Kategorien
Musik

Gesammelte Platten Februar 2010

Die­ser Ein­trag ist Teil 2 von bis­her 8 in der Serie Gesam­mel­te Plat­ten

Die Idee, eine neue Serie zu star­ten, war ja gut. Der Gedan­ke, dass man aus Grün­den des Grup­pen­zwangs eher ver­sucht sein könn­te, sich an Abga­be­ter­mi­ne zu hal­ten, war auch nicht schlecht. Und dann war’s natür­lich wie­der der (eigent­lich nie) so genann­te Chef, der am Längs­ten gebraucht hat.

Dafür haben wir jetzt eine (wie wir fin­den) ansehn­li­che Lis­te bei­sam­men mit Plat­ten aus dem Monat Febru­ar (oder so – die Ver­öf­fent­li­chungs­ter­mi­ne in Deutsch­land schei­nen immer will­kür­li­cher, absur­der und mehr­fa­cher zu wer­den). Und März kommt dann hof­fent­lich auch recht bald!

The Album Leaf – A Cho­rus Of Sto­rytel­lers
Der Titel des fünf­ten Album von The Album Leaf wun­dert mich über­haupt nicht. Er passt sogar wun­der­bar, denn das neue Werk aus der Feder von Jim­my LaVal­le und sei­nem Team hat mich wirk­lich beein­druckt. Atmo­sphä­ri­scher Post-Rock, der beim Hören Klang­wel­ten auf­baut, die einen hin­weg­tra­gen und zu einem Sound­track des Moments wer­den las­sen, wenn man denn will. „Moment­auf­nah­men“ beschreibt das Werk ziem­lich nah, ohne es zu sehr ein­zu­gren­zen. Kohä­siv sind die Songs und fügen sich in das Bild von Geschich­ten sehr gut. Cle­ver ver­knüpf­te Gei­gen mit pul­sie­ren­den Melo­dien.
Liegt viel­leicht auch dar­an, dass LaVal­le „A Cho­rus Of Sto­rytel­lers“ wie sei­ne Vor­gän­ger auf Island auf­ge­nom­men hat. Pas­sen die Songs doch per­fekt zu Land­schaf­ten, die man mit Island in Ver­bin­dung bringt, in denen Zeit in ande­ren Ein­hei­ten gezählt wird. An man­chen Lie­dern bleibt man hän­gen und Zeit spielt kei­ne Rol­le, bis man wei­ter­ge­tra­gen wird und die Zeit rennt. Tex­te ver­teilt Jim­my LaVal­le auf die­ser Plat­te nicht vie­le, wenn er es den­noch tut, bleibt viel Platz für Mög­lich­kei­ten: „There’s a wind behind ever­yo­ne /​ That takes us through our lives /​ I wish I could have stay­ed /​ But this wind takes me away.“ Viel­leicht ist das Album auch ein wenig die Ent­de­ckung der Lang­sam­keit. (AK)

The Blue Van – Man Up
Kön­nen wir offen spre­chen? Ich bin in letz­ter Zeit ein biss­chen genervt bis ent­täuscht von Gitar­ren­rock­bands. Die Sachen, die mich im letz­ten Jahr wirk­lich gekickt haben, waren meist Hip-Hop oder Elek­tro, ger­ne auch irgend­was mit viel Kla­vier, Glo­cken­spie­len und Xylo­pho­nen. Nicht die bes­te Vor­aus­set­zung also, um sich mit einer skan­di­na­vi­schen Indierock­band zu befas­sen. Und doch hat das drit­te Album von The Blue Van aus Däne­mark eini­ges von dem Schwung der Debüts von Man­do Diao und Franz Fer­di­nand und erin­nert dar­über hin­aus an Bands wie The Hives, Jet und The Alex­an­dria Quar­tet. Also: Defi­ni­tiv nix Neu­es, aber durch­aus druck­voll und unter­halt­sam. (LH, Rezen­si­ons­exem­plar)

Enno Bun­ger – Ein biss­chen mehr Herz
Es braucht in der Regel nicht viel mehr als ein Kla­vier, um mich zu begeis­tern. Enno Bun­ger, der Front­mann von Enno Bun­ger, spielt Kla­vier, also sieht es mit Anlei­hen bei Kea­ne, Cold­play und Stray­light Run schon mal ganz gut aus. Bei den Tex­ten bin ich durch­aus zu Dis­kus­sio­nen bereit, denn deutsch­spra­chi­ges Gesin­ge über Gefüh­le läuft ja schnell Gefahr, schla­ge­resk zu klin­gen. In der Tat sind man­che Tex­te selbst für mich als Virginia-Jetzt!-Gutfinder hart an der Gren­ze, aber wenn man das Trio aus Leer erst mal live gese­hen hat, erschließt sich einem das Werk sehr viel bes­ser. Ich kann ver­ste­hen, wenn man Enno Bun­ger nicht mag, aber ich mag sie. (LH, Rezen­si­ons­exem­plar)

Lightspeed Cham­pi­on – Life Is Sweet! Nice To Meet You.
Nach dem Ende der Test Ici­c­les mach­te Dev Hynes (der, wie ich gera­de erschro­cken fest­stel­le, auch jün­ger ist als ich selbst) plötz­lich Folk­mu­sik und ver­öf­fent­lich­te mit „Fal­ling Off The Laven­der Bridge“ vor zwei Jah­ren ein Album, das nach Wüs­ten­staub klang. Davon ver­ab­schie­det sich das Zweit­werk schon rela­tiv früh und schwankt dann durch die ver­schie­de­nen Spiel­ar­ten von Indiepop. Das Album erin­nert an WHY?, We Are Sci­en­tists und die Shout Out Louds, dann bricht plötz­lich („The Big Guns Of High­s­mith“) ein Män­ner­chor her­vor, wie man ihn seit „Sam’s Town“ von den Kil­lers nicht mehr gehört hat. Das ist manch­mal ein biss­chen zu eklek­tisch (und mit 15 Songs auch etwas zu viel), aber ins­ge­samt immer noch sehr schön. (LH)

Local Nati­ves – Goril­la Man­or
Ver­kürzt könn­te man die­se Plat­te fol­gen­der­ma­ßen beschrei­ben: Ein Biss­chen wie Vam­pi­re Weekend, nur eben ohne fürch­ter­lich zu sein. Dass da Res­t­erklä­rungs­be­darf zurück­bleibt, ist zumin­dest vor­stell­bar. Local Nati­ves kom­men aus Sil­ver Lake (oder Sil­ver­la­ke?), wor­über ich mir ein­mal (mit etwa 700 ande­ren zusam­men) auf einem „Kon­zert“ von Hen­ry Roll­ins per­sön­lich erklä­ren las­sen durf­te, dass das eine ziem­lich üble Ecke in Los Ange­les ist (oder war, der Herr Roll­ins hat da wohl um 1840 mal gewohnt). Der Her­kunfts­ort ist natür­lich völ­lig irrele­vant, aber man soll ja per­sön­li­che oder geo­gra­phi­sche Bezü­ge zu sei­nem Unter­su­chungs­ob­jekt her­stel­len. Jeden­falls war mein ers­ter Gedan­ke beim Hören die­ser Plat­te: „Hui. Klingt wie Vam­pi­re Weekend, nur nicht so fürch­ter­lich.“ Tut es ja aber gar nicht. „Goril­la Man­or“ ist halt eigent­lich ganz schön Indie-Rock, aber eben mit dem Extra-Meter Spaß (Ah, Rezen­si­ons­plat­ti­tü­den!), den man gemein­hin als den „The-Blood-Arm-Effekt“ kennt: Auf den ers­ten Blick sehr direk­ter Schub­la­den­rock, der es aber aus bestimm­ten, unvor­her­seh­ba­ren Grün­den schafft, zu wach­sen und Bedeu­tung zu erlan­gen. Inso­fern sind Refe­ren­zen auch depla­ziert, wer aber trotz­dem wel­che braucht: Ein wenig Grizz­ly Bear (wegen der Chö­re), ein biss­chen Ani­mal Coll­ec­ti­ve (wegen der spo­ra­di­schen Busch­trom­meln) und ein wenig The Natio­nal (wegen der kon­ven­tio­nel­len Mach­art). Gefällt mir sehr gut! Objek­ti­ver wird es nicht. (MS)

Mas­si­ve Attack – Heli­go­land
Kein Mann ist eine Insel. Stimmt. Heli­go­land ist in dem Fall das fünf­te Stu­dio­al­bum des bri­ti­schen Trip-Hop-Duos Mas­si­ve Attack. Nach eini­ger War­te­zeit, in der die Bei­den sich mit Sound­tracks und ande­ren ambi­tio­nier­ten Pro­jek­ten beschäf­tigt haben, war ein kom­plet­tes Album fer­tig, was jedoch wie­der ver­wor­fen wur­de. Für Heli­go­land haben sich die Bei­den den wun­der­ba­ren Tun­de Adeb­im­pe von TV On The Radio, Damon Albarn von Blur, Adri­an Utley von Port­is­head, Guy Gar­vey von Elbow und etli­che ande­re Künst­ler an Bord geholt, die durch­aus char­mant für „Heli­go­land“ kol­la­bo­rier­ten und man kann sagen, es ist eine ein­dring­li­che Plat­te gewor­den. Nicht ganz bequem beim ers­ten Mal hören, aber die Kan­ten, an die man beim Hören aneckt, sind sehr sehr gut kon­zi­piert. Vor allem „Babel“ und „Para­di­se Cir­cuits“ sind für mich High­lights. Düs­ter, wabern­de Beats, ein wenig los­ge­lös­te Melo­dien. Mas­si­ve Attack wie man Sie kennt. Ich bin dann mal auf Heli­go­land. Insel­ur­laub. (AK)

Joan­na News­om – Have One On Me
Was die­se Frau auch immer macht. Da bringt sie zuletzt ein Album auf den Markt, das mit „Ys“ einen doch eher undurch­sich­ti­gen Titel sein Eigen nennt. Wird man dann aller­dings des Covers ange­sich­tig, ver­schlägt es einem fast die Spra­che ob des gan­zen Mit­tel­al­ter-Klim­bims, den man da vor sich hat. Ein Hören der Musik kann einen dann sofort eines Bes­se­ren beleh­ren, wenn man sich nicht schon zu arg dar­auf ein­ge­schos­sen hat, das als Herr-der-Rin­ge-Sound­track abtun zu wol­len. Aber um „Ys“ geht es ja nicht. Es geht dar­um, was sie jetzt schon wie­der gemacht hat, die gute Frau News­om. In Zei­ten der nach­hal­ti­gen Für­to­t­er­klä­rung der hap­ti­schen Kom­po­nen­te von Musik ent­schei­det sie sich dafür, eine Drei­fach-CD /​ LP her­aus­zu­brin­gen. Natür­lich ist da durch­aus eini­ges an Book­let und Art­work dabei, um den tat­säch­li­chen Hard­co­ver-Käu­fer für sei­ne ana­chro­nis­ti­sche Tat zu ent­loh­nen, aber den­noch: Pro­duk­ti­ons­kos­ten und so, Sper­rig­keit etc. pp. Apro­pos: Nicht einer die­ser gan­zen Songs hat kon­ven­tio­nel­le Pop­son­glän­ge (ob das gene­rell gut oder gene­rell schlecht ist, steht in einem ande­ren Pam­phlet, das selbst schon müde gewor­den ist; auch eine her­aus­ra­gen­de Leis­tung für etwas aus Papier, nicht wahr?). Dar­über­hin­aus wur­de hier mit einer der­ar­ti­gen instru­men­ta­len Opu­lenz ans Werk gegan­gen, dass man sich allein im Ope­ner „Easy“ ver­lie­ren kann und bestän­dig Neu­es hört, und das vor allem (jetzt kommt fast der wich­tigs­te Punkt), ohne sich auch nur ein­mal zu fra­gen, war­um man das jetzt irgend­wie gut fin­den soll. Es fehlt also qua­si der Moder­ne-Kunst-Moment, in dem man vor einem Tri­pty­chon von Miró mit dem Titel „Gefäng­nis aus der Sicht eines Insas­sen“ oder so ähn­lich steht und denkt: „Hm, das ist jetzt also die­se Kunst, von der immer alle spre­chen“. Natür­lich ist Miró super, kei­ne Sor­ge, und so schön bunt und so. Aber „Have One On Me“ könn­te tat­säch­lich so in etwa die Ana­lo­gie zu Pie­ter Brueg­hels des Älte­ren „Land­schaft mit dem Sturz des Ika­rus“ sein: Hand­werk­lich her­vor­ra­gend, aber dar­über­hin­aus so alle­go­rien- und bild­reich, dass man sich noch Jahr­hun­der­te lang dar­über den Kopf zer­bre­chen kann. Wenn man das mag. Ansons­ten ist es auch ein­fach so ziem­lich schön! (MS)

Sca­ry Man­si­on – Make Me Cry
Manch­mal ist es gut, dass Album­co­ver in Zei­ten von MP3s eine eher unter­ge­ord­ne­te Rol­le spie­len, denn das zu „Make Me Cry“ hät­te mich dann doch nicht unbe­dingt zum Hören ein­ge­la­den. Da wäre mir doch glatt was ent­gan­gen, denn der Indie­rock die­ser Band aus Brook­lyn gefällt mir aus­ge­spro­chen gut. Mein Musik­gen­re­be­nenn­ro­bo­tor hat grad den Dienst quit­tiert, also ver­su­che ich mich lie­ber an Ver­glei­chen: The Pains Of Being Pure At Heart, Yo La Ten­go, The Sounds … Na ja, so unge­fähr. Jeden­falls: Lieb­rei­zen­der Gesang einer Sän­ge­rin über ver­zerr­te Gitar­ren, die mal Upt­em­po, mal epi­scher sind. Das wird mich im kom­men­den Früh­ling sicher noch län­ger beglei­ten. (LH, Rezen­si­ons­exem­plar)

Seabear – We Built A Fire
Seabear, das sind sie­ben auf einen Streich. Was als Solo­pro­jekt von Sin­dri Már Sig­fús­son aus Island begann, ist jetzt eine sie­ben­köp­fi­ge musi­zie­ren­de Band, die mit ihrem Indie-Folk einen gelun­gen Nach­fol­ger zu ihrem Debut­al­bum „The Ghost That Car­ri­ed Us Away“ ablie­fert. „We Built A Fire“ kann sich auf jeden Fall hören las­sen, egal zu wel­cher Jah­res­zeit. Es ist alles dabei: Hör­ner, Gei­gen, unauf­dring­li­ches Schlag­zeug, tol­le Melo­dien und die­se beson­de­ren islän­di­schen Emo­tio­nen, oder was die sonst noch in ihre Songs rein­mi­schen, dass man ein­fach gebannt vor dem Laut­spre­cher sitzt. Von lei­sen Tönen („Cold Sum­mer“) bis hin zu fre­chen Tönen („Wolf­boy“, „Wod­den Tee­th“) ist auf „We Built A Fire“ alles vor­han­den. Vor allem aber ist nichts vorraus­seh­bar, außer dass Seabear wirk­lich ein gelun­ge­nes Werk geschaf­fen haben, das die leich­ten Melo­dien auch immer mit der dazu­ge­hö­ri­gen Tie­fe ver­bin­det. Was es des­halb so emp­feh­lens­wert macht. (AK)

Shout Out Louds – Work
Ist das Kon­zept die­ser Serie hier eigent­lich, nur Emp­feh­lun­gen aus­zu­spre­chen? Dann hat die neue Shout-Out-Louds-Plat­te hier eigent­lich nicht viel ver­lo­ren, denn sie ist schon eine ziem­li­che Ent­täu­schung. Dass sie etwas ruhi­ger ist als die bei­den Vor­gän­ger, ist an sich ja nichts schlim­mes, aber lei­der bleibt außer der Sin­gle „Fall Hard“ ein­fach nicht viel hän­gen. Nach eini­gen Durch­gän­gen kommt dann zwar ein biss­chen Atmo­sphä­re auf, aber bis dahin hat man eigent­lich schon lie­ber zu „Our Ill Wills“ oder „Howl Howl Gaf Gaff“ gegrif­fen. Scha­de! (LH)

Yea­say­er – Odd Blood
Irgend­wann vor zwei Wochen habe ich eine Sam­mel-Mail bekom­men mit der Fra­ge, ob jemand mit aufs Yea­say­er-Kon­zert im Fried­richs­hai­ner Post­bahn­hof gehen wür­de. Habe dann ganz schnell Yea gesagt. Hät­te ich viel­leicht nicht tun sol­len, denn es war eins der lang­wei­ligs­ten Kon­zer­te, an die ich mich erin­nern kann. Nicht, dass es schlecht gewe­sen wäre, dann hät­te man ja ein­fach gehen kön­nen. Es war im Gegen­teil immer mal wie­der ganz gut, viel­ver­spre­chend, sodass man stän­dig dar­auf gewar­tet hat, dass es end­lich mal rich­tig los geht. Das ist dann lei­der den gan­zen Abend lang nicht pas­siert, was aller­dings selt­sam ist, in Anbe­tracht des­sen, dass es auf die­sem Album eigent­lich die gan­ze Zeit, Ver­zei­hung, so rich­tig los geht. Von die­sem irre­füh­ren­den, genia­len Ope­ner mit der effekt­ver­zier­ten und hun­der­te Okta­ven nach unten gedrück­ten Stim­me über den, Ver­zei­hung noch­mals, Hit „Ambling Alp“ bis zum Schluss ist das durch­weg inter­es­san­te Kost, die durch­aus gewöh­nungs­be­dürf­tig ist, aber doch – auf die gute Art! – Hip­pie­mu­sik mit Tech­no und total über­trie­be­nem Lati­no­kitsch ver­mischt. Eigent­lich über­haupt nicht mein Ding, wäre es aber sicher­lich gewor­den und hät­te „Odd Blood“ zu einem die­ser gebets­müh­len­ar­tig beschwo­re­nen „frü­hen Anwär­ter“ auf mein Album des Jah­res wer­den las­sen. Wäre nicht die­ses Kon­zert so ver­ma­le­deit öde gewe­sen. Scha­de! Anhö­ren lohnt sich wohl aber trotz­dem. (MS)

Mit­ar­beit an die­ser Aus­ga­be:
AK: Anni­ka Krü­ger
LH: Lukas Hein­ser
MS: Mar­kus Steidl