So wie es aussieht, wird es morgen in Bochum zu Großdemonstrationen mit mehr als 30.000 Teilnehmern kommen — und das liegt ausnahmsweise nicht daran, dass mal wieder irgendeine Produktionsstätte geschlossen werden soll. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan soll in der Bochumer Jahrhunderthalle aus den Händen von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder den sogenannten “Steiger Award” in der Kategorie “Europa” erhalten, “auch als deutliches Zeichen für gelebte deutsch-türkische Freundschaft”.
Nun könnte man einwenden, ein Ministerpräsident, der die Türken in Deutschland vor Assimilation warnt und den Völkermord der Türken an den Armeniern abstreitet, dessen Regierung die Pressefreiheit nicht sonderlich ernst nimmt und dessen Land unbequeme Journalisten einsperrt, so ein Ministerpräsident sollte vielleicht besser keinen Preis bekommen, da könnte man ja auch gleich Bushido mit einem Integrationspreis auszeichnen. Aber lassen Sie mich erst mal zu dem Preis selbst kommen.
In Deutschland werden viele merkwürdige Preise verliehen, von den meisten bekommt man allerdings nichts mit. Auch der “Steiger Award” war bisher vor allem seinem Veranstalter, den lokalen Persönlichkeiten, die zur Verleihung eingeladen werden, und den Managern der Preisträger ein Begriff.
Der Veranstalter beschreibt sein Anliegen so:
Der Steiger Award ist entstanden aus Privatinitiative und dem Wunsch der kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Förderung der Region.
Das Ruhrgebiet in der Mitte Europas sollte stärker in den Fokus rücken. Der Steiger Award ist Preis und Philosophie zugleich. Wir ehren Persönlichkeiten, die sich durch Geradlinigkeit, Offenheit, Menschlichkeit und Toleranz auszeichnen.
Der Begriff “Steiger” stammt aus dem Bergbau und dient als Synonym für die Geradlinigkeit und Offenheit der Bergleute, der sogenannten “Steiger”. Jährlich entscheidet eine Jury darüber, wer die Auszeichnung in den Bereichen Film, Musik, Kunst, Sport, Charity, Umwelt, Toleranz und für sein Engagement zur Einigung Europas erhält.
Der Veranstalter, das ist Sascha Hellen, ein Mann Mitte 30, der das sogenannte Netzwerken zu seinem Beruf gemacht hat. Anders als Carsten Maschmeyer, der aktuell in “Bild” erklärt, wie man Kontakte knüpft und nutzt, hat Hellen nichts mit dem Verkauf dubiosen Finanzdienstleistungen zu tun, denn er verkauft: nichts. Er vermittelt Redner, organisiert Veranstaltungen und sorgt so dafür, dass sich irgendwelche Leute und Vereine mit zu viel Geld im Licht von berühmten Leuten sonnen können, die auch schon sehr viel Geld haben, jetzt aber noch mehr, weil Hellen sie an diese Leute und Vereine vermittelt. Es ist eine Win-Win-Situation, die niemandem weh tut, mittelglamouröse Fotos für die Lokalzeitungen ab- und nur ganz am Rande die Frage aufwirft, zu was für absurden Auswüchsen so eine Menschheit eigentlich in der Lage ist.
Nun passen das Ruhrgebiet und Glamour-Veranstaltungen für die Oberen Zehntausend eher nicht zusammen, aber man kann natürlich mal versuchen, ob man den Leuten hier ihre generelle Skepsis gegenüber allem, was sie nicht kennen, nicht ein bisschen aberziehen kann. Die Oberbürgermeisterin hält den “Steiger Award” dann auch aus unerfindlichen Gründen für ein Prestigeprojekt, das wichtig für das Ansehen Bochums sei — ganz so, als ob sich Shimon Peres, Bob Geldof oder Christopher Lee merken könnten, ob sie einen dieser merkwürdigen deutschen Preise auf ihrem Kaminsims jetzt in Bochum oder in Offenburg in Empfang genommen haben.
Vergangenes Jahr wollte Hellen den Bochumern einen Abend mit Josef Ackermann schenken — ausgerechnet im Bochumer Schauspielhaus, das sich traditionell eher den Arbeitern als irgendwelchen Bankdirektoren verpflichtet fühlt. Der frühere Intendant des Hauses, Frank-Patrick Steckel, protestierte öffentlich dagegen und irgendwann sagte Ackermann schließlich entnervt ab. Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz veröffentlichte eine gemeinsame Erklärung mit Veranstalter Sascha Hellen, in der sie sich “in aller Form für die unwürdige Diskussion” entschuldigte.
Jetzt also soll Recep Tayyip Erdogan den “Steiger Award” bekommen und unter Umständen könnte man den Quatschpreis Quatschpreis seien lassen, wenn die Schirmherrin der Veranstaltung nicht gerade Oberbürgermeisterin Scholz wäre. Vertreter der Landesregierung haben ihre Teilnahme inzwischen aus verschiedenen Gründen (Bundespräsidentenwahl, andere Termine) abgesagt. Von Gerhard Schröder ist eh kein Anstand zu erwarten, der hätte letztes Jahr schon den ebenso schwachsinnigen Quadriga-Preis an Wladimir Putin überreichen sollen, wenn die Veranstaltung nicht nach harscher Kritik und einem Ausstieg des Preiskomitees abgesagt worden wäre.
Die Kritik, die zunächst eher regional zu hören war, ist inzwischen bei den nationalen Nachrichtenagenturen angekommen: dpa, AFP und Reuters berichten über Ralph Giordano, den Deutschen Journalistenverband und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, die die Preisverleihung an Erdogan kritisiert haben (zugegebenermaßen nicht die seriösesten Kritiker, die ich mir vorstellen könnte), gestern erschien auch bei “Spiegel Online” ein Artikel zu dem Thema.
Die Veranstalter melden sich seit Tagen mit immer staatstragenderen Beschwichtigungsschreiben zu Wort, in denen sie erklären, die Auszeichnung sei “ausdrücklich keine Bewertung der innen- und außenpolitischen Aktivitäten des türkischen Ministerpräsidenten”, der Preis sei “stellvertretend für 50 Jahre deutsch-türkische Freundschaft” gemeint und die Auseinandersetzung mit Erdogans Politik solle “durch einen kritischen Diskurs erfolgen, nicht durch Ausgrenzung”. Dass der Protest solche Dimensionen annehme, damit habe er nicht gerechnet, sagte Hellen der “WAZ”.
Eine Person hat sich zu dem ganzen Dilemma noch gar nicht geäußert: Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz, die Schirmherrin des “Steiger Awards”. Vermutlich wird sie sich erst morgen zu Wort melden, wenn sie sich bei Erdogan in aller Form entschuldigt.
Nachtrag, 17. März: Ministerpräsident Erdogan hat seine Teilnahme am “Steiger Award” abgesagt. “Als Grund wurde der Absturz eines türkischen Militärhubschraubers in Afghanistan mit 17 Todesopfern genannt”, wie Reuters schreibt.