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Leben Politik

I’m With Stupid

Abizeitungs-Verkauf anno 2002

Ich habe ein NRW-Abi. Das allei­ne ist oft genug Grund für Hohn und Spott, den man sich von Men­schen anhö­ren muss, die in ihrer Schu­le alles, außer Hoch­deutsch gelernt haben.

Das Abitur nord­rhein-west­fä­li­scher Gym­na­si­en hat­te einen Ruf, der nur mar­gi­nal bes­ser ist als der von ukrai­ni­schen Stein­pil­zen in den 1980er Jah­ren oder der von Fran­jo Pooth heu­te. Das lag vor allem an einer desas­trö­sen Schul­po­li­tik, die die SPD über Jahr­zehn­te betrie­ben hat­te – wobei das irgend­wie schon zu akti­visch klingt: die Schul­po­li­tik war eher irgend­wie gesche­hen. Die zur Zeit mei­nes Abitur zustän­di­ge Schul­mi­nis­te­rin Gabrie­le Beh­ler war so unbe­liebt, dass unser Phy­sik­leh­rer bei Ver­su­chen zur Flug­bahn von Dart­pfei­len vor­schlug, die Ziel­schei­be mit einem Foto der Minis­te­rin zu bekle­ben.

Nach­dem man in NRW all­ge­mein zu der Ein­sicht gelangt war, dass die rot-grü­ne Lan­des­re­gie­rung ein kaum repa­rier­ba­res und vor allem nicht zu über­bie­ten­des Desas­ter ange­rich­tet hat­te, ent­schied man sich im Mai 2005 dazu, einer neu­en, schwarz-gel­ben Lan­des­re­gie­rung die Gele­gen­heit zu geben, das Desas­ter eben doch noch zu über­bie­ten. War Ger­hard Schrö­der 1998 mit der Ansa­ge ins Kanz­ler­amt ein­ge­zo­gen, er wer­de nicht alles anders machen, aber vie­les bes­ser, hieß es bei CDU und FDP plötz­lich: alles anders, aber nichts bes­ser.

Da Bun­des­län­der mit Zen­tral­ab­itur bei Tests bedeu­tend bes­ser abge­schnit­ten hat­ten, brauch­te NRW plötz­lich auch eines – und zwar sofort und ohne wei­ter groß dar­über nach­zu­den­ken. Das ers­te Zen­tral­ab­itur im Jahr 2007 litt unter feh­ler­haf­ten Auf­ga­ben­stel­lun­gen und ande­ren „Kin­der­krank­hei­ten“, wie es ger­ne bei schlecht ange­lau­fe­nen Neu­hei­ten heißt. Aber 2008, da soll­te alles bes­ser wer­den (und ver­mut­lich man­ches anders).

Es ist, Sie ent­neh­men es mei­ner umständ­li­chen Anmo­de­ra­ti­on, alles noch viel, viel schlim­mer gekom­men. „Spie­gel Online“ hat die gröbs­ten Schnit­zer in den Fra­ge­stel­lun­gen zusam­men­ge­stellt und berich­tet von einer Schu­le, wo von 84 Abitu­ri­en­ten 74 in die Nach­prü­fung müs­sen. Da ist man wirk­lich froh, wenn man sein Doo­fen-Abi schon hat.

Eine Schü­le­rin aus einem Eng­lisch-LK wird mit den fol­gen­den Wor­ten zitiert:

„Mei­ne Leh­re­rin mein­te, das lie­ge nur dar­an, dass sie die Ant­wor­ten vom Minis­te­ri­um als Vor­la­ge neh­men muss“, sagt Desi­ree, „sonst hät­te ich 13 Punk­te von ihr bekom­men – weil ich einen rich­ti­gen, aber ande­ren Gedan­ken­gang hat­te als das Minis­te­ri­um.“

Und wäh­rend die Lan­des­schü­ler­ver­tre­tung wenigs­tens eine Ent­schul­di­gung von Schul­mi­nis­te­rin Bar­ba­ra Som­mer for­dert, kün­digt die wei­te­re Refor­men an, mit denen sie die Eigen­ver­ant­wor­tung der Schu­len stär­ken will. Dass ich Eigen­ver­ant­wor­tung und Zen­tral­ab­itur für irgend­wie wider­sprüch­li­che Kon­zep­te hal­te, liegt ver­mut­lich an mei­nem NRW-Abitur.

Kom­men wir zum Schluss noch zu mei­ner Lieb­lings­pas­sa­ge aus dem SpOn-Arti­kel, vor deren Lek­tü­re ich Sie aller­dings bit­ten muss, kurz zu über­prü­fen, ob die Tisch­plat­te, in die Sie gleich bei­ßen wer­den, auch ihre eige­ne ist:

Bei einer Päd­ago­gik-Auf­ga­be zu Sig­mund Freud hat­ten die Autoren aus „Gefüh­len, die uns bewusst sind“, ein „unbe­wusst“ gemacht und so den Sinn ins Gegen­teil ver­kehrt. Bar­ba­ra Som­mer: „Rück­mel­dun­gen haben erge­ben, dass vie­le Schü­ler auch schon vor der Kor­rek­tur­mit­tei­lung das ‚un‘ über­le­sen haben und den Satz rich­tig ver­stan­den hat­ten.“