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No matter what the end is

Richard Wagner ist Redakteur bei der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” und hat am vergangenen Sonntag in seiner Kolumne “Das war’s” folgenden … Nachruf verfasst:

Rätselhaft blieb, warum der unappetitliche Tod des höchstens mittelmäßigen sogenannten Sängers Stephen Gately der längst abgehalfterten sogenannten Boygroup “Boyzone” auf der in noch anderer Hinsicht unappetitlichen Insel Mallorca den Weg in die respektable Öffentlichkeit fand.

[via Stefan Niggemeier]

Wenn man mal von den ganzen Unverschämtheiten Zynismen Adjektiven absieht, ((Ebenfalls absehen sollte man natürlich von dem Umstand, dass da ein Bandname in Anführungszeichen gesetzt ist, was mich einfach immer wahnsinnig macht. Aber das mag ein persönliches Problem sein.)) steht da eine gar nicht mal so uninteressante Frage: Warum verschaffte sein Tod Stephen Gately eine Aufmerksamkeit, die er – wenn überhaupt – zuletzt vor zehn Jahren bekommen hatte, als er in der “Sun” sein (milde erzwungenes) Coming Out hatte?

Ganz banal gesagt fängt es natürlich mit der Öffentlichkeit – das Wort “respektabel” muss Wagner beim wahllosen Adjektiv-Einsetzen reingerutscht sein – an, die größer ist als je zuvor. Was früher Gesprächsthema auf dem Pausenhof oder in der Teeküche war, findet jetzt für jeden wahrnehmbar im Internet statt. Es gibt Twitter, Blogs, Pinnwände bei Facebook, MySpace und last.fm und Boulevardzeitungen, die quasi rund um die Uhr erscheinen. Alles bekommt heute mehr Aufmerksamkeit als vor zehn Jahren — vielleicht mit Ausnahme einiger wichtiger Dinge, aber darüber sollen Kulturpessimisten wie Richard Wagner nachgrübeln.

Eine andere pragmatische Antwort wäre: Weil die Frauen, die heute die “People”-Ressorts und Online-Redaktionen rund um den Erdball besetzen, mit Boyzone aufgewachsen sind. Die Antwort ist aber so schlicht, dass man sie Wagner tatsächlich anbieten würde, wenn man ihn irgendwo zwischen Tür und Angel träfe.

Aber man kann ja mal versuchen, ein bisschen tiefer zu gehen: Erst einmal erzeugt ja der Tod eines Prominenten ((“eines sogenannten Prominenten” für Richard Wagner.)) immer mediale Aufmerksamkeit — je vorzeitiger, desto größer. Es gilt, was Nada Surf 1999 in “River Phoenix” ((Benannt nach dem Schauspieler, der 1993 im Alter von 23 Jahren an einer Überdosis Heroin und Kokain verstarb.)) sangen:

We didn’t know Jackie O
She was one of the people that we did not know
Nor did we care about her hair
Her pillbox hat and her savoir faire
But still we thought we knew

Man nimmt halt irgendwie am Leben von Personen des öffentlichen Lebens teil — heute noch sehr viel mehr als vor zehn Jahren: Stephen Gately hatte einen Twitter-Account, der ja als das Symbol der Annäherung zwischen Stars und ihren Fans gilt.

Als Anna Nicole Smith, eine Frau, die aus sehr viel schlichteren Gründen berühmt war als Stephen Gately, im Februar 2007 starb, erklärten einige Menschen aus meinem Umfeld etwas irritiert, dass sie dieser Todesfall doch irgendwie betroffen mache — und ich war ganz froh, dass es nicht nur mir so ging. Fünf Monate zuvor hatte Smith ihre Tochter zur Welt gebracht, ihr Sohn Daniel war beim Besuch am Kindsbett gestorben. Das wünscht man keinem, auch keiner grotesken Medienfigur, deren Leben von Anfang an unsternverfolgt schien.

Ein weiterer wichtiger Grund, warum sich die Öffentlichkeit und die Medien so sehr auf Gatelys Tod stürzten, sind die “unappetitlichen” Umstände — oder das, was die Klatschjournalisten gerne darin sehen wollten: Erst hieß es, er sei an seinem eigenen Erbrochenen ((Völlig bizarr wäre natürlich, mal von jemandem zu lesen, der an fremdem Erbrochenen erstickt ist. Man könnte aber wohl auch gut drauf verzichten.)) erstickt, was ja Rockstartod #1 wäre (vgl. Jimi Hendrix, Bon Scott). Die Rede war von einer wilden Partynacht mit seinem eingetragenen Lebenspartner und einem dritten Mann.

Denn, machen wir uns nichts vor: Die Tatsache, dass Gately schwul war, gibt der Geschichte natürlich noch mal eine gewisse Würze. Einerseits verleiht es der Aufstiegsgeschichte vom Arbeitersohn zum Popstar ein gewisses tragisches Moment, dass sich Gately jahrelang verstellen musste, andererseits gibt es den völlig Enthirnten Gelegenheit zu Überschriften wie “Homo-Sänger erstickt am eigenen Erbrochenen”. Und dann dieser 25-jährige bulgarische “Partyboy”, ((Wobei man über das Wort “Partyboy” ja schon fast froh und dankbar sein muss — irgendetwas sagt mir, dass da vor kurzem noch “Stricher” gestanden hätte.)) der beim Paar in der Wohnung war — da ist natürlich der Phantasie zahlreicher Redakteure und Leser freie Bahn gelassen.

Dabei spricht wenig dafür, dass Gately ein exzessives Leben geführt hat. Personen aus seinem Umfeld werden damit zitiert, dass er nur selten Alkohol trank und auch sonst nicht ständig auf Party aus war. Aber solche Aussagen taugen längst nicht für so knallige Schlagzeilen — und wenn man schon kaum etwas über sein Privatleben weiß und die Seriosität der Quellen eh nicht einschätzen kann, dann bezieht man sich natürlich lieber auf die Erzählungen, die skandalöser wirken und beim geneigten Leser zur Schlussfolgerung “Selbst schuld, der Herr Popstar!” führen.

Aber all das reicht natürlich nicht zum Popstartod des Jahres, nicht im Jahr 2009. Hätte man am 20. Juni mit “Beat It” allenfalls ein paar besonders Tanzwütige zum Beineschütteln bewegen können, waren die Tanzflächen eine Woche später voll, als die ersten Takte erklangen. Die Anteilnahme – auch die eigene – am Tode Michael Jacksons dürfte die meisten Menschen überrascht haben. Wie ernst es wirklich war, merkte ich, als meine Großeltern, deren größte Annäherung an die Popkultur sonst im “Tatort”-Gucken am Sonntagabend besteht, ((Eine Zeit lang dachte mein Großvater, er wisse, was eine Rapperin sei — es war die Phase, in der Boris Becker mit Sabrina Setlur liiert war.)) mich fragten, was ich denn zum Tod von Michael Jackson sagen würde. Ja, was sagt man da?

Jackson hatte halt irgendwie irgendwann einmal das Leben von fast jedem Menschen auf diesem Planeten berührt — und wenn sich das bei manchen nur in der Ansicht niederschlug, Jackson sei wahnsinnig und (s.o.) an allem selbst schuld. Aber obwohl Jackson eigentlich spätestens seit seinem Prozess wegen Kindesmissbrauchs im Jahr 2005 als Witzfigur galt, war das bei den Meisten – natürlich nicht bei den Medien – schnell vergessen und es stand nur noch die Musik und die Tragik seines Lebens im Vordergrund.

Und tragisch im eigentlichen Sinne sind in solchen Fällen ja meist das Leben des Verstorbenen (Jackson), der Zeitpunkt (noch mal Jackson, so kurz vor dem geplanten Comeback) oder die weiteren Umstände (verfolgt von Paparazzi wie Prinzessin Diana) des Todes — die Todesfälle selbst sind fast allesamt banal. Mehr Chemie im Körper, als der verarbeiten kann, führt zu schlichtem Funktionsversagen. Wenn ein betrunkener Fahrer viel zu schnell durch einen Tunnel rast, kann das zur Kollision mit einem Tunnelpfeiler führen, eine Geschwindigkeitsübertretung unter Alkoholeinfluss auf dem Heimweg schnell zum Abflug, wie bei Jörg Haider.

Nur akzeptieren will die Öffentlichkeit natürlich nie, dass ein Star letztlich menschlich und damit sterblich ist. Deswegen müssen Erklärungsversuche unternommen werden, und seien sie noch so abwegig und absurd. Dann war es halt die Mafia, ein Geheimdienst oder irgendwelche Verschwörer. Wenigstens ein Selbstmord, damit es nicht einfach ein alltäglicher Unfall war! Nur in seltenen Glücksfällen wird ein erfolgreicher, junger Politiker, der eine hübsche Frau und süße Kinder hat, aber Hollywoodstars und Sekretärinnen vögelt, unter völlig unerklärlichen Umständen in aller Öffentlichkeit erschossen — wobei man nun wirklich nicht behaupten kann, dass dieser Fall frei von Verschwörungstheorien sei.

Der Unterschied zwischen bekannten und unbekannten Sterblichen besteht lediglich in der Reaktion auf den Tod: Aus allen vorgenannten Gründen erzeugt der Tod eines Prominenten eine mediale Aufmerksamkeit, die den Verstorbenen überdauern kann. Spätestens, wenn der nächste Prominente unter Umständen stirbt, die nicht “Krebs” oder “Alter” heißen, wird Stephen Gatelys Name wieder in irgendeiner Liste (wahrscheinlicher, natürlich: in einer Bildergalerie) auftauchen und den Musiker damit überleben. Ob man als Fußnote unsterblich werden will, ist allerdings fraglich.

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Musik Print

Si tacuisses …

The Pete ist seit Wochen und Monaten drogenfrei. Wenn der mal heute nicht rückfällig wird …

Das schrieb ich am Donnerstag in den Kommentaren meines EMA-Liveblogs.

Heute schreiben die diversen Internetseiten unter Berufung auf das britische Schundblatt “The Sun”, Pete sei am Freitag rückfällig geworden und habe sich Heroin gespritzt. Jetzt fühle ich mich irgendwie schlecht …

Bedeutend schlechter sollten sich allerdings die Heuchler der “Sun” fühlen. Die druckten in ihrer heutigen Ausgabe Bilder aus einem Video, das angeblich Doherty beim Heroinschießen am Freitag zeigen soll, und begründeten das wie folgt:

The Sun is well aware of the sickening nature of the images — and prints them only to show Doherty is not cured and is a terrible role model.

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Musik Leben

Peter und kein Wolf

Es ist ja längst ein völlig unwichtiges Randdetail, dass Ende des Monats mit “Shotter’s nation” ein neues Album der Babyshambles erscheint. Viel bedeutsamer für die interessierte Weltöffentlichkeit sind doch neue Drogenpegellevel aus der Blutbahn von Pete Doherty und seiner engsten Umgebung. Gut, seitdem Kate Moss Reißaus genommen hat, ist diese nähere Umgebung deutlich weniger ansehnlich. Aber immerhin hat Betäubungsmittelexperte Doherty eine Katze, die ihn versteht.

Die bekannt bedächtig recherchierende The Sun hat denn auch schon folgendes herausgefunden: Weil Verständnis durch die Venen (oder mindestens über die Blut-Hirn-Schranke) geht, hat Doherty für sein Exemplar der Art Felis catus ein kleines Crack-Pfeifchen gebaut. Ein hübsches Bildchen der Inhalation gibt’s auch schon. Zeugen berichteten hinterher, dass die Katze ohnmächtig geworden sei, Stimmungsschwankungen bekommen hätte und geglaubt habe, sie könne fliegen. Nun, wer jemals Katzen über einen längeren Zeitraum erlebt hat, könnte auf die Idee kommen, das sei der Normalzustand. Aber wenn da nicht irgendjemand etwas mit dem Drogenkater dezent missverstanden hätte, besäße diese Meldung ja gar keinen Neuigkeitswert mehr.

Obligatorische Randnotiz: Pete Doherty ist weiterhin im besten Alter, um zur mystifizierbaren Legende zu werden. Ein halbes Jahr noch …

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Musik Digital

Don’t Let The Sun Go Down On Me

Das Geständnis vorweg: Ich mag Elton John. Es muss am Klavier liegen, diesem Instrument, das mich sogar kurzzeitig glauben lässt, Songs von Orange Blue gut zu finden. Elton John hat aber auch einige großartige Songs geschrieben und spätestens seit “Almost Famous” (oder allerspätestens seit Ben Folds’ Interpretation) wissen wir, dass “Tiny Dancer” ein ganz, ganz großer Song ist.

Elton John hat auch einige schlimme Dinge getan: Drogen genommen, die erfolgreichste Single aller Zeiten veröffentlicht und Zeichentrick-Filme besungen. Letzteres ist aber (s. Phil Collins) verzeihlich, ersteres unter Umständen auch.

Jetzt hat Elton John dem britischen Boulevardblatt “Sun” einen kleinen Gesinnungsaufsatz in die letzte Mittwochsausgabe diktiert, in dem er fordert, das Internet zu schließen.

We’re talking about things that are going to change the world and change the way people listen to music and that’s not going to happen with people blogging on the internet.

Dieser seltsam konservative Satz dürfte in diesem Moment widerlegt sein, denn Ihre Art, Elton Johns Musik zu hören, hat sich doch sicher mit der Lektüre seines kleinen Textes geändert, oder etwa nicht?

I do think it would be an incredible experiment to shut down the whole internet for five years and see what sort of art is produced over that span.

Ob Mr John weiß, wie viele Bands mittlerweile ihre Songs und Arrangements via E-Mail erarbeiten, weil ihre Mitglieder beispielsweise ein paar Tausend Kilometer entfernt leben wie bei Maritime?

Dieser kleine Text ist aber auch geeignet, eine Frage auf den Tisch zu bringen, die ich mir am Samstag im Vorfeld des dann geknickten Jan-Delay-Auftritts gestellt habe: Welche Auswirkung hat eigentlich das, was man als Persönlichkeit eines Musikers wahrnimmt, auf die Rezeption der Musik?

Nun: Idealerweise gar keine. Hip-Hop-Künstler wirken fast durch die Bank irre, und auch mit Liam Gallagher oder Billy Corgan würde ich eher ungern zu Abend essen. Trotzdem gibt es nichts Idiotischeres, als seine private Plattensammlung zu dezimieren, wenn ein Künstler mal wieder irgendwie negativ aufgefallen ist. Das Geld ist eh schon futsch, da kann man die Platte auch ruhig im Regal lassen und wieder reinhören, wenn man nicht mehr weiß, warum man den Musiker zwischendurch mal so doof fand.

Sie werden deshalb auch nie erraten, wessen Musik ich gerade lausche …

[via Popkulturjunkie]