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Leben Musik

18 Jahre, 18 Songs

Für Gün­ter und Jür­gen, die ich ohne die­ses Blog nie ken­nen­ge­lernt hät­te.
Und für Dör­te, die immer alles gele­sen hat.

Es war die nahe­lie­gends­te Idee der Welt: Zum 18. Geburts­tag des Blogs wäh­le ich einen Song aus jedem Jahr aus — fer­tig ist die Play­list!

Aber nach wel­chen Kri­te­ri­en? Ein­fach das Lied neh­men, das jeweils mei­ne Lis­te „Song des Jah­res“ ange­führt hat? Das wäre ja ein biss­chen lang­wei­lig — und sol­che Lis­ten gab es auch gar nicht in jedem Jahr.

Die Kaffeetasse aus dem ersten Coffee-And-TV-Logo

Also: 18 ande­re Songs. Wel­che, die ihr jewei­li­ges Jahr, aber auch die­ses Blog gut reprä­sen­tie­ren; die für mich eine per­sön­li­che Bedeu­tung haben; die ich auch heu­te noch höre. Eine halb­wegs aus­ge­wo­ge­ne Mischung aus Gen­res, Geschlech­tern und Spra­chen, also eben dann doch auch: Kon­text.

Und so wur­de aus einem klei­nen Gim­mick zum Jubi­lä­um eine aus­ufern­de Recher­che-Akti­on im eige­nen Leben ’n‘ Werk und einer der längs­ten Tex­te, der hier in den letz­ten 18 Jah­ren erschie­nen ist:

2007: Mika – Grace Kel­ly
Als die­ses Blog an den Start geht, sind Gitar­ren­mu­sik im All­ge­mei­nen und Indie­rock im Spe­zi­el­len noch ein Ding. Bei der damals noch statt­fin­den­den „Leser­wahl“ (ein Kon­strukt, das wir uns rela­tiv offen­sicht­lich von „Plat­ten­tests online“ abge­schaut haben), wird „A Weekend In The City“ von Bloc Par­ty (Wann habt Ihr zuletzt an die­se Band gedacht?) zum „Album des Jah­res“ gewählt und „Ruby“ von Kai­ser Chiefs (Oder an die­se Band?!) zum „Song des Jah­res“.

Auf mei­ner Jah­res­bes­ten­lis­te ganz vor­ne ist „Tonight I Have To Lea­ve It“ von Shout Out Louds, das ich auch ewig nicht mehr gehört habe. Und ganz ver­steckt, auf Platz 22: „Grace Kel­ly“ von Mika, ein etwas exal­tier­ter over-the-top-Pop­song mit Vau­de­ville- und Musi­cal-Anlei­hen von einem jun­gen Mann, den das Adjek­tiv „andro­gyn“ beglei­tet. (Es waren, wie gesagt, ande­re Zei­ten.) Ein Song, den mir „Plan B“, die etwas anspruchs­vol­le­re Musik­sen­dung von 1Live (ich unter­schied damals noch puber­tär zwi­schen „guter“ Indie- und „schlech­ter“ Main­stream-Musik; ande­re Zei­ten inde­ed), in die WG-Küche gebracht hat.

15 Jah­re spä­ter sit­ze ich beim Euro­vi­si­on Song Con­test in Turin in der deut­schen Kom­men­ta­to­ren­ka­bi­ne, zum neun­ten Mal als Assis­tent von Peter Urban, der wegen der aus­klin­gen­den COVID-19-Pan­de­mie von Ham­burg aus kom­men­tiert. Gelan­det war ich bei die­ser Ver­an­stal­tung über­haupt nur, weil Ste­fan Nig­ge­mei­er 2007 mei­ne Kom­men­ta­re in sei­nem Blog gele­sen und mich gefragt hat­te, ob ich mit ihm einen „Grand-Prix-Füh­rer“ schrei­ben wür­de. Der Rest ist Geschich­te, bzw. BILD­blog, Oslog, Dus­log, Baku­b­log, besag­ter Job als Kom­men­ta­to­ren-Assis­tent und mein Buch. Und die­ser Mika mit sei­nem Song über Grace Kel­ly (bzw. dar­über, wie man sich anpasst, um den Men­schen zu gefal­len) mode­riert da jetzt die­se Ver­an­stal­tung gemein­sam mit Lau­ra Pausi­ni und Ales­san­dro Cat­tel­an, er bringt inter­na­tio­na­len Gla­mour in eine (vor allem hin­ter den Kulis­sen) eher chao­ti­sche TV-Sen­dung und er singt ein Med­ley sei­ner Hits.

Es ist ein selt­sa­mer, rüh­ren­der full-cir­cle-Moment, der die größ­te Musik­show der Welt mit mei­ner alten WG-Küche und allem dazwi­schen kurz­schließt, und in einem Anfall von Geis­tes­ge­gen­wart und emo­tio­na­ler Über­for­de­rung schrei­be ich auf jener Social-Media-Platt­form, die damals noch Twit­ter heißt: „Es ist schön, an das Jahr 2007 erin­nert zu wer­den. Es ist noch schö­ner, dass in mei­nem Leben heu­te unge­fähr alles bes­ser ist als damals.“ Oder, mit Mikas Wor­ten: „Ca-ching!
[Songs 2007 von damals]

2008: The Hold Ste­ady – Con­s­truc­ti­ve Sum­mer
Die Leser*innen, die ich damals noch „Leser“ nen­ne, wäh­len „Sex On Fire“ von Kings Of Leon zum Song und „Heu­re­ka“ von Tom­te zum Album des Jah­res. Ich samm­le die wich­tigs­ten Nazi-Ver­glei­che (eine Kate­go­rie, der damals noch ein gewis­ser Unter­hal­tungs­fak­tor anzu­haf­ten scheint) und Barack-Oba­ma-Refe­ren­zen und arbei­te den Rest der Zeit fürs BILD­blog.

Mei­ne wich­tigs­te Quel­le für neue Musik ist „All Songs Con­side­red“, ein Pod­cast von NPR, der auch das Vor­bild für mei­ne eige­ne, kurz­le­bi­ge Musik­sen­dung bei Spo­ti­fy 2023/​24 wird. Hier sto­ße ich erst­mals auf The Hold Ste­ady, eine Band aus Brook­lyn (ursprüng­lich: Minneapolis/​St. Paul), die Geschich­ten von Ver­lie­rern und Under­dogs in hym­ni­schen Rock­songs erzählt wie sonst nur Bruce Springsteen. Ihr Album „Stay Posi­ti­ve“ bringt mich durch ein Jahr, von dem ich heu­te so gut wie nichts mehr weiß, des­halb las­se ich mir das Sym­bol vom Album­co­ver 2011 auf mei­ne Wade täto­wie­ren.

Auch ihre Musik bleibt: 2009 kau­fe ich mir alle Alben und höre sie rauf und run­ter (wie man es in einer Welt ohne Strea­ming eben so mach­te), 2010 rufe ich den „Con­s­truc­ti­ve Sum­mer“ aus: „We’­re gon­na build some­thing this sum­mer.“ Hier ent­ste­hen dann end­lich Erin­ne­run­gen, die für immer blei­ben wer­den, unter­malt von „Boys And Girls In Ame­ri­ca“, „Stay Posi­ti­ve“ und dem damals neu­en Nach­fol­ge-Album „Hea­ven Is When­ever“.
[Songs 2008 von damals]

2009: Kili­ans – Home­town
Nach über fünf Jah­ren im Stu­den­ten­wohn­heim muss ich mir mal lang­sam eine eige­ne Woh­nung suchen und ich über­le­ge: In Bochum blei­ben oder nach Ham­burg zie­hen? Es ist ein Jahr der gro­ßen Gefüh­le zwi­schen Welt erobern wol­len und zuhau­se ein­sper­ren, beglei­tet von der ganz gro­ßen, uner­füll­ten Lie­be.

Mei­ne Freun­de von den Kili­ans (Bru­der, Demo-CD, Thees Uhl­mann, Tom­te-Tour — you know the sto­ry!) ver­öf­fent­li­chen im April ihr zwei­tes Album „They Are Cal­ling Your Name“ und spie­len aus die­sem Anlass ein Kon­zert auf dem Hans-Böck­ler-Platz in Dins­la­ken, jener Stadt, in der wir alle – die Kili­ans, ich und die ganz gro­ße, uner­füll­te Lie­be – auf­ge­wach­sen waren. Ihr Song „Home­town“ ist das Ange­bot einer Hym­ne.

Die Band löst sich 2013 auf, da wird der Hans-Böck­ler-Platz gera­de mit einem Ein­kaufs­zen­trum über­baut. Wenn man heu­te „Dins­la­ken“ sagt, reagie­ren nicht mehr vie­le Men­schen mit „Aaaah, die Kili­ans!“ (aber – und das wird die Bür­ger­meis­te­rin freu­en – auch nicht mehr mit „Aaaah, der Wend­ler!“ oder „Aaaah, die Sala­fis­ten!“). Die Stadt hat sogar die Emscher­mün­dung ver­lo­ren. Aber Erin­ne­run­gen und Musik wer­den ja immer blei­ben.

(Ich ent­schei­de mich 2009 übri­gens für Bochum. My home­town.)

2010: Lena – Satel­li­te
„Irgend­wann musst Du Dir das mal vor Ort anschau­en“, hat­te Ste­fan Nig­ge­mei­er 2008 über den Euro­vi­si­on Song Con­test (damals und immer schon: „Euro­vi­si­on Song Con­test“) gesagt, aber weil Mos­kau schon damals kein Ort ist, an dem man ger­ne sein möch­te, ver­schie­ben wir unser Pro­jekt auf das Fol­ge­jahr und nach Oslo. Womit wir nicht rech­nen: dass in Deutsch­land ein regel­rech­ter ESC-Hype um eine 18-jäh­ri­ge Abitu­ri­en­tin aus Han­no­ver aus­bricht und die die­se merk­wür­di­ge Quatsch-Ver­an­stal­tung tat­säch­lich gewinnt. (Also: In der ers­ten Fol­ge des Oslog wet­te ich natür­lich genau das, aller­dings ohne auch nur einen ande­ren Wett­be­werbs­bei­trag zu ken­nen.)

Als altes Thea­ter-Kind zieht mich die jähr­li­che Leis­tungs­schau der Büh­nen­tech­nik-Indus­trie sofort in ihren Bann und auch musi­ka­lisch ist das alles gar nicht mehr so schlimm, wenn man es nur oft genug gehört hat. Aber trotz der ein­schnei­den­den, im Nach­hin­ein lebens­weg­wei­sen­den Erfah­rung in Oslo traue ich mich nicht, „Satel­li­te“ auf mei­ne Jah­res­bes­ten­lis­te zu packen. Da sol­len auch wei­ter nur Indie-kre­di­be­le Sachen zu fin­den zu fin­den sein (und so igno­rie­re ich offen­bar auch das tol­le Take-That-mit-Rob­bie-Album „Pro­gress“ kom­plett). Das passt zu einem Jahr, in dem ich nicht gera­de dadurch auf­fal­le, irgend­wel­che Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, son­dern mich lie­ber vom Großstadt‑, vor allem aber Nacht­le­ben rund um mei­ne neue Woh­nung in der Innen­stadt mit­rei­ßen las­se und als neu­er BILD­blog-Chef in Talk­shows gehe und zu Jour­na­lis­ten­kon­gres­sen ins Aus­land flie­ge. („It’s phy­sics /​ There’s no escape.“)

Hier also spä­te Genug­tu­ung für einen Song und ein Ereig­nis, ohne die ich heu­te nicht da wäre, wo ich bin, und ohne die der ESC in Deutsch­land immer noch als „Schla­ger-Grand-Prix“ fir­mie­ren wür­de, bei dem man ohne­hin nichts rei­ßen kann.
[Songs 2010 von damals]

2011: Thees Uhl­mann – 17 Wor­te
Mein Kum­pel Thees Uhl­mann ist im Jahr 2011 wie so oft wei­ter als ich: Vater gewor­den, Bezie­hung zer­bro­chen, dabei, das Glück im Klei­nen zu suchen. Ich bin vier bis fünf Aben­de die Woche im Frei­beu­ter im Bochu­mer Bermuda3eck und schrei­be neben­her das BILD­blog voll. Des­we­gen igno­rie­re ich Thees‘ selbst­be­ti­tel­tes Solo-Debüt damals auch rüpe­lig bei den „Alben des Jah­res“ (und lobe lie­ber das nächs­te ega­le Cold­play-Album), obwohl ich es wirk­lich oft höre.

Aber die­se Lis­te hier ist auch eine Chan­ce auf Wie­der­gut­ma­chung, denn sechs Jah­re spä­ter ste­he ich beim GHvC-Geburts­tag in Ham­burg im Nie­sel­re­gen: Vater gewor­den, Bezie­hung zer­bro­chen, dabei, das Glück im Klei­nen zu suchen. Also völ­lig ande­re Prio­ri­tä­ten und Prin­zi­pi­en: „Mei­ne Wahr­heit in 17 Wor­ten: /​ Ich hab ein Kind zu erzie­hen /​ Dir einen Brief zu schrei­ben /​ Und ein Fuß­ball-Team zu sup­port­en.“ (Bei Erschei­nen des Albums hat­te ich Thees eine SMS geschrie­ben, dass das nur 16 Wor­te wären, weil man „Fuß­ball­team“ zusam­men­schrei­be. Sei­ne Ant­wort kam natür­lich prompt: „Fuß­ball Team!“)

2021 sehe ich Thees Uhl­mann und Band live im Burg­thea­ter in Dins­la­ken (weil: natür­lich). Es ist mein ers­ter Kon­zert­be­such seit andert­halb Jah­ren, mein Sohn ist an mei­ner Sei­te, mei­ne Eltern irgend­wo in mei­nem Rücken, der VfL Bochum ist auf­ge­stie­gen. Wei­te Tei­le der Öffent­lich­keit sind wäh­rend der immer noch anhal­ten­den Pan­de­mie dem Wahn­sinn anheim­ge­fal­len, aber als Thees „17 Wor­te“ spielt, macht für mich alles Sinn: Wir sin­gen, um uns zu erin­nern.
[Songs 2011 von damals]

2012: Car­ly Rae Jep­sen – Call Me May­be
Die­ser beklopp­te Euro­vi­si­on Song Con­test hat mich nach Aser­bai­dschan ver­schla­gen. Ich sit­ze in Baku im Hotel­zim­mer, gucke rus­si­sches Musik­fern­se­hen und sehe die­ses Video. Als der Song zu Ende ist, zap­pe ich wei­ter und sehe das glei­che Video auf dem nächs­ten Kanal direkt noch mal von vorn. „Komi­sche Rus­sen“, den­ke ich, will den Song bei Face­book pos­ten und stel­le fest, dass ich mit „Call Me May­be“ einen inter­na­tio­na­len Hit ver­passt habe.

Wahr­schein­lich ist es die­ser Moment, in dem ich die­ses eli­tär-puber­tä­re Musik-nur-gut-fin­den-wenn-sie-sonst-kei­ner-hört-Din­gen auf­ge­be und end­lich frei bin, Din­ge gut zu fin­den, nur weil ich sie gut fin­de. Um Din­ge auch öffent­lich gut zu fin­den (jeden­falls meis­tens), star­ten Tom The­len und ich im Blog unse­ren Kino-Pod­cast „Cine­ma And Beer“.

„Befo­re you came into my life /​ I missed you so bad“ ist immer noch eine der bes­ten Zei­len, die je über roman­ti­sche Lie­be geschrie­ben wur­de — und das waren ja nun wirk­lich nicht weni­ge. Car­ly Rae Jep­sen in der Köl­ner Essig­fa­brik ist im Febru­ar 2020 mein letz­tes Kon­zert vor dem Lock­down (ist es nicht Magie, wie hier alles inein­an­der­greift?!) und die fröh­li­che Stim­mung die­ses durch­aus ESC-taug­li­chen Publi­kums trägt mich durch die ers­ten, dunk­len Mona­te der Iso­la­ti­on.
[Songs 2012 von damals]

2013: Daft Punk feat. Phar­rell Wil­liams & Nile Rogers – Get Lucky
Ich sit­ze in einem Auto, das mich vom Hotel zur Mal­mö Are­na bringt, neben mir: ESC-Kom­men­ta­to­ren­le­gen­de Peter Urban. Als wäre das nicht schon absurd genug, wippt die­ser 65-jäh­ri­ge Mann zur Musik aus dem Auto­ra­dio mit: „Get Lucky“ von Daft Punk, Phar­rell Wil­liams und Nile Rogers. Natür­lich kennt er das, denn es ist ja ein inter­na­tio­na­ler Super­hit, dem man nur schwer ent­kom­men kann, und Peter wür­de auch jede Men­ge deut­lich obsku­re­re Songs mit­sin­gen, die in den letz­ten ca. 50 Jah­ren erschie­nen sind, aber irgend­wie über­rascht es mich in die­sem Moment doch, denn Daft Punk, das sind doch die von Viva 2 (wo sie jetzt zuge­ge­be­ner­ma­ßen auch nicht zwin­gend zur Avant­gar­de gezählt hat­ten).

Die Domi­no­stei­ne, von denen die­ses Blog der ers­te war, haben mich hier­her gebracht, ins Epi­zen­trum des Enter­tain­ments. Nur einen Monat spä­ter sol­len sie mich zum Late-Night-Mei­nungs­ma­ga­zin „Tages­schaum“ mit Fried­rich Küp­pers­busch füh­ren und von dort zu unse­rem gemein­sa­men Pod­cast „Lucky & Fred“. Das Leben meint es gut mit mir, beruf­lich wie pri­vat.
[Songs 2013 von damals]

2014: Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – High Dive
Ich hät­te immer gesagt, dass das Jahr 2014 hier im Blog gar nicht statt­ge­fun­den hat, aber es gibt doch eini­ge Ein­trä­ge aus die­ser Zeit — die meis­ten als Teil der kurz­le­bi­gen Serie „Song des Tages“. Ich erin­ne­re mich an nichts, weil ich zu sehr mit ande­ren Sachen beschäf­tigt bin: Umzug, neue Jobs, Hoch­zeit pla­nen und absa­gen, Vater wer­den, irgend­wie ver­su­chen, mei­ne Bezie­hung zu ret­ten. Alles Din­ge, auf die einen Pop­kul­tur nur unzu­rei­chend vor­be­rei­tet; alles Din­ge, die für Pop­kul­tur wenig Zeit las­sen.

Das ers­te neue Album, das ich mit mei­nem Sohn höre, ist das Solo­de­büt von Andrew McMa­hon, der mich mit sei­nen Bands Some­thing Cor­po­ra­te und Jack’s Man­ne­quin jetzt auch schon mehr als zehn Jah­re beglei­tet. Er ist auch gera­de Papa gewor­den, so kann ich die Ver­ar­bei­tung mei­ner Lebens­wirk­lich­keit wie­der mal auf ihn abwäl­zen und ein­fach sei­ne Songs hören. Obwohl wir doch noch jung sind, ist da viel Nost­al­gie in sei­nen Tex­ten wie „High Dive“, aber Face­book ersetzt Knei­pen­aben­de mit Freund*innen ja auch nur bedingt.

2015: Ben Folds feat. yMu­sic – Pho­ne In A Pool
2015 ist dann tat­säch­lich das Jahr, das nicht war, denn ich schrei­be sen­sa­tio­nel­le sie­ben Blog­ein­trä­ge, von denen die meis­ten ursprüng­lich Face­book-Posts waren. Offen­bar schaf­fe ich es immer­hin ein paar Mal ins Kino. (Ach, „The Force Awa­kens“ ist von 2015?!) Ich kann mich an nichts erin­nern und es geht mir wirk­lich nicht gut.

Ein biss­chen Trost kommt von mei­nem ewi­gen Hel­den Ben Folds, der gera­de die vier­te Schei­dung (von inzwi­schen fünf) hin­ter sich hat und mit dem Kam­mer­mu­sik-Ensem­ble yMu­sic ein Album ein­spielt, auf dem auch sein ers­tes Kla­vier­kon­zert zu hören ist. (Wir gehen alle unter­schied­lich mit Lebens­kri­sen um.) In „Pho­ne In A Pool“ berich­tet er: „Found the love of my life again /​ Y’all knows what I means /​ And I’ll be back on the sofa in a pudd­le in a cou­ple of weeks“. Bei all dem Elend ist es schön, dass jemand, der mich mein hal­bes Leben lang beglei­tet, immer noch Songs schrei­ben kann, die so gut zu mei­nem eige­nen Leben pas­sen. Natür­lich gibt es am Ende des Jah­res kei­ne Lis­ten — ich hab ja eh viel zu wenig Musik gehört und wann hät­te ich die denn noch schrei­ben sol­len?

2016: Weezer – Cali­for­nia Kids
Neu­an­fang in einer eige­nen Woh­nung und das Vor­ha­ben, das Blog jetzt aber wirk­lich wie­der zu befeu­ern. Da passt es ganz gut, dass Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re, des­sent­we­gen ich als Teen­ager mit dem Schrei­ben ange­fan­gen hat­te, ein neu­es Buch ver­öf­fent­licht, unge­fähr zeit­gleich mit dem neu­en Album der von uns hoch ver­ehr­ten Pet Shop Boys und dem von Weezer. Alle drei Acts eint, dass ihr Schaf­fen nicht zu jedem Zeit­punkt ihrer Kar­rie­re den Ansprü­chen des eige­nen Publi­kums genüg­te, aber jetzt sind sie wie­der voll da.

Also eigent­lich eine gute Gele­gen­heit, dar­über zu schrei­ben und über ande­re Din­ge, die mir Freu­de berei­ten, aber das Inter­net ist damals im wesent­li­chen Face­book und dort sind wir alle damit beschäf­tigt, mit irgend­wel­chen AfD-Anhän­gern zu dis­ku­tie­ren, die irgend­wo etwas Dum­mes kom­men­tiert haben. Um die­sem gan­zen Irr­sinn zu ent­flie­hen, schrei­be ich nicht etwa wie­der mehr ins Blog, son­dern star­te mei­nen eige­nen News­let­ter. Da macht das Schrei­ben immer­hin auch Spaß.

Weezer, jeden­falls, ken­ne ich seit mehr als 20 Jah­ren, als das Video zu „Bud­dy Hol­ly“ bei „Hit-Clip“ lief und auf der Win­dows-95-CD-Rom ent­hal­ten war. Jetzt ver­öf­fent­li­chen sie schon das vier­te Album namens „Weezer“ (nach dem blau­en, dem grü­nen und dem roten Album jetzt ganz Beat­les-mäßig das wei­ße), das mei­nen Sohn und mich auf vie­len Aus­flü­gen zum Kem­n­ader See beglei­tet und ihr bes­tes seit Jahr­zehn­ten ist. Der ope­ning cut „Cali­for­nia Kids“ han­delt von den glück­li­chen jun­gen Men­schen aus dem Gol­den Sta­te, die einem das Leben ret­ten. Ich nen­ne Kali­for­ni­en ger­ne „my home away from home“, was viel­leicht etwas prä­ten­ti­ös ist, aber ich hab da halt Fami­lie und es ist auch der ein­zi­ge Ort außer­halb des Ruhr­ge­biets, an dem ich je so viel Zeit am Stück ver­bracht habe. Der Staat bleibt auch nach der Wahl von Donald Trump zum US-Prä­si­den­ten das (natür­lich eher theo­re­ti­sche) Ide­al, das ich bewun­de­re, genau­so wie ich Men­schen auch lie­ber aus der Fer­ne toll fin­de — Cali­for­nia Kids halt.

2017: kett­car – Ankunfts­hal­le
Als die­ses Blog an den Start geht, haben kett­car bereits zwei Alben ver­öf­fent­licht: ihr Debüt „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“, ein instant clas­sic, und – beglei­tet von Fern­seh­auf­trit­ten und ganz­sei­ti­gen Zei­tungs­ar­ti­keln – den Nach­fol­ger „Von Spat­zen und Tau­ben, Dächern und Hän­den“. Trotz­dem schrei­be ich in all den Jah­ren rela­tiv weni­ge Tex­te über die­se Band, die mir so wich­tig ist. Viel­leicht weil ich den­ke, dass das eh klar ist.

2017 liegt das letz­te (eher okaye) kett­car-Album fünf Jah­re zurück, Mar­cus Wie­busch hat in der Zwi­schen­zeit ein (ziem­lich gutes) Solo­al­bum ver­öf­fent­licht, aber plötz­lich ist die Band wie­der ein Macht­block mit­ten in Euro­pa: Ihre stets kla­re poli­ti­sche Hal­tung, die Jah­re vor­her noch ein biss­chen folk­lo­ris­tisch anmu­te­te, ist inzwi­schen not­wen­dig, aber neben Songs wie „Som­mer ’89“, „Wagen­burg“ und „Mann­schafts­auf­stel­lung“ gibt es auch jene, die sich anfüh­len wie Pola­roids (oder Ins­ta-Posts) aus dem All­tag. „Die Stra­ßen unse­res Vier­tels“ ersetzt eine gan­ze Fern­seh­se­rie über das Fami­li­en­le­ben in Hips­ter-Vier­teln, ohne sich für eine Sekun­de Harald-Schmidt-mäßig über Hafer­milch lus­tig zu machen; „Trost­brü­cke Süd“ ist ein Kame­ra­schwenk durch einen Lini­en­bus vol­ler Men­schen, die auf­ste­hen, atmen, sich anzie­hen und hin­ge­hen, und „Ankunfts­hal­le“ der Blog-Ein­trag, News­let­ter oder Song, den ich immer hat­te schrei­ben wol­len: ein Lob­lied auf die hei­len­de Kraft von Flug­ha­fen-Ankunfts­hal­len, wo Men­schen sich nach lan­ger Zeit der Tren­nung wie­der in die Arme fal­len.

Als kett­car und Thees Uhl­mann im August im Ham­bur­ger Nie­sel­re­gen 15 Jah­re Grand Hotel van Cleef fei­ern, ist weni­ge Tage zuvor mei­ne Oma gestor­ben, die hier von Anfang an mit­ge­le­sen hat­te. Ende Dezem­ber liegt mein Opa im Ster­ben und ich fah­re mit mei­nem Sohn zum Düs­sel­dor­fer Flug­ha­fen, Men­schen in der Ankunfts­hal­le gucken.
[Songs des Jah­res 2017 damals]

2018: Rae Mor­ris – Do It
Hat­te ich oben – also vor ca. 18.000 Zei­chen – nicht noch geschrie­ben, dass in die­ser Lis­te expli­zit nicht die jewei­li­gen Songs des Jah­res auf­tau­chen sol­len? Well: We make up the rules as we go along!

Rae Mor­ris hat sich ihre Son­der­rol­le hier im Blog ver­dient: Weil ich mich 2012 instant­ly in ihren Song „Don’t Go“ aus dem (eigent­li­chen) Seri­en­fi­na­le von „Skins“ (der ein­zi­gen Fern­seh­se­rie neben „Die Brü­cke“, von der ich alle Fol­gen gese­hen habe) ver­liebt habe; weil sie der ers­te (und bis heu­te ein­zi­ge) Act in der Geschich­te die­ses Blogs ist, der in einem Jahr (2018) mei­nen per­sön­li­chen „Song des Jah­res“ und mein „Album des Jah­res“ ver­öf­fent­licht hat (das haben Tom­te 2006 zwar auch geschafft, aber halt sechs Wochen, bevor die­ses Blog an den Start ging, also zählt das nur an unge­ra­den Wochen­ta­gen ohne Neu­mond); weil sie der ers­te (und bis heu­te ein­zi­ge) Act ist, der zwei Mal mei­nen per­sön­li­chen Song des Jah­res (2012 und 2018) geschrie­ben hat.

Irgend­wie alles tro­cke­ner Sta­tis­tik-Kram ange­sichts eines Songs, der davon han­delt, auf die Zwei­fel zu pfei­fen und sich kopf­über in die Lie­be zu stür­zen. Rae Mor­ris singt das über ihren musi­ka­li­schen Part­ner und heu­ti­gen Ehe­mann Fryars und sie macht das so toll, dass ich mit ihr an die gro­ße Lie­be glau­ben will, die sich anfühlt wie Feu­er­werk aus­sieht. Doch mei­ne Ver­su­che, „Do It“ in „Joko Win­ter­scheidts Druckerzeug­nis“ zum Som­mer­hit des Jah­res zu pushen, schei­tern und Men­schen wie ich blei­ben bes­ser allein.

Aber, so den­ke ich heu­te, eigent­lich ist die­ses Blog hier ja auch nichts ande­res als die Umset­zung des Gedan­kens „We could just do it“: Gestar­tet als „die Online-Zei­tung, die wir ger­ne lesen wür­den“ (puh!), konn­te ich mich hier an der Tas­ta­tur und vor der Kame­ra aus­to­ben, aus­pro­bie­ren und dar­an wach­sen, um dann für Zei­tun­gen und Fern­seh­sen­dun­gen zu arbei­ten, die ich frü­her nur rezi­piert hat­te. Wenn man aus 18 Jah­ren Cof­fee And TV unbe­dingt irgend­et­was ler­nen will, dann, dass Selbst­er­mäch­ti­gung manch­mal (es gehört ja auch bei mir sicher­lich eini­ges an Glück dazu) wirk­lich funk­tio­nie­ren kann.
[Songs des Jah­res 2018 damals]

2019: LOKI – The Girl With No Eyes
Für die, die hier ernst­haft Buch füh­ren (also: für mich), mag es etwas über­ra­schend sein, dass ein Song, der auf Platz 59 einer Jah­res­bes­ten­lis­te stand, ein Jahr reprä­sen­tie­ren soll. Nun: Ers­tens kön­nen wir uns glaub ich dar­auf eini­gen, dass es eh schon ein ganz klei­nes biss­chen wahn­sin­nig ist, einen „Platz 59“ auf einer per­sön­li­chen Bes­ten­lis­te zu haben; zwei­tens habe ich erst bei der Durch­sicht mei­ner diver­sen Lis­ten, Ein­trä­ge und Play­lists fest­ge­stellt, dass ich tat­säch­lich schon mal Musik von LOKI gehört haben muss, bevor ich sie letz­tes Jahr beim Fes­ti­val Sounds Like Sugar in Her­ne gese­hen habe und so begeis­tert war, dass ich sie beim Bochum Total direkt wie­der sehen muss­te.

Damit steht „The Girl With No Eyes“, des­sen Bon-Iver-Haf­tig­keit mich schon 2019 über­zeugt haben muss, näm­lich für etwas ande­res: Für das wil­de Über­an­ge­bot an Wer­ken (oder: „Con­tent“, wie die Arsch­lö­cher sagen, die in ihrem Leben nicht einen ein­zel­nen genui­nen Gedan­ken hat­ten), aus dem wir theo­re­tisch wäh­len kön­nen, das aber auch das Risi­ko birgt, alles belie­big und egal zu machen. Dass es etwas ande­res ist, tage­lang in phy­si­schen Läden nach einer CD zu fahn­den und sie dann end­lich zu fin­den, als ein­fach alles immer sofort (terms and con­di­ti­ons app­ly) zur Ver­fü­gung zu haben, hab ich schon 2016 auf­ge­schrie­ben. Es ist seit­dem nicht weni­ger gewor­den. Wenn ich mich nicht mehr an irgend­wel­che Acts erin­nern kann (natür­lich auch, weil ihre Namen nur noch über Bild­schir­me flim­mern und nicht aus­ge­druckt vor mir lie­gen, was mei­nem Gehirn immer­hin ein biss­chen hel­fen wür­de), ist es alles ein biss­chen viel.

Ich selbst tra­ge fröh­lich zum Über­an­ge­bot bei: Mit Fried­rich Küp­pers­busch ste­he ich jetzt regel­mä­ßig auf Büh­nen in Dort­mund und Ber­lin, um „Lucky & Fred“ vor Publi­kum auf­zu­zeich­nen. Da kommt das Thea­ter-Kind von frü­her wie­der zum Vor­schein, Applaus ist immer noch die stärks­te Wäh­rung. Weil Likes dage­gen abstin­ken und dort eh nichts mehr los ist, lösche ich am Sil­ves­ter­abend mei­nen Face­book-Account. Im Nach­hin­ein möch­te ich sagen: Ich habe schon düm­me­re Din­ge zu einem schlech­te­ren Zeit­punkt gemacht.
[Songs des Jah­res 2019 damals]

2020: Tay­lor Swift – Epi­pha­ny
Alles beginnt so schön mit wei­te­ren Live-Auf­trit­ten und Kon­zert­be­su­chen bei kett­car, Ider und Car­ly Rae Jep­sen. Und dann endet alles: Kon­zer­te, Kin­der­gar­ten, Bun­des­li­ga, sogar der Euro­vi­si­on Song Con­test wird erst­mals abge­sagt. „Wegen Coro­na“ wird ein soge­nann­tes geflü­gel­tes Wort, was auch irgend­wie zu den ver­damm­ten Flug­hun­den auf dem Nass­markt von Wuhan passt, die uns die gan­ze Schei­ße (mut­maß­lich) ein­ge­brockt haben.

Popkultur-Freund*innen ver­glei­chen die Stra­ßen mit jenen aus dem Zom­bie­film „28 Days Later“ und wir ler­nen die Wohn­zim­mer von Kolleg*innen und Rock­stars ken­nen, die von dort aus Mini-Kon­zer­te in die Welt strea­men (die Rock­stars, nicht die Kolleg*innen). Die Leu­te erschei­nen all das mit erstaun­li­chem Gleich­mut zu ertra­gen, aber die­ses Bild bekommt – um eine wei­te­re Phra­se zu ver­mei­den – schnell Ris­se: Als sich im April eine Frau, die vor einem Café war­ten muss, um Kuchen zum Mit­neh­men zu kau­fen, über die „Gesund­heits­dik­ta­tur“ beschwert, bin ich viel zu über­rascht und scho­ckiert, ihr vor­zu­schla­gen, dass wir ger­ne gemein­sam einen Bekann­ten von mir, der Arzt in Padua ist, anru­fen könn­ten und sie ja mal mit dem spre­chen kön­ne, wenn er nicht gera­de dabei ist, um Leben zu kämp­fen.

Es ist ein Vor­ge­schmack auf das, was kommt: Weil man sich jetzt nir­gend­wo mehr in die Augen gucken kann, ver­ges­sen nahe­zu alle, dass sie online mit ande­ren Men­schen dis­ku­tie­ren. Man­che von uns nut­zen die vie­le freie Zeit, um sich über Ras­sis­mus fort­zu­bil­den, ande­re, um sich zu radi­ka­li­sie­ren. Ich schrei­be viel in mei­nen News­let­ter und wenig ins Blog, star­te aber zusam­men mit Sue Reind­ke immer­hin einen neu­en Pod­cast namens „Bist Du noch wach?“

In all das hin­ein ver­öf­fent­licht Tay­lor Swift, die nach einer abge­sag­ten Welt-Tour­nee auch zu viel Frei­zeit hat, ein Album, das sie in den ers­ten Mona­ten des Lock­downs mit Aaron Dess­ner von The Natio­nal auf­ge­nom­men hat, remo­te. „Folk­lo­re“ wird zum Sound­track des ers­ten Coro­na-Som­mers und über­zeugt selbst jene, die ihrer Musik bis­her kri­tisch gegen­über­ge­stan­den hat­ten. Mit „Ever­mo­re“ erscheint ein paar Mona­te spä­ter noch so ein gro­ßer Wurf. Nach dem groß­ar­ti­gen „1989“ von 2014 hab ich end­lich die nächs­te era, in der ich mich ein­rich­ten kann. Es ist der Sound­track zu sehr aus­gie­bi­gen Spa­zier­gän­gen durch die ver­schie­de­nen Nach­bar­schaf­ten hier in Bochum. Und mit­ten­drin ein Song über Sol­da­ten und Men­schen im Gesund­heits­we­sen, über das Ster­ben in Ein­sam­keit und über das Wei­ter­ma­chen der Über­le­ben­den: „Epi­pha­ny“. „Someone’s daugh­ter, someone’s mother /​ Holds your hand through pla­s­tic now“ sind Zei­len, die mir auf ewig die Trä­nen in die Augen trei­ben und einen Klos in den Hals drü­cken wer­den. Die gute Nach­richt: Mei­ne Omi, die mit 94 noch allein in ihrem viel zu gro­ßen Haus wohnt, über­lebt all das ohne Anste­ckung. Das ist nicht ihr Song.
[Songs des Jah­res 2020 damals]

2021: Meet Me @ The Altar – Never Gon­na Chan­ge
2021 ist die etwas öde Fort­set­zung des Seu­chen­jah­res, aber als Far­ce: Hash­tag Oster­ru­he. Die Amts­zeit von Donald Trump endet, die von Ange­la Mer­kel auch. In Rot­ter­dam, wo der ESC unter Pan­de­mie-Bedin­gun­gen statt­fin­det, lau­tet der schon 2019 erson­ne­ne Slo­gan pas­sen­der­wei­se „Open Up“. Den Som­mer ver­brin­ge ich damit, mein Buch über den Song Con­test zu schrei­ben, an Omis Geburts­tag und an Weih­nach­ten sind wir wie­der alle ver­eint.

In Aachen tref­fe ich einen mei­ner aller­größ­ten Hel­den: Micha­el Sti­pe von R.E.M. Er ist so bezau­bernd, wie ich erhofft hat­te, und gibt mir das Gefühl, als sei ich der aller­ers­te Mensch, der „You’­ve chan­ged my life“ zu ihm sagt. Der VfL Bochum steigt nach elf Jah­ren wie­der in die Bun­des­li­ga auf. Natu­re is heal­ing.

Mei­ne aktu­el­le Lieb­lings­band heißt Meet Me @ The Altar, que­er Women of Color aus den USA, die Pop-Punk zwi­schen Avril Lavi­gne, Para­mo­re und Blink-182 machen. Zum ers­ten Mal hören tue ich von ihnen bei – natür­lich – „All Songs Con­side­red“ auf – natür­lich – einem mei­ner lan­gen Spa­zier­gän­ge, in Erin­ne­rung blei­ben mir ihre EP „Model Citi­zen“ und der Song „Never Gon­na Chan­ge“ aber vor allem als Sound­track zu den ers­ten Besu­chen im Fit­ness­stu­dio, die jetzt wie­der mög­lich sind.
[Songs des Jah­res 2021 von damals]

2022: Maro – Sau­da­de, Sau­da­de
Am Ende wird es das Jahr gewe­sen sein, das ich so lang gefürch­tet hat­te: das, in dem mei­ne Omi stirbt. Es wer­den lan­ge vier Mona­te des Abschieds, die ihren Kin­dern alles abver­lan­gen, aber es eine Zeit des bewuss­ten, lie­be­vol­len Abschieds und der Lie­be in ihrer reins­ten Form.

All das ahne ich noch nicht, als ich beim ESC in Turin sit­ze und völ­lig gebannt (das eng­li­sche Wort mes­me­ri­zed ken­nen wir im Deut­schen lei­der nicht, obwohl es doch auf einen deut­schen Arzt zurück­geht) dem Auf­tritt der por­tu­gie­si­schen Künst­le­rin fol­ge, die das spe­zi­fisch por­tu­gie­si­sche Gefühl sau­da­de besingt, das mit „ver­mis­sen“ nur unzu­rei­chend über­setzt wer­den kann und das sie nach dem Tod ihres gelieb­ten Groß­va­ters emp­fin­det. „Sau­da­de, Sau­da­de“ erreicht am Ende einen tol­len 9. Platz, Deutsch­land hat auch teil­ge­nom­men. Aller­spä­tes­tens hier in Turin ist der ESC nicht mehr die leicht tra­shi­ge Quatsch-Ver­an­stal­tung, als die er noch galt, als Ste­fan und ich 2007 erst­ma­lig dar­über gebloggt haben. Er ist ein ech­tes Musik­fes­ti­val, bei dem man Gen­res und Acts vor­ge­stellt bekommt, auf die man sonst viel­leicht nie gesto­ßen wäre. Wer hier noch alles doof fin­det, mag wahr­schein­lich ein­fach kei­ne Musik.

Mein Buch über die­se Ver­an­stal­tung erscheint qua­si zeit­gleich mit Beginn des rus­si­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne, was mir eine ordent­lich Por­ti­on der Freu­de raubt. Als ich den Release trotz­dem mit Freund*innen in mei­ner Stamm­knei­pe feie­re, ste­cke ich mich (end­lich) mit COVID-19 an und bin immer noch reich­lich außer Atem, als ich das Buch in einer klei­nen gro­ßen Live­show in der Zeche Carl in Essen vor­stel­le. Irgend­wie schaf­fe ich es sogar, in die­sem Jahr noch einen Pod­cast zu pro­du­zie­ren: die Talk­sen­dung „Woher ken­nen wir uns?“
[Songs des Jah­res 2022 damals]

2023: Foo Figh­ters – Res­cued
Omi und Tay­lor Haw­kins sind im sel­ben Jahr gestor­ben, was inso­fern beson­ders tra­gisch ist, als der Schlag­zeu­ger der Foo Figh­ters 46 Jah­re jün­ger gewe­sen war. Dave Grohl hat­te zum drit­ten Mal einen sei­ner bes­ten Freun­de ver­lo­ren, Mona­te spä­ter sei­ne Mut­ter. Ob das der Beginn einer etwas ver­spä­te­ten mid­life-cri­sis war, in deren Ver­lauf jene Toch­ter ent­stand, die „außer­halb mei­ner Ehe“ gebo­ren wur­de, wie er auf Insta­gram schrieb, ver­mag ich nicht zu beur­tei­len — es war zumin­dest der Aus­lö­ser, „But Here We Are“ auf­zu­neh­men, das bes­te Foo-Figh­ters-Album seit fast 25 Jah­ren, auf dem er wie­der ein­mal Trau­er in Wut ver­wan­delt und umge­kehrt.

„Res­cued“ ist einer der ers­ten Songs, den ich in mei­ner klei­nen Musik­sen­dung spie­le, die ich in einem Anfall beson­de­rer Geis­tes­ge­gen­wart auch „Cof­fee And TV“ genannt habe. Sie ist das, wor­auf ich Jahr­zehn­te lang gewar­tet hat­te: die Mög­lich­keit, Songs in einem Pod­cast zu spie­len, ohne in einem kost­spie­li­gen Büro­kra­tie­ge­wit­ter namens „GEMA“ unter­zu­ge­hen. Das Ergeb­nis kann man zwar nur beim fins­te­ren Tech-Kon­zern Spo­ti­fy hören, aber ent­schei­den­der ist für mich eh, sowas über­haupt machen zu kön­nen. Aber wie so oft mit den schö­nen Din­gen im Inter­net: Nur ein Jahr spä­ter zieht Spo­ti­fy den Ste­cker und schafft die Mög­lich­keit, sol­che Musik­sen­dun­gen zu bau­en, direkt wie­der ab.

„But Here We Are“ wird auch 2024 wie­der für mich da sein: Als mei­ne gelieb­te Tan­te Dör­te stirbt, eine groß­ar­ti­ge Grund­schul­leh­re­rin, höre ich den Song, den Dave Grohl für sei­ne ver­stor­be­ne Mut­ter Vir­gi­nia geschrie­ben hat, die eben­falls Leh­re­rin gewe­sen war: „The Tea­cher“.

2024: Ezra Coll­ec­ti­ve feat. Yaz­min Lacey – God Gave Me Feet For Dancing
Das ist mir in all den Jah­ren auch noch nicht pas­siert, dass ich – trotz aller Play­lis­ten, Noti­zen-Apps und Zet­tel – beim Zusam­men­stel­len der „Alben“ oder „Acts des Jah­res“ ein Album bzw. einen Act kom­plett ver­ges­se. Ob’s am Alter liegt oder dem schon erwähn­ten Über­an­ge­bot?

Immer­hin habe ich hier die Gele­gen­heit, den Feh­ler schnell halb­wegs wett­zu­ma­chen: „God Gave Me Feet For Dancing“ von Ezra Coll­ec­ti­ve und Yaz­min Lacey. Ezra Coll­ec­ti­ve sind eine Jazz-Fusi­on-Band aus Lon­don, die Ele­men­te aus Afro­beat, Calyp­so, Reg­gae, Hip-Hop, Soul und Jazz ver­bin­den und deren Songs bei BBC Radio 6 Music, mei­ner aktu­el­len Haupt­quel­le für neue Musik, rauf und run­ter läuft. Es ist die­se Musik, die ich mit dem leicht­fü­ßi­gen Som­mer 2024 ver­bin­de, als wir alle den­ken, dass Kama­la Har­ris US-Prä­si­den­tin wer­den wird, und die Olym­pi­schen Spie­le in Paris ein Gefühl von Hoff­nung, Zuver­sicht und Gemein­schaft ver­mit­teln, das wir so lan­ge ver­misst hat­ten. Sich ein paar Mona­te spä­ter über die eige­ne ver­meint­li­che Nai­vi­tät lus­tig zu machen, wäre aber auch zynisch.
[Songs des Jah­res 2024 von „damals“]

Epi­log
„Am Ende wird alles okay sein — und wenn es nicht okay ist, ist es nicht das Ende“, hat der bra­si­lia­ni­sche Autor Fer­nan­do Sabi­no geschrie­ben und Weezer nann­ten ihr 2015er Album „Ever­y­thing Will Be Alright In The End“. „Schwimm für die Songs, die noch geschrie­ben wer­den“, hat Mar­cus Wie­busch von kett­car auf sei­nem Solo­al­bum gesun­gen — und dabei Andrew McMa­hon refe­ren­ziert. Alles hängt immer mit allem zusam­men.

Social Media ist, spä­tes­tens seit sich die Tech-Olig­ar­chen um Donald Trump scha­ren, ein dumps­ter fire, das unse­re See­len und Gehir­ne ver­zehrt. Doch das hier sind nur die ers­ten 18 Jah­re und die ers­ten 18 Songs. Cof­fee And TV ist mein Zuhau­se und ich pla­ne zu blei­ben, mein Freund.

Denn wie sang einst Gra­ham Coxon in jenem Blur-Song, des­sen Titel wir uns damals ein­fach gemopst haben?

Take me away from this big bad world
And agree to mar­ry me
So we can start over again

(Auf das mit dem Hei­ra­ten wür­de ich nach den oben erwähn­ten Erfah­run­gen aller­dings ger­ne ver­zich­ten.)

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Musik

this is me trying — to get a ticket

Es ist ein ruhi­ger Diens­tag­abend. Ich schmei­ße mei­ne Play­sta­ti­on an und lege mich aufs Bett, um eine Run­de „Life Is Stran­ge: Befo­re the Storm“ zu spie­len. Mit der Ruhe soll es aber schon bald vor­bei sein, denn ich öff­ne aus Gewohn­heit mal wie­der mei­ne Insta­gram-App. Ein neu­er Bei­trag von Tay­lor Swift. Ist das wie­der Wer­bung für Merch? Ich will schon die Augen ver­dre­hen, doch dann schaue ich noch ein­mal genau­er hin. Das kann doch nicht…Moment mal…WAS? Immer wie­der zoo­me ich rein und raus und kann kaum glau­ben, was ich da vor mir sehe. Madrid, Stock­holm, Liver­pool, Zürich, Lon­don? Sind das etwa die euro­päi­schen Tour­da­ten für die „The Eras Tour“? Ja, das sind sie! End­lich. Seit Wochen haben die euro­päi­schen „Swif­ties“ spe­ku­liert, wann es denn end­lich so weit sein könn­te – und jetzt ist der gro­ße Moment end­lich gekom­men. Natür­lich ver­brei­tet sich die fro­he Bot­schaft wie ein Lauf­feu­er und so tru­deln bei mir im Sekun­den­takt Nach­rich­ten von Freun­din­nen ein, die genau­so begeis­tert sind wie ich. Lan­ge muss­ten wir auf die Daten war­ten, aber jetzt haben wir immer­hin Gewiss­heit. Auch nach Deutsch­land wird es sie im Rah­men ihrer Euro­pa-Tour ver­schla­gen. Ins­ge­samt sind hier­zu­lan­de drei Kon­zer­te geplant. Eines in Ham­burg, eines in Mün­chen und eines in Gel­sen­kir­chen. Letz­te­re Stadt ist vie­len Fans ein Rät­sel, die meis­ten wis­sen ver­mut­lich nicht ein­mal, wo sie liegt. Tay­lor Swift jetzt aber schon.

Die Freu­de über die Ankün­di­gung hielt lei­der nicht lang, denn um an ein Ticket zu kom­men, muss­ten wir uns zunächst ein­mal regis­trie­ren, um eini­ge Tage spä­ter EVENTUELL einen Pre­sa­le-Code zu erhal­ten. Selbst­ver­ständ­lich bra­chen die Ser­ver zusam­men, ähn­lich wie mein Ner­ven­kos­tüm. Nach knapp einer hal­ben Stun­de War­te­zeit war die Regis­trie­rung erfolg­reich. Jetzt heißt es: war­ten und beten. Doch von Tag zu Tag und mit jeder neu­en Info zum Vor­ver­kauf schwin­det die Hoff­nung auf eines der heiß­be­gehr­ten Tickets, Gerüch­ten zufol­ge sol­len sich allein für den Vor­ver­kauf für das Kon­zert in Madrid über eine Mil­li­on Men­schen regis­triert haben. Puh.

Kein Wun­der, schließ­lich muss­ten die Fans der Sän­ge­rin sehr, sehr lan­ge auf die­se Ankün­di­gung war­ten. Nach­dem die für 2020 geplan­te Tour, „Lover Fest“, pan­de­mie­be­dingt abge­sagt wer­den muss­te, war es nur eine Fra­ge der Zeit, wann Tay­lor Swift die nächs­te Tour ankün­di­gen wür­de. Spä­tes­tens nach der Ver­öf­fent­li­chung ihres zehn­ten Stu­dio­al­bums „Mid­nights“ brann­te es den Fans unter den Nägeln. Für das Album, das sie unter ande­rem mit Jack Anton­off geschrie­ben und pro­du­ziert hat, erhielt Swift viel Lob. Her­vor­ge­ho­ben wur­den von den Musik­kri­ti­ke­rin­nen und ‑kri­ti­kern beson­ders das Song­wri­ting und die gesang­li­che Per­for­mance. Ich per­sön­lich fin­de „Folk­lo­re“ und „Ever­mo­re“ ein wenig gelun­ge­ner, doch muss ich zuge­ben, dass das Lied „The Gre­at War“, das Tay­lor gemein­sam mit Aaron Dess­ner geschrie­ben und pro­du­ziert hat und das ursprüng­lich nur auf der „3am Edi­ti­on“ des Albums ent­hal­ten war, mitt­ler­wei­le mein abso­lu­tes Lieb­lings­lied aus ihrer Dis­ko­gra­fie ist.

Im März star­te­te sie mit dem neu­en Album im Gepäck bereits in den US-Teil der gro­ßen Sta­di­on­tour, mit der sie 2024 dann auch end­lich nach Euro­pa kommt. Bis­her durf­te ich mir – dank eini­ger sehr hin­ge­bungs­vol­ler Fans, die die Kon­zer­te regel­mä­ßig im Live­stream über­tra­gen oder soge­nann­te Edits dar­aus bas­teln – die Kon­zer­te häpp­chen­wei­se bei Tik­Tok anschau­en und einen klei­nen Vor­ge­schmack davon erha­schen, was uns 2024 erwar­tet. So viel kann ich schon mal ver­ra­ten: Es wird rich­tig geil.

Wenn ich denn an ein Ticket kom­men kann. Und wenn es nicht viel zu teu­er ist. Wenn ich mich dar­an zurück­er­in­ne­re, wie der Ticket­ver­kauf in den USA eska­liert ist, habe ich dann doch ein wenig Angst um mei­nen Geld­beu­tel. Meh­re­re Hun­dert Dol­lar muss­ten Fans zum Teil für ihr Ticket zah­len, vie­le Tickets wur­den sogar für fünf­stel­li­ge Beträ­ge im Inter­net ange­bo­ten. So schlimm wird es hier dann hof­fent­lich nicht, ansons­ten muss ich all mein Hab und Gut ver­kau­fen.

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Songs des Jahres 2022

Ich brau­che tra­di­tio­nell immer ein biss­chen län­ger, um mei­ne Songs des Jah­res zusam­men­zu­stel­len, aber ich fin­de das bes­ser, als das Jahr schon im Novem­ber ein­pa­cken zu wol­len; hier ist mein Blog mit mei­nen Regeln und außer­dem ist ja noch Janu­ar. Also: Hier sind – Stand jetzt – mei­ne Lieb­lings­lie­der des Jah­res 2022!

25. Death Cab For Cutie – Here To Fore­ver
Ben Gib­bards Lyrics sind ja mit­un­ter so spe­zi­fisch, dass sie schon zum Meme tau­gen. Das muss natür­lich nicht schlecht sein, im Gegen­teil:

In every movie I watch from the ’50s
There’s only one thought that swirls
Around my head now
And that’s that ever­yo­ne the­re on the screen
Yeah, ever­yo­ne the­re on the screen
Well, they’­re all dead now

Damit hat er ein­mal mehr einen Gedan­ken aus­for­mu­liert, den ich so oder so ähn­lich selbst schon oft hat­te. Und wenn Du dann am Tag nach dem Tod Dei­ner Groß­mutter im Wohn­zim­mer des Groß­el­tern­hau­ses stehst, auf einem Regal die Fotos all der Groß­tan­ten und ‑onkel, dann knal­len die­se Zei­len noch mal ganz neu in die offe­ne Wun­de: Die sind jetzt alle tot. Das neue Death-Cab-Album „Asphalt Mea­dows“ hat mich irgend­wie nicht so rich­tig abge­holt, aber die­ser Song wird immer Teil mei­ner Geschich­te sein.

24. Nina Chuba – Wild­ber­ry Lil­let
Ich bin jetzt in einem Alter, wo es zuneh­mend schwer wird, mit den jun­gen Leu­ten Schritt zu hal­ten – vor allem, wenn man kei­nen Bock hat, sich chi­ne­si­sche Spio­na­ge-Soft­ware aufs Han­dy zu laden. Ich habe die­ses Lied also erst rela­tiv spät in einem prä­his­to­ri­schen Medi­um namens Musik­fern­se­hen ent­deckt, aber mir war sofort klar, war­um das ein Hit ist: Die­se Hook, die gekonnt auf der Gren­ze zwi­schen „ein­gän­gig“ und „ner­vig“ hüpft; die­se Lyrics, die im klas­sischs­ten Sin­ne das durch­spie­len, was wir musi­cal thea­ter kids den „I Want“-Song nen­nen, und dabei sowohl im Dicke-Hose-Rap („Ich will Immos, ich will Dol­lars, ich will flie­gen wie bei Mar­vel“) abschöp­fen, als auch fast rüh­rend kind­lich („Will, dass alle mei­ne Freun­de bei mir woh­nen in der Stra­ße“) daher­kom­men; die­se fröh­lich-rum­pe­li­ge Pip­pi-Lang­strumpf-Hal­tung, mit der wie­der mal eine neue Gene­ra­ti­on ihren Teil vom Kuchen ein­for­dert – oder hier gleich die gan­ze Bäcke­rei („Ich hab‘ Hun­ger, also nehm‘ ich mir alles vom Buf­fet“). Und mit­ten­drin eine Zei­le, die man als immer jugend­li­chen Trotz lesen kann – oder als wahn­sin­nig trau­ri­gen Fata­lis­mus: „Ich will nicht alt wer­den“. Wenn man den Song feuil­le­to­nis­tisch nase­rümp­fend neben den „Fri­days For Future“-Aktivismus legt, wird man fest­stel­len, dass die Jugend (Nina Chuba ist da mit 24 gera­de noch im rich­ti­gen Alter für den Song) ganz schön wider­sprüch­lich sein kann: „We’­re the young gene­ra­ti­on, and we’­ve got some­thing to say“ hat­ten die Mon­kees ja schon 1967 gesun­gen – und dar­über hin­aus nichts zu sagen gehabt, wäh­rend zeit­gleich mal wie­der eine Zei­ten­wen­de aus­brach.

23. Har­ry Styl­es – As It Was
Damit hät­te jetzt auch nie­mand rech­nen kön­nen, dass aus­ge­rech­net „Take On Me“ von a‑ha mal zu einem der prä­gends­ten Ein­flüs­se auf eine neue Gene­ra­ti­on Pop­mu­sik wer­den wür­de: Schon „Blin­ding Lights“ von The Weeknd war von der legen­dä­ren Key­board-Hook … sagen wir mal: „inspi­riert“ und auch „As It Was“ kann eine gewis­se Ver­wandt­schaft nicht bestrei­ten. Aber ers­tens bit­te nichts gegen a‑ha und zwei­tens pas­siert hier in 2:47 Minu­ten (wäh­rend die Kino­fil­me immer län­ger wer­den, wer­den die Pop­songs immer kür­zer – die Men­schen haben ja auch nicht unend­lich viel Zeit) so viel, dass man kaum hin­ter­her kommt. Und über Har­ry Styl­es muss man ja eh nichts mehr sagen. ((Außer: Hat er jetzt eigent­lich Chris Pine ange­spuckt?))

22. The Natio­nal feat. Bon Iver – Weird Good­byes
„What your favo­ri­te sad dad band says about you“ titel­te McSweeney’s im Janu­ar 2022, dabei war der Witz da schon min­des­tens vier­ein­halb Jah­re alt. The Natio­nal und Bon Iver sind natür­lich auf bei­den Lis­ten und wenn sie nicht gera­de mit Tay­lor Swift Musik machen, machen sie die halt gemein­sam (dass Aaron Dess­ner von The Natio­nal und Jus­tin Ver­non von Bon Iver auch noch gemein­sam bei Big Red Machi­ne spie­len, ver­wirrt an die­ser Stel­le zwar nur, ich muss es aber erwäh­nen, weil sonst mei­ne Mit­glied­schaft in der „Musikjournalisten-Nerds“-Unterabteilung des Bochu­mer „Sad Dad“-Clubs in Gefahr wäre). So wie bei die­sem Song, der nicht Teil des neu­en The-Natio­nal-Albums sein wird, das inzwi­schen ange­kün­digt wur­de und „First Two Pages of Fran­ken­stein“ (man ahnt eine etwas umständ­li­che Refe­renz, die da irgend­wo als Witz im Hin­ter­grund lau­ert) heißt. Es ist trotz­dem ein schö­ner Song! Und die Band ver­kauft inzwi­schen „Sad Dad“-Merchandise.

21. Rae Mor­ris – No Woman Is An Island
Rae Mor­ris ist der ers­te und bis­her ein­zi­ge Act, der schon zwei Mal mei­ne Lis­te der „Songs des Jah­res“ ange­führt hat: 2012 und 2018. Rech­ne­risch wäre sie also erst 2024 wie­der dran, was ja auch gut sein kann. „No Woman Is An Island“ ist natür­lich auch nicht schlecht, ich hab nur eben 20 Songs (von ca. 4.000 gehör­ten) gefun­den, die ich 2022 bes­ser fand als die­se leicht thea­tra­li­sche (im Sin­ne von Büh­nen­auf­füh­rung, nicht im Sin­ne von über­trie­ben) Femi­nis­mus-Bal­la­de.

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Musik

Songs des Jahres 2020

Hier Ein­stiegs­text: Was für ein Jahr, Musik als Trost und Eska­pis­mus, streng sub­jek­tiv, Stand 16:04, viel Spaß!

25. Janou – Sweet Love
Was für ein Geschenk das ist, talen­tier­ten Men­schen dabei zuse­hen zu dür­fen, wie sie ihre Kunst ver­fei­nern! Ich ken­ne Janou jetzt schon seit fast zehn Jah­ren und habe erlebt, wie sie rumo­ren­de Knei­pen zum Schwei­gen brach­te, wenn sie ihre Stim­me zur Akus­tik­gi­tar­re erhob. Seit eini­ger Zeit bekommt sie dabei elek­tro­ni­sche Unter­stüt­zung und gleich die aller­ers­te Sin­gle des Duos klingt, als hät­te sie 1994 auf der „Pro­tec­tion“ von Mas­si­ve Attack die­ses merk­wür­di­ge „Light My Fire“-Cover erset­zen sol­len:

24. Hol­ly Hum­ber­stone – Deep End
Der Nach­teil, wenn einem Spo­ti­fy ein­fach so ein Lied vor­schlägt, in das man sich dann ver­liebt, ist ja, dass man ihn manch­mal ein Jahr lang hört, ohne irgend­et­was über die Per­son zu wis­sen, die ihn singt. Ande­rer­seits haben wir ja im Stu­di­um gelernt, Bio­gra­phie vom Werk zu tren­nen, und so kön­nen Formatradio-Moderator*innen ger­ne aus dem Wiki­pe­dia-Bei­trag von Hol­ly Hum­ber­stone vor­le­sen (als ob!) – ich blei­be ein­fach ganz ergrif­fen von die­sem tod­trau­ri­gen, aber irgend­wie auch opti­mis­ti­schen Song:

23. love­ly­the­band – Loneli­ne­ss For Love
Erin­nern Sie sich noch, als The Kil­lers neu waren und wahl­wei­se dafür geschol­ten oder geprie­sen wur­den, dass sie wie Joy Divi­si­on, New Order und Duran Duran klan­gen? Ich freue mich, Ihnen mit­tei­len zu kön­nen, dass wir es alle geschafft haben, so alt zu wer­den, dass jun­ge Bands wie The Kil­lers klin­gen! love­ly­the­band ist nun wirk­lich kein beson­ders gelun­ge­ner Band­na­me, ich habe kei­ne Ahnung, wie der Rest ihres Schaf­fens klingt, aber die­ser 80’s pop song (und beson­ders sein Syn­the­si­zer-Riff) ist schon sehr chic:

22. Dar­lings­ide – Green + Ever­green
„Fish Pond Fish“, das aktu­el­le Album von Dar­lings­ide, hat es knapp nicht in mei­ne Top 10 geschafft – ich möch­te es aber den­noch allen ans Herz legen, die opu­lent arran­gier­ten Folk-Pop lie­ben, bei dem trotz­dem kein Ton zu viel ist. Wer Fleet Foxes oder The Low Anthem mag, wird auch Dar­lings­ide zu schät­zen wis­sen!

21. Jacob Col­lier feat. Maha­lia and Ty Dol­la $ign – All I Need
Der Name Jacob Col­lier ist mir im letz­ten Jahr immer wie­der in unter­schied­lichs­ten Zusam­men­hän­gen unter­ge­kom­men: Als Song­wri­ter für u.a. Cold­play; als Tes­ti­mo­ni­al, das in den Wer­be­blö­cken auf CNN erzählt, wel­che Aus­wir­kun­gen der Lock­down auf Musiker*innen hat; und als Gast in US-Late-Night-Shows. Ob er auch in Deutsch­land im Radio läuft? Kei­ne Ahnung, ich hör ja kaum wel­ches (eine kur­ze Recher­che ergab aller­dings, dass er zumin­dest inner­halb der letz­ten Woche nicht auf 1Live gespielt wur­de). „All I Need“ ist ein R’n’B-Song, der immer wie­der Haken schlägt und in Rich­tun­gen geht, die man einen Beat zuvor nicht erwar­tet hät­te. Cool, mit Ver­wei­sen auf die Musik­ge­schich­te und eige­nem Sound. Zuge­ge­ben: Das ist zu viel fürs deut­sche For­mat­ra­dio!

20. Agnes Obel – Island Of Doom
„Kate Bush“. Da wir das jetzt hin­ter uns haben, kön­nen wir uns ganz auf die­sen … nun ja: äthe­ri­schen Pop­song ein­las­sen, in dem die Stim­me von Agnes Obel in vie­len Schich­ten über ein tän­zeln­des Kla­vier weht. Ein­fach mal durch­at­men war 2020 gar nicht so leicht, die­ser Song konn­te dabei hel­fen. Und: Ja, so coo­le Sachen bekom­men Sie im ARD-Mor­gen­ma­ga­zin zu sehen, für das ich unter ande­rem arbei­te!

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Musik

Alben des Jahres 2020

Okay, ich bin spät dran – ande­rer­seits hat 2021 ja nicht am 1. Janu­ar begon­nen, son­dern fast drei Wochen spä­ter. Und: Ja, ich hat­te letz­tes Jahr schon gesagt, dass ich viel­leicht nie wie­der eine Lis­te mit den „Alben des Jah­res“ machen wür­de, weil das For­mat Album zuneh­mend an Bedeu­tung ver­liert; weil man­che Acts zum Bei­spiel gar kei­ne Alben mehr machen – oder Leu­te wie Tay­lor Swift halt gleich zwei, von denen man dann auch irgend­wie nicht so recht weiß, wie man die­se behan­deln soll. Aber es war so ein selt­sa­mes Jahr, dass ein wenig Rück­be­sin­nung auf Alt­be­währ­tes psy­cho­lo­gisch sinn­voll sein kann.

Wald voller Bäume

Also dann: Zum wirk­lich aller­letz­ten Mal – mei­ne liebs­ten Alben eines Kalen­der­jah­res!

10. Sev­da­li­za – Shab­rang (Spo­ti­fy, Apple Music)
Der Musik von Sev­da­li­za bin ich zum ers­ten Mal im Febru­ar 2020 bei „All Songs Con­side­red“ begeg­net und erst­mal abge­taucht in die­se etwas unge­wohn­ten Klang­wel­ten. Als dann im August das zwei­te Album der ira­nisch-nie­der­län­di­schen Musi­ke­rin erschien, war „unge­wohnt“ kei­ne Kate­go­rie mehr, in der irgend­je­mand gedacht hat. Das Inter­net bezeich­net die Musik als „Elec­tro­nic, alter­na­ti­ve R&B, trip hop, expe­ri­men­tal pop, avant-pop“, aber manch­mal hilft es ja, sich Sachen ein­fach anzu­hö­ren und dar­auf ein­zu­las­sen.

9. Vis­tas – Ever­y­thing Chan­ges In The End (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wenn Ste­phen Thomp­son von NPR, ein Mann, dem ich in Sachen Musik blind ver­traue, sagt, dass er seit lan­gem kein Album mehr gehört habe, das so vie­le poten­ti­el­le Hits ent­hal­te; das klin­ge wie eine Mischung aus den Pro­clai­mers, Andrew W.K. und Foun­ta­ins Of Way­ne und das eines sei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­al­ben des Jah­res sein wer­de, dann höre ich mir das natür­lich an: „Ever­y­thing Chan­ges In The End“ von Vis­tas war dann tat­säch­lich eine ein­zi­ge Samm­lung gro­ßer, vor Freu­de fast plat­zen­der Power-Pop-Hym­nen – in Sachen Span­nungs­bo­gen und Abwechs­lung war das ein biss­chen öde, aber nach­dem der Som­mer 2020 fast aus­schließ­lich in unse­rem eige­nen Gar­ten statt­fand, den­ke ich bei die­sen Songs eben nicht an Nach­mit­ta­ge im Stadt­park, Fes­ti­val-Besu­che (gut: ich bin eh zu alt für die­sen Quatsch!) und abend­li­che Heim­we­ge in kur­zen Hosen, son­dern an den Teil des Gar­tens hin­ter der Gara­ge, den Teil des Gar­tens neben der Kel­ler­trep­pe und – total cra­zy – den Aus­flug zu Fuß zum Ede­ka.

8. Bruce Springsteen – Let­ter To You (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wenn man ein Album von Bruce Springsteen in sei­ne Jah­res-Top-10 packt, kann man eigent­lich als nächs­tes an der Leser­charts-Wahl des deut­schen „Rol­ling Stone“ teil­neh­men, sich mit Leder­ja­cke auf ein Motor­rad set­zen und schon mal den Ter­min für die nächs­te Vor­sor­ge-Unter­su­chung beim Haus­arzt machen! Aber wenn uns 2020 eines gelehrt hat, dann: Weni­ger Zynis­mus, bit­te! (Und mehr Vor­sor­ge-Unter­su­chun­gen!) Was kön­nen ich und motor­rad­fah­ren­de Rock­ma­ga­zin-Leser über 60 denn dafür, dass der Boss auch nach all den Jah­ren so gute Alben aus dem Ärmel sei­ner Leder­ja­cke schüt­telt? Fast das gan­ze „Let­ter To You“ ist eine Fei­er von Musik, Opti­mis­mus und Durch­hal­te­ver­mö­gen und es ist etwas über­ra­schend, dass die Songs schon vor dem gan­zen Scheiß geschrie­ben (drei sogar vor fast 50 Jah­ren) und mit der E Street Band auf­ge­nom­men wur­den.

7. Tou­ché Amo­ré – Lament (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wer woll­te 2020 nicht am Liebs­ten ein­fach nur Schrei­en? Jere­my Bolm macht genau das – und er ist sehr gut dar­in. Irgend­wie waren die ers­ten vier Alben von Tou­ché Amo­ré an mir vor­bei­ge­gan­gen, obwohl sie eigent­lich genau mein Ding hät­ten sein müs­sen. Jetzt aber: „Lament“. Musik, die klingt, als wür­de ich sie schon seit 20 Jah­ren im Her­zen tra­gen, als hät­te ich dazu schon in abge­ranz­ten Clubs auf der Tanz­flä­che gestan­den, mei­ne Fäus­te geballt, die Unter­ar­me ange­win­kelt und dann sehr laut und emo­tio­nal mit­ge­brüllt. Ich ver­spre­che, ich wer­de es nach­ho­len, sobald es mög­lich ist!

6. Cir­ca Waves – Sad Hap­py (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wo wir gera­de vom For­mat Album spra­chen: „Sad Hap­py“ kam in zwei Tei­len her­aus – „Hap­py“ im Janu­ar 2020, als die Welt, wie wir sie kann­ten, noch exis­tier­te, und man ange­sichts von sie­ben groß­ar­ti­gen Songs schon mal nach Tour­da­ten Aus­schau gehal­ten hat; „Sad“ an jenem 13. März, in des­sen Ver­lauf Schu­len und Kin­der­gär­ten geschlos­sen, die Bun­des­li­ga aus­ge­setzt und gene­rell die vor­he­ri­ge Nor­ma­li­tät völ­lig abge­schal­tet wur­de. Nach der eupho­ri­schen, ener­gie­ge­la­de­nen ers­ten Hälf­te pass­te der 2. Teil zur neu­en Wirk­lich­keit (so, wie natür­lich alles plötz­lich irgend­ei­ne Bedeu­tung hat­te): Ein biss­chen mehr Melan­cho­lie, ein biss­chen mehr Syn­the­si­zer, ein biss­chen mehr Akus­tik­gi­tar­ren. Die ers­ten sie­ben Songs waren plötz­lich eine Erin­ne­rung an eine ande­re Welt, das gan­ze Album blieb toll.

5. Dar­ren Jes­see – Remo­ver (Spo­ti­fy, Apple Music)
Dar­ren Jes­see beglei­tet mich mehr als mein hal­bes Leben: Erst als Schlag­zeu­ger, Back­ground-Sän­ger und Gele­gen­heits-Song­wri­ter bei mei­ner ewi­gen Lieb­lings­band Ben Folds Five, dann als Sän­ger und Haupt-Band­mit­glied von Hotel Lights, wo ich ein paar Mal mit ihm im E‑Mail-Aus­tausch stand, um die Musik der Band bei CT das radio zu spie­len und sonst­wie in Euro­pa popu­lär zu machen. „Remo­ver“ ist Dar­ren Jes­sees zwei­tes Solo­al­bum und zählt mit zum Bes­ten, was er je her­aus­ge­bracht hat: Ein ein­fa­ches, redu­zier­tes Folk-Pop-Album zwi­schen Elliott Smith und Mon­ta, Neil Young und Wil­co. Songs wie „Along The Out­skirts“ und „Never Gon­na Get It“ füh­len sich an wie die kraft­vol­le Umar­mung eines alten Freun­des (wenigs­tens glau­be ich das, was weiß ich, wie sich Umar­mun­gen anfüh­len?!).

4. Kath­le­en Edwards – Total Free­dom (Spo­ti­fy, Apple Music)
2014 hat­te sich Kath­le­en Edwards nach vier groß­ar­ti­gen Alben und aus­zeh­ren­den Tou­ren durch die hal­be Welt aus dem Musik­ge­schäft zurück­ge­zo­gen und in ihrer Hei­mat einen Cof­fee Shop namens „Quit­ters“ auf­ge­macht. Nach Jah­ren der Stil­le und des Milch­auf­schäu­mens kehr­te sie im ver­gan­ge­nen Jahr zurück und sang auf „Total Free­dom“ zum Glück wie­der wun­der­schö­ne, etwas melan­cho­li­sche Alter­na­ti­ve-Folk-Songs über zwi­schen­mensch­li­che Bezie­hun­gen, das Leben und den Aus­stieg aus dem Busi­ness. Ich bin 2020 wirk­lich nicht viel Auto gefah­ren, aber wenn ich mich an unbe­schwer­te Stun­den auf der Auto­bahn erin­ne­re, dann mit die­sem Album.

3. HAIM – Women In Music Pt. III (Spo­ti­fy, Apple Music)
Natür­lich hie­ßen die ers­ten bei­den Alben von HAIM nicht „Women In Music“, aber es war schon ein klu­ger, klei­ner Gag der Schwes­tern-Band, das drit­te Werk so zu benen­nen, ist es doch im bes­ten Sin­ne eine kon­se­quen­te Fort­set­zung: Es groovt, die Drums schep­pern ein biss­chen und die Stim­men von Este, Dani­elle und Ala­na Haim har­mo­nie­ren. Man hat das Gefühl, das eige­ne Leben wür­de ein biss­chen gla­mou­rö­ser und kre­di­bi­ler, wenn man die­se Musik hört – Rosé­wa­ve eben! Für mich war „Women In Music Pt. III“ der Sound­track zu einem Sams­tag­vor­mit­tag im Juni, den ich beruf­lich bedingt in Ham­burg ver­brach­te und an dem ich zwei Stun­den bei Son­nen­schein (Ham­burg!) durchs Schan­zen­vier­tel spa­zier­te, was sich trotz Mas­ken­pflicht in den Geschäf­ten so sehr wie Urlaub anfühl­te wie wenig ande­res in 2020.

2. Gor­di – Our Two Skins (Spo­ti­fy, Apple Music)
Alle, wirk­lich alle Songs, die Sophie Pay­ten ali­as Gor­di vor­ab ver­öf­fent­licht hat­te, hat­ten es auf mei­ne Vor­auswahl-Lis­te für die Songs des Jah­res geschafft und lie­ßen Gro­ßes erwar­ten. „Our Two Skins“ ent­täusch­te nicht: Vom zag­haf­ten, ganz zer­brech­li­chen „Aero­pla­ne Bath­room“ über das tän­zeln­de „Sand­wi­ches“ bis zu den schwel­ge­ri­schen „Vol­ca­nic“ (bei dem man am Deut­lichs­ten hört, dass es mit dem Pro­du­zen­ten Chris Mes­si­na und dem Label Jag­ja­gu­war eini­ge Gemein­sam­kei­ten mit Bon Iver gibt) und “Extra­or­di­na­ry Life“ folgt hier wirk­lich ein unwahr­schein­li­cher Hit auf den nächs­ten. „Our Two Skins“ klingt, wie sich tie­fes Durch­at­men (was wir ja jetzt Dank der 2020 ent­deck­ten Yoga-Vide­os und Medi­ta­ti­ons-Apps alle regel­mä­ßig machen) anfühlt!

1. Tay­lor Swift – Folk­lo­re (Spo­ti­fy, Apple Music)
Schon als ich „Folk­lo­re“ zum ers­ten Mal gehört habe, wuss­te ich, dass es eine beson­de­re Bezie­hung sein wür­de zwi­schen mir und die­sem Album. Tay­lor Swift hat­te es im 1. Lock­down geschrie­ben und auf­ge­nom­men, kei­ne 24 Stun­den vor Ver­öf­fent­li­chung ange­kün­digt – und schon beim ers­ten Hören war klar, dass sie gemein­sam mit ihren Co-Song­wri­tern und Pro­du­zen­ten Aaron Dess­ner (The Natio­nal, Big Red Machi­ne) und Jack Anton­off damit schlicht­weg ein Meis­ter­werk geschaf­fen hat­te. Waren Tay­lor Swift mit moderns­ter, auf­wen­digs­ter Pro­duk­ti­on schon zahl­rei­che instant clas­sics gelun­gen, so kata­pul­tier­te sie der eher redu­zier­te Sound von „Folk­lo­re“ in noch höhe­re Höhen. End­lich han­del­ten die Tex­te mal nicht mehr nur davon, wie es ist, Tay­lor Swift zu sein, son­dern sie erzähl­ten klei­ne Geschich­ten – wobei, was heißt da „klein“?! „The Last Gre­at Ame­ri­can Dynasty“ ist eine gre­at Ame­ri­can novel in 3:51 Minu­ten; „Bet­ty“ der bes­te Song, der je dar­über geschrie­ben wur­de, wie es ist, ein 17-jäh­ri­ger Jun­ge zu sein (Sor­ry, Tra­vis!); „August“ klingt so sorg­los, wie sich der gleich­na­mi­ge Monat im Nach­hin­ein fast anfühl­te; „Epi­pha­ny“ bringt mich immer noch zum Heu­len (oder zumin­dest dazu, tief durch­zu­at­men) und das Tren­nungs-Duett „Exi­le“ mit Jus­tin Ver­non von Bon Iver ist sowie­so ein Lied, das einem ein­fach jedes Mal den Ste­cker zieht.
Seit Juli wache ich jeden Mor­gen mit einem neu­en Ohr­wurm auf – und es sind wirk­lich alle 16 Songs von „Folk­lo­re“ dabei (wahl­wei­se gemein­sam oder anstel­le des täg­li­chen „Hamilton“-Ohwurms). Die­ses Album hat mich durch die zwei­te Jah­res­hälf­te beglei­tet wie sonst nur mein Kind und mei­ne engs­ten Freund*innen. Etwa ab Sep­tem­ber war klar, dass „Folk­lo­re“ mein Album des Jah­res wer­den wür­de – und dann hau­te Tay­lor Swift im Dezem­ber, wie­der mit mini­ma­ler Vor­war­nung, ein­fach noch ein Album raus! „Ever­mo­re“ hät­te mit sei­nen Kol­la­bo­ra­tio­nen mit HAIM, The Natio­nal und aber­mals Bon Iver bes­te Chan­cen gehabt, eben­falls in mei­nen Top 10 zu lan­den, aber ich hat­te ja schon „Folk­lo­re“. I think, I’ve seen this film befo­re. And I loved all of it.

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Musik Digital

Schusters „rappen“

Zu den trau­rigs­ten (mut­maß­lich unter­be­zahl­ten) Jobs in der Medi­en­bran­che gehört „Auf­schrei­ben, was bei Twit­ter so los ist“ – und damit mei­ne ich nicht mal „Schau­en, was das Netz so sagt“, also die moder­ne Vari­an­te der Stra­ßen­um­fra­ge oder der Leser­brief­sei­te, bei der ein tat­säch­li­ches The­ma, das gera­de in den rich­ti­gen Medi­en vor­kommt und die nor­ma­len Men­schen beschäf­tigt, mit Stim­men aus dem Volk ange­rei­chert wird. Ich rede von fünf Tweets von völ­lig unbe­kann­ten Men­schen, die zusam­men­ge­sam­melt wer­den, um dar­aus eine Geschich­te – oder bes­ser noch: einen „Shit­s­torm“ – zu kon­stru­ie­ren. Also wirk­lich das digi­ta­le Äqui­va­lent zu „neu­lich an der The­ke“.

Neu­lich an der The­ke fan­den die Inter­net-Res­te-Ver­wer­ter von „Mas­ha­ble“ fünf Tweets zum neu­en Tay­lor-Swift-Song, in dem auch Ed Sheeran zu Wort kommt – und zwar rap­pend. „Haha, schlimm“, sag­te Twit­ter (ja, wirk­lich: „Twit­ter was having none of it“, steht da) und mach­te sich über den in Anfüh­rungs­zei­chen rap­pen­den Bar­den lus­tig.

So weit, so egal.

„Mas­ha­ble“ ging aber noch einen Schritt wei­ter:

Let’s not for­get, this is not the first time Sheeran has „rap­ped.“

Remem­ber this litt­le num­ber (or don’t, serious­ly, don’t press play, don’t)?

steht da über einem Video zum (tat­säch­lich sehr, sehr schlim­men) Song „Gal­way Girl“ von Ed Sheeran.

Und ich weiß, es ist – gera­de in Zei­ten wie die­sen – viel­leicht nicht das Aller­schlimms­te, was es an „den Medi­en“ zu kri­ti­sie­ren gibt, aber hier ging mein Puls dann doch auch für mich über­ra­schend durch die Decke.

Denn natür­lich war auch „Gal­way Girl“ nicht „the first time Sheeran has ‚rap­ped‘ “: Auf sei­nen frü­hen EPs und sei­nem Debüt­al­bum „+“ fin­den sich eini­ge Songs, in denen Ed Sheeran Sprech­ge­sang ein­setzt – so wie sei­ne erklär­ten Vor­bil­der, das inzwi­schen lan­ge auf­ge­lös­te bri­ti­sche Duo Niz­lo­pi (treue Blog­le­ser erin­nern sich viel­leicht), das Sheerans (frü­hen) Sound maß­geb­lich beein­flusst hat.

Man muss das alles nicht wis­sen. Ed Sheeran ist nicht Paul McCart­ney, aber wenn man sich über Ed Sheerans Rap-Skills lus­tig macht (was ja auch okay ist – ich fand „+“ ja unter ande­rem des­halb super, aber das ist ja Geschmacks­sa­che), soll­te man das The­ma doch ein biss­chen bes­ser ein­ord­nen kön­nen. So, wie „Vul­tu­re“ es immer­hin geschafft hat.

Ich hab mei­nen Puls übri­gens schnell wie­der in den Griff bekom­men, weil ich bei mei­ner kur­zen Recher­che zum The­ma auf die­ses schö­ne Video gesto­ßen bin: