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Lieblingsmusik 2023

2023 ist vor­bei — das Jahr, in dem wir mit unse­rer klei­nen Musik­sen­dung ange­fan­gen haben. Des­we­gen schau­en wir in gro­ßer Run­de zurück auf die Acts, Alben und Songs, die uns in die­sem etwas anstren­gen­den Jahr gut gefal­len haben: Sel­ma Zoron­jić, Peter Urban, Jens Kölsch und Lukas Hein­ser sit­zen um einen Raclette­grill und haben ihre ganz per­sön­li­chen Lieb­lin­ge mit­ge­bracht.

Alle Songs:

  • Clai­ro – Bags (Recor­ded At Elec­tric Lady Stu­di­os)
  • Peter Gabri­el – Road To Joy (Bright-Side Mix)
  • Blink-182 – One More Time
  • Joy Ola­do­kun feat. Noah Kahan – We’re All Gon­na Die
  • boy­ge­ni­us – True Blue
  • The Rol­ling Stones – Depen­ding On You
  • &ME, Black Cof­fee, Kei­ne­mu­sik – The Rap­tu­re Pt.III
  • Fen­ne Lily – Lights Light Up

Show­no­tes:

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Musik Gesellschaft

Der Anfang vom endgültigen Ende

„Blunt­ly put, in the fewest of words:
Cunts are still run­ning the world“

(Jar­vis Cocker – Run­ning The World)

Auch schon ausgestorben: Dinosaurier

Vor­ges­tern ver­kün­de­te der ange­schla­ge­ne Musik­kon­zern EMI, er wer­de welt­weit zwi­schen 1500 und 2000 Stel­len strei­chen und damit wohl ein Drit­tel sei­ner Ange­stell­ten feu­ern. Der pri­va­te-equi­ty-Kon­zern Ter­ra Fir­ma, der das Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men im ver­gan­ge­nen Som­mer über­nom­men hat­te, will aus EMI bin­nen kur­zer Zeit ein pro­fi­ta­bles Unter­neh­men machen.

Das allein klingt schon mal nach einer ziem­lich däm­li­chen Idee, denn jedes Kind weiß, dass Plat­ten­fir­men so ziem­lich die schlech­tes­te Wahl sind, wenn man auf schnel­les Geld aus ist. Oder über­haupt auf Geld. Man könn­te sich genau­so gut in eine Fabrik für elek­tri­sche Schreib­ma­schi­nen oder in einen Zei­tungs­ver­lag ein­kau­fen.

Das Bei­spiel EMI zeigt was pas­siert, wenn glo­bal play­er nicht mehr von welt­frem­den Trot­teln, son­dern von geld­gei­len Voll­trot­teln geführt wer­den: Die Musi­ker, mei­nen lai­en­haf­ten Wirt­schafts­vor­stel­lun­gen zufol­ge nicht unbe­dingt der unwich­tigs­te Teil eines Musik­kon­zerns, waren näm­lich mit den Ansa­gen der neu­en Chefs (vie­le Krea­ti­ve reagie­ren bei­spiels­wei­se auf Zeit­druck all­er­gisch) gar nicht gut zu spre­chen und kün­dig­ten eine Art Ver­öf­fent­li­chungs­boy­kott an. Rob­bie Wil­liams, Cold­play und die wie­der­ver­ei­nig­ten The Ver­ve wol­len angeb­lich erst mal nichts mehr raus­brin­gen, mit Paul McCart­ney, Radio­head und jetzt wohl auch den Rol­ling Stones haben Künst­ler, die teils über meh­re­re Jahr­zehn­te Zug­pfer­de bei EMI waren, dem Kon­zern den Rücken gekehrt oder dies ange­kün­digt. Und egal, ob die Ver­trä­ger einen Musi­ker-Streik wirk­lich zulas­sen und ob aus den Res­ten der EMI wirk­lich ein pro­fi­ta­bler Kon­zern wer­den kann: Ich glau­be, wir erle­ben damit das letz­te Kapi­tel der Musik­in­dus­trie im alten Sin­ne und es wird ein Ende mit Schre­cken.

Es ist fast acht Jah­re her, dass Metal­li­ca-Drum­mer Lars Ulrich dem US-Senat vor­heul­te, dass die Musik sei­ner Band bei Naps­ter auf­ge­taucht sei. Die Poli­tik reagier­te auf die­ses völ­lig neu­ar­ti­ge Phä­no­men mit immer neu­en Geset­zen, die es nun auch in Deutsch­land wie­der ver­lo­cken­der erschei­nen las­sen, CDs direkt im Laden zu klau­en anstatt sie ille­gal her­un­ter­zu­la­den. Die Musik­kon­zer­ne reagier­ten unter ande­rem damit, dass sie ihren ver­blie­be­nen zah­len­den Kun­den High-Tech-Müll ver­kauf­ten, der auf vie­len Abspiel­ge­rä­ten nicht lief (beson­ders lus­tig beim Musik­kon­zern und Elek­tronik­her­stel­ler Sony) oder die Com­pu­ter-Sicher­heit des Käu­fers gefähr­de­ten. Spä­ter ver­such­ten sie, den Wert von Musik dadurch zu ver­mit­teln, dass sie ein­sa­me CDs ohne Book­let (BMG, inzwi­schen heim­lich, still und lei­se wie­der vom Markt ver­schwun­den) oder in bil­li­gen Papp­schu­bern (Uni­ver­sal) zu ver­meint­li­chen „Son­der­prei­sen“ auf den Markt war­fen.

Zuge­ge­ben: Auch ich habe kei­nen bril­lan­ten Plan, wie man auf die feh­len­de Bereit­schaft eines Teils (mög­li­cher­wei­se sogar tat­säch­lich eines Groß­teils) der Bevöl­ke­rung, für die stän­di­ge Ver­füg­bar­keit von Musik Geld zu zah­len, reagie­ren soll­te. Womög­lich wür­de ich nicht mit der Belei­di­gung und Schi­ka­nie­rung der Rest-Kund­schaft begin­nen. Aber ich bin auch nicht die Musik­in­dus­trie, ich muss gar kei­nen bril­lan­ten Plan haben.

Viel­leicht ist das Wort „Musik­in­dus­trie“ allei­ne (Prof. Die­ter Gor­ny, Vor­stands­vor­sit­zen­der der Deut­schen Pho­no-Aka­de­mie, spricht sogar von „Krea­tiv­wirt­schaft“) schon ein Irr­tum, ein schreck­li­ches Miss­ver­ständ­nis. Musik ist (wie Film, Lite­ra­tur, Thea­ter, bil­den­de Kunst) in ers­ter Linie Kunst und somit weder unter „Indus­trie“ noch unter „Wirt­schaft“ ein­zu­sor­tie­ren. Die Tat­sa­che, dass Groß­kon­zer­ne ein paar Jahr­zehn­te gut von der Ver­mark­tung die­ser Kunst leben konn­ten, ist his­to­risch betrach­tet eine Aus­nah­me, eine Art Ver­se­hen. Beet­ho­ven, van Gogh und Goe­the haben ihre Kunst nicht geschaf­fen, um damit irgend­wel­chen Unter­neh­mern zu Geld und Ruhm zu ver­hel­fen – im Fal­le von van Gogh hat es zu Leb­zei­ten nicht mal zu eige­nem Geld und Ruhm gereicht.

Natür­lich soll das im Umkehr­schluss nicht hei­ßen, dass alle Künst­ler hun­gern und ver­armt ster­ben sol­len. Selbst über die Fra­ge, ob ein Künst­ler wie Rob­bie Wil­liams einen 120-Mil­lio­nen-Euro-Ver­trag wert sein soll­te, lässt sich noch dis­ku­tie­ren – zumin­dest, wenn die Plat­ten­fir­ma durch die Ver­mark­tung von des­sen Musik ein Viel­fa­ches ein­nimmt. Ich glau­be aber, dass es eine irri­ge Idee ist, mit der Ver­mark­tung von Kunst auch noch jedes Jahr fet­te Ren­di­te erwirt­schaf­ten zu kön­nen. Thea­ter und Muse­en wer­den sub­ven­tio­niert, es gibt die Buch­preis­bin­dung und die Film­för­de­rung – was sagt uns das über die Wirt­schaft­lich­keit von Kul­tur, Stich­wort „Krea­tiv­wirt­schaft“?

Einer der Grund­sät­ze von Wirt­schaft ist die Sache mit Ange­bot und Nach­fra­ge. Was aber tun, wenn die Nach­fra­ge nach kos­ten­pflich­ti­ger Musik wirk­lich nach­lässt? Es wäre eine Mög­lich­keit, das Kon­zept „Songs gegen Koh­le“ zu beer­di­gen, aber das muss viel­leicht nicht mal sein. Eine neue Idee aber braucht es: Einer­seits wäre es wün­schens­wert, jun­gen Men­schen, die fünf Euro für einen Becher Kaf­fee mit Geschmack zah­len, klar zu machen, dass auch das Erdenken, Ein­spie­len, Pro­du­zie­ren und Ver­öf­fent­li­chen von Musik har­te Arbeit ist, ande­rer­seits erscheint es mir eini­ger­ma­ßen begreif­lich, dass kein nor­ma­ler Mensch 18 Euro für eine aktu­el­le CD zah­len will, wenn die­se vor ein paar Jah­ren noch 15 Euro gekos­tet hät­te. Ich mag CDs wirk­lich – ich mag es, das Book­let durch­zu­blät­tern und die Schei­be selbst in den Hän­den zu hal­ten -, aber die Dif­fe­renz von bis zu acht Euro zum lega­len Down­load lässt mich immer häu­fi­ger zum Down­load schwen­ken – zumal ich mir da die oft­mals erfolg­lo­se Suche bei „Saturn“ spa­ren und die Musik sofort hören kann.

Ich könn­te grund­sätz­lich wer­den, ein fehl­ge­lei­te­tes Wirt­schafts­sys­tem gei­ßeln und das Fass mit dem Grund­ein­kom­men auf­ma­chen. Das soll­te nicht aus den Augen gelas­sen wer­den, hilft aber im Moment auch nicht wei­ter. Im Moment droht 2000 Men­schen die Arbeits­lo­sig­keit, die selbst bei dem Ver­such, Künst­ler wie Lisa Bund oder Revol­ver­held an den Mann zu brin­gen, noch Enga­ge­ment zei­gen: die Ansprech­part­ner bei den Plat­ten­fir­men für Pres­se und Künst­ler, die schon in der Ver­gan­gen­heit so häu­fig wech­sel­ten wie sonst nur beim Speed Dating. Die ein­fa­chen Mit­ar­bei­ter, die bei Mee­tings auf Kaf­fee und Gebäck ver­zich­ten müs­sen, wäh­rend die Mana­ger in der Busi­ness Class um die Welt jet­ten und über­all zei­gen, wie wenig Ideen sie selbst noch haben. Und natür­lich geht es auch weni­ger um die Zukunft von Rob­bie Wil­liams und den Rol­ling Stones, als viel­mehr um die Chan­cen mög­li­cher Nach­wuchs­stars.

Dabei wird aber über­se­hen, dass der hoch­do­tier­te Major-Ver­trag, der lebens­lan­gen Reich­tum garan­tiert, längst schon Aus­nah­me statt Regel ist – vor allem aber ist er kein Muss mehr. Das Inter­net bie­tet so vie­le Mög­lich­kei­ten, Hörer (und damit poten­ti­el­le Käu­fer und Fans) zu fin­den, aber auch um die Ver­mark­tung selbst in die Hand zu neh­men. Zwar gehen Krea­ti­vi­tät und Mar­ke­ting- oder gar Finanz­ge­schick sel­ten Hand in Hand, aber das wird sich auch noch fin­den. Das nächs­te oder über­nächs­te „Inter­net­phä­no­men“ (und damit der Nach­fol­ger von den Arc­tic Mon­keys und Lily Allen) wird sei­ne Musik viel­leicht gar nicht mehr bei einer regu­lä­ren Plat­ten­fir­ma und auf CD her­aus­brin­gen.

Ich jeden­falls wür­de den Musi­kern, deren Werk ich schät­ze, mei­ne finan­zi­el­le Aner­ken­nung ger­ne direkt zukom­men las­sen. Ich war durch­aus noch bereit, mit dem Kauf einer Cold­play-CD zur Gegen­fi­nan­zie­rung klei­ne­rer Bands bei­zu­tra­gen. Aber ich habe wenig Bock, irgend­wel­chen geld­gei­len, men­schen- und kul­tur­ver­ach­ten­den hedge-fonds-Teil­ha­bern bei der Auf­bes­se­rung ihrer Ren­di­te zu hel­fen.

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Homegrown Terror

Es gibt ja eigent­lich kei­nen Grund, war­um Nena heu­te noch bekannt sein soll­te – also mal davon ab, dass sie mit unra­sier­ten Ach­seln im Fern­se­hen auf­trat und damit das Deutsch­land­bild vie­ler Bri­ten und Ame­ri­ka­ner nach­hal­ti­ger präg­te als so man­cher Bun­des­kanz­ler. Seit vie­len Jah­ren ver­öf­fent­licht Nena die immer­glei­chen Songs in immer neu­en Gewän­dern und schafft damit ver­mut­lich auch noch das, was sie damit errei­chen will: Gan­ze Gene­ra­tio­nen neu­er Nena-Fans zu erschlie­ßen.

Letz­te Woche erschien das neue Album von Nena. Es heißt „Cover Me“ und hät­te mich ver­mut­lich mein Leb­tag nicht inter­es­siert, wenn, ja wenn ich nicht gera­de bei iTu­nes dar­über gestol­pert wäre. Dank moder­ner Tech­nik kann man ja heut­zu­ta­ge in jedes Album zumin­dest rein­hö­ren und das habe ich dann auch getan.

Nach­dem ich den Tep­pich so gut es ging wie­der gerei­nigt und mir eine Win­ter­ja­cke ange­zo­gen hat­te (ich wer­de noch ein paar Tage lüf­ten müs­sen, bis der Gestank raus­geht), dach­te ich mir: Nein, damit möch­te ich nicht allein blei­ben. Und des­halb jetzt hier für Sie: Die „High­lights“ aus „Cover Me“, das – Sie hat­ten es bereits dem groß­ar­ti­gen Wort­spiel im Album­ti­tel ent­nom­men – ein Cover­al­bum ist.

Auf der ers­ten Sei­te ver­greift sich Nena „nur“ an deutsch­spra­chi­gen Songs: So erwischt es neben den ungleich kre­di­bi­le­ren Mit-Acht­zi­ger-Acts Ulla Meine­cke („Für dich tu ich fast alles“) und Ide­al („Eis­zeit“ )auch David Bowie („Hel­den“ aus dem „Chris­tia­ne F.“-Sound­track) und – bit­te fest­hal­ten und sehr, sehr tap­fer sein! – Deich­kind („Rem­mi­dem­mi“).

Wer bereits jetzt glaubt, alles Elend die­ser Welt gehört zu haben, hat gera­de mal den Fuß in der Höl­len­pfor­te, aus der auf der B‑Seite des Albums diver­se eng­li­sche Cover­ver­sio­nen strö­men wer­den. Mark Bol­an von T. Rex ist immer­hin schon tot, so dass ihn die Ver­si­on von „Child­ren Of The Revo­lu­ti­on“ allen­falls noch zum lei­sen Rotie­ren brin­gen soll­te – ande­re Musi­ker haben das Glück nicht: Bowie („Star­man“) sowie Bob Dylan und die Rol­ling Stones erwischt es gleich zwei Mal („It’s All Over Now Baby Blue“ und „Blo­win‘ In The Wind“ bzw. „The Last Time“ und „She’s Like A Rain­bow“), The Cure bekom­men die zwei­tau­sends­te Inter­pre­ta­ti­on von „Fri­day I’m In Love“ ange­hängt und bei Pink Floyd dürf­te man sich nach dem Kon­sum von „Us And Them“ wün­schen, es wären gleich alle Band­mit­glie­der dem Wahn­sinn anheim gefal­len.

Auch „jün­ge­re“ Acts wie Air („Sexy Boy“) und Moby („Slip­ping Away“) sind nicht sicher vor Nena und ihrem Haus-und-Hof-Pro­du­zen­ten und Ex-„Popstars“-Jurymitglied Uwe Fah­ren­krog-Peter­sen. Doch ihnen allen geht es noch gut, denn am schlimms­ten erwischt es mal wie­der die arme Joni Mit­chell. Wer geglaubt hat­te, wüs­ter als die Coun­ting Crows kön­ne nie­mand mehr die gro­ße alte Dame der Folk­mu­sik belei­di­gen, wird bei Nena eines bes­se­ren belehrt: Ihre Ver­si­on von „Big Yel­low Taxi“ ist seit vie­len Jah­ren, ja: Jahr­zehn­ten der ers­te Song, der Wil­liam Shat­ners „Lucy In The Sky With Dia­monds“ den Ruhm als schlech­tes­te Cover­ver­si­on aller Zei­ten strei­tig machen könn­te. Aber das ist ja auch schon mal eine erstaun­li­che Leis­tung.

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Listenpanik (5): I Killed The Zeitgeist

Wenn ich mir die bis­he­ri­gen Monats­bes­ten­lis­ten so anschaue, fällt mir auf, wie vie­le Sachen ich ger­ne noch ergän­zen wür­de. Auch wenn die logi­sche Reak­ti­on dar­auf wäre, die Akti­on ein­fach abzu­bla­sen, stür­ze ich mich trotz­dem mit Elan in die Ver­öf­fent­li­chun­gen des Monats Juli. Wie immer streng sub­jek­tiv und ohne den Hauch eines Anspruchs auf Voll­stän­dig­keit:

Alben (inkl. Amazon.de-Links)
1. Jus­ti­ce – †
Es müss­te schon mit dem Teu­fel (oder Gevat­ter Tod) zuge­hen, wenn es die­ses Jahr noch einen hei­ße­ren Act als Jus­ti­ce gäbe, the French elec­tro­nic duo who does what French elec­tro­nic duos should do. Natür­lich kommt man um die Ver­glei­che zu Daft Punk und Air kaum her­um, aber das sind ja bei­des Acts aus dem letz­ten Jahr­tau­send. Zuge­ge­ben: „†“ hät­te auch schon vor zehn Jah­ren erschei­nen kön­nen. Ist es aber nicht und genau des­halb sticht die­ses House-Album trotz Rave-Revi­val im Som­mer 2007 so aus der Mas­se her­aus. Viel­leicht wird uns das alles in einem Jahr schon wie­der egal sein, aber im Moment heißt’s erst mal: „Do the D.A.N.C.E. /​ 1, 2, 3, 4, fight“.

2. Toco­tro­nic – Kapi­tu­la­ti­on
Wer dach­te, dass Toco­tro­nic gar nicht mehr bes­ser wer­den könn­ten, als auf „Pure Ver­nunft darf nie­mals sie­gen“, muss zuge­ben, sich geirrt zu haben. Wenn jede Band nach 14 Jah­ren Band­ge­schich­te auf dem ach­ten Album so klän­ge, wüss­te man ja kaum noch, wohin mit all den guten Alben. Dirk von Lowtzow hat mit unge­fähr jedem Medi­um der Repu­blik spre­chen müs­sen, hat dabei unzäh­li­ge Male die Schön­heit des Wor­tes „Kapi­tu­la­ti­on“ erklärt, aber sobald die ers­ten Tak­te von „Mein Ruin“ erklin­gen, ist das alles egal. Wie schon vor zwei Jah­ren mit „Aber hier leben, nein dan­ke“ sind die Tocos auch in die­sem Jahr mit ihrem Auf­ruf zur „Kapi­tu­la­ti­on“ völ­lig gegen den Strich und genau das macht die­se Band so wert­voll.

3. Smas­hing Pump­kins – Zeit­geist
Jetzt sind sie also wie­der da, die Smas­hing Pump­kins. Oder bes­ser: Bil­ly Cor­gan und Jim­my Cham­ber­lin. Nach Cor­gans desas­trö­sem Solo­al­bum und ohne die Hälf­te der eigent­li­chen Band konn­te man ja fast nur noch mit dem schlimms­ten rech­nen, wes­we­gen schon ein knapp über­durch­schnitt­li­ches Album eine Sen­sa­ti­on gewe­sen wäre. „Zeit­geist“ ist aber noch bes­ser: Es ist nach „Sia­me­se Dream“ und „Ado­re“ mal wie­der ein pro­blem­los durch­hör­ba­res Pump­kins-Album und es ist die gro­ße „Look who’s back“-Geste. Klang­lich könn­te auf eini­gen Songs auch Zwan drauf­ste­hen und natür­lich sind die meis­ten Num­mern weit von „Today“, „Tonight, Tonight“ und „1979“ ent­fernt, aber es dürf­te kaum jemand erwar­tet haben, dass Cor­gan noch ein­mal zu sol­chen Groß­ta­ten in der Lage ist. Aber „Zeit­geist“ hat „Doomsday Clock“, „Blee­ding The Orchid“, „Starz“ und „United Sta­tes“ auf der Haben­sei­te, über alles ande­re dis­ku­tie­ren wir nach der Ver­öf­fent­li­chung von „Chi­ne­se Demo­cra­cy“.

4. The Elec­tric Soft Para­de – No Need To Be Down­he­ar­ted
Die Gebrü­der White aus Brigh­ton haben sich mal wie­der in ihrem ehe­ma­li­gen Kin­der­zim­mer ein­ge­schlos­sen und defi­nie­ren, wie Indiepop im Som­mer 2007 klingt: locker-flo­ckig, mit gele­gent­li­chen Aus­flü­gen ins Ver­schro­be­ne und Aus­ufern­de. Ein Ritt durch die letz­ten vier­zig Jah­re Musik­ge­schich­te und doch ein­deu­tig The Elec­tric Soft Para­de.

5. Spoon – Ga Ga Ga Ga Ga
Musik­jour­na­lis­mus für Anfän­ger: „Wer sein Album so nennt, muss ja schon ziem­lich gaga sein.“
Musik für Fort­ge­schrit­te­ne: Auf ihrem sechs­ten Album spie­len Spoon aus Aus­tin, Texas ihren dezent ver­schro­be­nen Indie­rock genau auf den Punkt. Zehn Songs in 36 Minu­ten, das ist fast wie Weezer, nur nicht ganz so ein­gän­gig: Bis Melo­dien hän­gen blei­ben, muss man „Ga Ga Ga Ga Ga“ schon eini­ge Male gehört haben, in Ver­zü­ckung ver­setzt einen die Musik aber von Anfang an. Wer sehn­süch­tigst aufs neue Eels-Album war­tet, kann Spoon so lan­ge als Ersatz hören – alle ande­ren natür­lich auch.

Sin­gles (inkl. iTu­nes-Links)
1. Smas­hing Pump­kins – Doomsday Clock
Bil­ly Cor­gan allein wird wis­sen, ob das jetzt eine (Download-)Single ist oder nicht, aber es ist auch egal: „Doomsday Clock“ ist genau der Ope­ner, auf den man sie­ben Jah­re gewar­tet hat. Jim­my Cham­ber­lin haut ein biss­chen auf den Fel­len rum, dann legen die Gitar­ren los und Bil­ly Cor­gan singt die Num­mer nach hau­se: „Plea­se don’t stop /​ It’s lonely at the top“. Der Mann weiß wovon er singt, er war schon mal ganz oben. Aber allei­ne war er eigent­lich über­all.

2. Black Rebel Motor­cy­cle Club – Ber­lin
Album über­se­hen, dann wenigs­tens die Sin­gle wür­di­gen: BRMC haben den Blues-Anteil nach „Howl“ wie­der zurück­ge­fah­ren, aber „Ber­lin“ klingt immer noch aus­rei­chend nach Ame­ri­ka, Wüs­ten­sand und Bär­ten. Wie das zum Titel pas­sen soll, ist wohl eine berech­tig­te Fra­ge, die ich aber ein­fach im Raum ste­hen las­sen möch­te, weil sie mir dort ide­al Schat­ten spen­det.

3. Her­bert Grö­ne­mey­er – Kopf hoch, tan­zen
Dass „Zwölf“ ein irgend­wie tol­les Album ist, hat­te ich ja schon mal ver­sucht aus­zu­drü­cken. Damals ver­gaß ich aber irgend­wie, die­sen Song her­vor­zu­he­ben. Das Sen­sa­tio­nel­le dar­an: 2007 klingt Grö­ne­mey­er für einen Song mehr nach den Acht­zi­gern, als er es in den meis­ten sei­ner Acht­zi­ger-Jah­re-Songs je getan hat. Dazu ein Text, der wie­der alles und nichts bedeu­ten kann, und ein wun­der­ba­res Video.

4. The Elec­tric Soft Para­de – Misun­derstan­ding
Die Sech­zi­ger Jah­re waren lan­ge vor­bei, als Alex und Tom White gebo­ren wur­den. Trotz­dem klingt „Misun­derstan­ding“ nach Beach Boys und Kinks – oder genau­er: so, wie die­se Bands heu­te klin­gen wür­den. Twang, twang, schun­kel, schun­kel!

5. Feist – 1234
Musik im Som­mer 2007 soll­te sowohl bei strah­len­dem Son­nen­schein, als auch bei tage­lan­gem Regen funk­tio­nie­ren. Voi­là: „1234“ von Feist eig­net sich da bes­tens zu. Indie­folk mit dezen­ten Coun­try-Ein­flüs­sen oder irgend­wie sowas, dazu die­se Stim­me. Das dazu­ge­hö­ri­ge Album hat­te ich übri­gens im April über­se­hen.

Außer Kon­kur­renz: The Rol­ling Stones – Paint It, Black
Nach „Should I Stay Or Should I Go“ (Jeans) und „Para­no­id“ (Tank­stel­le) jetzt der nächs­te Rock-Klas­si­ker, dem das Wer­be­fern­se­hen (Tele­fon­ge­döns) zu einem Come­back ver­hilft. Und nach dem Nep­tu­nes-Remix von „Sym­pa­thy For The Devil“ schon der zwei­te Kon­takt der Nuller Jugend mit der Band, die ihre Groß­vä­ter sein könn­ten. Aber der Song ist nun mal auch nach 41 Jah­ren noch der blan­ke Wahn­sinn.