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Digital Gesellschaft

3,2,1 – ein zuversichtliches Blog-Stöckchen

Zuge­ge­ben: Es gab schon mal Zei­ten, in denen es ein­fa­cher erschien, opti­mis­tisch in die Zukunft zu bli­cken.

Selbst jene Social-Media-Platt­for­men, die ursprüng­lich mal dazu gedacht waren, Urlau­be, Son­nen­un­ter­gän­ge und fan­cy Geträn­ke zu pos­ten, um das gute Leben zu fei­ern, sind voll mit irgend­wel­chen Unge­heu­er­lich­kei­ten, die irgend­wel­che Drit­ten irgend­wo anders ins Inter­net geschrie­ben haben. Mal davon ab, dass die Betrei­ber die­ser Platt­for­men unge­fähr so sym­pa­thisch und zukunfts­wei­send sind wie Mine­ral­öl­kon­zer­ne.

Bochumer Brandmauer: Nie wieder Faschismus

Also: Raus aus den soge­nann­ten Sozia­len Netz­wer­ken, zurück in die Blogs und ein paar Leucht­feu­er anzün­den!

Der Kol­le­ge Dirk von Geh­len, des­sen unge­bro­che­nen Glau­ben an das Inter­net als Werk­zeug der Auf­klä­rung ich vor­sich­tig skep­tisch bewun­de­re, hat etwas gemacht, was man frü­her „ein Blog-Stöck­chen wer­fen“ nann­te: sowas ähn­li­ches wie in der Schu­le in ein Freund­schafts­buch ein­zu­tra­gen. Ich hab noch nie bei so etwas mit­ge­macht, aber extre­me Zei­ten erfor­dern extre­me Maß­nah­men!

Drei Din­ge, für die ich mich enga­gie­re:

Umwelt­schutz. Ich war zehn Wochen alt, als mei­ne Eltern mich zu einem der ers­ten Grü­nen-Par­tei­ta­ge mit­ge­nom­men haben, und war in den Jah­ren danach auf zahl­rei­chen Demos gegen Atom­kraft, FCKW und Stein­koh­le­ver­stro­mung. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 40 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist die nächs­te „Fri­days For Future“-Demo in Bochum.

Eine offe­ne, freie Gesell­schaft. Ich war noch kei­ne sechs Jah­re alt, als mei­ne Eltern mich zu einer Gedenk­ver­an­stal­tung mit­nah­men: 50 Jah­re Aus­bruch des 2. Welt­kriegs. Es war noch vor Ros­tock-Lich­ten­ha­gen, aber weni­ge Mona­te, nach­dem die Repu­bli­ka­ner bei der Euro­pa­wahl in Deutsch­land 7,1 % erreicht haben. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 35 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist auch die nächs­te Demo gegen rechts in Bochum.

Gutes Ver­stär­ken. Es ist mei­ne tiefs­te Über­zeu­gung, Din­ge, die mir Freu­de berei­ten, mit ande­ren Men­schen tei­len zu wol­len. Des­we­gen mache ich sowas wie „5 Songs, die Ihr im Janu­ar gehört haben soll­tet“, des­we­gen betrei­be ich immer noch die­ses Blog, des­we­gen schrei­be ich für Zei­tun­gen und mei­nen News­let­ter. Es macht mich immer ein biss­chen fer­tig, wenn ich z.B. Musik auf Social Media tei­le und die Künstler*innen, ob sie mei­ne Freund*innen sind oder wir uns gar nicht ken­nen, sich dann über­schwäng­lich bedan­ken. Ich mei­ne: Lieb, dass sie das tun, aber es soll­te doch ver­dammt noch mal selbst­ver­ständ­lich sein, Din­ge, die man gut fin­det, tei­len und ver­brei­ten zu wol­len!

Zwei Phä­no­me­ne, die mich posi­tiv stim­men:

Künstler*innen, die wei­ter für Fort­schritt kämp­fen: Lady Gaga hat ihren Gewinn bei den gest­ri­gen Gram­mys genutzt, um sich für Trans­rech­te stark zu machen; Bey­on­cé ist die ers­te Schwar­ze Frau, die den Gram­my für das bes­te Coun­try-Album gewon­nen hat.

Son­ne. In Bochum ist seit Tagen strah­lend blau­er Him­mel und das ändert doch mei­ne Per­spek­ti­ve auf die Welt schon merk­lich.

Ein Zitat, das mir hilft:

„And so now I’d like to say – peo­p­le can chan­ge any­thing they want to. And that means ever­y­thing in the world. Peo­p­le are run­ning about fol­lo­wing their litt­le tracks – I am one of them. But we’­ve all got to stop just fol­lo­wing our own litt­le mou­se trail. Peo­p­le can do any­thing – this is some­thing that I’m begin­ning to learn. Peo­p­le are out the­re doing bad things to each other. That’s becau­se they’ve been dehu­ma­nis­ed. It’s time to take the huma­ni­ty back into the cen­ter of the ring and fol­low that for a time. Greed, it ain’t going any­whe­re. They should have that in a big bill­board across Times Squa­re. Wit­hout peo­p­le you’­re not­hing. That’s my spiel.“ (Joe Strum­mer)

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Digital Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 28


 
Im Ber­li­ner Pfef­fer­berg Thea­ter hat sich ein illus­tres Publi­kum ein­ge­fun­den um zwei Tru­ckern aus dem Ruhr­ge­biet zuzu­hö­ren: Lucky und Fred ver­han­deln in gewohn­ter Pod­cast-Manier die aktu­el­le Welt­la­ge von Tem­po­li­mit bis Mei­nungs­frei­heit, vom Brexit bis zum gro­ßen Daten­klau.

Mit ihrem Spe­cial Guest Ste­fan Nig­ge­mei­er spre­chen die bei­den über die Lage des Jour­na­lis­mus in Deutsch­land — und natür­lich über das, was dann doch nicht so schlecht war.

Ein ver­gnüg­li­cher Abend, ein­ge­dampft auf 73 Minu­ten.

„Lucky & Fred“ als RSS-Feed
„Lucky & Fred“ bei iTu­nes
„Lucky & Fred“ bei Spo­ti­fy
„Lucky & Fred“ bei Face­book
„Lucky & Fred“ bei Twit­ter

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Musik Literatur

And through it all

Frü­her waren Leu­te berühmt, weil sie etwas (z.B. malen, sin­gen, schrei­ben, Krie­ge gewin­nen) beson­ders gut konn­ten. Heu­te sind sie berühmt, weil sie das Eine gut konn­ten und jetzt etwas ganz ande­res machen (z.B. Fern­seh­kö­che, Lena Mey­er-Land­rut, Donald Trump – wobei: was kann der schon?). Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war vor fast 20 Jah­ren der gefei­er­te Jung- bzw. Pop­li­te­rat („Pop­jungli­te­rat“ ging wohl irgend­wie nicht), vor zwei Jah­ren der geläu­ter­te Held sei­ner Auto­bio­gra­phie und ist jetzt bin­nen weni­ger Mona­te zum König von Insta­gram gewor­den. Gut: Über 18.000 Fol­lower lachen ech­te Influen­cer natür­lich, aber was er da in kur­zer Zeit für eine (uh, ah) Com­mu­ni­ty auf­ge­baut hat, ist schon beein­dru­ckend. Erwach­se­ne Leu­te, die sich wei­gern wür­den, einer Par­tei oder auch nur einem Sport­ver­ein bei­zu­tre­ten, fil­men sich dabei, wie sie den (wirk­lich extrem cat­c­hy­gen) Titel sei­nes neu­en Buchs in die Kame­ra sagen: „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgend­wo hin­le­gen – Remix 3“.

Und so ist die­ser Abend hier in der Bochu­mer Zeche ein biss­chen wie die „Glow“ im Klei­nen. Für Leu­te, die mehr Bücher als Make­up zuhau­se haben. Erst­mal den Back­drop (auf dem dann doch nur Platz für „Remix 3“ war) bei Ins­ta pos­ten! In der Rei­he hin­ter mir sagen Män­ner den Satz, den Män­ner im Jahr 2018 so sagen, wenn sie das mit der Rock­star-Kar­rie­re wirk­lich auf­ge­ge­ben haben und die E‑Gitarren als Deko im Pin­te­rest-Wohn­zim­mer ver­stau­ben: „Lass mal ’nen Pod­cast zusam­men machen!“

Um kurz nach Acht geht das Saal­licht aus, ein pop­kul­tu­rel­les Maxi­mal-Mas­hup erklingt und dann, als Auf­marsch­mu­sik: „The Hea­vy Enter­tain­ment Show“ von Rob­bie Wil­liams. Das lief aber beim letz­ten Mal vor zwei Jah­ren auch schon! Der Pop­li­te­rat ist von Anfang an voll da und muss erst­mal umständ­lich eine Noel-Gal­lag­her-Fah­ne am Tisch befes­ti­gen („Es ist halt schon ein­fa­cher, wenn man Joko und Klaas ist!“). Die hat er beim Kon­zert in Ham­burg gekauft, von dem er aus­führ­lich via Insta­gram-Sto­ry berich­tet hat­te – und ich lag im Bett, sah das auf mei­nem iPho­ne und fühl­te mich ein biss­chen, als wäre ich selbst dabei gewe­sen.

Das Wort „Lesung“ hat es bei Stuck­rad-Bar­re noch nie so rich­tig getrof­fen, fast wich­ti­ger als die Tex­te ist das Drum­her­um, das Rum­hib­beln und das Abschwei­fen. Als er dann trotz­dem liest, steigt er direkt mit dem stärks­ten Text des Buches ein, einem Por­trät über Jür­gen Flie­ge, das ich schon bei Erst­ver­öf­fent­li­chung in der „Welt“ gele­sen und gefei­ert, danach aber für sechs­ein­halb Jah­re ver­ges­sen hat­te. Es ist ein Text der Sor­te „Unsag­bar gut, muss ich jetzt täg­lich drei Mal lesen, um mir zu mer­ken, wie man eigent­lich schreibt!“

Über­haupt: „Remix“ (das eine wil­de Samm­lung von zuvor ver­öf­fent­lich­ten Tex­ten ent­hielt und damals gegen den aus­drück­li­chen Wunsch des Autors nicht „Remix 1“ hieß) war im Som­mer vor 18 Jah­ren das Buch, bei dem es bei mir „Klick“ gemacht hat, und nach dem ich ange­fan­gen habe, eige­ne, sehr mei­nungs­freu­di­ge Tex­te zu schrei­ben und ins Inter­net zu stel­len (wo sie hof­fent­lich weni­ger Leser*innen hat­ten als ich heu­te Fol­lower auf Insta­gram). An „Fest­wert­spei­cher der Kon­troll­ge­sell­schaft: Remix 2“ kann ich mich kaum erin­nern (und dem Autor geht es da ver­mut­lich genau­so), die Bril­lanz kam dann erst wie­der mit „Auch Deut­sche unter den Opfern“ zum Vor­schein.

All die­sen Büchern ist gemein, dass es sich um Text­samm­lun­gen han­delt, die The­men und vor allem die Qua­li­tät also etwas schwan­ken. Nach dem gran­dio­sen Besuch beim TV-Pfar­rer folgt also in der Live-Dar­bie­tung ein Text dar­über, wie sich Stuck­rad und sei­ne Freun­din Part­ner­tat­toos ste­chen las­sen, weil sie so ver­liebt sind. Das ist im Buch schon einer der schwächs­ten Tex­te (die Faust­re­gel, wonach glück­li­che Künst­ler kei­ne gute Kunst erschaf­fen kön­nen, hat lei­der wei­ter­hin Bestand), wird in der Gegen­wart aber auch nur bedingt dadurch auf­ge­wer­tet, dass Bezie­hung und Tat­toos inzwi­schen schon wie­der Geschich­te sind.

Zur Auf­lo­cke­rung sol­len danach alle, die auch bei Insta­gram sind, auf die Büh­ne, damit er uns foto­gra­fie­ren und hin­ter­her tag­gen kann. Wir kom­men der Auf­for­de­rung brav nach, in die­sem Moment ist völ­lig unklar, ob das hier die Grün­dungs­ver­an­stal­tung einer neu­en Sek­te ist und wie viel das noch (wenn über­haupt) mit Iro­nie zu tun hat. Wir stel­len uns also zum ers­ten Klas­sen­fo­to seit 15, 20 Jah­ren auf und nach­dem wir end­lich rich­tig ste­hen und Stuck­rad-Bar­re sein Foto gemacht hat, bedankt er sich so über­schwäng­lich, dass lang­sam klar wird: der meint das ernst. Er macht sich stän­dig über die­sen Insta­gram-Kram und sei­ne Rol­le dar­in lus­tig, aber er genießt es wirk­lich, die­se Stim­mung in die ech­te Welt zu holen: „Auf Insta­gram gibt’s kei­ne Nazis, da gibt’s nur Her­zen!“ Hach.

Die Idee, im Früh­jahr 2018 einen Text über die Fuß­ball-WM 2010 zu lesen, ist dann gera­de­zu absurd, aber drum­her­um kom­men wie­der so vie­le Aus­schwei­fun­gen, dass Jogi Löws baby­blau­er Baby­kash­mir-Pull­ove­ra jetzt wirk­lich kaum noch was zur Sache tut. Dafür gibt es Geschich­ten aus dem Cha­teau Mar­mont, „in dem ich aus Image-Grün­den lebe – zumin­dest so lan­ge, bis die gan­ze Koh­le auf­ge­braucht ist und ich wie­der auf Lese­rei­se gehen muss“, und eine Dis­kus­si­on mit einer Zuschaue­rin über Toco­tro­nic (inkl. Hör­pro­be und Aus­füh­run­gen dar­über, dass man als Fan die Schuld für das Nicht-mehr-Ver­ste­hen eines Idols bei sich selbst suchen soll­te). Als Zuga­be, für die er aber gar nicht erst von der Büh­ne geht, dann den wie­der­um sehr guten Text über ein Madon­na-Kon­zert, bei dem das mit dem stän­di­gen „Remix“ jetzt end­lich mal Sinn ergibt (oder so ähn­lich), weil Stuck­rad den Namen „Madon­na“ (bei­na­he) kon­se­quent durch „Bet­ti­na Böt­tin­ger“ ersetzt.

Ein Lied habe er noch für uns, sagt er schließ­lich und aus der augen­zwin­kern­den Pop­kul­tur­re­fe­renz wird plötz­lich Ernst, denn vom Band (sagt man noch „Band“?) läuft jetzt plötz­lich eine Live-Ver­si­on von Rob­bie Wil­liams‘ „Angels“ und der Pop­li­te­rat wird zum Sän­ger (und das nicht mal schlecht):

Das ist nun plötz­lich no sur­face, all fee­ling: Anders als nie­de­re Unter­hal­tungs­künst­ler wie Jan Böh­mer­mann es viel­leicht machen wür­den, ist das hier kei­ne Pose mit Flucht­mög­lich­keit auf die Iro­nie-Ebe­ne. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re meint das hier alles völ­lig ernst: Er singt ein Lied, das er liebt, und ist umge­ben von Men­schen, die sich freu­en, hier zu sein. Um das jetzt doof zu fin­den, muss man ent­we­der sehr kalt­her­zig sein oder mit Pop­kul­tur so gar nichts anfan­gen kön­nen (was aufs Sel­be raus­kommt).

Am Bücher­stand dür­fen wir uns alle sel­ber auf dem Grup­pen­fo­to mar­kie­ren, der Autor signiert und posiert lan­ge für Fotos, die natür­lich alle auf Insta­gram lan­den. Falls es so etwas gibt, fühlt es sich an wie die denk­bar posi­tivs­te Ver­si­on eines Klas­sen­tref­fens. Auch wenn wir da alle natür­lich eigent­lich nie hin­ge­hen wür­den.

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Digital Gesellschaft

Straßenbahn des Todes

Dies ist kein Abschied, denn ich war nie will­kom­men
Will auf und davon und nie wie­der­kom­men
Kein Lebe­wohl, will euch nicht ken­nen
Die Stadt muss bren­nen

(Cas­per – Im Asche­re­gen)

Ich hab in die­sem Jahr schon mehr­fach Social-Media-Pau­sen gemacht, die „digi­tal detox“ zu nen­nen ich mich scheue: Als mein Sohn Kita-Feri­en hat­te, wenn wir mal übers Wochen­en­de oder etwas län­ger weg­ge­fah­ren sind, hab ich Face­book und Twit­ter ein­fach aus­ge­las­sen. Zum einen, weil die iPho­nes-Apps im Ver­gleich zur rich­ti­gen Nut­zung (ich bin ver­mut­lich der ein­zi­ge Mensch Mit­te Drei­ßig, für den ein Com­pu­ter mit Bild­schirm, Tas­ta­tur und Brow­ser die „rich­ti­ge“ Anwen­dung ist und ein Smart­phone maxi­mal eine hilf­rei­che Krü­cke für unter­wegs, aber das ist mir – wie so vie­les – egal) ein­fach noch unprak­ti­scher sind (und das will schon was hei­ßen), zum ande­ren, weil ich gemerkt habe, dass Social Media mir schlecht Lau­ne macht.

Jetzt war ich übers Wochen­en­de am Meer, hab gera­de wie­der den Lap­top auf­ge­klappt, kurz in Face­book rein­ge­guckt und schon wäre die gan­ze wun­der­ba­re Erho­lung (Strah­lend blau­er Him­mel, knal­len­de Son­ne und 24 Grad Mit­te Okto­ber! 17 Grad Was­ser­tem­pe­ra­tur! In der Nord­see!) fast wie­der weg gewe­sen.

Und dann traf mich die Erkennt­nis und ich hat­te end­lich einen Ver­gleich bzw. eine Meta­pher für das gefun­den, was mich an Social Media so sehr nervt, dass ich gera­de­zu von „krank machen“ spre­chen wür­de: Es ist, als säße man in der Stra­ßen­bahn und könn­te die Gedan­ken jedes ein­zel­nen Men­schen mit­hö­ren. Da sitzt ein Mann, der gera­de sei­nen Job ver­lo­ren hat und nicht weiß, wie es wei­ter­ge­hen soll. Dort ist eine Frau, die gera­de auf dem Weg in die Kli­nik ist: Ihre Mut­ter hat Krebs im End­sta­di­um. Hier sitzt ein 16-jäh­ri­ges Mäd­chen, des­sen Freund, ihre ers­te gro­ße Lie­be, gera­de Schluss gemacht hat und schon mit einer ande­ren zusam­men ist. Und da drü­ben ein klei­ner Jun­ge, des­sen Hams­ter ges­tern gestor­ben ist.

Natür­lich sit­zen da auch wel­che, denen es gut geht: Eine Fami­lie auf dem Weg in den Zoo. Ein alter Mann, der gera­de sei­nen neu­ge­bo­re­nen Uren­kel besucht hat und sich gleich eine Dose Lin­sen­sup­pe warm­ma­chen wird, sein Leib­ge­richt. Eine jun­ge Frau auf dem Weg zum ers­ten Date – sie weiß es noch nicht, aber sie wird den Mann spä­ter hei­ra­ten und eine glück­li­che Fami­lie mit ihm grün­den. Doch ihre Gedan­ken sind nicht so laut, weil sie nicht immer nur um das eine schlech­te Ding krei­sen, son­dern sie ent­spannt und glück­lich in sich ruhen. Eher das Schnur­ren einer zufrie­de­nen Kat­ze – und damit unhör­bar im Ver­gleich zu dem Geschrei einer Metall­stan­ge, die sich in einem sehr gro­ßen Getrie­be ver­kan­tet hat.

Aber mehr noch: Nicht nur ich kann all die­se Gedan­ken hören – alle kön­nen ein­an­der hören. Und die, die selbst schon völ­lig durch sind, schrei­en dann die ande­ren an: „Sie sind eh unfä­hig, völ­lig klar, dass Sie ent­las­sen wur­den!“, „Inter­es­siert mich nicht mit Dei­ner Mut­ter, jeder muss mal ster­ben!“, „Dum­me Schlam­pe! Was lässt Du Dich auch mit so einem Typen ein? Schlech­ter Män­ner­ge­schmack und kei­ner­lei Men­schen­kennt­nis!“, „Hams­ter sind eh häss­lich und dumm!“

Das ist kein Ort, an dem ich ger­ne wäre. Da möch­te ich nicht mal feh­len.

Und doch set­ze ich mich dem regel­mä­ßig frei­wil­lig aus – oder glau­be, es tun zu müs­sen. Weil ich beruf­lich wis­sen muss, „was das Netz so sagt“. Bei Face­book sieht die Wahr­heit eher so aus: Jour­na­lis­ten­kol­le­gen berich­ten Jour­na­lis­ten­kol­le­gen, was in der Welt so Schlech­tes los ist. „Nor­ma­le“ Men­schen aus mei­nem Umfeld pos­ten schon kaum noch bei Face­book. Und, klar: Es ist die Auf­ga­be von Jour­na­lis­ten, zu berich­ten – auch und vor allem über Schlech­tes. Aber dann doch viel­leicht in einem Medi­um? Face­book war mal als digi­ta­les Wohn­zim­mer gestar­tet, inzwi­schen weiß nie­mand mehr, was es genau sein soll/​will, nur, dass es so gefähr­lich ist, dass es mut­maß­lich durch exter­ne Mani­pu­la­ti­on die US-Wahl mit ent­schie­den haben könn­te. Die wenigs­ten Din­ge star­ten als leicht schram­me­li­ge Wohn­zim­mer-Couch und lan­den als Atom­bom­be.

Und natür­lich: Es sind extre­me Zei­ten. Der Brexit, die US-Wahl, der Auf­stieg der AfD, jetzt die Wahl in Öster­reich – wenn die Offen­ba­rung von der Redak­ti­on des „Eco­no­mist“ geschrie­ben wor­den wäre, kämen dar­in ver­mut­lich weni­ger Scha­fe und Sie­gel vor und mehr von sol­chen Schlag­zei­len. Die letz­ten Tage waren geprägt von immer neu­en Ent­hül­lun­gen über den ehe­ma­li­gen Film­pro­du­zen­ten und hof­fent­lich ange­hen­den Straf­ge­fan­ge­nen Har­vey Wein­stein, des­sen Umgangs­for­men gegen­über Frau­en allen­falls mit denen des amtie­ren­den US-Prä­si­den­ten zu ver­glei­chen sind. Nach zahl­rei­chen Frau­en, die von Wein­stein beläs­tigt oder gar ver­ge­wal­tigt wur­den, mel­den sich jetzt auch vie­le zu Wort, die in ande­ren Situa­tio­nen Opfer von beschis­se­nem Ver­hal­ten wider­li­cher Män­ner gewor­den sind. Und, Spoi­ler-Alert: Es sind vie­le. Ver­dammt vie­le. Mut­maß­lich ein­fach alle.

Auf­tritt wei­te­re Arsch­lö­cher: „PR-Akti­on!“, „Dich wür­de doch eh nie­mand anpa­cken!“, „Habt Ihr doch vor vier Jah­ren schon gepos­tet, #auf­schrei!“ Und wäh­rend man sich mit der Hoff­nung ret­ten kann, dass sich dies­mal viel­leicht wirk­lich etwas ändern könn­te (eini­ges deu­tet dar­auf hin, dass Har­vey Wein­stein tat­säch­lich von jener Hol­ly­wood-Gesell­schaft aus­ge­schlos­sen wer­den könn­te, die sich all­zu­lang in sei­nem Licht gesonnt hat­te), kom­men die nächs­ten Kom­men­ta­re rein und man zwei­felt dar­an, ob da über­haupt noch irgend­wo irgend­was zu ret­ten ist.

Nimm einen ganz nor­ma­len Typen, so wie er im Buche steht
Gib die­sem Typen Anony­mi­tät
Gib ihm Publi­kum, das nicht weiß, wer er ist
Du kriegst das dümms­te Arsch­loch, das man nicht ver­gisst

(Mar­cus Wie­busch – Haters Gon­na Hate)

Es gibt ver­dien­te Kol­le­gen wie Sebas­ti­an Dal­kow­ski, die sich wirk­lich die Mühe machen, denen, die sich nicht für Fak­ten inter­es­sie­ren, wei­ter­hin Fak­ten ent­ge­gen­zu­set­zen. Die all den klei­nen und gro­ßen Scheiß, den die so apo­stro­phier­ten Besorg­ten Bür­ger und ihre media­len Für­spre­cher so von sich geben, gegen­che­cken – und dafür wie­der nur Hass und Spott ern­ten. Für Men­schen wie ihn haben kett­car „Den Revol­ver ent­si­chern“ geschrie­ben, den klu­gen Schluss­song des gran­dio­sen neu­en Albums „Ich vs. Wir“, in dem sie auch die viel­leicht zen­trals­te Fra­ge unse­rer Zeit stel­len: „What’s so fun­ny about peace, love, and under­stan­ding?“

Aber selbst, wenn Sebas­ti­an ein oder zwei Men­schen über­zeu­gen soll­te (was ich, so viel Opti­mis­mus ist durch­aus noch da, ein­fach mal hof­fe), muss ich jeden Mor­gen bei ihm lesen, wel­che Sau jene Leu­te, die Voka­beln wie „Gut­men­schen“ und „Ban­hofs­klat­scher“ ver­wen­den, um damit Men­schen zu bezeich­nen, die noch nicht ganz so viel Welt­hass, Pes­si­mis­mus und Mis­an­thro­pen­tum in ihren Her­zen tra­gen wie sie selbst, jetzt wie­der durchs Dorf getrie­ben haben. Und ich weiß, dass man es als „igno­rant“ und „unpro­fes­sio­nell“ abtun kann, wenn ich all das nicht mehr hören und lesen will, aber: krank und ver­bit­tert nüt­ze ich der Welt noch weni­ger. Ich hab sechs Jah­re BILD­blog gemacht – wenn ich heu­te wis­sen will, was in Juli­an Rei­chelts Kopf wie­der schief gelau­fen ist, kann ich das bei den Kol­le­gen nach­le­sen, die unse­re Arbeit dan­kens­wer­ter­wei­se immer noch wei­ter­füh­ren. Ich muss das nicht zwi­schen den ver­ein­zel­ten Kin­der­fo­tos ent­fern­ter Bekann­ter in mei­nem Face­book-Feed haben. Das gute Leben fin­det inzwi­schen eh bei Insta­gram statt.

Ich woll­te nie gro­ße Ansa­gen machen wie „Ich hab mich jetzt bei Twit­ter abge­mel­det“ – muss ja jeder selbst wis­sen, kann ja jeder hal­ten, wie er/​sie will, wirkt auch immer ein biss­chen eitel. Nur: Face­book und Twit­ter haben mitt­ler­wei­le eine Macht, die ihren Erfin­dern kaum klar ist. Sie kom­men nicht mehr klar mit dem Irr­sinn, der dort abgeht. Und dazu kommt noch der gan­ze Quatsch, dass rich­ti­ge Medi­en ihre Inhal­te dort abkip­pen, um wenigs­tens ein paar Krü­mel abzu­be­kom­men. Natür­lich inter­es­siert es Face­book und Twit­ter kein biss­chen, wenn ihnen ein unbe­deu­ten­der Blog­ger aus Bochum alle ver­füg­ba­ren Mit­tel­fin­ger zeigt, aber: Hey, immer­hin bin ich Blog­ger! Immer­hin hab ich hier ein Zuhau­se im Inter­net. Und wenn mir einer auf den Tep­pich pisst, kann ich ihn acht­kan­tig raus­wer­fen.

Ich weiß, dass Tei­le der Welt immer schlecht waren, sind und sein wer­den – ich brau­che nicht die täg­li­che Bestä­ti­gung. Wie kön­nen es uns hier so gemüt­lich machen, wie es in die­ser Welt (die übri­gens auch ganz vie­le wun­der­vol­le Tei­le hat) eben geht. Und dann hab ich ja auch noch mei­nen News­let­ter.

Ich hab ein Kind zu erzieh’n,
Dir einen Brief zu schrei­ben
Und ein Fuß­ball Team zu sup­port­en.

(Thees Uhl­mann – 17 Wor­te)

PS: Am Meer war es übri­gens wirk­lich wun­der­schön, das kriegt kein Social Media die­ser Welt kaputt!

Gestern am Strand von Scheveningen

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Rundfunk Digital Gesellschaft

Katastrophenjournalismus-Mäander

Ich war ein etwas merk­wür­di­ges Kind und leg­te schon früh eine gewis­se Obses­si­on für Jour­na­lis­mus an den Tag, beson­ders in Kata­stro­phen­si­tua­tio­nen: als in mei­nem Hei­mat­dorf ein Gast­haus abbrann­te, schnitt mein sie­ben­jäh­ri­ges Ich in den nächs­ten Tagen alle Arti­kel dar­über aus der Zei­tung aus und edi­tier­te sie neu zusam­men, um sie in einer von mir selbst mode­rier­ten Nach­rich­ten­sen­dung (Zuschau­er: mei­ne Stoff­tie­re) zu ver­le­sen.

Mit acht sam­mel­te ich in Zei­tun­gen und Radio alle Infor­ma­tio­nen über einen Flug­zeug­ab­sturz in Ams­ter­dam, derer ich hab­haft wer­den konn­te. Nach dem Absturz eines Bun­des­wehr­hub­schrau­bers ((Die Typen­be­zeich­nung Bell UH-1D könn­te ich Ihnen ohne nach­zu­den­ken nen­nen, wenn Sie mich nachts um vier aus dem Bett klin­gel­ten – was Sie aber bit­te in unser bei­der Inter­es­se unter­las­sen!)) bei der Jugend­mes­se „YOU“ in Dort­mund, nach dem Unfall­tod von Prin­zes­sin Dia­na, nach dem ICE-Unfall von Esche­de schal­te­te ich Fern­se­her und Video­text ein und wech­sel­te jede hal­be Stun­de zum Radio, um aus den dor­ti­gen Nach­rich­ten mög­li­che neue Ent­wick­lun­gen zu ent­neh­men und – ich wünsch­te wirk­lich, ich däch­te mir das aus – zu notie­ren: Sound­so vie­le Tote, Ursa­che noch unklar, drück­te den Hin­ter­blie­be­nen an der Unfall­stel­le sein Mit­ge­fühl aus. Den 11. Sep­tem­ber 2001 ver­brach­te ich kniend auf dem Wohn­zim­mer­tep­pich mei­ner Eltern vor dem Fern­se­her, am 7. Juli 2005 ver­ließ ich mein Wohn­heims­zim­mer nicht.

Dann wur­den im August 2006 in Groß­bri­tan­ni­en zahl­rei­che Ver­däch­ti­ge fest­ge­nom­men, die Anschlä­ge auf Pas­sa­gier­ma­schi­nen geplant haben soll­ten, und nach etwa einer hal­ben Stun­de CNN und BBC schal­te­te ich den Fern­se­her aus, ging raus und dach­te „Was’n Scheiß!“

Ziem­lich exakt seit es mir tech­nisch mög­lich wäre, mich in Echt­zeit selbst über Ereig­nis­se zu infor­mie­ren, noch wäh­rend sie pas­sie­ren, wün­sche ich mir, dar­über im Geschichts­buch lesen zu kön­nen. Mit allen Erkennt­nis­sen, die im Lau­fe der Jah­re gewach­sen sind, mit his­to­ri­scher Ein­ord­nung und in genau dem Umfang, der ihnen ange­mes­sen ist: Dop­pel­sei­te, hal­be Sei­te, klei­ner Kas­ten, Fuß­no­te.

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Als ich am ver­gan­ge­nen Frei­tag die ers­te Mel­dung bekam, dass sich in Mün­chen irgend­was schlim­mes ereig­net habe, ((Bizar­rer­wei­se per Push-Benach­rich­ti­gung der BBC-App.)) guck­te ich kurz bei Face­book Live und Peri­scope rein, weil ich ja manch­mal auch für aktu­el­le Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen arbei­te und mir die­se Tech­nik mal aus einer pro­fes­sio­nel­len Per­spek­ti­ve anse­hen woll­te. Ich sah also ver­wa­ckel­te Video­bil­der, auf denen Men­schen mit erho­be­nen Hän­den in Rich­tung von Poli­zei­au­tos rann­ten, und die von einem Mann mit bay­ri­schen Akzent mit anhal­ten­dem „krass, krass“ kom­men­tiert wur­den. Die Wör­ter „Mün­chen“, „Olym­pia“, „Schüs­se“ und „Kame­ra“ bil­de­ten in mei­nem Kopf eine Linie und ich dach­te, dass man so Schei­ße wie 1972, als die Gei­sel­neh­mer dank Live-Fern­se­hen per­ma­nent über die Aktio­nen der Poli­zei infor­miert waren, ja ruhig 44 Jah­re spä­ter mit Mit­teln für den Heim­an­wen­der noch mal wie­der­ho­len kann. Ich erbrach mich kurz bei Twit­ter und tat dann das Ein­zi­ge, was mir an einem sol­chen Tag noch sinn­voll und sach­dien­lich erschien: ich ging in die Küche und mach­te Mar­mor­ku­chen und Nudel­sa­lat für einen Kin­der­ge­burts­tag.

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Der Begriff des „Zeu­gen“ ist in ers­ter Linie ein juris­ti­scher. Zeu­gen haben von den Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den (und dort von mög­lichst geschul­tem Per­so­nal) gehört zu wer­den und soll­ten nach Mög­lich­keit nicht vor lau­fen­de Kame­ras gezerrt wer­den. Schon bei einem harm­lo­sen Ver­kehrs­un­fall kann man die wider­sprüch­lichs­ten Infor­ma­tio­nen zusam­men­sam­meln, bei einer unüber­sicht­li­chen Gefähr­dungs­la­ge dürf­te die Chan­ce, tat­säch­li­chen Mehr­wert zu gene­rie­ren (der sich anschlie­ßend inhalt­lich auch noch als zutref­fend erweist), genau­so groß sein wie wenn der Mode­ra­tor im Stu­dio ein­fach mal rät, was pas­siert sein könn­te.

Zu den Leu­ten, die nach bes­tem Wis­sen und Gewis­sen aus­plau­dern, was sie gese­hen und gehört zu glau­ben haben, kom­men natür­lich noch die Idio­ten hin­zu, die sich irgend­was aus­den­ken, um auf Twit­ter oder Face­book geteilt zu wer­den – oder weil es sich ja zufäl­lig als tref­fend erwei­sen könn­te.

Auf einem der Peri­scope-Vide­os aus Mün­chen sah ich Dut­zen­de Men­schen, die alle ihre Han­dys in Rich­tung eines nicht näher ein­zu­ord­nen­den Ortes rich­te­ten, den ich jetzt ein­fach mal als „poten­ti­el­le Gefah­ren­quel­le“ bezeich­nen wür­de. Die Gei­sel­neh­mer von Glad­beck müss­ten heu­te nicht mal mehr war­ten, dass „Hans Mei­ser, deut­sches Fern­se­hen“ bei ihnen anruft oder der spä­te­re „Bild“-Chefredakteur Udo Röbel zu ihnen ins Auto steigt.

Neben all dem fin­det man in den Sozia­len Netz­wer­ken natür­lich auch die Bes­ser­wis­ser: ((Zu denen ich in der Blü­te der Arro­ganz von Jugend und Inter­net­glau­ben auch gehört habe.)) das Fern­se­hen soll mehr berich­ten, das Fern­se­hen soll weni­ger berich­ten, die Poli­ti­ker sol­len sich gefäl­ligst jetzt äußern. Fast wür­de man die­sen Leu­ten ein „Macht’s bes­ser!“, ent­ge­gen schrei­en wol­len, wenn man nicht davon aus­ge­hen müss­te, dass sie schon im Glau­ben sind, auf ihren Pro­fi­len genau das zu tun.

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Wäh­rend etwas geschieht, ist man in aller Regel nicht in der Lage, die Dimen­si­on die­ses Ereig­nis­ses auch ein­zu­schät­zen. Das gilt für die ers­te Begeg­nung mit der spä­te­ren gro­ßen Lie­be genau­so wie für Nach­rich­ten. Es hat sich mir förm­lich ins Hirn gebrannt, wie ich mit fünf Jah­ren ver­se­hent­lich eine Aus­ga­be der „Aktu­el­len Stun­de“ mit­krieg­te, die vom Absturz eines US-Kampf­flug­zeugs in einer Stadt namens Rem­scheid berich­te­te. ((Note to self: Nie­mals Nach­rich­ten gucken, wenn das Kind in der Nähe ist.)) Die Wor­te „Flug­zeug­ab­sturz“ und „Rem­scheid“ sind für mich seit­dem untrenn­bar seman­tisch mit­ein­an­der ver­bun­den, obwohl ich bis heu­te nicht sagen könn­te, wo Rem­scheid liegt. ((An der A1 zwi­schen Wup­per­tal und Köln, aber was weiß ich, wo die A1 lang führt – und wo zum Hen­ker liegt über­haupt Wup­per­tal, außer halt süd­lich des Ruhr­ge­biets?)) Die aller­meis­ten Men­schen, die die­se Nach­richt damals zur Kennt­nis genom­men haben und nicht direkt von dem Absturz betrof­fen waren, dürf­ten sie kom­plett ver­ges­sen haben – die dama­li­gen Mode­ra­to­ren der „Aktu­el­len Stun­de“ inklu­si­ve. Für die Stadt Rem­scheid dürf­te der Tag eine deut­lich grö­ße­re Bedeu­tung haben als für die US Air Force. Und allein die Tat­sa­che, dass ich die Fak­ten dazu jetzt ganz schnell nach­schla­gen konn­te, gibt dem Unglück ja eine gewis­se Wer­tung: Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass am glei­chen Tag auf den Stra­ßen in NRW mehr Todes­op­fer bei Auto­un­fäl­len zu bekla­gen waren – Anfang Dezem­ber, viel­leicht Blitz­eis? – als die sie­ben beim Flug­zeug­ab­sturz, aber dazu gibt es halt kei­nen Wiki­pe­dia-Ein­trag.

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Als ich noch rela­tiv klein war, lief ein psy­chisch kran­ker Mann mit einer Schuss­waf­fe durch die Dins­la­ke­ner Innen­stadt, schoss auf Poli­zis­ten und erschoss sich am Ende in einer Gara­ge. Jeden­falls ist es das, wor­an ich mich sehr dun­kel – und aus­schließ­lich auf Erzäh­lun­gen mei­ner Mut­ter an jenem Tag basie­rend – erin­ne­re. Ich bil­de mir ein, dass es im Herbst 1991 gewe­sen sein müss­te, aber ich habe ehr­lich gesagt kei­ne Ahnung – um das gan­ze irgend­wie veri­fi­zie­ren zu kön­nen, müss­te ich nach Dins­la­ken fah­ren und in den Archi­ven der Lokal­re­dak­tio­nen von „NRZ“ und „Rhei­ni­scher Post“ meter­wei­se Mikro­film sich­ten. Angeb­lich war auch das Fern­se­hen vor Ort, viel­leicht fän­de ich etwas im Kel­ler von RTL West.

Nur zehn Jah­re spä­ter hät­te die­ses Ereig­nis zumin­dest ein paar Arti­kel in Online-Medi­en nach sich gezo­gen, die ich jetzt ergoo­geln könn­te. Zwan­zig Jah­re spä­ter hät­te es ver­mut­lich schon so viel Social-Media-Buzz erzeugt, dass man die Ent­wick­lun­gen auch in einer fer­nen Zukunft noch minu­ten­ge­nau nach­voll­zie­hen könn­te – oder halt beim Nach­le­sen genau­so ahnungs­los ist, als wäre man selbst dabei. Und in die­ser Woche wäre es nicht unter einem „Brenn­punkt“ und einer Soli­da­ri­täts­adres­se min­des­tens eines aus­län­di­schen Spit­zen­po­li­ti­kers auf Twit­ter pas­siert. Der ört­li­che Poli­zei­pres­se­spre­cher hät­te sich auch ande­re Fra­gen anhö­ren müs­sen.

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Schon seit eini­gen Jah­ren erwähnt Barack Oba­ma, wenn er wie­der mal mit zit­tern­der Unter­lip­pe ein State­ment zu einer Mas­sen­schie­ße­rei in den USA abge­ben muss, dass er bereits zu vie­le State­ments zu einer Mas­sen­schie­ße­rei in den USA abge­ge­ben habe.

Nun bin ich – Gott sei Dank – nicht der US-Prä­si­dent und glau­be auch nicht, dass es irgend­wel­che grö­ße­ren Aus­wir­kun­gen hat, wenn ich hier mei­ne Mei­nun­gen zu Medi­en­be­rich­ten nach schreck­li­chen Ereig­nis­sen ver­öf­fent­li­che, aber auch ich habe schon viel zu oft mei­ne Mei­nung zu Medi­en­be­rich­ten nach schreck­li­chen Ereig­nis­sen ver­öf­fent­licht: