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Streaming-Tipps Juni 2023

Bevor ich mich mut­maß­lich bald bei Net­flix abmel­de, habe ich mal ein paar Sachen von mei­ner „Das woll­test Du Dir irgend­wann viel­leicht mal ange­se­hen haben“-Liste geschaut: Den Film „Die Schlacht um die Schel­de“, die zweit­teu­ers­te nie­der­län­di­sche Pro­duk­ti­on aller Zei­ten, hat­te ich aus zwei Grün­den sehen wol­len: zum einen, um mein Nie­der­län­disch zu trai­nie­ren, zum ande­ren, weil die titel­ge­ben­de Schel­de bei Wal­che­ren in die Nord­see mün­det, also dort, wo ich seit Jahr­zehn­ten am Liebs­ten mei­ne Urlau­be ver­brin­ge. Die Schlacht an der Schel­de­mün­dung dien­te der Befrei­ung des Hafens von Ant­wer­pen, den die West­al­li­ier­ten für ihre Nach­schub­ver­sor­gung brauch­ten, und war inso­fern eine der vie­len ent­schei­den­den Schlach­ten des 2. Welt­kriegs. Zwi­schen „Der Sol­dat James Ryan“-ähnliche Schlach­ten­sze­nen erzählt der Film eher klei­ne, all­täg­li­che Dra­men, die in kei­nem Geschichts­buch vor­kom­men wür­den, von denen man aber anneh­men muss, dass es sie tau­send­fach gege­ben hat. Unter ande­rem wird der Topos „cha­ris­ma­ti­scher Nazi“ von Jus­tus von Dohn­anyi hier noch mal sehr gru­se­lig neu mit Leben gefüllt. Tat­säch­lich wird in dem Film weni­ger Nie­der­län­di­sche gespro­chen als Deutsch und Eng­lisch (in der deut­schen Syn­chron­fas­sung spre­chen mut­maß­lich wie­der alle die gan­ze Zeit Deutsch, weil das halt immer so ist), aber ich fand ihn schon recht beein­dru­ckend und bedrü­ckend.

Eben­falls bei Net­flix läuft die 40-minü­ti­ge Doku­men­ta­ti­on „The Mar­tha Mit­chell Effect“. Mar­tha Mit­chell war die Ehe­frau von John N. Mit­chell, dem Wahl­kampf­ma­na­ger Richard Nixons und spä­te­rem US-Jus­tiz­mi­nis­ter, und als der Water­ga­te-Skan­dal begann, begann sie sofort, Prä­si­dent Nixon selbst zu beschul­di­gen. Mar­tha Mit­chell wur­de von den mäch­ti­gen Män­nern in Washing­ton dis­kre­di­tiert und als alko­hol­kran­ke mad woman abge­stem­pelt. Ihr Ruf und ihre Ehe waren rui­niert, sie starb bald dar­auf — und fast alle Vor­wür­fe, die sie erho­ben hat­te, stell­ten sich im Nach­hin­ein als wahr her­aus (die ande­ren gel­ten als noch nicht bestä­tigt). Auch die­ser Film ist beein­dru­ckend und bedrü­ckend und auch hand­werk­lich sehr gut gemacht.

Auch der Doku­men­tar­film „Cir­cus Of Books“ läuft auf Net­flix. Die Regis­seu­rin Rachel Mason erzählt hier die Geschich­te ihrer Eltern Karen und Bar­ry, die als jüdi­sches Hete­ro-Paar einen der bedeu­tends­ten Läden für schwu­le Lite­ra­tur und Por­no­gra­fie in LA betrie­ben haben. Wie es dazu kam, ist absurd; wie sich kon­ser­va­ti­ve Poli­tik und die AIDS-Epi­de­mie auf die Arbeit und das Leben der Fami­lie aus­wirk­te, ist erschüt­ternd; und wel­che Fol­gen das Inter­net und Dating Apps für das Geschäft haben, kann man sich aus­ma­len. Dies alles aus nächs­ter Nähe von der Fami­lie geschil­dert zu bekom­men, ist sehr beein­dru­ckend.

Bei Dis­ney+ schließ­lich habe ich „In & Of Its­elf“ gese­hen. Ich hat­te schon eini­ges dar­über gehört, meist ver­bun­den mit dem Hin­weis, dass man nicht erklä­ren kön­ne, was das sei. Das stimmt. For­mal ist es der Mit­schnitt einer Show des Zau­be­rers Derek Del­Gau­dio, die 552 mal in einem klei­nen Thea­ter in New York City zur Auf­füh­rung gekom­men war. Del­Gau­dio zeigt dar­in Taschen­spie­ler­tricks, er erzählt Tei­le sei­ner Lebens­ge­schich­te und sorgt spä­ter für im viel­fa­chen Sin­ne magi­sche Momen­te. Es ist für Zau­be­rei in etwa das, was „Nanet­te“ von Han­nah Gadsby für Come­dy ist: eine völ­li­ge Dekon­struk­ti­on und ein Sprung auf die nächs­te Daseins­stu­fe (und das exak­te Gegen­teil von den Ehr­lich Brot­hers bzw. Mario Barth). Ich kann es lei­der auch nicht erklä­ren, aber dar­um geht es ja: Im Sin­ne von Eli­sa­beth Küb­ler-Ross bin ich recht schnell von deni­al zu accep­tance gesprun­gen und habe gar nicht mehr ver­sucht, zu ver­ste­hen, wie die Tricks funk­tio­nie­ren könn­ten. Ich war Fox Muld­er: I want to belie­ve. Selbst wenn Euch Zau­be­rei gar nicht inter­es­siert, soll­tet Ihr Euch „In & Of Its­elf“ anschau­en! (Nicht zuletzt, weil es eine wahn­sin­nig span­nen­de Erfah­rung ist, von einer title card auf­ge­for­dert zu wer­den, sein Han­dy weg­zu­le­gen und alle Ablen­kung zu unter­las­sen.)


Die­ser Text erschien zuerst in mei­nem News­let­ter, für den man sich hier anmel­den kann.

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Digital Gesellschaft

Old man yells at cloud

Seit mei­ne Fami­lie ihre Som­mer­ur­lau­be in den Nie­der­lan­den ver­bringt (also seit kurz nach Ende des Wie­ner Kon­gress), ist es lieb gewon­ne­ne Tra­di­ti­on, bei Aus­flü­gen ins Nach­bar­land die dor­ti­gen Super­märk­te auf­zu­su­chen und all jene klei­nen Köst­lich­kei­ten in gera­de noch haus­halts­üb­li­chen Men­gen raus­zu­schlep­pen, die in Deutsch­land rät­sel­haf­ter­wei­se nicht zu haben sind: Pinda­kaas, Pas­ta Cho­ca, Kren­ten­bol­len, Vla und Hagels­lag. Erst letz­ten Monat nutz­te ich eine Fami­li­en­fei­er im Grenz­ge­biet, um anschlie­ßend noch mal ordent­lich was fürs hol­län­di­sche Brut­to­in­lands­pro­dukt zu tun. ((Wie das unge­fähr aus­sieht, hat­te ich vor sie­ben Jah­ren hier im Blog schon­mal gezeigt.)) In Zei­ten der Glo­ba­li­sie­rung sind die­se gro­cery shop­ping sprees aller­dings zuneh­mend sym­bo­li­scher gewor­den: Scho­ko­la­denstreu­sel bekommt man hier schon lan­ge, seit eini­ger Zeit auch Vla und seit kur­zem bekommt man bei jedem Dis­coun­ter abge­pack­te Rosi­nen­bröt­chen, die den nie­der­län­di­schen Ori­gi­na­len zumin­dest in Kon­sins­tenz und Optik zum Ver­wech­seln ähneln. Das nimmt den Pro­duk­ten den Reiz der begrenz­ten Ver­füg­bar­keit und sorgt neben­her für so ernüch­tern­de Erkennt­nis­se wie die, dass ich eigent­lich gar kei­nen Pud­ding mag.

Holländische Spezialitäten.

Ich habe Pro­ble­me, mich zu ent­schei­den. Des­we­gen mei­de ich Restau­rants mit gro­ßen Kar­ten, ((Ich ver­fü­ge näm­lich auch nicht über eine die­ser Lebens­mit­tel­un­ver­träg­lich­kei­ten, die einem die Aus­wahl mas­siv ein­grenzt – solan­ge kei­ne Wal­nüs­se im Essen sind oder es sich um gefüll­te Nudeln han­delt, kann und mag ich alles essen.)) Kauf­häu­ser und die­se Bars mit 246 Sor­ten Gin. Noch schlim­mer sind Früh­stücks­büf­fets und „All you can eat“-Läden, weil ich da immer das Gefühl habe, ich müss­te jetzt wirk­lich alles pro­bie­ren und ver­zeh­ren – ich hab ja schließ­lich dafür gezahlt und das Zeugs steht da jetzt rum und darf eh nicht zurück in die Küche. Und wäh­rend ich beim Betre­ten von Buch­hand­lun­gen seit jeher leicht depres­si­ve Schü­be bekom­me, weil ich den­ke: „Das wer­de ich bis zum Ende mei­nes Lebens nie­mals alles lesen kön­nen“, sind Leih­bü­che­rei­en noch schlim­mer, denn da kann ich ja nicht mal mehr auf eine Inter­ven­ti­on mei­nes Kon­to­stands hof­fen. Lau­ter offe­ne Türen, also Zeit, klaus­tro­pho­bisch zu wer­den.

Und so kom­me ich dann auch mit dem Kon­zept „Strea­ming“ über­haupt nicht klar: Seit ich Kun­de bei Musik­strea­ming­diens­ten bin (erst Spo­ti­fy, dann Apple Music) habe ich weni­ger Musik gehört als je zuvor in mei­nem Leben. Jede Woche wer­den mir dut­zen­de neue Songs und Alben ange­zeigt, von denen ein Algo­rith­mus glaubt, dass sie mir gefal­len könn­ten – also höre ich lie­ber das, was ich ken­ne, und kau­fe die neu­es­ten Wer­ke der Künst­ler, von denen ich sonst schon alles habe. ((Tol­le neue Alben von Weezer und den Pet Shop Boys, übri­gens!)) Natür­lich auf CD, denn das ist ja mein ande­res Dilem­ma: Ich will den gan­zen Kram natür­lich auch besit­zen. Ins Regal stel­len. Anfas­sen kön­nen. Haben. MP3s waren irgend­wie auch noch okay, denn da „habe“ ich ja die Datei auf der Fest­plat­te. Strea­ming ist da wie Auto lea­sen: zah­len, aber am Ende nichts besit­zen.

Glei­ches Dilem­ma bei Fern­seh­se­ri­en: Weil ich es mag, wenn mei­ne Ama­zon-Bestel­lun­gen noch am sel­ben Tag ver­schickt wer­den, damit ich sie am über­nächs­ten Werk­tag im Post­amt abho­len kann, bin ich „Prime“-Kunde – und bekom­me unge­fragt die Opti­on, hun­der­te Fern­seh­se­ri­en jeder­zeit kos­ten­los anschau­en zu kön­nen. So könn­te ich die Stun­den, in denen Pro­Sie­ben kei­ne Wie­der­ho­lun­gen von „The Big Bang Theo­ry“ zeigt, mit Wie­der­ho­lun­gen von „The Big Bang Theo­ry“ über­brü­cken. Wenn ich denn „The Big Bang Theo­ry“ gucken wol­len wür­de – oder irgend­ei­ne ande­re Fern­seh­se­rie.

Fern­se­hen ist für mich wie für ande­re Leu­te Sport: Wenn jemand mit­kommt und mich dazu zwingt, ist es meist ganz okay. Allei­ne fal­len mir meist hun­dert Sachen ein, die ich drin­gen­der erle­di­gen müss­te. ((Sport, zum Bei­spiel.)) Dann möch­te ich aber ger­ne auch, dass die Pro­gramm­pla­ner mir gna­den­los vor­ge­ben, was ich wann zu gucken habe. So wie frü­her, als ich jeden Mon­tag­abend zu mei­nen Groß­el­tern gegan­gen bin, um „Akte X“ zu gucken, weil mei­ne Eltern kei­ne Satel­li­ten­schüs­sel hat­ten. Der 50 Meter lan­ge Rück­weg durch einen nächt­li­chen Gar­ten gewinnt für einen 12-Jäh­ri­gen deut­lich an Span­nung, wenn er sich vor­her mit Ali­ens, Zom­bies oder Ver­schwö­run­gen beschäf­tigt hat. Wenn ich Fern­se­hen nicht line­ar (oder, wie ich es nen­ne: „nor­mal“) gucken kann, will ich es gar nicht sehen. Und dann die­se Men­gen! „Guck Dir ‚Brea­king Bad‘ an!“ – alles klar: 62 Fol­gen, ((Und damit noch für ame­ri­ka­ni­sche Seri­en noch ver­gleichs­wei­se wenig.)) sehe ich aus, als hät­te ich so viel Zeit?! Ich habe bei mei­nen Eltern noch einen lau­fen­den Meter VHS-Kas­set­ten mit über hun­dert Fol­gen „Nash Bridges“ ste­hen, die ich Ende der 1990er Jah­re auf Vox mit­ge­schnit­ten habe!

Die­se moder­nen Fern­seh­se­ri­en sind aber eh nichts für mich: Hand­lungs­strän­ge, die sich über Wochen und Mona­te ent­fal­ten, „hori­zon­ta­les Erzäh­len“, Chro­no­lo­gie­sprün­ge – urgs! Genau­so schlimm wie die­se unend­li­chen Kino­fil­me von Chris­to­pher Nolan und Zack Sny­der! Ich lese auch am liebs­ten Bücher mit weni­ger als 300 Sei­ten, dann kann ich mehr ver­schie­de­ne lesen. Wie dem älte­ren Herrn im War­te­zim­mer beim Arzt, der sehr detail­liert, aber völ­lig poin­ten­frei erzählt, was er neu­lich im War­te­zim­mer beim Bür­ger­bü­ro erlebt hat, möch­te ich sonst immer rufen: „Komm zum Punkt!“ Aber ich schwei­fe ab.

Neu­lich woll­te ich „Sols­bu­ry Hill“ von Peter Gabri­el hören. Zu Schul­zei­ten hät­te ich dazu erst mei­nen Vater befragt und wäre dann in die Stadt­bi­blio­thek gefah­ren. ((Musik aus der Stadt­bi­blio­thek ging übri­gens immer total in Ord­nung, die konn­te man ja erst auf Kas­set­te und spä­ter dann auf die Fest­plat­te kopie­ren, also „haben“ – ver­su­chen Sie das mal mit einem Buch!)) Wenn das ent­spre­chen­de Album dort auch nicht ver­füg­bar gewe­sen wäre, hät­te ich nach­ein­an­der die – mitt­ler­wei­le natür­lich alle geschlos­se­nen – Plat­ten­lä­den mei­ner Hei­mat­stadt abklap­pern müs­sen. Ich erin­ne­re mich, wie ich Anfang 2000 bei bit­te­rer Käl­te mit mei­nem Fahr­rad jeden Ort in Dins­la­ken ansteu­er­te, an dem ich Ton­trä­ger hät­te käuf­lich erwer­ben kön­nen – sogar den Kar­stadt und die drei Video­the­ken. ((Video­the­ken! „Wie Net­flix, nur mit Kos­ten für Mie­te und Per­so­nal.“)) Nir­gend­wo gab es den Sound­track zu „Fight Club“. Andert­halb Wochen spä­ter fuhr ich mit mei­nen Freun­den mit dem Zug nach Essen, um die CD dort, in der gro­ßen Stadt, end­lich zu erwer­ben. Das glei­che ein paar Mona­te spä­ter mit dem Album „St. Amour“ von Tom Liwa. Was mei­nen Sie, wie eupho­risch ich jeweils war, als ich die CDs end­lich nach hau­se schlep­pen und dort hören konn­te? Heu­te: drei Klicks – Mega-Span­nungs­bo­gen! Und so habe ich dann neu­lich auch blitz­schnell das (wirk­lich phan­tas­ti­sche) ers­te selbst­be­ti­tel­te Album von Peter Gabri­el ((Oder „Car“, wie wir Nerds sagen.)) hören kön­nen. Und seit­dem nie wie­der, denn es wäre ja theo­re­tisch jeder­zeit ver­füg­bar, genau­so wie fast jedes ande­re Album der Musik­ge­schich­te. Kein „Ich hab das jetzt gekauft, da muss ich es auch jeden Tag hören“-Rechtfertigungszwang mehr, kein „Ich hab doch nur sound­so vie­le CDs“-Ressourcenmangel. Kein Wun­der, dass Kon­zep­te wie Poly­amo­rie und Offe­ne Bezie­hung plötz­lich näher lie­gen als auf dem Dorf.

Musiksammlung.

Dou­glas Adams hat über das Ver­hält­nis von Men­schen und Tech­no­lo­gie geschrie­ben:

I’ve come up with a set of rules that descri­be our reac­tions to tech­no­lo­gies:

1. Any­thing that is in the world when you’­re born is nor­mal and ordi­na­ry and is just a natu­ral part of the way the world works.

2. Any­thing that’s inven­ted bet­ween when you’­re fif­teen and thir­ty-five is new and exci­ting and revo­lu­tio­na­ry and you can pro­ba­b­ly get a care­er in it.

3. Any­thing inven­ted after you’­re thir­ty-five is against the natu­ral order of things.

Die Zahl „thir­ty-five“ kann man bei mir bequem durch „twen­ty-five“ erset­zen. Mit 13 war ich online, ((Wenn auch anfangs nur sehr wenig, sehr lang­sam, dafür aber sehr teu­er.)) es ist für mich so nor­mal wie elek­tri­scher Strom oder ana­lo­ges Anten­nen­fern­se­hen. Mit 15 habe ich mei­ne ers­ten Tex­te ins Inter­net geschrie­ben und das war so, wie eine eige­ne Zei­tung her­aus­zu­ge­ben: toll. Des­we­gen habe ich dann mit 23 einen Blog auf­ge­macht. Und obwohl ich hier in den nach unten offe­nen Kom­men­tar­spal­ten ((Die Älte­ren erin­nern sich viel­leicht noch an die­ses Bon­mot aus der guten, alten Zeit.)) eini­ge Freun­de gefun­den habe, muss ich zuge­ben, dass ich die­sen Rück­ka­nal gar nicht zwin­gend gebraucht hät­te. Und hier sind ja zumeist total ver­nünf­ti­ge Leu­te unter­wegs! Stel­len Sie sich mal vor, Sie arbei­ten für die „Tages­schau“, hal­ten Ihre Zuschau­er für eini­ger­ma­ßen auf­ge­klärt und müs­sen dann erle­ben, was die auf Ihrer Sei­te oder gar bei Face­book kom­men­tie­ren. Da wird der Betreu­ungs­schlüs­sel nahe­ge­le­ge­ner The­ra­pie­ein­rich­tun­gen schnell über­reizt!

Ich hät­te des­halb ger­ne mein Inter­net von 2010 zurück: Blogs statt Face­book, ICQ statt Whats­App und E‑Mail statt Slack. Auch die Com­pu­ter waren damals noch bes­ser: Mac­Books hat­ten ver­schie­de­ne Anschlüs­se für ver­schie­de­ne Gerä­te und ein CD/DVD-Lauf­werk, Mobil­te­le­fo­ne pass­ten noch in Hosen­ta­schen und auch die Betriebs­sys­te­me waren noch bedeu­tend bes­ser als nach dem 17. Upgrade. „Online gehen“ setz­te, wenn schon nicht mehr die leicht umständ­li­che Ein­wahl per Modem, so doch zumin­dest einen Com­pu­ter vor­aus, der zumeist auch noch an einen Platz gebun­den war. Heu­te „geht“ man ja nicht mehr online, man ist es. Immer, über­all. Kein drin­nen und drau­ßen mehr. ((Vie­le Leu­te wis­sen dabei nicht mal, dass sie das Inter­net nut­zen, die nut­zen nur Face­book.)) Das Foto, gera­de gemacht, ist jetzt schon auf allen Gerä­ten, die mit dem Kon­to ver­bun­den sind – oder, wenn Sie pro­mi­nent sind, beim Hacker.

Neu­es­ter Trend: Live-Vide­os. Jour­na­lis­ten, glei­cher­ma­ßen geblen­det vom Moment des Dabei­seins und den neu­en tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten, strea­men wie besof­fen von Par­tei­ta­gen, Kon­fe­ren­zen und Fes­ti­vals, ((Wenn’s gut läuft. Wenn’s schlecht läuft, strea­men sie live aus Poli­zei­ope­ra­tio­nen.)) die sie eigent­lich besu­chen, um zu beob­ach­ten, zu ana­ly­sie­ren und ein­zu­ord­nen. Posi­ti­ver Neben­aspekt von so viel Live-Leben aller­dings: Der frü­her oft so gefürch­te­te Dia- oder Video­abend nach einer gro­ßen (oder auch klei­nen) Rei­se ist zurecht fast kom­plett aus­ge­stor­ben.

Mag sein, dass ande­re Men­schen mit die­ser per­ma­nen­ten Ver­füg­bar­keit von allem, inkl. ihrer selbst, bes­ser klar­kom­men als ich. Gesprä­che mit Psy­cho­lo­gen und Sozio­lo­gen legen aller­dings nahe, dass dem nicht so ist. Aber man kann sich ja jeder­zeit sein Ent­schleu­ni­gungs-Maga­zin mit Land­haus­flair und Laven­del­duft auf dem iPad angu­cken oder die Medi­ta­ti­ons-App star­ten. Oder halt ein­fach durch­dre­hen, die Möbel aus dem Fens­ter schmei­ßen und den Kopf gegen die Wand schla­gen.