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Wer hat’s erfunden?

Mit der kalendarischen Regelmäßigkeit von Weihnachten und Ostern kommt ein journalistisches Subgenre daher, das ähnlich strikten Regeln folgt wie die Echternacher Springprozession: die Computerspiel-Reportage.

Was bisher die wenigsten wussten: Dieses Genre wurde von meinen drei besten Freunden und mir erfunden, an einem Samstagvormittag im Jahr 2000, als wir für den Deutsch-Unterricht “etwas über Jugendkultur” machen sollten.

Wir können es sogar beweisen:

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Designern gibt’s der Herr im Schlaf

Was ist denn hier beim “Spiegel” los?

“Der Spiegel” KW 42/2007

  • “Reichstagsbrand!” Jetzt dreht Herman völlig frei!
  • Nach Attacke auf Köhler: Berlin-Touristen abgeschossen
  • “Tag der Deutschen Einheit” – Erste Bilder von Florian Henckel von Donnersmarcks neuestem Film
  • Nina Hagen geht in die Politik
  • Endlich: Schäuble kehrt heim!

Die Wahrheit ist – wie so oft – noch alberner

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Sicherheits(ge)denken

Es ist Sommerloch und was macht man da? Die Bundesregierung hat sich offenbar dazu entschieden, den überaus umtriebigen Wolfgang Schäuble durchs Dorf zu treiben. Glaubt man manchen Reaktionen, so hat der Bundesinnenminister in einem “Spiegel”-Interview offenbar die Zerschlagung des Rechtsstaats und die Einsetzung einer Militärjunta unter seiner Führung gefordert – nichts genaues weiß man jedoch nicht, denn die Meinungen überschlagen sich und beim “Spiegel” ist man (noch) nicht bereit, das Interview einzeln (oder gar kostenlos) online zu stellen, damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann (was auch onlinejournalismus.de bemängelt).

Wolfgang Schäuble auf der Titelseite der “taz” (9. Juli 2007)Die beste Titelseite zum Thema liefert (wenig überraschend) die “taz”, der bisher beste Kommentar stammt von Heribert Prantl in der “Süddeutschen Zeitung”. Und während die Karikaturisten überlegen, wie sie Schäuble noch als völlig durchgeknallten Bluträcher darstellen könnten, liefern sich die Politiker aller Parteien einen munteren Schlagabtausch. Die CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, Günther Oettinger und Peter Müller, die nie fern sind, wenn Bedenkliches öffentlich ausgesprochen wird, stehen schon … äh: Gewehr bei Fuß und sagen so kluge Sachen wie “Sicherheit zuerst”. (Inwieweit sich das mit der anderen Grundsatzparole “Vorfahrt für Arbeit” vereinen lässt, ist wohl noch nicht ganz raus.) Oettinger schreibt vermutlich schon an einer Rede, in der er Schäuble als “obersten Verfassungs- und Datenschützer” bezeichnen wird, und wartet nur noch auf eine unpassende Gelegenheit, diese auch halten zu dürfen.

Nachtrag 20:07 Uhr: Gerade entdeckt: “Wer fordert mehr?”, ein Quiz vom “Zünder”, der Jugendseite der “Zeit”. Dort muss man verschiedene verheerende Zitate dem richtigen Urheber (Schäuble, Bush, Putin, …) zuordnen. Wer ist alles besser als 4/9?

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“Bleich wie Mozzarella-Käse”

Willkommen auf der Coffee-And-TV-Journalistenschule. Heute lernen wir, wie man eine Gerichtsreportage schreibt.

Wichtig für jede Reportage ist, dass man dem Leser ein genaues Bild von dem vermittelt, worüber man schreibt. Berichten Sie von Details und probieren Sie einfach mal aus, wie viele Adjektive man in einen Satz quetschen kann:

Der Mann, der da nervös zitternd auf dem hochmodernen, ergonomischen Anklagestuhl sitzt, war mal der bekannteste, erfolgreichste Plattenproduzent der Welt.

Bitte beachten Sie: eine Gerichtsreportage ist eigentlich schon Literatur. Bringen Sie ruhig auch mal Vergleiche, die auf den ersten Blick etwas abseitig wirken, und schrecken Sie auch vor eigenen Interpretationen nicht zurück.

Seine Haut ist so bleich wie Mozzarella-Käse, im selben Ton wie die schenkellange Frackjacke, die er ab und zu trägt.

oder

Seine Miene, in der sich Angst, Verachtung und Bedrohung spiegeln, gleicht der eines verlorenen Kindes.

sind tolle Beispiele dafür. Das letzte zeigt darüber hinaus, dass man ruhig auch mal drei gewichtige Worte hintereinander aufreihen kann.
Wenn Sie fremdsprachliche Begriffe verwenden, scheuen Sie sich nicht, diesen überraschende deutsche Artikel zu verpassen:

(wobei er sich mit Paul McCartney überwarf, der den “Wall of Sound” hasste)

Gerichtsprozesse sind in der Regel langweilig. Schreiben Sie ein paar Sätze ganz ohne Verben, das suggeriert Action und Spannung:

Das “Castle Pyrenées”, Spectors Burgverschnitt auf einer Hügelkuppe. Eine Tür. Das kitschige Foyer. Clarksons Leiche, in einen Stuhl gesackt.

Ziehen Sie Parallelismen über so viele Absätze, dass auch der geübte Leser den Zusammenhang verliert. Er wird Ihren Artikel mehrmals lesen müssen und ihn so besser in Erinnerung behalten. Niemand versteht einen einzeln stehenden Absatz wie

Oder selbst den Chef-Ermittler Lillienfeld, der die blutverschmierte Tatwaffe im Gerichtssaal vorzeigt und berichtet, im Stuhl neben der Toten habe eine Aktentasche mit den Initialen “PS” gelegen. Inhalt: diverse Tabletten, darunter “Hallo-Wach”-Pillen und ein Viagra.

auf Anhieb, aber das weckt die Neugier des Lesers.

Lassen Sie dem Leser bei aller Detailfreude auch Raum für eigene Interpretationen. Formulieren Sie Sätze, deren Inhalt verschiedenes bedeuten kann:

Weiter rechts sitzt AP-Gerichtsreporterin Linda Deutsch, die Spector jovial-schelmisch begrüßt: “Sie sehen heute so elegant aus.”

Bilden Sie darüberhinaus auch mal einen Satz, den man stundenlang drehen und wenden kann, ohne ihn zu verstehen. Der Neid der Kollegen ist Ihnen sicher:

Das Musikmagazin “Rolling Stone” zählte Spector noch 2004 zu den “100 großartigsten Künstlern aller Zeiten”.

Wenn Sie diese einfachen Regeln befolgen, werden Sie bald schon fantastische Gerichtsreportagen schreiben können, die dann auch bei Spiegel Online veröffentlicht werden.

Nachtrag 11. Juni, 17:34 Uhr: Was mir erst gerade aufgefallen ist: Mozzarella-Käse?

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Film Politik

Ronald Reagan Revisited

Der Bundespräsident hat entschieden, von einem Gnadenerweis für Herrn Christian Klar abzusehen.

Mit einer so unspektakulären Verlautbarung hat Bundespräsident Horst Köhler heute eine monatelange, hitzige Debatte beendet und damit irgendwie mal wieder genau die richtigen Worte gefunden. Die klügeren Politiker haben diese Entscheidung des höchsten Mannes im Staate entsprechend auch als “souveräne Entscheidung des Bundespräsidenten” angenommen und darauf verzichtet, noch einmal nachzutreten.

Aber jetzt sitzen wir hier, haben plötzlich kein Thema mehr für Talkshows und Nachrichten, Beiträge über das heiße Wetter kann man auch keine mehr senden und Knut ist vermutlich so gut wie ausgewachsen. Das lädt zu Gedankenspielen ein: Wie viel spektakulärer wäre es z.B. gewesen, wenn Horst Köhler sich vor die Kameras gestellt und Clint Eastwood zitiert hätte?

Gnade ist heute aus!