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Gesellschaft

No one’s laughing at God, we’re all laughing with God

Ich habe mit dem von „Bild“ her­bei­ge­kreisch­ten „Schwuch­tel-Skan­dal“ bei der Köl­ner Stunk­sit­zung, über den ich ges­tern im BILD­blog geschrie­ben habe, ver­schie­de­ne Pro­ble­me.

Da ist zunächst ein­mal ein ger­ma­nis­ti­sches: Da stellt sich ein Kaba­ret­tist hin und sagt in sei­ner Rol­le als Ex-Bischof Wal­ter Mixa fol­gen­de Wor­te:

Aber der Höhe­punkt war der Welt­ju­gend­tag hier in Köln: Bene­dikt und Joa­chim, der zum-Lachen-in-den-Kel­ler-geht-Meis­ner, lie­ßen sich wie zwei frisch­ver­mähl­te Schwuch­teln über den Rhein schip­pern.

Nun wäre es ver­ständ­lich, wenn sich Homo­se­xu­el­len­ver­bän­de über die Ver­wen­dung der despek­tier­li­chen Voka­bel „Schwuch­tel“ beklag­ten (wobei man nicht weiß, wie der ech­te Wal­ter Mixa im pri­va­ten Rah­men über die­se Bevöl­ke­rungs­grup­pe spricht), aber es wür­de wohl kaum jemand aus­schlie­ßen, dass sich nicht irgend­wo zwei Schwu­le fin­den lie­ßen, die nach ihrer Ver­part­ne­rung in gro­tes­ken Gewän­dern auf einem Schiff fei­ern wol­len.

Man muss schon Poli­ti­ker sein, um aus dem obi­gen Ver­gleich etwas ande­res zu machen, wie die Katho­li­sche Nach­rich­ten Agen­tur (kna) zusam­men­fasst:

Die Dar­stel­lung von Papst und Kar­di­nal als „Schwuch­teln“ sei „niveau­los und abso­lut pri­mi­tiv“, sag­te Mar­tin Loh­mann, Chef des Arbeits­krei­ses enga­gier­ter Katho­li­ken in der CDU, der in Düs­sel­dorf erschei­nen­den „Rhei­ni­schen Post“ (Diens­tag).

Der frü­he­re bay­ri­sche Wis­sen­schafts­mi­nis­ter (!) Tho­mas Gop­pel geht gleich einen Schritt wei­ter und bemüht sei­ner­seits einen Ver­gleich:

Der Spre­cher der „Christ­so­zia­len Katho­li­ken in der CSU“, Tho­mas Gop­pel, hat­te den WDR vor einer Fern­seh­aus­strah­lung gewarnt. Den betrof­fe­nen Kaba­ret­tis­ten Bru­no Schmitz nann­te er einen „degou­tan­ten Ver­sa­ger“, der sich „im geis­ti­gen Sinn wie die U‑Bahn-Ran­da­lie­rer“ ver­hal­te. CSU-Rechts­po­li­ti­ker Nor­bert Geis erklär­te, der Kar­ne­vals-Bei­trag sei ein „Aus­druck von Bos­heit und Dumm­heit“. Das sei „nicht ein­mal unters­tes Niveau: boden­los,“ kri­ti­sier­te Geis.

Immer­hin: Mit Gewalt im öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr ver­bin­det die Bay­ern fast so eine lan­ge Tra­di­ti­on wie mit der katho­li­schen Kir­che.

* * *

Was mich eben­falls ver­wirrt ist die Empö­rung, die sich unter bis­lang eher unbe­kann­ten Ver­ei­nen und Ver­bän­den Raum bricht:

Der Bun­des­ver­band der Katho­li­ken in Wirt­schaft und Ver­wal­tung (KKV) hat den WDR auf­ge­for­dert, eine Papst Bene­dikt XVI. und Kar­di­nal Joa­chim Meis­ner ver­un­glimp­fen­de Sze­ne aus der „Stunk­sit­zung“ nicht aus­zu­strah­len. Der Sen­der sol­le Flag­ge zei­gen und auf die Gefüh­le von Chris­ten Rück­sicht neh­men, for­der­te der KKV-Vor­sit­zen­de Bernd‑M. Weh­ner am Frei­tag in Köln. Die­se mach­ten „immer­hin etwa zwei Drit­tel der Rund­funk­ge­büh­ren­zah­ler“ aus, sag­te er.

An die­sen Aus­füh­run­gen ist so gut wie alles empö­rens­wert: Zunächst ein­mal ver­bit­te ich mir als Christ die Ver­ein­nah­mung und Ent­mün­di­gung durch Herrn Weh­ner und sei­nen Ver­ein. Als Pro­tes­tant tan­giert es mei­ne reli­giö­sen Gefüh­le null­kom­ma­gar­nicht, wenn irgend­wel­che Kar­di­nä­le und Bischö­fe ver­spot­tet wer­den. Und das hat nichts mit der Kon­fes­si­on zu tun: Auch mög­li­che Wit­ze über die Trun­ken­heits­fahrt von Mar­got Käß­mann las­sen mei­ne reli­giö­sen Emp­fin­dun­gen unbe­rührt. Ich mag sie schlecht und unlus­tig fin­den (wie den unsäg­li­chen Käß­mann-Stan­dup von Harald Schmidt), aber sie rich­ten sich gegen – Ent­schul­di­gung, lie­be Katho­li­ken – Men­schen und nicht gegen mei­ne Reli­gi­on. Und selbst wenn, wür­de ich den Sketch ger­ne selbst sehen und mich not­falls von allein dar­über echauf­fie­ren – eine Bevor­mun­dung durch den WDR im Namen irgend­wel­cher Ver­bän­de ist da wenig sach­dien­lich.

„Bild“ räum­te Gop­pel in der Mün­che­ner Regio­nal­aus­ga­be eben­falls Raum für sei­ne Empö­rung ein und freu­te sich in der Köl­ner Aus­ga­be (zu früh, s. BILD­blog), dass der WDR auf eine Aus­strah­lung des Sket­ches ver­zich­ten wer­de. Dabei han­delt es sich um die glei­che Zei­tung, die Kurt Wes­ter­gaard, den Zeich­ner der umstrit­te­nen Moham­med-Kari­ka­tu­ren, als „mutig“ und Ange­la Mer­kels Lau­da­tio auf ihn als „gro­ßes Bekennt­nis zur Frei­heit der Pres­se und der Mei­nun­gen“ bezeich­net hat­te.

Ich bin mir sicher, dass ein guter Teil der Men­schen, die nun den Mixa-Dar­stel­ler Bru­no Schmitz beschimp­fen und bedro­hen, ande­rer­seits der Mei­nung sind, dass die Reak­tio­nen auf Wes­ter­gaards Zeich­nun­gen in Tei­len der mus­li­mi­schen Welt völ­lig über­trie­ben und bar­ba­risch waren. Da kann man ja noch froh sein, dass es im Islam kei­ne kalen­da­risch ver­ord­ne­ten Pha­sen der Wit­zig­keit gibt, in denen sich irgend­wel­che Men­schen mit einem etwas ande­ren Humor­ver­ständ­nis über Jesus oder Maria lus­tig machen.

* * *

Damit sind wir bei einem Reli­gi­ons­ver­ständ­nis ange­kom­men, das mich als gläu­bi­ger Christ ver­wirrt und das auf einer ratio­na­len Ebe­ne allen­falls „irra­tio­nal“ zu nen­nen ist: Mir ist völ­lig schlei­er­haft, war­um Men­schen, die an einen all­mäch­ti­gen Gott glau­ben, mei­nen, die­sen ver­tei­di­gen zu müs­sen.

Wenn sich die­ser Gott von Men­schen belei­digt fühlt, soll­te er doch selbst genug Mög­lich­kei­ten haben, dies den Betref­fen­den kurz­fris­tig (Sint­flut, beim Kacken vom Blitz getrof­fen) oder lang­fris­tig (an der Him­mels­pfor­te abge­wie­sen) mit­zu­tei­len. Auf gar kei­nen Fall braucht er pope­li­ge Men­schen, die in sei­nem Namen sau­er sind und ihn somit ent­mün­di­gen.

Ich mag mich da irren (und wer­de das sicher noch früh genug erfah­ren), aber ein Gott, der Wesen wie das Nil­pferd, den Nasen­bä­ren oder Sarah Palin erschaf­fen hat, hat doch offen­bar einen ziem­lich guten Humor und bedarf dem­nach nicht der (mut­maß­lich unver­lang­ten) Für­spra­che von humor­frei­en Men­schen wie Eva Her­man oder Tho­mas Gop­pel.

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Digital Gesellschaft

Und Normal gibt’s nicht mal mehr an der Tankstelle

Lie­be Autoren, Ihr könnt die Arbeit ein­stel­len: Das Ren­nen um den dümms­ten Text des Jah­res ist ent­schie­den. David Baum hat ihn ver­gan­ge­ne Woche auf „The Euro­pean“ ver­öf­fent­licht, einem kon­ser­va­ti­ven Inter­net­ma­ga­zin, des­sen erklär­tes Ziel es ist, inner­halb der nächs­ten Jah­re so wich­tig zu wer­den, wie es sich selbst seit dem ers­ten Tag nimmt.

In wel­che Rich­tung es gehen wird, erkennt man schon an der Fra­ge, die Baum sei­ner „Kolum­ne“ vor­an­ge­stellt hat: „Wie abar­tig ist eigent­lich nor­mal?“. Die Über­schrift zeigt, dass hier einer die Kon­tro­ver­se, die Pro­vo­ka­ti­on, das Bro­dern sucht: „Lie­be Nege­rIn­nen“.

Doch was will Baum eigent­lich sagen?

HÖREN SIE – sehr geehr­te Damen, sehr geehr­te Her­ren “und alle, die sich nicht mit die­sen Kate­go­rien iden­ti­fi­zie­ren kön­nen oder wol­len”: Ich kom­me mir manch­mal vor wie Ronald Rea­gan, der ver­se­hent­lich an den Nackt­ba­de­strand des Wood­stock-Fes­ti­vals gera­ten ist.
Zum Bei­spiel, wenn ich die­se inzwi­schen heiß umfeh­de­te Rede des Chefs der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, Tho­mas Krü­ger, lese, die er tat­säch­lich mit genau jener eben zitier­ten Anre­de ein­ge­lei­tet hat. Das erin­nert mich an die hin­rei­ßend idio­ti­sche Afri­kare­de von Hein­rich Lüb­ke, bloß dass der zum Kar­ne­va­lis­ti­schen nei­gen­de Bun­des­prä­si­dent heu­te nicht nur über die böse ras­sis­ti­sche For­mel stür­zen wür­de, son­dern auch noch, weil er nicht “lie­be Nege­rIn­nen” gesagt hat.

Zuge­ge­ben: Das ist schon sehr viel zer­schmet­ter­ter Satz­bau und sehr viel Unfug für einen ein­zel­nen Absatz. Aber wir kom­men da durch. Zunächst also mal das Offen­sicht­li­che: In White Lake, NY gab es nach allem, was wir wis­sen, kei­nen Strand – also auch kei­nen „Nackt­ba­de­strand des Wood­stock-Fes­ti­vals“. Was soll­te man da auch schon sehen außer Schlamm?

Aber viel­leicht ist das auch wit­zig gemeint. So wie die Anre­de „lie­be Neger“, die sehr wahr­schein­lich frei erfun­den ist und die Baum mit der Anre­de in Tho­mas Krü­gers Rede beim Kon­gress „Das fle­xi­ble Geschlecht. Gen­der, Glück und Kri­sen­zei­ten in der glo­ba­len Öko­no­mie.“ ver­gleicht wie ande­re Leu­te Äpfel mit Schrau­ben­zie­hern: „Sehr geehr­te Damen und Her­ren, lie­be Neger“ klingt für unse­re Ohren, als ob es neben den Damen und Her­ren auch noch die „Neger“ gebe, die (ähn­lich wie bei „lie­be Kin­der“) von den Damen und Her­ren abge­grenzt wer­den müs­sen, weil sie nicht dazu­ge­hö­ren. Beim Kon­gress der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung hin­ge­gen wer­den auch die Men­schen adres­siert, die sich selbst weder den Damen, noch den Her­ren zurech­nen kön­nen oder wol­len. Die drit­te Kate­go­rie ver­sucht also eine Abgren­zung auf­zu­he­ben, nicht eine her­zu­stel­len.

Wie bei jedem ordent­li­chen Pole­mi­ker, der sich völ­lig in der Lebens­wirk­lich­keit ver­fah­ren hat, ist man auch bei David Baum gut bera­ten, ihn zwecks Demon­ta­ge aus­gie­big zu zitie­ren:

Herr Krü­ger, der Mann, der samt Ehe­gat­tin und sei­nem gan­zen Klün­gel vom Staat gespon­sert wird, “um inter­es­sier­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger dabei zu unter­stüt­zen, sich mit Poli­tik zu befas­sen”, doziert all­zu gern über das The­ma “Das fle­xi­ble Geschlecht”. Er ver­tritt also jene lau­ni­ge The­se – die zur Folk­lo­re der hei­mi­schen Links­extre­men gehört –, dass kein Mensch als Jun­ge oder Mäd­chen gebo­ren wird und des­halb die Kin­der­lein geschlechts­neu­tral auf­wach­sen sol­len, um sich schließ­lich frei ent­schei­den zu kön­nen. Der Ver­weis auf gewach­se­ne Geschlechts­or­ga­ne gilt in die­sen Krei­sen als lächer­li­cher Volks­glau­be aus der fins­te­ren Vor­mo­der­ne, den­ken sie erst gar nicht dar­an. Ich weiß nicht, was die­se Kama­ril­la in den 70ern geraucht hat, jeden­falls macht es bis heu­te so high, dass sie die Unter­schei­dung von Mäd­chen und Jun­gen für eine zutiefst reak­tio­nä­re und rechts­ra­di­ka­le Ange­le­gen­heit hält.

Mal davon ab, dass es in Krü­gers Rede nur am Ran­de um jene „lau­ni­ge The­se“ und gar nicht um Geschlechts­or­ga­ne und Geschlechts­neu­tra­li­tät geht, offen­bart sich in die­sem Absatz auch wie­der ein erschüt­ternd schlich­tes Welt­bild: Mann oder Frau, schwarz oder weiß, dafür oder dage­gen. Wenn Anders­den­ken­de für David Baum „Links­extre­me“ sind, müss­te er in sei­ner eige­nen bipo­la­ren Welt ja eigent­lich ein Rechts­ra­di­ka­ler sein. Das hat er natür­lich selbst schon aus­for­mu­liert und womög­lich wit­zig gemeint.

Aber ganz so ein­fach, wie es Baum ger­ne hät­te mit Pim­mel und Mumu, macht es ihm die Natur schon nicht. Hin­zu kommt, dass er – wie so vie­le Ande­re an bei­den Enden des poli­ti­schen Spek­trums – aus­schließ­lich inner­halb bestehen­der Kate­go­rien den­ken will.

Dazu ein kur­zer Exkurs: Das Volk der Sets­wa­na in Afri­ka kennt nur weni­ge Farb-Grund­wör­ter (im Prin­zip nur schwarz, weiß, rot, und blau/​grün, aber kein Wort für gelb, braun, oran­ge, oder ähn­li­ches), die Dani in Papua-Neu­gui­nea haben (wie ande­re Sprach­ge­mein­schaf­ten auch) über­haupt nur zwei Farb­wör­ter, die in etwa „hell“ und „dun­kel“ bedeu­ten. Sie hät­ten bei der Beschrei­bung eines Regen­bo­gens sicher eini­ge Schwie­rig­kei­ten, aber der Regen­bo­gen blie­be (für unse­re Augen) der glei­che. Die Geschich­te, nach der Eski­mos hun­dert ver­schie­de­ne Wor­te für Schnee hät­ten, ist zwar unge­fähr genau­so falsch wie Hein­rich Lüb­kes berüch­tig­tes Zitat, aber die Idee dahin­ter ist ja ein­fach, dass man alles noch mal aus­dif­fe­ren­zie­ren kann.

Aber das ist natür­lich nicht so geil kra­wal­lig wie die For­mu­lie­rung „an den Scham­haa­ren her­bei Gezo­ge­nes“ oder der Ruf nach dem Ver­fas­sungs­schutz, um den „beson­de­ren Schutz“ der Ehe und der Fami­lie im Grund­ge­setz zu gewähr­leis­ten.

Und über­haupt:

Nor­ma­li­tät gibt es ja nicht, wie der Mensch von mor­gen jetzt schon weiß.

Womög­lich denkt Baum ein­fach nur vom fal­schen Ende aus, denn es geht in der Debat­te ja gera­de dar­um, Schwu­le, Les­ben, Bise­xu­el­le, Trans­se­xu­el­le, Trans­gen­der, usw. usf. nicht mehr als Exo­ten wahr­zu­neh­men, die wahl­wei­se lus­tig oder krank sind, son­dern als nor­mal.

Für Baum eine offen­bar uner­träg­li­che Vor­stel­lung:

Das Ziel einer gesun­den Gesell­schaft soll­te sein, Min­der­hei­ten zu schüt­zen und ihnen zu ihren Rech­ten zu ver­hel­fen. Aber jede Lau­ne der Natur zum all­ge­mei­nen Leit­bild zu erhe­ben sicher nicht. Sie geht näm­lich dar­an kaputt.

Das ist genau die Logik der Leu­te, die wol­len, dass Mus­li­me ihre Moscheen in irgend­wel­chen Hin­ter­hö­fen und Indus­trie­ge­bie­ten errich­ten, und die dann hin­ter­her dar­über schimp­fen, wie schlecht „inte­griert“ die­se Men­schen in einer Gesell­schaft sei­en, die sie selbst an den Rand gedrängt hat. Schwul ja, aber bit­te nicht der eige­ne Sohn, nicht öffent­lich und nicht mit den glei­chen Rech­ten wie Hete­ro-Paa­re. Deko­ra­ti­ve Anders­ar­ti­ge in einer sonst uni­for­mier­ten Gesell­schaft. Aber immer beto­nen, dass man doch eigent­lich („Jedem Tier­chen sein Plä­sier­chen“) tole­rant sei – was natür­lich im Zwei­fels­fall auch wie­der iro­nisch gemeint sein könn­te.

All die­se Aus­brü­che Baums haben wenig bis gar nichts mit der Rede Tho­mas Krü­gers zu tun. Er will nichts „zum all­ge­mei­nen Leit­bild erhe­ben“, er will viel­mehr bestehen­de Leit­bil­der abbau­en:

Um Gerech­tig­keit und einen Aus­tausch auf Augen­hö­he zu errei­chen, kann die eige­ne Posi­ti­on, die eige­ne Erfah­rung, der eige­ne Kör­per und die eige­ne Sexua­li­tät nicht län­ger zur Norm erklärt wer­den, von der alle ande­ren Ver­sio­nen als min­der­wer­ti­ge Abwei­chun­gen gel­ten, die es allen­falls zu tole­rie­ren gilt.

Baum reißt ein­zel­ne Schlag­wor­te aus dem Kon­text der (zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht ganz kur­zen) Rede und erweckt so den Ein­druck, Krü­ger und die Bun­des­zen­tra­le woll­ten Sodom und Gomor­rha als gesell­schaft­li­ches Ide­al (oder gleich als Zwang) eta­blie­ren. Dabei geht es um ganz kon­kre­te Lebens­wirk­lich­kei­ten und Unge­rech­tig­kei­ten in ganz durch­schnitt­li­chen hete­ro­se­xu­el­len Part­ner­schaf­ten, wenn Krü­ger etwa die „klas­si­sche Ernäh­rer-Ehe, an der sich immer noch steu­er­li­che Pri­vi­le­gi­en fest­ma­chen“ kri­ti­siert.

Aber das ist wohl alles zu viel für einen Mann wie David Baum, der die Gren­ze des­sen, was nicht mehr „nor­mal“ ist, unmit­tel­bar hin­ter sich zieht.

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Rundfunk Fernsehen

Tief im Western mit der „Aktuellen Stunde“

Es gibt im deut­schen Fern­se­hen ver­mut­lich kaum eine Nach­rich­ten­sen­dung, die so per­fekt ist wie die „Aktu­el­le Stun­de“ im WDR Fern­se­hen. Die Dop­pel­mo­de­ra­tio­nen, deren Nach­ah­mung sich als Par­ty­spiel emp­fiehlt, sind aku­rat vor­be­rei­tet und wer­den rou­ti­niert abge­spult. Kei­ne Hebung der Augen­braue, kein Schul­ter­zu­cken ist Zufall, alles ist geplant. Selbst im Ange­sicht von Kata­stro­phen wie bei der Love Para­de ste­hen die­se Mode­ra­ti­ons­ro­bo­ter Seit an Seit und impro­vi­sie­ren schein­bar von einem inter­nen Tele­promp­ter ab.

Doch die Sen­dung, die ich als Kind mit Begeis­te­rung schau­te und die zu mode­rie­ren damals mein größ­ter Traum war, hat – eben­so wie das ande­re eins­ti­ge Infor­ma­ti­ons­flagg­schiff des West­deut­schen Rund­funks, das „Mit­tags­ma­ga­zin“ auf WDR 2 – die Jahr­zehn­te nicht unbe­scha­det über­stan­den: Die Bei­trä­ge könn­ten auch aus jedem x‑beliebigen Bou­le­vard-Maga­zin (pri­vat wie öffent­lich-recht­lich) stam­men. Wenn man sich ein­mal klar gewor­den ist, wie albern es ist, einen Text im Wech­sel von zwei Per­so­nen spre­chen zu las­sen, sind die Dop­pel­mo­de­ra­tio­nen nicht mehr ernst zu neh­men – doch bei genau­er Betrach­tung reden die Mode­ra­to­ren sowie­so häu­fig gro­ben Unfug.

Aus ver­schie­de­nen Grün­den, von denen mir eini­ge selbst schlei­er­haft sind, habe ich am Mon­tag mal wie­der die „Aktu­el­le Stun­de“ gese­hen. Die Sen­dung wird irri­tie­ren­der­wei­se seit zwei­ein­halb Jah­ren von Tho­mas Bug mode­riert, der sich vor­her vie­le Jah­re Mühe gege­ben hat­te, auf kei­nen Fall seri­ös zu wir­ken, und nun das Gegen­teil ver­sucht.

Nach­dem diver­se Flüs­se über diver­se Ufer getre­ten sind und diver­se Kel­ler und Gär­ten über­flu­tet haben, ist es Zeit für die gro­ße wei­te Welt der For­mel 1 und deren neu­en Welt­meis­ter Sebas­ti­an Vet­tel, der „lei­der nicht aus Ker­pen“ kommt. Und das ist natür­lich ein Alp­traum für so einen Sen­der, der sich auf Nord­rhein-West­fa­len kon­zen­triert: Ein Star, der aus Hes­sen stammt.

„Die Deut­schen freu­en sich im All­ge­mei­nen“, erklärt Susan­ne Wie­se­ler, um die ent­schei­den­de Fra­ge hin­zu­zu­fü­gen: „Aber was macht das mit den Ker­pe­nern im Beson­de­ren?“

Es pas­siert, was zu befürch­ten war: Das Team der „Aktu­el­len Stun­de“ war vor Ort und hat es sich ange­guckt:

Stacheldraht in Kerpen.

Todes­strei­fen! Über eine melan­cho­li­sche Slide Gui­tar schwa­dro­niert der Off-Spre­cher: „Was wur­de hier geju­belt? Jetzt läuft die Fei­er anders­wo.“ Aber statt eines Step­pen­läu­fers, der pas­send zur Musik durchs Bild geweht wird, folgt ein har­ter Schnitt auf jubeln­de Hep­pen­hei­mer (nicht zu Ver­wech­seln mit Pap­pen­hei­mern, die gibt’s bei Schil­ler), dann wie­der das nicht gera­de blü­hen­de Leben in Ker­pen:

Das blühende Leben in Kerpen.

(Dass der Repor­ter aus­ge­rech­net bei die­sem zar­ten Pflänz­lein erklärt, Ker­pen sei mal „die For­mel-1-Stadt“ gewe­sen, ist ange­sichts die­ses wenig umwelt­freund­li­chen Sports eine schö­ne Wort-Bild-Sche­re, aber im Kon­text des Bei­trags noch völ­lig harm­los.)

Wäh­rend aber­mals die Slide Gui­tar los­sli­det, wech­selt das Kame­ra­team in die Gast­stät­te „Alt­ker­pen“ und befragt zwei Frau­en mit pfif­fi­gen Bril­len­ge­stel­len:

Keck bebrillte Kerpenerinnen sprechen in WDR-Mikrofone.

„Wie Fas­tel­ovend“ sei es gewe­sen, als Micha­el Schu­ma­cher damals gewon­nen habe – und im Rhein­land ist das wohl posi­tiv besetzt. Doch jetzt ist alles anders, sol­len uns die Bil­der des Glä­ser spü­len­den Wirts (es ist Mon­tag­nach­mit­tag, drau­ßen ist es noch hell) und die schon wie­der her­ans­li­den­de Slide Gui­tar sagen.

Und der Off-Spre­cher natür­lich: „Und jetzt: Wie­der ist ein Deut­scher Welt­meis­ter. Aber kein Ker­pe­ner. Und? Nei­disch?“

„Nein!“, rufen da die Frau­en, „im Gegen­teil!“, und das wäre unge­fähr der Punkt gewe­sen, an dem ich als Redak­ti­ons­lei­ter gesagt hät­te: „Nee, tut mir leid, Jungs. Mit dem Auf­hän­ger funk­tio­niert die Geschich­te über­haupt nicht. Könnt Ihr es nicht noch mal irgend­wie anders ver­su­chen?“

Zaun an der Kerpener Kartbahn (Ruhetag).

Sebas­ti­an Vet­tel, nein: „Der Sebas­ti­an Vet­tel“ sei ja „immer­hin“ schon mal in Ker­pen gewe­sen, erzählt der Spre­cher: „Ein paar Run­den“ habe er auf der Kart­bahn gedreht – da sei was los gewe­sen. Aber heu­te? „Aber heu­te? Ist Ruhe­tag auf der Kart­bahn“, heißt es in die­ser völ­lig wider­na­tür­li­chen Kom­men­tar­spra­che aus dem Off und für einen Moment könn­te man glau­ben, der Ruhe­tag habe irgend­was mit Sebas­ti­an Vet­tel und dem immensen Image­ver­lust zu tun, den Ker­pen am Sonn­tag erlit­ten hat.

Jetzt aber schnell zurück in die Innen­stadt und zu der ver­damm­ten Slide Gui­tar:

Straße in Kerpen (fast menschenleer).

„Heu­te war irgend­wie Ruhe­tag in ganz Ker­pen“, sagt der Mann und man begreift lang­sam, wel­che Leis­tung Autoren und Schau­spie­ler bei „Switch Rel­oa­ded“ voll­brin­gen müs­sen, um die­sen gan­zen Irr­sinn, der da im deut­schen Fern­se­hen völ­lig ernst gemeint wird, über­haupt noch sati­risch zu über­hö­hen.

Allein die nächs­ten Sät­ze sind der­art inko­hä­rent, dass ein „Brat fett­los mit Sala­mo Ohne“ zwi­schen­drin auch nicht mehr groß auf­fal­len wür­de: „Welt­meis­ter­stadt, das ist sechs Jah­re her. Und irgend­wie ist das auch völ­lig okay so. Zumin­dest für man­che Ker­pe­ner.“

„War­um soll ich denn nei­disch sein?“, fragt ein mil­de fas­sungs­lo­ser Kiosk­be­sit­zer, um dann mit einem unglück­lich gewähl­ten Ver­gleich dem Repor­ter neue Muni­ti­on zu lie­fern: Ob Ham­burg denn nei­disch sei, wenn Bay­ern Meis­ter …

„Oooooh!“, wehrt der Repor­ter da ab und wir wol­len mal ganz ver­ges­sen, dass Vet­tel gera­de nicht deut­scher Meis­ter gewor­den ist, son­dern Welt­meis­ter. Ein Pas­sant darf sagen, dass er „Hypes um Auto­fah­rer“ nicht so gut fin­det, und es erscheint inzwi­schen bei­na­he logisch, wenn der Off-Spre­cher dar­an anschließt: „Kei­ne Sor­ge: Dass der Schu­mi-Hype zurück­kehrt ins ‚Alt­ker­pen‘, das ist unwahr­schein­lich. Obwohl: Die Damen sind sich da noch nicht so ganz einig.“

Eines blei­be den Ker­pe­nern aber, erklärt der Mann mit der Mär­chen­on­kel-Stim­me: „Sie wur­den sie­ben Mal Welt­meis­ter, Hep­pen­heim durf­te erst ein­mal jubeln.“

An die­ser Stel­le endet der Bei­trag. Immer­hin ohne einen wei­te­ren Ein­satz der ver­fick­ten Slide Gui­tar.

Im Mit­schnitt der Sen­dung in der WDR-Media­thek fehlt der Bei­trag.

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Musik Digital

und Sprite

Die Über­schrift des Tages (wenigs­tens, nach­dem Bild.de das syn­tak­tisch unglück­li­che „Geert Wil­ders – Hass-Pre­di­ger for­dert sei­ne Ent­haup­tung“ geän­dert hat), ent­neh­men wir heu­te der Web­site des Dort­mun­der Musik­ma­ga­zins „Visi­ons“:

Korn - eine Band im Kornfeld

Da kann man sich vor­stel­len, wie der Zet­tel aus­sah, auf dem die Alter­na­tiv­vor­schlä­ge stan­den:

  • Immer, wenn ich trau­rig bin
  • Das letz­te Ein­korn
  • Korn In The U.S.A.
  • Rock­korn
  • Kor­ned Beef
  • irgend­was mit blin­den Hüh­nern

Nach­trag, 16.40 Uhr: Tag, Abend, …

Schiller als Chiller

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Digital

Philosophieren mit den „Ruhr Nachrichten“

Dann wohl ziem­lich sicher ein Bild der Gegen­wart:

Vielleicht zukünftig ein Bild der Vergangenheit.  (Foto: Archiv)

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Kultur

Es gilt das erbrochene Wort

Ich ver­eh­re Jochen Malms­hei­mer seit mehr als einer Deka­de. Ich schrie­be nicht, wenn er und sein dama­li­ger Tre­sen­le­sen-Kol­le­ge Frank Goo­sen mir nicht gezeigt hät­ten, was man alles Schö­nes mit der deut­schen Spra­che anfan­gen kann (der Rest mei­nes Schrei­bens stützt sich auf die Gesamt­wer­ke von Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re, Chris­ti­an Kracht und natür­lich Max Goldt). Des­halb freut es mich beson­ders, dass Herrn Malms­hei­mer das gelun­gen ist, was in unse­rer bei­der Hei­mat­stadt Bochum maxi­mal alle zwei Wochen pas­siert: Er hat einen „Eklat“ aus­ge­löst.

Ort und Grund war die Eröff­nung des Zelt­fes­ti­vals Ruhr, das auch in die­sem Jahr wie­der hoch­ka­rä­ti­ge Künst­ler, aber auch Acts wie Ich + Ich, die Simp­le Minds oder die H‑BlockX an den Gesta­den des male­ri­schen Kem­n­ader Sees ver­sam­melt. Malms­hei­mer war gela­den, ein Gruß­wort zu spre­chen, und er nutz­te die Gele­gen­heit, dass die gesam­te Stadt­spit­ze wehr­los vor ihm saß, zu einer „Sua­da“ („West­deut­sche All­ge­mei­ne Zei­tung“), um „vom Leder zu zie­hen“ (ebd.), zu einer „Lita­nei“ („Ruhr Nach­rich­ten“) und um zu „scho­cken“ (ebd.).

Da ich nicht zu den rund 500 gela­de­nen Wür­den­trä­gern aus Poli­tik, Wirt­schaft und Kul­tur gehör­te (it’s a long way to the top, even in Bochum), muss ich mich auf die Aus­zü­ge aus der elf­sei­ti­gen Rede ver­las­sen, die die „Ruhr Nach­rich­ten“ ins Inter­net gestellt haben. Die­se gefal­len mir jedoch außer­or­dent­lich.

Zum Bei­spiel das, was Malms­hei­mer über das geplan­te, jedoch nicht vor der Wie­der­kehr Chris­ti fer­tig­ge­stell­te Bochu­mer Kon­zert­haus zu sagen hat:

…dies ist die Stadt, die voll­mun­dig, um nicht zu sagen: groß­mäu­lig, die Not­wen­dig­keit zur Instal­la­ti­on eines voll­kom­men unnüt­zen Kon­zert­hau­ses ver­kün­det, ohne einen Bedarf dafür zu haben und die Kos­ten des lau­fen­den Betrie­bes decken zu kön­nen, und das alles in einem Kul­tur­raum, der inzwi­schen über mehr nicht aus­ge­las­te­te Kon­zert­häu­ser ver­fügt, als er Orches­ter unter­hält, und die das alles dann doch nicht hin­kriegt, weil der Regie­rungs­prä­si­dent zum Glück sol­chen und ähn­li­chen Unfug einer Gemein­de unter­sagt hat, die ihre Rech­nun­gen in einer Grö­ßen­ord­nung im Kel­ler ver­schlampt, die unser­ei­nen für Jah­re in den Knast bräch­te und die finan­zi­ell noch nicht mal in der Lage ist, die Frost­schä­den des letz­ten Win­ters im Stra­ßen­netz zu besei­ti­gen…

Den gekürz­ten Rest gibt’s auf ruhrnachrichten.de.

Malms­hei­mers Wor­te jeden­falls ver­fehl­ten nicht ihr Ziel. Ober­bür­ger­meis­te­rin Otti­lie Scholz ließ eine erneu­te Ein­la­dung, sich zu bla­mie­ren, nicht unge­nutzt ver­fal­len, wie die „WAZ“ berich­tet:

Die Ober­bür­ger­meis­te­rin beschwer­te sich bei den Ver­an­stal­tern, die­se distan­zier­ten sich sogleich von ihrem Gast; in sei­nem „pola­ri­sie­ren­den Vor­trag“ habe Malms­hei­mer „für sich selbst gespro­chen“.

Das hat­te Malms­hei­mer selbst frei­lich direkt klar­ge­stellt – aber dafür hät­te man ihm natür­lich zuhö­ren müs­sen:

Dabei möch­te ich gleich zu Beginn dar­auf hin­wei­sen, dass ich, anders als jene, die vor mir adres­sier­ten, aus­schließ­lich für mich sel­ber spre­che, eine Fähig­keit, die ich mir unter Mühen antrai­nier­te und die mich eigent­lich seit­dem hin­rei­chend aus­füllt.

[via Jens]

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Die Achse des Blöden

Im heiß umkämpf­ten Ren­nen um den däm­lichs­ten Text zur Love­pa­ra­de-Kata­stro­phe ist „Welt Online“ mög­li­cher­wei­se unein­hol­bar in Füh­rung gegan­gen:

Tragische Orte: Duisburg verewigt sich auf der Landkarte des Grauens. Winnenden, Hoyerswerda, Eschede – der Schrecken klingt meist nach Provinz. Nun ist auch Duisburg auf der Landkarte des Grauens gelandet.

Autorin Bren­da Stroh­mai­er offen­bart dabei eine beein­dru­cken­de Phan­ta­sie:

Duis­burg ist auf der Land­kar­te des Grau­ens gelan­det. Orte wie Ramstein(offizielle Home­page), Winnenden(hier), Mügeln(hier) haben sich dort unfrei­wil­lig ver­ewigt, eben­so Bad Kleinen(hier) und Gladbeck(hier), Tscher­no­byl und Bho­pal. Wür­de man die per­fek­te Kar­te davon zeich­nen, so müss­te man auch eine maka­ber anmu­ten­de Legen­de ent­wer­fen. Bestimm­te Sym­bo­le stün­den für Unfall, Miss­brauch, Rechts­ra­di­ka­lis­mus. Und ver­schie­de­ne Far­ben für ver­schie­de­ne Opfer­zah­len. In Klam­mern hin­ter den Orten wür­de wohl jeweils die Jah­res­zahl der Kata­stro­phe ste­hen.

Die per­fek­te Kar­te des Grau­ens soll­te natür­lich auch noch die zen­tra­le Gedenk­stät­te und den Tag der all­jähr­li­chen Gedenk­ver­an­stal­tun­gen ver­zeich­nen.

Und natür­lich soll­te die Kar­te einen ziem­lich gro­ßen Maß­stab haben, weil die Orte ja alle so klein sind:

Wie eine Anti-Image­kam­pa­gne kata­pul­tiert das Unglück die Orte in eine Welt des unge­woll­ten Ruhms, in der ganz eige­ne, zyni­sche Regeln gel­ten. Eine davon: Je klei­ner und unbe­kann­ter der Ort, des­to wahr­schein­li­cher lan­det er wegen eines Ver­bre­chens auf der Land­kar­te. Der Schre­cken klingt meist nach Pro­vinz.

Schre­cken klingt also nach Pro­vinz, aber nicht nur: Er kann auch nach Groß­städ­ten klin­gen. Aber Groß­städ­te kön­nen auch ein Schutz sein.

Oder wie es Frau Stroh­mai­er selbst for­mu­liert:

Grö­ße schützt nicht immer: Sogar Metro­po­len lan­den auf der Welt­kar­te des fins­te­ren Ruh­mes – wenn das Aus­maß der Kata­stro­phe ent­spre­chend dimen­sio­niert ist. Seit dem 11. Sep­tem­ber 2001 klingt selbst New York nach Tra­gö­die. Und seit dem 24. Juli eben auch Duis­burg, die mit fast 500.000 Ein­woh­nern fünft­größ­te Stadt Nord­rhein-West­fa­lens. Doch die Grö­ße birgt auch die Chan­ce, dass der Name auf der Schre­ckens­kar­te wie­der ver­blasst.

Viel­leicht ist es also letzt­lich ent­schei­dend, ob eine Stadt egal wel­cher Grö­ße einen Mist­hau­fen hat, und was die Häh­ne auf dem so tun oder auch nicht.

Das Prin­zip hin­ter die­sem Text ist natür­lich nicht neu: Im ver­gan­ge­nen Jahr hat­te die Web­site der „Mün­che­ner Abend­zei­tung“ kurz nach dem Amok­lauf von … na klar: Win­nen­den in einer Klick­stre­cke bereits die „Orte des Grau­ens“ gekürt und schwa­fe­lig ver­kün­det:

Es gibt Orte, die für immer den Stem­pel des Grau­ens ver­passt bekom­men haben. Wenn man ihren Namen hört, denkt man unwill­kür­lich an die schreck­li­chen Taten und mensch­li­chen Tra­gö­di­en, die sich dort abge­spielt haben.

Das alles hat mit Jour­na­lis­mus natür­lich nichts mehr am Hut, es ist eine self ful­fil­ling pro­phe­cy, ähn­lich wie der Off-Kom­men­tar in der WDR-Son­der­sen­dung am Sams­tag­abend, in dem die Spre­che­rin bedeu­tungs­schwer ver­kün­de­te, das sei­en jetzt Bil­der, die die Men­schen nie mehr ver­ges­sen wer­den – Bil­der, die allein inner­halb der ein­stün­di­gen Sen­dung da gera­de zum vier­ten Mal über den Bild­schirm flim­mer­ten.

Bei Frau Stroh­mai­ers Land­kar­ten-Text kann man es sogar ganz prak­tisch über­prü­fen:

Neh­men wir Bries­kow-Fin­ken­heerd, 2500 Bewoh­ner, süd­lich von Frankfurt/​Oder gele­gen.

Na, klingelt’s?

Oder muss jemand nicht an die neun toten Babys den­ken, die im Som­mer 2005 gefun­den wur­den?

Ganz ehr­lich? Bis eben nicht, Frau Stroh­mai­er, bis eben nicht! Aber die Ein­woh­ner von Bries­kow-Fin­ken­heerd dan­ken es Ihnen sicher, dass sie die­se klei­ne Erin­ne­rungs­lü­cke bei mir geschlos­sen haben.

Es ist erstaun­lich, wie viel man auf logi­scher und sprach­li­cher Ebe­ne falsch machen kann, aber Bren­da Stroh­mai­er lässt auch nichts unver­sucht, ihre eige­ne The­se Wirk­lich­keit wer­den zu las­sen: Dass im Arti­kel selbst eine Stadt­so­zio­lo­gin zu Wort kommt, die rela­tiv zuver­sicht­lich ist, was Duis­burgs zukünf­ti­ge Kon­no­ta­tio­nen angeht? Geschenkt. Dass seit Sams­tag in ers­ter Linie von Unglü­cken, Kata­stro­phen und Tra­gö­di­en „bei der Love­pa­ra­de“ die Rede ist? Egal. Haupt­sa­che: Duis­burg. Oder „Duis­berg“, wie es gleich im ers­ten Satz heißt.

Dis­clo­sure: Ich bin in Duis­burg gebo­ren und schon mal von „Welt Online“ abge­mahnt wor­den.

Mit Dank an David S.

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Digital Sport

Chucky, die Mördergruppe

Was eine „Todes­grup­pe“ bei Fuß­ball­tur­nie­ren ist, weiß ich ja. Aber das hier?

Özil macht aus seinem Wunsch, zu einem großen verein wechseln zu wollen, keine Mördergruppe, wird im Daily Express zitiert: "Ich möchte Titel gewinnen. Und in England gibt es zwei Teams, mit denen das klappen kann: Chelsea und ManUtd."

Ein­ge­sandt von Olaf.

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Rundfunk Kultur

Die Pottheads vom WDR

Am Sonn­tag ist es end­lich soweit: Die A 40 wird zwi­schen Duis­burg und Dort­mund gesperrt, um dar­auf einen rie­si­gen Tisch zu errich­ten und ein Volks­fest zu fei­ern. Die Idee kann man char­mant fin­den oder bekloppt, aber es wird hof­fent­lich tol­le Bil­der geben, die mit­hel­fen, das Image des Ruhr­ge­biets zu ver­bes­sern.

Der West­deut­sche Rund­funk bringt des­halb meh­re­re Son­der­sen­dun­gen, die er in meh­re­ren Pres­se­mit­tei­lun­gen voll­mun­dig ankün­digt:

Kein Stau, kein Stress, kei­ne Autos – am 18. Juli geht auf der Auto­bahn A40 alles. Die RUHR 2010 sperrt den so genann­ten Pott-High­way.

Den was?!

den so genann­ten Pott-High­way.

Ach was. Und wer nennt den so?

Der West­deut­sche Rund­funk – und zwar offen­sicht­lich nur der West­deut­sche Rund­funk.

Aua.

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Musik

Endlich: Das große Comeback!

Hier in Oslo erhal­te ich täg­lich neue Ein­bli­cke ins TV- und Musik­ge­schäft. Eine beson­de­re Erkennt­nis ver­dan­ke ich aller­dings einer Mel­dung aus der Hei­mat:

Nach einer lan­gen Pau­se mel­den sich die Kili­ans zurück.

preist das Label den Arbeits­be­ginn am drit­ten Album an.

Eine „lan­ge Pau­se“ ent­spricht im schnell­le­bi­gen Musik­biz von heu­te also wahl­wei­se vier­zehn oder gleich vier­ein­halb Mona­ten.

Wie Ver­ti­go FM das ange­deu­te­te neue Album von Public Image Ltd. ankün­di­gen wür­de, mag man sich ange­sichts einer 18-jäh­ri­gen Pau­se kaum aus­ma­len.

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Digital

Die eiserne Taifun-Lawine

Was halt so pas­siert, wenn man zu nacht­schla­fen­der Zeit (dienst­lich!) auf Bild.de rum­surft:

Man droht, in wil­den Meta­phern-Flu­ten zu ertrin­ken …

Odenwaldschule: Ex-Schüler: "Ich war im Zentrum des Taifuns" Eine Lawine von Missbrauchsfällen überrollt Deutschland. Durch die Berichte ehemaliger Schüler werden neue Details bekannt. mehr ...

… und stößt auf die viel­leicht bizarrs­te Gra­fik der letz­ten hun­dert Jah­re:

Steinhart, unbeugsam, wehrhaft: Angela Merkel (55, CDU) von BILD in die Pose des "Eisernen Kanzlers" Bismarck versetzt. So muss die Kanzlerin den EU-Regierungschefs derzeit vorkommen. Das Original-Bismarck-Denkmal steht übrigens in Hamburg Foto: dpa Picture-Alliance

Jetzt kann ich wie­der nicht schla­fen …

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Digital Leben

Still wird das Echo sein

In mei­nem direk­ten Umfeld gibt es eini­ge Men­schen, die seit län­ge­rem glaub­haft vor­ge­ben, mich zu mögen. Sie haben mich unab­hän­gig von­ein­an­der auf­ge­for­dert, mit der Lek­tü­re von Tex­ten aus der Spar­te „Ero­tik“ auf Bild.de auf­zu­hö­ren. Irgend­was wer­de davon sicher in Mit­lei­den­schaft gezo­gen: Augen, Hirn, Rücken­mark – man ken­ne das ja.

Ande­rer­seits ist es auch immer wie­der ein Quell der Freu­de, sich die­se Tex­te vor­zu­neh­men – und sie sind häu­fig auf der Start­sei­te ver­linkt.

Zum Bei­spie­le die­ser hier über „15 selt­sa­me Lie­bes­krank­hei­ten“. Dass in dem Arti­kel irgend­wel­che gänz­lich unko­mi­schen Zita­te abge­feu­ert wer­den, die einen nicht gera­de dazu brin­gen, das Buch zu kau­fen, dem sie ent­stam­men, soll uns hier mal nicht inter­es­sie­ren.

Ent­schei­dend ist der Ein­stieg:

Paa­re beneh­men sich manch­mal schon selt­sam: Da kon­trol­liert SIE ihren Part­ner, ob er die Spül­ma­schi­ne in ihrem Sin­ne ein­räumt. Da wird ER miss­trau­isch, wenn ihr Orgas­mus nicht mul­ti­pel ist. Manch­mal ant­wor­ten ER und SIE frei­mü­tig vor Freun­den auf nicht gestell­te Fra­gen zu ihrem Sex­le­ben. Und dann

Ich unter­bre­che da gera­de mal und fra­ge Sie, wie es wohl wei­ter­geht mit jenem Satz, der da mit „Und dann“ durch­aus span­nungs­taug­lich anmo­de­riert wird.

Naa, haben Sie eine Idee?

Tada­aa:

Und dann wie­der star­ren bei­de schwei­gend in einen kar­gen Misch­wald.

Ich fürch­te, ich wer­de heu­te die gan­ze Nacht wach lie­gen und mich fra­gen, was das nun wie­der soll …