Im Jahr 1999 erschienen jede Menge Alben, die für unsere Autor*innen prägend waren. Zu ihrem 25. Jubiläum wollen wir sie der Reihe nach vorstellen.
Was für ein merkwürdiges Album: Um das ehemalige Take-That-Mitglied Robbie Williams auch auf dem amerikanischen Markt groß zu machen, hatte Capitol Records einfach Songs seiner ersten beiden Alben zusammengewürfelt und auf den Markt gebracht. Das Ganze war natürlich gar nicht für europäische Plattenläden gedacht gewesen und entsprechend teuer und schwer zu bekommen, aber andererseits hatte man alle Hits und ein paar unbekanntere Songs auf einem Album. Klar, dass ich mir das zu meinem 16. Geburtstag wünschen musste!
Meine liebsten Boybands der 1990er Jahre: 1. East 17, 2. Boyzone, 3. Take That. Natürlich waren die Konventionen zu dieser Zeit noch so, dass man als Junge mit 12, 13 Jahren eine solche Boyband eher doof zu finden hatte, und so war Robbie Williams schon dadurch cool geworden, dass er diese Band verlassen hatte.
Aber auch die Singles, die man danach von ihm im Radio hören konnte, waren gut. Für einen Jungen, der über die Hits von Oasis, Blur und The Lightning Seeds gerade mit dem Konzept „Britpop“ in Kontakt gekommen war, waren Songs wie „Strong“, „No Regrets“ oder „Old Before I Die“ konsequente Ergänzungen — und auch heute halte ich „Strong“ immer noch für einen der besten Oasis-Songs, den Noel Gallagher nie geschrieben hat.
Was für ein großartiges Album: Da waren nun wirklich die ganzen Hits, die ich aus dem Radio kannte, plus so deep cuts wie „Win Some Lose Some“, „Jesus In A Camper Van“ (ein Song, der später wegen Urheberrechtsstreitigkeiten aus Williams’ gesamtem Schaffen gelöscht wurde) und „Karma Killer“ (eine von Streichern angetriebene Alternative-Rock-Abrechnung mit dem ehemaligen Take-That-Manager Nigel Martin-Smith). Im Herbst 1999 wurde „The Ego Has Landed“ (Entschuldigung, was ist das überhaupt für ein genialer Albumtitel?!) mein treuester Begleiter und noch heute kommt „No Regrets“ für mich nach „Millennium“ und nicht wie auf dem originalen Album „I’ve Been Expecting You“ davor.
Natürlich habe ich mir später doch noch die beiden Alben „Life Thru A Lens“ und „I’ve Been Expecting You“ gekauft, so wie ich mir zwischen 2001 und 2006 alle Singles und bis 2013 alle Alben gekauft habe. Zwischen 2000 und ungefähr 2005 war Robbie Williams, das ist für Nachgeborene auch nur noch schwer vorstellbar, unangefochten das, was man eigentlich immer über Michael Jackson gesagt hatte: King of Pop. (Warum er erst 2012 ein Album „Take The Crown“ genannt hat, weiß er auch nur selbst.) Es gab ganze Robbie-Tage bei MTV und er ist bis heute der einzige Act, für den ich an einem Samstagmorgen um halb Acht aufgestanden bin, um in einem physischen Ticket-Shop Konzertkarten zu erwerben. Entsprechend bedrückend fand ich es, in der Netflix-Doku-Serie über sein Leben zu erfahren, dass er, als er uns um die Jahrtausendwende so viel Freude und so viele Evergreens bereitet hat, eigentlich die ganze Zeit unglücklich war. Dabei hatte er uns das – „You think that I’m strong / You’re wrong“ – ja auch immer gesagt.
Für jemanden, der sich Weiß-Gott-was auf seinen Musikgeschmack jenseits des Mainstreams eingebildet hat, war Robbie Williams natürlich auch immer ein Anknüpfungspunkt zu den Mädchen der eigenen Jahrgangsstufe. Er war einer der wenigen Radio-Acts, die einen cooler machten, wenn man signalisierte, seine Musik zu hören. Es gibt so viele seiner Songs aus dieser Zeit, deren Texte schon damals zu mir sprachen und es auch heute noch tun, dass es sich, wenn ich sie heute höre, fast so anfühlt, als könnten der 40-jährige Lukas und sein 16-jähriger Vorgänger durch die Musik miteinander sprechen.
Als der übertrieben kumpelige Moderator auf WDR 4 (of all places), vor einiger Zeit „Feel“ als „einen der Klassiker von Robbie Williams“ ankündigte, dachte ich, ernsthaft überrascht: „Für mich ist ‚Escapology‘ immer noch das ‚neue‘ Album!?“ Es erschien im Herbst 2002.
Folgende wahre Geschichte: Als ich Neil Hannon von The Divine Comedy im Jahr 2006 interviewt habe, hab ich ihn natürlich auch auf „No Regrets“ angesprochen — und warum er so viel schwieriger zu hören sei als der andere Gast-Sänger, Neil Tennant von den Pet Shop Boys. Hannon erzählte mir, dass Tennant zufällig im Studio gewesen sei, als der Song gemischt wurde, und den Audio-Ingenieur einfach gebeten habe, die eigene Spur ein wenig lauter zu drehen. Ich habe diese Anekdote nicht zu verifizieren versucht, weil ich den Rock’n’Roll-Mythos dahinter nicht zerstören wollte.
Robbie Williams – The Ego Has Landed
(Chrysalis/Capitol, 4. Mai 1999)
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