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Ein Denkmal für Heiko Herrlich

Hei­ko Herr­lich war der Größ­te. Zumin­dest war er einer der ganz Gro­ßen in der gol­de­nen Bun­des­li­ga-Sai­son 94/​95, als Borus­sia Mön­chen­glad­bach nahe­zu alles gelang. Mit Mar­tin Dah­lin bil­de­te er den effek­tivs­ten Sturm der Liga und wur­de am Ende Tor­schüt­zen­kö­nig. Beim DFB-Pokal­fi­na­le gegen den VfL Wolfs­burg schos­sen die über­ra­gen­den Män­ner der Sai­son die Tore: Dah­lin, Ste­fan Effen­berg und natür­lich Hei­ko Herr­lich. Es war die Krö­nung einer groß­ar­ti­gen Sai­son und für einen elf­jäh­ri­gen Jun­gen im Ber­li­ner Olym­pia­sta­di­on war klar, dass es der Auf­takt einer neu­en Ära für die Borus­sen sein wür­de. Wir wür­den um die Meis­ter­schaft mit­spie­len und ich wür­de spä­ter so von den Spie­lern spre­chen, wie es mein Paten­on­kel von Net­zer, Vogts, Heyn­ckes und Kleff tat.

Hei­ko Herr­lich war ein Ver­rä­ter. Das Pokal­fi­na­le war sein letz­tes Spiel für Glad­bach. Er woll­te weg, aus­ge­rech­net zur ande­ren Borus­sia, nach Dort­mund. Für einen Elf­jäh­ri­gen, der gera­de sei­ne ers­te Sai­son als Fan hin­ter sich gebracht hat­te, war es unvor­stell­bar, war­um man Mön­chen­glad­bach über­haupt ver­las­sen wol­len wür­de – geschwei­ge denn nach Dort­mund und unter die­sen Umstän­den. Dass sich Herr­lich und die Ver­eins­füh­rung vor Gericht wie­der tra­fen, sprach damals ein­deu­tig gegen den Spie­ler, der bestimmt eh nur auf Koh­le aus war. Dann ver­schwand er aus mei­nem Focus.

Als ich wie­der von ihm hör­te, war Hei­ko Herr­lich krank. Die ver­fick­te Arsch­loch­krank­heit Krebs. Am Tag nach­dem er kahl­köp­fig eine Pres­se­kon­fe­renz gege­ben hat­te, frag­te mich mei­ne Mut­ter, ob ich die Bil­der in der Zei­tung gese­hen hat­te. Ich hat­te Mit­leid mit Hei­ko Herr­lich und Respekt vor sei­nem Über­le­bens­wil­len. Men­schen­le­ben zäh­len dann eben doch viel, viel mehr als Fuß­ball.

Was wei­ter mit Hei­ko Herr­lich pas­sier­te, habe ich kaum mit­be­kom­men. Musik war wich­ti­ger gewor­den als Fuß­ball und dass Herr­lich sich im Trai­ning Nasen- und Joch­bein gebro­chen hat­te, erfuhr ich erst Jah­re spä­ter aus einer sehr berüh­ren­den SWR-Doku über den Spie­ler, der sich immer wie­der zurück­ge­kämpft hat­te, bis ihm nach vie­len Rück­schlä­gen die Moti­va­ti­on aus­ging und er statt­des­sen Trai­ner wur­de.

Im ver­gan­ge­nen Win­ter über­nahm Hei­ko Herr­lich den Trai­ner­pos­ten beim VfL Bochum und ich freu­te mich sogar ein biss­chen, dass ich wie­der mehr von ihm mit­be­kam. Die ers­ten Spie­le lie­fen her­vor­ra­gend, dann ging es berg­ab. Als ich vor zwei Wochen beim Spiel gegen den HSV im Sta­di­on war, wur­de der Name des Trai­ners bei der Mann­schafts­vor­stel­lung vor­sichts­hal­ber gar nicht erst auf­ge­ru­fen. Bochum kämpf­te, war aber abschluss­schwach, als stün­den Klo­se und Gomez im Sturm, und ver­lor letzt­lich unglück­lich mit 1:2. Noch nie zuvor hat­te ein Ver­ein, des­sent­we­gen ich im Sta­di­on war, ver­lo­ren.

Und dann letz­ten Mitt­woch die­se Pres­se­kon­fe­renz beim VfL: Hei­ko Herr­lich, wie­der eine Spur zu selbst­be­wusst und rea­li­täts­fern, teil­te in alle Rich­tun­gen aus. Und als der „Bild“-Reporter, der Herr­lich so kon­se­quent anduz­te, dass sich selbst Wal­di Hart­mann geschämt hät­te, dem Trai­ner Selbst­zwei­fel ein­re­den woll­te, leg­te Herr­lich los – nicht laut wie Gio­van­ni Tra­pat­to­ni oder Tho­mas Doll, son­dern ganz ruhig. Und jeder, der Eltern hat oder mal auf eine Schu­le gegan­gen ist, weiß: Das knallt viel mehr.

Hei­ko Herr­lich hat­te bei „Bild“ eh nichts mehr zu ver­lie­ren und griff die Zei­tung des­halb fron­tal an. Er erklär­te, war­um ihn „Bild“ sei­nes Erach­tens run­ter­schreibt (weil er nicht mit der Zei­tung reden woll­te, vgl. Jür­gen Klins­mann), er nahm gleich den nächs­ten Schritt vor­weg („Und ich weiß auch, dass es da viel­leicht ’nen Bume­rang gibt, ne?“) und er sag­te, er wer­de „auf­rich­tig“ blei­ben. Und dann ließ er noch so ganz neben­bei den Namen Gün­ter Wall­raff fal­len, was natür­lich wie­der so gar nicht zum Kli­schee des doo­fen Fuß­bal­lers pass­te.

Herr­lichs Nach­satz zum The­ma ist in Mar­mor zu mei­ßeln:

Und drü­cken Sie auf Auf­nah­me, dass ich’s mei­nen Kin­dern irgend­wann zei­gen kann: Euch gegen­über, Ihnen gegen­über bleib‘ ich auf­rich­tig. Die wer­den stolz sein auf mich, irgend­wann.

Es sind Momen­te wie die­se, in denen sonst die Musik anschwillt und in denen Men­schen auf Tische stei­gen und „Oh Käp­t’n, mein Käp­t’n“ skan­die­ren. Und es sind Momen­te, die bit­te, bit­te blei­ben sol­len, in Zei­ten, in denen Leu­te wie Miri­am Piel­hau oder Mat­thi­as Stei­ner in „Bild“ intims­te Momen­te nach Schick­sals­schlä­gen aus­brei­ten, und sich selbst Sibel Kekil­li, die vor sechs Jah­ren im Zen­trum einer „Bild“-Kampagne von his­to­ri­schem Aus­maß stand, mit dem Blatt ver­söhnt zu haben scheint.

Sport­lich sieht es nicht gut aus für Hei­ko Herr­lich (wofür man sich heu­te auch noch beim deut­schen Meis­ter VfL Wolfs­burg bedan­ken kann, der aus­ge­rech­net gegen den Bochu­mer Kel­ler­kon­kur­ren­ten SC Frei­burg ver­lie­ren muss­te), aber mensch­lich war sein Auf­tritt beein­dru­ckend. Hei­ko Herr­lich ist einer der Gro­ßen.