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Literatur

Verschwör dich gegen dich

Kommt ein BILDblogger in die Buchhandlung und stolpert über ein Buch mit dem Untertitel “Was 2007 nicht in der Zeitung stand”. Er blättert ein wenig darin, denkt “Das hört sich ja ganz interessant an”, fragt sich, woher ihm der Name Gerhard Wisnewski bekannt vorkommt und zahlt den sympathischen Preis von sechs Euro.

Und damit lag “Verheimlicht, vertuscht, vergessen” (von nun an: “VVV”) vor mir. Im Vorwort erklärt Wisnewski die Intention seines “kritischen Jahrbuchs”:

Mein Ziel war es, bekannte Themen nochmals unter die Lupe zu nehmen und unbekannte Themen aufzudecken, um das Geschichtsbild dieses Jahres ein wenig zu korrigieren.

Ein hehres Ziel, wenngleich er einen Absatz später immerhin einräumt, nicht im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Gute 300 Seiten später weiß der Leser, wo Wisnewski Korrekturbedarf sieht: Es gibt keine vom Menschen verursachte globale Erwärmung, keine Vogelgrippe und kein Aids; die Anschläge des 11. Septembers 2001 wurden von den Amerikanern selbst geplant (wobei einige Medien im Vorfeld informiert waren) und mit Hilfe von Al Gore soll eine “Klimaplanwirtschaft”, eine “Diktatur mit lächelndem Gesicht, aber mit eisernen Fesseln” installiert werden um die Macht der USA in der Welt weiter auszubauen.

Uff! Da sollte man sich vielleicht erst mal noch mal anschauen, wer dieser “bekannte Erfolgsautor und Enthüllungsjournalist” (so der Verlag) Gerhard Wisnewski eigentlich ist. Er ist Jahrgang 1959, hat Politikwissenschaften studiert, als Journalist gearbeitet und mehrere Sachbücher geschrieben. Zum Beispiel “Lügen im Weltraum” (die Mondlandung hat es so nicht gegeben), “Das RAF-Phantom” (die dritte Generation der RAF hat es so nicht gegeben), “Mythos 9/11” und “Operation 9/11” (den 11. September hat es so nicht gegeben). Über den 11. September hat Wisnewski sogar einen Dokumentarfilm für den WDR gedreht: “Aktenzeichen 11.9. ungelöst” wurde vom “Spiegel” derart zerpflückt, dass der WDR anschließend eine weitere Zusammenarbeit mit Wisnewski und seinem Co-Autor ausschloss.

Vorsichtig ausgedrückt sind Wisnewskis Theorien also mit Vorsicht zu genießen. Und in der Tat sind manche Beweisführungen so krude, manche Quellen so dubios und manche handwerklichen Fehler so offensichtlich, dass es der Glaubwürdigkeit des Buches erheblich schadet. Das ist tragisch, denn in “VVV”, das die Ereignisse von Oktober 2006 bis September 2007 behandelt, gibt es durchaus Kapitel, die lesenswert sind. So ist zum Beispiel eine kurze Rückschau auf die verschiedenen Bundesminister des Inneren in den letzten Jahrzehnten hochinteressant, weil hier eindrucksvoll aufgelistet wird, wie es um die Verfassungs- und Gesetzestreue der jeweiligen Herren so bestellt war. Auch Wisnewskis Kritik an Wahlautomaten, ePässen und RFID-Chips ist weitestgehend fundiert und sinnvoll, seine statistischen Vergleiche der Gefahren von Vogelgrippe und internationalem Terrorismus mit denen im Straßenverkehr sind angenehm Hysterie-bremsend. Einige der Kapitel über ungelöste Kriminalfälle laden zumindest zu einer näheren Beschäftigung mit den Quellen ein, sorgten aber auch dafür, dass ich mich nach der Lektüre fühlte wie als Vierzehnjähriger nach dem “Akte X”-Gucken, als ich bei eingeschaltetem Licht einschlafen musste.

Wisnewski ist davon überzeugt, dass sich die Weltwirtschaft unter amerikanischer Führung gerade im Zusammenbruch befindet (was ich als Wirtschaftslaie nach den Ereignissen vom Montag nicht mal ausschließen kann), vermutet hinter den Vogelgrippe-Fällen in Deutschland eine Verschwörung von Pharma-Industrie, Geflügelgroßbetrieben und dem Friedrich-Loeffler-Institut und wärmt die alte Verschwörungstheorie um die BBC am 11. September 2001 wieder auf. Ihn zu widerlegen erscheint in den meisten Fällen unmöglich, da es ja zum Wesen jeder besseren Verschwörungstheorie gehört, dass ihre Verbreiter dem Rest der Welt unterstellen, selbst Verschwörer oder deren Opfer zu sein. Offizielle Quellen gelten eh nicht, unabhängige Sachverständige sind Teil der Verschwörung und wer die “Gegenbeweise” kritisiert gehört zu denen. Unter dieser Prämisse kann natürlich keine Seite irgendwas beweisen – oder es haben einfach beide Recht.

Ich tue mich schwer damit, “VVV” pauschal als substanzlose Verschwörungstheorie und albernes Gewäsch abzutun, weil in dem Buch einige interessante Denkansätze auftauchen. Auf der anderen Seite steht darin aber auch viel Quark, der bei mir teils für Gelächter, teils für Wutanfälle gesorgt hat:

  • Die alberne RTL-Comedy “Freitagnachtnews” lobt Wisnewski gleich an zwei Stellen als “Satiresendung” bzw. die “zusammen mit Sieben Tage, sieben Köpfe […] einzige Sendung, die man sich im Deutschen Fernsehen überhaupt ansehen konnte”.
  • Das Kapitel über den unter mysteriösen Umständen verstorbenen Felix von Quistorp beginnt Wisnewski mit dem Hinweis, dass in Deutschland jährlich etwa 50.000 Kinder als vermisst gemeldet werden – um ein paar Zeilen später auf Fälle von verwahrlosten und misshandelten Kindern zu sprechen zu kommen und zwischendurch noch Madeleine McCann zu erwähnen, die nun kaum zu den in Deutschland vermissten Kindern zählen dürfte.
  • Wisnewski will Murat Kurnaz dessen Folterbeschreibungen nicht glauben, weil diesem “selbst die Beschreibung schlimmster Folterpraktiken” “keine Gefühlsregungen” entlocke. Eine etwas dünne Logik, wenn man sich vorstellt, welche psychischen Folgen solche Folter auslösen muss.
  • Im Fall des Amoklaufs von Blacksburg zweifelt er die offizielle Version mit der Begründung an, es habe ja gar keine Verbindung zwischen dem vermeintlichen Täter und seinen Opfern gegeben. Dabei dachte ich immer, diese Willkür gehöre zum Konzept des Amok.
  • Das Kapitel über Mark Medlock (bzw. die Praktiken von RTL bei der telefonischen Abstimmung) beginnt er mit dem Klischeesatz jedes Kulturpessimisten

    Das deutsche Showgeschäft erreicht einen neuen künstlerischen und ästhetischen Tiefpunkt.

    um hinzuzufügen, Medlock sehe “schlecht” aus, singe “schlecht” und spreche “schlecht”:

    Dem Wahren, Schönen, Guten setzt DSDS das Unwahre, Hässliche und Schlechte entgegen.

  • Völlig unreflektiert zitiert Wisnewski einen Wissenschaftler, der das “befürchtete Übergreifen der Seuche [Aids, Anm. des Bloggers] auf die heterosexuelle Bevölkerung” in Abrede stellt.
  • Den Status der “Bild”-Zeitung als Hofberichterstatterin im “Arbeiter- und Merkelstaat” will Wisnewski allen Ernstes mit einer Meldung über die Qualität von Billig-Sonnencremes belegen.
  • Zu Eva Herman fällt ihm ein, sie sei Opfer eines böswilligen Komplotts geworden. Ihr viel gescholtenes Zitat sei doch “eindeutig” gewesen. Dabei hatte ich gehofft, man könnte sich inzwischen wenigstens darauf einigen, dass das ganze Elende dieser unseligen Debatte nur entstanden ist, weil sich Frau Herman im freien Vortrag in ihren Nebensätzen verheddert hatte und sich hinterher zu fein war, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Wir haben gesehen, dass man Hermans berühmten Satz in zweierlei Richtungen auslegen kann und genau das sollte doch wohl ein Kriterium für Uneindeutigkeit sein.
  • Wisnewski macht aber zwischendurch auch noch mal selbst die Herman, wenn er die “erheblichen” Unterschiede im Verhalten von Jungen und Mädchen am folgenden Beispiel beweisen will:

    Während Mädchen im Handarbeitsunterricht brav sticken, schweifen Jungen gedanklich ab und gucken aus dem Fenster.

Solche Bücher machen mich ganz gaga, weil ich die meiste Zeit damit beschäftigt bin, mich selbst zu fragen, ob ich dem Autor bei diesem oder jenem Thema überhaupt noch zustimmen kann, wenn ich an anderen Stellen nicht nur nicht seiner Meinung bin, sondern sein Vorgehen mal für falsch, mal für gefährlich halte. Natürlich kann ich das, denn letztlich muss ja sowieso jeder für sich selbst entscheiden, was er glaubt und was nicht. Die Quintessenz der Lektüre kann also nur lauten, allen Quellen mit einer gewissen Grundskepsis zu begegnen. Für diese Erkenntnis brauche ich aber keine 300 Seiten Text.

Der BILDblogger fand dann übrigens zumindest doch noch was: Im Kapitel über die Haftentlassung Brigitte Monhaupts zitiert Wisnewski die “sehr empfehlenswerte, Bild-kritische Website www.bildblog.de”.

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Posh The Button

Die ersten zehn Tage des Januars waren die großen Macher und Entscheider wohl noch im Weihnachtsurlaub, am elften kehrten sie an ihre Schreibtische zurück und machten und entschieden: Jürgen Klinsmann wird Trainer beim FC Bayern München, Jens Lehmann nicht Torwart bei Borussia Dortmund, Burda stellt seine Zeitschrift “Max” ein und Ulf Poschardt verlässt “Vanity Fair”. Die erste Ausgabe in der preiswerteren Rückendrahtheftung war damit wohl die letzte, die “Posh” mit einem seiner einzigartigen Editoriale (“prägnant, unverhohlen, unangepasst”, so ein Leserbriefschreiber) eröffnen durfte. Und so musste ich mir trotz anders lautender Vorsätze doch noch mal ein Heft kaufen. ((Dass auf dem Cover “Exklusiv: Natalie Portman über ihre ersten Nacktszenen” stand, hat mit meiner Kaufentscheidung nichts zu tun.))

Ulf Poschardt: Ein verschenktes JahrAls die deutsche Ausgabe des renommierten People-Magazins im letzten Februar mit großem Tamtam anlief, wurde die Startauflage von angeblich 500.000 Exemplaren fast ausschließlich von Medienjournalisten aufgekauft. Wie es danach mit den Verkaufszahlen aussah, wusste man längere Zeit nicht. Als es dann überraschend doch noch Zahlen gab, lagen die mit 172.000 verkauften Exemplaren im 3. Quartal 2007 (s. die IVW-Auflagenliste, S. 170) deutlich höher, als die meisten Beobachter erwartet hätten. So ganz ernst genommen wurden die Zeitschrift und ihr Chefredakteur nie, dafür hatte man sich im Vorfeld (“das Magazin für Mover und Shaker”, die komplett weiße Inneneinrichtung der Redaktion) zu peinlich verhalten. Und auch Aktionen wie das Interview von Michel Friedman (der für “Vanity Fair” einige interessante Reportagen geschrieben hat) mit Horst Mahler unter der Überschrift “So spricht man mit Nazis” brachte dem Blatt eher Spott und Kritik als journalistisches Renommee ein und die ständige Kampfpreis-Verramschung für einen Euro gab dem Leser auch nicht gerade das Gefühl, ein hochwertiges Produkt in der Hand zu haben. Egal, ob gerade Lindsay Lohan, George Clooney, der Papst, Angela Merkel oder Knut auf dem Titelbild waren: “Vanity Fair” hat es nicht mal ins Wartezimmer meines Friseurs geschafft.

Auf Zugfahrten habe ich “Vanity Fair” trotzdem hin und wieder gerne gelesen durchgeblättert – auch weil man, wie Daniel Fiene richtig bemerkt, kaum sonst so viel Heft für so wenig Geld bekam. Aber irgendwann nervte mich die permanente Nichtigkeit des Blattes und ich konnte das wirtschaftsliberale, neokonservative Geschwurbel in den Editorials von Ulf “die FDP wählen ist Punk” Poschardt nicht mehr sehen:

In Deutschland war es ein verschenktes Jahr. Politisch eines der Idiotie. Sein Triumphator hieß Oskar Lafontaine. Mit der Gründung der Linken und ihrem schnellen politischen Erfolg auch in Westdeutschland hat er die Agenda des Jahres bestimmt. Anstatt über die Zukunft zu sprechen, über die Chancen der Globalisierung und die Herausforderungen der Wissensgesellschaft, diskutierte das Land abwechselnd über Fragen des 19. Jahrhunderts oder der 70er-Jahre. Das Land führte selbstbetrunken einen inneren Monolog über Gerechtigkeit und Gleichheit. Und das so, als wäre der angelsächsische “Raubtierkapitalismus” über die Deutschen wie eine Seuche hereingebrochen.

Nun ist Poschardt nicht mal ein Jahr nach dem Start freiwillig gegangen (oder er wurde es gar). Ironischerweise findet sich in seiner letzten Ausgabe ein Interview mit Matthias Matussek, ebenfalls frisch geschasster Kulturchef des “Spiegels”. Die beiden reden über die Vorteile des Katholizismus. Es ist ein Witz. Und Poschardt reicht damit seine Bewerbung für die Nachfolge Stefan Austs ein.

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Gewalt im Spiegel

Ohne Nachzugucken: Welches dieser Titelbilder liegt ab morgen am Kiosk aus?

U-Bahnen: Das gefährlichste Verkehrsmittel der Welt

Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt

Prügeln: Das gefährlichste Hobby der Welt

Zum Kopfschütteln bitter hier entlang

[via Die Sargnagelschmiede]

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Print Digital

Austisten unter sich

Stefan Aust wird ab 1. Januar 2009 nicht mehr Chefredakteur des Hamburger Nachrichtenmagazins “Der Spiegel” sein, das wurde am Donnerstag bekannt.

Kaum war die Meldung raus, freuten sich vor allem die Blogger, dass der umstrittene, als Machtmensch verschriene Aust gehen muss und verliehen ihrer Freude vor allem durch Namenswitze Ausdruck. Coffee And TV stellt die schönsten Wortspiel-Überschriften vor:

Nachtrag 17:35 Uhr: Bulo von Clap hat mich noch auf die passende Illustration, die allerdings schon fünf Monate alt ist, hingewiesen.

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Designern gibt’s der Herr im Schlaf

Was ist denn hier beim “Spiegel” los?

“Der Spiegel” KW 42/2007

  • “Reichstagsbrand!” Jetzt dreht Herman völlig frei!
  • Nach Attacke auf Köhler: Berlin-Touristen abgeschossen
  • “Tag der Deutschen Einheit” – Erste Bilder von Florian Henckel von Donnersmarcks neuestem Film
  • Nina Hagen geht in die Politik
  • Endlich: Schäuble kehrt heim!

Die Wahrheit ist – wie so oft – noch alberner

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Bartschattenboxen

Im ZDF-Nachtstudio ging es gestern ums Thema “Die Macht dahinter – Wer bestimmt die Medien?” und man mag es symptomatisch finden oder nicht, aber die klügsten Sachen sagten Prof. Miriam Meckel, die einzige Frau in der Runde, und der achtzigjährige Klaus Harpprecht. Auch Kluges sagte Lutz Hachmeister, der unter anderem bemängelte, dass der Journalismus in Deutschland immer weniger von großen Journalisten mit klaren Standpunkten geprägt wurde.

Für die unklugen Sachen brauchte man nur einen Gast, aber der redete auch ungefähr so viel wie die drei anderen zusammen: Matthias Matussek, Kulturchef des “Spiegel”.

Matussek hat neokonservative Bücher geschrieben, die “Die vaterlose Gesellschaft – Eine Polemik gegen die Abschaffung der Familie” heißen oder “Wir Deutschen – Warum die anderen uns gern haben können”, er verbreitet seine sehr persönliche, mitunter auch sehr eigenwillige Weltsicht via “Spiegel” und per Video-Blog auf “Spiegel Online”. Und wem Matussek wegen seiner Inhalte noch nicht unsympathisch war, dem wurde er es bestimmt gestern Abend im ZDF.

Matussek nuschelt ausdruckslos vor sich hin, spricht über Anwesende in der dritten Person und guckt dann auch noch grundsätzlich an ihnen vorbei auf den Boden. Egal, worüber grad diskutiert wird: Matussek schafft es stets, auf seine bisherigen Einsatzorte, seine Titelgeschichten, im Wesentlichen: sich zu sprechen zu kommen. Eines seiner Bücher wurde mit Heine verglichen, aber damit wolle er sich nicht schmücken; als er über seine Zeit in London spricht (natürlich, ohne dass es dafür einen Anknüpfungspunkt gegeben hätte), droppt er mal eben so viele Namen, dass kaum jemand überprüfen kann, ob es sich dabei wirklich um angesehene Journalisten oder Charaktere aus “Harry Potter” handelt, und seine Romantik-Geschichte im aktuellen “Spiegel” erwähnt er gleich ein Halbdutzend Mal.

Egal was die Gesprächspartner sagen: Matussek fällt ihnen ins Wort oder tut ihre Ausführungen als Blödsinn ab, meistens macht er einfach beides. Selbst wenn er nickt, wirkt das wie ein weiterer Posten aus seinem Katalog der herablassenden Mienen und Gesten. Für seinen Bartschatten, der ihn immer ein bisschen ungepflegt erscheinen lässt, kann er vielleicht nichts, für seinen Hemdkragen, den er trägt wie andere Leute eine offene Hose, aber sehr wohl. Über sein Video-Blog “Matusseks Kulturtipp” sagt er, dort könne er “Freestyle” machen. Kurzum: Er benimmt sich, wie sich ein 53jähriger Mann auf keinen Fall benehmen sollte, wenn er nicht als total anbiedernd und betont lässig gelten will.

Dabei bringt diese Ranschmeiße an eine vermeintliche Jugendsprache sowieso nichts, denn schon im nächsten Atemzug verteidigt Matussek die geplanten Onlinedurchsuchungen und den Papst und dessen Islam-Kritik. Kurz darauf versagen seine Medikamente und Matussek nennt das, was der “Spiegel” da allwöchentlich noch unters Volk haut, “Weltklassejournalismus”, der den Engländern und Amerikanern mindestens ebenbürtig sei. Die Behauptung, in seinem Hause werde “gründlich” recherchiert, lässt sich freilich nicht sofort widerlegen, die fertigen Artikel legen aber den Schluss nahe, dass von dieser gründlichen Recherche dann zumindest nicht viel im Heft landet.

In dieser Situation verkündet Herr Harpprecht, Matussek zähle zu den besten Schreibern Deutschlands und Stefan Aust sei ein kluger Mann. Ich rechne es diesem alten Mann hoch an, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, ob das jetzt sein Ernst oder ganz weise Ironie war.

Wer gerne unsympathischen “Spiegel”-Redakteuren zuhört, kann sich heute Abend ab 19 Uhr den Podcast von Bastian Sick im WDR2-“Montalk” geben. Das komplette Video des gestrigen “Nachtstudios” kann man sich hier anschauen.

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Schlagerzeilen

So, jetzt hab ich mir doch mal (zum ersten Mal seit der Entdeckung Amerikas, vermutlich) den “Spiegel” gekauft. Noch nicht mal primär, weil da das sagenumwobene Schäuble-Interview drin ist, sondern wegen … Michael Wendler!

Den hatten wir hier schon mal kennengelernt, als ich Dinslaken zur zukünftigen Musikhauptstadt Deutschlands erklärte. Ganz so weit ist man beim “Spiegel” noch nicht, aber der Artikel von Thomas Schulz zählt zum Unterhaltsamsten, was ich in den letzten Monaten gelesen habe (und man sollte es beim “Spiegel” kaum für möglich halten: das scheint sogar beabsichtigt gewesen zu sein).

“Der Wendler wird eine Hysterie auslösen.” Sagt der Wendler. “Der Wendler ist einfach geil.” Sagt der Wendler. “Wenn ich nicht selbst der Wendler wäre, ich würd’ mir die ganze Zeit zu meinen Konzerten hinterherfahren.”
Der Wendler, das ist Michael Wendler, 35, gelernter Speditionskaufmann aus Dinslaken, Beruf: Schlagerstar. Obwohl der Wendler das so nie sagen würde, genau wie er nie “der Michael” sagt und selten “ich”, sondern immer nur “der Wendler”. Er würde sagen: König des Pop-Schlagers. So steht es auf seinen Plakaten, seinem Fan-Magazin, seinen Platten. Er hat sich den Begriff markenrechtlich schützen lassen.

Ich gebe zu, ich hätte den Artikel nicht an der U-Bahn-Station lesen sollen, man wird ja doch immer schief angeguckt, wenn man sich in der Öffentlichkeit kaputtlacht. Schon in der Einleitung steht “Ein Besuch in einer Parallelwelt”, und genau das ist es: Schulz macht sich nicht über sein Thema lustig, er beschreibt es nur mit dem dezent ungläubigen Blick, den man wohl draufhaben sollte, wenn man im Auftrag eines Hamburger Nachrichtenmagazins Festzelte, Dorfdiscos und den “Ballermann” auf Mallorca aufsuchen muss:

Es dauert nicht lange, dann schlappt ein Mann heran in knallroten Lederhosen und abgeschnittener Jeansjacke, er setzt sich an den Tisch, einfach so, und stellt sich vor: “Gestatten: Drews, Schlagerstar, alternd”.

Die Schlagerbranche, so der Tenor der Reportage, erlebt gerade mal wieder ein Revival – aber diesmal ohne die Helden von vorgestern und abseits der Öffentlichkeit:

Deswegen ist Andrea Berg wohl auch der unbekannteste Star im Land. Ihr “Best of”-Album hielt sich 290 Wochen in den Charts. Ihr aktuelles Album war die meistverkaufte Platte des Musikriesen Sony BMG in Deutschland im vergangenen Jahr. Sie kann inzwischen bis zu 30 000 Euro pro Auftritt nehmen. Aber das hat RTL nicht davon abgehalten, ihren Auftritt bei der Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo fast komplett herauszuschneiden.

Es lohnt sich, den Artikel zu lesen, und es lohnt sich anscheinend auch, sich mal so ein Michael-Wendler-Konzert aus der Nähe anzuschauen:

“Bei meinen Auftritten sind die Leute so rallig, die knallen sich auf den Toiletten.”

Nachtrag 20:25 Uhr: Wie mir meine Mutter soeben per E-Mail mitteilt, ist der Artikel auch online verfügbar. Das war er heute Nachmittag, als ich zum Kiosk ging, noch nicht …

Nachtrag, 20. Juli: Jetzt ist der Artikel natürlich wieder offline bzw. kostenpflichtig. Können die sich mal entscheiden?

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Sicherheits(ge)denken

Es ist Sommerloch und was macht man da? Die Bundesregierung hat sich offenbar dazu entschieden, den überaus umtriebigen Wolfgang Schäuble durchs Dorf zu treiben. Glaubt man manchen Reaktionen, so hat der Bundesinnenminister in einem “Spiegel”-Interview offenbar die Zerschlagung des Rechtsstaats und die Einsetzung einer Militärjunta unter seiner Führung gefordert – nichts genaues weiß man jedoch nicht, denn die Meinungen überschlagen sich und beim “Spiegel” ist man (noch) nicht bereit, das Interview einzeln (oder gar kostenlos) online zu stellen, damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann (was auch onlinejournalismus.de bemängelt).

Wolfgang Schäuble auf der Titelseite der “taz” (9. Juli 2007)Die beste Titelseite zum Thema liefert (wenig überraschend) die “taz”, der bisher beste Kommentar stammt von Heribert Prantl in der “Süddeutschen Zeitung”. Und während die Karikaturisten überlegen, wie sie Schäuble noch als völlig durchgeknallten Bluträcher darstellen könnten, liefern sich die Politiker aller Parteien einen munteren Schlagabtausch. Die CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, Günther Oettinger und Peter Müller, die nie fern sind, wenn Bedenkliches öffentlich ausgesprochen wird, stehen schon … äh: Gewehr bei Fuß und sagen so kluge Sachen wie “Sicherheit zuerst”. (Inwieweit sich das mit der anderen Grundsatzparole “Vorfahrt für Arbeit” vereinen lässt, ist wohl noch nicht ganz raus.) Oettinger schreibt vermutlich schon an einer Rede, in der er Schäuble als “obersten Verfassungs- und Datenschützer” bezeichnen wird, und wartet nur noch auf eine unpassende Gelegenheit, diese auch halten zu dürfen.

Nachtrag 20:07 Uhr: Gerade entdeckt: “Wer fordert mehr?”, ein Quiz vom “Zünder”, der Jugendseite der “Zeit”. Dort muss man verschiedene verheerende Zitate dem richtigen Urheber (Schäuble, Bush, Putin, …) zuordnen. Wer ist alles besser als 4/9?

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Seifenoper

Seit Khaled al-Masri in der vergangenen Woche einen Brand in einem Großmarkt legte, berichtet die Bild-“Zeitung” in beunruhigender und hetzerischer Art und Weise über ihn (s.a. BILDblog).

Der neueste “Bild”-Artikel zum Thema ruft mal wieder nach einer ganzen Menge negativ behafteter Adjektive und der Frage, warum man diesmal eine Kampagne gegen einen wehrlosen Mann fährt, der schon lange am Boden liegt – und nicht, wie sonst üblich, gegen Schauspielerinnen, Politiker und Fußballtrainer. (Nicht, dass das besser wäre, aber Demontage macht doch eigentlich nur “Spaß”, wenn das Opfer über eine gewisse Fallhöhe verfügt, oder?)

Eines aber kann man “Bild” nicht vorwerfen: dass sie ihre Artikel nicht bis ins kleinste Detail recherchiert hätten.

Er kauft drei blaue Kanister für je 5,69 Euro, betankt sie, bezahlt und rauscht um 3.58 Uhr davon.

Der Rest des Artikels legt zwar den Verdacht nahe, dass ausschließlich kleinste Details recherchiert und andere Sachen ein wenig außer Acht gelassen wurden, dieser Satz aber qualifiziert die zuständigen Autoren für das Goldene Seifenstück.

Das “Goldene Seifenstück” leitet seinen Namen aus einem “Spiegel”-Artikel über den 11. September 2001 ab, in dem ausgeführt wurde, dass sich Mohammed Atta vielleicht mit einem 28,3 Gramm schweren Stück Seife gewaschen habe, bevor er zum Flughafen fuhr, um ein Flugzeug zu entführen und ins World Trade Center zu steuern (nachzulesen auch in diesem Buch). Es wird seitdem in unregelmäßigen Abständen für besonders detaillierte, aber völlig sinnlose Recherchetätigkeiten von Journalisten verliehen. Von mir.