Kategorien
Rundfunk Gesellschaft

Nicht lustig

Vielleicht ist es ein grundsätzlicher Fehler, sich mit “TV Total” überhaupt auseinandersetzen zu wollen. Dieser allenfalls noch lauwarmen Mischung aus Resteverwertung und Crosspromotion, die inzwischen in etwa so schlimm ist wie das Unterschichtenfernsehen, das beim Start der Sendung vor neuneinhalb Jahren noch in den Einspielern zu sehen war. Dieser Show, die zuletzt Aufmerksamkeit erregte, weil sich ein Kandidat ins Studio erbrach. Aber weil ich die Sendung gestern Abend versehentlich gesehen habe, will ich mich doch mal kurz aufregen:

Vorgestern wurden die Spielorte für die Frauenfußball-WM 2011 in Deutschland bekannt gegeben — und Mönchengladbach und Bochum sind dabei!

Das Thema Frauenfußball finden die Gag-Autoren (und ich habe lange überlegt, ob ich das Wort in Gänsefüßchen packen soll, fand das dann aber zu Leserbrief-mäßig) von “TV Total” sowieso total lustig, weil sie da immer ihre Lesben-Witze, die Hans-Werner Olm und Jürgen von der Lippe seit Mitte der Achtziger unbesehen zurückgehen lassen, unterbringen können. Für gestern hatte man sich aber folgendes ausgedacht: Raab, der seine Witzchen wie immer mit einer “Scheißegal”-Haltung, bei der Harald Schmidt neidisch würde, von Pappen abzulesen versuchte, sollte immer wieder auf die Meldung zu sprechen kommen, aber bevor er die Spielorte vorstellen konnte, sollte immer irgendeine “total wichtige Eilmeldung” von der Sorte “Sack Reis in China umgefallen” eingeschoben werden. So unwichtig ist Frauenfußball nämlich, ha ha. Zusätzlich wurden zwei hässliche Männer als Mannsweiber kostümiert, “Birgit Prinz” und “Kerstin Garefrekes” genannt und immer wieder für später als Gäste angekündigt, wobei für ihren Auftritt am Ende – ha ha – natürlich keine Zeit mehr blieb.

Dass die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen seit 1997 fünf internationale Titel gewonnen hat (zum Vergleich: die der Männer im gleichen Zeitraum null) — geschenkt. Es geht mir auch noch nicht mal um den unverholenen Sexismus, der solche Aktionen durchweht (der disqualifiziert die Macher der Sendung selbst laut genug). Es ist nur einfach so, dass solche Einlagen nicht mal lustig wären, wenn Raab sie in einem Clownkostüm und einem auf die Stirn getackerten Schild mit der Aufschrift “Lustig! Lachen” vortragen würde.

Allein zur Meldung, dass in den Stadien von Borussia Mönchengladbach und dem VfL Bochum Fußballländerspiele stattfinden sollen, fielen mir als Gladbach-Fan und Bochum-Sympathisant ein Halbdutzend Witze über die derzeitige Situation bei den beiden Mannschaften ein. Auch die Spielorte Augsburg, Dresden, Leverkusen, Sinsheim und Wolfsburg böten genug Möglichkeit, sich wenigstens über die Städte lustig zu machen, wenn man schon doof irgendwas bashen will. Sich irgendwas Witziges zu dem Thema auszudenken, ist erstens nicht schwer und zweitens Aufgabe von einem Haufen von Gag-Autoren.

Und dann die Nummer mit den “vergessenen Gästen”, die jegliches Timing vermissen ließ: Natürlich ist die auch noch schlecht geklaut, denn der Gag bei Jimmy Kimmel besteht ja darin, einen Weltstar zu “vergessen” und nicht nachgebaute Vertreterinnen einer Sportart, die medial sowieso nicht gerade überrepräsentiert ist. Wenn die Nummer überhaupt zu irgendwas taugte, dann als abschreckendes Beispiel.

Aber es sind ja nicht nur die Autoren. Die können sich viel erlauben, weil es in Deutschland sowieso keine guten Comedy-Shows als Konkurrenz gibt und der Humor der Deutschen nicht umsonst weltweiten Spott genießt. Es ist auch der Moderator, dem seine eigene Sendung so völlig egal ist, dass die besten Lacher in dem Moment entstehen, wenn es ihm selbst auffällt. Stefan Raab ist sicher ein verdienstvoller TV-Schaffender (vermutlich der Wichtigste in diesem Jahrzehnt), aber “TV Total” ist ein völliges Desaster.

Alles, wirklich alles an der Sendung ist schlimm: der Standup; die Ausschnitte, die inzwischen weitgehend unkommentiert und reflektiert abgenudelt werden; die Einspieler mit lustigen Straßeninterviews, die erstens soooo 1998 sind und bei denen zweitens die Fragen in der Nachbearbeitung von diesem Mann mit der ach-so-lustigen Stimme vorgelesen werden; die Gäste, die Raab völlig egal sind, und über die er die Hintergrund-Infos allenfalls während der Show liest.

Alle paar Wochen, wenn Tiere zu Gast sind oder die Hersteller von Elektrorollern, ist Raab bei der Sache. Dann macht es ihm Spaß und mit ein wenig Glück kommen dabei wirklich lustige, bisweilen brillante Aktionen rum. Wenn irgendein Redakteur Wert darauf legen würde, unterhaltsames Fernsehen zu produzieren, würde er an genau der Stelle ansetzen. Aber so lange ProSieben die Verträge trotz sinkender Quoten verlängert, scheinen alle zufrieden zu sein. Und wenn die einzige “Konkurrenz” ungefähr drei Mal im Jahr unter dem Titel “Schmidt & Pocher” versendet wird, ist das sogar fast nachzuvollziehen. Zuschauer, die echte Late-Night-Unterhaltung wollen, sehen sich eh die US-Originale im Internet an.

Kategorien
Fernsehen Rundfunk

Erste Schlag-Sahne

so langweilig war schlag den raab glaub ich noch nie

(Stefan Niggemeier, gestern Abend um 23:29 Uhr via ICQ)

Ziemlich exakt zwei Stunden später (und damit eine gute Stunde nach dem anvisierten Ende der Sendung) konnte der Kandidat Olufemi, der zuvor desaströs zurückgelegen hatte, seinen Gewinn im Empfang nehmen: 2,5 Millionen Euro, den Jackpot aus fünf Sendungen, und damit die höchste Summe, die man je aus eigener Kraft im deutschen Fernsehen hatte gewinnen können.

Und das macht unter anderem den Reiz von “Schlag den Raab” aus: dass selbst professionelle Fernsehzuschauer wie Stefan mitten in der Sendung deren Ende nicht erahnen können. Ich selbst hatte erst um Viertel nach Zehn eingeschaltet und damit in zwei Stunden Sendung gerade mal die Kandidatenauswahl verpasst – und die ersten vier Spiele, die Olufemi ebenso verloren hatte wie das folgende fünfte, dann das siebte und etliche weitere.

“Wie kann es denn sein, dass ich von den fünfzehn Spielen schon acht gewonnen habe und trotzdem noch weitermachen muss?”, fragte Stefan Raab dann auch vor dem alles entscheidenden letzten Spiel. Wer sich so einen Quatsch denn ausgedacht habe? Letzteres war wohl eher als Witz gemeint, aber aus Sicht der Zuschauer ist es eindeutig ein Lob. Die Idee, dass es im erste Spiel gerade mal einen Punkt zu holen gibt, im zweiten zwei, und immer so weiter bis zu den fünfzehn Punkten im fünfzehnten Spiel, macht die Sendung auch bei maximaler Länge (fünfeinviertel Stunden sind in etwa doppelt so lang wie eine durchschnittliche Ausgabe von “Verstehen Sie Spaß?”) noch spannend. Im Idealfall, der gestern fast erreicht worden sein dürfte, wird es eben erst in den letzten zweieinhalb Stunden richtig spannend.

Gerade der Umstand, dass die ersten fünf Spiele geschlossen an Raab gingen, erzeugten beim Publikum zunächst einmal Mitleid mit dem Kandidaten, das sich dann in aufrichtige Unterstützung wandelte. Der völlig verbissene Großentertainer brauchte vielleicht genau diesen Herausforderer, der nach dem verlorenen Jetski-Rennen aus dem Wasser gezogen werden musste, zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr wie ein Gegner wirkte und schließlich doch noch zurückkam.

Dass die Sendung dann ausgerechnet mit einem Elfmeterschießen endete (also einem tatsächlichen), wirkte angesichts eines Kandidaten, der Regionalligafußball spielt und bei 1860 München im Marketing arbeitet, schon fast ein bisschen inszeniert. Trotz Raabs Schwäche war das Elfmeterschießen angesichts des winkenden Gewinns dann ungefähr so spannend wie das Shoot Out zwischen Deutschland und Argentinien bei der Fußball-WM vor zwei Jahren.

Man kann es gar nicht oft genug schreiben: Ausgerechnet Stefan Raab, der stets belächelte “Blödelmoderator” hat die große Samstagabendshow zurück ins Fernsehen gebracht (viel mehr: die ganz große Spielshow im Stile von “Spiel ohne Grenzen”, das ja gar nicht am Samstagabend lief). Der Trick dabei ist (neben der Abwechslung von Sport-, Geschicklichkeits- und Wissensspielen), nicht mehrere unbekannte Kandidaten gegeneinander antreten zu lassen, sondern immer nur einen gegen den als fast krankhaft ehrgeizig bekannten Stefan Raab. So liegen die Sympathien fast immer beim Kandidaten – außer, der ist so blass wie der Herausforderer Anfang April.

Wie ernst es Raab in dieser Sendung wirklich ist, stellte er dann gestern auch noch mal eher unfreiwillig unter Beweis: als er bei einem Spiel eine falsche Antwort gab, schlug er mit der flachen Hand so fest auf sein Pult, dass er die Glasabdeckung zum Bersten brachte.

Kategorien
Musik

“Ich hab 29 Jahre dafür gearbeitet”: Interview mit Gregor Meyle

Am Samstag spielte Gregor Meyle, Zweitplatzierter bei Stefan Raabs Castingshow “SSDSDSSWEMUGABRTLAD”, im Bochumer Riff. Nachdem der Supportact, Steve Savage von den sehr empfehlenswerten Beggars Fortune, schon vom Publikum begeistert gefeiert wurde, legten Gregor Meyle und Band noch einen drauf und bescherten mir – im Ernst – eines der schönsten Konzerte ever. Der Zwischenruf “Besser als kettcar!” war so abwegig nicht.

Dass Gregor Meyle nicht nur ein toller Songschreiber und Musiker, sondern auch ein sehr sympathischer Gesprächspartner ist, hat er vor dem Konzert bewiesen, als er uns im Schatten des Bahndamms ein Interview gab.

Und das können Sie jetzt hier sehen:

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

[Direktlink]

Kategorien
Rundfunk Digital

Bundesblinden Song Contest

Eigentlich wollte ich gar nichts über den “Bundesvision Song Contest” schreiben. Der Popkulturjunkie hat ein ganz wunderbares Liveblog geführt, in dem er unter anderem die beste und wahrste Einschätzung zu den Sportfreunden Stiller ablieferte, die ich seit langem gelesen habe:

Es ist ja ein bisschen schade, aber ich finde, die Sportfreunde sollten sich auflösen. Oder nur noch live spielen ohne neue Songs aufzunehmen. Die Band dreht sich seit Jahren im Kreis, keine einzige neue Idee. Auch wenn sie sympathisch sind und eine großartige Liveband und überhaupt. Aber das hier ist ja wohl unglaublich mittelmäßig.

Aber darum soll es gar nicht gehen: Der Popkulturjunkie ist auch ein Statistikfreak und hat deshalb gleich gestern noch ein wenig rumgerechnet:

Platz 1: Brandenburg, Platz 2: Thüringen, Platz 3: Sachsen-Anhalt, Platz 5: Mecklenburg-Vorpommern. Aber um die eventuellen Ost-Verschwörungstheorien gleich mal zu entkräften: Ohne die fünf später hinzugekommenen Länder hätte die Reihenfolge auf Platz 1 und 2 genauso ausgesehen, nur Platz 3 wäre an Niedersachsen gegangen.

Das darf man natürlich nicht ganz wörtlich nehmen, denn ohne die “neuen Bundesländer” wäre ja weder Brandenburg noch Thüringen dabei dabeigewesen. Aber das ist Haarspalterei, denn auf die Punkte aus den neuen Bundesländern kam es bei den beiden Erstplatzierten nicht an, wie er heute in einem weiteren Beitrag vorrechnet:

Tatsächliches Ergebnis:

01 Brandenburg: Subway to Sally – “auf kiel” (147 Punkte)
02 Thüringen: Clueso – “keinen zentimeter” (146)
03 Sachsen-Anhalt: Down Below – “sand in meiner hand” (96)
04 Niedersachsen: Madsen – “nachtbaden” (94)
05 Mecklenberg-Vorp.: Jennifer Rostock – “kopf oder zahl” (79)
06 Schleswig Holstein: Panik – “was würdest du tun?” (75)

Ergebnis ohne Wertungen aus den “neuen Bundesländern”:

01 Brandenburg: Subway to Sally – “auf kiel” (99 Punkte)
02 Thüringen: Clueso – “keinen zentimeter” (96)
03 Niedersachsen: Madsen – “nachtbaden” (67)
04 Sachsen-Anhalt: Down Below – “sand in meiner hand” (56)
05 Schleswig Holstein: Panik – “was würdest du tun?” (54)

09 Mecklenberg-Vorp.: Jennifer Rostock – “kopf oder zahl” (41)

“Wo kämen wir hin, wenn wir uns von Fakten eine schöne, voreingenommene Berichterstattung kaputt machen ließen?”, wird sich Sebastian Wieschowski gedacht haben, als er seinen launigen schlecht gelaunten Artikel für “Spiegel Online” schrieb:

In dieser Nacht war Deutschland keine Bundesrepublik – sondern ein irrwitziger Haufen aus 16 Kleinstaaten, die sich bekämpfen, peinliche Allianzen gegeneinander schmieden. Ergebnis: Der Osten putscht sich zum Sieg bei Stefan Raabs “Bundesvision Song Contest”.

heißt es schon im Vorspann und eigentlich hat man da ja schon keinen Bock mehr zu lesen. “16 Kleinstaaten”, wo erlebt man sowas schon – außer im Bundesrat, der Schulpolitik oder der Radiolandschaft?

Und als wäre das Gerede von der “Ostblock-Mafia” beim Grand Prix nicht hinreichend widerlegt, poltert Wieschowski weiter:

Und was ehemalige Ostblockrepubliken beim echten Grand Prix schaffen, ist für die neuen Bundesländer eine leichte Übung – die statten nämlich mit Liebe ihre Nachbarn punktemäßig aus. Brandenburg schiebt sieben Punkte nach Mecklenburg-Vorpommern, acht nach Berlin, zehn nach Thüringen und zwölf in die eigene Tasche.

Auf die Idee, dass die Leute Clueso (Thüringen) und Subway To Sally (Brandenburg) einfach gut fanden, und die beiden Acts deshalb auch nahezu durchgehend 8 bzw. 10 Punkte aus allen Bundesländern bekamen, ist der Autor offenbar gar nicht erst gekommen. Auch nicht darauf, dass es in der Summe exakt keine Auswirkungen hat, wenn sich jeder seine zwölf Punkte selbst zuschiebt. Einzig NRW hat es mal wieder nicht geschafft, sich selbst die zwölf Punkte zu geben, was zwar dafür gesorgt hat, dass Clueso am Ende nur einen Punkt Rückstand auf Subway To Sally hatte, aber letztlich weder entscheidend war,, was zwar letztlich entscheidend war (Korrektur von 19:30 Uhr), aber kaum als “Ostkungelei” angesehen werden kann.

Aber man kann das natürlich auch dramatischer formulieren:

Die deutschlandweit gültige Faustregel lautet: In erster Linie liebt man sich selbst.

Kein Wort zum grandiosen Scheitern der Top-Favoriten Sportfreunde Stiller (Bayern) und Culcha Candela (Berlin), nichts darüber, dass der “Bundesvision Song Contest” und “TV Total” so ziemlich die letzten Sendungen im deutschen Fernsehen sind, an denen man solche Bands überhaupt noch sehen und live hören kann, seit Sarah Kuttners Sendung vor anderthalb Jahren eingestellt wurde.

Stattdessen gerüttelter Unfug wie:

Deutschland, einig Vaterland, das war gestern – es lebe die wiedergeborene Kleinstaaterei. Und schuld ist Stefan Raab.

Ach, und der Eurovisions-Wettbewerb ist dann ein Angriff auf das vereinte Europa oder was will uns der Autor damit sagen?

Schön natürlich auch, dass selbst so verabscheuungswürdige Ereignisse wie so ein “Song Contest” für “Spiegel Online” immer noch gut genug sind, mit klick-generierenden Bildergalerien gewürdigt zu werden.

Die Begleittexte dazu sind mal sinnlos

Sieger beim vierten Bundesvision Song Contest – obwohl sie schon seit 15 Jahren Musik machen: Mittelalter-Folkrocker Subway to Sally aus Brandenburg

mal falsch

Berliner Buben: Culcha Candela wollten den letztjährigen Erfolg von Seeed wiederholen – und scheiterten am Mittelalter-Folk ihrer Nachbarn.

Ja, Leute, wenn Seeed letztes Jahr gewonnen hätten, warum fand der Wettbewerb dieses Jahr dann in Niedersachsen statt? Vielleicht, weil die Vorjahressieger Oomph! hießen?

Ich sollte “Spiegel Online” endlich mal aus dem Feedreader schmeißen …

Nachtrag 13:29 Uhr: … und sueddeutsche.de gleich mit:

Einen gut vorbereiteten Eindruck machten die Niedersachsen, bestehend aus der dreiköpfigen Rock-Band Madsen, […] Auch dem Beitrag von Rheinland Pfalz – dargeboten von der Girlie-Gruppe Sisters – fehlte es an effektvollen Einfällen oder stimmlicher Qualität.

(Madsen sind zu fünft, Sisters für Nordrhein-Westfalen.)

Kategorien
Musik Rundfunk Fernsehen

Raabenvater

01:42 Uhr in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist vielleicht nicht unbedingt der glamouröseste Zeitpunkt, um eine Pop-Karriere zu starten. So spät war es heute früh, als bei Stefan Raabs kleinem Talentwettbewerb die Siegerin feststand: die achtzehnjährige Stefanie Heinzmann aus Eyholz in der Schweiz. Die Sendung und vor allem die Kandidaten hätten einen weit besseren Sendeplatz verdient gehabt als den im Anschluss an Sonya Kraus’ Trash-Parade “Simply The Best”.

Doch worum ging es eigentlich? Im April des letzten Jahres stieg Max Buskohl freiwillig bei “Deutschland sucht den Superstar” aus, weil er lieber mit seiner Band Empty Trash musizieren wollte. Wegen bestehender Verträge durfte er aber zunächst nirgendwo mehr auftreten, auch nicht bei “TV Total”, wohin Stefan Raab ihn sofort eingeladen hatte. Raab zettelte erst einen “TV-Skandal” (“Bild”) an, indem er Buskohl als RTL-“Geisel” inszenierte, dann kündigte er einfach seine eigene Castingshow an: “Stefan sucht den Superstar, der singen soll was er möchte und gerne auch bei RTL auftreten darf” (“kurz”: SSDSDSSWEMUGABRTLAD).

Raab hatte Erfahrung mit Castingshows: Im Jahr 2004 hatte er mit “Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star” (“SSDSGPS”) den letzten ernst zunehmenden Versuch sabotiert, aus dem deutschen Vorentscheid zum Schlager-Grand-Prix doch noch eine zeitgemäße Veranstaltung zu machen. Dafür verhalf er dem Sänger Max Mutzke über Nacht zum Nummer-Eins-Hit, holte mit ihm in Istanbul den bis heute letzten deutschen Top-Ten-Platz beim Grand Prix und bekam für all das auch noch den Grimmepreis. Dann hatte Raab genug vom Grand Prix und rief den “Bundesvision Song Contest” ins Leben, der sich aus dem Stand heraus zu einer der wichtigsten Veranstaltungen der deutschen Musikszene entwickelte. Raab selbst mutmaßte in einem “Behind the scenes”-Special zum aktuellen Wettbewerb, es hätten sich deshalb so viele interessante Musiker beworben, die nie in eine reguläre Castingshow gegangen wären, weil sie sich bei ihm und seinem Team sicher sein konnten, ernst genommen zu werden und sie selbst bleiben zu dürfen.

Und in der Tat: Was da an Kandidaten in den ersten Entscheidungsshows auflief, hätte jeden RTL-“Superstar” in Grund und Boden singen können. Darunter jede Menge echte Typen, die man nicht nur wegen ihres Exoten-Faktors mit reingenommen hatte. Die von Anfang an hohe Qualität machte die Jury-Urteile von Raab, Buskohl-Papa Carl Carlton und wechselnden Gästen wie Ange Engelke, Sasha oder gestern Universal-A&R Jochen Schuster dann natürlich ein bisschen langweilig, wie Christoph Cadenbach bei “Spiegel Online” bemerkt:

Da wünschte man sich, so traurig das scheint, eine Lederhaut wie Dieter Bohlen herbei, der die Kandidaten mal so richtig vor den Kameras scharfrichtet.

Wer sich darüber wundert, dass ausgerechnet dem immer noch als “Großmaul” verschrienen Stefan Raab eine kuschlige Castingshow und damit die vermeintliche Quadratur des Kreises gelungen ist, hat die Entwicklung der letzten Jahre verpasst: Raab hat aus Schnapsideen Großereignisse wie die “Wok-WM” entwickelt, er hat mit “Schlag den Raab” die große (und ewig lange) Samstagabendshow wieder zum Leben erweckt und dürfte in der Retrospektive irgendwann als einer der wichtigsten Fernsehmacher der Nuller Jahre gesehen werden. Und wenn seine Autoren ihm nicht jedesmal, wenn das Thema Frauenfußball zur Sprache kommt, gänzlich unsägliche Lesbenwitze aus der untersten Schublade kramen würden, hätte er vielleicht auch einen allgemein besseren Ruf.

Doch zurück zum gestrigen Finale, bei dem vier mehr oder weniger unwahrscheinliche potentielle Popstars zur Wahl standen: Mario, ein zwanzigjähriger Cowboy, der ausschließlich Country-Songs gesungen und es damit immer wieder in die nächste Runde geschafft hatte; Steffi, eine sympathische Fränkin, die überall sonst das Label “Rockerbraut” verpasst bekommen hätte, wenn sie mit 32 überhaupt noch hätte teilnehmen dürfen; Gregor, der ab der zweiten Show mit selbst geschriebenen, deutschsprachigen Balladen angetreten war, und Stefanie, eine achtzehnjährige Schweizerin, die anspruchsvolle und mitunter abwegige Soul- und Funksongs schmetterte, als habe sie nie etwas anderes gemacht, und die sich selbst immer am meisten über ihr Weiterkommen zu wundern schien. Diese Kandidaten hatten bis gestern alle keine Nachnamen, keine Familie, die in Einspielfilmen erzählen musste, dass die Kinder ja noch “total auf dem Boden geblieben” seien, und kein Privatleben, das in der “Bild am Sonntag” ausgebreitet wurde. Die Kandidaten und ihre Songs reichten völlig aus, was im Gegenzug leider auch hieß, dass der Wettbewerb fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand – und ich hab ja auch bisher nie darüber geschrieben.

Dass Stefanie schließlich vor Gregor und Steffi das Finale gewinnen würde (Mario war bereits nach dem ersten von zwei Songs ausgeschieden), zeichnete sich schon an den Zuschauerreaktionen ab: das Studiopublikum hörte kaum noch auf zu toben, nachdem sie “Only So Much Oil In The Ground” von Tower Of Power zum Besten gegeben hatte. Leider ist “My Man Is A Mean Man”, das ihr die schwedischen Autoren Markus Sepehrmanesh, Tommy Tysper und Gustav Jonsson geschrieben haben, nicht so spannend geraten – schon gar nicht in der Studioversion.

Denn bereits heute kann man eine Single kaufen, auf der praktischerweise alle vier Finalisten mit ihren neuen Songs vertreten sind – bei iTunes zum Beispiel schon seit Ende der Sendung. Und da wollen wir doch noch mal ganz kurz reinhören:

Stefanie Heinzmann – My Man Is A Mean Man (Livevideo aus der Sendung)
Eine gefällige Soulpop-Nummer, die ein wenig an Joss Stone, die neueren Christina-Aguilera-Sachen oder die Supremes erinnert. Nett, aber bei der Stimme wäre viel mehr drin gewesen.

Gregor Meyle – Niemand (Livevideo)
Gregor ist der Einzige der Finalisten, der seinen Song selbst geschrieben hat. “Niemand” hatte er schon während der Entscheidungsshows im Dezember gespielt und es ist fürwahr ein erstaunlich guter Song. Zwar ist das Gerede von Carlton und Raab, man habe den besten deutschsprachigen Songwriter seit Jahren entdeckt, schon ziemlich übertrieben, anderseits stellt man sich natürlich auch die Frage, welche neuen deutschsprachigen Songwriter es in den letzten Jahren denn wohl überhaupt so gab – zumindest keinen, der derart lyrisch und dennoch unpeinlich über die ganz großen Gefühle gesungen hätte. Mit der U2-Instrumentierung ist das dann schon recht großer Sport. Nach den anderen Eigenkompositionen, die der Mann in der Show gespielt hat, kann man da ein erstaunliches Album erwarten.

Steffi List – Break The Silence (Livevideo)
Das Lied, das in der Studioversion am sattesten geraten ist. Die klangliche Nähe zu K’s Choice liegt vor allem daran, dass Steffis Stimme ordentlich nach der von Sarah Bettens klingt. Der Song könnte sonst aber auch von Heather Nova, Sophie B. Hawkins oder Sheryl Crow sein – was ich jetzt merkwürdigerweise als Kompliment meine.

Mario Strohschänk – Don’t Feel Sorry For Me (Livevideo)
Na, das höre ich ja schon bei WDR2 rauf und runter laufen. Klingt wie die Songs, die Gregg Alexander für Ronan Keating geschrieben hat, oder das Comeback-Album von Take That: Schon ein wenig arg glatt und mainstreamig, aber doch grad noch so, dass man es eher als “eingängig” denn als “cheesy” bezeichnen würde. Raab hat schon recht, wenn er meint, dass man Mario den Südstaaten-Amerikaner glatt abnehmen würde.

Kurzum: Die Single ist Pop im besten Sinne. Ob Stefan Raab bei seiner Suche nun wirklich einen “Superstar” gefunden hat, wird sich (wie bei jeder Castingshow) noch zeigen. Die Voraussetzungen (Talent und eine Zielgruppe, die möglicherweise loyaler ist als die Horden kreischender Teenies, die jedes Jahr für ein anderes One-Hit-Wonder jubeln) sind jedenfalls gut. Man sollte RTL sehr dankbar sein, dass sie Max Buskohl unter Verschluss gehalten haben.

Kategorien
Musik

Recycling

Erinnern Sie sich an Max Buskohl?

Okay, das ist eine gemeine Frage. In der schnelllebigen Zeit von TV-Castingshows weiß ja schon niemand mehr, wer vor einem halben Jahr bei “Deutschland sucht den Superstar” gewonnen hat – geschweige denn, wer drei Wochen zuvor aus der Sendung ausgestiegen war.

Andererseits war die Max-Buskohl-Geschichte so uninteressant ja nicht: Immerhin schmiss der junge Mann im April angeblich hin, weil er einen Plattenvertrag für seine gesamte Band haben wollte, woraufhin ihn Stefan Raab zu “TV Total” einlud, was aber aus vertraglichen Gründen nicht ging, weswegen Raab erst umstrittene Grafiken einblendete und dann einen eigenen Talentwettbewerb ins Leben rief, der zur Zeit läuft und musikalisch interessanter ist als alle bisherigen “DSDS”-Staffeln zusammen.

Doch zurück zu Max Buskohl: Dessen Band Empty Trash, für die er damals angeblich einen Plattenvertrag haben wollte, hat natürlich sofort einen gekriegt – bei Capitol Racords, einer Tochter von EMI, dem schärfsten Konkurrenten der “DSDS”-Plattenfirma SonyBMG.

Vergangene Woche erschien die erste Single “Limited” und da wollen wir doch erst einmal kurz reinhören:

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Lachen Sie jetzt mal nicht über das Video: Verglichen mit den doch sehr Schülerband-mäßigen Songs, die Empty Trash vor ihrem Signing auf ihrer Website hatten, ist das musikalisch eine ziemliche Weiterentwicklung. Der Schwede Patrick Berger, der das Album mit Buskohls Vater Carl Carlton produziert hat, mag vielleicht ein bisschen viel Placebo und The Killers gehört haben, bevor er am Mischpult Platz nahm (die Plattenfirma möchte besonders darauf hinweisen, dass die Single von Pelle Gunnarfeldt abgemischt wurde, der sonst für The Hives, The (International) Noise Conspiracy und Last Days Of April arbeitet – doof nur, dass der Mann Gunnerfeldt heißt), aber die Strophen haben schon einen durchaus netten Zug nach vorne. Schade, dass sie in einen derart H-Blockx-mäßigen Brüll-Refrain münden.

Lange Rede, kurzer Sinn: Von allen Ex-Castingshow-Kandidaten Deutschlands ist Max Buskohl mit seiner Band Empty Trash mit Sicherheit der vielversprechendste. Solch ein Lob erinnert natürlich erst mal an den Einäugigen, der unter den Blinden König ist, aber vielleicht geht da ja wirklich noch was mit dem Album, das nächste Woche erscheint. Auch wenn Sound und Artwork wieder mal völlig konservativ alternative sind: Mir ist es in jedem Fall lieber, wenn die Kinder und Jugendlichen sich sowas anhören als eine weitere von Dieter Bohlen geschriebene Powerschnulze.

P.S.: Machen Sie doch mit beim lustigen “Limited”-Puzzle. Ich hab schon beinahe alle Placebo-Songs und Teile von “Leaving New York” von R.E.M. wiederentdeckt.

Kategorien
Print Digital

Totes Pferd gefunden

Millionen von Menschen lesen jeden Tag die “Bild”-Zeitung, darunter viele Medienschaffende und Journalisten. Manche lachen sich danach ins Fäustchen und werfen die Zeitung weg – und andere setzen sich danach hin und schreiben los.

Ich hab mich daran gewöhnt, dass die “Rheinische Post” bzw. “RP Online” seit einiger Zeit wie schwarz-gelbe (die Zeitungsfarben, nicht die Politik) Ausgaben von “Bild” und “bild.de” wirken – es könnte damit zusammenhängen, dass Chefredakteur Sven Gösmann und Online-Chef Oliver Eckert von der Elbe an den Rhein gewechselt waren. Zuletzt sah man am Samstag, wie das geht: “ARD-Wetterfee rastet im TV aus!” vs. “Vor laufender Kamera: Wetterfee Claudia Kleinert rastet aus”.

Dass aber ausgerechnet die von mir hochgeschätzte (und abonnierte) “Süddeutsche Zeitung” auf ihrer Internetseite auch “Bild”-Inhalte recycelt, ist für mich – milde ausgedrückt – ein Schock.

Zur Erinnerung: Letzte Woche hatte “Bild” eine angebliche Ex-Freundin des TV-Komikers Oliver Pocher samt Fotos ausgegraben und kurz darauf Pochers aktuelle Freundin samt Fotos vorgestellt. Das ist ja schon uninteressant genug, aber sueddeutsche.de nutzt diese Geschichte als Aufhänger für etwas, was wir “Desaster” “Offenbarungseid” “Bilderstrecke” nennen wollen.

Auf elf Einzelseiten hangelt sich die Autorin Michaela Förster von Pocher und den Damen über Stefan Raab, Harald Schmidt und Herbert Feuerstein wieder zu Pocher zurück und dann noch einmal zu Schmidt. Der Text ist banal und dient nur der Betextung von Fotos, die hauptsächlich Oliver Pocher zeigen. Dabei schreckt sie auch vor der neuesten Unsitte des Onlinejournalismus nicht zurück und lässt den Text gerne auch mal mitten im …

… Satz umbrechen. Das ist in sprachlicher und ästhetischer Hinsicht mindestens unschön und führt nebenbei auch noch schnell zu misslungenen Bildunterzeilen:

… und diese Riege handhabt die Trennung von Beruf und Privatleben anders.

(Screenshot: sueddeutsche.de)

Wenn das die “hochwertigen Portale und Nachrichten im Internet” seien sollen, gegen die Blogs angeblich keine Chance haben, dann möchte ich unter keinen Umständen minderwertige Portale zu Gesicht bekommen.

Kategorien
Rundfunk Fernsehen

Here we are now, entertain us!

“TV Total” ist nicht mehr so gut, wie es früher einmal war. Das wissen wir spätestens seit Peer Schaders Artikel für die FAS (und, äh: die WAZ). In der Tat taucht fast nichts mehr von dem, was die Sendung früher ausmachte (und ihr ihren Namen gab) in den heutigen Shows auf.

Auf der anderen Seite gilt: Stefan Raab ist besser denn je. Beinahe unbemerkt hat er bei Pro 7 all die Posten besetzt, für die andere Sender eine halbe Fußballmannschaft, wenigstens aber Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Dieter Bohlen, Günther Jauch, Ralph Siegel und, äh: Axel Schulz brauchen. Er hatte als Musiker bisher acht Top-Ten-Hits, schickte drei Acts (darunter sich selbst) zum Schlager-Grand-Prix, erfand hernach aus Trotz über die erfolglosen Teilnahmen den Bundesvision Song Contest, ist Wok-Weltmeister und Grimme-Preis-Träger, sowie mehrfach wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte verurteilt worden. Zuletzt sorgte er für eine Renaissance der Samstagabendshow und wenn er demnächst seine Casting-Show “SSDSDSSWEMUGABRTLAD” startet, kann man sicher sein, dass auch dies ein Erfolg und eine wichtige Unterstützung des Musiknachwuchs sein wird.

In der letzten Zeit legt Raab bei “TV Total” das Verhalten an den Tag, das bei Harald Schmidt zu beobachten war, als der noch von allen (und vor allem: zu Recht) gut gefunden wurde: Er wirkt immer mehr, als interessiere ihn die Sendung gar nicht mehr, und setzt dadurch neue Akzente. So verbrachte er vor einigen Monaten die Hälfte der Sendung auf einem Segway stehend und wie wild durchs Studio rollend – eine Aktion, für die Schmidt gleich drei Grimmepreise bekommen hätte.

Gestern zeigte Stefan Raab mal wieder eine neue Seite: Bei “TV Total” war der Pianist Martin Stadtfeld zu Gast, mit dem sich Raab ein zunächst etwas zickig wirkendes, dann aber höchst unterhaltsames Gespräch lieferte. Je länger sich die Beiden unterhielten, desto offenkundiger wurde Raabs Faszination auch für die klassische Musik. Er warf mit Mozart und Bach um sich, schaffte es aber anfangs noch gekonnt, den Gast als Feingeist und sich selbst als albernen Halb-Intellektuellen zu inszenieren. Als er sein Publikum im Saal und vor den Fernsehgeräten dann vollends verloren hatte, war er aber mit so viel Freude dabei, dass ein weiterer angekündigter Gast schlichtweg auf seinen Auftritt verzichten musste. Stattdessen gab es – wohl erstmalig in der Geschichte von Pro 7 – Bach (Johann Sebastian, nicht Dirk oder Bodo) auf dem Konzertflügel.

Seit diesem Auftritt (der Stadtfelds aktuelle CD in den Amazon-Verkaufsrängen nach oben schießen ließ), frage ich mich, wie Raab wohl ohne sein Publikum wäre. Ohne den ewigen “Showpraktikanten” Elton und ohne die pubertären Scherze, die die Zuschauer erwarten. Was zum Beispiel passierte, wenn man ihm eine Sendung bei 3Sat gäbe (Absurde Idee? Oliver Pocher wechselt zur ARD!).

Man kann von Stefan Raab halten, was man will, aber er ist wahrscheinlich einer der fünf wichtigsten Medienmenschen in Deutschland. Was er macht, zieht er mit einem mitunter beunruhigenden Ehrgeiz und Ernst durch. Und er schafft es heutzutage noch, medienwirksame “Skandale” auszulösen, die nur indirekt etwas mit TalentshowJurys zu tun haben. Eigentlich könnte er “TV Total” doch einfach ganz Elton überlassen …