Kategorien
Rundfunk Print Gesellschaft

Auf der Straße zur Ironie-Hölle

„Iro­ny is over. Bye bye.“
(Pulp – The Day After The Revo­lu­ti­on)

In der „Zeit“ von letz­ter Woche beschreibt Nina Pau­er zwei post­mo­der­ne Phä­no­me­ne: das der Fremd­scham und der Iro­nie. Anhand von Cas­ting- und Kup­pel­shows, von „Bad Taste“-Partys und „Bra­vo Hits“ ver­han­delt sie das Zele­brie­ren von Din­gen, die man eigent­lich ver­ab­scheut. Die Über­schrift „Wenn Iro­nie zum Zwang wird“ ver­knappt den sehr lesens­wer­ten Arti­kel lei­der etwas, denn tat­säch­lich geht es hier um zwei Phä­no­me­ne mit ähn­li­chen Sym­pto­men und einer gewis­sen Schnitt­men­ge.

Da sind zum einen die Fern­seh­shows, die ähn­lich funk­tio­nie­ren wie der sprich­wört­li­che Auto­un­fall: Sie zie­hen ihre Fas­zi­na­ti­on aus dem „Grau­en“, des­sen sich der Zuschau­er nicht erweh­ren kann. Cas­ting­shows möch­te ich mal aus­klam­mern, die sehe ich nicht (mehr). Vie­le wer­den offen­bar von zutiefst ver­bit­ter­ten Zyni­kern ver­ant­wor­tet, die im Leben nicht die Eier hät­ten, sich vor drei Leu­te (geschwei­ge denn eine Fern­seh­ka­me­ra) zu stel­len, um ein Lied zu sin­gen. Ihnen sol­len die Fuß­nä­gel ein­wach­sen und die Haa­re aus­fal­len. ((Außer in den Ohren und den Nasen­lö­chern, da soll es wuchern wie im Ama­zo­nas­ge­biet.)) Die Part­ner­su­chen bei „Bau­er sucht Frau“ oder „Schwie­ger­toch­ter gesucht“ mögen ähn­lich zynisch pro­du­ziert sein, las­sen mei­nes Erach­tens aber auch Raum für mehr.

Wenn sich heu­te Men­schen auf der Couch oder im Inter­net ver­sam­meln, um gemein­sam „Bau­er sucht Frau“ zu schau­en (und vor allem zu bespre­chen), dann machen sie dabei Din­ge, die Men­schen seit Jahr­tau­sen­den tun: So hof­fen sie auf den kathar­ti­schen Effekt von „Jam­mer und Schau­der“, den schon Aris­to­te­les in sei­ner „Poe­tik“ beschrie­ben hat – nur, dass sich Aris­to­te­les unter „Jam­mer und Schau­der“ etwas ande­res vor­ge­stellt hat als gel­be Pull­over und Zun­gen­wurst­bro­te. Auch war es in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten ein belieb­ter Zeit­ver­treib der Ober­schicht, sich die Leu­te, die in einem damals so genann­ten „Irren­haus“ ein­sa­ßen, anzu­se­hen wie Tie­re im Zoo.

Heu­te sind die Opfer die­ser Besich­ti­gun­gen nicht mehr „irre“, son­dern „pein­lich“, was ein noch sub­jek­ti­ve­res Urteil ist. Nie­mand, der noch alle Tas­sen im Schrank hat, wür­de auf die Idee kom­men, aufs Land zu fah­ren um Bau­ern beim Braut­wer­ben zuzu­se­hen, aber wenn RTL das schon mal gemacht hat, kann man sich das ja mal anse­hen. Das Prin­zip gleicht dem des „delightful hor­ror“, der sich ein­stellt, wenn man aus dem Lehn­stuhl her­aus die Schil­de­run­gen von uner­klär­li­chen Phä­no­me­nen oder bru­ta­len Ver­bre­chen in den Büchern der Schau­er­ro­man­tik liest – nur, dass wir heu­te selbst fest­le­gen, wovor es uns schau­dert.

* * *

Nina Pau­er schreibt:

Pünkt­lich um 20.15 Uhr for­mie­ren sich die Abitu­ri­en­ten, Stu­den­ten, Dok­to­ran­den oder viel­ver­spre­chen­den Berufs­ein­stei­ger zu einem ver­gnüg­ten Publi­kum, das bei Chips und Süßig­kei­ten nichts ande­res tut, als sich der lust­vol­len Kon­trär­fas­zi­na­ti­on des Schlim­men hin­zu­ge­ben. „Wie pein­lich ist das denn?!“, kreischt der Chor, den Zei­ge­fin­ger kol­lek­tiv auf den Fern­se­her gerich­tet.

Ich bin auch öfters Teil sol­cher Run­den, wenn RTL (wie aktu­ell) wie­der ein­mal Schwie­ger­töch­ter und Bau­ern­frau­en sucht. Alle Teil­neh­mer wür­de ich als durch­aus auf­ge­klär­te Men­schen mit einem rei­nen Her­zen bezeich­nen, Zyni­ker sind kei­ne dabei. Gera­de des­halb habe ich mich schon öfter gefragt, ob es mora­lisch eigent­lich ver­ant­wort­bar ist, die­se Sen­dun­gen zu gucken und zu kom­men­tie­ren.

Grund­sätz­lich könn­te man erst ein­mal sagen, dass es kein Opfer im klas­si­schen Sin­ne gibt – die Kan­di­da­ten krie­gen mög­li­che böse Kom­men­ta­re ja gar nicht mit. ((Ich glau­be auch, dass das, was man zu mei­ner Schul­zeit „Läs­tern“ nann­te, nicht grund­sätz­lich ver­werf­lich ist, solan­ge etwa die Per­son, über die geläs­tert wird, davon nichts mit­be­kommt, und solan­ge man nicht vor­ner­um nett zu jeman­dem ist, über den man dann hin­ten­rum läs­tert. Außer­dem kön­nen ande­re ja auch über mich läs­tern, wenn sie wol­len. Die­se Posi­ti­on hat schon zu lan­gen, uner­gie­bi­gen Dis­kus­sio­nen geführt.)) Auch das Begu­cken die­ser Men­schen erfolgt ja nur aus zwei­ter Hand – das Kind ist schon in den Brun­nen gefal­len, also kann man es sich auch anse­hen. Letz­te­res ist natür­lich Quatsch: Wenn nie­mand mehr hin­se­hen wür­de, wie RTL Kin­der in den Brun­nen schmeißt, wür­de der Sen­der sicher damit auf­hö­ren. Und man muss sich ja auch kei­ne töd­li­chen Unfäl­le im Renn­sport anse­hen, nur weil sie auf Video gebannt sind.

Ich glau­be nicht, dass die Gering­schät­zung ande­rer die Haupt­mo­ti­va­ti­on ist, sol­che Sen­dun­gen zu sehen – der Reiz ent­steht aus dem Gemein­schafts­ge­fühl her­aus, was man als bil­li­ges Mit­tel zur Fra­ter­ni­sie­rung abtun, aber auch neu­tral oder posi­tiv wer­ten kann. Kaum jemand möch­te oder kann so eine Sen­dung allei­ne sehen. Dar­über hin­aus ist es ja auch so, dass das Stirn­run­zeln über Flie­sen­ti­sche, Tief­kühl­piz­zen und Kose­na­men nicht all­zu lang eine befrie­di­gen­de Frei­zeit­be­schäf­ti­gung abgibt. Wenn ich eine Sen­dung nur schlimm fän­de, wür­de ich sie nicht gucken. ((Tat­säch­lich bin ich bei der aktu­el­len Staf­fel „Schwie­ger­toch­ter gesucht“ sehr schnell wie­der aus­ge­stie­gen, weil es außer aus­ge­walz­ten Merk­wür­dig­kei­ten nicht viel zu sehen gab.)) Bei „Bau­er sucht Frau“ gibt es aber immer wie­der rüh­ren­de Ele­men­te, in denen das bes­ser­wis­se­ri­sche Lachen ech­tem Mit­ge­fühl weicht. ((Ob die por­trä­tier­ten Bau­ern dar­auf gewar­tet haben, ist natür­lich wie­der frag­lich.))

Als Vera Int-Veen im Febru­ar den „Reg­a­lauf­fül­ler“ Ste­fan an die Frau zu brin­gen ver­such­te, war das nicht mehr im Min­des­ten wit­zig: Der Mann hat­te so offen­sicht­li­che Pro­ble­me, sich zu arti­ku­lie­ren und mit den Situa­tio­nen zurecht zu kom­men, in denen ihn das Pro­duk­ti­ons­team plat­ziert hat­te, dass die Arsch­loch­haf­tig­keit der Macher alles ande­re über­strahl­te. In der aktu­el­len Staf­fel von „Bau­er sucht Frau“ geht der bis­her größ­te Fremd­scham­mo­ment auf das Kon­to von Mode­ra­to­rin Inka Bau­se: Zum ers­ten Mal sucht ein homo­se­xu­el­ler Bau­er einen, ja: Mann und Bau­se war von der Situa­ti­on so offen­sicht­lich über­for­dert, dass sie ihn mit den Wor­ten ansprach: „Du bist ja hier der ers­te Bau­er Dei­ner Art.“ Als der „pflei­ßi­ge Pfer­de­wirt“ ganz locker „Der ers­te schwu­le Bau­er, ja“, ant­wor­te­te, frag­te Bau­se noch ein­mal nach, ob sie „das so sagen“ dür­fe. So schlimm kön­nen zehn­tau­send Zun­gen­küs­se bei offe­nem Mund nicht sein.

* * *

Ich glau­be übri­gens, dass die­se Kup­pel­shows auch mit Kan­di­da­ten funk­tio­nie­ren wür­den, die den Zuschau­ern deut­lich ähn­li­cher sind: ((Wobei das eigent­lich jetzt schon gel­ten muss: Es kann ja hier­zu­lan­de kei­ne acht Mil­lio­nen Eli­tis­ten geben, die es sich auf ihrem hohen Ross bequem gemacht haben, also müs­sen auch zahl­rei­che Zuschau­er mit Flie­sen­ti­schen, Tief­kühl­piz­zen und Kose­na­men dar­un­ter sein.)) Lie­be und vor allem ihre Anbah­nung ist nie cle­ver. ((So wie Sex nie ästhe­tisch ist.)) Im Leben geht es fast nie zu wie bei „Ally McBe­al“ oder bei „Bridget Jones“, wo sich gut­aus­se­hen­de Men­schen im leich­ten Schnee­fall auf offe­ner Stra­ße küs­sen, nach­dem sie eine geist­rei­che Bemer­kung gemacht haben.

Vor vie­len Jah­ren, in der Dai­ly Soap „Unter uns“, schrieb die Per­son der Ute, die damals frisch in die Schil­ler­al­lee zurück­ge­kehrt war, einen Brief an ihren spä­te­ren Ehe­mann Till, in dem sie erklär­te, sie sei der­art ver­liebt, dass sie bei jedem Lie­bes­lied im Radio mit­sin­gen müs­se, auch bei den Schla­gern, die sie frü­her immer pein­lich und doof gefun­den habe. ((Der Brief geriet übri­gens in die Hän­de der San­dra, dar­ge­stellt von Dor­kas Kie­fer, die ihn laut vor­las und sich über Ute lus­tig mach­te. Wel­che Akti­on ist pein­li­cher? Dis­cuss!)) Das, mei­ne Damen und Her­ren, ist Lie­be! Sie ist pein­lich, aber ohne wären wir nicht hier.

* * *

Doch zurück zur „Fremd­scham“ und zum „Pein­li­chen“, das Nina Pau­er beschreibt: Ande­re Leu­te pein­lich fin­den ist eine Emo­ti­on, die meist in der Puber­tät erst­ma­lig auf­taucht und dann vor allem gegen die eige­nen Eltern gerich­tet ist. Das ist von der Natur so gewollt: Das Leben beschert einem so ein paar Jah­re unbe­schwer­ter Frei­heit und sinn­lo­ser Frei­heits­kämp­fe, ehe die Erkennt­nis ein­kehrt, dass bio­lo­gi­sche Ver­an­la­gung und Erzie­hung mäch­ti­ger sind als jedes Scham­ge­fühl und man natür­lich wie die eige­nen Eltern gewor­den ist. Als aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit fin­den einen dann zwan­zig Jah­re spä­ter die eige­nen Kin­der pein­lich.

Sich für eine ande­re Per­son zu schä­men, ist aber auch eine weit­ge­hend irra­tio­na­le Reak­ti­on, zumal, wenn man in kei­ner­lei per­sön­li­cher Ver­bin­dung zu die­ser Per­son steht. Die wis­sen­schaft­li­che Erfor­schung die­ses Phä­no­mens steht aller­dings noch ziem­lich am Anfang.

Nina Pau­er führt aus:

Als gemein­sa­mes Ritu­al wirkt die Fremd­scham wie eine Kom­pen­sa­ti­on der indi­vi­du­el­len Angst, die ansons­ten über­all lau­ert. Denn wie schwer ist es, die­sem all­ge­gen­wär­ti­gen Adjek­tiv „pein­lich“, das unse­re Zeit bestimmt, zu ent­rin­nen! Nahe­zu unmög­lich und vor allem furcht­bar anstren­gend ist es gewor­den, im weit und sub­til ver­äs­tel­ten ana­log-vir­tu­el­len Netz­werk stets die Balan­ce aus läs­si­gem Under­state­ment, hüb­scher Iro­nie und gleich­zei­ti­ger Selbst­ver­mark­tung zu pfle­gen. Die Codes sind unend­lich: Mit dem neu­es­ten Smart­phone prah­len? Pein­lich! Immer noch kei­nes haben? Pein­lich! Zucker­sü­ße Pär­chen­fo­tos auf Face­book ver­öf­fent­li­chen? Pein­lich! Das eige­ne Mit­tag­essen abfo­to­gra­fie­ren, den Stolz über den neu­en Job all­zu offen­sicht­lich zei­gen? Zu vie­le Freun­de haben? Zu weni­ge? Pein­lich, pein­lich! Musik hoch­la­den, die alle schon ken­nen? Musik hoch­la­den, die nie irgend­wer kennt? PEINLICH!

Wenn tat­säch­lich alles pein­lich ist, man also in jeder Situa­ti­on nur ver­lie­ren kann, ist ja alles wie­der völ­lig nivel­liert und man kann nur gewin­nen.

Frau Pau­er nutzt die­se Pas­sa­ge aber, um von der Fremd­scham zur „insze­nier­ten Fremd­scham“ und damit zur Iro­nie zu kom­men. Iro­nie, das lernt man irgend­wann als Kind, ist das Gegen­teil von dem zu sagen, was man meint – also eigent­lich das, was man vor­her als „Lügen“ ken­nen­ge­lernt hat und was man nicht tun soll­te. Das trifft den Sach­ver­halt zwar nur zum Teil, ist aber das, was sich die aller­meis­ten Men­schen unter „Iro­nie“ vor­stel­len und es ent­spre­chend prak­ti­zie­ren. Das ist natür­lich ster­bens­lang­wei­lig.

Als Tra­vis im Jahr 2000 anfin­gen, „Baby One More Time“ von Brit­ney Spears auf ihren Kon­zer­ten zu covern, gin­gen vie­le erst ein­mal von Iro­nie aus. Aber Fran Hea­ly, der das Lied mit viel Inbrunst vor­trug, sag­te, sie hät­ten den Song ein­fach nach­ge­spielt, weil sie ihn so schön fan­den. Und tat­säch­lich wäre es auch dann noch ein schö­nes Lied, wenn Kom­po­nist und Tex­ter Max Mar­tin sich beim Schrei­ben über die Nai­vi­tät und Dumm­heit sei­nes Lyri­schen Ichs kaputt gelacht hät­te.

„Iro­ny is cer­tain­ly not some­thing I want to be accu­sed of“, hat Craig Finn, der Sän­ger mei­ner Lieb­lings­band The Hold Ste­ady, mal gesagt und ich fin­de auch, dass Lied­tex­te mög­lichst auf­rich­tig sein soll­ten. ((Iro­nie soll­te höchs­tens von Bri­ten als Stil­mit­tel in Songs ein­ge­setzt wer­den. Die ver­ste­hen dar­un­ter etwas ande­res als „das Gegen­teil von dem sagen, was man meint.)) Dann besteht zwar schnell wie­der die Gefahr der Fremd­scham, aber damit muss man klar kom­men. Man kann das Werk ver­ur­tei­len, soll­te dem Künst­ler aber Respekt zol­len.

Die Zeit der iro­nisch gemein­ten Bei­trä­ge beim Euro­vi­si­on Song Con­test, die not­wen­dig war, um das schnar­chi­ge Schla­ge­re­vent der 1990er Jah­re zu ent­stau­ben, ist ja inzwi­schen zum Glück auch wie­der vor­bei. Als ich im Mai von jetzt.de zum Dus­log inter­viewt wur­de, war der Repor­ter sehr ver­ses­sen dar­auf, uns eine iro­ni­sche Hal­tung zum Grand Prix zu unter­stel­len. Natür­lich kann man die musi­ka­li­schen Bei­trä­ge nicht alle ernst neh­men, ((Gera­de nicht „I Love Bela­rus“, den man aus poli­ti­schen Grün­den als ein­zi­gen ernst hät­te neh­men müs­sen.)) aber wenn ich die Ver­an­stal­tung in Oslo schei­ße gefun­den hät­te, wäre ich sicher kein zwei­tes Mal hin­ge­fah­ren.

* * *

Natür­lich soll­te man sich selbst und die Welt nicht zu ernst neh­men, aber man soll­te auch nicht bis zur Selbst­ver­leug­nung mit den Augen zwin­kern. Ich könn­te schlicht kei­ne Musik hören, die ich nicht mag, kei­ne Kla­mot­ten (oder gar Fri­su­ren oder Gesichts­be­haa­run­gen) tra­gen und auch nichts in mei­ne Woh­nung stel­len oder hän­gen, was ich nicht irgend­wie gut fin­de. „We Built This City“ von Star­ship ist einer der kano­nisch schreck­lichs­ten Songs der Musik­ge­schich­te, aber irgend­et­was spricht das Lied in mir an – und das mei­ne ich nicht auf die „So schlecht, dass es schon wie­der gut ist“-Art. Ande­rer­seits wür­de ich nie in Skin­ny Jeans rum­lau­fen, weil ich die ein­fach mords­un­be­quem fin­de.

Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re hat schon 1999 einen Text über Iro­nie ver­fasst, ((Nach­zu­le­sen in „Remix“.)) in dem er von der „Drü­ber­lus­tig­mach­müh­le“ schreibt und dann eine Fra­ge auf­wirft, die er sich sogleich selbst beant­wor­tet:

Ten­nis­so­cken sind fürch­ter­lich, kei­ne Fra­ge, aber ist nicht das zwangs­ver­ord­ne­te Drü­ber­la­chen noch schlim­mer? Und dann tra­gen also Leu­te wie­der Ten­nis­so­cken, aus Pro­test, und das ist viel­leicht zu ver­ste­hen, aber ja auch so krank, weil sie damit also, nur der Abgren­zung wegen, schlim­me Socken tra­gen. Und dann nicht ein­fach still die­se Socken dünn­lau­fen, son­dern tat­säch­lich ERKLÄREN, war­um sie die tra­gen, um sich zumin­dest, oh ja, INHALTLICH zu unter­schei­den von jenen, die die­se Socken nicht schon wie­der, son­dern immer noch tra­gen. Irgend­wie muß man die Neu­zeit ja rum­krie­gen.

Im „Zeit“-Artikel steht die­ses aktu­el­le Bei­spiel:

In engen brau­nen Män­ner­slips über rosa Trai­nings­an­zü­gen aus Bal­lon­sei­de trifft man sich, am bes­ten mit einem allein zum Zweck der Par­ty gewach­se­nen fie­sen Schnau­zer im Gesicht, zum Dosen­ste­chen in der Küche.

Noch bevor die Hips­ter so genannt wur­den, gab es den „Iro­ny-Schnäuz“. Irgend­wann gab es dann die iro­nisch gebro­che­nen Hips­ter, die ech­te Hips­ter eigent­lich schei­ße fan­den, aber genau­so rum­lie­fen. Der Schnauz­bart war zu die­sem Zeit­punkt schon min­des­tens zwei Mal umge­deu­tet wor­den, aber da geht sicher noch mehr. Nur: War­um?

In einem Text aus dem Juli 1999 ((„Ein Ort der Eitel­keit“ in „Der Krap­fen auf dem Sims“.)) beklagt sich Max Goldt über Men­schen, die eine gol­de­ne Schall­plat­te oder eine Urkun­de auf der Gäs­te­toi­let­te plat­zie­ren:

So wird die Toi­let­te zum Ort der Insze­nie­rung von Selbst­iro­nie, einer Eigen­schaft, die in der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on hoch im Kurs steht. Des­halb ist es erheb­lich eit­ler, sei­ne Zer­ti­fi­ka­te in Bad oder WC unter­zu­brin­gen, als sie naiv und arg­los im Wohn­zim­mer zur Schau zu stel­len.

Goldt erklärt auch ((„Mein Nach­bar und der Zynis­mus“, ebd.)) den Unter­schied zwi­schen Zynis­mus und Sar­kas­mus:

Zynis­mus ist eine destruk­ti­ve Lebens­auf­fas­sung, wäh­rend Sar­kas­mus das Resul­tat von trot­zi­ger For­mu­lie­rungs­kunst ist, die über einen spon­ta­nen Zorn auf ein Mei­nungs­ei­ner­lei hin­weg­hilft. Zynis­mus ist ein Resul­tat von Ent­täu­schung und inne­rer Ver­ein­sa­mung. Er besteht im Negie­ren aller Wer­te und Idea­le, im Ver­höh­nen der Hoff­nung, im Haß auf jedes Stre­ben nach Bes­se­rung.

Sind dann die beschrie­be­nen „Bad Taste“-Partys nicht eher zynisch als iro­nisch?

Ich ver­ste­he den Reiz nicht, der dar­in lie­gen soll­te, sich so zu klei­den, wie man nie aus­se­hen woll­te, und Musik zu hören, die man nie hören woll­te. Ers­tens grenzt das doch an Schi­zo­phre­nie und zwei­tens fin­de ich das unfair gegen­über den Leu­ten, denen die­se Musik etwas bedeu­tet. Denn auch wenn ich Schla­ger oder Volks­mu­sik kit­schig und doof fin­den soll­te, so gibt es doch Leu­te, denen die­se Musik etwas bedeu­tet. ((Dass die Tex­te die­ser Lie­der mit­un­ter von Leu­ten geschrie­ben wer­den, denen die Inhal­te und Hörer ziem­lich egal sind, ist eine Meta-Ebe­ne, die ich hier nicht auch noch bespie­len möch­te.)) Ich fin­de es auch lang­wei­lig, ein Album nur des Ver­ris­ses wegen zu ver­rei­ßen.

* * *

Auch Chuck Klos­ter­man hat sich dem The­ma Iro­nie gewid­met. ((Im Essay „T Is For True“ in „Eating The Dino­saur“.)) Er schreibt:

An iro­nist is someone who says some­thing untrue with unclear sin­ce­ri­ty; the degree to which that state­ment is fun­ny is based on how many peo­p­le rea­li­ze it’s fal­se. If ever­y­bo­dy knows the per­son is lying, nobo­dy cares. If nobo­dy knows the per­son is lying, the spea­k­er is a luna­tic. The ide­al ratio is 65–35: If a slight majo­ri­ty of the audi­ence can­not tell that the inten­ti­on is come­dic, the sub­stan­ti­al mino­ri­ty who do under­stand will feel bet­ter about them­sel­ves. It’s an exclu­sio­na­ry kind of humor.

Wenn jeder Depp alles nur noch „iro­nisch“ meint, ist es kein Witz mehr, dann ist es nicht mal mehr Komö­die, son­dern Tra­gö­die.

Nina Pau­er schreibt dazu in der „Zeit“:

Wo poten­zi­ell alles pein­lich ist, bleibt nichts als der ewi­ge iro­ni­sche Reflex. Die Iro­nie wird zum Stan­dard und die Distanz zum Zwang. Dann regie­ren die Zwin­kers­mi­leys, die alles Gesag­te, Geschrie­be­ne, Geta­ne sofort rela­ti­vie­ren, um bloß immer „safe“ zu sein. Von der Freu­de an der Pein­lich­keit ist dann nicht mehr viel übrig. Die Lust wird zu ihrem Gegen­teil, zur Lan­ge­wei­le.

Es ist nicht nur lang­wei­lig, es ist auch wahn­sin­nig anstren­gend.

Klos­ter­man stellt in sei­nem Essay den Weezer-Sän­ger Rivers Cuo­mo, den Regis­seur Wer­ner Her­zog und den ame­ri­ka­ni­schen Poli­ti­ker Ralph Nader neben­ein­an­der, denen er alle­samt nach­weist bzw. unter­stellt, völ­lig iro­nie­frei zu sein. Her­zog etwa sagt, er habe einen „Defekt“, der ihn dar­an hin­de­re, Iro­nie zu ver­ste­hen, und Klos­ter­man fügt an, die meis­ten von uns hät­ten das gegen­tei­li­ge Pro­blem: Wir wür­den auch dort Iro­nie ver­ste­hen, wo gar kei­ne vor­han­den ist.

Rivers Cuo­mo trug das, was man heu­te „Nerd­bril­le“ nennt, immer­hin schon in den frü­hen Neun­zi­gern, als es grad nicht cool oder lus­tig war. ((Die­se Bril­le ist tat­säch­lich ein Pro­blem. Als ich letz­tes Jahr auf der Suche nach einer neu­en war, woll­te ich – puber­tä­re Abgren­zung – um jeden Fall zu ver­mei­den, auch so eine zu kau­fen. Das Pro­blem: Mir stand wirk­lich nichts ande­res. Also dach­te ich: „Was soll’s? Ray-Ban gibt’s seit mehr als 50 Jah­ren und ich weiß ja, wie’s gemeint ist.“ (Näm­lich gar nicht.) So wie man sich Musik nicht von ihren Hörern kaputt machen las­sen darf, soll­te man sich auch Mode-Uten­si­li­en nicht von ihren Trä­gern zer­stö­ren las­sen. Ich wür­de auch ger­ne Hem­den von Fred Per­ry tra­gen, wenn die nicht so unfass­bar teu­er wären.)) Heu­te schreibt er Lie­der dar­über, dass er in Bever­ly Hills woh­nen wol­le, und Klos­ter­man ist sich sicher, dass Cuo­mo das genau so meint. Die Fans wären aller­dings ent­täuscht, weil sie es für Iro­nie hiel­ten und sich ver­arscht fühl­ten – und das ist dann natür­lich auch schon wie­der Iro­nie, und zwar die des Schick­sals.

* * *

Die Post­mo­der­ne hat, neben Fremd­scham und Über-Iro­ni­sie­rung, noch ein wei­te­res Phä­no­men her­vor­ge­bracht: Stän­dig hin­ter­fragt man jetzt alles, vor allem aber sich selbst. Wer sich fragt, ob er irgend­et­was gut fin­den dür­fe, hat noch nichts ver­stan­den. Er hat die Frei­heit (fast) alles gut zu fin­den, was er gut fin­den mag. Allen­falls die Aus­wahl poten­ti­ell gut find­ba­rer Din­ge und Per­so­nen kann einen etwas über­for­dern.

Das bedeu­tet natür­lich letzt­lich auch: Man kann auch „Bau­er sucht Frau“ gucken, ohne sich dafür zu schä­men.

Kategorien
Rundfunk Digital

Welcome To The Jungle

Zu den Klän­gen von Bloc Par­tys „I Still Remem­ber“ ende­te ges­tern die vier­te Staf­fel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, einer Sen­dung, die ich für gelun­ge­ne Unter­hal­tung hal­te, wie ich im ver­gan­ge­nen Jahr schon ein­mal auf­ge­schrie­ben habe.

Für das FAZ-Fern­seh­blog hat Ste­fan Nig­ge­mei­er ein Inter­view mit dem Men­schen geführt, der beim Dschun­gel­camp für die Musik­aus­wahl zustän­dig ist. Die oft sehr poin­tier­te Zusam­men­stel­lung der Titel ist inso­fern sehr bewun­derns­wert, als für die Ver­to­nung von TV-Sen­dun­gen sonst nur fünf CDs zur Ver­fü­gung ste­hen: „Moon Safa­ri“ von Air, das Best Of von Mas­si­ve Attack, der „Fight Club“-Soundtrack und die jeweils aktu­el­len Alben von Sigur Rós und Cold­play. Am Tag der Ver­öf­fent­li­chung des Inter­views erklang zum Bei­spiel nur Momen­te, nach­dem sich Giu­lia Sie­gel beklagt hat­te, dass die Medi­ka­men­te gegen ihre Rücken­schmer­zen über­haupt nicht anschla­gen wür­den, „The Drugs Don’t Work“ von The Ver­ve, was zwar ziem­lich nahe­lie­gend, aber irgend­wie doch toll war.

Lesen Sie das Inter­view hier und erfah­ren Sie unter ande­rem, wie die Kili­ans in den Dschun­gel kamen.

Und wo wir grad beim Fern­seh­blog und im Dschun­gel sind, soll­ten Sie die­ses Inter­view mit Dirk Bach gleich auch noch lesen.

Kategorien
Rundfunk Digital

Von der Attraktivität deutscher TV-Nachrichten

Sie wer­den es mitt­ler­wei­le alle mit­be­kom­men haben: Ges­tern Nach­mit­tag (Orts­zeit) fie­len bei einem Air­bus A320 kurz nach dem Start am La Guar­dia Air­port bei­de Trieb­wer­ke aus und der Pilot muss­te die Maschi­ne auf dem Hud­son River not­lan­den.

Dass alle 155 Insas­sen über­lebt haben, darf man wohl getrost als ziem­li­ches Glück bezeich­nen: zwar ist der Hud­son eini­ger­ma­ßen breit und frei von Brü­cken und damit – im Gegen­satz zum East River auf der ande­ren Sei­te Man­hat­tans – durch­aus für Not­was­se­run­gen geeig­net, aber ein Flug­zeug auf einem viel befah­re­nen Fluss auf­zu­set­zen und es anschlie­ßend zu eva­ku­ie­ren, wäh­rend es lang­sam im eis­kal­ten Was­ser unter­geht, das zählt schon zu den außer­ge­wöhn­li­che­ren Auf­ga­ben eines Lini­en­pi­lo­ten.

Wer ges­tern Abend unse­rer Zeit beim Micro­blog­ging-Dienst twit­ter rein­ge­schaut hat, wur­de über die Lage bes­tens infor­miert: als eine der ers­ten Mel­dun­gen gab es ein Foto, das Janis Krums, der zufäl­lig auf einer der Fäh­ren im Hud­son und damit direkt am Unfall­ort war, mit sei­nem iPho­ne gemacht hat­te. twitpic.com brach zeit­wei­se unter dem Ansturm zusam­men und ziem­lich vie­le Nach­rich­ten­sei­ten berich­te­ten dar­über.

Wer mit einem Live­ti­cker von Augen­zeu­gen und eben­falls twit­tern­den Nach­rich­ten­agen­tu­ren ver­sorgt wur­de, für den waren die Infor­ma­tio­nen, mit denen das deut­sche Fern­se­hen sei­ne Zuschau­er zu beglü­cken ver­such­te, natür­lich ein Desas­ter. Statt ein­fach „ins Inter­net“ zu gucken, griff man lie­ber auf dün­ne Agen­tur­mel­dun­gen und Repor­ter vor Ort zurück.

Dabei ist es ein über­hol­ter Irr­glau­be der Nach­rich­ten­ma­cher, bei einem Ereig­nis erst mal an den Ort des Gesche­hens schal­ten zu müs­sen. Dort steht dann ein über­for­der­ter Repor­ter den Ret­tern im Weg rum und kann sei­ne Ein­drü­cke schil­dern – wobei er sich natür­lich gera­de gar kei­ne eige­nen Ein­drü­cke ver­schaf­fen kann, weil er ja in einer zwar atmo­sphä­ri­schen, aber weit­ge­hend Infor­ma­ti­ons­lo­sen Schal­te mit einem wiss­be­gie­ri­gen Repor­ter gefan­gen ist. Wenn er Glück hat, hat er vor­her einen Pas­san­ten fra­gen kön­nen, ob der einen lau­ten Knall gehört habe.

Nun wür­de ich nicht so weit gehen und sagen, das Inter­net kön­ne schon jetzt das Fern­se­hen erset­zen. Wenn sich mei­ne Groß­el­tern, Eltern und vie­le mei­ner Freun­de über der­ar­ti­ge Ereig­nis­se infor­mie­ren wol­len, schal­ten sie natür­lich irgend­ei­nen Nach­rich­ten­sen­der ein und auch ich hat­te zwi­schen­durch CNN lau­fen, wo Wolf Blit­zer einen der Pas­sa­gie­re gera­de tele­fo­nisch der­art mit Fra­gen löcher­te, als müs­se er selbst noch in die­ser Nacht den Unter­su­chungs­be­richt der Luft­auf­sichts­be­hör­de ver­fas­sen.

Aber was die deut­schen Nach­rich­ten­sen­dun­gen da über den Äther schi­cken, war eine dump­fe Mischung aus Kaf­fee­satz­le­sen mit Tan­te Mimi, Onkel Heinz erzählt vom Angeln und Klein-Fritz­chen erzählt sei­ner Mut­ti, wie es in der Kir­che war, obwohl er wäh­rend­des­sen Fuß­ball­spie­len war.

„Zahl­rei­che Fähr­schif­fe ver­su­chen, Über­le­ben­de zu ret­ten“, teaser­te RTL sein „Nacht­jour­nal“ an, was wohl eben­so rich­tig, aber weit weni­ger dra­ma­tisch war als das „Es gibt kei­ne Anzei­chen für einen Ter­ror­an­schlag“, mit dem Gabi Bau­er die ARD-Nach­rich­ten­at­trap­pe „Nacht­ma­ga­zin“ eröff­ne­te, bevor sie eine Vier­tel­stun­de spä­ter Thors­ten Schä­fer-Güm­bel mit der Fra­ge, wie wich­tig Sex im Wahl­kampf sei (gemeint war wohl eher „Sex­ap­peal“), völ­lig aus der Fas­sung brach­te.

Den beson­de­ren Ernst der Lage konn­te man dar­an erken­nen, dass n‑tv sei­ne geplan­ten „Natio­nal Geographic“-Reportagen kipp­te und live auf Sen­dung ging. Wäh­rend CNN, Fox News, MSNBC und BBC World ziem­lich beein­dru­cken­de Live-Bewegt­bil­der aus New York hat­ten (die Hub­schrau­ber der gro­ßen Net­works schwe­ben ja eh die gan­ze Zeit über der Stadt), hat­te n‑tv einen Mode­ra­tor im Stu­dio, meh­re­re „Brea­king News“-Laufbänder, ein paar Fotos und einen Repor­ter am Tele­fon. Und der sag­te, wenn ich ihn nicht völ­lig falsch ver­stan­den habe, dass es wohl „bald“ die ers­ten Han­dy-Fotos und ‑Vide­os im Inter­net zu sehen geben wür­de. Zu die­sem Zeit­punkt war twit­pic bereits down und bei flickr gab es jede Men­ge Foto­stre­cken und Ein­zel­bil­der zu sehen. Sogar ers­te Wit­ze.

Es geht mir gar nicht dar­um, Inter­net und Fern­se­hen gegen­ein­an­der aus­spie­len zu wol­len – und die Zei­tun­gen von heu­te waren schon gedruckt, bevor das Flug­zeug über­haupt abge­ho­ben hat­te. Aber ich den­ke, dass auch die Men­schen, die nicht bei twit­ter, flickr und Face­book unter­wegs sind, ein Anrecht auf aktu­el­le Infor­ma­tio­nen haben. Und die bekommt man heu­te nun wirk­lich so ein­fach und bil­lig wie noch nie. Auch als Nach­rich­ten­re­dak­teur des deut­schen Fern­se­hens.

Nach­trag, 20:20 Uhr: Auch mei­ne Freun­de von „RP Online“ berich­ten über die Fotos bei twit­ter und bei flickr.

Das Sen­sa­tio­nel­le dar­an: Sie schaf­fen das ohne einen ein­zi­gen Link!

Nach­trag, 17. Janu­ar, 00:23 Uhr: Zwei Tweets spä­ter hat „RP Online“ alles ver­linkt.

Kategorien
Digital Fernsehen

Klickbefehl (14)

Da mögen Fans noch so sehr dar­auf schwö­ren, die „Lin­den­stra­ße“ sei heu­te ja eine gan­ze ande­re als vor 20 Jah­ren. Humor­voll, selbst­iro­nisch und der­glei­chen. In Wahr­heit ist die Klein­bür­ger-Soap immer noch ein Pan­op­ti­kum der Pie­fig­keit. Wie fast alle Soaps sind ihre Kulis­sen voll­ge­stellt mit unin­spi­rier­ten Cha­rak­te­ren und zuge­schüt­tet mit grau­en­haf­ten Dia­log­zei­len der Sor­te: „Ah, mei­ne Umwelt­pla­ket­te, end­lich!“

Mar­kus Brauck rech­net im „Spie­gel“ mit der „Lin­den­stra­ße“ ab. Dazu gibt es eine Bil­der­ga­le­rie, die dem Wort „Grau­stu­fen“ eine ganz neue Bedeu­tung zukom­men lässt. (Bit­te mar­kie­ren Sie sich die­sen Tag im Kalen­der: ich emp­feh­le eine Bil­der­ga­le­rie bei „Spie­gel Online“!)

* * *

Das ist die wohl unge­wöhn­lichs­te Mel­dung des Tages: Die ARD kauft RTL die Serie „Die Anwäl­te“ ab – also die Serie, die RTL Anfang des Jah­res nach nur einer Fol­ge, die mit 10,8 Pro­zent Markt­an­teil die Erwar­tun­gen nicht erfül­len konn­te. aus dem Pro­gramm genom­men hat. Fort­an dien­te die Serie als Mus­ter­bei­spiel für feh­len­des Ver­trau­en der Sen­der in die eige­nen Pro­duk­tio­nen.

DWDL.de berich­tet über das über­ra­schen­de Come­back einer Serie, die (also deren ers­te Fol­ge) ich eigent­lich ganz gut fand und deren Abset­zung mein Ver­hält­nis zu RTL nach­hal­tig gestört hat.

* * *

Ein­fa­cher wäre zu sagen: Ich mag ihn. Ich freue mich, dass ich neben dem Mit­glied der „Ach­se des Guten“ auch schon drei Mal dort als Gast­au­tor auf­tre­ten durf­te und dass wir nun gemein­sam ein Netz­werk Gegen­re­cher­che star­ten.

Timo Rieg erläu­tert in der „Spie­gel­kri­tik“ die Hin­ter­grün­de zu einem sehr, sehr merk­wür­di­gen „Spie­gel Online“-Artikel über einen der angeb­lich ganz weni­gen deut­schen TV-Blog­ger.

War­um die­se Geschich­te nur mit äußers­ter Vor­sicht zu genie­ßen ist (wenn über­haupt), erzäh­le ich Ihnen spä­ter steht hier.

* * *

Einen Vor­schlag zur Güte hat­te Bro­der abge­lehnt. Er wer­de sich kei­nen „Maul­korb“ ver­pas­sen las­sen, „weil sonst Anti­se­mi­ten ent­schei­den dürf­ten, was Anti­se­mi­tis­mus ist“. Nun befan­den die Rich­ter, Bro­ders Vor­wurf habe die Gren­ze zur Schmäh­kri­tik über­schrit­ten, weil „im kon­kre­ten Kon­text der Äuße­rung die Dif­fa­mie­rung der Klä­ge­rin, nicht die Aus­ein­an­der­set­zung in der Sache im Vor­der­grund“ gestan­den hät­te.

Hen­ryk M. Bro­der stand mal wie­der vor Gericht und die „taz“ ver­sucht zu erklä­ren, was los war.

Patrick Bah­ners hat­te vor eini­gen Wochen in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung“ eben­falls über den Pro­zess geschrie­ben und Bro­ders Lebens­werk damals beein­dru­ckend zusam­men­ge­fasst:

Sei­ne preis­ge­krön­te publi­zis­ti­sche Stra­te­gie der ver­ba­len Aggres­si­on nutzt den Spiel­raum der Mei­nungs­frei­heit, um ihn ein­zu­schrän­ken: Kri­ti­ker Isra­els sol­len ein­ge­schüch­tert wer­den.

* * *

Wei­te­re Link­tipps kön­nen Sie übri­gens seit Neu­es­tem dem deli­cious-Account von Cof­fee And TV ent­neh­men. Und falls ich end­lich raus­krie­ge, wie ich den dazu­ge­hö­ri­gen Feed hier in die Side­bar ein­ge­baut krie­ge, wird das alles viel prak­ti­scher und über­sicht­li­cher.

Kategorien
Rundfunk

Verallgemeiner My Ass

Ent­schul­di­gung, viel­leicht war ich grad ein­fach zu emo­tio­nal:

[Direkt­link]

Nach­trag, 11. Juli: Haben wir eigent­lich deut­lich genug dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich bei dem Video um eine Ant­wort hier­auf han­delt?

Kategorien
Rundfunk Gesellschaft

Sturm’n’Drang High School

Eigent­lich sit­ze ich gera­de an einem Text, in dem ich mal beson­ders gelun­ge­nen Jour­na­lis­mus vor­stel­len möch­te. Dann aller­dings bekam ich den Link zu einem You­Tube-Video geschickt, das eine solch erschüt­tern­de Jour­na­lis­mus­at­trap­pe zeigt, dass ich (nach­dem ich eine Vier­tel­stun­de zu den Klän­gen von Thurs­day mit dem Kopf gegen die Wand geschla­gen habe) mich erst ein­mal dar­über aus­kot­zen muss.

Das Video zeigt einen Bei­trag aus der gest­ri­gen Aus­ga­be von „Explo­siv – Das Maga­zin“ auf RTL, hat also genau genom­men gar nichts mit Jour­na­lis­mus am Hut. Aller­dings haben 1,79 Mil­lio­nen Men­schen die­se Sen­dung gese­hen und die Vor­stel­lung, dass auch nur einer die­se Info­tain­ment-Par­odie ernst genom­men haben könn­te, macht mir Angst.

[Direkt­link]

Es ging um Emos und weil vie­le Zuschau­er viel­leicht nicht wis­sen was das ist (Chan­ce zum schlech­ten Witz mit aus­tra­li­schen Lauf­vö­geln ver­passt), erklärt die Mode­ra­to­rin­nen­dar­stel­le­rin das Gan­ze noch mal kurz:

„Emo“ kommt von „emo­tio­nal“ und Teen­ager, die die­ser Bewe­gung anhän­gen, klei­den sich merk­wür­dig.

Außer­dem neig­ten die Jugend­li­chen zu Depres­sio­nen, ritz­ten sich teil­wei­se die Haut auf und über­haupt habe der Repor­ter einen Fall gefun­den, „wo ein jun­ger Mann sich umge­bracht haben soll“.

Dann geht’s los mit blu­ti­gen Bil­dern, ent­setz­ten Eltern und jovia­len depres­si­ven Jugend­li­chen.

Von dem jun­gen Mann, der „sich umge­bracht haben soll“ (also er ist tot, nur ob das mit Emo zusam­men­hängt, ist nicht klar: er „war wahr­schein­lich ein Emo“), wird ein (natür­lich unver­pi­xel­tes) Bild gezeigt, das er vor sei­nem Tod „in ein Emo-Forum ins Inter­net gestellt“ hat. Wir müs­sen also ganz am Ran­de auch noch anneh­men, dass RTL mal wie­der Wit­wen­schüt­teln 2.0 betrie­ben hat.

Das Bild zeigt – und jetzt kommt’s – einen grim­mig drein­schau­en­den jun­gen Mann mit Paläs­ti­nen­ser­tuch vor einem Pos­ter, das wenn ich mich nicht sehr irre, die Metal­band Metal­li­ca zeigt. D’oh! Weni­ger Emo geht nun wirk­lich kaum.

Er trägt das typi­sche Emo-Tuch, ‚Pali‘ genannt.

Emo (Symbolbild)Jour­na­lis­ten hät­ten sich viel­leicht die Mühe gemacht, den Ursprung der Emo-Bewe­gung zu erklä­ren. Man hät­te sehr weit aus­ho­len und bis zu Embrace (US), Rites Of Spring, Fuga­zi und The Pro­mi­se Ring gehen kön­nen, wenn man sich mit der ursprüng­li­chen Emo-Sze­ne unter musi­ka­li­schen Aspek­ten hät­te beschäf­ti­gen wol­len, man hät­te aber wenigs­tens über Unsi­cher­heit, Ein­füh­lungs­ver­mö­gen und Hoff­nungs­lo­sig­keit spre­chen kön­nen. Im Feuil­le­ton hät­te man Par­al­le­len zum Sturm und Drang, der Jugend­be­we­gung der 1770er Jah­re, geschla­gen, in jedem Fall hät­te man aber sagen müs­sen, dass der Begriff „Emo“ in etwa so schwam­mig sei wie der des „Jugend­li­chen“ und dass man sich im fol­gen­den auf einen klei­nen Kreis beschrän­ken und holz­schnitt­ar­ti­ge Ver­all­ge­mei­ne­run­gen auf­fah­ren müs­se. Dafür aber war in einem Sechs­mi­nü­ter kein Platz.

Das Wort „Emo“ war also im fol­gen­den ein Platz­hal­ter für „merk­wür­dig geklei­de­te Jugend­li­che, die sich alle immer die Arme auf­schnei­den, was wir aus dem Inter­net wis­sen, die das aber vor unse­rer Kame­ra nicht zuge­ben wol­len“.

RTL mach­te aber nicht nur so gro­be inhalt­li­che Feh­ler, der Bei­trag war bis ins kleins­te hand­werk­li­che Detail schlecht. Immer wie­der wur­den in Groß­auf­nah­me die glei­chen sen­sa­ti­ons­lüs­ter­nen Bil­der von auf­ge­schnit­te­nen Glied­ma­ßen gezeigt, die wer-weiß-woher stamm­ten. Ja, sie haben es noch nicht ein­mal geschafft, Text­ein­blen­dun­gen und Off-Spre­cher auf eine Linie zu krie­gen: zu den aus dem Kon­text irgend­ei­nes „Emo-Forums“ geris­se­nen (und offen­bar in MS Paint gesetz­ten) Wor­ten „es ist allen SCHEIß EGAL!!!!“ sagt die um Bedeu­tungs­schwe­re und Dra­ma­tik bemüh­te RTL-Stan­dard­stim­me, es sei „alles“ scheiß­egal.

Der auf­ge­ta­ne Psy­cho­lo­gie Dr. Chris­ti­an Lüd­ke wirft Emos und Sata­nis­ten mun­ter in einen Topf, spricht von der „Fas­zi­na­ti­on des Abscheu­li­chen“ und sagt, Emos woll­ten „pro­vo­zie­ren“. Als nächs­tes erklärt der Spre­cher, „sie“ (es geht also in jedem Moment um aus­nahms­los alle Emos) sei­en „bezie­hungs­ge­stört, aber sie demons­trie­ren Nähe“. Ähn­lich infor­ma­tiv wäre es zu behaup­ten, Men­schen sei­en alle­samt weib­lich, hät­ten blaue Augen und ein Bein: alles trifft ja sicher in eini­gen bis etli­chen Fäl­len zu, wer wür­de sich da noch mit Rasier­klin­gen­spal­te­rei auf­hal­ten wol­len?

Sie sind lieb zuein­an­der und geben sich harm­los vor der Kame­ra – doch im Inter­net zei­gen sie ihre wah­ren Abgrün­de: ich lebe, doch eigent­lich bin ich schon tot.

Eine Mut­ter ist der Mei­nung, dass es ande­re Din­ge gäbe, die Jugend­li­che machen könn­ten, als zusam­men zu rit­zen, zu sau­fen und zu kif­fen. Ich muss zuge­ben, das Bild, das in die­sem Moment in mei­nem Kopf ent­stand, hat­te was: zwan­zig mis­an­thro­pi­sche Straight-Edger sit­zen zusam­men in einem elter­li­chen Wohn­zim­mer, trin­ken Han­sa-Pils, rau­chen Gras und sägen – alle zusam­men und jeder für sich – an ihren Unter­ar­men rum.

Es gibt viel­fäl­ti­ge Bewei­se dafür, dass Emos zur Selbst­ver­stüm­me­lung nei­gen.

Die­se „Bewei­se“ sind irgend­wel­che Bil­der mit mor­bi­der Sze­ne­rie: von der Decke bau­meln­de Kör­per, ver­wahr­los­te Mäd­chen, die Her­zen auf eine Wand malen, Rasier­klin­gen in der Unter­lip­pe. Oder mit ande­ren Wor­ten: alles, was die Goog­le-Bil­der­su­che nach dem Begriff „Emo“ so her­gab.

Eine zuge­ge­be­ner­ma­ßen gelun­ge­ne Sze­ne ist der Dia­log zwi­schen drei Emo-Mäd­chen und einem Sty­ler, bei dem die Ach-so-Ein­fühl­sa­men plötz­lich gar nicht mehr so genau erklä­ren kön­nen, was sie eigent­lich sind und sich händ­chen­hal­tend in eine hilf­lo­se Dis­kus­si­on stür­zen, die sie anschlie­ßend als „typisch“ bezeich­nen.

Hier wäre die Gele­gen­heit gewe­sen, das, was heu­te „Emo“ genannt wird, als die Pose zu ent­lar­ven, die sie oft genug nur noch ist. Als Bri­co­la­ge aus Punk, Gothic, Visu­al Kei, Rocka­bil­ly und Hel­lo Kit­ty. Statt­des­sen wird die anti-auf­klä­re­ri­sche Panik­ma­che noch auf die Spit­ze getrie­ben.

Emos: offen­bar eine typi­sche Erschei­nung der Puber­tät. Leicht­fer­tig wird hier mit der Selbst­ver­stüm­me­lung koket­tiert. Und es gibt vie­le Jugend­li­che, die das toll fin­den, die ziem­lich naiv in die­se Sack­gas­se tap­pen.

„Naiv“ und „Sack­gas­se“ sind frei­lich Begrif­fe, die für die­sen unfass­ba­ren Bei­trag noch wohl­wol­lend wären.

Lie­be Eltern, die Sie jetzt den­ken „Hil­fe, mein Kind ist Emo! Wie krieg ich die Beer­di­gung bezahlt?“: bit­te glau­ben Sie nicht die­sen enthirn­ten Schwach­sinn, den RTL ges­tern Abend in Ihre Kachel­tisch-Wohn­zim­mer gesen­det hat. Wenn Sie unge­fähr ver­ste­hen wol­len, was Emo ist, Sie also Ihr Kind ver­ste­hen wol­len, grei­fen Sie bit­te zu „Ever­y­bo­dy Hurts“ von Les­lie Simon und Tre­vor Kel­ley. Dafür müs­sen Sie etwas Eng­lisch kön­nen, aber hin­ter­her wis­sen Sie wenigs­tens, wor­um es geht.

[via Kat­ti und Kahta]

Kategorien
Rundfunk

Frau Doktor und das liebe Vieh

Kaum weist der Kalen­der zwei fuß­ball­freie Tage auf, haben RTL und Pro­Sie­ben ihren gan­zen Mut in die Waag­scha­le gewor­fen ((Es han­delt sich um eine sehr fein jus­tier­te Waa­ge aus dem Betäu­bungs­mit­tel­zu­be­hör­fach­ge­schäft.)) und etli­che Seri­en- und Staf­fel­starts auf die­se zwei Aben­de gelegt.

„24“ habe ich nie gese­hen und wenn ich den Men­schen, denen ich in sol­chen Belan­gen blind ver­traue, ver­trau­en darf, soll­te ich bes­ser die ers­te Staf­fel sehen. „Moon­light“ inter­es­siert mich nicht die Boh­ne und „Dr. Psycho“ habe ich zu Beginn ziem­lich genau andert­halb Fol­gen ertra­gen, dann war für mich Schluss. Die Serie wur­de hoch gelobt, mit Grim­me­prei­sen aus­ge­zeich­net und trotz­dem fort­ge­setzt, aber sie ist nichts für mich – aus den glei­chen Grün­den, war­um ich mir „Strom­berg“ und „Ditt­sche“ nicht anse­hen kann: die­ses ganz offen­sicht­li­che Schei­tern, das sich aus zwei­hun­dert Metern Ent­fer­nung mit Leucht­feu­ern ankün­digt, macht mich wahn­sin­nig. Ich habe es als Kind im Kin­der­thea­ter gehasst ((Falls Sie sich fra­gen, ob ein Kind über­haupt has­sen kann, hat­ten Sie offen­bar das Glück, dass ich fern von Ihnen auf­ge­wach­sen bin.)), wenn ein Stück nur all­zu deut­lich auf eine Kata­stro­phe zusteu­er­te und das alle außer den Akteu­ren bemerk­ten, und ich has­se es noch heu­te.

Dem­nach müss­te ich auch „Doctor’s Dia­ry“ has­sen, die neue Serie, mit der RTL gera­de den letz­ten Ver­such unter­nimmt, eine deut­sche Serie im Abend­pro­gramm zu plat­zie­ren. Und in der Tat gab es in den ers­ten bei­den Fol­gen, die am Mon­tag lie­fen, eini­ge Sze­nen, in denen die­ser Weg­schau-Reflex aus dem Kin­der­thea­ter wie­der auf­kam: „Gleich wird die­ses und jenes pas­sie­ren, das sieht jeder, der nicht gera­de als Schieds­rich­ter bei der Fuß­ball-EM arbei­tet, Ihr braucht es nicht auch noch zu zei­gen.“ Manch­mal pas­sier­te es dann, manch­mal aber auch nicht. Und es pas­sier­te noch so viel mehr, dass das Vor­her­seh­ba­re sehr schnell egal war ange­sichts der wit­zi­gen Ein­fäl­le. Es war, als hät­te jemand „Scrubs“ und „Mein Leben und ich“ bei hoher Tem­pe­ra­tur zu amal­ga­mie­ren ver­sucht – und der Ver­such war gelun­gen. Ganz neben­bei schaff­te es die Serie mit Ver­wei­sen auf die „Schwarz­wald­kli­nik“ und „Dr. Ste­fan Frank“, mei­ner fes­ten Über­zeu­gung, es gäbe in Deutsch­land kei­ne Pop­kul­tur, leich­te Krat­zer bei­zu­brin­gen.

Geschei­tert wird auch bei Pro­Sie­ben am Diens­tag, zum Bei­spiel in „Gül­can und Col­li­en zie­hen aufs Land“, der mög­li­cher­wei­se däm­lichst beti­tel­ten Serie seit … „Doctor’s Dia­ry“. Ande­rer­seits erklärt der Titel, wor­um es geht, so dass man nicht ein­schal­ten muss. Ich habe auch nur ein paar Minu­ten gese­hen, die mir wie­der­um gereicht haben: zwei Viva-Star­lets, die bei­de unheim­lich ner­ven, tun so, als wären sie Paris Hil­ton und Nico­le Richie, was sie aber nicht sind, wes­we­gen jede (von mir gese­he­ne) Sze­ne der Serie künst­lich und auf Kon­flikt gebürs­tet wirk­te. Doku-Soaps sind eh ein Gen­re, das mich – so es sich nicht um „Toto und Har­ry“, „Das per­fek­te Pro­mi-Din­ner“ oder irgend­was mit klei­nen Eich­hörn­chen und Kat­zen han­delt – nur äußerst peri­pher tan­giert. Mir fehlt ein­fach das, was Hans Hoff die „Lust am Unfall“ nennt. ((Es wäre für mich kein Pro­blem, mich 24 Stun­den am Tag mit dem Schla­ger-Grand-Prix zu beschäf­ti­gen, bei dem alles immer eine Num­mer grö­ßer und oft genug zum Schei­tern ver­dammt ist. Der Grand Prix ist camp, ist eine eige­ne Welt, in der allen Betei­lig­ten klar ist, dass es sich um ein Par­al­lel­uni­ver­sum han­delt. Aber „Schwie­ger­toch­ter gesucht“, „Bau­er sucht Frau“ oder das Bügel­be­gleit­pro­gramm am Vor­mit­tag erzeu­gen in mir eine Mischung aus Mit­leid, Fremd­schä­men und Flucht­in­stinkt, die ich außer­halb von Fami­li­en­fei­ern nicht erle­ben muss.))

Unfäl­le gab es hin­ge­gen bei „Elton vs. Simon – Die Show“, die ich auch unge­fähr zehn Minu­ten aus­ge­hal­ten habe. Das Amal­gam besteht hier aus „Schlag den Raab“ und „Jack­ass“ und bringt mit Elton und Simon Gose­jo­hann gleich zwei gute Abschal­tar­gu­men­te mit. Dass die Sen­dung auch noch von Johan­na Klum „mode­riert“ wird, die laut ein­hel­li­ger, von mir geteil­ter Medi­en­jour­na­lis­ten­mei­nung zwar „süüüüüß“ ist, aber laut eben­so ein­hel­li­ger, von mir nicht min­der geteil­ter Medi­en­jour­na­lis­ten­mei­nung fast so schlecht mode­riert wie Mar­co Schreyl, macht die Sache nicht bes­ser. Ich moch­te die puber­tä­ren „Wer kann länger/​schneller/​lauter $eklige_​Sache machen“-Spiele nicht, als die Sen­dung noch kei­ne „Show“ war und ich mag sie auch nicht vor Publi­kum.

An den zwei Tagen fiel für mich außer „Doctor’s Dia­ry“ und der neu­en Staf­fel von „Kalk­o­fes Matt­schei­be“ also nicht all zuviel ab, aber allein der Umstand, dass mir mal wie­der eine deut­sche Fic­tion gefal­len hat, ist einen klei­nen Freu­den­tanz und einen aus­ufern­den Blog-Ein­trag wert. Ich bin daher sehr gespannt, wie RTL trotz guter Quo­ten ein Argu­ment für eine Abset­zung fin­den will. Viel­leicht dies­mal ganz auf­rich­tig: „Uns ist zu Ohren gekom­men, dass Herr Lukas Hein­ser die­se Serie gut fin­det. Wir wer­den sie des­halb mit sofor­ti­ger Wir­kung aus dem Pro­gramm ver­ban­nen.“

Kategorien
Rundfunk

Housebesuch

Ich habe erst heu­te (und damit pas­send zum ges­tern gesen­de­ten Staf­fel­fi­na­le) fest­ge­stellt, dass „RP Online“ vor mehr als einem Jahr sechs Medi­zi­ner zu „Dr. House“ befragt hat.

Sie fin­den die Serie alle­samt unrea­lis­tisch und Dr. Gre­go­ry House min­des­tens unsym­pa­thisch, wenn nicht gar unhalt­bar, aber das soll uns nicht groß inter­es­sie­ren, denn es han­delt sich ja um eine fik­tio­na­le Serie und nicht um einen medi­zi­ni­schen Fach­auf­satz.

Ihre Ein­schät­zun­gen sind nichts­des­to­trotz fast durch­gän­gig inter­es­sant und hier in einer sie­ben­tei­li­gen Klick­stre­cke nach­zu­le­sen.

Nach­trag, 8. Mai: Mei­ne Mut­ter wies mich dar­auf hin, dass die „NRZ“ vor ein paar Wochen etwas ganz ähn­li­ches gemacht hat. Aller­dings ist der Arzt, der die Serie dort ana­ly­siert, Fan.

Kategorien
Print Digital

Fischen im Netz

Das Inter­net hat die Arbeit von Jour­na­lis­ten erheb­lich ver­ein­facht: Bin­nen weni­ger Sekun­den kann man Agen­tur­mel­dun­gen auf ihren Wahr­heits­ge­halt über­prü­fen (vor­aus­ge­setzt, man will), uralte Tex­te aus obsku­ren Archi­ven her­aus­su­chen und per E‑Mail Ansprech­part­ner in aller Welt kon­tak­tie­ren. Vor allem aber hat man blitz­schnell Infor­ma­tio­nen über jun­ge Leu­te zur Hand, über die zuvor noch nie­mand geschrie­ben hat – außer sie selbst.

Das fiel mir ges­tern wie­der auf, als ich auf der Inter­net­sei­te des „San Fran­cis­co Chro­nic­le“ einen Arti­kel über einen Stu­den­ten aus Ber­ke­ley las, der am frü­hen Sams­tag­mor­gen ersto­chen wur­de. Schon ohne die Fami­lie des Opfers heim­ge­sucht zu haben, konn­ten die Autoren am Sams­tag­abend eine eini­ger­ma­ßen leben­di­ge Cha­rak­te­ri­sie­rung des Toten abge­ben:

Chris­to­pher W.*, who loved ’80s music, poker, base­ball and foot­ball, accor­ding to his MySpace page, would have recei­ved his under­gra­dua­te degree later this month and was going to begin gra­dua­te school in nuclear engi­nee­ring at UC Ber­ke­ley in the fall.

[…]

W.* was acti­ve in his fra­ter­ni­ty, ser­ving as vice pre­si­dent and pledge edu­ca­tor.

„Nobo­dy can have a bet­ter set of fri­ends than I do,“ he wro­te on his MySpace page. „I’m a Sig­ma Pi for life.“

W.* lis­ted on MySpace the Bible as one of his favo­ri­te books and Jesus as one of his top inte­rests.

Among his heroes, he lis­ted „Jesus, my mom, my dad, my big brot­her, real­ly wise peo­p­le.“

* Anony­mi­sie­rung von mir

Exkurs: Dass die Opfer eines Ver­bre­chens (eben­so wie die Täter) meist mit vol­lem Namen genannt und auf Fotos gezeigt wer­den, ist im angel­säch­si­schen Jour­na­lis­mus nor­mal. Anders als in Deutsch­land, wo „Bild“ und Kon­sor­ten häu­fig die unrühm­li­che Aus­nah­me dar­stel­len, sind die Prot­ago­nis­ten von Kri­mi­nal­fäl­len in Groß­bri­tan­ni­en und den USA oft auch in den soge­nann­ten Qua­li­täts­me­di­en voll­stän­dig iden­ti­fi­zier­bar. Ent­spre­chend war es lei­der wenig über­ra­schend, dass BBC und CNN im „Fall Amstet­ten“ zu den ers­ten Medi­en gehör­ten, die Täter und Opfer bei vol­lem Namen nann­ten, bevor deutsch­spra­chi­ge Medi­en nach­zo­gen (lesen Sie dazu auch die­sen sehr klu­gen Ein­wurf bei medienlese.com). Exkurs Ende.

Doch zurück zum Toten von Ber­ke­ley und sei­nem MySpace-Pro­fil: Immer­hin hat man beim „Chro­nic­le“ (vor­erst) dar­auf ver­zich­tet, auch Fotos von sei­ner Sei­te zu ver­öf­fent­li­chen. Es ist nicht unwahr­schein­lich, dass sie noch zum Ein­satz kom­men wer­den, denn nie war es ein­fa­cher, an per­sön­li­che Bil­der und Infor­ma­tio­nen von Betrof­fe­nen zu kom­men – „Wit­wen­schüt­teln“, ganz ohne anstren­gen­de Haus­be­su­che, bei denen man Gefahr lau­fen könn­te, im Ange­sicht der Hin­ter­blie­be­nen doch noch Gewis­sens­bis­se zu bekom­men.

Als im Janu­ar eine Bie­le­fel­der Schü­le­rin beim Ski­fah­ren töd­lich ver­un­glück­te, nutz­ten „Bild am Sonn­tag“ (s. BILD­blog) und RTL (s. Indis­kre­ti­on Ehren­sa­che) Pri­vat­fo­tos aus dem Schue­lerVZ-Pro­fil der Toten zur Illus­tra­ti­on ihrer Arti­kel und Bei­trä­ge. Bei Schue­lerVZ muss man sich – anders als bei MySpace – erst ein­mal anmel­den, um die Pro­fi­le der ande­ren Mit­glie­der ein­se­hen zu kön­nen.

Im März brach­te die „New York Times“ ein gro­ßes Por­trät über das Call­girl, das die poli­ti­sche Kar­rie­re des New Yor­ker Gou­ver­neurs Eli­ot Spit­zer been­det hat­te – wei­te Tei­le stamm­ten aus Tele­fon­in­ter­views, die die Redak­teu­re mit der jun­gen Frau geführt hat­ten, ande­re Details und Fotos waren direkt ihrer MySpace-Sei­te ent­nom­men. Patri­cia Drey­er, „Panorama“-Chefin von „Spie­gel Online“ und Ex-Unter­hal­tungs­chefin bei „Bild“, muss­te wenig mehr machen, als den „New York Times“-Artikel noch zu über­set­zen und mit indi­rek­ter Rede zu ver­se­hen, um bei „Spie­gel Online“ einen „eige­nen“ gro­ßen Arti­kel dar­aus zu machen. Wie­der inklu­si­ve aller MySpace-Fotos, die dort plötz­lich mit den Quel­len­hin­wei­sen „AP“ und „AFP“ ver­se­hen waren.

Ende März brach­te die „taz“ einen län­ge­ren Arti­kel dar­über, wie sich „Bild“ immer wie­der bei Stu­diVZ bedient und frag­te auch in der Pres­se­stel­le von Stu­diVZ nach, wie man dort eigent­lich zu dem The­ma ste­he. Die Ant­wort fiel wenig über­ra­schend schwam­mig aus:

Die jour­na­lis­ti­sche Ver­wer­tung von Bil­dern aus Stu­diVZ ist nicht in unse­rem Inter­es­se. Das steht auch ein­deu­tig in unse­ren AGB. Wird den­noch ein Foto von einem unse­rer Nut­zer zu die­sem Zweck unau­to­ri­siert ver­wen­det, so han­delt es sich hier­bei um eine Ver­let­zung der Urhe­ber­rech­te. Der Nut­zer kann gegen das ent­spre­chen­de Medi­um vor­ge­hen.

Doch noch ein­mal zurück zum „San Fran­cis­co Chro­nic­le“, der – das muss man viel­leicht noch mal erwäh­nen – durch­aus zu den ame­ri­ka­ni­schen Qua­li­täts­zei­tun­gen zählt und des­sen Redak­teu­re regel­mä­ßig mit Jour­na­lis­mus­prei­sen geehrt wer­den: In einem wei­te­ren Arti­kel auf der heu­ti­gen Titel­sei­te wer­den dort Aus­sa­gen vom Bru­der des Opfers mit Zita­ten aus dem MySpace-Blog des Toten gegen­über­ge­stellt. Die Aus­sa­ge, der Ver­stor­be­ne sei ein fried­li­cher und reli­giö­ser Mensch gewe­sen, wer­den mit hor­mon- und alko­hol­ge­schwän­ger­ten Par­ty­ge­schich­ten ver­schnit­ten, die für jeden „Chronicle“-Leser drei Maus­klicks weit ent­fernt sind.

Ich muss also mei­ne eige­ne Mei­nung zur infor­ma­tio­nel­len Selbst­be­stim­mung, die ich hier schon ein­mal aus­ge­brei­tet habe, etwas ein­schrän­ken: Zwar glau­be ich nach wie vor, dass per­sön­li­che Blog­ein­trä­ge und Par­ty­fo­tos eines Tages für Per­so­nal­chefs wie­der völ­lig irrele­vant sein wer­den (ein­fach, weil es sie von jedem Bewer­ber und dem Per­so­nal­chef selbst geben wird), aber es besteht eben immer die Gefahr, unfrei­wil­lig zum Gegen­stand pseu­do-jour­na­lis­ti­scher Bericht­erstat­tung zu wer­den.

Ich wür­de nicht wol­len, dass, soll­te ich mor­gen unter einem LKW lie­gen, die Zei­tun­gen über­mor­gen mein Leben und Wesen so zusam­men­fass­ten: „Lukas moch­te, wie er auf sei­nem MySpace-Pro­fil schrieb, Acht­zi­ger-Jah­re-Komö­di­en und Musik von Oasis und Phil Coll­ins.“

Nach­trag, 6. Mai: BILD­blog gibt Tipps, wie man sich halb­wegs gegen die Ver­wen­dung von Fotos schüt­zen kann.

Kategorien
Digital

Programmhinweis

Am Frei­tag wird das ver­lie­hen, was die Deut­sche Pho­no-Aka­de­mie immer wie­der „einen der wich­tigs­ten Musik­prei­se der Welt“ nennt: der Echo. Es wird wie­der eine krampf­haft locke­re Nabel­schau mit diver­sen gro­ßen und klei­nen Pein­lich­kei­ten wer­den, dafür sor­gen schon die bekann­ten Musik­jour­na­lis­ten Oli­ver Gei­ßen und Nazan Eckes, die durch den Abend füh­ren wer­den. Und da geteil­tes Leid hal­bes Leid ist, wer­den wir, also Sie und ich, die­sen Abend gemein­sam ver­brin­gen – wenn Sie wol­len:

Live­blog Echo 2008
am Frei­tag, 15. Febru­ar 2008
ab 20:00 Uhr
bei coffeeandtv.de

Die Nomi­nier­ten (in Gott­sei­dank nur 24 Kate­go­rien, wir sind ja nicht bei den Gram­mies) ent­neh­men Sie bit­te die­ser Sei­te. Ich habe das Ver­fah­ren, nach dem die Nomi­nier­ten und Preis­trä­ger bestimmt wer­den, bis heu­te nicht ver­stan­den und ken­ne auch wie­der maxi­mal die Hälf­te, was aber die denk­bar bes­ten Vor­aus­set­zun­gen für einen Abend vol­ler Über­ra­schun­gen sein dürf­ten.

Kategorien
Rundfunk Fernsehen

Bata Man

Ges­tern hab ich mal wie­der „Das per­fek­te Pro­mi-Din­ner“ geguckt. Ich tue das sehr ger­ne, beson­ders, wenn ich wäh­rend­des­sen essen kann. Plötz­lich kam ein älte­rer Herr ins Bild und ich dach­te „Ach, guck mal da!“ Dann erst stell­te ich fest, dass ich Bata Illic streng genom­men gar nicht ken­ne, also jeden­falls nicht in einem Maße, das eine sol­che Freu­de und Über­ra­schung gerecht­fer­tigt hät­te.

Bis vor einem Monat wuss­te ich von Bata Illic gera­de mal, dass er vor vie­len Jah­ren einen Hit namens „Michae­la“ gehabt hat­te, dass er aus­sah wie Franz Josef Wag­ner, und dass er nicht an der Schuh­fir­ma Bata betei­ligt war. ((Danach hat­te ihn Roger Wil­lem­sen vor fast eben­so vie­len Jah­ren bei „Wil­lem­sens Woche“ mal gefragt.)) In der Zwi­schen­zeit aber war Bata Illic ins RTL-Dschun­gel­camp ein­ge­zo­gen und war dort bis zum letz­ten Tag ver­blie­ben. War er dort anfangs kaum auf­ge­fal­len, hat­te er mit sei­ner ers­ten Dschun­gel­prü­fung, bei der er mit Rat­ten sprach und die­se von sei­nen fried­vol­len Absich­ten zu über­zeu­gen ver­such­te, die Her­zen der Zuschau­er erobert. Ich habe von jun­gen Damen gehört, die ihn am liebs­ten als Opi mit­ge­nom­men hät­ten.

Über­haupt: „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ dürf­te sich für die RTL-Redak­teu­re zum Super-GAU ent­wi­ckelt haben. Statt sich anzu­kei­fen und in Gra­ben­kämp­fe zu ver­fal­len, konn­te man den Pro­mi­nen­ten ((Ich fin­de es so unfair, die Dschun­gel-Cam­per als „Pro­mi­nen­te“ mit Anfüh­rungs­zei­chen zu bezeich­nen. Zumin­dest einem Teil der Bevöl­ke­rung dürf­te jeder Ein­zel­ne bekannt gewe­sen sein und wenn man „Pro­mi­nen­ter“ mal mit „jemand, von dem sich Men­schen gemein­sa­me Han­dy­fo­tos wün­schen“ über­setzt, soll­ten alle zehn als Pro­mi­nen­te durch­ge­hen. Außer­dem bin ich neu­lich ver­se­hent­lich in eine Auto­gramm­stun­de von Mar­tin Stosch hin­ein­ge­ra­ten, bei der es für die zahl­rei­chen Besu­che­rin­nen zwei „Abend­essen“ (mit Anfüh­rungs­zei­chen) mit dem Star zu gewin­nen gab.)) bei Selbst­fin­dung und Grup­pen­ku­scheln zuse­hen. Ross Ant­o­ny und Michae­la Schaf­frath waren mir vor­her unbe­kannt bis egal gewe­sen, aber es war schon ein Erleb­nis, dem anfangs völ­lig hys­te­ri­schen Ross bei der Über­win­dung sei­ner Ängs­te zuzu­se­hen oder eine Frau zu erle­ben, die mit ihrer inne­ren Ruhe und Güte die gan­ze Trup­pe zusam­men­hielt und so gar nicht dem Kli­schee des über­all apo­stro­phier­ten Ex-Por­no­stars ent­sprach. Die­se Staf­fel ent­wi­ckel­te sich dann auch ver­se­hent­lich zum Gegen­ent­wurf aller Cas­ting­shows, wo inner­halb weni­ger Wochen aus Nobo­dies Stars gemacht wer­den: Plötz­lich saßen da Stars, die vie­le nicht kann­ten, im Dschun­gel, rede­ten auf eine ganz eigen­ar­tig poe­ti­sche Art belang­lo­ses Zeug und mach­ten sich bei über­trie­be­nen Kin­der­ge­burts­tags­spie­len zum Affen. Der Unter­schied zu „Zim­mer frei!“ bestand teil­wei­se nur noch in den Mode­ra­to­ren und der Reak­ti­on der Öffent­lich­keit.

Und wäh­rend mich das For­mat „Rea­li­ty TV“ nor­ma­ler­wei­se über­haupt nicht inter­es­siert, weil ich schon nicht wis­sen will, wie falsch sich mei­ne Nach­barn ernäh­ren oder wie grau­en­haft sie ihre Woh­nung ein­ge­rich­tet haben, fin­de ich die Pro­mi­nen­ten-Able­ger davon meis­tens ganz groß­ar­tig. Es gibt kaum einen bes­se­ren Weg, Leu­te etwas über Leu­te zu erfah­ren, als ihnen beim Dschun­gel-Bewoh­nen oder Essen zuzu­se­hen. Danach braucht man kei­ne Papa­raz­zi mehr.

Die „Promidinner“-Redakteure hat­ten dann auch eine an „Lost“ erin­nern­de Akri­bie bei der Zusam­men­set­zung der gest­ri­gen Köche an den Tag gelegt: Neben Bata Illic waren John Jür­gens, Sohn der Schla­ger­le­gen­de Udo Jür­gens; Kriem­hild Jahn, Sopra­nis­tin und Ehe­frau von Schla­ger­pro­du­zen­ten­le­gen­de Ralph Sie­gel, sowie Heydi Núñez Gómez ver­tre­ten, die auch schon mal im RTL-Dschun­gel war und mit Ralph Sie­gel eine Plat­te auf­ge­nom­men hat­te. Und wäh­rend sich die ande­ren Kan­di­da­ten mit exqui­si­ten und exo­ti­schen Gerich­ten zu über­trump­fen ver­such­ten, ser­vier­te Bata Illic eine Roh­kost­plat­te mit liter­wei­se Mayon­nai­se, frit­tier­te Schnit­zel nach einem Rezept sei­ner „Schwie­ger­ma­ma“ und eine Rum­tor­te, deren Zucker­guss noch vor dem Fern­se­her Zahn­schmer­zen ver­ur­sach­te. Las er auf den Menü-Kar­ten der ande­ren Kar­ten etwas, was sei­ner Frau Olga gefal­len könn­te, woll­te er gleich eine dog­gy bag für sie ordern, und immer, wenn er für die Koch­küns­te der Ande­ren Punk­te ver­tei­len soll­te, tat er das mit den Wor­ten „Ich freue mich, ihm/​ihr zehn Punk­te geben zu dür­fen“, und man glaub­te ihm die­se Freu­de genau­so wie jedes ein­zel­ne „wun­der­schön“. ((Dass er sich strikt wei­ger­te, mit dem Essen zu begin­nen, bevor die Gast­ge­be­rin Platz genom­men hat­te, und er den Damen jedes­mal, wenn sie sich hin­set­zen woll­ten, umständ­lich den Stuhl ran­schie­ben woll­te, zeigt, dass sein Kom­men­tar im Dschun­gel zu (ich glau­be) DJ Tomekk „Wir zwei sind Gen­tle­men“ zumin­dest zur Hälf­te voll­kom­men rich­tig war.))

Noch mehr als im Dschun­gel oder am Ess­tisch erfährt man über Men­schen nur, wenn man sieht, wie sie leben. Bata Illic und sei­ne Olga leben in einem Haus, das mit sei­nen ter­ra­cot­ta­far­be­nen Wän­den, run­den Türz­ar­gen, selbst geschrie­be­nen Iko­nen, baro­cken Kom­mo­den und eng­li­schen Club­ses­seln wie ein wüst, aber lie­be­voll zusam­men­ge­stell­tes Muse­um wirkt. Wer die bei­den mit­ein­an­der reden sieht, wird dem Mann jedes Wort jedes Schla­ger­tex­tes abneh­men. Bei Kriem­hild Jahn und Ralph Sie­gel zuhau­se gibt es einen glä­ser­nen Fahr­stuhl, die Küche liegt (wenn ich das rich­tig ver­stan­den habe) im Kel­ler und der Ess­tisch steht in einem Raum, der aus­sieht wie die Lob­by eines Hotels in Las Vegas.

Kategorien
Fernsehen Rundfunk

Die Abwürger

Ich weiß nicht, wel­che geis­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen man erfül­len muss, um Pro­gramm­pla­ner bei einem (Privat-)Fernsehsender zu wer­den. Logi­sches Den­ken oder gesun­der Men­schen­ver­stand jeden­falls schei­nen Aus­schluss­kri­te­ri­en für den Job zu sein.

Da lief ver­gan­ge­ne Woche mit „Die Anwäl­te“ die ers­te RTL-Eigen­pro­duk­ti­on seit Ewig­kei­ten an, die mir gefällt (genau­er: seit „SK Babies“ – und die fand ich bestimmt auch nur gut, weil ich damals zwölf Jah­re alt war), und – Zack! – wird die­se nach nur einer ein­zi­gen Fol­ge abge­setzt.

Sicher, die Quo­ten waren nicht so doll, dafür aber die Kri­ti­ken. Wer vom Start der Serie nichts mit­be­kom­men hat­te (also bei­spiels­wei­se Leu­te, die sonst nie RTL gucken, für eine gute Serie mit Kai Wie­sin­ger aber mal eine Aus­nah­me machen wür­den), aber durch Kri­ti­ken oder Erzäh­lun­gen im Freun­des­kreis neu­gie­rig gewor­den war, hat jetzt aber nicht mal mehr die Gele­gen­heit, sich selbst ein Bild zu machen. Statt­des­sen läuft nun „CSI“, das ja regel­mä­ßig hohe Quo­ten ein­fährt – wenn es denn in den TV-Zeit­schrif­ten ange­kün­digt wird.

Deut­sches Fern­se­hen wird von Men­schen gemacht, die ihr Pro­gramm und ihre Zuschau­er has­sen. Man soll­te die­se Leu­te drin­gend in psy­cho­lo­gi­sche Behand­lung schi­cken. Und dar­über kei­ne Doku­soap dre­hen.

PS: „Her­zog“ fand ich übri­gens auch gut, RTL. Der Ein­trag, in dem ich die­se sen­sa­tio­nel­le Häu­fung von ein­hei­mi­schen Qua­li­täts­se­ri­en auf Eurem Sen­der loben woll­te, war schon in der Pro­duk­ti­on.

Nach­trag 6. Febru­ar: … und mit beein­dru­cken­der Kon­se­quenz hat RTL jetzt auch Her­zog gekillt.