Lukas ist ein bisschen erkältet und hat deshalb zum ersten Mal Husten gehört, die Indie-Supergroup von Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und Tobias Friedrich. Außerdem spielt er neue Songs von ARXX, Arlo Parks, Muff Potter und The National und ein Lieblingslied von Japandroids:
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Ich brauche traditionell immer ein bisschen länger, um meine Songs des Jahres zusammenzustellen, aber ich finde das besser, als das Jahr schon im November einpacken zu wollen; hier ist mein Blog mit meinen Regeln und außerdem ist ja noch Januar. Also: Hier sind – Stand jetzt – meine Lieblingslieder des Jahres 2022!
25. Death Cab For Cutie – Here To Forever
Ben Gibbards Lyrics sind ja mitunter so spezifisch, dass sie schon zum Meme taugen. Das muss natürlich nicht schlecht sein, im Gegenteil:
In every movie I watch from the ’50s
There’s only one thought that swirls
Around my head now
And that’s that everyone there on the screen
Yeah, everyone there on the screen
Well, they’re all dead now
Damit hat er einmal mehr einen Gedanken ausformuliert, den ich so oder so ähnlich selbst schon oft hatte. Und wenn Du dann am Tag nach dem Tod Deiner Großmutter im Wohnzimmer des Großelternhauses stehst, auf einem Regal die Fotos all der Großtanten und -onkel, dann knallen diese Zeilen noch mal ganz neu in die offene Wunde: Die sind jetzt alle tot. Das neue Death-Cab-Album „Asphalt Meadows“ hat mich irgendwie nicht so richtig abgeholt, aber dieser Song wird immer Teil meiner Geschichte sein.
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24. Nina Chuba – Wildberry Lillet
Ich bin jetzt in einem Alter, wo es zunehmend schwer wird, mit den jungen Leuten Schritt zu halten — vor allem, wenn man keinen Bock hat, sich chinesische Spionage-Software aufs Handy zu laden. Ich habe dieses Lied also erst relativ spät in einem prähistorischen Medium namens Musikfernsehen entdeckt, aber mir war sofort klar, warum das ein Hit ist: Diese Hook, die gekonnt auf der Grenze zwischen „eingängig“ und „nervig“ hüpft; diese Lyrics, die im klassischsten Sinne das durchspielen, was wir musical theater kids den „I Want“-Song nennen, und dabei sowohl im Dicke-Hose-Rap („Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel“) abschöpfen, als auch fast rührend kindlich („Will, dass alle meine Freunde bei mir wohnen in der Straße“) daherkommen; diese fröhlich-rumpelige Pippi-Langstrumpf-Haltung, mit der wieder mal eine neue Generation ihren Teil vom Kuchen einfordert — oder hier gleich die ganze Bäckerei („Ich hab’ Hunger, also nehm’ ich mir alles vom Buffet“). Und mittendrin eine Zeile, die man als immer jugendlichen Trotz lesen kann — oder als wahnsinnig traurigen Fatalismus: „Ich will nicht alt werden“. Wenn man den Song feuilletonistisch naserümpfend neben den „Fridays For Future“-Aktivismus legt, wird man feststellen, dass die Jugend (Nina Chuba ist da mit 24 gerade noch im richtigen Alter für den Song) ganz schön widersprüchlich sein kann: „We’re the young generation, and we’ve got something to say“ hatten die Monkees ja schon 1967 gesungen — und darüber hinaus nichts zu sagen gehabt, während zeitgleich mal wieder eine Zeitenwende ausbrach.
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23. Harry Styles – As It Was
Damit hätte jetzt auch niemand rechnen können, dass ausgerechnet „Take On Me“ von a-ha mal zu einem der prägendsten Einflüsse auf eine neue Generation Popmusik werden würde: Schon „Blinding Lights“ von The Weeknd war von der legendären Keyboard-Hook … sagen wir mal: „inspiriert“ und auch „As It Was“ kann eine gewisse Verwandtschaft nicht bestreiten. Aber erstens bitte nichts gegen a-ha und zweitens passiert hier in 2:47 Minuten (während die Kinofilme immer länger werden, werden die Popsongs immer kürzer — die Menschen haben ja auch nicht unendlich viel Zeit) so viel, dass man kaum hinterher kommt. Und über Harry Styles muss man ja eh nichts mehr sagen. ((Außer: Hat er jetzt eigentlich Chris Pine angespuckt?))
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22. The National feat. Bon Iver – Weird Goodbyes
„What your favorite sad dad band says about you“ titelte McSweeney’s im Januar 2022, dabei war der Witz da schon mindestens viereinhalb Jahre alt. The National und Bon Iver sind natürlich auf beiden Listen und wenn sie nicht gerade mit Taylor Swift Musik machen, machen sie die halt gemeinsam (dass Aaron Dessner von The National und Justin Vernon von Bon Iver auch noch gemeinsam bei Big Red Machine spielen, verwirrt an dieser Stelle zwar nur, ich muss es aber erwähnen, weil sonst meine Mitgliedschaft in der „Musikjournalisten-Nerds“-Unterabteilung des Bochumer „Sad Dad“-Clubs in Gefahr wäre). So wie bei diesem Song, der nicht Teil des neuen The-National-Albums sein wird, das inzwischen angekündigt wurde und „First Two Pages of Frankenstein“ (man ahnt eine etwas umständliche Referenz, die da irgendwo als Witz im Hintergrund lauert) heißt. Es ist trotzdem ein schöner Song! Und die Band verkauft inzwischen „Sad Dad“-Merchandise.
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21. Rae Morris – No Woman Is An Island
Rae Morris ist der erste und bisher einzige Act, der schon zwei Mal meine Liste der „Songs des Jahres“ angeführt hat: 2012 und 2018. Rechnerisch wäre sie also erst 2024 wieder dran, was ja auch gut sein kann. „No Woman Is An Island“ ist natürlich auch nicht schlecht, ich hab nur eben 20 Songs (von ca. 4.000 gehörten) gefunden, die ich 2022 besser fand als diese leicht theatralische (im Sinne von Bühnenaufführung, nicht im Sinne von übertrieben) Feminismus-Ballade.
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Die Alben hatten wir schon, kommen wir nun zu den Songs des Jahres 2018. Da ich neben meinen Hauptquellen für neue Musikentdeckungen, “All Songs Cosidered” und Radioeins, auch wieder auf die (meist sehr guter) “Das könnte Dir gefallen”-Funktion von Spotify und diverse Zufallsfunde gesetzt habe, ist es wieder eine eher eklektische Liste, bei der ich nicht zu jedem Lied sonderlich viel sagen könnte.
Auch ist es eigentlich eine absurde Idee, diese Songs irgendwie gewichten und sortieren zu wollen — eigentlich ist spätestens ab Position 10 die Reihenfolge ziemlich willkürlich, weswegen man die Liste auch wieder sehr schön im Shuffle-Modus hören kann.
Aber ich dachte mir: Nach fünfjähriger Babypause ist mein Sohn inzwischen so alt, dass er eigene Ranglisten erstellen könnte, ((Seine Nummer 1, vermutlich: entweder “Africa” von Weezer oder “Solo” von Clean Bandit und Demi Lovato, was übrigens auch mein “Peinlichstes Lieblingslied des Jahres” sein dürfte.)) und weil ich ja auch wieder beruflich viel mehr über Musik schreibe, nehme ich mir jetzt 25 Songs und erkläre die zu einer (wie immer nur 0,3 Millisekunden lang exakt gültigen) Hitparade.
Lukas, stop voting now!
25. Catch Fire – Petrifaction
Autoradio ist schwierig, weil es in NRW natürlich kaum hörbare Radiosender mit Musik gibt. Aber in weiten Teilen der Bochumer Innenstadt empfange ich halbwegs gut CT das radio, meinen Heimatsender, dem ich auf ewig verbunden sein werde. Und da lief dieser Song: Heulende Gitarrenlicks, hämmernde Drums, Geschrei und “Why does everything that I touch turn to stone?” — ich war sofort wieder 19, die dunkel getönten Haare fielen mir in Strähnen ins Gesicht und ich wollte an irgendeinem Fluss stehen und bedeutungsschwer aufs Wasser starren. Es gibt ihn noch, den guten Emo!
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24. The Fratellis – I’ve Been Blind
The Fratellis, waren das nicht diese Indie-One-Hit-Wonder zu einer Zeit, als ich noch in der Musikredaktion von CT das radio tätig war? Was wollen die denn 13 Jahre später wieder (und was haben sie in der Zwischenzeit gemacht)? Nun, warten wir bis zum Refrain, der “Knowing Me, Knowing Me” von ABBA in eine Mitgröhlhymne für Studentenkneipen, Freitagsmorgens um halb zwei, das letzte Bier in die Luft gereckt, transferiert. Wo war dieser Song, als ich jung war?
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23. Hozier feat. Mavis Staples – Nina Cried Power
Wie wirkt dieser Song wohl auf Menschen, die die ganzen Referenzen und das ganze name checking nicht verstehen? Nun: Die jungen Leute haben es millionenfach gestreamt und auf ihren Radiosendern gehört, also wohl ebenfalls gut. Aber wie soll man sich auch diesem Groove und dieser Hymne über Hymnen widersetzen? Extra-Respekt dafür, sich so durch diesen Song zu croonen und dann das Spotlight auf Mavis Staples zu richten, deren Stimme natürlich noch ungefähr zehn mal wirkmächtiger ist! (Übrigens der einzige Song, auf den Barack Obama und ich uns letztes Jahr einigen konnten.)
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22. George FitzGerald – Burns
Ich gebe zu, soeben zum ersten Mal gegoogelt zu haben, wer George FitzGerald eigentlich ist (wobei die Informationen da auch nicht üppig sind). Aber dieser hypnotisch pumpende Elektro-Song hat mich seit Mitte März durch das Jahr begleitet. Sind das alles Stimmen? Synthesizer? Egal! Vor meinem geistigen Auge fahren U-Bahnen durch nächtliche Großstädte und alles ist cool und aufregend.
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21. Brand New Friend – Seatbelts For Aeroplanes
You’re like a seatbelt on an airplane with me lately
You’re more for making me feel safe than for actual safety
And for every single moment that you made me feel amazing
There were several other times that I felt kinda hazy
But I know I was never your everything, but
I hope I was something, so come on
Das ist exakt die Musik, die ich in 2:42 Minuten von einer Truppe 19-bis-23-Jähriger hören möchte, die ein Demo aufgenommen hatten, das dann “versehentlich” zum offiziellen Album erklärt und für den Northern Ireland Music Prize nominiert wurde.
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20. Oh Pep! – Truths
Bronze bei meinen Alben des Jahres und ein Song, der dieses Album wunderbar zusammenfasst: melancholisch und zerbrechlich, aber auch druckvoll und mit hintergründigem Text.
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19. Ariana Grande – No Tears Left To Cry
Schon für sich genommen sind diese drei Songs, die sich hier irgendwie zu einem vereinigen, ja ein echtes Fest. Wenn man dann auch noch mitdenkt, dass hier eine Frau strahlenden Optimismus verbreitet, ein Jahr, nachdem nach Abschluss ihres Konzerts in Manchester bei einem Bombenanschlag 22 Menschen getötet und mehr als 500 verletzt wurden, jagt einem das schon eine ganz schöne Gänsehaut den Rücken runter. So muss man aus so einer Geschichte erst mal wieder rauskommen! One love!
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18. Childish Gambino – This Is America
“Welche Rolle spielt das Musikvideo noch im Jahr 2018, wo niemand mehr Musikfernsehen guckt und auch YouTube eher zur Hintergrundberieselung genutzt wird?” — “Nun, lassen Sie mich so antworten:
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Ein politisch-kulturelles Gesamtkunstwerk, das hermeneutisch in tausende Einzelteile zerlegt werden konnte, und bei dem man sich den Song, nachdem man das Video einmal gesehen hat, nicht mehr ohne vorstellen kann. Offene Münder, der Wahnsinn!
17. MILCK – Black Sheep
MILCK, alias Connie Lim, wurde 2017 berühmt mit “Quiet”, der inoffiziellen Hymne des “Women’s March”. “Black Sheep” könnte man entsprechend als inoffizielle Hymne der “It Gets Better”-Bewegung bezeichnen: eine Liebeserklärung an alle, die anders sind, ausgegrenzt werden und sich alleine fühlen. “Don’t let anyone turn your unique into flaws / Yeah, you know that I love you the way that you are”. Hach!
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16. Restorations – St.
Am Tag nach meiner Geburtstagsfeier ging ich, nachdem ich alles so weit aufgeräumt und gespült hatte, im strahlenden Sonnenschein dieses unendlichen Sommers spazieren und hörte bei “All Songs Considered” diesen Song. Ich habe dann noch ein paar Umwege genommen, um direkt das ganze (24-minütige) Album zu hören. Anschließend musste meine Musikkolumne im “JWD”-Magazin noch mal geändert werden, denn “LP5000” musste natürlich sofort mit ins Heft!
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15. Janelle Monáe – I Like That
A little crazy, little sexy, little cool
Little rough around the edges, but I keep it smooth
I’m always left of center and that’s right where I belong
I’m the random minor note you hear in major songs
Wer braucht noch Musikjournalismus bei dieser Selbstbeschreibung?
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14. Tocotronic – Unwiederbringlich
Zwei Wochen nach der Beerdigung meines Großvaters saß ich mit meinem Sohn in seinem sonnendurchfluteten Kinderzimmer und hörte zum ersten Mal das neue Tocotronic-Album “Die Unendlichkeit”. Nach einem langen Kammermusik-Intro sang Dirk von Lowtzow “Dein Tod war angekündigt / Das Leben ging dir aus / Unwiederbringlich / Schlich es aus dir hinaus”. Ich saß da, hörte, biss mir auf die Unterlippe und war unwiederbringlich an dieses Lied verloren. Was da lyrisch abgeht, ist intellektuell kaum zu fassen, das knallt direkt in die Magengrube!
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13. Paenda – Paper-Thin
Was haben die Österreicher eigentlich im Trinkwasser, dass sie uns jetzt – obwohl nur ein Zehntel der Einwohnerzahl Deutschlands – seit Jahren vormachen, wie Popmusik noch mal geht? Und damit meine ich nicht nur Wanda und Bilderbuch (und Falco, hohoho), sondern auch weitgehend unbekannte Juwele wie die Wienerin Gabriela Horn alias Paenda, die sich mit ihrem vielschichtigen Elektropop hier irgendwo zwischen Shura, Robyn und Sia einreiht.
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12. Mitski – Nobody
Bei manchen Liedern kann ich exakt erklären, warum ich sie liebe, bei anderen eher gar nicht. Aber vermutlich passt hier einfach alles exakt richtig zusammen: vom Text über die Instrumentierung und den Beat bis zur allgemeinen Anmutung, die dann im entscheidenden Moment mehr als nur einen Hauch an “Lovefool” von den Cardigans erinnert.
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11. Andrew McMahon In The Wilderness – House In The Trees
Es brauchte knapp 13 Sekunden. Andrew McMahon hatte noch gar nicht angefangen zu singen, da wusste ich schon, dass ich diesen Song lieben würde: Das Intro, das ein bisschen an „Sky High“ von Ben Folds Five erinnert, die The-War-On-Drugs-Gitarren — und dann dieser Text von Freundschaften, die irgendwann einfach nicht mehr die selben sind. Andrew McMahon hatte einmal mehr einen Song geschrieben, der direkt zu mir sprach — ja, mehr noch: der sich anfühlte, als hätte ich ihn schreiben können, wenn ich nur mehr Talent hätte und mir ein bisschen Mühe geben würde.
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10. Marteria & Casper – Champion Sound
Deutschsprachiger Hiphop ist für mich wirklich schwierig: entweder so stumpf, menschen- und frauenverachtend dumm und von allen guten Geistern verlassen wie die Rapper-Karikaturen Kollegah und Cillit Bang, oder so egal gealtert wie die Überlebenden der ersten Welle in den 1990er Jahren (Fanta Vier, Fettes Brot, Beginner). Aber es gibt ja noch Casper und Marteria: Als die “Champion Sound” vorlegten, dieses feiste Brett, das den “Wir sind die Coolsten”-Gestus mit so viel Witz, Liebe zum Detail und dickem Bläsersatz erträglich machte, dachte ich, dass sie mit ihrem gemeinsamen Album alles in den Schatten stellen würden. Ganz so übermäßig gut war “1982” dann leider doch nicht, aber dieser Song: meine deutschsprachige Nr. 1, wie ich schon jetzt verraten möchte.
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9. Metric – Now Or Never Now
Erinnert sich noch jemand an Briskeby, dieses norwegische Mini-One-Hit-Wonder, das vor … puh: 18 Jahren mal kurzzeitig als nächstes großes Ding gehandelt wurde? Nun, Metric klingen auf “Now Or Never Now”, als hätten sie der Band ein Denkmal setzen wollen — was ja nun echt absurd wäre, weil Metric ja nun wirklich genug eigenes Renommee mitbringen. Aber weil ich das Briskeby-Debüt damals mochte, hat mich dieser Song irgendwie schwer abgeholt. Und dass der Song in der Albumversion volle fünf Minuten braucht, bis er seine Hook (und Titelzeile) erreicht, macht ihn auch noch mal ein bisschen toller!
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8. The Go! Team – Semicircle Song
Bläser und Drumline, die noch fetter sind als bei Marteria & Casper, Gesang, bei dem man dreimal nachgucken muss, ob man da nicht gerade die Jackson 5 hört, und Menschen, die ihre Sternzeichen aufzählen — völlig normale Zutaten für einen Song, den man eigentlich nur lieben kann. Und da: ein Glockenspiel!
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7. Leoniden – Kids
“Again”, ist, wie gesagt, ein sehr, sehr Album. Und “Kids” ist der beste unter einer ganzen Reihe sehr guter Songs. Fuck it all, we killed it tonight!
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6. DJ Koze – Seeing Aliens
Die “Extended Breakthrough Listen”-Version dauert 8:17 Minuten und wird dabei an keiner Stelle langweilig. Irgendwo zwischen Burial und Underworld stapeln sich hier irgendwelche Sounds über einem treibenden Beat, der immer mal wieder ein- und ausgefadet wird, weswegen der ganze Track mehr nach einer Zug- oder Autofahrt klingt, bis sich dann der eigentliche Song hervorschält, der es schafft, gleichzeitig völlig frisch zu klingen und so, als würde man ihn bereits seit 25 Jahren kennen.
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5. Christine And The Queens – 5 Dollars
Definitiv Roséwave, definitiv queer, also definitiv ein Song nach meinem Geschmack!
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4. Meg Myers – Numb
Wenn man in einem Seminar erklären müsste, wie man einen Song aufbaut, empfehle ich “Numb”: vorsichtig reingrooven, langsam steigern, dann alle Tore öffnen und alles in einer finalen Refrain-Zeile kulminieren lassen, die das Festival-Publikum im Zweifelsfall auch bei 2 Promille noch mitbrüllen kann. Ach, für diesen Song müsste man das Bizarre-Festival wieder auferstehen lassen!
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3. Hayley Kiyoko – Curious
Sie wolle nur wissen, ob es was Ernstes sei, singt Hayley Kiyoko und ihr “If you let him touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya / The way I used to, used to, used to, used to, used to, used to” lässt ferne Erinnerungen an eine der dramatischsten Fragen der Popgeschichte wach werden: “Does it feel the same / When she calls your name?” (“The Winner Takes It All”, natürlich). Dass da eine Frau singt, der neue Partner der/des Besungenen aber ein Mann ist, verwirrt höchstens alternde Englischlehrer*innen, die bei diesem Musikvideo einen roten Kopf bekommen: It’s 20GAYTEEN, remember?
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2. Big Red Machine – Hymnostic
Wir unterbrechen diese Galerie junger Frauen kurz für zwei nicht mehr gaaaanz so junge Männer (37 und 42, oh, verdammt!): Justin Vernon (Bon Iver, Volcano Choir, The Shouting Matches, usw. usf.) und Aaron Dessner (The National) haben gemeinsam ein Album aufgenommen, das die Zeit bis zu den neuen Alben von Bon Iver und The National wunderbar überbrückt. Und das mit “Hymnostic” eine langsam vor sich hin gospelnde Single hat, die die Sonne in jeder noch so tiefen Nacht aufgehen lässt.
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1. Rae Morris – Do It
Was zu erwarten war: Im März hatte ich mich in “Do It” verliebt und seitdem nichts unversucht gelassen, den Song zum Sommerhit des Jahres 2018 zu pushen. Das hat auf offizieller Ebene nicht geklappt, aber mein Sohn singt begeistert den Refrain mit und was will man da noch mehr verlangen? Ein Song, ein Video, ein Album, wo nahezu alles stimmt und deshalb – die Statistiker unter Ihnen hatten schon aufgeregt in ihren Unterlagen gewühlt – gehen die Auszeichnungen für “Album des Jahres” und “Song des Jahres” erstmals seit zwölf Jahren (“Buchstaben über der Stadt” und “New York” von Tomte — und wer mich ein bisschen kennt, weiß, welche Fußstapfen das sind!) wieder an ein und denselben Act. Herzlichen Glückwunsch, Rae Morris!
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(Weiterer statistischer fun fact: Rae Morris ist damit der erste Act überhaupt in der 18-jährigen Geschichte meiner persönlichen Bestenlisten, der zum zweiten Mal den Titel “Song des Jahres” einfahren konnte. Wow!)
Und hier sind alle 60 Songs in einer praktischen Spotify-Playlist, die sehr, sehr gut ist:
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In Jahresendzeitstimmung schaut man ja gerne zurück auf das endende Jahr, resümiert und fertigt – wenn man derlei Neurosen pflegt – obskure Listen an. Auf eine Leserwahl haben wir nach dem Muse-Debakel im Vorjahr einfach mal verzichtet und Unheilig per Akklamation zu Ihrer Lieblingsband 2010 ernannt.
Doch die letzten Dezembertage ließen mich auch persönlich nachdenklich zurück: Was hatte ich eigentlich gehört und gut gefunden?
Meine last.fm-Charts waren einigermaßen wertlos: Aus verschiedenen Gründen tauchten Songs wie “Fireflies” (Owl City), “Baby” (Justin Bieber) oder “Catch Me I’m Falling” (Real Life, hätten Sie’s gewusst?) in meinen Jahres-Top-25 auf, was ich in erster Linie besorgniserregend fand. Außerdem waren alle Songs des Albums von The National dabei, was immerhin schon mal einen deutlichen Hinweis auf das Album des Jahres gibt, denn so unfassbar groß wie “High Violet” war 2010 tatsächlich nichts mehr.
Es ist nicht auszuschließen, dass ich das Beste wie üblich übersehen habe: Arcade Fire, Get Cape. Wear Cape. Fly, Eels, Sufjan Stevens — alles nicht oft genug gehört, weil mir der Sinn grad nach etwas Anderem stand. So habe ich ja auch “Only Revolutions” von Biffy Clyro erst im Oktober 2010 für mich entdeckt, es ist also denkbar, dass es auch im letzten Jahr wenigstens ein gutes Gitarrenrock-Album gab — wahrscheinlich ist es allerdings nicht, zu wenig ist in den vergangenen Jahren im Rocksegment passiert. Die Manic Street Preachers etwa haben mit “Postcards From A Young Man” ein durchaus sehr gutes Spätwerk rausgebracht, aber geknallt hat das jetzt auch nicht richtig. Und falls es spannende Neulinge gab, muss ich sie allesamt übersehen haben: The Hold Steady haben souverän gerockt, Jason Lytle hat mit seiner Post-Grandaddy-Band Admiral Radley schön verschrobenen Indierock gemacht, The Gaslight Anthem waren okay, Ende des Jahres kam mit “All Soul’s Day” ein ordentliches Lebenszeichen von The Ataris — aber, Entschuldigung: Wir sprechen vom Jahr 2010! Völlig okay, dass Ben Folds mit lyrischer Unterstützung von Nick Hornby endlich mal wieder ein richtig gutes Album gemacht hat, aber der Mann ist jetzt auch schon seit 17 Jahren dabei.
Immerhin haben nicht alle Bands so enttäuscht wie Wir Sind Helden, Shout Out Louds, Stereophonics oder – richtig schlecht – Jimmy Eat World und Danko Jones. Weezer haben angeblich schon wieder mindestens ein Album veröffentlicht. Die meisten meiner Lieblingsbands hatten sich eh eine Auszeit genommen und ihre Sänger solo vorgeschickt: Alles überragte dabei Jónsi von Sigur Rós, dessen “Go” zu den besten Alben des Jahres gehört. Jakob Dylan war schon zum zweiten Mal ohne Wallflowers unterwegs, hat die Band aber immer noch nicht aufgelöst. Dabei ist das düster-folkige “Women & Country” eigentlich besser als alles, was er vorher gemacht hat. Fran Healy (Travis) und Brandon Flowers (The Killers) ließen erst Therapiesitzungen erwarten, klangen dann aber gar nicht mehr so anders als ihre Bands — eben gut, aber auch nicht mehr so richtig spannend. Carl Barât gehört auch irgendwie in diese Aufzählung, obwohl er die Dirty Pretty Things ja längst aufgelöst hat und es die Libertines wieder gibt. Kele (Bloc Party) und Paul Smith (Maxïmo Park) hab ich verpasst. Und dieses Jahr veröffentlicht dann Thees Uhlmann (Tomte) sein Solo-Debüt …
In Sachen Hip-Hop ging auch nicht mehr so richtig viel: Kid Cudi blieb mit seinem Zweitwerk hinter den Erwartungen zurück, Kanye West hat ein irres Gesamtkunstwerk rausgebracht, das mit dem Album eines Einzelinterpreten wenig gemein hat und sich mir womöglich erst in ein, zwei Jahrhunderten erschließen wird. Eminem war durchaus kraftvoll wieder da, kriegte den meisten Airplay aber für ein Duett mit der langsam unvermeidlichen Rihanna. Aus Großbritannien kam immerhin Professor Green mit einem dreckig-bunten Grime-Strauß.
Im Pop gab es (neben Lady Gaga) vor allem zwei Themen: Das große Comeback von Take That als Quintett und Lena. Mit Hilfe von Stuart Price (s.a. Scissor Sisters) nahm die einstige Vorzeige-Boygroup (Huch, aus welchem Paralleluniversum kam denn diese Klischee-Formulierung?) ein erstaunlich elektronisches Album auf — “reif” hatte die Band seit ihrem Comeback 2006 ja die ganze Zeit geklungen. Die zu “Progress” gehörende Dokumentation “Look Back, Don’t Stare” zeigt die Fünf dann auch als weise ältere Herren, die ihre Dämonen langsam aber sicher alle bekämpft haben und jedem Mann Mitte/Ende Zwanzig Mut machen, in zehn bis fünfzehn Jahren so gut auszusehen wie nie zuvor. Oder man zeugt wenigstens eine Tochter wie Lena Meyer-Landrut, die exakt fünf Takte brauchte, bis sich erst alle Zuschauer von “Unser Star für Oslo” und dann 85% der deutschen Bevölkerung in sie verliebten. Natürlich war der Triumph beim Eurovision Song Contest eine mittelschwere Sensation und auch für mich persönlich ein Erlebnis, aber das Album “My Cassette Player” war leider trotzdem eine ziemliche Enttäuschung. Textlich schwer rührend, aber auch völlig seelenlos produziert, ragt das von Ellie Goulding geschriebene “Not Following” hervor, der Rest ist nett, aber belanglos.
Was kam sonst aus Deutschland? Tocotronic, die mich etwas ratlos zurückließen, Erdmöbel mit dem besten deutschsprachigen Album seit Jahren, Die Fantastischen Vier, die sich irgendwo zwischen “Bild”-Interview (in Morgenmänteln im Bett!) und Werbedeals vollends der Bedeutungslosigkeit hingaben, während Fettes Brot ihr vorläufiges Ende verkündeten. Und dann halt so Leute, die man persönlich kennt wie Tommy Finke, Enno Bunger oder die phantasischen Polyana Felbel.
Auf vier bis acht großartige Alben folgt eine ganze Menge Mittelmaß und die Gewissheit, dass ich vieles sicher noch überhört habe. Dafür haben mich die Alben, die ich dann tatsächlich gehört habe, zu sehr aufgehalten: The National, Erdmöbel, Delphic, Jónsi, Jakob Dylan und die Vorjahresübersehungen Biffy Clyro und Mumford & Sons. Die Liste meiner Lieblingssongs wird irgendwo hinter Platz 8 recht schnell beliebig, hat aber immerhin einen richtigen Kracher auf der Eins: “Tokyo” von The Wombats, mit denen ich ehrlich gesagt am allerwenigsten gerechnet hätte.
In den Charts dominierten erst die Fußballhymnen (das vom Kommerz zerstörte “Wavin’ Flag” von K’naan und das nur nervige “Waka Waka” von Shakira), ehe sich das Land zum Jahresende zwei wahnsinnig unwahrscheinliche Nummer-Eins-Hits gönnte: Eine 17 Jahre alte Kreuzung zweier Evergreens auf der Ukulele, gesungen vom schwergewichtigen und zwischenzeitlich verstorbenen Israel Kamakawiwo’ole und ein aus dem Werbefernsehen bekannter, ursprünglich nicht als Single angedachter Song von Empire Of The Sun, die anderthalb Jahre zuvor erfolglos versucht hatten, mit einem sehr viel eingängigeren Song über das Werbefernsehen erfolgreich zu sein. In den Albumcharts durfte sowieso jeder mal ran und wenn gerade kein großer Name (Peter Maffay, AC/DC, Iron Maiden, Joe Cocker, Depeche Mode, Bruce Springsteen) sein neues Album rausgehauen hatte, schossen wie selbstverständlich Unheilig wieder an die Spitze der Hitparade.
In der zweiten Folge unseres Jahresrückblicks sprechen Herr Finke, Herr Redelings und ich über Musik, Fußball und Politik, sowie über andere Katastrophen:
Nachdem ich in den vergangenen Jahren die besten Alben (Bon Iver, The Gaslight Anthem; Mumford & Sons, Emmy The Great, Biffy Clyro) jeweils erst nach Silvester entdeckt habe, dachte ich mir, dass es dieses Jahr anders werden muss: Ich bitte also jetzt schon um Hinweise, was ich eventuell übersehen haben könnte.
Bisher ganz oben auf meiner Shortlist für die besten Alben 2010 stehen:
DONNERSTAG
Großzügigerweise habe ich mich als Fahrer angeboten und nehme meinen Teil der Reisegruppe Haldern 2010 vom Bahnhof Bochum aus mit.
Während Rosa und Marie beide vorne Platz nehmen, nehme auch ich vorne Platz. Die Vorzüge eines Bandautos: 3 Sitze in der ersten Reihe. Marie hat ein iPad eingepackt, ich muss darüber ein wenig lachen, bin aber eigentlich neidisch. Ihr Ziel beim Haldern ist medientechnischer Natur: Sie hat einen der begehrten Fotopässe. Mit Rosa war ich 2008 schon mal auf dem Haldern. Und ich freue mich, dass sie diesmal wieder dabei ist! Die Fähigkeit, sich über Tage fast ausschließlich von Rotwein und Musik zu ernähren, macht Rosa zu einer perfekten Fetivalbesucherin. Und zu einem medizinischen Wunder.
Unser Zeltplatz ist, einmal angekommen, leicht abschüssig, dafür haben wir aber in alle Richtungen nette Nachbarn. Wir verzweifeln an Maries Zelt, aber der Hinweis, man könne zumindest mal versuchen, alle Stangen mit der gleichen Nummer ineinander zu stecken, ist ausschlaggebend. Inzwischen ist auch Christoph mit Sophie angereist.
Ich spiele den Realisten und öffne das erste Dosenbier. Das ist hier schließlich kein Kindergeburtstag und wir haben schon deutlich nach 16 Uhr. Alle wollen wir zwar Seabear im Spiegelzelt sehen, aber die Schlange ist schon um 18 Uhr so lang, dass wir uns entschließen, nochmal kurz zurück zum Zeltplatz zu gehen und, nunja, vorzuglühen. Ich stolpere an Foto-Gerrit vorbei, meine einzige feste Haldern-Freundschaft. Gerrit ist berühmt geworden mit einer Ausstellung über die Fotos der Schuhe der Stars: “Dancing Shoes”.
Gerrit macht den Vorschlag, mich am nächsten Tag zu fotografieren, aber wie jedes Jahr kriegen wir es überhaupt nicht hin, uns zu einer festen Uhrzeit irgendwo zu treffen, obwohl wir uns die nächsten 3 Tage immer wieder begegnen. Ganz so schlimm ist das dann aber doch nicht nicht, Gerrit hatte in Zusammenhang mit der Fotosession das Wort “nackt” gebraucht. Ich hoffe, das liegt an seinem letzten großartigen Projekt, ein Herz geformt aus nackten Festivalbesuchern beim Melt.
Wir anderen gehen zurück zum Zeltplatz, den wir für heute dann nicht mehr verlassen, denn auch später berichten unsere Spione von undurchdringlichen Menschenmassen an und ums Spiegelzelt. Uns ist das egal, die Christophsche Einkaufswut beschert uns Grillgut und Gin-Tonic. Zusätzlich ist Nacht der Sternschnuppen und so gucken wir alle stundenlang in den Himmel. Irgendwelche leicht zu begeisternden Leute rufen bei jeder Sternschnuppe “Oh!” und “Ah!”, wir bleiben still, weil wir das nicht für Feuerwerk halten, sondern für etwas Größeres. Ich bin gerührt, weil ich jede Sternschnuppe zweimal sehe.
Aus einem nahen Zelt dringt ein schwäbelndes Stöhnen. Das Prinzip “Wenn ich sie nicht sehe, dann hören sie mich auch nicht”, hat wieder nicht funktioniert.
FREITAG
Am nächsten Morgen habe ich einen Geschmack im Mund, der Tote umbringen könnte. Ich nehme mir vor, diesen Abend dringend die Zähne zu putzen, bevor ich ins Zelt steige. Marie ist schon wach und macht Kaffee.
Heute ist der Tag, an dem wir mindestens Delphic und Mumford & Sons sehen müssen. Außerdem gibt es auf dem Programm heute ein Fragezeichen und es ging das Gerücht rum, dass es sich um Belle & Sebastian handeln könnte. Aber nein, es kommt anders, und zwar in Form von: Philipp Poisel. Die Leute: nicht begeistert. Was für ein unangemessener Ersatz für die gedanklich schon gebuchten Belle & Sebastian. Da hätte ja gleich ich spielen können. Selbstreflexion, meine Damen und Herren.
Ein paar hundert Meter weiter hatte ich gestern schon Teile der Fog Joggers und Oh, Napoleon getroffen. Ja, meine Damen und Herren, hier campen die kleinen Künstler noch selbst. Ich beschließe, nochmal rüberzugehen und hallo zu sagen. Sophie schließt sich mir an, da auch sie dort jemanden (“Frederik!!!”) kennt. Jan von den Fog Joggers hat mein Album dabei, er mag es. Dass ich die Fog Joggers EP so richtig großartig finde, behalte ich für mich, damit es ihm nicht zu Kopf steigt. Sophie hat inzwischen Frederik am Rande der Joggers-Gruppe ausfindig gemacht. Er liegt auf dem Boden mit einem T-Shirt über seinem Kopf, verkatert und apathisch. Einmal aufgewacht, stellt er sich als sympathischer Kerl heraus, lacht über wirklich jeden meiner bekanntermaßen schlechten Witze. Ich überlege, ihn zu adoptieren oder zumindest anzustellen.
Sophies Freundin Lisa reist auch noch an und hat ein Sagrotan-Arsenal eingepackt, das manche Klofrau neidisch machen dürfte. Dass Sie Ihren Hund Treu nicht mitnehmen durfte, findet sie doof. Außerdem wirkt sie augenscheinlich etwas irritiert, wie die Leute hier so leben. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Es ist, mit 28 Jahren, ihr allererstes Festival.
Die arme Lisa! Wir beschließen, Ihr alles wichtige über das Haldern Pop beizubringen und gehen zusammen zum berühmten See zum Schwimmen. Ich selbst war da zwar bisher auch noch nie drin, ist aber auch erst mein viertes Haldern. Dass jedoch Christoph nach knapp 10 Jahren Haldern noch nie in dem See schwimmen war, finde ich bemerkenswert. Immerhin ist der See umsonst, die Duschen kosten Geld. Sie verstehen? Eben.
Björn und Frederik schwimmen nicht nur, sie haben auch Bier mitgebracht. Für Im-See-trinken. Ich habe aus Fuß-Aufschlitzungsangst meine Gummistiefel an. Beim Schwimmen. Zur Badehose sieht das scheiße aus, aber das hier ist ja kein Modewettbewerb.
Wir machen uns den Spaß und gucken uns Philipp Poisel an. Nun ja. Das Fragezeichen bleibt eines. Mir fällt auf, dass der Keyboarder, der übrigens schwäbelt, nicht richtig zu hören ist. Schade. Ich bin da etwas altmodisch: Ich mag meine Instrumente hörbar. Ansonsten schwankt der Auftritt irgendwo zwischen Xavier Naidoo und Madsen. Zumindest nicht meine bevorzugten musikalischen Eckpunkte.
Während Philipp noch vor sich hin poiselt, besuchen wir das Spiegelzelt, und irgendwie passiert das Unglück: Die Zeit ist zu schnell vergangen! Als wir auf die Uhr sehen und zur Hauptbühne hechten, spielen Delphic gerade ihr letztes Lied. Ich beiße mir in den Arsch, denn was ich sehe und höre ist die großartigste Indie-Electro-Explosion seit Langem. Da könnt Ihr Euch mal alle umgucken, Ihr Zoot Women. Ich bin trotzdem hin und weg, das hat mir wirklich gut gefallen. Delphic. Scheiß Name, geiler Sound.
Diesmal sind wir schlauer und bleiben an der Hauptbühne. Denn es folgt die Band der Stunde: Mumford & Sons, liebevoll in Manfred & Söhne umgetitelt von … nunja. Muss ich zur Band noch was sagen? Ich mag die wechselnden Instrumente, von der Seite sehe ich nicht genau, wer wann singt. Später sagt man mir, der Sänger hätte auch getrommelt. Ich muss an Phil Collins denken, erschieße mich aber innerlich dafür. Was für eine Band! Diese folkige Melancholie, diese holzige Euphorie. Gänsehaut, Tränen in meinen Augen. Und zack: vorbei.
Als Beirut folgen versuche ich, einen akustischen Filter in meinem Kopf zu formen, der aus Beirut wieder Mumford & Sons macht. Gelingt mir nicht, aber Beirut sind auch klasse. Vielleicht etwas undankbar, die armen hinter dieser Kracherband auf die Bühne zu schicken.
Aber abgesehen davon: ein wirklich ausgelassener Freitag auf dem Haldern Pop. Für mich persönlich noch von der Tatsache veredelt, dass ich auf dem Boden 20 “Poptaler” finde, die Halderner Währung für die Getränke. Wenn man den Pfand für sich selbst abzieht (und den scheiß Becher nicht verliert), kann man gut und gerne 9 Bier dafür eintauschen. Hurra.
SAMSTAG
Diesmal gehen wir eher auf das Gelände, weil wir gerne Portugal. The Man sehen möchten. Schaffen wir sogar. Tolle Band, sind an diesem Tag aber sehr Riff-lastig. Ich selbst hasse ja Riffs, weil ich so ein schlechter Gitarrist bin und mir beim zuhören immer die Noten in den Kopf fliegen und mich daran erinnern, dass ich üben sollte. Mach ich vielleicht mal. Der Auftritt macht auf jeden Fall Spaß und Sophie hat Seifenblasenzeugs dabei, welches wir einsetzen. Und – oh naturbelassenes Haldern Pop – eine majestätische Libelle lässt sich neben der Bassbox nieder, während ein Security-Mitarbeiter die Unterseite seiner Arme in die Sonne hält. Nicht aus Freude am Bräunen, sondern aus gesundheitlichen Gründen: Die Oberseite sieht schon genießbar aus. Möglicherweise hat der Geruch die Libelle angelockt.
Sophie und ich schaffen bei Everything Everything im Spiegelzelt wieder nur das letzte Lied. Aber auch diese Band schafft es, mich mit dem letzten Lied komplett zu überzeugen. Das Delphic-Phänomen. Scheiß Name, geile Band. Ich ärgere mich, dass ich nie das letzte Lied von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gesehen habe.
Irgendwann dann The Low Anthem im Spiegelzelt. Ich habe inzwischen einen toten Punkt erreicht und finde, dass die Band klingt wie das Simon & Garfunkel Album, das ich manchmal im Auto höre. Ich schlafe im Stehen ein. Das wirkt repektlos, soll aber die Band nicht schmälern. Countryesquer Folk. Oder sowas. Naja, ich brauche frische Luft und hänge draußen rum. Hier und da wieder bekannte Gesichter: Sven, ein Fotograf aus Bochum, Gerrit natürlich (“Tommy, später aber Fotos, ne?”), Manuel von den Wedges. Ein bisschen wie ein kleines Dorf. Hier sollte man keine Dummheiten machen, da weiß jeder gleich Bescheid. Und dann tuscheln die Nachbarn.
Efterklang werden mir als Sigur-Rós-Verschnitt schmackhaft gemacht, enttäuschen aber in dieser Hinsicht gewaltig. Das ist das Problem mit großer Erwartungshaltung: Mit dieser Band werde ich heute nicht mehr warm. Ich nutze meine letzten Fund-Poptaler und gebe eine Runde. Christoph hat von seiner Oma 50 Euro Taschengeld mitbekommen!!! Obwohl das einen tiefen Eingriff in die adulte Selbstversorgungspflicht darstellt. Er weiß um seinen Stellenwert als Gruppenbetreuer und kauft davon Poptaler. Als ihm klar wird, dass er davon weder Essen noch sonstwas, sondern nur Bier und Wein kaufen kann, ist es bereits zu spät. Der Poptaler ist wie das Spielgeld in Disneyland, er regt zum Konsum an.
Und dann endlich irgendwann: The National. Erst denke ich, dass da irgendwas Interpol-ähnliches auf mich zukommt, aber schnell wird klar, dass diese Band komplexer ist. Irgendwie muss ich zwar die ganze Zeit an Depeche Mode denken, woran der Gesang seinen Anteil hat, aber das würde der ganzen Sache nicht gerecht. Denn The National klingen tatsächlich sehr eigen und interessant, rocken außerdem wie Hölle und haben eine unglaublich stimmungsvolle Lightshow. Marie regt sich später darüber auf, weil ihr das natürlich die besten Fotos versaut: Immer irgendein scheiß Licht in der Kameralinse. Mir ist das egal, ich muss ja nur gucken und glotzen. Wahrscheinlich starre ich inzwischen schon, wenn ich trinke werde ich immer zum Starrer, da ich vergesse zu blinzeln. Bei dieser Band sollte man die Augen sowie so nicht schließen, nicht mal für eine Nanosekunde.
Inzwischen sind die letzten Poptaler bestimmungsgemäß verbraucht und eine gewisse Festivalmelancholie macht sich breit: Wir haben die letzte Band auf der Hauptbühne gesehen. Jetzt ins Spiegelzelt? Undenkbar. Der harte Kern unserer Reisegruppe, Christoph, Rosa, Sophie, Marie und ich, geht zum Zeltplatz und lässt den Abend gebührend ausklingen: Wir singen 90er Jahre Plastikpophits von East 17 und Take That. Weil wir uns nämlich nicht zu fein sind, zu erkennen, dass das in der Retrospektive auch schöne Musik sein kann. Und dann packt Sophie ihr Handy aus und spielt die Musik ab, die mich danach nicht mehr losgelassen hat, massiver als eine der Bands von den Bühnen: Oh, Napoleon. Ironie des Schicksals. Vor zwei Tagen noch am Zeltplatz gesehen und trotzdem vorher gar nicht reingehört. Man sagt ja oft “Die Band kenn’ ich!” und meint “…vom Namen.” Ich auf jeden Fall: begeistert und verstört, weil die doch noch so jung sind und die Sängerin da Sachen raushaut wie ein alter Hase
Der nächste Morgen bringt den ersten grauen Tag. Ist aber auch egal, weil wir jetzt packen und heimwärts fahren. Ich denke darüber nach, den herausragenden Sonnenschein der Halderner Tage als gutes Omen zu deuten, dann fällt mir aber ein, dass ich an so einen Hokus Pokus nicht glaube. Manchmal, ganz selten, stimmen eben alle umgebenden Faktoren so überein, dass für ein paar Tage alles perfekt ist.
Tommy Finke ist 29 Jahre alt, Musiker und lebt in Bochum. Im Februar ist sein Album “Poet der Affen / Poet of the Apes” erschienen.
Für Coffee And TV hat er das Haldern Pop 2010 besucht und seine Eindrücke von Zeltplatz, See und Festival aufgeschrieben. Die Namen der Mitreisenden wurden dafür geändert.
“That will literally blow your mind” sagte Fyfe Dangerfield während seines Auftritts im Spiegelzelt am Donnerstag, als er sich an sein Keyboard setzte. Wie viel Wahrheit in diesem Satz vor allem im Bezug auf die Erlebnisse des Festivalwochenendes stecken würde, konnte ich noch gar nicht ahnen.
Seit 2001 in regelmäßigen Abständen beim Haldern Pop Festival gewesen gab es in jedem Lineup mindestens vier Bands, die ich unbedingt sehen wollte, doch in diesem Jahr war es anders: Ich kannte vielleicht 50% der gebuchten Acts, lediglich zwei standen auf meiner “unbedingt angucken!”-Liste. Trotzdem kein Grund, nicht hinzufahren – in Haldern stimmt eben das Gesamtpaket, selbst wenn das Wetter schlecht ist. Und am Ende hat man einige neue Bands auf seiner Favoritenliste, die da vorher nicht gestanden haben. Dies war auch in diesem Jahr so.
Band Of Horses – Infinite Arms
Bei “All Songs Considered” sprechen sie längst nur noch von “bärtiger Musik”, wenn bärtige junge Männer auf ihre Gitarren eindreschen und mehrstimmig melancholische Songs schmettern. Band Of Horses halten diese Grundregeln auch auf ihrem dritten Album ein, was sich aber bedeutend langweiliger liest, als es sich anhört. Musikalisch irgendwo zwischen Nada Surf, Built To Spill und Fleet Foxes wird eher geschwelgt als gerockt: Weitgehend sehr entspannt pendelt “Infinite Arms” zwischen Entspanntheit und Melancholie und wäre damit tendenziell eher ein Herbst-Album, aber gute Musik ist jahreszeitlos schön.
Anspieltipps: “Factory”, “On My Way Back Home”, “Evening Kitchen”, “Bartles + James”. (LH, Rezensionsexemplar)
Beach Fossils – Beach Fossils
Beach Fossils klingen wie vor vierzig Jahren oder wahlweise eben auch wie Real Estate, die Produktion ist rauschig und vermumpft, und so richtig Drive ist da auch nicht drin. Und trotzdem sind sie großartig. Andauernd muss ich sie hören, was vielleicht etwas weniger mit der Musik zu tun hat als viel mehr mit einem in mir lange verloren geglaubten Entspannungsgefühl beim Hören lahmer, halbpsychedelischer Trend-Indiemusik zusammen hängt. So ein Meta-Moment, in dem mir relativ wurscht wird, ob das, was ich höre, hochgradig innovativ ist oder nicht. Ein bisschen wie Velvet Underground auch und Joy Division, falls Sie da Referenzen brauchen.
Anspieltipps: “Daydream”, “Window View”, “Wide Awake”. (MS)
The Black Keys – Brother
Man bräuchte ein Beamgerät. Das denke ich so oft. Einfach rein und zack! ist man am gewünschten Ort und muss nicht der Bahn das Geld in den Rachen werfen. Diese Institution transportiert eh nur noch Millionäre, dieser Tage. Leider gibt es noch kein Beamgerät, aber das neue Album der Gebrüder Black Keys ist ein kleiner Versuch.
Wenn man auf Play drückt, ertönt ein bluesiger Gitarrensound aus den 70ern und beamt sich dann mal schnell ins Zeitalter des Garagenrock um dann weiter zu hüpfen ins Jetzt. Sie nehmen aus den Jahren des Rock einfach das Beste mit.
“Brothers”, das sechste Werk mit dem super Cover, das nur den Titel trägt: “This is an album by The Black Keys. The name of the album is Brothers.”, ist vielleicht das smootheste bis jetzt. Dan Auerbach und Patrick Carney liefern ab.
Sie haben den dreckigen Sound ihrer Vorgängeralben mit ein wenig funky Smooth gekoppelt, “Sinister Kid” drischt und macht lust auf Tanzen bis man nicht mehr kann. Bei “Tighten Up” haben die beiden sich Danger Mouse ins Studio gebeamt und meinen unglaublich langwierigsten Ohrwurm erschaffen (auch das Video dazu ist nur zu Empfehlen).
Oder man beamt sich ein wenig in ein Zeitkontinuum, in dem man die Zeit mal vergisst und einfach diese super Platte genießt.
Highlights: “Tighten Up”, “Sinister Kid”. (AK)
The Divine Comedy – Bang Goes The Knighthood
Ich bin ein wenig in Sorge, dass ich schon sehr bald nur noch neue Alben von Bands kaufen werde, die ich sowieso schon kenne und schätze, dass ich diese Alben ein paar Mal hören und dann sagen werde: “Ja, schön, aber die hatten auch schon bessere …” Nun ja, wer ein Divine-Comedy-Album kauft, weiß, was ihn erwartet und genau das bekommt er auch: Luftigen Pop mit eher barocker Instrumentierung, intelligente Texte und viel britischen Stil — also ein bisschen wie die Pet Shop Boys in analog. Neil Hannon macht also ungefähr da weiter, wo er vor vier Jahren auf “Victory For The Comic Muse” aufgehört hat (kulminierend im großen Selbstzitat “The Lost Art Of Conversation”), und das ist ja nicht das Schlechteste. Die richtig herausragenden Songs fehlen bis auf die Single “At The Indie Disco” ein wenig, dafür ist der Opener “Down In The Street Below” so laid back wie kaum etwas seit der “Regeneration”.
Anspieltipps: “Down In The Street Below”, “At The Indie Disco”, “When A Man Cries”, “I Like”. (LH)
Foals – Total Life Forever
Dass ich mal was über Mathe schreiben würde. Aber die Herren Foals aus dem Vereinigen Königreich haben mit ihrer neuen Platte “Total Life Forever” und ihrem Math-Rock einfach mitten in mein derzeitiges Elektro-Rock-Herz getroffen. Seit zwei Wochen lauf ich jetzt schon mit der Platte durch die Straßen und grinse in mich rein, wenn ich von den Beats im Ohr angefeuert werde.
Bei “Spanish Sahara” halte ich dann inne, weil ich jedes mal sowas von überrumpelt werde, wenn bei 4:12 ein Sound einsetzt, der wie Sommerregen und Wunderkerzen klingt. Jedesmal bleib ich stehen oder schließe die Augen und lass dieses Lied über mich regnen. Das Konzept geht auf, wahnsinnig genial komponierte Melodien gepaart mit einem super Schlagzeug und der Stimme von Sänger Yannis Philippakis erzeugen einfach eine perfekte Gänsehaut.
Es ist diese Mischung aus futuristischer Weltanschauung und trotzdem an alten Dingen festhalten. Das Album passt als Gesamtwerk wunderbar zusammen. Die Songs nehmen sich nichts weg, sondern zeigen verschiedenen Persepektiven und werfen neues Licht auf die Welt. Schöne Welt da, bei den Foals.
Anspieltipps: “Black Gold”, “Spanish Sahara”, “Alabaster”. (AK)
Gisbert zu Knyphausen – Hurra! Hurra! So nicht
Menschen kommen und gehen und die wenigsten bleiben. Die meisten gehen wieder und die allerwenigsten lassen etwas zurück. Mit Herrn zu Knyphausen war das ähnlich. Ihn brachte mir jemand mit, der dann wieder ging, und er war einer der wenigen, die gingen und etwas da ließen, und so denk ich immer auch ein wenig an ihn, wenn ich Gisbert höre.
Wenn wir jetzt in die neue Platte reinspringen, dann merkt man, dass Herr Knyphausen ein wenig verschmitzer geworden ist (“Es ist still auf dem Parkplatz Krachgarten”). Ähnlich wie Damien Rice, der einmal in einem Interview sagte, er würde nicht ewig nur traurige Lieder schreiben können, weil er gar nicht so melancholisch ist. Und so geht es mir mit Gisberts zweitem großen Album “Hurra! Hurra! So nicht”. Natürlich sind die Töne nachdenklich und beschreiben diese Gefühlsnostalgie und Momente, aber es schwingt jetzt auch Optimismus in den Liedern mit. Auch das typische Knyphausen-jajajaja ist dabei und das Talent, die irrwitzigen Momente des Lebens ins Bilder umzubasteln.
Es ist jetzt nicht mehr nur Gisbert mit seiner Gitarre, nein, es ist auch ein Schlagzeug und ein Bass dabei! Und wenn mir auch die alten Lieder deshalb so gefallen haben, weil es nur er, die Gitarre und du waren, so muss ich doch sagen, dass das Arrangement sehr gut geworden ist! Die Lieder packen an der richtigen Stelle, das Schlagzeug morst die kleinen musikalischen Botschafen direkt ins Ohr und ins Herz. Die neue Platte ist gut, richtig gut!
Anspieltipps: “Grau Grau Grau”, “Es ist still auf dem Parkplatz Krachgarten”, “Kräne”. (AK)
The National – High Violet
Eigentlich hatte ich ja bereits Anfang Mai ein paar hundert lobpreisende Absätze über dieses Album geschrieben und eigentlich nicht gedacht, dass da noch etwas hinzuzufügen sein könnte. An meiner persönlichen Wertung, die objektiv irgendwo bei 100 von 5 Sternen liegt, weil das halt einfach so ist, hat sich auch nichts geändert. Vielleicht ist es aber ganz gut, meinen Anfangseindruck nach mittlerweile fast mehrmonatigem Hören und auch mal Nichthören auf den neuesten Stand zu bringen: Entgegen aller meiner Erwartungen überspringe ich den untypischen Opener “Terrible Love” immer noch nicht, wenn ich das Album höre. Was für ein Knaller, mit einer Demo-Aufnahme anzufangen, wenn man seine fünfte LP veröffentlicht. In der Süddeutschen Zeitung stand über “High Violet”: Konsensrock. Mit schlechter Note. Ich mag mich irren, aber ist etwas von vornherein als langweilig zu verurteilen, wenn jeder es irgendwie hören kann, ohne sich übergeben zu müssen? Oder weil die Gitarren einem nicht das Gehör zersägen, sondern man sie sozusagen erstmal suchen muss? Weiter möchte ich mich gar nicht aufregen. Super Sache, das Album! (MS)
The New Pornographers – Together
Einmal Kanadier sein! Man stellt sich auf die Straße vor die eigene Haustür, hebt kaum merklich für ein bis zwei Sekunden die Hand, sagt etwas wie “Ich habe eine Gitarre da drin, möchte von euch vielleicht irgendwer mitspielen?” und schwupps, hat man ein Orchester in der Hütte. Keine Beschwerden bitte, diese Vorstellung bestätigt sich quasi alleine, also ohne Stützräder, sozusagen von selbst, ungefragt, wenn Sie mögen, wenn man sich nur mal Broken Social Scene anschaut und den Baum von Querverweisen, Zitaten, Mitgliederwechseln, Aushilfsgitarristen, Sängerinnen und Sängern und so weiter versucht nachzuvollziehen, ohne dabei zumindest einen Notizblock zu haben. Ein kaum überwindbarer Arbeitsberg. Zurück zum Thema. The New Pornographers bestehen, lässt man die haltlose Anschuldigung, es handele sich dabei um Sänger Carl Newman mit Gästen, aus drei hauptsächlich mit Songwriting und Singen beschäftigten Menschen, von denen A.C., oder Carl, Newman nur einer ist, und einer Reihe weiterer Musiker. Die übrigen beiden Songschreiber der Band sind Neko Case, die vor nicht allzulanger Zeit mit dem Soloalbum “Middle Cyclone” ein ganz schön tolles Ding abgeliefert hat, und Daniel Bejar, dem einzigen festen Mitglied der auch gar nicht so marginal bekannten Band Destroyer. Hätte ich das Bedürfnis, geohrfeigt zu werden, würde ich für die New Pornographers also ein Wort benutzen, das mit S anfängt und mit upergroup aufhört, aber ich bin ja nicht von allen guten Geistern verlassen. Was soll diese ganze Einleitung? Man erwartet von einer Band mit solch einem Kaleidoskop der Eigenköpfigkeit und Soloplattenerfahrung möglicherweise eine verkopfte, anstrengende, überkandidelte Veröffentlichung nach der anderen. Das Bemerkenswerte ist, dass “Together” weniger eitel nicht sein könnte. Es klingt, als wäre Carl Newman damals nicht nur einfach auf die Straße gelaufen, um Leute zu suchen, die mit ihm musizieren wollen, sondern hätte in der Frage auch ganz eindeutig noch die Formulierung “Bitte bringt eine Tüte gute Laune pro Person mit!” benutzt. Ein hochgradig erheiterndes und schönes Album ist das hier. Wenn hier überhaupt ein Konzept durchgezogen werden sollte, dann vermutlich einfach das, einen Riesenspaß zu haben. Hat man die Band einmal live gesehen, verdichtet sich dieser Eindruck zusätzlich, was leider manchmal zu einem Hauch Schülerbandgefühl führt. Muss ja aber auch nichts Schlimmes sein.
Anspieltipps: “Valkyrie In The Roller Disco”, “Crash Years”, “We End Up Together”. (MS)
Mitarbeit an dieser Ausgabe:
AK: Annika Krüger
LH: Lukas Heinser
MS: Markus Steidl
Eigentlich wollte ich keinesfalls so beginnen, um nicht später der Stringenz und Logik meiner Erzählung und der damit verbundenen Zeitleiste wegen in die Pflicht genommen zu werden, aber: Mein erstes Konzert der Band The National war, wenn ich recht erinnere, am 1. Dezember 2005. Ihr drittes Album “Alligator” war gerade im Mai erschienen. Der einzige Grund, warum ich es besaß, war der, dass ich eigentlich nach der damaligen im Nachhinein betrachtet überaus drögen Platte von Grand National Ausschau gehalten hatte und mich aber an den Namen der Band nicht mehr so ganz richtig erinnern konnte. Ein halbes Jahr später erklärte man “Alligator” und den Vorgänger “Sad Songs For Dirty Lovers” in mehreren Vollversammlungen meiner damaligen Peer Group zum Besten, was man jemals gehört hatte.
Ich war gerade im Oktober nach Berlin umgezogen, wo meine einzige Außer-Haus-Beschäftigung für zwei Monate darin bestand, aus einem Call-Center dem gesamtdeutschen Branchenbuch teure Drucker und Kopierer aufzunötigen (wofür ich mich sicherlich dereinst vor irgendeiner moralischen Höchstinstanz zu rechtfertigen haben werde). In meinem etwas unterkühlten Zwischen- bzw. Untermietverhältnis beschäftigte ich mich indes mangels sozialer Kontakte ausschließlich mit dem Hören von Feists “Let It Die” (wegen des überraschend zur Gesamtsituation passenden Titeltracks) und den beiden oben erwähnten Alben von The National. Nach einiger Zeit konnte ich alles fast so gut auswendig wie einige ältere Semester alle Dialoge der originalen Star-Wars-Trilogie herunter zu beten imstande sind. Das half natürlich meiner realen Lebenssituation nur bedingt und würde vermutlich auch keinen Studienplatz aus dem blauen Himmel auf mich hernieder fallen lassen, und so musste ich doch irgendwann, allen Stolzes beraubt und mit einigermaßen tief hängendem Kopf, den vorzeitigen Rückzug antreten und in meine Heimatstadt zurückgekrochen kommen. Nach einem halb gefüllten Konzert im Berliner Magnet-Club, das eine erstaunlich wohltuende und unaufregende Wirkung hatte, schlief ich drei Stunden und machte mich am am Morgen des 2. Dezember 2005 alleine mit einem viel zu kleinen Mietwagen auf den Weg. Dank meiner überstürzten Packtechnik, aufgrund derer alle meine CDs am hinteren unteren Ende des Wagens unter Büchern und einem Regal eingeklemmt waren, war ich gezwungen, die gesamte Fahrt über etwa neun Mal The Nationals am Vorabend erstandenes selbstbetiteltes Debut-Album durchlaufen zu lassen.
Mittlerweile ist das natürlich alles vergessen und die schlechten Erfahrungen vollkommen obsolet. Was ich aber damit sagen möchte: So etwas schweißt einen natürlich unwiderbringlich an so eine Band. Deswegen werde ich nicht einmal versuchen, Objektives über “High Violet”, das soeben erschienene fünfte Album der Band, abzugeben. Bitte verzeihen Sie mir!
Im Großen und Ganzen verläuft das Hören der knapp 50 Minuten genauso wie immer, wenn man große Angst hat, dass dies nun endlich diese Sell-Out-Enttäuschung ist, auf die man immer gewartet hat: Man zwingt sich, übermäßig kritisch an das Ganze heranzugehen und hört natürlich an jeder Ecke Dinge, die es so vorher nicht gab und mit denen sich zunächst angefreundet werden muss, und erwischt sich dann doch dabei, auf eine mittelmäßig schizophrene Art eine Verteidigungshaltung einzunehmen. Unterhaltsam ist das möglicherweise für den imaginären Beobachter. Die Wahrheit ist: Geigen, Posaunen, Trompeten und Klavier kannte man bereits aus dem 2007 erschienenen “Boxer”, und obwohl dies durchaus Instrumente sind, die aufgrund von übermäßiger Verwendung einen Kitsch-Effekt auslösen können, der seinesgleichen sucht, war vorher schon klar, dass sich hier nichts davon übel in den Vordergrund spielen würde. Weil das nunmal einfach nicht so The Nationals Art ist, überhaupt einen Vordergrund zu haben. Vielmehr präsentiert sich einem hier ein verschwommenes Bild aus verschiedensten Melodien, die im Zusammenspiel einen Teppich ergeben. Viel mehr als Akkordwechsel können dann gar nicht mehr vernommen werden, allenfalls ruft das schnörkelfreie, repetitive Schlagzeug Unterbrechungen und Akzentuierungen hervor. Wenn das mal nicht ein Idealziel in einer Band mit zuweilen drei Gitarren sein sollte: Über weiteste Strecken selbstlose Songdienlichkeit, frei von breitbeinigem Muckertum und Sportgitarrensolos.
Was aber außergewöhnlich ist: Vieles ist hier plötzlich heiter oder sogar lustig. Irgendwo habe ich neulich gelesen, dass der Sänger der Band, Matt Berninger, mit einem permanenten Marker das Wort “Happiness” an eine Wand in seiner Wohnung geschrieben haben soll, da der Plan war, ein fröhliches Album aufzunehmen. Das ist nun musikalisch gründlich in die Hose gegangen, und auch an Textzeilen wie “Sorrow found me when I was young. Sorrow waited, sorrow won.” ist so wahnsinnig viel rheinischer Witz nicht zu sehen. Dennoch gibt es wie auch in dieser Zeile Punkte, an denen augenscheinlich eine ironische Brechung vorgenommen werden musste, weil man die ganze Trauer sonst einfach nicht ausgehalten hätte. Der Song “Lemonworld” sagt im Refrain “You and your sister live in a lemonworld, I want to sit in and die.” und wer hier unbedingt an das plumpe, bodenlose Selbstmitleid glauben will, dem sei das erlaubt. Weil man solche Augenscheinlichkeit nicht von The National gewöhnt ist, darf schätzungsweise auch davon ausgegangen werden, dass hier ein Protagonist genug hat vom ständigen Verarbeiten und sich auch gerne ein wenig darüber lustig machen möchte. In “Conversation 16”, einem Song, den Berninger auf dem Konzert letzten Samstag im Berliner ‘Huxley’s’ mit den Worten “This is a love song. About cannibalism.” ankündigte, heißt es: “I was afraid that I’d eat your brains cause I’m evil”. Trauer setzt ja nun doch einiges an Ernst voraus. Was jedoch an dieser Zeile ernstzunehmen ist, kann ich mir beim besten Willen nicht anmaßen zu behaupten.
Letztlich sprießen diese Songs ja dann doch tendenziell vor “Es wird wieder!”-Schulterklopfern, und wann hat man denn so eine simple Botschaft zuletzt in Popmusik gut gefunden? Abgesehen davon, dass mir diese Gruppe nun sowieso nichts mehr vergällen kann, nachdem auch die fünfte Platte sich als etwas herausgestellt hat, das ich innerhalb von drei Tagen locker 15 Mal ohne jede Langeweile oder Lust auf etwas anderes durchhören kann, ist zumindest eine objektive Erkenntnis, die ich Ihnen anbieten kann, die eben erkannte: Es wird wieder! Wenn der Berninger das schafft, dann schaffen wir das auch. Ob es natürlich gesund ist oder gut für mein anderweitiges musikalisches Interesse, dass ich seit dem Erscheinen von High Violet vielleicht zwei andere Bands gehört habe, steht jetzt natürlich nicht auf diesem Blatt. Darüber reden wir dann in ein paar Monaten!
Zum Abschied gibt es hier übrigens noch das aktuelle Video der Auskopplung “Bloodbuzz Ohio” zu sehen. Vielleicht lachen wir ja auch ein Bisschen.
Ja, es war ein bisschen schwierig, beim Haldern Pop Fotos zu machen, auf denen keine Fernsehkameras des omnipräsenten WDR zu sehen waren. Die Fotografen im Graben klagten sich gegenseitig ihr Leid und die zahlenden Zuschauer in den ersten Reihen übten sich im Dranvorbeigucken.
Aber Rache ist süß: die Highlights des Haldern Pop 2008 – demnächst (vielleicht) irgendwann mitten in der Nacht im WDR-“Rockpalast”, aber schon jetzt auf YouTube. Gefilmt von Fans für Fans:
Intro Flaming Lips (vom WDR gar nicht aufgezeichnet)
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