Kategorien
Digital

Skandale abblasen mit der “WAZ”

Wir müssen nochmal auf die Ankündigung des Ryanair-Chefs Michael O’Leary zurückkommen, seine Airline werde bald Transatlantikflüge mit “beds and blowjobs” anbieten. Das hatte ja zumindest die “WAZ” am vergangenen Mittwoch berichtet.

Zum einen habe ich inzwischen den Hinweis erhalten, der Ausdruck sei zumindest im Irischen einigermaßen umgangssprachlich für “vollendeten Service”, was bedeuten würde, dass es sich bei der Ankündigung streng genommen noch nicht mal um einen “Witz”, sondern schlicht um ein kulturelles Missverständnis gehandelt hätte. Da man aber von deutschsprachigen Journalisten keine Tiefenkenntnisse in speziellerer irischer Umgangssprache erwarten kann, soll uns dieses Detail mal egal sein.

Zum anderen aber bleibt die “WAZ” auch in ihrem Internetportal derwesten.de weiterhin bei ihrer Darstellung. Katharina Borchert, Chefredakteurin bei derwesten.de, hatte mir am vergangenen Donnerstag auf Anfrage mitgeteilt, es werde nach Rücksprache mit dem Autor einen Beitrag im Korrekturblog und einen entsprechenden Hinweis darauf unter dem eigentlichen Artikel geben, von beidem fehlt aber bisher jeder Spur.

Wolfgang Pott, der Autor des besagten Artikels, hat auf meine E-Mail vom Donnerstag bisher gar nicht nicht reagiert. Das muss er natürlich nicht, aber es wäre ja schon interessant gewesen zu erfahren, ob während der Pressekonferenz davon auszugehen war, dass Michael O’Leary seine Ankündigung ernst gemeint haben könnte; ob die “WAZ” sich noch einmal bei Michael O’Leary oder anderen Ryanair-Verantwortlichen nach der Ernsthaftigkeit der Ankündigung erkundigt hatte, und ob die “WAZ” den Scherz als solchen aufklären werde. (Letzteres lässt sich mithilfe des Onlineauftritts und der Zeitungen der letzten Tage natürlich auch ganz leicht selber mit “vermutlich nicht” beantworten.)

Sogar bei Bild.de, wo die Geschichte am Donnerstag aufgegriffen hatte, hat man herausfinden können, dass O’Learys Ankündigung nicht ganz ernst gemeint war. Mehr noch: das Video, das Bild.de von der Pressekonferenz veröffentlicht, verweist einen weiteren Satz des “WAZ”-Artikels ins Reich der künstlerischen Freiheit.

Sogar die Pressesprecherin zu seiner Linken verschluckt sich beinahe, wollte sie doch gerade am Wasserglas nippen.

Von der lauen Anspielung mal ab: die Pressesprecherin neben Michael O’Leary will im Video weder “gerade am Wasserglas nippen”, noch “verschluckt” sie sich “beinahe” – sie lächelt vielmehr höflich, während ihr Chef seine Sprüche reißt.

Überhaupt, das Korrekturblog des Westens: Nähme man es ernst, hätte “Der Westen” seit seinem Start im vergangenen Oktober ganze sechs Fehler gemacht – davon drei, die aufs Konto der Technik gehen.

Kategorien
Digital

Klickbefehl (12)

Es ist ein trauriges Schauspiel, das online zu beobachten ist. Titel: Wie nutze ich das Internet, um meine Wut zu offenbaren. In einer der Hauptrollen: Udo Ulfkotte, prominenter Vertreter der vernetzten Islamkritiker, verantwortlich für die Seite “akte-islam” und Gründer der Bürgerbewegung pax-europa samt dazugehöriger Homepage.

Die “taz” (seit Montag übrigens mit RSS-Feed und daher inzwischen auch von mir regelmäßig gelesen) schaut sich in den islamophoben Hassblogs von “Politically Incorrect” bis “Akte Islam” um und verlinkt sogar einige davon.

* * *

Autor Leif verteidigt sich. Zu SPIEGEL ONLINE sagt er: “Ich würde entschieden bestreiten, thesenorientiert zu arbeiten.” Schließlich seien in seinem Film auch der Chef des Bundes der Zeitungsverleger in Deutschland und andere Verleger zu Wort gekommen.

“Spiegel Online” berichtet, dass sich der Fernsehausschuss des SWR-Rundfunkrats mit Beschwerden über Thomas Leifs unfassbar peinlichen Propagandafilm “Quoten, Klicks und Kohle” befassen muss.

* * *

As more and more Americans weigh canceling their summer vacation because of the highest gasoline prices since the dinosaurs gave their lives to form the stuff, while airlines–charging to check a bag, interminable delays, planes as packed as the Tokyo subway–seem determined to make getting away as unpleasant as possible, psychologists recommend doing all you can to preserve at least a short getaway.

Sharon Begley erklärt in “Newsweek”, warum Sex im Urlaub besser ist als zuhause. Das klingt weder nach neuen, noch nach spektakulären Erkenntnissen, aber der Text ist (s.o.) durchaus gewitzt formuliert.

* * *

Why? Why the huge response? Some of it was the topic — so many people wrote me of their experiences. This has continued right up until this past weekend, when a teenaged girl told me she had been a victim of child abuse and that she really identified with the character. This was astonishing to me — that so many people from so many cultures from all over the world, including here in America, identified with the character. I had believed it was about a small personal issue, but Ron had been correct: it was about a huge social one.

Suzanne Vega erklärt im “Measure For Measure”-Blog der “New York Times”, wie es zu ihrem Welterfolg “Luka” kam, und warum sie mit dem Ruf eines two-hit wonders leben kann.

Kategorien
Digital

Zum Skandal aufgeblasen

Im Onlinejournalismus gibt es eine Faustregel: Wo “Skandal” drüber steht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendetwas faul. Was also erwarten Sie, liebe Leser, bei dieser Überschrift von derwesten.de?

Skandal: Ryanair will Passagieren Sex-Angebote machen. Düsseldorf. Michael O\'Leary, Vorstandschef von Europas größter Billigfluglinie Ryanair, sorgte auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf für einen handfesten Skandal.

Auf der Pressekonferenz hatte Ryanair Flüge in die USA für 10 Euro in der Economy Class in Aussicht gestellt.

In der Business-Klasse kündigte O’Leary dann einen ganz besonderen Service an. “Da wird es dann noch ‘Betten und Blowjobs’ extra für die Fluggäste geben.”

Wie “handfest” ((Hihihi.)) der “Skandal” ist, lässt sich vielleicht schon daran ablesen, dass Google News zur Stunde keine einzige Meldung darüber findet. ((Dass derwesten.de auch ein halbes Jahr nach seinem Start noch nicht für die Nachrichten-Suche von Google indiziert ist, ist eine andere Geschichte, für die bei der WAZ-Gruppe eigentlich ein paar Köpfe rollen müssten. Wenn es denn dort mal jemand bemerkte.))

Beim Ramsch-Nachrichtenaggregator shortnews.de, wo man die Meldung von derwesten.de aufgegriffen hatte, schrieb dann auch ein Kommentator:

“Bed and Blowjob” ist umgangssprachlich und bedeutet soviel wie Spitzenkomfort. Er hätte auch sagen können man wird in den Schlaf gewiegt oder es wird einem eine GutenachtGeschichte vorgelesen.

Zugegeben: das wäre mir auch mit meinem Abschluss in Anglistik nicht bekannt gewesen. Erste Umfragen im Bekanntenkreis ergaben auch, dass “umgangssprachlich” wohl ein wenig übertrieben sein könnte.

Das “Urban Dictionary” erklärt “Bed & Blowjob” so:

A seedy hotel. The kind of place that may even rent rooms by the hour. A place you take a chick to solely for sex.

Einig sind sich aber alle Quellen darüber, dass die Aussage des für seine krawalligen Promo-Auftritte und seinen abseitigen Humor bekannten Ryanair-Chefs wohl auf keinen Fall wörtlich zu nehmen seien.

Möglicherweise ist die “Skandal”-Offensive bei derwesten.de und die anschließende Meditation über den Begriff “Blowjob” aber auch Teil des Angriffs auf “RP Online”, zu dem Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, kürzlich geblasen ((Hihihihi.)) hatte.

Nachtrag, 18. Juni 00:25 Uhr: derwesten.de hat was geändert. Aus der 14-zeiligen Meldung ist ein ganzer Artikel geworden, den Sie heute wohl auch in der gedruckten “WAZ” lesen können, und die Überschrift sieht auch ganz anders aus:

Billigflieger: O\'Leary – der Flegel der Lüfte

Die Kommentare darunter beziehen sich natürlich noch auf die alte Meldung, was aber auch relativ egal ist, da der Autor Wolfgang Pott auch in seinem neuen Langtext die Aussagen von Michael O’Leary nur allzu wörtlich nimmt:

Diese Flüge würden inklusive Sex zwischen 4000 und 5000 Euro kosten, sagt O’Leary.

Der Umstand, dass weder “Bild” noch “Express” (bisher) über diesen “Skandal” berichten und sich selbst das Boulevardblatt “Rheinische Post” zu dem Thema ausschweigt, sollte der “WAZ” zu denken geben.

Jens weist übrigens im Pottblog darauf hin, dass derwesten.de entgegen meiner Aussagen “sehr wohl” bei Google News auftauche. Eine kurze Stichprobe meinerseits mit den Suchbegriffen “Ryanair”, “Dinslaken”, “Bochum” und “Ulrich Reitz” (Chefredakteur der “WAZ”) erbrachte exakt drei Treffer von derwesten.de in den letzten zwölf Stunden (alle drei bei “Bochum”). Das würde ich in einem Moment großer Güte und Gelassenheit als “ausbaufähig” bezeichnen.

Nachtrag, 18. Juni 16:10 Uhr: oe24.at (es sind meistens die Österreicher) hatte die Meldung ursprünglich unter dem Titel “Ryanair bietet bald Übersee-Flüge inklusive Sex” aufgegriffen. Der Artikel klingt nun ganz anders und heißt jetzt “Übersee-Flüge inklusive Sex nur Scherz”.

Noch spannender ist allerdings, dass es bei derwesten.de einen weiteren Artikel zum Thema gibt – allerdings aus der “NRZ” und nicht aus der “WAZ”. Dort heißt es:

Und in der Business-Klasse werde es einen Extra-Service für reiche Reisende geben: „Betten und Blowjobs”. – Der Ryanair-Chef grinst über seinen vermeintlichen Scherz zu seinen US-Flugplänen so breit, wie sich die Golden Gate Bridge über die Bucht von San Francisco spannt.

Ein “vermeintlicher Scherz”, aha. (Und die Golden Gate Bridge überspannt natürlich nicht wirklich die San Francisco Bay, sondern die namensgebende Meerenge, die zwischen Bay und Pazifik liegt.)

Nachtrag, 18. Juni 23:50 Uhr: Es ist wohl endlich ein Journalist auf die Idee gekommen, mal bei Ryanair nachzufragen. Die österreichische “Kronenzeitung” war’s:

“Das kann ich nicht bestätigen, das sind definitiv nicht die Pläne von Herrn O’Leary”, sagte eine Ryanair-Pressesprecherin am Mittwoch auf Anfrage. Es habe sich schlicht um einen Witz gehandelt.

Einen schönen Gruß nach Essen gab’s auch noch:

“Viele Leute haben darüber gelacht”, sagte die Pressesprecherin. Doch offenbar haben nicht alle den Witz als Witz verstanden.

Auch shortnews.de stellte daraufhin richtig – natürlich ohne Hinweis in der Ursprungsmeldung.

Kategorien
Digital

Wörterbuch Onlinejournalismus: “Vermischtes”

Falls Sie sich immer schon gefragt haben, was das eigentlich so für Themen sind, die unter dem eher allgemein gehaltenen Rubrum “Vermischtes” zusammengefasst werden: welt.de erklärt es Ihnen gerne!

Die aktuelle Top Story der Kategorie geht so:

Urlaubsflirt - Von türkischen Gigolos und deutscher Einsamkeit

Es gibt natürlich auch noch andere Themen:

Erotikmagazin für Frauen - Im weiblichen Kopfkino der Lust

Neben aktuellen Artikeln gibt es natürlich auch Kolumnen:

Kolumne: Ab 18

Kolumne: Heartcore

Nicht fehlen darf natürlich die Königsdisziplin des Onlinejournalismus, die Bildergalerie:

Bildergalerien

(Achtung: Mindestens eines der Themen passt übrigens nicht zu den anderen.)

Immer mehr Leute reden vom “Mitmachweb”, weswegen der Besucher von welt.de in einem “Wissenstest” auch selbst aktiv werden kann:

Mitmachtest: Wie benehmen Sie sich im Bett?

Zuguterletzt gibt es noch ein Bilderquiz. Oder derer sechs, um genau zu sein.

Glauben Sie mir, ich wünschte mir auch, ich hätte mir das hier nur ausgedacht:

Bilderquiz

[Alle Screenshots: welt.de, heute um 15:50 Uhr]

Kategorien
Musik Digital

Sex sells anything

Amazon.de meint derzeit, preiswerte CDs unter der Überschrift “Sex-Symbole” verkaufen zu müssen.

Da finden sich dann naheliegende Kandidatinnen wie Nelly Furtado, Sugababes, Rihanna, Shakira, Vanessa Paradis oder Natalie Imbruglia; bedingt nachvollziehbares wie Avril Lavigne, Christina Aguilera, Kylie Minogue, Ashanti, Robbie Williams oder Ronan Keating; bereits Verstorbene wie Elvis Presley und Aaliyah; in Würde Gealterte (Brigitte Bardot, Jane Birkin, Leonard Cohen, Bob Dylan, Tom Jones, Eurythmics) und nur Gealterte (Kim Wilde, Tommy Lee, Billy Idol, Aerosmith, Skid Row, Rod Stewart, Tina Turner). Es gibt Unvermeidliches wie Britney Spears und Madonna, special interests wie Shania Twain, Loona, Michelle, Evanescence und Roger Cicero – und es gibt von mir hoch verehrte Künstler, die ich in diesem Kontext nun wirklich nicht erwartet hätte: The Clash und Ben Folds.

Kategorien
Digital

Hauptsache schön verpackt

Mein Search-Engine-Optimizer hat mir geraten, mehr User Generated Workflow in einem Mashup zu parsen und Private Equitana im Random Access unter Protection zu halten.

Anders ausgedrückt: Wir probieren mal was ganz crazy neues – eine Videokolumne. Hat es so noch nie gegeben. Nirgends. Wird aber im Erfolgsfalle trotzdem fortgesetzt.

Heute geht’s um ganz heiße Sachen:

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

[Direktlink zu YouTube]

Kategorien
Leben Gesellschaft

Nimm mich, holdes Marzipan

Werbeplakat am Union Square, San Francisco, CA (November 2006)

Es ist wieder soweit: In den Supermärkten stehen Lebkuchen, Spekulatius und Marzipankartoffeln zur Abholung bereit und die Menschen stehen davor und sagen: “Guck mal, Heinz, es gibt schon wieder Weihnachtsgebäck!

Das wirft die Frage auf, wo diese Menschen die letzten drei Wochen Einkaufen waren, denn Weihnachtsgebäck gibt es bereits seit Ende August wieder zu kaufen. Ich habe schon mehrere Pakete Lebkuchenherzen, -sterne und -brezeln gekauft und diese mit Freuden verspeist. Das Wetter passt, mir schmeckt das Zeugs einfach und ich habe als (noch) freier Bürger wenig Lust, mir von planwirtschaftlich operierenden Backwarenkonzernen vorschreiben zu lassen, wann ich welche Art Gebäck verzehren möchte. Außerdem gehe ich durch frühzeitigen Verzehr sicher, dass mir Printen, Dominosteine und Pfeffernüsse spätestens zu Nikolaus zum Halse raushängen und ich mich in der eigentlichen Weihnachtszeit voll und ganz auf den Verzehr fetter Braten, dicker Klöße und hausgemachter Apfelkompötte konzentrieren kann.

Da sich der Erstverkaufstag der Weihnachtsgebäcke in den letzten Jahren nur minimal nach vorne verschoben haben dürfte, besteht indes kein Grund, in diesem Jahr wieder Kolumnen und Editoriale mit dem Hinweis zu füllen, dass es ja schon im September Lebkuchen und Stollen zu kaufen gäbe und ob das nicht etwas früh sei. Dieses Thema ist so ausgelutscht wie die Tomatensaftglosse der Neunziger Jahre. Wenn Ihr irgendwas Witziges “aus dem Leben” verarbeiten wollt, müsst Ihr wohl oder übel mal Eure Schreibstuben verlassen, liebe Kollegen, und mal eine Viertelstunde real life auschecken. Supermarktkassen sind da z.B. eine töfte Inspirationsquelle – aber bitte nicht darüber schreiben, dass man immer in der langsameren Schlange steht!

Was mich am vorweihnachtlichen Geschäftsgebaren irritiert, ist etwas völlig anderes: Letztes Jahr fiel mir erstmals auf, dass diverse Modeketten und Versandhäuser, aber auch Kaffeeröster, etwa ab November die Innenstädte mit leichtbekleideten Frauen zuplakatierten. Auf riesigen Plakatwänden und in Schaufenstern wurde die Sorte Damenunterwäsche angepriesen, die eigentlich nur schreit “Hallo Schatz, sieh mal, ich hab mich hübsch gemacht und jetzt nimm mich, holder Recke!” Mir war zuvor nie aufgefallen, dass Weihnachten ein derart plakativ angegangenes Sex-Spektakel sein könnte – auch wenn das erklären würde, warum so viele Freunde von mir im September Geburtstag haben.

Diese Jahr, jedenfalls, schmücken die Push-Up-BHs, Hemdchen, Höschen, Tangas, Hot Pants und Korsagen schon im September die Schaufenster völlig seriöser Bekleidungsgeschäfte und wer sagt, das sei sexistisch, hat natürlich völlig Recht: Überall nur halbnackte Frauen und nirgends werden Produkte für den Herrn angeboten, der sich hübsch machen will.