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this is me trying — to get a ticket

Es ist ein ruhiger Dienstagabend. Ich schmeiße meine Playstation an und lege mich aufs Bett, um eine Runde „Life Is Strange: Before the Storm“ zu spielen. Mit der Ruhe soll es aber schon bald vorbei sein, denn ich öffne aus Gewohnheit mal wieder meine Instagram-App. Ein neuer Beitrag von Taylor Swift. Ist das wieder Werbung für Merch? Ich will schon die Augen verdrehen, doch dann schaue ich noch einmal genauer hin. Das kann doch nicht…Moment mal…WAS? Immer wieder zoome ich rein und raus und kann kaum glauben, was ich da vor mir sehe. Madrid, Stockholm, Liverpool, Zürich, London? Sind das etwa die europäischen Tourdaten für die „The Eras Tour“? Ja, das sind sie! Endlich. Seit Wochen haben die europäischen „Swifties“ spekuliert, wann es denn endlich so weit sein könnte – und jetzt ist der große Moment endlich gekommen. Natürlich verbreitet sich die frohe Botschaft wie ein Lauffeuer und so trudeln bei mir im Sekundentakt Nachrichten von Freundinnen ein, die genauso begeistert sind wie ich. Lange mussten wir auf die Daten warten, aber jetzt haben wir immerhin Gewissheit. Auch nach Deutschland wird es sie im Rahmen ihrer Europa-Tour verschlagen. Insgesamt sind hierzulande drei Konzerte geplant. Eines in Hamburg, eines in München und eines in Gelsenkirchen. Letztere Stadt ist vielen Fans ein Rätsel, die meisten wissen vermutlich nicht einmal, wo sie liegt. Taylor Swift jetzt aber schon.

Die Freude über die Ankündigung hielt leider nicht lang, denn um an ein Ticket zu kommen, mussten wir uns zunächst einmal registrieren, um einige Tage später EVENTUELL einen Presale-Code zu erhalten. Selbstverständlich brachen die Server zusammen, ähnlich wie mein Nervenkostüm. Nach knapp einer halben Stunde Wartezeit war die Registrierung erfolgreich. Jetzt heißt es: warten und beten. Doch von Tag zu Tag und mit jeder neuen Info zum Vorverkauf schwindet die Hoffnung auf eines der heißbegehrten Tickets, Gerüchten zufolge sollen sich allein für den Vorverkauf für das Konzert in Madrid über eine Million Menschen registriert haben. Puh.

Kein Wunder, schließlich mussten die Fans der Sängerin sehr, sehr lange auf diese Ankündigung warten. Nachdem die für 2020 geplante Tour, „Lover Fest“, pandemiebedingt abgesagt werden musste, war es nur eine Frage der Zeit, wann Taylor Swift die nächste Tour ankündigen würde. Spätestens nach der Veröffentlichung ihres zehnten Studioalbums „Midnights“ brannte es den Fans unter den Nägeln. Für das Album, das sie unter anderem mit Jack Antonoff geschrieben und produziert hat, erhielt Swift viel Lob. Hervorgehoben wurden von den Musikkritikerinnen und -kritikern besonders das Songwriting und die gesangliche Performance. Ich persönlich finde „Folklore“ und „Evermore“ ein wenig gelungener, doch muss ich zugeben, dass das Lied „The Great War“, das Taylor gemeinsam mit Aaron Dessner geschrieben und produziert hat und das ursprünglich nur auf der „3am Edition“ des Albums enthalten war, mittlerweile mein absolutes Lieblingslied aus ihrer Diskografie ist.

Im März startete sie mit dem neuen Album im Gepäck bereits in den US-Teil der großen Stadiontour, mit der sie 2024 dann auch endlich nach Europa kommt. Bisher durfte ich mir – dank einiger sehr hingebungsvoller Fans, die die Konzerte regelmäßig im Livestream übertragen oder sogenannte Edits daraus basteln – die Konzerte häppchenweise bei TikTok anschauen und einen kleinen Vorgeschmack davon erhaschen, was uns 2024 erwartet. So viel kann ich schon mal verraten: Es wird richtig geil.

Wenn ich denn an ein Ticket kommen kann. Und wenn es nicht viel zu teuer ist. Wenn ich mich daran zurückerinnere, wie der Ticketverkauf in den USA eskaliert ist, habe ich dann doch ein wenig Angst um meinen Geldbeutel. Mehrere Hundert Dollar mussten Fans zum Teil für ihr Ticket zahlen, viele Tickets wurden sogar für fünfstellige Beträge im Internet angeboten. So schlimm wird es hier dann hoffentlich nicht, ansonsten muss ich all mein Hab und Gut verkaufen.

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Songs des Jahres 2022

Ich brauche traditionell immer ein bisschen länger, um meine Songs des Jahres zusammenzustellen, aber ich finde das besser, als das Jahr schon im November einpacken zu wollen; hier ist mein Blog mit meinen Regeln und außerdem ist ja noch Januar. Also: Hier sind – Stand jetzt – meine Lieblingslieder des Jahres 2022!

25. Death Cab For Cutie – Here To Forever
Ben Gibbards Lyrics sind ja mitunter so spezifisch, dass sie schon zum Meme taugen. Das muss natürlich nicht schlecht sein, im Gegenteil:

In every movie I watch from the ’50s
There’s only one thought that swirls
Around my head now
And that’s that everyone there on the screen
Yeah, everyone there on the screen
Well, they’re all dead now

Damit hat er einmal mehr einen Gedanken ausformuliert, den ich so oder so ähnlich selbst schon oft hatte. Und wenn Du dann am Tag nach dem Tod Deiner Großmutter im Wohnzimmer des Großelternhauses stehst, auf einem Regal die Fotos all der Großtanten und -onkel, dann knallen diese Zeilen noch mal ganz neu in die offene Wunde: Die sind jetzt alle tot. Das neue Death-Cab-Album „Asphalt Meadows“ hat mich irgendwie nicht so richtig abgeholt, aber dieser Song wird immer Teil meiner Geschichte sein.

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24. Nina Chuba – Wildberry Lillet
Ich bin jetzt in einem Alter, wo es zunehmend schwer wird, mit den jungen Leuten Schritt zu halten — vor allem, wenn man keinen Bock hat, sich chinesische Spionage-Software aufs Handy zu laden. Ich habe dieses Lied also erst relativ spät in einem prähistorischen Medium namens Musikfernsehen entdeckt, aber mir war sofort klar, warum das ein Hit ist: Diese Hook, die gekonnt auf der Grenze zwischen „eingängig“ und „nervig“ hüpft; diese Lyrics, die im klassischsten Sinne das durchspielen, was wir musical theater kids den „I Want“-Song nennen, und dabei sowohl im Dicke-Hose-Rap („Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel“) abschöpfen, als auch fast rührend kindlich („Will, dass alle meine Freunde bei mir wohnen in der Straße“) daherkommen; diese fröhlich-rumpelige Pippi-Langstrumpf-Haltung, mit der wieder mal eine neue Generation ihren Teil vom Kuchen einfordert — oder hier gleich die ganze Bäckerei („Ich hab’ Hunger, also nehm’ ich mir alles vom Buffet“). Und mittendrin eine Zeile, die man als immer jugendlichen Trotz lesen kann — oder als wahnsinnig traurigen Fatalismus: „Ich will nicht alt werden“. Wenn man den Song feuilletonistisch naserümpfend neben den „Fridays For Future“-Aktivismus legt, wird man feststellen, dass die Jugend (Nina Chuba ist da mit 24 gerade noch im richtigen Alter für den Song) ganz schön widersprüchlich sein kann: „We’re the young generation, and we’ve got something to say“ hatten die Monkees ja schon 1967 gesungen — und darüber hinaus nichts zu sagen gehabt, während zeitgleich mal wieder eine Zeitenwende ausbrach.

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23. Harry Styles – As It Was
Damit hätte jetzt auch niemand rechnen können, dass ausgerechnet „Take On Me“ von a-ha mal zu einem der prägendsten Einflüsse auf eine neue Generation Popmusik werden würde: Schon „Blinding Lights“ von The Weeknd war von der legendären Keyboard-Hook … sagen wir mal: „inspiriert“ und auch „As It Was“ kann eine gewisse Verwandtschaft nicht bestreiten. Aber erstens bitte nichts gegen a-ha und zweitens passiert hier in 2:47 Minuten (während die Kinofilme immer länger werden, werden die Popsongs immer kürzer — die Menschen haben ja auch nicht unendlich viel Zeit) so viel, dass man kaum hinterher kommt. Und über Harry Styles muss man ja eh nichts mehr sagen. ((Außer: Hat er jetzt eigentlich Chris Pine angespuckt?))

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22. The National feat. Bon Iver – Weird Goodbyes
„What your favorite sad dad band says about you“ titelte McSweeney’s im Januar 2022, dabei war der Witz da schon mindestens viereinhalb Jahre alt. The National und Bon Iver sind natürlich auf beiden Listen und wenn sie nicht gerade mit Taylor Swift Musik machen, machen sie die halt gemeinsam (dass Aaron Dessner von The National und Justin Vernon von Bon Iver auch noch gemeinsam bei Big Red Machine spielen, verwirrt an dieser Stelle zwar nur, ich muss es aber erwähnen, weil sonst meine Mitgliedschaft in der „Musikjournalisten-Nerds“-Unterabteilung des Bochumer „Sad Dad“-Clubs in Gefahr wäre). So wie bei diesem Song, der nicht Teil des neuen The-National-Albums sein wird, das inzwischen angekündigt wurde und „First Two Pages of Frankenstein“ (man ahnt eine etwas umständliche Referenz, die da irgendwo als Witz im Hintergrund lauert) heißt. Es ist trotzdem ein schöner Song! Und die Band verkauft inzwischen „Sad Dad“-Merchandise.

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21. Rae Morris – No Woman Is An Island
Rae Morris ist der erste und bisher einzige Act, der schon zwei Mal meine Liste der „Songs des Jahres“ angeführt hat: 2012 und 2018. Rechnerisch wäre sie also erst 2024 wieder dran, was ja auch gut sein kann. „No Woman Is An Island“ ist natürlich auch nicht schlecht, ich hab nur eben 20 Songs (von ca. 4.000 gehörten) gefunden, die ich 2022 besser fand als diese leicht theatralische (im Sinne von Bühnenaufführung, nicht im Sinne von übertrieben) Feminismus-Ballade.

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Songs des Jahres 2020

Hier Einstiegstext: Was für ein Jahr, Musik als Trost und Eskapismus, streng subjektiv, Stand 16:04, viel Spaß!

25. Janou – Sweet Love
Was für ein Geschenk das ist, talentierten Menschen dabei zusehen zu dürfen, wie sie ihre Kunst verfeinern! Ich kenne Janou jetzt schon seit fast zehn Jahren und habe erlebt, wie sie rumorende Kneipen zum Schweigen brachte, wenn sie ihre Stimme zur Akustikgitarre erhob. Seit einiger Zeit bekommt sie dabei elektronische Unterstützung und gleich die allererste Single des Duos klingt, als hätte sie 1994 auf der „Protection“ von Massive Attack dieses merkwürdige „Light My Fire“-Cover ersetzen sollen:

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24. Holly Humberstone – Deep End
Der Nachteil, wenn einem Spotify einfach so ein Lied vorschlägt, in das man sich dann verliebt, ist ja, dass man ihn manchmal ein Jahr lang hört, ohne irgendetwas über die Person zu wissen, die ihn singt. Andererseits haben wir ja im Studium gelernt, Biographie vom Werk zu trennen, und so können Formatradio-Moderator*innen gerne aus dem Wikipedia-Beitrag von Holly Humberstone vorlesen (als ob!) — ich bleibe einfach ganz ergriffen von diesem todtraurigen, aber irgendwie auch optimistischen Song:

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23. lovelytheband – Loneliness For Love
Erinnern Sie sich noch, als The Killers neu waren und wahlweise dafür gescholten oder gepriesen wurden, dass sie wie Joy Division, New Order und Duran Duran klangen? Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir es alle geschafft haben, so alt zu werden, dass junge Bands wie The Killers klingen! lovelytheband ist nun wirklich kein besonders gelungener Bandname, ich habe keine Ahnung, wie der Rest ihres Schaffens klingt, aber dieser 80’s pop song (und besonders sein Synthesizer-Riff) ist schon sehr chic:

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22. Darlingside – Green + Evergreen
„Fish Pond Fish“, das aktuelle Album von Darlingside, hat es knapp nicht in meine Top 10 geschafft — ich möchte es aber dennoch allen ans Herz legen, die opulent arrangierten Folk-Pop lieben, bei dem trotzdem kein Ton zu viel ist. Wer Fleet Foxes oder The Low Anthem mag, wird auch Darlingside zu schätzen wissen!

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21. Jacob Collier feat. Mahalia and Ty Dolla $ign – All I Need
Der Name Jacob Collier ist mir im letzten Jahr immer wieder in unterschiedlichsten Zusammenhängen untergekommen: Als Songwriter für u.a. Coldplay; als Testimonial, das in den Werbeblöcken auf CNN erzählt, welche Auswirkungen der Lockdown auf Musiker*innen hat; und als Gast in US-Late-Night-Shows. Ob er auch in Deutschland im Radio läuft? Keine Ahnung, ich hör ja kaum welches (eine kurze Recherche ergab allerdings, dass er zumindest innerhalb der letzten Woche nicht auf 1Live gespielt wurde). „All I Need“ ist ein R’n’B-Song, der immer wieder Haken schlägt und in Richtungen geht, die man einen Beat zuvor nicht erwartet hätte. Cool, mit Verweisen auf die Musikgeschichte und eigenem Sound. Zugegeben: Das ist zu viel fürs deutsche Formatradio!

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20. Agnes Obel – Island Of Doom
„Kate Bush“. Da wir das jetzt hinter uns haben, können wir uns ganz auf diesen … nun ja: ätherischen Popsong einlassen, in dem die Stimme von Agnes Obel in vielen Schichten über ein tänzelndes Klavier weht. Einfach mal durchatmen war 2020 gar nicht so leicht, dieser Song konnte dabei helfen. Und: Ja, so coole Sachen bekommen Sie im ARD-Morgenmagazin zu sehen, für das ich unter anderem arbeite!

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Alben des Jahres 2020

Okay, ich bin spät dran — andererseits hat 2021 ja nicht am 1. Januar begonnen, sondern fast drei Wochen später. Und: Ja, ich hatte letztes Jahr schon gesagt, dass ich vielleicht nie wieder eine Liste mit den „Alben des Jahres“ machen würde, weil das Format Album zunehmend an Bedeutung verliert; weil manche Acts zum Beispiel gar keine Alben mehr machen — oder Leute wie Taylor Swift halt gleich zwei, von denen man dann auch irgendwie nicht so recht weiß, wie man diese behandeln soll. Aber es war so ein seltsames Jahr, dass ein wenig Rückbesinnung auf Altbewährtes psychologisch sinnvoll sein kann.

Wald voller Bäume

Also dann: Zum wirklich allerletzten Mal — meine liebsten Alben eines Kalenderjahres!

10. Sevdaliza – Shabrang (Spotify, Apple Music)
Der Musik von Sevdaliza bin ich zum ersten Mal im Februar 2020 bei „All Songs Considered“ begegnet und erstmal abgetaucht in diese etwas ungewohnten Klangwelten. Als dann im August das zweite Album der iranisch-niederländischen Musikerin erschien, war „ungewohnt“ keine Kategorie mehr, in der irgendjemand gedacht hat. Das Internet bezeichnet die Musik als „Electronic, alternative R&B, trip hop, experimental pop, avant-pop“, aber manchmal hilft es ja, sich Sachen einfach anzuhören und darauf einzulassen.

9. Vistas – Everything Changes In The End (Spotify, Apple Music)
Wenn Stephen Thompson von NPR, ein Mann, dem ich in Sachen Musik blind vertraue, sagt, dass er seit langem kein Album mehr gehört habe, das so viele potentielle Hits enthalte; das klinge wie eine Mischung aus den Proclaimers, Andrew W.K. und Fountains Of Wayne und das eines seiner absoluten Lieblingsalben des Jahres sein werde, dann höre ich mir das natürlich an: „Everything Changes In The End“ von Vistas war dann tatsächlich eine einzige Sammlung großer, vor Freude fast platzender Power-Pop-Hymnen — in Sachen Spannungsbogen und Abwechslung war das ein bisschen öde, aber nachdem der Sommer 2020 fast ausschließlich in unserem eigenen Garten stattfand, denke ich bei diesen Songs eben nicht an Nachmittage im Stadtpark, Festival-Besuche (gut: ich bin eh zu alt für diesen Quatsch!) und abendliche Heimwege in kurzen Hosen, sondern an den Teil des Gartens hinter der Garage, den Teil des Gartens neben der Kellertreppe und – total crazy – den Ausflug zu Fuß zum Edeka.

8. Bruce Springsteen – Letter To You (Spotify, Apple Music)
Wenn man ein Album von Bruce Springsteen in seine Jahres-Top-10 packt, kann man eigentlich als nächstes an der Lesercharts-Wahl des deutschen „Rolling Stone“ teilnehmen, sich mit Lederjacke auf ein Motorrad setzen und schon mal den Termin für die nächste Vorsorge-Untersuchung beim Hausarzt machen! Aber wenn uns 2020 eines gelehrt hat, dann: Weniger Zynismus, bitte! (Und mehr Vorsorge-Untersuchungen!) Was können ich und motorradfahrende Rockmagazin-Leser über 60 denn dafür, dass der Boss auch nach all den Jahren so gute Alben aus dem Ärmel seiner Lederjacke schüttelt? Fast das ganze „Letter To You“ ist eine Feier von Musik, Optimismus und Durchhaltevermögen und es ist etwas überraschend, dass die Songs schon vor dem ganzen Scheiß geschrieben (drei sogar vor fast 50 Jahren) und mit der E Street Band aufgenommen wurden.

7. Touché Amoré – Lament (Spotify, Apple Music)
Wer wollte 2020 nicht am Liebsten einfach nur Schreien? Jeremy Bolm macht genau das — und er ist sehr gut darin. Irgendwie waren die ersten vier Alben von Touché Amoré an mir vorbeigegangen, obwohl sie eigentlich genau mein Ding hätten sein müssen. Jetzt aber: „Lament“. Musik, die klingt, als würde ich sie schon seit 20 Jahren im Herzen tragen, als hätte ich dazu schon in abgeranzten Clubs auf der Tanzfläche gestanden, meine Fäuste geballt, die Unterarme angewinkelt und dann sehr laut und emotional mitgebrüllt. Ich verspreche, ich werde es nachholen, sobald es möglich ist!

6. Circa Waves – Sad Happy (Spotify, Apple Music)
Wo wir gerade vom Format Album sprachen: „Sad Happy“ kam in zwei Teilen heraus — „Happy“ im Januar 2020, als die Welt, wie wir sie kannten, noch existierte, und man angesichts von sieben großartigen Songs schon mal nach Tourdaten Ausschau gehalten hat; „Sad“ an jenem 13. März, in dessen Verlauf Schulen und Kindergärten geschlossen, die Bundesliga ausgesetzt und generell die vorherige Normalität völlig abgeschaltet wurde. Nach der euphorischen, energiegeladenen ersten Hälfte passte der 2. Teil zur neuen Wirklichkeit (so, wie natürlich alles plötzlich irgendeine Bedeutung hatte): Ein bisschen mehr Melancholie, ein bisschen mehr Synthesizer, ein bisschen mehr Akustikgitarren. Die ersten sieben Songs waren plötzlich eine Erinnerung an eine andere Welt, das ganze Album blieb toll.

5. Darren Jessee – Remover (Spotify, Apple Music)
Darren Jessee begleitet mich mehr als mein halbes Leben: Erst als Schlagzeuger, Background-Sänger und Gelegenheits-Songwriter bei meiner ewigen Lieblingsband Ben Folds Five, dann als Sänger und Haupt-Bandmitglied von Hotel Lights, wo ich ein paar Mal mit ihm im E-Mail-Austausch stand, um die Musik der Band bei CT das radio zu spielen und sonstwie in Europa populär zu machen. „Remover“ ist Darren Jessees zweites Soloalbum und zählt mit zum Besten, was er je herausgebracht hat: Ein einfaches, reduziertes Folk-Pop-Album zwischen Elliott Smith und Monta, Neil Young und Wilco. Songs wie „Along The Outskirts“ und „Never Gonna Get It“ fühlen sich an wie die kraftvolle Umarmung eines alten Freundes (wenigstens glaube ich das, was weiß ich, wie sich Umarmungen anfühlen?!).

4. Kathleen Edwards – Total Freedom (Spotify, Apple Music)
2014 hatte sich Kathleen Edwards nach vier großartigen Alben und auszehrenden Touren durch die halbe Welt aus dem Musikgeschäft zurückgezogen und in ihrer Heimat einen Coffee Shop namens „Quitters“ aufgemacht. Nach Jahren der Stille und des Milchaufschäumens kehrte sie im vergangenen Jahr zurück und sang auf „Total Freedom“ zum Glück wieder wunderschöne, etwas melancholische Alternative-Folk-Songs über zwischenmenschliche Beziehungen, das Leben und den Ausstieg aus dem Business. Ich bin 2020 wirklich nicht viel Auto gefahren, aber wenn ich mich an unbeschwerte Stunden auf der Autobahn erinnere, dann mit diesem Album.

3. HAIM – Women In Music Pt. III (Spotify, Apple Music)
Natürlich hießen die ersten beiden Alben von HAIM nicht „Women In Music“, aber es war schon ein kluger, kleiner Gag der Schwestern-Band, das dritte Werk so zu benennen, ist es doch im besten Sinne eine konsequente Fortsetzung: Es groovt, die Drums scheppern ein bisschen und die Stimmen von Este, Danielle und Alana Haim harmonieren. Man hat das Gefühl, das eigene Leben würde ein bisschen glamouröser und kredibiler, wenn man diese Musik hört — Roséwave eben! Für mich war „Women In Music Pt. III“ der Soundtrack zu einem Samstagvormittag im Juni, den ich beruflich bedingt in Hamburg verbrachte und an dem ich zwei Stunden bei Sonnenschein (Hamburg!) durchs Schanzenviertel spazierte, was sich trotz Maskenpflicht in den Geschäften so sehr wie Urlaub anfühlte wie wenig anderes in 2020.

2. Gordi – Our Two Skins (Spotify, Apple Music)
Alle, wirklich alle Songs, die Sophie Payten alias Gordi vorab veröffentlicht hatte, hatten es auf meine Vorauswahl-Liste für die Songs des Jahres geschafft und ließen Großes erwarten. „Our Two Skins“ enttäuschte nicht: Vom zaghaften, ganz zerbrechlichen „Aeroplane Bathroom“ über das tänzelnde „Sandwiches“ bis zu den schwelgerischen „Volcanic“ (bei dem man am Deutlichsten hört, dass es mit dem Produzenten Chris Messina und dem Label Jagjaguwar einige Gemeinsamkeiten mit Bon Iver gibt) und “Extraordinary Life“ folgt hier wirklich ein unwahrscheinlicher Hit auf den nächsten. „Our Two Skins“ klingt, wie sich tiefes Durchatmen (was wir ja jetzt Dank der 2020 entdeckten Yoga-Videos und Meditations-Apps alle regelmäßig machen) anfühlt!

1. Taylor Swift – Folklore (Spotify, Apple Music)
Schon als ich „Folklore“ zum ersten Mal gehört habe, wusste ich, dass es eine besondere Beziehung sein würde zwischen mir und diesem Album. Taylor Swift hatte es im 1. Lockdown geschrieben und aufgenommen, keine 24 Stunden vor Veröffentlichung angekündigt — und schon beim ersten Hören war klar, dass sie gemeinsam mit ihren Co-Songwritern und Produzenten Aaron Dessner (The National, Big Red Machine) und Jack Antonoff damit schlichtweg ein Meisterwerk geschaffen hatte. Waren Taylor Swift mit modernster, aufwendigster Produktion schon zahlreiche instant classics gelungen, so katapultierte sie der eher reduzierte Sound von „Folklore“ in noch höhere Höhen. Endlich handelten die Texte mal nicht mehr nur davon, wie es ist, Taylor Swift zu sein, sondern sie erzählten kleine Geschichten — wobei, was heißt da „klein“?! „The Last Great American Dynasty“ ist eine great American novel in 3:51 Minuten; „Betty“ der beste Song, der je darüber geschrieben wurde, wie es ist, ein 17-jähriger Junge zu sein (Sorry, Travis!); „August“ klingt so sorglos, wie sich der gleichnamige Monat im Nachhinein fast anfühlte; „Epiphany“ bringt mich immer noch zum Heulen (oder zumindest dazu, tief durchzuatmen) und das Trennungs-Duett „Exile“ mit Justin Vernon von Bon Iver ist sowieso ein Lied, das einem einfach jedes Mal den Stecker zieht.
Seit Juli wache ich jeden Morgen mit einem neuen Ohrwurm auf — und es sind wirklich alle 16 Songs von „Folklore“ dabei (wahlweise gemeinsam oder anstelle des täglichen „Hamilton“-Ohwurms). Dieses Album hat mich durch die zweite Jahreshälfte begleitet wie sonst nur mein Kind und meine engsten Freund*innen. Etwa ab September war klar, dass „Folklore“ mein Album des Jahres werden würde — und dann haute Taylor Swift im Dezember, wieder mit minimaler Vorwarnung, einfach noch ein Album raus! „Evermore“ hätte mit seinen Kollaborationen mit HAIM, The National und abermals Bon Iver beste Chancen gehabt, ebenfalls in meinen Top 10 zu landen, aber ich hatte ja schon „Folklore“. I think, I’ve seen this film before. And I loved all of it.

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Schusters “rappen”

Zu den traurigsten (mutmaßlich unterbezahlten) Jobs in der Medienbranche gehört “Aufschreiben, was bei Twitter so los ist” — und damit meine ich nicht mal “Schauen, was das Netz so sagt”, also die moderne Variante der Straßenumfrage oder der Leserbriefseite, bei der ein tatsächliches Thema, das gerade in den richtigen Medien vorkommt und die normalen Menschen beschäftigt, mit Stimmen aus dem Volk angereichert wird. Ich rede von fünf Tweets von völlig unbekannten Menschen, die zusammengesammelt werden, um daraus eine Geschichte – oder besser noch: einen “Shitstorm” – zu konstruieren. Also wirklich das digitale Äquivalent zu “neulich an der Theke”.

Neulich an der Theke fanden die Internet-Reste-Verwerter von “Mashable” fünf Tweets zum neuen Taylor-Swift-Song, in dem auch Ed Sheeran zu Wort kommt — und zwar rappend. “Haha, schlimm”, sagte Twitter (ja, wirklich: “Twitter was having none of it”, steht da) und machte sich über den in Anführungszeichen rappenden Barden lustig.

So weit, so egal.

“Mashable” ging aber noch einen Schritt weiter:

Let’s not forget, this is not the first time Sheeran has “rapped.”

Remember this little number (or don’t, seriously, don’t press play, don’t)?

steht da über einem Video zum (tatsächlich sehr, sehr schlimmen) Song “Galway Girl” von Ed Sheeran.

Und ich weiß, es ist – gerade in Zeiten wie diesen – vielleicht nicht das Allerschlimmste, was es an “den Medien” zu kritisieren gibt, aber hier ging mein Puls dann doch auch für mich überraschend durch die Decke.

Denn natürlich war auch “Galway Girl” nicht “the first time Sheeran has ‘rapped'”: Auf seinen frühen EPs und seinem Debütalbum “+” finden sich einige Songs, in denen Ed Sheeran Sprechgesang einsetzt — so wie seine erklärten Vorbilder, das inzwischen lange aufgelöste britische Duo Nizlopi (treue Blogleser erinnern sich vielleicht), das Sheerans (frühen) Sound maßgeblich beeinflusst hat.

Man muss das alles nicht wissen. Ed Sheeran ist nicht Paul McCartney, aber wenn man sich über Ed Sheerans Rap-Skills lustig macht (was ja auch okay ist — ich fand “+” ja unter anderem deshalb super, aber das ist ja Geschmackssache), sollte man das Thema doch ein bisschen besser einordnen können. So, wie “Vulture” es immerhin geschafft hat.

Ich hab meinen Puls übrigens schnell wieder in den Griff bekommen, weil ich bei meiner kurzen Recherche zum Thema auf dieses schöne Video gestoßen bin:

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