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Dieser Text soll wütend machen

Ich habe angefangen, einen Text zu verfassen. Unglaublich, was dann passierte.

Man weiß ja eigentlich, dass eine Sache popkulturell durch ist, wenn die Parodien darauf anfangen, einem massiv auf den Sack zu gehen. ((Das ist in der Regel der Moment, in dem Radiosender anfangen, die betreffende Sache in ihr “Comedy”-Repertoire aufzunehmen.)) Die Nummer mit dem “Heftigstyle” ist also eigentlich durch.

Der “Heftigstyle” ist benannt nach dem “stilistischen” Vorbild heftig.co, einer Internetseite, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bunte Meldungen von anderen, internationalen Trash-Portalen zusammenzuklauben, diese grob ins Deutsche zu übersetzen und mit plumpen Anreißertexten in Sozialen Netzwerken zu streuen. Ungefähr alles, was man über diese Website wissen muss, die vom guten Anstand über die Prinzipien des Kapitalismus bis hin zum geringsten sprachlichen Empfinden einfach alles beleidigt, hat der Herm schon vor drei Monaten aufgeschrieben. In meinen eigenen Social-Network-Feeds tauchen Meldungen von “Heftig” auffallend selten auf, was ich sehr gut finde, aber die Seuche greift um sich — immer mehr (meist ebenfalls unseriöse) Internetportale beteasern ihre Artikel in “Heftig”-Manier. Einen groben Überblick über diese Hölle liefert der inzwischen schon wieder etwas verwaist erscheinende tumblr “heftigstyle”.

Formulierungen wie “Dieser Elfmeterschütze möchte besonders angeben. Doch was dann folgt, ist einfach zum Lachen.” machen mich so unfassbar aggressiv wie sonst nur tropfende Wasserhähne über Edelstahlspülen. Ich brauchte ein paar Wochen mit mir und meinen Gefühlen um zu begreifen, warum das so ist. Dann wurde mir klar: Es ist die völlige Bevormundung des Lesers. Er soll schon vor der Lektüre des ganzen (meist lächerlich kurzen) Artikels wissen, wie er zu reagieren hat — im konkreten Fall Lachen. Mal davon ab, dass die wenigsten als besonders lustig angepriesenen Geschichten die entstandene Erwartungshaltung erfüllen können, ist das für mich auf eine Art ausgeprägte Menschenverachtung. Es ist irgendwie noch schlimmer als Fast-Food-Verpackung, auf die groß “Lecker!” gedruckt ist, es ist die maximale Unterforderung des Rezipienten.

Das Law-and-Order-Format “Achtung Kontrolle” auf Kabel Eins arbeitet mit den gleichen rhetorischen Mitteln, wenn die laienschauspielernden Polizisten oder Steuerfahnder ebenso leb- wie lieblos Satzkonstruktionen ablesen, die ungefähr so gehen: “Ich habe den Mann dann noch mal aufgesucht und was ich dann sah, hat mich wirklich überrascht.” Darauf folgt die nachgestellte Szene, in der der Ordnungshüter den Mann noch einmal aufsucht und dann etwas sieht, was ihn wirklich überrascht. Normal entwickelte Fünfjährige würden diesen Ablauf korrekt verstehen und einordnen, aber für die angeblich erwachsenen Zuschauer, die die Macher dieser Sendung offenbar für lernbehinderte Matschkartoffeln auf dem heimischen Sofa halten, wird das schön erklärt — und nach der Werbepause noch mal vom Off-Sprecher wiederholt.

Klar, wir Akademiker könnten uns jetzt schön zurücklehnen und sagen: “Das ist halt Trash-TV fürs Trash-Volk. Bildungsferne Schichten, Hartz IV, Dosenbier — die sind halt doof.” Also genau das, was sich die Produzenten solcher TV-Sendungen in all ihrer Überheblichkeit – und der daraus folgenden Menschenverachtung – auch denken. Aber ich weigere mich, das zu glauben. Billy Wilder hat mal gesagt, ((Sinngemäß, ich finde das Zitat leider auf die Schnelle nicht mehr wieder, es ist aber irgendwo im Wilder-Buch von Hellmuth Karasek zu finden.)) man dürfe den Zuschauer nicht unterschätzen bzw. unterfordern, er sei schlau genug, eins und eins selbständig zusammenzuzählen.

Bei “Tagesschaum” hatten wir spaßeshalber mal das Mission Statement “Wir wollen den Zuschauer auf mehreren Ebenen überfordern” formuliert — und dieses Versprechen sicherlich auch oft genug eingelöst. ((Und, klar: Unsere Quoten konnten nicht mit denen von “Achtung Kontrolle” mithalten.)) Ich habe erst mit der Zeit begriffen, dass es beim Fernsehen wirklich außergewöhnlich ist, gewisse Fakten als bekannt vorauszusetzen und den Zuschauer vor allem mal eigene Schlüsse ziehen zu lassen. Man kann ja heute kaum noch eine Nachrichtensendung schauen, in denen Aufnahmen von hungernden Kindern, vertriebenen Menschen oder den Auswirkungen von Naturkatastrophen nicht als “schlimme Bilder” anmoderiert werden — ganz so, als wäre das Publikum nicht selbst in der Lage, das Gezeigte als schlimm einzuordnen.

Womöglich bin ich da alleine, aber ich fühle mich von solchen Erklärungen immer bevormundet — genauso übrigens wie von den meisten Auflösungen in Krimis. Da haben die Autoren im ersten und zweiten Akt schön ihre Fährten gelegt und Hinweise gegeben, ((Inzwischen muss man ja schon froh sein, wenn das noch halbwegs natürlich geschieht und nicht irgendwelche Einblendungen aufpoppen, auf denen “Achtung! Diese Information wird gleich noch wichtig!” steht.)) und dann wird im dritten Akt noch mal eine Rückblende abgefeuert, damit auch der größte Depp (aus Sicht der Macher: der Zuschauer an sich) begreift, was ambach ist.

Ich möchte hier noch mal in Betracht ziehen, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, dem es so geht, aber ich denke bei Filmen oder Romanen lieber “Das habe ich jetzt nicht verstanden, da hätte ich besser aufpassen müssen, mein Fehler!” als “Ja-haaa! Ich hab’s verstanden!”. Ich weiß noch, wie wütend ich beim Sehen von Quentin Tarantinos “Inglourious Basterds” an einer Stelle wurde: In einer Gaststätte hatte sich ein Brite als Deutscher ausgegeben, tadelloses Deutsch gesprochen und war doch aufgeflogen. Er hatte beim Bestellen von drei Gläsern Scotch den Zeige-, Mittel- und Ringfinger hochgehalten — ein echter Deutscher würde die Zahl Drei aber mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger anzeigen. Man sieht in der Szene, wie August Diehl Michael Fassbenders Finger anstarrt und sein Gehirn rattert. Selbst wenn man nicht mit den kulturellen Unterschieden des finger-countings vertraut ist, gehen an dieser Stelle quasi alle Sirenen an und der Satz “Hier stimmt etwas nicht, Ihr seid aufgeflogen!” läuft in Laufschrift über Diehls Stirn. ((Damit wir uns nicht falsch verstehen: August Diehl macht in diesem Film einen phantastischen Job. Ich fand ihn fast noch besser als Christoph Waltz.)) Und trotzdem hielt Tarantino (womöglich: hielten die Produzenten) es für notwendig, die Sache mit den Fingern später noch einmal im Dialog aufzulösen. Damit auch der Letzte begreift, warum die Tarnung aufgeflogen ist.

Man hört ja immer wieder davon, dass viele Menschen, allen voran natürlich Schulkinder, nicht mehr in der Lage seien, einfache Texte sinnentnehmend zu lesen. Klar: Wenn ich daran gewöhnt bin bzw. werde, dass eine überraschende Wendung als solche gekennzeichnet wird oder dass traurige Musik anschwillt, wenn etwas trauriges passiert, dann wird es schwierig, wenn sich plötzlich der Asphalt vor mir auftut und der Tagebruch nicht “Überraschung!” schreit und die Musik ausbleibt, wenn der Hamster stirbt. Da bedarf es schon ein bisschen Vorwissen und Transferleistung, um das von selber auf die Kette zu kriegen.

Verschwörungstheoretiker würden jetzt erklären, dass es Wunsch und Auftrag von Regierung und/oder Werbekunden sei, das Volk dumm zu halten, aber ich fürchte, die Erklärung ist wie so oft viel einfacher, also schlimmer: Irgendwelche Controller haben in irgendwelchen Umfragen herausgefunden, wie man mit noch weniger eigenem Aufwand noch mehr Leute erreichen kann, die sich schon so sehr daran gewöhnt haben, für Toastbrot gehalten zu werden, dass es sie gar nicht mehr aufregt.

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“Sein” oder nicht “sein”

Am 21. August wurde die ehemalige Soldatin Chelsea Manning, die der Whistleblower-Plattform Wikileaks geheime Dokumente zugespielt hatte, von einem US-Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chelsea in der Öffentlichkeit noch Bradley Manning und galt als Mann. Erst einen Tag später ließ sie ein Statement veröffentlichen, in dem es hieß:

As I transition into this next phase of my life, I want everyone to know the real me. I am Chelsea Manning. I am a female. Given the way that I feel, and have felt since childhood, I want to begin hormone therapy as soon as possible. I hope that you will support me in this transition. I also request that, starting today, you refer to me by my new name and use the feminine pronoun (except in official mail to the confinement facility).

Wer gleichermaßen aufgeklärt wie naiv ist, hätte annehmen können, dass das Thema damit schnell beendet war: Chelsea Manning ist eine Frau, die in einem männlichen Körper geboren wurde und einen männlichen Vornamen getragen hat, jetzt aber explizit darum bittet, mit ihrem weiblichen Vornamen bezeichnet zu werden.

Die “New York Times” erklärte dann auch in einem Blogeintrag, möglichst schnell den Namen Chelsea Manning und die weiblichen Pronomina verwenden und zum besseren Verständnis für die Leser auf die Umstände dieser Namensänderung zu verweisen. Der “Guardian” legte den Schalter von “Bradley” auf “Chelsea” um und schrieb fürderhin nur noch von “ihr”.

Aber so einfach war das alles natürlich nicht.

Die “Berliner Zeitung” fasste das vermeintliche Dilemma am 24. August eindrucksvoll zusammen:

Bradley Manning möchte fortan als Frau leben und Chelsea genannt werden. […] Der 25 Jahre alte Soldat ließ erklären, er habe sich seit seiner Kindheit so gefühlt. Von nun an wolle er nur noch mit seinem neuen Namen angesprochen werden. Auch solle künftig ausschließlich das weibliche Pronomen “sie” verwendet werden, wenn über Manning gesprochen werde. Eine operative Geschlechtsumwandlung strebt Manning zunächst wohl nicht an.

Mit diesem Wunsch hat Manning, der gut 700000 Geheimdokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergab, Journalisten in den USA verwirrt und vor große Herausforderungen gestellt. In den Meldungen über Mannings Erklärung war einmal von “ihm” die Rede, dann wieder von Bradley Manning, “die” nun eine Frau sein wolle. Die einen vermieden es peinlich, Personalpronomen zu verwenden. Die anderen erklärten, sie würden solange von “ihm” sprechen, wie Manning aussehe wie ein Mann.

Wie es die “Berliner Zeitung” selbst hält, wurde in den folgenden Wochen deutlich:

5. September:

Die von Matthew H. 2009 besuchte Veranstaltung des Chaos Computer Clubs war immerhin öffentlich. Sein Anteil an der Verurteilung des Whistleblowers Bradley Manning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Manning nicht unseren Vorstellungen entspricht: Er hat militärische Geheimnisse verraten. Das ist auch deutschen Soldaten verboten.

6. September:

Wie in letzter Zeit in Berlin häufiger der Fall, stehen mal wieder leere Stühle auf der Bühne, diesmal nicht für den mit Ausreiseverbot belegten Filmemacher Jafar Panahi, sondern für Edward Snowden und Bradley Manning, die Ulrich Schreiber gern dabeigehabt hätte. Leider sind sie aus bekannten Gründen verhindert.

Bei der “Süddeutschen Zeitung” gibt es offenbar auch keine Empfehlungen und Richtlinien wie bei der “New York Times” — und noch nicht mal eine klare Linie. Am 2. September schrieb die “SZ”:

Auf Transparenten fordern die Teilnehmer, dass US-Präsident Barack Obama seinen Friedensnobelpreis an die Geheimdaten-Enthüller Chelsea Manning und Edward Snowden abtreten solle.

Und eine Woche später:

Anders gefragt: Hätten amerikanische Dienste eine solche Anfrage zugelassen, wenn ein deutscher Dienst sich um Hintergründe zum Treiben eines bekannten amerikanischen Journalisten interessiert hätte? Da können, trotz aller Narreteien und Verhärtungen der amerikanischen Politik im Kampf gegen Whistleblower wie Bradley Manning oder Edward Snowden amerikanische Behörden empfindsam reagieren.

Am 7. Oktober nun wieder:

Schließlich, so schreiben einige, sei er ein Visionär, gleichzusetzen mit der Wikileaks-Informantin Chelsea Manning oder dem NSA-Whistleblower Edward Snowden .

“Bild” hatte in ganz wenigen Zeilen klargemacht, wie wenig sich die Redaktion um die Bitte von Chelsea Manning schert: In ihren “Fragen der Woche” am 24. August fragte die Boulevardzeitung “Kommt Manning in den Frauenknast?” und antwortete:

Nein! Obwohl der zu 35 Jahren Gefängnis verurteilte Wikileaks-Informant Bradley Manning (25) ab sofort als Frau namens Chelsea leben und sich einer Hormonbehandlung unterziehen will (BILD berichtete), kam er in das Männergefängnis Fort Leavenworth (US-Staat Kansas). Ein Armeesprecher sagte, dass dort weder Hormontherapien noch chirurgische Eingriffe zur Geschlechtsumwandlung bezahlt werden.

Der Unterschied zum “Spiegel” ist da allerdings marginal:

Manning fühlt sich schon länger als Frau, nach seiner Verurteilung will er auch so leben. […] Am Mittwoch verurteilte ihn ein Militärgericht dafür zu 35 Jahren Gefängnis, abzusitzen in Fort Leavenworth, Kansas. Zwar kann Manning auf vorzeitige Entlassung hoffen – doch bis dahin steht ihm eine harte Zeit bevor: Seine Mitinsassen sind ausnahmslos Männer, eine Verlegung in ein Frauengefängnis ist nicht geplant.

Die Deutsche Presse-Agentur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. September schrieb die dpa:

Die Mission des angeblichen US-Agenten soll dem Bericht zufolge öffentlich geworden sein, nachdem er im Juni dieses Jahres als Zeuge im Prozess gegen den Whistleblower Bradley Manning vor einem amerikanischen Militärgericht in Maryland aufgetreten sei. Manning wurde später zu 35 Jahren Haft verurteilt, weil er WikiLeaks rund 800.000 Geheimdokumente übergeben hatte. Der Ex-Soldat war eine Art Zeuge der Anklage der Militärstaatsanwälte.

Im Rahmen ihrer Berichterstattung zum Friedensnobelpreis letzte Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekannten Kandidaten in diesem Jahr ist auch Chelsea Manning (früher Bradley Manning). Dem einstigen US-Whistleblower räumt der Prio-Direktor aber wenig Chancen ein. “Es gibt keinen Zweifel, dass die Enthüllungen sehr zur internationalen Debatte über Überwachung beigetragen haben”, sagt Harpviken. Ethisch und moralisch reflektiere Manning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tatsächlich hatte die Agentur in der Zwischenzeit die Entscheidung getroffen, zukünftig immer von “Wikileaks-Informantin Chelsea Manning” zu schreiben und im weiteren Textverlauf möglichst schnell zu erklären, dass Chelsea als Bradley Manning vor Gericht gestanden habe. Wie mir ihr Sprecher Christian Röwekamp auf Anfrage erklärte, hat die dpa nach Abstimmung mit anderen Agenturen am 6. September eine entsprechende Protokollnotiz in ihr Regelwerk “dpa-Kompass” aufgenommen, in dem sonst etwa die Schreibweisen bestimmter Wörter geregelt werden.

Der Evangelische Pressdienst epd war da offenbar nicht dabei. Er schrieb am 11. Oktober:

Gute Chancen auf den Friedensnobelpreis wurden auch dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton, dem WikiLeaks-Informanten Bradley Manning und der afghanischen Menschenrechtlerin Sima Samar eingeräumt.

Wie einfach es eigentlich geht, hatte die “FAZ” am 9. September bewiesen:

Der Umgang mit Chelsea (vormals Bradley) Manning, die Causa Snowden mit transatlantischer Sippenhaft gegen ihn unterstützende Journalisten und der Umgang mit den Geheimdienst- und Militär-Whistleblowern insgesamt zeigt überdeutlich, welch unkontrollierte Macht der “deep state” der Dienste mittlerweile hat und wie unberührt von öffentlichem Protest er agiert.

Am 5. Oktober schrieb die “FAZ” dann allerdings wieder:

Ohne die von Bradley Manning an die Enthüllungsplattform Wikileaks gelieferten geheimen Regierungsdokumente hätte Mazzetti manche Zusammenhänge nicht rekonstruieren können.

Nun zählen die Themenfelder Transgender und Transsexualität im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außergewöhnlicheren, sind aber zumindest immer mal wieder in Sichtweite des Mainstreams. Balian Buschbaum etwa, der als Yvonne Buschbaum eine erfolgreiche Stabhochspringerin war, ist häufiger in Talkshows zu Gast und wird dort mehr oder weniger augenzwinkernd angelanzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Amerikaner Thomas Beatie durfte als “schwangerer Mann” die Kuriositätenkabinette der Boulevardmedien füllen. Mina Caputo wurde mal Keith genannt und war als Sänger von Life Of Agony bekannt und Laura Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Karriere als Tom Gabel — was die Komiker von “Spiegel Online” seinerzeit zu der pietätvollen Überschrift “Gabel unterm Messer” inspiriert hatte.

Viele haben in ihrem Bekanntenkreis keine Transmenschen (oder wissen nichts davon) und wissen nicht, wie sie mit einem umgehen sollten. Für Journalisten, die aus der Ferne über sie schreiben, ist es aber meines Erachtens erst einmal naheliegend, die Namen und Personalpronomina zu verwenden, die sich die betreffenden Personen erbeten haben. Und Chelsea Manning hat dies explizit getan.

In vergleichsweise alltäglichen Situationen scheinen Journalisten übrigens weniger überfordert: Muhammad Ali und Kareem Abdul-Jabbar waren schon bekannte Sportler, als sie zum Islam konvertierten und ihre neuen Namen annahmen. Durch Eheschließungen und -scheidungen wechselten Schauspielerinnen wie Robin Wright, Politikerinnen wie Kristina Schröder und Schmuckdesignerinnen wie Alessandra Pocher ihre Namen und die Presse zog mit. Und der Fernsehmoderator Max Moor hieß bis zum Frühjahr dieses Jahres Dieter, was – nach einem kurzen Moment des Naserümpfens und Drüberlustigmachens – inzwischen auch keinen mehr interessiert.

Hoffentlich braucht es weniger als 35 Jahre, bis Chelsea Mannings Bitte von den deutschen Medien erhört wird.

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Digital Politik

Alles Könner

Erinnern Sie sich noch an die Zeit, kurz bevor und kurz nachdem Barack Obama zum US-Präsidenten gewählt wurde? Die Menschen in aller Welt waren von einer eigentümlichen Euphorie beseelt — und von einer schweren linguistischen Demenz, die sich als äußerst ansteckend erwies. Obamas Wiederwahl im vergangenen November wurde da schon in jeder Hinsicht reservierter aufgenommen.

Ich hatte mein Blog mit den gesammelten Obama-Trittbrettfahrten schon fast vergessen. Und dann kam gestern diese E-Mail:

Liebe Bloggerinnen und Blogger,

Jugendliche aus der YouTube-Community waren in den letzten Wochen aufgefordert, ihre Bewerbungsvideos für die YouTube-Kanzlerschaft 2013 zu produzieren und online zu stellen. Über 5000 User haben jetzt gewählt und fünf Spitzenkandidaten ins Rennen geschickt. Bei der finalen Politik-Gameshow “Yes, You Kanzler!” werden die Jugendlichen von namhaften Politiker/innen gecoacht; durch den Abend führt ProSieben-Moderatorin Hadnet Tesfai. Wir laden Blogger/innen herzlich ein über das große Wahlfinale zu berichten und persönlich vorbeizukommen.

Bei Interesse finden Sie weitere Information hier.

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Musik

Es gibt Menschen, die tragen T-Shirts

Als ich kürzlich bei meinen Eltern zu Besuch war, habe ich aus dem Kleiderschrank meines ehemaligen Jugendzimmers zwei popkulturelle Raritäten mitgenommen.

Da hätten wir zum Einen ein froschgrünes T-Shirt in XXL — eine Größe, die ich vermutlich nie ausfüllen werde, wenn ich mir meine männlichen Vorfahren so anschaue:

Es ist das einzige Stück offizielles Merchandise, das je von etwas erschienen ist, an dem ich beteiligt war: Als wir im Dezember 2000 mit unserer “Punkband” Zuchtschau das erste offizielle Konzert spielten, hatte das Kulturamt der Stadt Dinslaken im Vorfeld nicht nur einen Sampler mit den beteiligten Bands produzieren lassen, sondern auch größere Mengen dieses flippigen Kleidungsstücks in Auftrag gegeben. Ich bin mir nicht ganz sicher, was weniger Absatz fand.

Das andere T-Shirt ist noch ein paar Monate älter und noch obskurer:

Zero

Als die Smashing Pumpkins im Herbst 2000 auf ihre Abschiedstour gingen (nur, damit Billy Corgan die Band sechs Jahre später mit neuem Personal wiederbeleben konnte), war ich beim Konzert in Oberhausen dabei.

Im Nachhinein nehme ich an, dass es sich bei dem damals von mir am Wegesrand erworbenen T-Shirt nicht um ein Originalprodukt gehandelt haben könnte. Schließlich gab es die “Zero”-Shirts sonst nur in schwarz und meines Wissens auch nicht mit aktuellen Tourdaten.

Dafür kann mein Exemplar mit ein paar ganz besonderen Schreibweisen aufwarten, die mir seitdem das Leben und den Wortschatz versüßt haben:

Sempember.

Stockholkm.

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Gesellschaft

Der Untergang des Abendbrotlandes

Schon immer kam alles Schlechte aus den USA: Die Meinungsfreiheit, das Frauenwahlrecht, der Rock’n’Roll und das Fast Food. Der neueste (na ja: “neueste”) Angriff auf die deutsche Kultur ist ein Fest, das von denen, die es begehen wollen, heute begangen wird: Halloween.

Eines vorab: Ich hasse es, mich zu verkleiden. Ich habe das als Kind mit großer Begeisterung getan und meinen Vorrat dabei offenbar aufgebraucht. Wer sichergehen will, dass ich nicht zu seiner Geburtstagsfeier komme, richtet einfach eine Bad-Taste- oder Mottoparty aus. Es kostet mich schon Überwindung, einen Anzug zu tragen oder Hosen, die keine Jeans sind. Als ich vor sechs Jahren den Herbst in Nordkalifornien verbrachte, fand ich mich allerdings plötzlich in einem eilig aus grünen Filzbahnen zusammengetackerten Ampelmännchen-Kostüm wieder — und hatte großen Spaß. Niemand kannte mich, alle waren sehr aufwendig kostümiert und es herrschte diese feierliche amerikanische Ernsthaftigkeit vor.

Wenn ich mir allerdings einen amerikanischen Feiertag für den Import aussuchen dürfte, wäre es – neben einem Nationalfeiertag im Sommer – Thanksgiving: Die Festlichkeit und Geselligkeit von Weihnachten ohne diesen ganzen Geschenkestress — die Amerikaner verstehen es zu feiern. Halloween ist ja doch eher was für Menschen, die sich vom Kalender vorschreiben lassen, wann sie mal ausgelassen feiern gehen können, und denen Karneval zu spießig ist. ((Mein in Rheinlandnähe aufgewachsenes Herz hätte beinahe geschrieben: die für Karneval zu feige sind.))

Aber gut, muss jeder selbst wissen, wie er seine Freizeit verbringt. Fähnchenschwenkend durch das Pressezentrum bei Eurovision Song Contest zu rennen, fällt bei den meisten Leuten sicher auch eher unter “Special Interest”. Wir sind ein freies Land. Wenn ich mir aber so anschaue, wie heute in meiner Facebook-Timeline westliche Kultur auf westliche Kultur trifft, finde ich, dass die Kontakte mit der islamischen Welt im Großen und Ganzen doch beinahe harmonisch zu nennen sind.

Auf der einen Seite stehen die Leute, die Halloween mit quasi religiösem Eifer begehen. Auf der anderen jene, die sagen, heute sei doch Reformationstag und morgen Allerheiligen. ((Kleiner Ausfallschritt zu Allerheiligen: Es kann meines Erachtens nicht sein, dass in einem Land, in dem die Trennung von Staat und Kirche im Grundgesetz garantiert wird, sogenannte Tanzverbote an kirchlichen Feiertagen ausgesprochen werden. Und auch nicht, dass ein Land an zwei aufeinanderfolgenden Tagen volkswirtschaftlich gelähmt wird, weil am einen Tag in fünf Bundesländern, am nächsten in fünf anderen kirchlicher Feiertag ist. Die Katholiken haben schon Fronleichnam (wenn auch nicht überall), also wären hier mal die Protestanten dran!)) Ja, stimmt. Heute ist auch Weltspartag (außer in Deutschland, das für einen Welt-Irgendwas-Tag natürlich wieder eine Ausnahme brauchte — übrigens wegen des Reformationstags) und morgen – für die, denen die Katholische Kirche nicht ideologisch genug ist – Weltvegantag. Die verrücktesten Geister könnten sich nicht ausdenken, welche Gedenk-, Feier- und Aktionstage es im Laufe des Jahres so gibt, aber sie werden offenbar alle begangen — manche nur von denen, die sie ausgerufen haben, manche von weiten Teilen der Menschheit, wobei durchaus Schnittmengen von Personen möglich sind, die am 15. Oktober sowohl den “Tag des weißen Stockes” als auch den “Internationalen Tag der Frau in ländlichen Gebieten” begehen. Solange niemand einen Reformationstagsgottesdienst stürmt, um “Süßes oder Saures” zu rufen, klappt das auch ganz gut.

Der durchschnittliche Deutsche, die Volksseele, der Michel, Otto Normalverbraucher oder – wie ich ihn heute aus reiner Boshaftigkeit nennen möchte – Jürgen Sixpack hat eine panische Angst davor, dass ihm seine kulturelle Identität verloren geht. Die Angst vor der “Überfremdung” ist nicht auf den Islam oder Flüchtlinge aus Nordafrika beschränkt, sie gilt auch – und ganz besonders – im Bezug auf die USA: Junggesellenabschiede (bei denen ich mir tatsächlich staatliche Intervention wünschte) statt Polterabende, “Handy” statt “Mobiltelefon”, der Weihnachtsmann statt des Christkinds — Amerikanisierung lauert überall. Oder genauer: eine lokale Interpretation davon.

Mit der kulturellen Identität ist das so: Man braucht etwas, woran man sich halten kann, weswegen der Fußball – eine Sportart, die ich liebe, die amerikanische Sportfans aber als stillos und banal betrachten – hier so schön identitätsstiftend Raum greifen kann. Ansonsten sieht’s nämlich so aus: Unsere Städte sehen fast alle gleich trübe und grau aus, so wie Städte eben aussehen, wenn sie sehr schnell und billig wieder aufgebaut werden müssen, weil sie in Schutt und Asche lagen, nachdem es Deutschland mit der kulturellen Identität wirklich auf die Spitze getrieben hatte. Unsere Einkaufsstraßen sehen gleich aus, weil sie mit den immergleichen Filialen deutscher Großbäcker, Drogerie- und Supermarktketten, britischer Körperpflegemittelhersteller, amerikanischer Fastfoodverfütterer und schwedischer Bekleidungshändler vollgestopft sind.

Wohnungen weltweit sind von der Schwedenmafia uniformiert worden und müssten theoretisch alle gleich aussehen, was sie dann aber überraschenderweise doch nicht tun, weil da eben immer noch Persönliches, Individuelles mit reinkommt. Die kulturelle Identität des Einzelnen, der gleichzeitig Stifter und Rezipient der kulturellen Identität einer Gruppe ist.

Wer die Eröffnungs- und Abschlussfeier der Olympischen Spiele in London gesehen hat, erlebte dort einen bunten Reigen britischer Geschichte und – vor allem – Popkultur. Schier unendlich der Fundus an aus England stammenden Welthits, Evergreens und Meisterwerken. Bei uns, so wurde dann schnell geunkt, stünden da Pur, Nena und Xavier Naidoo. ((Na ja, oder halt Kraftwerk, die Erfinder der modernen Popmusik, aber nun gut.)) Das deutsche Fernsehprogramm besteht ja auch überwiegend aus Krimiserien und Quizshows (beides keine genuin deutschen Produkte)

Die kulturelle Identität Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg hat gleich zwei amputierte Beine: Das mit dem Traum vom großen deutschen Volk war gründlich schief gegangen, fand seine Fortsetzung aber in einer Art Light-Version in Heimatfilmen und Volkstümelndem Schlager, und die Leute, die Berlin in den 1920er Jahren zum kulturellen Hotspot gemacht hatten, waren alle vertrieben oder gleich getötet worden. Billy Wilder prägte im Kino fleißig das Amerikabild der Nachkriegszeit, in Deutschland feierte “Grün ist die Heide” unglaubliche Erfolge. Die Jugendbewegungen schwappten in der Folgezeit fast alle aus den USA oder Großbritannien nach Deutschland und mit ihnen der seither andauernde Untergang des Abendlandes — oder präziser vielleicht: des Abendbrotlandes.

Zuvor waren die einst heidnischen Gebiete des heutigen Deutschlands christianisiert worden. Die Gotik war aus Frankreich gekommen, die Renaissance und der Barock aus Italien. Ohne diese äußeren Einflüsse hätten die Bomben der Alliierten allenfalls spätmittelalterliche Fachwerkhäuser, vermutlich eher irgendwelche Steinzeithöhlen treffen können. Eine Zeitlang galt es im Bürgertum als ausgesprochen chic, Maskenbälle venezianischer Prägung abzuhalten. Gehwege nannte man “Trottoir”, ((Kein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde in einem deutschen Satz das Wort “sidewalk” benutzen.)) Aborte “Toilette”.

Überspitzt gesagt ist der Inbegriff von Kultur in Deutschland immer noch Bayreuth, dabei sind die Wagner-Festspiele auch nur eine Art gehobener Karneval: Menschen, die allenfalls den Schlusssatz von Beethovens Neunter von Mozarts “Kleiner Nachtmusik” auseinanderhalten können, verkleiden sich einen Abend als kulturinteressierte Bildungsbürger.

85 Prozent meiner eigenen kulturellen Identität sind von angelsächsischer Popkultur geprägt, der Rest von von angelsächsischer Popkultur Geprägten. Ja, ich mag keine französischen Filme und ein gut sortierter und gut gefüllter HMV löst in mir mehr Glücksgefühle aus als die Sixtinische Kapelle. Ich würde einen Urlaub im verregneten Schottland (und das dortige Pub Food) jederzeit einem Ausflug ans Mittelmeer vorziehen.

Aber ich steige nicht empört auf die Barrikaden (französische Spezialität), wenn Menschen Italienischkurse in der Volkshochschule besuchen, bei Aldi den etwas teureren Rotwein kaufen und ihren Urlaub in der Toscana verbringen wollen.

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Wo Seen zum Schwimmen hingehen

Es gibt sicher einen Fachbegriff dafür, aber die große Hitze hat dafür gesorgt, dass auch drei Germanisten sich nicht daran erinnern können.

Deshalb nennen wir das, was “Spiegel Online” hier in der Bildunterschrift passiert ist, einfach einen Semantik-Unfall und gehen zurück ins kühle Nass:

See Genezareth: "Leider sprang ich ohne Badehose ins Wasser"

Eingesandt von Benjamin.

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Journalisten im Backwahn

Neulich war ich auf einer Journalistentagung. Ich konnte das vor mir selbst rechtfertigen, indem ich auf dem Podium sagte, dass ich keine Journalistentagungen (und keine Bloggertreffen) mag. Die anwesenden Journalisten waren anschließend so nett, mir noch einmal zu erklären, warum das eigentlich so ist.

Ich saß im Publikum einer Diskussion über das Urheberrecht, die ganz außergewöhnlich kuschelig zu werden drohte, weil niemand, der vorher irgendwelche Aufrufe zur Rettung des Urheberrechts (vor wem auch immer) unterzeichnet hatte, an der Diskussion teilnehmen wollte. (Oder konnte — vielleicht fand zeitgleich das Jahrestreffen der Offene-Briefe-zur-Rettung-des-Urhebberrechts-Unterzeichner statt, wer weiß schon, was Menschen, die offene Briefe unterzeichnen, so in ihrer Freizeit machen.)

JEDENFALLS: Ein Vertreter der Piratenpartei erklärte gerade, dass es ja durchaus viele Menschen gebe, die für Inhalte zahlen würden, diese Bezahlung in vielen Fällen aber unmöglich sei. Die populäre Fernsehserie “Game Of Thrones” etwa werde vom Sender HBO ausschließlich über ihren Bezahlkabelkanal vertrieben und ein Jahr nach Ausstrahlung der Staffel auf DVD veröffentlicht. Wer die Serie zeitnah sehen wolle (etwa, um im Freundeskreis mitreden zu können), werde quasi in die Illegalität gezwungen, selbst wenn er eigentlich bereit wäre, gutes Geld für einen legalen Zugang zu zahlen.

Tatsächlich ist diese HBO/”Game of Thrones”-Geschichte ein bemerkenswerter Fall, denn eine neue Zugangsmöglichkeit zu den HBO-Serien würde das eigentliche Geschäftsmodell des Senders, den Absatz seiner Kabelpakete, gefährden. Statt dieses Risiko einzugehen, nimmt HBO die weltweite Verbreitung der Serie durch Dritte einigermaßen billigend in Kauf — und hofft offenbar darauf, dass die Fans dann schon noch anschließend die DVDs kaufen werden.

Über all das wurde bei der Podiumsdiskussion nicht gesprochen, denn es erhob sich ein Mann (wie ich annehmen muss: ein Journalist) im Publikum und fing lautstark zu schimpfen an: Wo wir denn da hinkämen, wenn der Konsument plötzlich bestimmen würde, auf welchem Weg und zu welchen Konditionen er das Produkt geliefert bekomme?! Wenn der Sender die Serie nicht anders verkaufen wolle, müsse man halt warten. Man würde ja auch nicht beim Bäcker sagen: “Du willst zwanzig Cent für die Brötchen, aber ich geb’ Dir nur zehn!” (Ich kann mich nicht an den genauen Wortlaut erinnern, aber die Brötchenpreise waren definitiv nicht zeitgemäß.)

Mal davon ab, dass seine Wortmeldung vergleichsweise weit am eigentlichen Punkt vorbeiging und ich ob seines Geschreis ganz dringend aus dem Veranstaltungsraum fliehen musste, blieb mir der Mann im Gedächtnis.

Was, so dachte ich, muss bei einem Autor falsch gelaufen sein, damit er seine Texte mit Brötchen vergleicht?

Gestern dann verfolgte ich im Internet eine weitere Podiumsdiskussion und wieder fing irgendein Chefredakteur an, von Brötchen zu reden. Da dämmerte mir: So wird das nichts mehr mit dem Journalismus in Deutschland.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Backhandwerk ist ein ehrenwertes Gewerbe, vor dem ich – wie vor allen Handwerken – größten Respekt haben. Wer möchte schon mitten in der Nacht aufstehen, um Mehlstaub einzuatmen und seine Hände in eine klebrige Masse zu drücken? Darüber hinaus ist es eine hohe Kunst: Es ist außerhalb Deutschlands nahezu unmöglich, ein gescheites Brot zu finden, und wirklich gute Brötchen findet man nirgendwo mehr, seit die Bäckerei Hallen in Dinslaken ihre Pforten hat schließen müssen.

Damit wir uns des weiteren nicht falsch verstehen: Auch ich möchte für meine Arbeit, in diesem Fall das Erstellen von Texten und lustigen Videos, angemessen entlohnt werden.

ABER: Meine Texte sind keine Brötchen! Niemandes Texte sind das!

Text und Brötchen im Direktvergleich (Symbolfoto).
Werden oft verwechselt: Text (links, über den Eurovision Song Contest in Baku) und Brötchen (rechts, mit Kürbiskernen).

Zwar scheinen manche Journalisten und die meisten Verleger überzeugt, dass ihre Texte für die Menschheit so wichtig sind wie das tägliche Brot, aber das macht sie noch nicht zur Backware.

Man könnte das natürlich durchspielen und augenzwinkernd feststellen, dass die Leute anscheinend auf Marie-Antoinette gehört haben und jetzt einfach Kuchen essen statt Brot. Dafür müsste man sich noch überlegen, was in dieser Metapher jetzt der Kuchen wäre (Blogs? Google?), aber das Bild würde mit jedem Gedanken schiefer. Texte sind keine Brötchen!

Texte werden nicht gebacken, man kann sie nicht nach fünf Tagen kleinhobeln und mit ihnen Schnitzel panieren und vor allem werden Texte nicht an Leser verkauft, sondern an Verleger. (Dass die dann sagen, sie würden gerne aber nur die Hälfte des Preises zahlen wollen, ist das eigentliche Problem für die Journalisten.)

Das ganze Themenfeld “geistiges Eigentum” ist vermint mit hinkenden Vergleichen, aus dem Boden von Fässern herausgeschlagenen Kronen, verunfallten Metaphern, falschen oder wenigstens überholten Annahmen und unglücklichen Begriffen. Ja, “geistiges Eigentum” ist schon ein solcher unglücklicher Begriff, weil der Geist ja eben so erfrischend unkörperlich ist. Das überfordert viele Vorstellungskräfte, weswegen die Katholische Kirche den Heiligen Geist kurzerhand in eine Taube gepackt hat. Das ist auch nur ein Bild, liebe Journalisten (wenn auch weit weniger bescheuert als gebackene Texte): Wenn Euch eine Taube auf den Kopf kackt, ist das in den seltensten Fällen ein Zeichen Gottes.

Wir können über alles diskutieren (ach, das tut Ihr ja schon seit 15 Jahren): über die Möglichkeit, einzelne Texte zu bezahlen; darüber, dass die Werbekunden ins Internet abwandern; über die schlechten Arbeitsbedingungen von Journalisten und die teils ekligen Verträge, die ihnen die Verlage vorlegen; darüber, dass guter Journalismus natürlich bezahlt werden muss, und über vieles mehr.

Aber wenn Menschen, die ausschließlich von der Kraft ihrer Gedanken leben, Texte mit Brötchen vergleichen, dann sehe ich für alle weiteren Gesprächsansätze ausgesprochen schwarz.

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Hoch im Interkurs

Ich weiß nicht, mit welchem Computerprogramm die Leute bei stylebook.de (“Powered by Bild.de”) ihre Texte so aus dem Englischen übertragen lassen, aber irgendetwas sagt mir, dass es aus der Schweiz stammt:

Darum geht es im Film: Der brotlose Ex-Soldat George Duroy (Pattinson) begibt sich in das Wirrwarr eines Pariser Verlagshauses. Um zu Einfluss und Macht zu gelangen, bezirzt er drei Damen (Uma Thurman, Christina Ricci und Kristen Scott Thomas). Dabei schreckt er auch nicht vor sexuellem Interkurs mit den verheirateten (!) Frauen zurück.

Mit Dank an Harald M.

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Der charmante Froschkoch mit der blonden Laune

Seit heute ist offiziell, dass Markus Lanz die Nachfolger von Thomas Gottschalk als “Wetten, dass..?!”-Moderator antreten wird. Christopher Keil, Medienredakteur der “Süddeutschen Zeitung”, hat die Gelegenheit genutzt, am Sonntagabend schnell noch einen Text dazu im Internet zu deponieren, der vermutlich morgen auch gedruckt im Blatt erscheinen wird.

Sein Problem: Die Logik war noch im Wochenend-Kurzurlaub — und hatte die deutsche Sprache mitgenommen.

Er wird nicht mit einem Assistenten oder einer Assistentin arbeiten, so viel steht fest. Gottschalk, der mittlerweile versucht, für die ARD eine halbstündige Late Light Show vor der Tagesschau durchzusetzen, stand zuletzt die attraktive Schweizerin Michelle Hunziker zur Seite.

Gottschalk versucht, “Gottschalk live” “durchzusetzen”? Nicht eher “auszusitzen” oder so?

Keil weiter über Gottschalk:

Er war darin ein großer Entertainer, ein Virtuose des Mainstream, der “Wetten dass ..?” als deutschen Staatszirkus mit blonder Laune und lockigem Humor führte.

Vielleicht könnte die Bundeswehr, wenn sie alle afghanischen Mohnfelder zerstört hat, kurz bei einem Einsatz im eigenen Land die Stilblütenwiesen des Christopher Keil umpflügen? Womöglich bliebe uns dann auch ein vollends rätselhafter Absatz wie dieser hier erspart:

Sehr schnell wurde die Frage gestellt, was “Wetten, dass ..?” ohne ihn künftig wert und wer ihm als Nachfolger ebenbürtig sei. Viele meldeten sich und verkündeten, sie stünden nicht zur Verfügung – ohne je bedacht worden zu sein, und Günther Jauch war der Einzige, der es nicht ernst gemeint hatte. Über andere wie Nazan Eckes wurde spekuliert, dabei, das wird sie selbst am besten wissen, reichte es bei ihr nicht einmal zur Spekulation.

Es wirkt nicht so, als wüsste Keil um die Bedeutung des Verbs “bedenken”. Andererseits verblasst dieser Satz in seiner (nicht eben geringen) Merkwürdigkeit vollständig gegenüber dem nachfolgenden: Über Nazan Eckes wurde spekuliert, aber es reichte nicht einmal zur Spekulation? Also quasi die Spekulation interrupta, die sich auf dem Weg zu sich selbst verlaufen hatte?

Über Thomas Bellut, den designierten ZDF-Intendanten, an dessen 57. Geburtstag “das Treffen” in einem italienischen Restaurant in Mainz stattgefunden hatte, weiß Keil immerhin zu berichten, dass der gebürtiger Niedersachse sei. Inwiefern das in einem Zusammenhang damit steht, dass Bellut “offenbar belastbar und auch durch Schlagzeilen nicht zu erschüttern” sei, weiß wohl nur Christopher Keil. Oder – haha – Christian Wulff.

Vielleicht interessiert sich Keil aber privat auch einfach nur für Chaostheorien, weswegen er Schlussfolgerungen wie diese hier für sinnvoll hält:

Weil sich Lanz privat für die Polargebiete interessiert, könnte es aber sein, dass das ZDF ein Winter-“Wetten, dass ..?” einführt und offenbar spricht das ZDF mit Lanz auch über eine Ausgabe Kinder-“Wetten, dass ..?”. Mit Gottschalk gab es eine Sommershow, die bevorzugt in der Stierkampf-Arena von Palma de Mallorca stattfand.

Woher Keil das mit der Kinder-Sendung weiß? Nun, er scheint einen charmanten, gut aussehenden Informanten zu haben:

Dass Lanz als Dritter gefragt wurde, bedeutet nicht, dass er dritte Wahl ist. In seinen Talkshows erfährt man vieles über Menschen, viel mehr als gerade bei den meisten, wenn auch viel Belangloses. Doch Lanz kennt seine Gäste, er lässt sich auf sie ein, bietet ihnen charmant die Stirn. Man darf sich von seinen guten Manieren, seinem guten Aussehen und seinem guten Ton, den er trifft, nicht täuschen lassen.

… denn in Wahrheit ist Lanz was? Ein gemeingefährlicher Irrer? Ein ungehobelter Rohling? Ein hässlicher Schiefsänger?

Stellt sich raus: In Wahrheit ist Lanz ein phantastischer Investigativjournalist.

Als neulich Vizekanzler Philipp Rösler bei ihm war, begrüßte ihn Lanz mit dem Lob: Er, der FDP-Boss Rösler, sei ja in seinen politischen Reden zuweilen komischer als Harald Schmidt. Rösler hat sich daraufhin für eine halbe Stunde sehr geliebt, hat bei der Wiedergabe des Streits mit der Bundeskanzlerin in der Frage Gauck jedes Maß für Vernunft und wohl auch Anstand verloren. Er erklärte noch einmal, was es mit seinem Gleichnis vom Frosch auf sich hatte, der nicht merkt, wie er gekocht wird, sofern man das kalte Wasser, in dem er sitzt, langsam erhitzt. Alle haben sehr über Rösler gelacht, auch Rösler über sich. Dass er der Frosch im Wasser war, den Lanz in aller Ruhe zum Kochen brachte, merkte er nicht.

Das deckt sich nicht ganz mit dem Eindruck, den ich oder sonst jemand von der Sendung gehabt hätte, in der Lanz als komplett distanzloser Märchenonkel vollends die Orientierung zwischen Unterwürfigkeit, Kumpelei und Überheblichkeit verloren hatte. Aber gut: Lanz hat den Frosch Philipp Rösler gekocht. Das wird er künftig nicht mehr können, denn Lanz “wird seine nächtlichen Gesprächsrunden im Zweiten weiterführen, seine Kochsendung am Freitag allerdings abgeben”.

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Musik Gesellschaft

WunderInnen gibt es immer wieder

Promoter wäre auch kein Job für mich: Die meiste Zeit muss man versuchen, Bands, die niemand hören will, oder Produkte, die niemand braucht, in der Presse zu platzieren — also: Leute nerven. Hat man durch einen glücklichen Zufall etwas im Portfolio, um das sich die Journalisten prügeln würden (den angesagten Popstar, das neueste Smartphone, den Debütroman der Tochter eines berühmten Theatermannes), ist man zur Selektion gezwungen — und wieder hassen einen die Leute.

Im Wust der vielen Newsletter, die mich heute erreichten, war allerdings einer, der mich aufhorchen ließ:

Guten Tag,

Zum ersten Mal findet in Deutschland ein Festival statt, dessen Programm ausschließlich MusikerInnen präsentiert!

Von den “Women Of The World”-Konzerten, die im Umfeld der Frankfurter Musikmesse über die Bühne gehen, wollen wir zwei herausgreifen: Gabby Young & Frida Gold am 18. März sowie Jennifer Rostock & Guano Apes am 21.März.

Nun kann man sicher darüber streiten, ob ausgerechnet Jennifer Rostock, die Guano Apes und Frida Gold ((Die Band mit der schrecklichen Jury-Frau aus “Unser Star für Baku”.)) dazu geeignet sind, das Ansehen von Musikerinnen (oder auch nur von Musik) zu steigern.

Aber das Problem steckt ganz woanders: “ein Festival, dessen Programm ausschließlich MusikerInnen präsentiert”?

Das Binnenmajuskel in “MusikerInnen” steht eigentlich für “Musikerinnen und Musiker” — und das ist, egal wie man es liest, Quatsch:

  • Wer, außer Musikerinnen und Musikern, sollte bei so einem Festival schon auftreten? Okay: Intersexuelle und Roboter vielleicht. Aber sonst?
  • “Ausschließlich Musikerinnen” treten da auch nicht auf: Frida Gold, Jennifer Rostock und die Guano Apes haben jeweils ein weibliches Bandmitglied (die Sängerin), denen insgesamt zehn männliche gegenüberstehen.
  • Selbst wenn ausschließlich Musikerinnen auf der Bühne stünden, wäre das auch nicht “zum ersten Mal in Deutschland” der Fall: Es gab und gibt jede Menge “Ladyfeste”, bei denen teilweise nur Frauen oder wenigstens überwiegend Frauen auf der Bühne standen.

Aber folgen Sie mir doch gerade noch kurz in die Abgründe der PR:

Diese drei Beispiele aus der aktuellen deutschen Musikszene repräsentieren bei insgesamt 15 (primär international besetzten!) Konzerten stellvertretend eine ebenso nahe liegende wie innovative Idee: ausschließlich Frauenpower eine Bühne zu bieten! Die Veranstalter hoffen, dass die Premiere der Startschuss ist, um “Mainhattan” mittelfristig als optimale Plattform für Shows von MusikerInnen der unterschiedlichsten Genres auf einem Festival zu etablieren.

Aber gut: Das “Women of the World”-Festival sei hiermit angekündigt.

Ich muss weiter: Hier ist grad der (tatsächlich) erste Newsletter der Menschheitsgeschichte angekommen, in dem zwar der Name “Dieter Gorny” steht, das Wort “Kreativwirtschaft” aber fehlt. Und das kann ja nun wirklich nicht sein!

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Digital Sport

Zweites Futur bei Sonnenaufgang

Es müssen unwürdige Szenen gewesen sein, als sich die Spieler von Bayer Leverkusen darum stritten, wer denn nun nach dem Champions-League-Achtelfinalspiel das Trikot von Lionel Messi haben darf.

Andererseits haben sie sportbild.de damit zu sprachlichen Höchstleistungen angespornt:

Voller Stolz ging Kadlec in der Folge über den Platz in Richtung Kabine. “Dieses Trikot bekommt einen Ehrenplatz bei mir”, sagte er der Bild, und es wirkte fast so, als hätte er gut überrascht gewesen sein können, in der Kabine nach der Pleite, die das Ausscheiden in der Königsklasse bedeutet haben dürfte, nicht nur fröhliche Gesichter anzutreffen…

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Musik Digital

Im Flachen rollen

Geht ja bald wieder los mit diesem Karneval.

Bei “Spiegel Online” schon heute:

Karrierepause: Adele sagt Adele
Tataaa!