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Musik Unterwegs

Haldern-Liveblog (Freitag)

17:00 Uhr: Was bisher geschah: Ich wurde heute Morgen wach und – die Sonne schien. Aus Dankbarkeit opferten wir Petrus eine Packung “Saure Apfelringe” (Haldern-Tradition #2) und frühstückten ausgiebigst in der Sonne. Ich weiß, ich werde einen Sonnenbrand bekommen.

Die erste Band, die ich mir im angeguckt habe, waren die Brakes (“like on your bike”) im Spiegelzelt. Die Band sieht anders aus als ich sie mir vom Klang ihrer Musik her vorgestellt hätte, und hat Ananässe auf ihren Verstärkern stehen, die sie während des Konzerts ins Publikum schmeißt. Musik machen sie auch: schrömmeliger Indierock trifft auf Country-Anleihen, die im Coversong “Jackson” (den kennen Sie aus dem Johnny-Cash-Film) kulminieren.

Dann geht’s aufs Festival-Gelände, das allein schon dadurch besticht, dass die Bühne anders steht als sonst. Sie steht … nun ja: leicht schräg. Wer schon mal auf dem Haldern war und sich das Festival-Gelände als Uhr vorstellen kann, imaginiere sich jetzt bitte, die Bühne sei von zwölf auf ein Uhr vorgerückt, wobei sie immer noch auf den Mittelpunkt des Uhrwerks ausgerichtet ist. Alle anderen stellen sich bitte vor, dass da eine große Bühne auf einem Reitplatz steht, das reicht.

Der sympathisch-verplante Holländer, der seit (I assume) 1984 das Programm ansagt, betritt die Bühne und kündigt in gewohntem Überschwang Ripchord an. Die Band erinnert aus der Ferne (schließlich will das Pressezelt inspiziert werden) ein bisschen an Mando Diao und die Libertines. Und das ist ja wohl mal eine präzise Ansage, denn welche Band klingt heutzutage schon so? Na gut …

Gerade stehen/steht Gabriel Rios auf der Bühne und alles, was hier ankommt, sind ein Bass und eine Bassdrum. Deswegen werde ich nun hinaus in den Matsch eilen und ein Ohr auf das Geschehen werfen, damit ich hinterher schreiben kann, wie es wirklich klang.

Vorher muss ich noch die ersten Verletzungen im Team vermelden: Katti hat sich den Nagel ihres dicken Zehs eingerissen (hier zuckten grad 85% der Leser zusammen und schworen sich, so ein Ekelblog nie wieder zu besuchen) und ich habe mir (weit weniger schlimm) die Sonnenbrille, die ich extrem lässig ins Haar gesteckt hatte, aufs Nasenbein gedonnert. Und jetzt muss ich wirklich los, denn Björn vom Haldern-Blog ist gerade hinter mir aufgetaucht und jetzt wollen wir ein wenig plaudern und Bruderschaft trinken. Oder irgendwie sowas.

18:05 Uhr: Bis ich auf dem Platz war, war/waren Gabriel Rios schon vorbei. So bleiben mir nur die Ricky-Martin-mäßigen Eindrücke, die im Pressezelt ankamen.

Vielleicht hätte man eine Band wie Polarkreis 18, die mit geschätzten zweiundvierzig Instrumenten agiert, nicht unbedingt mitten in den Nachmittag legen sollen. Jetzt hinkt der Zeitplan. Dafür gibt es gerade die “deutschen Radiohead”, was dann zutreffend wäre, wenn Radiohead bedeutend mehr tanzbare Tracks wie “Idioteque” veröffentlicht hätten. Man möchte fast ein Krautrock-Revival ausrufen, aber Dresden ist eine so Krautrock-untypische Stadt (sie liegt, zuallererst, nicht am Rhein).

Der WDR fährt mit seinen Rockpalast-Kameras die ganze Zeit vor der Bühne herum und versperrt dem Publikum und den Fotografen die freie Sicht auf die Bühne. Das könnte richtig ärgerlich sein, aber das Publikum sieht nicht so aus, als ob es das mit den Rundfunkgebühren sonderlich genau nähme. Und Leute, die man nicht bezahlt, kann man ja kaum anschreien, sie mögen einem bitte aus dem Sichtfeld treten.

Was man auf keinen Fall unerwähnt lassen sollte: Sonne! Sonne!! Soooooonneeeeeee!!!!1

19:15 Uhr: Von Paul Steel und Band habe ich nicht viel mitbekommen, weil ich zeitgleich The Electric Soft Parade interviewt habe. Ich glaube, ich hätte die Musik “nett” gefunden. Nett waren aber auch die Gebrüder White, weswegen sich das schon gelohnt hat, so wie’s war. Die Tatsache, dass ich den alten Kinderkassettenrecorder meines Bruders als Aufnahmegerät mitgebracht habe, war jedenfalls ein Super-Eisbrecher, denn wie finden junge Männer, die verspielte Popmusik machen, so ein Teil? “Cool, old school!”

19:58 Uhr: Wer hat dem Pudel die Gitarre um den Hals gebunden? Ach nee, das ist nur Kyle Falconer, der lockichte Sänger von The View, der seine Gitarre noch ein bisschen höher trägt als Johnny Cash. Zu beeinträchtigen scheint es ihn nicht, denn er und seine Band pflügen gerade durch ein Set voller schwungvoller Indierock-Kracher, die immer mal wieder rhythmisch an der Tür klopfen, auf der “Polka” steht. Die Indiepedia sagt, der Schlagzeuger sei mal mit Pete Doherty verhaftet worden. Reife Leistung. Und ungefähr so schwierig wie Angeln in einem Fass voller Fische.

20:57 Uhr: Ein junger Mann, der aussieht wie Gary Oldman in Sid And Nancy, kommt auf die Bühne, rotzt zweimal auf selbige und legt mit seiner Band los. Klingen tut’s aber eher wie The Clash, wenigstens so ungefähr. Live klingt Jamie T bedeutend weniger nach Hip-Hop, als auf Platte, ich meine trotzdem, einen süßlichen Geruch in der Luft zu vernehmen.

21:40 Uhr: Gerade war ich am Zelt, meinen Pulli holen. Dabei konnte ich eine Haldern-typische Szene beobachten: Ein älteres Ehepaar aus der Nachbarschaft ging in ordentlicher Kleidung am Zeltplatz vorbei – offenbar um “mal zu gucken, was die jungen Leute so machen”. Sie gesellten sich zu einer Gruppe am Bierstand und plauderten los.

Folgende Musik habe ich auf dem Zeltplatz hören können (unvollständig): Max Mutzke, Red Hot Chili Peppers, The Fratellis, Bap, Led Zeppelin, The Sounds, Kaiser Chiefs. Unangefochtener Festival-Hit dürfte aber “Tonight I Have To Leave It” von den Shout Out Louds werden. Zu recht.

22:15 Uhr: Noch mehr idiotische Optik-Vergleiche: The Magic Numbers sehen ein bisschen aus wie die Kelly Family. Sie machen durchaus nette Popmusik, die das inzwischen nächtliche Festivalgelände durchweht. Es könnte auch Rockpalast 1978 auf der Loreley sein.

Man sollte auch mal anmerken, dass das Publikum zwar in Indie-Uniformen erschienen ist (If I had one Dollar for every polka dot …), aber in der Gesamtheit recht gut aussehend ist (nur knapp hinter den immer besonders hübschen Publika von Travis und Slut). Ich glaube schon, dass manch einer hier den Partner fürs Leben finden könnte.

Samstag, 00:31 Uhr: Auf der Bühne sitzt grad Jason Pierce und buchstabiert Gänsehaut. Mit seinem Keyboarder, einem Streichquartett und einem (dreiköpfigen) Gospelchor sind das die “Acoustic Mainlines” seiner sonstigen Band Spiritualized. Es mag sein, dass das Feenstaub ist, der da durch die Nacht fliegt – vielleicht sind es auch nur die Überreste der Motten, die den Scheinwerfern zu nahe gekommen sind. Die Leute, die bei dieser Musik noch quatschen, möchte man am liebsten schütteln und anschreien: “Ruhe, da vorne stirbt jemand!” Nun ja, sterben wird Jason Pierce heute Nacht nicht, aber so oft wie er “Lord” und “Jesus” singt, fühlt man sich ein wenig, als höre man jemandem verbotenerweise beim Beten zu. Einfach schön.

Nachtrag Samstag, 14:58 Uhr: Eigentlich wollte ich mir gestern Nacht noch The Electric Soft Parade angucken. Ich hatte es den Gebrüdern White sogar im Interview versprochen. Aber als ich vom Platz kam, war die Schlange vor dem viel zu kleinen Spiegelzelt schon so lang, dass absehbar war, dass die Person, die in der Schlange vor mir gestanden hätte, als letzte reingekommen wäre. Ich finde das nach wie vor unglücklich mit diesem Zelt, zumal wenn auch noch zeitgleich auf der Hauptbühne Programm ist. Entscheiden-müssen oder Nicht-reinkommen ist Rock am Ring, aber nicht Haldern.

So gab’s dann wenigstens im (eigenen) Zelt noch The Waterboys aus weiter Ferne. Aus so weiter Ferne, dass nur noch eine Ahnung von Songs ankam. Die war aber durchaus nett.

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Die Ohnmacht der Möglichkeiten

Beim Blick auf meinen Kalender habe ich gerade festgestellt, dass in vier Wochen ja schon wieder Haldern Pop ist. Seit sieben Jahren fahre ich nun auf dieses sympathische Festival am schönen Niederrhein und es hat sich bisher immer gelohnt. Ich hoffe nur inständig, dass sich das Wetter bis zum 2. August noch bessert, denn ein drittes Jahr mit Platzregen und Schlammschlacht in Folge würde mir so langsam dann doch mal auf die Ketten gehen.

Das Line-Up ist dieses Jahr ein bisschen … äh: ungewöhnlich, spielen mit Jan Delay und Jamie T doch zwei Künstler, die auf den ersten Blick nicht soooo viel mit Indie zu tun haben. Auf den zweiten natürlich schon und überhaupt: Schubladendenken ist den Haldern-Machern von Raum3 völlig fremd, deswegen gibt es jedes Jahr eine außergewöhnliche Mischung aus Szenegrößen, gerade durchbrechenden Acts und vorher noch völlig unbekannten Künstlern. Geradezu bezeichnend ist die Tatsache, dass die schwächsten Auftritte der letzten Jahre ausgerechnet die der Superstars Franz Ferdinand und Mando Diao waren – die sorgten aber immerhin für eine Indiemädchenquote, über die sich so manche “Ladies Night” freuen würde.

Für dieses Jahr sind unter anderem angekündigt: Two Gallants, Naked Lunch, The Electric Soft Parade, Polarkreis 18, The View, Jamie T, The Magic Numbers, Sebastien Tellier, Johnossi, Architecture In Helsinki, Shout Out Louds, Jan Delay & Disko No. 1, Ghosts, Duke Special, The Earlies, …

Je länger man sich das Line-Up anguckt, desto besser wird es eigentlich. Zugegeben: Im letzten Jahr hatte ich mit Element Of Crime, The Divine Comedy und James Dean Bradfield gleich drei persönliche Helden, auf die ich mich freuen konnte. Aber ich nehme an, ich werde auch dieses Jahr wieder begeistert zurückkommen. Wenn das Wetter stimmt …

Haldern Pop Festival
vom 2. bis 4. August in Rees-Haldern (Ndrh.)
Tickets gibt’s offenbar noch hier

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Listenpanik (2): Hier kommt Rock’n’Roll

Die letzte Bestandsaufnahme ist schon wieder fast zwei Monate her und so richtig sinnvoll will mir dieses unstrukturierte Vorgehen nicht erscheinen. Deswegen gibt es hier ab demnächst immer am Monatsende eine Liste der wichtigsten Platten und Singles. Jetzt aber erst mal die für Ende Februar bis Mitte April – natürlich wie immer streng subjektiv und garantiert unter versehentlichem Vergessen von hundert anderen Sachen, die auch toll sind.

Alben
1. Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Passender kann ein Albumtitel kaum sein: Ganz großes Gefühlskino mitten aus dem Leben, das von verspieltem Geplucker vor dem Sturz in den Emo-Strudel bewahrt wird. Sam Duckworth ist gerade mal 20 und damit ein mehr als würdiger Erbe für Connor Oberst, dessen Bright Eyes das Tal der Tränen langsam zu verlassen wollen scheinen.

2. Mika – Life In Cartoon Motion
Passender kann ein Albumtitel kaum sein: Höchst vergnüglicher Bubblegum-Pop, der immer kurz davor steht, ins Alberne abzuschweifen, sich aber immer wieder rettet. Dass der 23jährige Sänger (als Kind mit seiner Mutter aus dem Libanon geflohen, der Vater sieben Monate im Irak verschwunden, hat früher Telefonwarteschleifen besungen) bisher schon ein für heutige Verhältnisse erschreckend bewegtes Leben geführt hat, macht ihn auch als Interviewpartner interessant.

3. Flowerpornoes – Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?
Passender … Nee, anders: Es mag Zufall sein, dass Tom Liwa seine Band in dem Jahr reaktivierte, in dem mit Blumfeld eine andere große deutschsprachige Indieband der ersten Stunde die Bühne verlässt. Strapazierte Liwa auf seinen letzten Soloplatten die Nerven seiner bodenständigeren Fans mitunter erheblich mit esoterischen Themen, steht er plötzlich wieder mitten im Leben. Die E-Gitarren bollern und er singt Geschichten von Zahnarzttöchtern, Apfelkernen und Rock’n’Roll. Und der ist bekanntlich größer als wir alle.

4. Maxïmo Park – Our Earthly Pleasures
Die neben Bloc Party vermutlich spannendste Band der British Class of 2005 legt ebenfalls nach. Wie es sich für einen guten Zweitling gehört, wirkt die Band gefestigter und scheint ihren Weg gefunden zu haben. Musikalisch großer Indiepop mit vollem Instrumentarium, textlich oft genug ganz tief drin in den menschlichen Abgründen.

5. Just Jack – Overtones
Hip Hop? Funk? Pop? Na ja, in irgendeine Schublade wird man das Album schon stopfen können. Besser aufgehoben ist es aber im Discman, während man auf der Wiese in der Sonne liegt. So laid back und sommerlich kann Musik klingen, ohne gleich süßlich duften zu müssen.

Singles
1. Manic Street Preachers – Your Love Alone Is Not Enough
Okay, okay: noch ist die Single nicht erschienen. Aber wenn die Manic Street Preachers durch die Soloausflüge von James Dean Bradfield und Nicky Wire zu alter Stärke zurückfinden und dann noch ein Duett mit Nina Persson von den Cardigans, der Frau in die jeder ordentliche Indiehörer und -musiker mindestens einmal verliebt war, veröffentlichen, ist das Releasedate ja wohl egal. Wenn Bradfield und Persson durch diese nach Petticoat und Tanztee klingende Nummer schunkeln und nebenbei noch ein paar Selbstzitate verbraten (“You stole the sun” – “Straight from my heart, from my heart, from my heart”), ist das eben ganz und gar großartig.

2. Travis – Closer
Auch noch nicht erschienen, aber ebenfalls bereits zu hören ist die Comeback-Single von Travis. “Closer” ist ein echter grower, der beim ersten Hören langweilig erscheint, und den man nach fünf Durchgängen schon ewig zu kennen glaubt. “Gänsehaut-Zeitlupen-Stadion-Pophymne” nennt das die Presseinfo und hat damit sogar irgendwie recht. Die Band tänzelt durchs Video und man würde es ihr gerne gleichtun. Das macht – zusammen mit den anderen Hörproben, die es bereits gab – ganz große Lust auf das neue Album.

3. Just Jack – Starz In Their Eyes
Night fever, night fever! In der sog. gerechten Welt wäre das der Tanzbodenfüller der Saison. So ist es eben nur der Funksong, mit dem man sich bis zum Erscheinen des nächsten Phoenix-Albums die Beine vertreten kann. Oder was man sonst mit Beinen so macht, wenn Musik läuft.

4. Kilians – Fight The Start
Ja ja, die klingen total wie die Strokes. Nur, dass ich mich nicht erinnern könnte, dass die Strokes je A Tribe Called Quest zitiert hätten. Außerdem können Menschen, die sich für besonders schöne Bassläufe interessieren, hier noch richtig was lernen. Und alle anderen auch. Gerechte Welt: Riesenhit. Kann man sogar nachhelfen.

5. The View – Wasted Little DJ’s
Bevor alle Welt New Rave feiert – was auch immer das genau sein soll – gibt es hier noch mal Indierock. Der Song dengelt zwischen Libertines und Beach Boys dahin und sollte dieses Jahr auf keinem Mixtape fehlen.