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US-Bands auf Harte-Tour

Krieg sei Got­tes Weg, den Ame­ri­ka­nern Geo­gra­phie bei­zu­brin­gen, hat Jon Ste­wart mal in der „Dai­ly Show“ gesagt. Dass es nicht genug wäre, die Lage und Umris­se irgend­wel­cher Län­der auf einer Welt­kar­te wie­der­zu­fin­den, müs­sen gera­de eini­ge US-Bands ler­nen. Wie das dann halt so oft der Fall ist: auf die har­te Tour.

Die von mir immer noch sehr ver­ehr­ten Kil­lers haben am Diens­tag­abend in Batu­mi an der geor­gi­schen Schwarz­meer­küs­te gespielt. Wie es Bands manch­mal tun, hol­ten sie für den Song „For Reasons Unknown“ einen Fan auf die Büh­ne, der bei dem Lied Schlag­zeug spie­len soll­te. Sän­ger Bran­don Flowers hat­te wohl eine gewis­se Vor­ah­nung, als er ins Mikro­fon sprach: „We don’t know the eti­quet­te of this land but this guy’s a Rus­si­an. You OK with a Rus­si­an coming up here?“

[Video bei Twit­ter anschau­en.]

Man könn­te es als nahe­zu klas­si­sche ame­ri­ka­ni­sche Unbe­darft­heit beschrei­ben, in einem Land, das zu 20 Pro­zent von Russ­land besetzt ist, mit der Ver­ve eines Feri­en­club-Ani­ma­teurs zu fra­gen, ob es okay sei, einem Staats­bür­ger der Besat­zungs­macht eine buch­stäb­li­che Büh­ne zu bie­ten.

Offen­bar nach dem Auf­tritt des Rus­sen ver­such­te sich Flowers an einem völ­ker­ver­bin­den­den Appell, indem er das Publi­kum frag­te, ob es den Mann nicht als sei­nen „Bru­der“ akzep­tie­ren kön­ne, und mit einer Mischung aus ca. zwei Drit­tel Unver­ständ­nis und einem Drit­tel Ben­zin nach­hak­te: „We all sepa­ra­te on the bor­ders of our count­ries? Am I not your brot­her, being from Ame­ri­ca?”

Ein wei­te­res Video bei Twit­ter zeigt recht beein­dru­ckend, wie die Stim­mung in der Are­na hin und her kippt.

Das Publi­kum ver­ließ offen­bar in grö­ße­ren Tei­len die Black Sea Are­na, die Band spiel­te das Kon­zert aber zu Ende – wobei sich die durch „For Reasons Unknown“ schon anmo­de­rier­te Iro­nie in den fol­gen­den Titeln „Runa­way Hor­ses“ und „Runa­ways“ end­gül­tig Raum brach.

Nun kann man natür­lich dar­über dis­ku­tie­ren, ob es in Ord­nung ist, einen Mann aus­zu­bu­hen, von dem man außer sei­ner Staats­bür­ger­schaft nichts weiß – dies aus dem wohl tem­pe­rier­ten, unge­fähr­de­ten Wohn­zim­mer in Deutsch­land oder den USA zu tun, wäre aber wohl­feil. Als die rus­si­sche Sän­ge­rin Poli­na Gaga­ri­na 2015 beim ESC in Wien aus­ge­buht wur­de, als ob sie per­sön­lich im Jahr zuvor die Krim annek­tiert hät­te, konn­te man das mit eini­ger Begrün­dung unge­recht fin­den – aber eigent­lich auch nur, weil es in Öster­reich geschah und nicht in der Ukrai­ne oder in Geor­gi­en.

Dass er mit sei­nem theo­re­tisch vor­bild­lich huma­nis­ti­schen „Sind wir nicht alle Brü­der und Schwestern?!“-Vortrag in einem teil­wei­se besetz­ten Land prak­tisch lei­der die intel­lek­tu­el­le Flug­hö­he von „Jetzt stimmt doch end­lich Frie­dens­ver­hand­lun­gen zu!“-Appellen von eini­gen deut­schen Kul­tur­sze­ne­fi­gu­ren, AfD-Mit­glie­dern und Sahra Wagen­knechts an die Adres­se der Ukrai­ne (also: unter­halb des Radars des Fak­ti­schen) gestreift hat­te, ist Flowers immer­hin schnell auf­ge­fal­len. Am Mitt­woch ver­öf­fent­lich­te die Band ein State­ment auf Twit­ter (oder wie der Bums jetzt heißt), in dem die Band ihr Bedau­ern aus­drück­te:

The Killers bei Twitter: Good people of Georgia, it was never our intention to offend anyone! We have a longstanding tradition of inviting people to play drums and it seemed from the stage that the initial response from the crowd indicated that they were okay with tonight

(Bonus­punk­te für die sonst bei öffent­li­chen Abbit­ten eher sel­ten anzu­tref­fen­de Gabe, einer­seits auf feh­len­de Absicht zu ver­wei­sen, sich ande­rer­seits aber trotz­dem zu ent­schul­di­gen – und zwar ohne einen blö­den Zusatz wie „soll­te sich jemand betrof­fen füh­len“!)

Den Lern­pro­zess noch vor sich haben Ima­gi­ne Dra­gons, die lus­ti­ger­wei­se wie die Kil­lers aus Las Vegas, Neva­da kom­men, angeb­lich ähn­li­che Musik machen, für mich aber eine der schlimms­ten Bands der Welt sind. Ihre Musik soll hier aber kei­ne Rol­le spie­len, denn sie haben ganz ande­ren Ärger an der Backe: Serj Tan­ki­an, Sän­ger der arme­nisch­stäm­mi­gen ame­ri­ka­ni­schen Rock­band Sys­tem Of A Down, hat sie öffent­lich auf­ge­for­dert, ihr für Sep­tem­ber geplan­tes Kon­zert in der aser­bai­dscha­ni­schen Haup­stadt Baku abzu­sa­gen.

Tan­ki­an, der auch schreibt, die Band zunächst direkt kon­tak­tiert zu haben (auch hier: Bonus­punk­te für anstän­di­ges Ver­hal­ten!), führt in sei­nem Face­book-Post aus, dass Aser­bai­dschan (genau­er: das „petro-olig­ar­chic dic­ta­to­ri­al regime“ des Lan­des, eine rund­her­um ange­mes­se­ne For­mu­lie­rung) im Gebiet Nagor­ny Kara­bach, des­sen Zuge­hö­rig­keit zu wahl­wei­se Arme­ni­en oder Aser­bai­dschan seit Jahr­zehn­ten, wenn nicht Jahr­hun­der­ten umstrit­ten ist, gera­de einen Völ­ker­mord an den dort leben­den Armenier*innen ver­übe: Die Men­schen sol­len sys­te­ma­tisch und buch­stäb­lich aus­ge­hun­gert wer­den; seit Juli darf nicht mal mehr das Rote Kreuz zur huma­ni­tä­ren Hil­fe in die Regi­on (mehr zu der aktu­el­len Lage hier). Dabei ver­weist Tan­ki­an auch auf eine Online-Peti­ti­on, die die Band zum Umden­ken bewe­gen soll.

Auch hier könn­te man jetzt über das Für und Wider einer sol­chen Peti­ti­on spre­chen: Man könn­te sich auf die Posi­ti­on zurück­zie­hen: „Don’t mix pop with poli­tics“. Man könn­te auf Bruce Springsteen in Ost-Ber­lin ver­wei­sen oder west­li­che Rock­bands, die in den 1980er Jah­ren in der Sowjet­uni­on gespielt haben. Aber auch hier wäre das ein­zig pas­sen­de Adjek­tiv wie­der: „wohl­feil“. Alles, wirk­lich alles, was an öffent­lich­keits­wirk­sa­men Ereig­nis­sen in Aser­bai­dschan geschieht, kommt dem Regime um Macht­ha­ber Ilham Ali­jev zugu­te – jedes Kon­zert von Rihan­na oder Shaki­ra, jedes Auto­rennen, jedes inter­na­tio­nal bedeut­sa­me Fuß­ball­spiel, jede sons­ti­ge Sport­ver­an­stal­tung. Und natür­lich auch ein wohl­wol­len­der Emp­fang beim deut­schen Bun­des­kanz­ler.

Aserbaidschan, 2012

Ich war vor elf Jah­ren in Baku, als die Lage im Land schon sehr, sehr schlimm war – und alle, die sich mit der Situa­ti­on dort aus­ken­nen, sagen, dass alles seit­dem noch viel, viel schlim­mer gewor­den ist. Es tut mir leid für die Men­schen im Land, die ich als wahn­sin­nig gast­freund­lich und stolz erlebt habe, und ich wün­sche ihnen alle Kraft, um die Ver­hält­nis­se in ihrem Land zu ändern (and the choir goes: „wohl-feil!“), aber ange­sichts des Elends der Armenier*innen in Nagor­ny Kara­bach scheint mir der Ver­zicht auf ein Rock­kon­zert mehr als akzep­ta­bel. Und Ima­gi­ne Dra­gons könn­ten ihre Popu­la­ri­tät nut­zen, um auf die Miss­stän­de im Land auf­merk­sam zu machen.