ gepasst, die poli­ti­schen Anspie­lun­gen und See­manns­chö­re inklu­si­ve. Aber immer wie­der bricht das Arran­ge­ment auf und es kom­men Sounds zum Vor­schein, die man so zumin­dest bei den Pet Shop Boys noch nie gehört hat.

21. Bas­til­le – Pom­peii
Hur­ra, noch eine Indie­band mit Gitar­ren und Syn­the­si­zern! Geh mir weg! Dann aber: Die­se gran­dio­sen „Eh-oh“-Chöre (nicht zu ver­wech­seln mit „Alles nur geklaut“ von den Prin­zen) und vor allem die­ses Getrom­mel! Luft­gi­tar­re macht bei die­sem Lied kei­nen Sinn, Luft­ge­trom­mel bei aus­rei­chen­dem Sicher­heits­ab­stand durch­aus. Und man freut sich ja inzwi­schen schon über jeden Slot, der im Radio von etwas ande­rem als Robin Thi­c­ke oder den (Un)Toten Hosen besetzt wird!

20. Andrew McMa­hon – After The Fire
Ich bin da kein Stück objek­tiv: Andrew McMa­hon (Ex-Some­thing Cor­po­ra­te und Ex-Jack’s Man­ne­quin) ist für mich ein per­sön­li­cher Held. Mit sei­nen Tex­ten spricht er mir seit zehn Jah­ren aus der See­le und wahr­schein­lich hat es auch etwas damit zu tun, dass wir fast gleich alt sind. Jeden­falls: Sei­ne Solo-Debüt-EP „The Pop Under­ground“ ist mit ziem­li­cher Sicher­heit kei­ne musi­ka­li­sche Offen­ba­rung, aber sie ent­hält vier wun­der­ba­re Pop­songs (hier auch wie­der das Motiv: Chö­re und Trom­meln!) und „After The Fire“ ist mit sei­nem groo­ven­den Refrain der bes­te davon und muss des­halb die Top 20 eröff­nen.

19. Cold War Kids – Mira­cle Mile
Da zeich­net sich ein Mus­ter ab: Schon wie­der Chö­re und Trom­meln! Und natür­lich ein häm­mern­des Kla­vier. Mit ordent­lich Schwung star­ten die Cold War Kids in ihr Album „Dear Miss Lonely­he­arts“. Da schep­pern ganz viel Eupho­rie und Lebens­freu­de mit und dann fasst der Song die gan­zen Lebens­rat­ge­ber und Feuil­le­ton­tex­te der letz­ten Jah­re ganz sim­pel zusam­men: „Get out­side, get all over the world /​ You learn to love what you get in return /​ It may be a pro­blem and it may be peace of mind /​ But you have to slow down and brea­the one breath at a time /​ So ya come up for air“. Hal­lo!

18. Lily Allen – Hard Out Here
Lily Allen, die mir liebs­te Pop-Prin­zes­sin der letz­ten Jah­re, ist zurück. Das allein wäre schon ein Grund zu fei­ern, aber dann haut sie auch noch ein femi­nis­ti­sches Mani­fest aus, das dar­über hin­aus auch noch so ein char­mant schun­keln­der Pop­song ist. Natür­lich kön­nen wir über das Video dis­ku­tie­ren und über die Fra­ge, ob man Feu­er (oder in die­sem Fall eher: die Gül­le, die „Blur­red Lines“ von Robin Thi­c­ke nun mal ist und auf die Allens Video anspielt) mit Feu­er (Gül­le) bekämp­fen muss. Aber die Dis­kus­si­on ver­schafft dem The­ma „Sexis­mus im Pop“ noch mal mehr Auf­merk­sam­keit und tut dem Song kei­nen Abbruch.

17. Blau­d­zun – Ele­phants
Um ehr­lich zu sein, weiß ich qua­si gar nichts über die­sen nie­der­län­di­schen Sän­ger. Ich muss­te sogar sei­ne Natio­na­li­tät gera­de noch mal nach­schla­gen und habe auch sein Album „Hea­vy Flowers“ nur ein­mal gehört. Aber „Ele­phants“ hat mich von Anfang an begeis­tert, seit ich den Song zum ers­ten Mal bei „All Songs Con­side­red“ gehört habe. Auch hier wie­der: viel zeit­ge­nös­si­sches Getrom­mel, was nahe­legt, dass man „Ele­phants“ noch mal in der Wer­bung irgend­ei­nes Unter­hal­tungs­elek­tronik­her­stel­lers hören wird. Falls nicht: ein­fach auf „Repeat“ drü­cken.

16. Josh Rit­ter – Joy To You Baby
Josh Rit­ter hat mit „The Beast In Its Tracks“ das auf­ge­nom­men, was Musik­jour­na­lis­ten und emp­find­sa­me Hörer ein „Tren­nungs­al­bum“ nen­nen. Ganz vie­le Songs an die Adres­se der alten Flam­me, inkl. der Ver­si­che­rung, dass die neue Lie­be nur „in einem bestimm­ten Licht“ so aus­se­he wie die alte. Das alles kul­mi­niert in „Joy To You Baby“, das im Spek­trum „Wut/​Gelassenheit“ den gegen­über­lie­gen­den Platz von Ben Folds Fives „Song For The Dum­ped“ besetzt und damit das ver­söhn­lichs­te Abschieds­lied seit … äh … seit „Die Guten“ von muff pot­ter. ist. So unge­fähr.

15. Tra­vis – Whe­re You Stand
Liegt das an mei­ner neu­en Ste­reo­an­la­ge, oder wur­den 2013 die Bäs­se und Schlag­zeu­ge deut­lich wei­ter nach vor­ne gemischt als vor­her? Im Prin­zip auch egal, denn spre­chen wir über die­ses Lied, den Titel­track von Tra­vis‘ sieb­tem Album. Da ist wirk­lich alles drin, was man von Tra­vis erwar­tet, vor allem aber: viel Melan­cho­lie und Trost. Ein eher unspek­ta­ku­lä­rer Song, ver­gli­chen mit vie­len Hits der Band, aber das passt zu Tra­vis, die es sich in der Nische zwi­schen den über­gro­ßen Bands Radio­head (von denen Tra­vis beein­flusst wur­den) und Cold­play (die von Tra­vis beein­flusst wur­den) bequem gemacht haben.

14. Moby feat. Way­ne Coy­ne – The Per­fect Life
Wer ein­mal auf einem Kon­zert der Fla­ming Lips war, weiß, wie man auch als erwach­se­ner Mensch noch Eupho­rie bis in Kin­der­ge­burts­tags­sphä­ren hoch­schrau­ben kann. Also eine gute Wahl, dass sich Moby für die­se Endor­phin-Über­do­sis Fla­ming-Lips-Sän­ger Way­ne Coy­ne dazu hol­te, mit dem er dann im Video durchs son­nen­durch­flu­te­te LA mar­schiert. Und was für ein schö­nes Lie­bes­lied sie dabei sin­gen! Hach!

13. Mara­thon­mann – Die Stadt gehört den Bes­ten
Seit dem Ende von muff pot­ter. und Schrott­gren­ze und der Revol­ver­held-Wer­dung von Jupi­ter Jones ist der Platz für lau­te, hei­se­re Emo­tio­nen in mei­nem Musik­spek­trum unbe­setzt. Ich weiß, es gäbe da Dut­zen­de gute Bands, aber kei­ne von denen hat mich bis­her so gekickt, wie es jetzt Mara­thon­mann getan haben. Ich traf auf die­se Hym­ne in ihrem natür­li­chen Lebens­raum: einer von Piet Klo­cke mode­rier­ten Abend­sen­dung auf WDR 5. Ich fin­de es etwas ver­stö­rend, dass ich bei der Zei­le „Und wir steh’n auf uns’­ren Brü­cken“ aus­ge­rech­net die Köl­ner Hohen­zol­lern­brü­cke vor Augen habe, aber ande­rer­seits habe ich die in die­sem Jahr etli­che Male mit dem Zug über­quert und zwei­tens gibt es in Bochum auch gar nicht so vie­le Brü­cken, die ich mir hier pathe­tisch vor­stel­len könn­te. Ein wun­der­ba­res Brett mit ganz viel „Wir gegen den Rest der Welt“-Poesie und eine Hom­mage an Städ­te und Freun­des­krei­se.

12. Rhye – Open
Nach 20 Uhr kann man auch auf Eins­li­ve fei­ne Musik ent­de­cken. Mein Erst­kon­takt mit „Open“ fand jeden­falls beim Spü­len im Rah­men der Sen­dung „Plan B“ statt. Die Mode­ra­to­rin erklär­te mir vor­ab, was ich so direkt nicht geahnt hät­te, näm­lich dass die nun fol­gen­de Stim­me einem Mann namens Mike Milosh gehö­re. Ste­phen Thomp­son von NPR Music – der Mann, dem ich in Musik­fra­gen am Aller­meis­ten ver­traue – schrieb über den Song: „cat­chy but subt­le, soni­cal­ly rich but unclut­te­red, sexy but never vul­gar“. Im Fern­se­hen gehört „Open“ schon jetzt zum fes­ten Reper­toire der Lie­bes­ak­t­an­bah­nungs­be­schal­lung und viel­leicht wird der Song eines Tages als „Smooth Ope­ra­tor“ die­ser Gene­ra­ti­on gehan­delt wer­den.

11. Vol­ca­no Choir – Bye­go­ne
Jus­tin Ver­non will viel­leicht nie mehr mit sei­nem Pro­jekt Bon Iver Musik machen. Das wäre scha­de, aber ers­tens gibt es ja zwei phan­tas­ti­sche Alben, die uns kei­ner mehr neh­men kann, und zwei­tens macht Ver­non ja ein­fach immer wei­ter, auch mit ande­ren Pro­jek­ten. „Repa­ve“, das zwei­te Vol­ca­no-Choir-Album, hät­te er auch als Bon Iver ver­öf­fent­li­chen kön­nen, und „Bye­go­ne“ ist der Song, der sich dabei am Stärks­ten her­vor­tut.

10. Les­lie Clio – Let Go
„Told You So“, die Vor­ab-Sin­gle von Les­lie Cli­os Debüt­al­bum „Gla­dys“, hat­te es ja bereits 2012 auf mei­ne Lis­te geschafft, jetzt also noch ein Song. „Let Go“ ist deut­lich schlep­pen­der als „Told You So“ (oder auch das eben­falls famo­se „Could­n’t Care Less“) und ver­ur­sacht bei mir immer noch regel­mä­ßig Gän­se­haut. Ein schlich­tes, aber wir­kungs­vol­les Tren­nungs­lied, das Ade­le oder Amy Wine­house in nichts nach­steht.

9. James Bla­ke – Retro­gra­de
Apro­pos Gän­se­haut: James Bla­ke! Den Gesang muss man mögen, aber der Song dürf­te eigent­lich kei­nen kalt las­sen.

8. Biffy Cly­ro – Black Chan­de­lier
Ja, das ist Sta­di­on­rock – aber immer­hin nicht mit so ver­krampf­tem Rock­star­dom ver­bun­den wie der von Muse oder 30 Seconds To Mars. Schö­nes Gitar­ren­ge­schram­mel, gute Lyrics und ein Songauf­bau wie aus dem Lehr­buch – man kann alles für und gegen Biffy Cly­ro ver­wen­den, aber vom Jah­res­an­fang bis zum Jah­res­en­de war „Black Chan­de­lier“ die gan­ze Zeit dabei und hat auch am Ende immer noch funk­tio­niert.

7. Daft Punk feat. Phar­rell Wil­liams – Get Lucky
Ladies and gen­tle­men, bit­te erhe­ben Sie sich für den Kon­sens-Hit des Jah­res, ach was: der Deka­de! „Get Lucky“ ist das, was man instant clas­sic nennt – aus dem Stand ein Ever­green. Ein Song, der Gene­ra­tio­nen ver­eint („Sind das Stee­ly Dan?“ – „Nein, Papa!“), und per Gesetz in jeder ein­zel­nen Fern­seh­sen­dung des Jah­res 2013 gespielt wer­den muss­te. Und das, wo kaum noch jemand ernst­haft mit einem gro­ßen Come­back von Daft Punk gerech­net hat­te.

6. Cas­per – Im Asche­re­gen
Ich habe ja so mei­ne Zeit gebraucht, bis ich mit Cas­pers Musik warm wur­de. Inzwi­schen bin ich gro­ßer Fan und das Album „Hin­ter­land“ hat sei­nen Vor­gän­ger „XOXO“ noch mal getoppt. Der Ope­ner „Im Asche­re­gen“ klingt mit sei­nen Trom­meln, Chö­ren, Blä­sern und Glo­cken­spie­len mehr nach Arca­de Fire als Arca­de Fire selbst und text­lich habe ich in der deutsch­spra­chi­gen Musik 2013 kaum Bes­se­res gehört. Vom Nicken in Rich­tung kettcar/​Slime („ein Drit­tel Heiz­öl, zwei Drit­tel Ben­zin“) über „auf Nim­mer­wie­der­se­hen und Dan­ke für nichts“ bis hin zu „die Stadt muss bren­nen, bren­nen, bren­nen“: eine ein­zi­ge Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung, ein mis­si­on state­ment, ein Stin­ke­fin­ger.

5. Mar­cus Wie­busch – Nur ein­mal rächen
Apro­pos kett­car: Deren Sän­ger Mar­cus Wie­busch wagt sich nach fast 20 Jah­ren noch ein­mal auf Solo­pfa­de und macht mit „Nur ein­mal rächen“ alles rich­tig. Klu­ge Geschich­te, klu­ge Instru­men­tie­rung, gran­dio­se Hook­li­ne. Seit kett­car den Ver­such auf­ge­ge­ben haben, ein zwei­tes „Lan­dungs­brü­cken raus“ zu schrei­ben (also seit „Sylt“), gelin­gen ihnen immer wie­der neue Meis­ter­wer­ke (vgl. „Ret­tung“, 2012) und auf „Nur ein­mal rächen“ wirkt Wie­busch so ent­spannt wie schon lan­ge nicht mehr. Das für Mit­te April ange­kün­dig­te Debüt­al­bum zählt zu denen, auf die ich am gespann­tes­ten war­te.

4. CHVRCHES – The Mother We Share
Ich kann mir aber nicht vor­stel­len, wie man sich „The Mother We Share“, der Debüt-Sin­gle von CHVRCHES, ent­zie­hen kön­nen soll­te. Die­ser Syn­thie­pop ist zwar nicht wirk­lich neu, aber der Song ist musi­ka­lisch wie atmo­sphä­risch so gekonnt „dazwi­schen“ (nicht zu schnell und nicht zu lang­sam, nicht zu melan­cho­lisch und nicht zu eupho­risch, nicht zu kalt und nicht zu warm), dass er auch nach einem Jahr immer noch kickt.

3. Foxy­gen – San Fran­cis­co
Auf Foxy­gen bin ich (natür­lich) durch „All Songs Con­side­red“ auf­merk­sam gewor­den. Wie gekonnt die­se Band auf die letz­ten 50 Jah­re Musik­ge­schich­te ver­weist und wie gran­di­os das in „San Fran­cis­co“ kul­mi­niert. Die­ser Dia­log „I left my heart in San Fran­cis­co“ – „That’s okay, I was bored any­way“ – „I left my love in the room“ – „That’s okay, I was born in L.A.“ zählt defi­ni­tiv zum Cle­vers­ten, was ich im ver­gan­ge­nen Jahr gehört habe, und ist auch beim hun­derts­ten Hören immer noch lus­tig.

2. Kacey Mus­gra­ves – Mer­ry Go ‚Round
Es ist in Deutsch­land, wo Coun­try­mu­sik außer auf WDR 4 und in Fern­fah­rer­knei­pen kaum ein Zuhau­se hat, eini­ger­ma­ßen schwer ver­mit­tel­bar, dass das Gen­re auch jung, klug und wit­zig sein kann. Ent­spre­chend groß soll­te die Über­ra­schung über das Debüt­al­bum von Kacey Mus­gra­ves sein, wenn sich hier­zu­lan­de jemand dafür inter­es­sie­ren wür­de. „Mer­ry Go ‚Round“ erzählt vom All­tag in den länd­li­chen Gebie­ten der USA: „If you ain’t got two kids by 21 /​ You’­re pro­ba­b­ly gon­na die alo­ne /​ Least that’s what tra­di­ti­on told you“. Die Kri­tik an die­sem spie­ßi­gen und bigot­ten Leben ist in so zucker­sü­ße Musik gegos­sen, dass man sie zunächst über­hö­ren könn­te – und das macht sie so wir­kungs­voll.

1. The Front Bot­toms – Au Revoir (Adi­os)
109 Sekun­den, län­ger braucht mein Lied des Jah­res 2013 nicht. Aber die­se 109 Sekun­den sind voll­ge­packt mit Witz, Gehäs­sig­keit und Rock ’n‘ Roll. Ich könn­te es 109 mal hin­ter­ein­an­der hören und wür­de gern jeden Tag damit begin­nen.

Die gan­ze Play­list zum Nach­hö­ren bei Spo­ti­fy.

Kategorien
Musik Gesellschaft

Alles endet (Aber nie die Musik)

Frü­her, als ich in Inter­net und Radio über Musik berich­te­te, meh­re­re Musik­zeit­schrif­ten las und mich qua­si Voll­zeit mit Pop­kul­tur beschäf­tig­te, habe ich gelä­chelt über die Leu­te, die die jeweils neu­es­ten Alben von Sta­tus Quo oder Chris Rea aus den Elek­tronik­märk­ten schlepp­ten und sonst auf das zurück grif­fen, was sie an „jun­ger Musik“ aus dem Radio kann­ten: Norah Jones, Ade­le, Cold­play. Ich war ernst­haft empört über Men­schen, die auf die Fra­ge, was sie denn so für Musik hör­ten, mit „Charts“ oder „was halt so im Radio läuft“ ant­wor­te­ten.

Inzwi­schen weiß ich, dass es im Erwach­se­nen­le­ben schwie­rig ist, ernst­haft mit der musi­ka­li­schen Ent­wick­lung Schritt zu hal­ten. Das fängt schon damit an, dass man weni­ger Zeit und Gele­gen­heit hat, um Musik zu hören. Im Berufs­le­ben ist es häu­fig nicht mehr mög­lich, wäh­rend der Arbeit die neu­es­ten Ver­öf­fent­li­chung oder – inzwi­schen eh aus­ge­stor­ben – das Musik­fern­se­hen lau­fen zu las­sen. Am Abend­brot­tisch mit der Fami­lie ist auch nicht immer der rech­te Ort, um neue (oder auch alte) Rock­mu­sik abzu­spie­len. Und dann haben Strea­ming­diens­te und Musik­blogs die Geschwin­dig­keit, mit der das next big thing durchs Dorf und wie­der her­aus­ge­trie­ben wird, auch noch erheb­lich gestei­gert.

Und somit sind da plötz­lich mei­ne Sta­tus Quo und Chris Reas: Die Lis­te mei­ner dies­jäh­ri­gen Musi­ker­wer­bun­gen umfasst in einem nicht uner­heb­li­chen Maße Künst­ler und Bands, die auch schon vor zehn Jah­ren auf sol­chen Lis­ten stan­den. Natür­lich muss ich die neu­en Alben von Tra­vis und den Manic Street Pre­a­chers haben – sie zu bewer­ten ist aller­dings gar nicht so ein­fach, denn natür­lich waren „The Man Who“ und „This Is My Truth Tell Me Yours“ jeweils bes­ser. Ande­rer­seits sind da auch immer Stim­men in mei­nem Kopf, die mir vor­wer­fen, die neu­en Songs bes­ser zu fin­den als ich die glei­chen Songs bei Nach­wuchs­bands fin­den wür­de. All das muss man aus­blen­den und dann sehen: bei­des sind ziem­lich gute Alben gewor­den.

Tra­vis haben mich ja eh nie wirk­lich ent­täuscht und auf „Whe­re You Stand“ und dem dazu­ge­hö­ri­gen Titel­track sind sie tat­säch­lich so gut wie unge­fähr seit „The Invi­si­ble Band“ nicht mehr. Eine Revo­lu­ti­on woll­ten die Schot­ten ja eh nur kurz auf „12 Memo­ries“ star­ten, jetzt kön­nen wir, die von Tra­vis durch ihre Jugend beglei­tet wur­den, mit der Band alt wer­den. Da sind die Manics schon ange­kom­men: Nach „Post­cards From A Young Man“ bli­cken sie auch auf „Rewind The Film“ ganz viel zurück – und es sind wie­der ganz tol­le Geschich­ten gewor­den, die James Dean Brad­field und sei­ne zahl­rei­chen Gast­sän­ger da erzäh­len.

CDs (Symbolbild)

Von Moby habe ich zwar nicht jedes Album im Regal, aber die Vor­ab­sin­gle „The Per­fect Life“ mit Way­ne Coy­ne von den Fla­ming Lips war so gran­di­os, dass ich die gan­ze Plat­te haben muss­te – und auch die ist tat­säch­lich sehr gut gewor­den. Auch Slut beglei­ten mich schon seit zwölf Jah­ren, ihr „Ali­en­ati­on“ ist sicher­lich wie­der ein her­vor­ra­gen­des Album gewor­den, ich fin­de nur (noch) nicht so recht den Zugang dazu. Bei Radio­head bin ich ja auch irgend­wann aus­ge­stie­gen.

Die Pet Shop Boys wären nach „Ely­si­um“ im ver­gan­gen Jahr eigent­lich frü­hes­tens 2015 wie­der mit einem neu­en Album dran gewe­sen, haben mit „Elec­tric“ aber direkt einen Nach­fol­ger aus dem Ärmel geschüt­telt, der erstaun­lich knallt. Gut: Das ist wahr­schein­lich eher das, was sich Män­ner Mitte/​Ende Fünf­zig unter zeit­ge­nös­si­scher Elek­tonik­mu­sik vor­stel­len („Wie wäre es, wenn wir mal was von die­sem Dub­step mit rein­neh­men?“, „Wie wäre es, wenn wir die­sen Exam­p­le bei uns mit­rap­pen las­sen?“), aber mir gefällt’s bes­ser als so Papp­na­sen wie Skrillex oder das besag­te „Ely­si­um“.

Die Kom­bi­na­ti­on Elvis Cos­tel­lo & The Roots erscheint eigent­lich nicht mal auf den ers­ten Blick abwe­gig: Cos­tel­lo macht seit mehr als 40 Jah­ren im Gro­ßen und Gan­zen, was er will (Punk, Coun­try, Klas­sik), inso­fern war es eigent­lich über­fäl­lig, mal ein Album mit einer Hip-Hop-Band auf­zu­neh­men. „Wise Up Ghost“ ist erwar­tungs­ge­mäß auf den Punkt und hat eini­ge gran­dio­se Songs, ist aber gar nicht so außer­ge­wöhn­lich, wie man viel­leicht hät­te erwar­ten kön­nen.

Wirk­lich ärger­lich ist „Loud Like Love“ von Pla­ce­bo gewor­den: musi­ka­lisch weit­ge­hend belang­los, text­lich nah dran an der Unver­schämt­heit. Wo Bri­an Mol­ko frü­her von Sex, Dro­gen und inne­ren Dämo­nen sang, ver­tont er heu­te offen­bar Kolum­nen von Harald Mar­ten­stein und singt in „Too Many Fri­ends“ dar­über, dass Face­book-Freun­de ja gar kei­ne ech­ten Freun­de sei­en. Puh! Die neu­en Alben von Jim­my Eat World und den Ste­reo­pho­nics, von Jupi­ter Jones und Thees Uhl­mann habe ich nach den Vor­ab­sin­gles lie­ber gar nicht mehr erst gehört. Man muss ja auch mal los­las­sen kön­nen, wenn alte Hel­den dort­hin gehen, wo man selbst nicht mal feh­len möch­te.

Aber das sind ja nur die Künst­ler und Bands, die mich jetzt schon seit mehr als zehn Jah­ren beglei­ten. Dazu kom­men die „mit­tel­al­ten“ wie Cold War Kids, Josh Rit­ter, Erd­mö­bel, The Natio­nal und Vol­ca­no Choir. Und natür­lich die gan­zen Neu­ent­de­ckun­gen, die ich durch „All Songs Cosi­de­red“, Radio­eins oder ande­re Emp­feh­lun­gen gemacht habe und die dann letzt­lich doch gar nicht so ver­ein­zelt sind, wie ich erst gedacht hat­te. Aber dazu kom­men wir ein ander­mal.

Kategorien
Musik

May contain music

Tra­vis haben in Ber­lin die Auf­nah­men zu ihrem sieb­ten Album been­det. Bevor es die ers­te Sin­gle gibt, gibt es schon mal einen Teaser in Form eines Musik­vi­de­os, das die Band mit Wolf­gang Becker („Good Bye, Lenin!“) gedreht hat:

Hihi, klei­ner Scherz. Natür­lich kön­nen Sie das Video in Deutsch­land nicht sehen, weil wegen Wahn­sinn­al­le­be­kloppt­don’t­get­mestar­ted.

Zumin­dest nicht im offi­zi­el­len You­Tube-Kanal der Band:

Aber den Song „Ano­ther Guy“ kön­nen Sie in jedem Fall kos­ten­los her­un­ter­la­den, wenn Sie auf travisonline.com kurz Ihre E‑Mail-Adres­se hin­ter­las­sen.

Mich kickt das Lied auf Anhieb nicht so rich­tig, aber eine gewis­se hyp­no­ti­sche Ein­gän­gig­keit ent­fal­tet sich doch sofort und irgend­wie ist es dann auch ganz schnell in mei­nem Kopf und mei­nem Her­zen. Und die Stim­me von Fran Hea­ly ist natür­lich immer noch groß­ar­tig.

Kategorien
Rundfunk Print Gesellschaft

Auf der Straße zur Ironie-Hölle

„Iro­ny is over. Bye bye.“
(Pulp – The Day After The Revo­lu­ti­on)

In der „Zeit“ von letz­ter Woche beschreibt Nina Pau­er zwei post­mo­der­ne Phä­no­me­ne: das der Fremd­scham und der Iro­nie. Anhand von Cas­ting- und Kup­pel­shows, von „Bad Taste“-Partys und „Bra­vo Hits“ ver­han­delt sie das Zele­brie­ren von Din­gen, die man eigent­lich ver­ab­scheut. Die Über­schrift „Wenn Iro­nie zum Zwang wird“ ver­knappt den sehr lesens­wer­ten Arti­kel lei­der etwas, denn tat­säch­lich geht es hier um zwei Phä­no­me­ne mit ähn­li­chen Sym­pto­men und einer gewis­sen Schnitt­men­ge.

Da sind zum einen die Fern­seh­shows, die ähn­lich funk­tio­nie­ren wie der sprich­wört­li­che Auto­un­fall: Sie zie­hen ihre Fas­zi­na­ti­on aus dem „Grau­en“, des­sen sich der Zuschau­er nicht erweh­ren kann. Cas­ting­shows möch­te ich mal aus­klam­mern, die sehe ich nicht (mehr). Vie­le wer­den offen­bar von zutiefst ver­bit­ter­ten Zyni­kern ver­ant­wor­tet, die im Leben nicht die Eier hät­ten, sich vor drei Leu­te (geschwei­ge denn eine Fern­seh­ka­me­ra) zu stel­len, um ein Lied zu sin­gen. Ihnen sol­len die Fuß­nä­gel ein­wach­sen und die Haa­re aus­fal­len. ((Außer in den Ohren und den Nasen­lö­chern, da soll es wuchern wie im Ama­zo­nas­ge­biet.)) Die Part­ner­su­chen bei „Bau­er sucht Frau“ oder „Schwie­ger­toch­ter gesucht“ mögen ähn­lich zynisch pro­du­ziert sein, las­sen mei­nes Erach­tens aber auch Raum für mehr.

Wenn sich heu­te Men­schen auf der Couch oder im Inter­net ver­sam­meln, um gemein­sam „Bau­er sucht Frau“ zu schau­en (und vor allem zu bespre­chen), dann machen sie dabei Din­ge, die Men­schen seit Jahr­tau­sen­den tun: So hof­fen sie auf den kathar­ti­schen Effekt von „Jam­mer und Schau­der“, den schon Aris­to­te­les in sei­ner „Poe­tik“ beschrie­ben hat – nur, dass sich Aris­to­te­les unter „Jam­mer und Schau­der“ etwas ande­res vor­ge­stellt hat als gel­be Pull­over und Zun­gen­wurst­bro­te. Auch war es in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten ein belieb­ter Zeit­ver­treib der Ober­schicht, sich die Leu­te, die in einem damals so genann­ten „Irren­haus“ ein­sa­ßen, anzu­se­hen wie Tie­re im Zoo.

Heu­te sind die Opfer die­ser Besich­ti­gun­gen nicht mehr „irre“, son­dern „pein­lich“, was ein noch sub­jek­ti­ve­res Urteil ist. Nie­mand, der noch alle Tas­sen im Schrank hat, wür­de auf die Idee kom­men, aufs Land zu fah­ren um Bau­ern beim Braut­wer­ben zuzu­se­hen, aber wenn RTL das schon mal gemacht hat, kann man sich das ja mal anse­hen. Das Prin­zip gleicht dem des „delightful hor­ror“, der sich ein­stellt, wenn man aus dem Lehn­stuhl her­aus die Schil­de­run­gen von uner­klär­li­chen Phä­no­me­nen oder bru­ta­len Ver­bre­chen in den Büchern der Schau­er­ro­man­tik liest – nur, dass wir heu­te selbst fest­le­gen, wovor es uns schau­dert.

* * *

Nina Pau­er schreibt:

Pünkt­lich um 20.15 Uhr for­mie­ren sich die Abitu­ri­en­ten, Stu­den­ten, Dok­to­ran­den oder viel­ver­spre­chen­den Berufs­ein­stei­ger zu einem ver­gnüg­ten Publi­kum, das bei Chips und Süßig­kei­ten nichts ande­res tut, als sich der lust­vol­len Kon­trär­fas­zi­na­ti­on des Schlim­men hin­zu­ge­ben. „Wie pein­lich ist das denn?!“, kreischt der Chor, den Zei­ge­fin­ger kol­lek­tiv auf den Fern­se­her gerich­tet.

Ich bin auch öfters Teil sol­cher Run­den, wenn RTL (wie aktu­ell) wie­der ein­mal Schwie­ger­töch­ter und Bau­ern­frau­en sucht. Alle Teil­neh­mer wür­de ich als durch­aus auf­ge­klär­te Men­schen mit einem rei­nen Her­zen bezeich­nen, Zyni­ker sind kei­ne dabei. Gera­de des­halb habe ich mich schon öfter gefragt, ob es mora­lisch eigent­lich ver­ant­wort­bar ist, die­se Sen­dun­gen zu gucken und zu kom­men­tie­ren.

Grund­sätz­lich könn­te man erst ein­mal sagen, dass es kein Opfer im klas­si­schen Sin­ne gibt – die Kan­di­da­ten krie­gen mög­li­che böse Kom­men­ta­re ja gar nicht mit. ((Ich glau­be auch, dass das, was man zu mei­ner Schul­zeit „Läs­tern“ nann­te, nicht grund­sätz­lich ver­werf­lich ist, solan­ge etwa die Per­son, über die geläs­tert wird, davon nichts mit­be­kommt, und solan­ge man nicht vor­ner­um nett zu jeman­dem ist, über den man dann hin­ten­rum läs­tert. Außer­dem kön­nen ande­re ja auch über mich läs­tern, wenn sie wol­len. Die­se Posi­ti­on hat schon zu lan­gen, uner­gie­bi­gen Dis­kus­sio­nen geführt.)) Auch das Begu­cken die­ser Men­schen erfolgt ja nur aus zwei­ter Hand – das Kind ist schon in den Brun­nen gefal­len, also kann man es sich auch anse­hen. Letz­te­res ist natür­lich Quatsch: Wenn nie­mand mehr hin­se­hen wür­de, wie RTL Kin­der in den Brun­nen schmeißt, wür­de der Sen­der sicher damit auf­hö­ren. Und man muss sich ja auch kei­ne töd­li­chen Unfäl­le im Renn­sport anse­hen, nur weil sie auf Video gebannt sind.

Ich glau­be nicht, dass die Gering­schät­zung ande­rer die Haupt­mo­ti­va­ti­on ist, sol­che Sen­dun­gen zu sehen – der Reiz ent­steht aus dem Gemein­schafts­ge­fühl her­aus, was man als bil­li­ges Mit­tel zur Fra­ter­ni­sie­rung abtun, aber auch neu­tral oder posi­tiv wer­ten kann. Kaum jemand möch­te oder kann so eine Sen­dung allei­ne sehen. Dar­über hin­aus ist es ja auch so, dass das Stirn­run­zeln über Flie­sen­ti­sche, Tief­kühl­piz­zen und Kose­na­men nicht all­zu lang eine befrie­di­gen­de Frei­zeit­be­schäf­ti­gung abgibt. Wenn ich eine Sen­dung nur schlimm fän­de, wür­de ich sie nicht gucken. ((Tat­säch­lich bin ich bei der aktu­el­len Staf­fel „Schwie­ger­toch­ter gesucht“ sehr schnell wie­der aus­ge­stie­gen, weil es außer aus­ge­walz­ten Merk­wür­dig­kei­ten nicht viel zu sehen gab.)) Bei „Bau­er sucht Frau“ gibt es aber immer wie­der rüh­ren­de Ele­men­te, in denen das bes­ser­wis­se­ri­sche Lachen ech­tem Mit­ge­fühl weicht. ((Ob die por­trä­tier­ten Bau­ern dar­auf gewar­tet haben, ist natür­lich wie­der frag­lich.))

Als Vera Int-Veen im Febru­ar den „Reg­a­lauf­fül­ler“ Ste­fan an die Frau zu brin­gen ver­such­te, war das nicht mehr im Min­des­ten wit­zig: Der Mann hat­te so offen­sicht­li­che Pro­ble­me, sich zu arti­ku­lie­ren und mit den Situa­tio­nen zurecht zu kom­men, in denen ihn das Pro­duk­ti­ons­team plat­ziert hat­te, dass die Arsch­loch­haf­tig­keit der Macher alles ande­re über­strahl­te. In der aktu­el­len Staf­fel von „Bau­er sucht Frau“ geht der bis­her größ­te Fremd­scham­mo­ment auf das Kon­to von Mode­ra­to­rin Inka Bau­se: Zum ers­ten Mal sucht ein homo­se­xu­el­ler Bau­er einen, ja: Mann und Bau­se war von der Situa­ti­on so offen­sicht­lich über­for­dert, dass sie ihn mit den Wor­ten ansprach: „Du bist ja hier der ers­te Bau­er Dei­ner Art.“ Als der „pflei­ßi­ge Pfer­de­wirt“ ganz locker „Der ers­te schwu­le Bau­er, ja“, ant­wor­te­te, frag­te Bau­se noch ein­mal nach, ob sie „das so sagen“ dür­fe. So schlimm kön­nen zehn­tau­send Zun­gen­küs­se bei offe­nem Mund nicht sein.

* * *

Ich glau­be übri­gens, dass die­se Kup­pel­shows auch mit Kan­di­da­ten funk­tio­nie­ren wür­den, die den Zuschau­ern deut­lich ähn­li­cher sind: ((Wobei das eigent­lich jetzt schon gel­ten muss: Es kann ja hier­zu­lan­de kei­ne acht Mil­lio­nen Eli­tis­ten geben, die es sich auf ihrem hohen Ross bequem gemacht haben, also müs­sen auch zahl­rei­che Zuschau­er mit Flie­sen­ti­schen, Tief­kühl­piz­zen und Kose­na­men dar­un­ter sein.)) Lie­be und vor allem ihre Anbah­nung ist nie cle­ver. ((So wie Sex nie ästhe­tisch ist.)) Im Leben geht es fast nie zu wie bei „Ally McBe­al“ oder bei „Bridget Jones“, wo sich gut­aus­se­hen­de Men­schen im leich­ten Schnee­fall auf offe­ner Stra­ße küs­sen, nach­dem sie eine geist­rei­che Bemer­kung gemacht haben.

Vor vie­len Jah­ren, in der Dai­ly Soap „Unter uns“, schrieb die Per­son der Ute, die damals frisch in die Schil­ler­al­lee zurück­ge­kehrt war, einen Brief an ihren spä­te­ren Ehe­mann Till, in dem sie erklär­te, sie sei der­art ver­liebt, dass sie bei jedem Lie­bes­lied im Radio mit­sin­gen müs­se, auch bei den Schla­gern, die sie frü­her immer pein­lich und doof gefun­den habe. ((Der Brief geriet übri­gens in die Hän­de der San­dra, dar­ge­stellt von Dor­kas Kie­fer, die ihn laut vor­las und sich über Ute lus­tig mach­te. Wel­che Akti­on ist pein­li­cher? Dis­cuss!)) Das, mei­ne Damen und Her­ren, ist Lie­be! Sie ist pein­lich, aber ohne wären wir nicht hier.

* * *

Doch zurück zur „Fremd­scham“ und zum „Pein­li­chen“, das Nina Pau­er beschreibt: Ande­re Leu­te pein­lich fin­den ist eine Emo­ti­on, die meist in der Puber­tät erst­ma­lig auf­taucht und dann vor allem gegen die eige­nen Eltern gerich­tet ist. Das ist von der Natur so gewollt: Das Leben beschert einem so ein paar Jah­re unbe­schwer­ter Frei­heit und sinn­lo­ser Frei­heits­kämp­fe, ehe die Erkennt­nis ein­kehrt, dass bio­lo­gi­sche Ver­an­la­gung und Erzie­hung mäch­ti­ger sind als jedes Scham­ge­fühl und man natür­lich wie die eige­nen Eltern gewor­den ist. Als aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit fin­den einen dann zwan­zig Jah­re spä­ter die eige­nen Kin­der pein­lich.

Sich für eine ande­re Per­son zu schä­men, ist aber auch eine weit­ge­hend irra­tio­na­le Reak­ti­on, zumal, wenn man in kei­ner­lei per­sön­li­cher Ver­bin­dung zu die­ser Per­son steht. Die wis­sen­schaft­li­che Erfor­schung die­ses Phä­no­mens steht aller­dings noch ziem­lich am Anfang.

Nina Pau­er führt aus:

Als gemein­sa­mes Ritu­al wirkt die Fremd­scham wie eine Kom­pen­sa­ti­on der indi­vi­du­el­len Angst, die ansons­ten über­all lau­ert. Denn wie schwer ist es, die­sem all­ge­gen­wär­ti­gen Adjek­tiv „pein­lich“, das unse­re Zeit bestimmt, zu ent­rin­nen! Nahe­zu unmög­lich und vor allem furcht­bar anstren­gend ist es gewor­den, im weit und sub­til ver­äs­tel­ten ana­log-vir­tu­el­len Netz­werk stets die Balan­ce aus läs­si­gem Under­state­ment, hüb­scher Iro­nie und gleich­zei­ti­ger Selbst­ver­mark­tung zu pfle­gen. Die Codes sind unend­lich: Mit dem neu­es­ten Smart­phone prah­len? Pein­lich! Immer noch kei­nes haben? Pein­lich! Zucker­sü­ße Pär­chen­fo­tos auf Face­book ver­öf­fent­li­chen? Pein­lich! Das eige­ne Mit­tag­essen abfo­to­gra­fie­ren, den Stolz über den neu­en Job all­zu offen­sicht­lich zei­gen? Zu vie­le Freun­de haben? Zu weni­ge? Pein­lich, pein­lich! Musik hoch­la­den, die alle schon ken­nen? Musik hoch­la­den, die nie irgend­wer kennt? PEINLICH!

Wenn tat­säch­lich alles pein­lich ist, man also in jeder Situa­ti­on nur ver­lie­ren kann, ist ja alles wie­der völ­lig nivel­liert und man kann nur gewin­nen.

Frau Pau­er nutzt die­se Pas­sa­ge aber, um von der Fremd­scham zur „insze­nier­ten Fremd­scham“ und damit zur Iro­nie zu kom­men. Iro­nie, das lernt man irgend­wann als Kind, ist das Gegen­teil von dem zu sagen, was man meint – also eigent­lich das, was man vor­her als „Lügen“ ken­nen­ge­lernt hat und was man nicht tun soll­te. Das trifft den Sach­ver­halt zwar nur zum Teil, ist aber das, was sich die aller­meis­ten Men­schen unter „Iro­nie“ vor­stel­len und es ent­spre­chend prak­ti­zie­ren. Das ist natür­lich ster­bens­lang­wei­lig.

Als Tra­vis im Jahr 2000 anfin­gen, „Baby One More Time“ von Brit­ney Spears auf ihren Kon­zer­ten zu covern, gin­gen vie­le erst ein­mal von Iro­nie aus. Aber Fran Hea­ly, der das Lied mit viel Inbrunst vor­trug, sag­te, sie hät­ten den Song ein­fach nach­ge­spielt, weil sie ihn so schön fan­den. Und tat­säch­lich wäre es auch dann noch ein schö­nes Lied, wenn Kom­po­nist und Tex­ter Max Mar­tin sich beim Schrei­ben über die Nai­vi­tät und Dumm­heit sei­nes Lyri­schen Ichs kaputt gelacht hät­te.

„Iro­ny is cer­tain­ly not some­thing I want to be accu­sed of“, hat Craig Finn, der Sän­ger mei­ner Lieb­lings­band The Hold Ste­ady, mal gesagt und ich fin­de auch, dass Lied­tex­te mög­lichst auf­rich­tig sein soll­ten. ((Iro­nie soll­te höchs­tens von Bri­ten als Stil­mit­tel in Songs ein­ge­setzt wer­den. Die ver­ste­hen dar­un­ter etwas ande­res als „das Gegen­teil von dem sagen, was man meint.)) Dann besteht zwar schnell wie­der die Gefahr der Fremd­scham, aber damit muss man klar kom­men. Man kann das Werk ver­ur­tei­len, soll­te dem Künst­ler aber Respekt zol­len.

Die Zeit der iro­nisch gemein­ten Bei­trä­ge beim Euro­vi­si­on Song Con­test, die not­wen­dig war, um das schnar­chi­ge Schla­ge­re­vent der 1990er Jah­re zu ent­stau­ben, ist ja inzwi­schen zum Glück auch wie­der vor­bei. Als ich im Mai von jetzt.de zum Dus­log inter­viewt wur­de, war der Repor­ter sehr ver­ses­sen dar­auf, uns eine iro­ni­sche Hal­tung zum Grand Prix zu unter­stel­len. Natür­lich kann man die musi­ka­li­schen Bei­trä­ge nicht alle ernst neh­men, ((Gera­de nicht „I Love Bela­rus“, den man aus poli­ti­schen Grün­den als ein­zi­gen ernst hät­te neh­men müs­sen.)) aber wenn ich die Ver­an­stal­tung in Oslo schei­ße gefun­den hät­te, wäre ich sicher kein zwei­tes Mal hin­ge­fah­ren.

* * *

Natür­lich soll­te man sich selbst und die Welt nicht zu ernst neh­men, aber man soll­te auch nicht bis zur Selbst­ver­leug­nung mit den Augen zwin­kern. Ich könn­te schlicht kei­ne Musik hören, die ich nicht mag, kei­ne Kla­mot­ten (oder gar Fri­su­ren oder Gesichts­be­haa­run­gen) tra­gen und auch nichts in mei­ne Woh­nung stel­len oder hän­gen, was ich nicht irgend­wie gut fin­de. „We Built This City“ von Star­ship ist einer der kano­nisch schreck­lichs­ten Songs der Musik­ge­schich­te, aber irgend­et­was spricht das Lied in mir an – und das mei­ne ich nicht auf die „So schlecht, dass es schon wie­der gut ist“-Art. Ande­rer­seits wür­de ich nie in Skin­ny Jeans rum­lau­fen, weil ich die ein­fach mords­un­be­quem fin­de.

Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re hat schon 1999 einen Text über Iro­nie ver­fasst, ((Nach­zu­le­sen in „Remix“.)) in dem er von der „Drü­ber­lus­tig­mach­müh­le“ schreibt und dann eine Fra­ge auf­wirft, die er sich sogleich selbst beant­wor­tet:

Ten­nis­so­cken sind fürch­ter­lich, kei­ne Fra­ge, aber ist nicht das zwangs­ver­ord­ne­te Drü­ber­la­chen noch schlim­mer? Und dann tra­gen also Leu­te wie­der Ten­nis­so­cken, aus Pro­test, und das ist viel­leicht zu ver­ste­hen, aber ja auch so krank, weil sie damit also, nur der Abgren­zung wegen, schlim­me Socken tra­gen. Und dann nicht ein­fach still die­se Socken dünn­lau­fen, son­dern tat­säch­lich ERKLÄREN, war­um sie die tra­gen, um sich zumin­dest, oh ja, INHALTLICH zu unter­schei­den von jenen, die die­se Socken nicht schon wie­der, son­dern immer noch tra­gen. Irgend­wie muß man die Neu­zeit ja rum­krie­gen.

Im „Zeit“-Artikel steht die­ses aktu­el­le Bei­spiel:

In engen brau­nen Män­ner­slips über rosa Trai­nings­an­zü­gen aus Bal­lon­sei­de trifft man sich, am bes­ten mit einem allein zum Zweck der Par­ty gewach­se­nen fie­sen Schnau­zer im Gesicht, zum Dosen­ste­chen in der Küche.

Noch bevor die Hips­ter so genannt wur­den, gab es den „Iro­ny-Schnäuz“. Irgend­wann gab es dann die iro­nisch gebro­che­nen Hips­ter, die ech­te Hips­ter eigent­lich schei­ße fan­den, aber genau­so rum­lie­fen. Der Schnauz­bart war zu die­sem Zeit­punkt schon min­des­tens zwei Mal umge­deu­tet wor­den, aber da geht sicher noch mehr. Nur: War­um?

In einem Text aus dem Juli 1999 ((„Ein Ort der Eitel­keit“ in „Der Krap­fen auf dem Sims“.)) beklagt sich Max Goldt über Men­schen, die eine gol­de­ne Schall­plat­te oder eine Urkun­de auf der Gäs­te­toi­let­te plat­zie­ren:

So wird die Toi­let­te zum Ort der Insze­nie­rung von Selbst­iro­nie, einer Eigen­schaft, die in der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on hoch im Kurs steht. Des­halb ist es erheb­lich eit­ler, sei­ne Zer­ti­fi­ka­te in Bad oder WC unter­zu­brin­gen, als sie naiv und arg­los im Wohn­zim­mer zur Schau zu stel­len.

Goldt erklärt auch ((„Mein Nach­bar und der Zynis­mus“, ebd.)) den Unter­schied zwi­schen Zynis­mus und Sar­kas­mus:

Zynis­mus ist eine destruk­ti­ve Lebens­auf­fas­sung, wäh­rend Sar­kas­mus das Resul­tat von trot­zi­ger For­mu­lie­rungs­kunst ist, die über einen spon­ta­nen Zorn auf ein Mei­nungs­ei­ner­lei hin­weg­hilft. Zynis­mus ist ein Resul­tat von Ent­täu­schung und inne­rer Ver­ein­sa­mung. Er besteht im Negie­ren aller Wer­te und Idea­le, im Ver­höh­nen der Hoff­nung, im Haß auf jedes Stre­ben nach Bes­se­rung.

Sind dann die beschrie­be­nen „Bad Taste“-Partys nicht eher zynisch als iro­nisch?

Ich ver­ste­he den Reiz nicht, der dar­in lie­gen soll­te, sich so zu klei­den, wie man nie aus­se­hen woll­te, und Musik zu hören, die man nie hören woll­te. Ers­tens grenzt das doch an Schi­zo­phre­nie und zwei­tens fin­de ich das unfair gegen­über den Leu­ten, denen die­se Musik etwas bedeu­tet. Denn auch wenn ich Schla­ger oder Volks­mu­sik kit­schig und doof fin­den soll­te, so gibt es doch Leu­te, denen die­se Musik etwas bedeu­tet. ((Dass die Tex­te die­ser Lie­der mit­un­ter von Leu­ten geschrie­ben wer­den, denen die Inhal­te und Hörer ziem­lich egal sind, ist eine Meta-Ebe­ne, die ich hier nicht auch noch bespie­len möch­te.)) Ich fin­de es auch lang­wei­lig, ein Album nur des Ver­ris­ses wegen zu ver­rei­ßen.

* * *

Auch Chuck Klos­ter­man hat sich dem The­ma Iro­nie gewid­met. ((Im Essay „T Is For True“ in „Eating The Dino­saur“.)) Er schreibt:

An iro­nist is someone who says some­thing untrue with unclear sin­ce­ri­ty; the degree to which that state­ment is fun­ny is based on how many peo­p­le rea­li­ze it’s fal­se. If ever­y­bo­dy knows the per­son is lying, nobo­dy cares. If nobo­dy knows the per­son is lying, the spea­k­er is a luna­tic. The ide­al ratio is 65–35: If a slight majo­ri­ty of the audi­ence can­not tell that the inten­ti­on is come­dic, the sub­stan­ti­al mino­ri­ty who do under­stand will feel bet­ter about them­sel­ves. It’s an exclu­sio­na­ry kind of humor.

Wenn jeder Depp alles nur noch „iro­nisch“ meint, ist es kein Witz mehr, dann ist es nicht mal mehr Komö­die, son­dern Tra­gö­die.

Nina Pau­er schreibt dazu in der „Zeit“:

Wo poten­zi­ell alles pein­lich ist, bleibt nichts als der ewi­ge iro­ni­sche Reflex. Die Iro­nie wird zum Stan­dard und die Distanz zum Zwang. Dann regie­ren die Zwin­kers­mi­leys, die alles Gesag­te, Geschrie­be­ne, Geta­ne sofort rela­ti­vie­ren, um bloß immer „safe“ zu sein. Von der Freu­de an der Pein­lich­keit ist dann nicht mehr viel übrig. Die Lust wird zu ihrem Gegen­teil, zur Lan­ge­wei­le.

Es ist nicht nur lang­wei­lig, es ist auch wahn­sin­nig anstren­gend.

Klos­ter­man stellt in sei­nem Essay den Weezer-Sän­ger Rivers Cuo­mo, den Regis­seur Wer­ner Her­zog und den ame­ri­ka­ni­schen Poli­ti­ker Ralph Nader neben­ein­an­der, denen er alle­samt nach­weist bzw. unter­stellt, völ­lig iro­nie­frei zu sein. Her­zog etwa sagt, er habe einen „Defekt“, der ihn dar­an hin­de­re, Iro­nie zu ver­ste­hen, und Klos­ter­man fügt an, die meis­ten von uns hät­ten das gegen­tei­li­ge Pro­blem: Wir wür­den auch dort Iro­nie ver­ste­hen, wo gar kei­ne vor­han­den ist.

Rivers Cuo­mo trug das, was man heu­te „Nerd­bril­le“ nennt, immer­hin schon in den frü­hen Neun­zi­gern, als es grad nicht cool oder lus­tig war. ((Die­se Bril­le ist tat­säch­lich ein Pro­blem. Als ich letz­tes Jahr auf der Suche nach einer neu­en war, woll­te ich – puber­tä­re Abgren­zung – um jeden Fall zu ver­mei­den, auch so eine zu kau­fen. Das Pro­blem: Mir stand wirk­lich nichts ande­res. Also dach­te ich: „Was soll’s? Ray-Ban gibt’s seit mehr als 50 Jah­ren und ich weiß ja, wie’s gemeint ist.“ (Näm­lich gar nicht.) So wie man sich Musik nicht von ihren Hörern kaputt machen las­sen darf, soll­te man sich auch Mode-Uten­si­li­en nicht von ihren Trä­gern zer­stö­ren las­sen. Ich wür­de auch ger­ne Hem­den von Fred Per­ry tra­gen, wenn die nicht so unfass­bar teu­er wären.)) Heu­te schreibt er Lie­der dar­über, dass er in Bever­ly Hills woh­nen wol­le, und Klos­ter­man ist sich sicher, dass Cuo­mo das genau so meint. Die Fans wären aller­dings ent­täuscht, weil sie es für Iro­nie hiel­ten und sich ver­arscht fühl­ten – und das ist dann natür­lich auch schon wie­der Iro­nie, und zwar die des Schick­sals.

* * *

Die Post­mo­der­ne hat, neben Fremd­scham und Über-Iro­ni­sie­rung, noch ein wei­te­res Phä­no­men her­vor­ge­bracht: Stän­dig hin­ter­fragt man jetzt alles, vor allem aber sich selbst. Wer sich fragt, ob er irgend­et­was gut fin­den dür­fe, hat noch nichts ver­stan­den. Er hat die Frei­heit (fast) alles gut zu fin­den, was er gut fin­den mag. Allen­falls die Aus­wahl poten­ti­ell gut find­ba­rer Din­ge und Per­so­nen kann einen etwas über­for­dern.

Das bedeu­tet natür­lich letzt­lich auch: Man kann auch „Bau­er sucht Frau“ gucken, ohne sich dafür zu schä­men.

Kategorien
Musik

The Second Great Depression

War­um eigent­lich Semiso­nic?

Ich habe kei­ne Ahnung, ob es tat­säch­lich irgend­wel­che wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen zu dem The­ma gibt, aber die Ver­weil­dau­er eines durch­schnitt­li­chen Pop­al­bums im Leben eines Musik­re­zi­pi­en­ten dürf­te eher in Mona­ten, als in Jah­ren zu mes­sen sein. Zwar ermög­li­chen es uns die immer grö­ßer wer­den­den Spei­cher der MP3-Play­er-Tele­fo­ne, qua­si unse­re gesam­te musi­ka­li­sche Bio­gra­phie in der Hosen­ta­sche her­um­zu­tra­gen, aber wie weit gehen wir da schon zurück?

Alben, die mir einst viel bedeu­tet haben und von denen die meis­ten eine Zeit lang bei mir als „Lieb­lings­al­bum“ oder gleich „Bes­tes Album aller Zei­ten“ fir­mier­ten, höre ich noch ein, zwei Mal im Jahr. Und dank iTu­nes weiß ich sogar, wann zuletzt: „The Unaut­ho­ri­zed Bio­gra­phy Of Rein­hold Mess­ner“ von Ben Folds Five im Dezem­ber, „Auto­ma­tic For The Peo­p­le“ von R.E.M. im Novem­ber und „The Man Who“ von Tra­vis im Sep­tem­ber – den Uhr­zei­ten nach zu urtei­len jeweils beim Ein­schla­fen. Und das sind die Alben, die mir immer noch irgend­wie wich­tig sind und die auch einen recht tadel­lo­sen Ruf in der Musik­ge­schich­te genie­ßen.

Doch was ist mit den okay­en Alben, die man mal inten­siv gehört hat, mit denen man womög­lich wich­ti­ge Ereig­nis­se der Ado­les­zenz ver­bin­det, die dann aber ein­fach in Ver­ges­sen­heit gera­ten sind wie frü­he­re Mit­schü­ler, die eben immer so mit dabei waren, wenn man gemein­schaft­lich unter­wegs war? „Fee­ling Stran­ge­ly Fine“ von Semiso­nic, „Onka’s Big Moka“ von Toploa­der oder das „MTV Unplug­ged“ von den Fan­tas­ti­schen Vier. Wenn man zufäl­lig irgend­wo über die Hits stol­pert, wirft es einen um Jah­re zurück (wie mein Vater stets über musik­in­du­zier­te Flash­backs sagt), aber wel­cher Mensch, der halb­wegs bei Ver­stand ist, wür­de die CD aus dem Regal her­vor­kra­men, um „Clo­sing Time“ auf­zu­le­gen?

Der Teen­ager oder jun­ge Twen (Sagt man das noch? „Twen“?) an sich hört über­durch­schnitt­lich viel emo­tio­na­le Musik. Irgend­wann ist dann der Punkt erreicht, an dem man „So I look in your direc­tion /​ But you pay me no atten­ti­on, do you?“ oder „The kil­ler in me is the kil­ler in you“ nicht mal mehr für Sta­tus­up­dates bei Face­book ver­wen­den möch­te. Zahl­rei­che Lie­der und Alben sind durch zahl­rei­che Her­zens­brü­che ver­brannt. Die ganz gro­ßen Lied­zi­ta­te und ‑titel lässt man sich dann gleich täto­wie­ren. Die Sor­gen und Pro­ble­me sind eigent­lich noch die glei­chen wie zu Schul­zei­ten, aber alles ist viel kom­ple­xer gewor­den. Bei Berufs­tä­tig­keit, Fami­li­en­grün­dung und Bau­spar­ver­trag wird der Sound­track zum eige­nen Leben für vie­le zuneh­mend unwich­ti­ger. Es ist das Alter, in dem vie­le Men­schen ihren Musik­ge­schmack plötz­lich mit „was halt so im Radio läuft“ umrei­ßen und die Songs, die ihnen gefal­len, schnell bei iTu­nes kau­fen. Die­se Kapi­tu­la­ti­on ist womög­lich die rich­ti­ge Ent­schei­dung, denn auf der ande­ren Sei­te sieht es noch schlim­mer aus.

Wer aus ver­schie­dens­ten Grün­den wei­ter­hin auf dem Lau­fen­den blei­ben will, ver­liert viel Geld und lang­sam auch den Ver­stand: Jede Woche erschei­nen Dut­zen­de neue Alben, die sich in „Neu­er hei­ßer Scheiß“ und „Von denen kau­fe ich jede Plat­te“ glie­dern. Bei ers­te­rem ist man Dank Inter­net bes­tens infor­miert, so dass es das Ein­fachs­te der Welt ist, wöchent­lich 200 neue Hype-The­men zu ent­de­cken und womög­lich auch zu kau­fen. Hören kann das alles kein Mensch mehr, aber gro­ße CD-Samm­lun­gen beein­dru­cken poten­ti­el­le Sexu­al­part­ner immer noch mehr als eine MP3-Samm­lung von meh­re­ren hun­dert Giga­byte. Und die alten Hel­den? Natür­lich ist es schön, wenn R.E.M., die Foo Figh­ters oder Moby neue Alben ver­öf­fent­li­chen, die auch noch gut sind. Aber muss man die noch hören? Und wenn ja: Wie oft? Selbst wenn da tol­le Songs drauf sind (was zwei­fels­oh­ne der Fall ist), hat man ja immer noch die alten Alben mit den alten tol­len Songs im Regal, mit denen man eine gemein­sa­me Geschich­te hat. Der Unter­schied ist ein biss­chen wie der zwi­schen den Arbeits­kol­le­gen, mit denen man mal ein Fei­er­abend­bier trin­ken geht, und den alten Freun­den von frü­her.

Dann wol­len wie­der die neu­en bes­ten Freun­de (Jack’s Man­ne­quin, The Hold Ste­ady, The Low Anthem) Auf­merk­sam­keit. Und die hei­ßen Affä­ren aus den Jah­ren dazwi­schen. Die Arc­tic Mon­keys haben ein neu­es Album ver­öf­fent­licht? Ent­schul­di­gung, inter­es­siert mich nicht. Die gan­ze Indie-Chau­se der mitt­le­ren Nuller Jah­re ist mir inzwi­schen völ­lig egal, von Franz Fer­di­nand und Man­do Diao will ich weder alte noch neue Alben hören. An deren Musik wer­den wir noch jah­re­lang tra­gen, weil immer noch in jedem Dorf gelock­te 15-Jäh­ri­ge mit karier­ten Hem­den, die eine Band grün­den wol­len, ihre Songs aus Ach­tel­beats, Schram­mel­gi­tar­ren und Par­ty­ly­rik zusam­men­bau­en. Alles okay, vie­les gut, aber es kann doch nicht sein, dass Gitar­ren­mu­sik hier enden soll?!

Unge­fähr an jedem zwei­ten Tag der ver­gan­ge­nen Wochen habe ich mir die Fra­ge „Was hör ich denn jetzt mal?“ mit „Belong“ beant­wor­tet, dem phan­tas­ti­schen zwei­ten Album von The Pains Of Being Pure At Heart. Dane­ben höre ich das weg, was sich eben so ange­sam­melt hat im bis­he­ri­gen Kalen­der­jahr, oder grei­fe zu aus­ge­wähl­ten Lieb­lin­gen der ver­gan­ge­nen zwei Jah­re, derer ich noch nicht über­drüs­sig bin. Ich käme ehr­lich gesagt nie auf die Idee, „(What’s The Sto­ry?) Mor­ning Glo­ry?“ von Oasis auf­zu­le­gen – ich weiß ja, dass das ein gutes Album ist, auch wenn bei mir lang­sam die Zwei­fel ein­set­zen, ob Oasis tat­säch­lich so gut und wich­tig waren.

Jah­res­zeit­lich bedingt lau­fen gera­de wie­der zwei Alben bei mir rauf und run­ter, die schon neun bzw. 13 Jah­re alt sind: „Hi-Fi Serious“ von A, eines mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­al­ben, bei dem ich bei jedem Hören erwä­ge, mir auf mei­ne alten Tage doch noch ein Skate­board zu kau­fen, und „Moon Safa­ri“ von Air, das womög­lich bes­te Som­mer-Ent­span­nungs­al­ben aller Zei­ten. Bei­de Alben sind so gut und für ihre Funk­ti­on als Som­mer-Sound­track so per­fekt, dass ich mich kaum bemü­he, Nach­fol­ger zu fin­den.

Und das wird immer mehr. Wäh­rend ich noch damit beschäf­tigt bin, mich in das Früh­werk von Bruce Springsteen rein­zu­hö­ren, mir Led Zep­pe­lin zu erschlie­ßen und die wich­tigs­ten Grand-Prix-Songs der letz­ten 55 Jah­re drauf zu schaf­fen, wer­den Men­schen erwach­sen, die Nir­va­na nie als zeit­ge­nös­si­sche Musik ken­nen­ge­lernt haben, son­dern offi­zi­ell als Oldies. Men­schen, denen das Kon­zept „Album“ unbe­kannt ist, das die Pop­kul­tur von den 1960er Jah­ren bis hin­ein in die spä­ten Nuller so geprägt hat.

Und dann stellt man wie­der fest, dass Pop­kul­tur alt macht. Also: die inten­si­ve Beschäf­ti­gung damit. Eltern sehen ihre Kin­der auf­wach­sen, Gärt­ner bekom­men den Gang der Jah­res­zei­ten zu spü­ren, aber als Pop­kul­tur­fan ent­schei­det man sich bewusst dafür, Zeit anhand von Ver­öf­fent­li­chungs­da­ten von Musik, Fil­men und TV-Seri­en wahr­zu­neh­men. Die Sum­me des eige­nen Lebens sam­melt sich schön anschau­lich in Rega­len und sorgt bei jedem Umzug für grö­ße­re Ver­stim­mung. Und der Gedan­ke an eine Pop­band, die vor mehr als einer Deka­de mal einen Mini-Hit hat­te, löst Gedan­ken­gän­ge aus, denen man selbst nicht mehr fol­gen kann.

Des­we­gen Semiso­nic.

Kategorien
Musik Digital

My name is Adam, I’m your biggest fan

Man kennt das ja aus den ein­schlä­gi­gen Büchern und den Schil­de­run­gen von Vätern, Onkels oder ande­ren alten Leu­ten: Wie die Men­schen frü­her vor dem elter­li­chen Radio geses­sen haben, das Mikro­fon des Kas­set­ten­re­kor­ders vor den Boxen und dann hof­fen, dass einer die­ser damals ver­mut­lich „hip“ oder „fet­zig“ genann­ten Songs läuft. Schnell auf „Auf­neh­men“ drü­cken und dann beten, dass der Mode­ra­tor sei­ne ver­damm­te Klap­pe hält. Ach, ich hab es doch selbst noch so gemacht!

Spä­ter kam dann das Musik­fern­se­hen und man konn­te den gan­zen Quatsch mit Video­re­cor­dern wie­der­ho­len, die natür­lich immer dann von Auf­nah­me­be­reit­schaft auf Stop wech­sel­ten, wenn der erhoff­te Clip end­lich kam. Ob man sich das Band mit den gesam­mel­ten Vide­os jemals anse­hen wür­de, war zweit­ran­gig.

Und dann: Das Inter­net. Mit dem Auf­kom­men von Tausch­bör­sen waren obsku­re B‑Seiten und Live­ver­sio­nen der Lieb­lings­bands plötz­lich in Reich­wei­te. Zwar tropf­ten sie anfangs nur in Modem-Geschwin­dig­keit durch die Lei­tung, aber hin­ter­her hat­te man (wenn die Lei­tung nicht unter­bro­chen wur­de) einen Song, den man rauf und run­ter hören konn­te. Man­che stell­te eine Band oder ein Künst­ler einen neu­en Song in schlech­ter Audio­qua­li­tät im soge­nann­ten Real­play­er ins Inter­net und man konn­te die Wie­der­ga­be an der Sound­kar­te mit­schnei­den – vor­aus­ge­setzt, die Band­brei­te reich­te für eine ruck­el­freie Wie­der­ga­be.

Damals habe ich auch noch phy­si­sche Sin­gles gekauft: Zehn, elf D‑Mark (spä­ter sechs, sie­ben Euro) für drei, vier Songs. Aber man hat­te den ers­ten Track des neu­en Travis‑, Cold­play- oder Oasis-Albums, bevor das end­lich auf den Markt kam, und man hat­te B‑Seiten. Man­che B‑Seiten aus die­ser Zeit habe ich öfter gehört als man­che Album­tracks aus der jün­ge­ren Schaf­fens­pha­se die­ser Bands.

Dann wur­de alles anders: Irgend­wann gab es kein Musik­fern­se­hen mehr und nach mei­ner Arbeit beim Cam­pus­ra­dio hat­te ich auch den Über­blick über Sin­gles ver­lo­ren. Alben erschie­nen ein­fach irgend­wann und man hat­te sie nicht mehr schon seit Wochen (weil: bemus­tert), son­dern bekam davon teil­wei­se gar nichts mehr mit. Die letz­ten Jah­re waren schwach, was mei­ne eige­ne Hin­ga­be und mein Fan­dom angeht. Dafür kauft man dann immer öfter die teu­re Spe­cial Edi­ti­on, deren zwei­te CD oder DVD dann unge­hört und unbe­se­hen im Regal ver­staubt, nach­dem man das eigent­li­che Album ein ein­zi­ges Mal in den Com­pu­ter gescho­ben hat, um es zu rip­pen. Oder es gibt gleich gar kei­nen phy­si­schen Ton­trä­ger mehr, son­dern nur noch die nack­te, digi­ta­le Musik.

In der letz­ten Zeit habe ich nicht viel neue Musik gehört: Seit dem Hald­ern vor allem abwech­selnd The Natio­nal und Del­phic, die das Ren­nen um das Album des Jah­res bis­her unter sich aus­ma­chen. Die neue Sin­gle von Wir Sind Hel­den habe ich zum ers­ten Mal gehört, als ich mir am Frei­tag das Album gekauft habe – von dem ich dann so ent­täuscht war, dass ich ihm bis­her noch kei­ne zwei­te Chan­ce gege­ben habe.

Dafür habe ich das Wie­der­erwa­chen mei­nes Fan­doms beob­ach­ten kön­nen: Stän­dig trieb ich mich auf der Web­site der Manic Street Pre­a­chers rum, bis dort end­lich das Video zur (ganz okay­en) neu­en Sin­gle ver­öf­fent­licht wur­de. In der Zwi­schen­zeit war ich dort aber immer­hin über die Ori­gi­nal­de­mo von „The Girl From Tiger Bay“ gestol­pert, das die Band für Shir­ley Bas­seys letz­tes Album geschrie­ben hat­te.

Und auch die Vor­bo­ten des gemein­sa­men Albums von Ben Folds und Nick Horn­by habe ich genau im Auge und ver­spü­re dank des Trai­lers sogar ech­te Vor­freu­de:

Mit den … äh: Akti­ons­künst­lern Pom­pla­moo­se haben Folds und Horn­by noch einen wei­te­ren Song auf­ge­nom­men (in dem Horn­by sogar selbst zu hören ist), des­sen Geschich­te Ben Folds sehr schön auf sei­ner Web­site erklärt:

Das klingt alles toll. Nach dem letzt­lich dann doch eher mit­tel­gu­ten „Way To Nor­mal“ freue ich mich tat­säch­lich auf das neue Album. Die Delu­xe-Edi­ti­on ist jeden­falls bestellt.

Die ers­te Hör­pro­be vom neu­en Jim­my-Eat-World-Album klingt übri­gens ganz schreck­lich.

Kategorien
Musik

„Mit Essen spielt man nicht“ im Wandel der Zeit

Ja, klar: Auch als Musik­vi­deo-Regis­seur kann man nicht täg­lich das Rad neu erfin­den.

Aber …

[Ste­fa­nie Heinz­mann – Unbre­aka­ble, 2009]

Also bit­te:

[Tra­vis – Sing, 2001]

(Mal davon ab, lie­gen natür­lich auch noch Wel­ten zwi­schen den Songs.)