Kategorien
Literatur Print

Restposten der spätkindlichen Infantilgesellschaft

Ich weiß nicht, ob Sie’s mitbekommen haben, ((Hahahahaha.)) aber es gibt da ja gerade eine neue deutsche Literatursensation, die die großen jungen deutschen Literatursensationen der vergangenen Dekaden, “Crazy” und “Feuchtgebiete” kurzschließt: “Axolotl Roadkill” von Helene Hegemann (17).

Gelesen habe ich das Buch noch nicht, ((Ich bin gerade – leicht andere Baustelle – mit “The Wild Things” von Dave Eggers beschäftigt.)) aber allein der Titel ist schon mal toll. “Axolotol”, diese Bezeichnung für einen mexikanischen Lurch, der sein Leben lang Kind bleibt, stand nämlich immer auf der Liste der außergewöhnlichen Worte, die mein bester Freund und ich zu Schulzeiten geführt haben. ((Ebenfalls auf der Liste: “Wadi”, “semipermeable Membran” und “Aum”. Irgendwann werden sich auch damit noch mal Therapeuten befassen müssen.))

Über Helene Hegemann jedenfalls ist schon viel geschrieben worden, meist in der üblichen ahnungslosen Begeisterung, mit der sich Erwachsene, die nicht als frühvergreist gelten wollen, der Welt und der Sprache von Jugendlichen nähern. Wer lange genug sucht, wird sicher eine Rezension finden, in der frühneuhochdeutsche Begriffe wie “geil” oder “Bock haben” vorkommen.

Der Text, den Simone Meier für die “Basler Zeitung” geschrieben hat, ist anders. Er stellt die mediale Figur Helene Hegemann in Frage, haut auf den anderen Feuilletonisten rum und knallt mit voller Wucht ein paar Formulierungen raus, die man so gerne mal in Büchern lesen würde:

Das Selbstbewusstsein und der Mut zum Leiden sind gleichermassen ungeheuer, man hat die Hormone im Kopf und den Wahnsinn im Herzen. Und man kann eine Pose so lange und so betörend reproduzieren, bis es zu viel wird und man sie automatisch wieder erbricht. Selbstfindung in der Pubertät ist gewissermassen eine anhaltende Bulimie halb garer Haltungen und Gefühle.

Frau Meier steigert sich fast in einen grundsympathischen Welthass Bernhard’scher Prägung, wenn sie in einem Absatz mal eben den halben deutschen Kulturbetrieb, ach: die halbe deutsche Gesellschaft umreißt:

Es scheint, als habe Helene Hegemann mit all ihren wie rasend hergestellten, ausgekotzten kleinen Werken wirklich einen wahren Kern gefunden. So etwas wie den hässlichen Bodensatz der Berliner Bohème, mit dem sich die Kinder der Generation Selbstverwirklichung herumschlagen müssen. Es ist ein Bodensatz, in dem sich alle gleichen, weil Kindheit längst nicht mehr den Kindern gehört, sondern zum Fetisch der Erwachsenen geworden ist. Das Erstaunlichste an “Axolotl” ist nämlich dies: dass hier ein Teenager schreibt, als wäre er einer jener auf dem Dancefloor hängen gebliebenen Mittdreissiger oder Anfangsvierziger. Dass er zwei Generationen kurzschliesst: diejenige des frühreifen Wunderkinds und jene der Restposten aus der spätkindlichen Infantilgesellschaft.

Dass Frau Meier es schafft, einen Text, der derart offen auf seine Subjekte einschlägt, versöhnlich enden zu lassen, spricht für die beiden.

Aber lesen Sie selbst:

“Die Schönheit des kaputten Kindes” von Simone Meier

Kategorien
Literatur Leben

Die Omelette-Maschine: Heiner Müller zum Achtzigsten

Den traurigsten Moment meiner akademischen Laufbahn erlebte ich eines Freitagsmorgens in einem Popliteratur-Seminar. Eine Gruppe von Kommilitonen hielt ein Referat über Benjamin von Stuckrad-Barre und an einer Stelle (in “Blackbox”) gibt es neben einer ganzen Reihe anderer Zitate auch eines von Heiner Müller: “Alles ist Material.”

Und was sagte dieser Germanistik-Student im durchaus nicht mehr ersten Semester?

“Heiner Müller, also der Mann vom ‘RTL Nachtjournal’ …”

Kategorien
Kultur Literatur

Reimemonster

In meiner kleinen Stadt passieren ab und zu doch erstaunlich tolle Dinge. Denn meine kleine Stadt besitzt ein kleines Kulturkino und macht die kleine Stadt etwas weniger provinzialisch als mache (also ich) immer denken.

Meine kleine Stadt ist bekannt in der Szene, in der Szene namens Poetryslam. Poetrywhat? Poetryslam, oder zu deutsch: Gedichteschlacht.

Poetryslams sind Dichterwettkämpfe, die es schon seit dem Mittelalter und in moderner Form seit 1984 gibt. Meist finden sie auf kleinen Bühnen in kleinen oder großen Städten statt. Die Slammer tragen ihre eigenen Texte vor und aus dem Publikum wird die Jury gemacht. Zack Bum!

Die Jury kann Punkte von 0 – 10 für den Slammer geben und daraus ergibt sich dann die Punktzahl der jeweiligen Runde. Die Punktzahl entscheidet, wer eine Runde weiter ist. Wer eine Runde weiter ist, ist meistens im Finale, bei dem das gesamte Publikum schließlich durch ohrenbetäubenden Applaus und Jubel den Sieger bestimmt.

Der Sieger verdient nicht nur Ruhm und Dichterehre, nein, er gewinnt auch traditionell eine Flasche Whisky und in Zeiten der Rezession so viel Geld, dass die Heimreise gesichert ist.

Das Prinzip ist einfach, der Weg zum Sieg aber nicht. Das schöne bei einem Slam ist: man wird 3 Stunden lang mit Kopfkino vom feinsten unterhalten. Das schlechte daran: nicht jeder Kopfkinofilm ist auch ein Hit!

Es gibt Slammer, die sich vorzüglich darauf verstehen, ihr Publikum mit ihrem Text an die Hand und auf eine Reise mitzunehmen, ihnen neuen Welten zeigen und sie hinterher am Ausgang wieder unbeschadet, aber glücklich zurückzugeben. Sie können mit Wörter spielen, Sätze auseinander klauben, alle Wortwitze finden und so verpacken, dass man nicht denkt “Kenn ich schon, nächster bitte!”

Nein, manchen Slammern gelingt es ganz oft, Sprachgefühl, Rhythmus und Wortakrobatik so in eine Geschichte zu verpacken, dass man ganz gebannt einem Menschen sieben Minuten lang ins Gesicht glotzt und das einen ganzen Abend lang.

Doch bei einigen Slammern kommt man schon ins Zweifeln, denn Texte über seinen “Lieblingsdönerfritzen” in schwäbischer Mundart kann bei so manchem dann schon eine runzelnde Stirn hervorrufen. Man könnte an dieser Stelle diesen Texte “Lieblingsdönerfritzen” zitieren, worauf ich aber zu Gunsten der Leserschaft besser verzichte.

Aber hier gilt, wie in so vielen Bereichen: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und die meisten  Slammer wachsen an ihren Wettkämpfen. Zumal auch der Poetryslam nur durch ein demokratisches System funktioniert, was jedem die Chance bietet, sich der Jury/dem Publikum zu stellen. Mit oder mit ganz viel Talent.

Sollte in Eurer kleinen oder großen Stadt ein Poetryslam stattfinden, dann kann ich Euch nur empfehlen, dieses Ereignis zu besuchen. Denn es macht wirklich Spaß, einfach mal zu zuzuhören und sich auf einen Kopfkinofilm einzulassen.

Wer nicht gern aus dem Haus geht, kann sich in regelmäßigen Abständen im WDR am Sonntagabend nach “Zimmer frei!” mit Kopfkino, Dichterwettkämpfen und sonstigen Wortspielereien vergnügen.

Wer nicht gern fernsieht, aber im Internet surft, findet auf Youtube die schönsten Poetryslam-Perlen.

Reimemonster 1: Sebastian Krämer

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Reimemonster 2: Phibi Reichling (der Gewinner in meiner kleinen Stadt) 

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

In diesem Sinne: Poetische Weihnachten!

Kategorien
Literatur

Das blinde Redaktionshuhn der “Süddeutschen Zeitung”

Dass ich das noch erleben darf: Die “Süddeutsche Zeitung” (oder wenigstens deren Magazin) haut eine Bildergalerie raus, die sogar mal sinnvoll und unterhaltsam ist. Rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse wird dem literaturinteressierten Zeitungsleser eine Hilfe an die Hand gegeben, um verschiedene, viel zu oft verwechselte Autoren auseinanderhalten zu können: z.B. Benjamin Lebert und Benjamin von Stuckrad-Barre; Jonathan Franzen, Jonathan Safran Foer und Jonathan Lethem; Martin Walser und Robert Walser.

[via meine Mutter, mal wieder]