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Wir haben uns für die Erbsensuppe entschieden

Die gelernte Naturwissenschaftlerin Merkel wird diese Art Beweisführung zulassen müssen: Um ein unbekanntes Element zu erforschen, kann es hilfreich sein, die Daranheftenden und Drumherumschwirrenden zu definieren. Wenn sie zum stets in ihrer Nähe schleichenden Pofalla blickt, nickt er meist sofort. Oder schüttelt den Kopf. Was halt gerade gewünscht wird. Seine Größe ist allein durch Unterwerfung bedingt.

Der Typus Pofalla wird nicht abgestoßen von Merkel, anders als widerständigere Charaktere.

Benjamin von Stuckrad-Barre, das vergisst man gerne, hat ja nur einen Roman und eine Handvoll fiktionaler Texte veröffentlicht. Den Großteil seines Werks machen journalistische Arbeiten aus, besonders Reportagen.

Und die kann der Mann, der kürzlich vom Magazin “Cicero” sehr schön porträtiert wurde, auch immer noch schreiben — man kriegt davon nur nichts mit, weil sie in Zeitungen wie der “Welt am Sonntag” veröffentlicht werden.

Dass es über Merkel, je länger sie regiert, immer weniger Witze gibt, ist auch merkwürdig. Wenn Opposition, Herausforderer und Kommentatoren ihr mangelnde Greifbarkeit vorhalten und quecksilbrige Positionen, klingt das hilflos. Wenn aber den Witzemachern zu ihr nichts mehr einfällt, müssen wir das vielleicht ernst nehmen.

Seine Reportage über eine Zugfahrt mit Angela Merkel kann ich Ihnen nur wärmstens empfehlen, nicht zuletzt wegen des sagenhaften Nicht-Interviews, aus dem man mehr über die Kanzlerin erfährt als aus vier Jahren Regierungsverantwortung:

Wenn Sie aus dem Zug schauen, was für ein Land sehen Sie?

Ich sehe ein ziemlich intaktes Land, im Vergleich zu anderen Ländern, in denen man schon so war.

(Man! Länder, in denen man schon so war! Das erste, was einem ein Psychotherapeut beibringt: Sagen Sie nicht „man“, sagen Sie „ich“. Das erste, was man als Profipolitiker wahrscheinlich lernt: öfter mal „man“ sagen, dann kann nichts groß passieren.)

“Wie war die Wurst?” von Benjamin von Stuckrad-Barre bei welt.de.

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Der schwarze Gürtel im Nervensägen

Als ich noch ein kleiner Junge war und mit meiner Familie in der Innenstadt von Dinslaken wohnte, fuhr die Straßenbahnlinie 903 direkt hinter unserem Haus entlang. Mit meinem besten Freund habe ich oft an den Gleisen gespielt (was man natürlich, liebe Kinder an den Bildschirmen zuhause, nie tun sollte) und ein, zwei Mal bin ich auch (natürlich in Begleitung Erwachsener) mit der Straßenbahn nach Duisburg und von da aus weiter in den Zoo gefahren.

Warum erzähle ich Ihnen das? Ralf Birkhan hat für die “NRZ” eine Reportage über die Linie 903, mit der man durch halb Duisburg juckeln kann, geschrieben. Es ist eine sehr atmosphärische Schilderung geworden, die sprachlichen Bilder sind manchmal etwas zu bemüht, aber manche Sätze sind auch ganz großartig in ihrer Schlichtheit:

An der Haltestelle „Fischerstraße” in Hochfeld ist der Mittag gekommen, sonst niemand.

Und weil hier ja viel zu oft über schlechten Journalismus gemeckert und guter viel zu selten gelobt wird, möchte ich Ihnen die Reportage mit dem leider fürchterlich verunglückten Titel “Straßenbahn-Linie 903: mittags beim „Kuaför” – abends das Arbeiter-Bier” hiermit ans Herz legen — auch, wenn Sie noch nie in Duisburg waren.

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Meine Ruhr-Uni (Teil 3)

Die letzten zehn Tage habe ich mit Filmen, Schneiden, Freunde treffen und Familie besuchen zugebracht (und in all der Zeit die neue Tomte-Platte bisher genau einmal hören können). Währenddessen hat mich die Weltgeschichte rechts überholt und vorwurfsvoll eine Weltwirtschaftskrise, ein Fernsehpreis-Skandälchen, ein Fußball-Skandälchen und einen toten österreichischen Politiker (also einen weiteren) auf meinem Schreibtisch abgeladen. Ich aber sage: “Ach, verzieh Dich, Weltgeschichte, über Dich werden noch genug andere schreiben!”

Stattdessen widme ich mich noch einmal meiner Ruhr-Uni, genauer: dem dritten Teil der Serie “Meine Ruhr-Uni” (s.a. Teil 1 und Teil 2). Heute geht’s da hin, wo ich ohne Quatsch am Abend nur ungern unterwegs wäre — und in die Uni-Bibliothek, die immer so schön nach Kindheit riecht.

Das alles in den letzten viereinhalb Minuten von “Meine Ruhr-Uni”:

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Natürlich wieder mit Dank an Kamerakind Fabian!

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Meine Ruhr-Uni (Teil 2)

Kommen wir nun zum zweiten Teil unserer kleinen Serie über die schönste Universität, an der ich je als Student eingeschrieben war.

Heute gehen wir in der Mensa essen und sehen uns mein Institutsgebäude genauer an:

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Wieder mal mit vielen Dank an Kamerakind Fabian!

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Meine Ruhr-Uni (Teil 1)

Schauen Sie mal in Ihren Kalender. Was sehen Sie da (von dem roten Kringel mal ab)?

Richtig: Heute vor fünf Jahren begann mein Studium an der Ruhr-Uni Bochum mit einer Informationsveranstaltung der Germanisten für Erstsemester bei Dr. Ralph Köhnen und Dr. Benedikt Jeßing.

Inzwischen habe ich längst meinen Bachelor-Abschluss, aber die Ruhr-Uni ist natürlich immer noch etwas besonderes für mich. So besonders, dass ich sie Ihnen vorstellen will — mit subjektiven Eindrücken, aber auch mit einigen Fakten.

Im ersten Teil der neuen Serie “Meine Ruhr-Uni”, die sich an Erstsemester, Eltern und sonstwie interessierte Leser dieses Blogs richtet, räumen wir heute mit einigen Klischees auf und verlaufen uns in einem obskuren Gebäude namens “HZO”:

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Mit besonderem Dank an Kamerakind Fabian!

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Unterwegs

Ground Zero, Square One

Vermutlich weiß jeder Mensch, wo er war und was er tat, als am 11. September 2001 die Flugzeuge einschlugen. Ich saß, gerade aus der Schule gekommen, am Küchentisch und aß eine Tiefkühlpizza, als meine Mutter hereinstürmte und sagte, das World Trade Center stehe in Flammen. Den Rest des Tages verbrachte ich vor dem Fernseher und sah die Bilder, von denen jeder sagte, sie seien “wie im Kino”. Zu unvorstellbar waren die Ereignisse und selbst die irgendwann nach unten korrigierten Zahlen von knapp 3.000 Toten waren in einer Größenordnung, die das eigene Hirn überforderte.

Jetzt bin ich zum ersten Mal in meinem Leben in der “Stadt mit Loch”, Thees Uhlmann New York im gleichnamigen Tomte-Song nennt, und auch mit mehreren Jahren Abstand sind die Anschläge von jenem sonnigen Spätsommertag etwas Abstraktes. Tausende Male hat man die Szenen von den explodierenden Flugzeugen und den einstürzenden Türmen seitdem gesehen, die mit Staub bedeckten Straßen und Menschen. Sie sind in der Zwischenzeit popkulturelle Ikonen geworden und damit noch weiter entfernt von der Realität eines westdeutschen Studenten als sie es ohnehin schon waren, als sie damals noch Nachrichtenbilder waren.

Wer das alte, vollständige New York nicht kannte, merkt kaum, das etwas fehlt. Die Skyline ist auch so noch beeindruckend genug, die Stadt ist groß und laut und bunt. Von einer Melancholie oder Lähmung, die manche Journalisten auch nach Jahren noch zu entdecken glauben, ist nichts zu bemerken. Die Stadt ist lebendiger als jede andere Stadt, in der ich bisher war, und wer einen Moment nicht aufpasst als Fußgänger, gefährdet seine eigene Lebendigkeit.

Dass etwas nicht stimmt, merkt man erst, wenn man die Fotos und Gemälde aus der Zeit vor den Anschlägen sieht, die im Battery Park an der Südspitze Manhattans zu Dutzenden an Touristen verkauft werden sollen. Die Twin Towers sind fast doppelt so hoch wie die ohnehin schon beeindruckenden Hochhäuser, die man auch heute noch sehen kann. Ich halte die Zeige- und Mittelfinger meiner rechten Hand vor mein Auge, um zwei Türme in die Skyline zu malen. Es klappt nicht: so hohe Häuser liegen außerhalb der eigenen Vorstellung, wenn man am durchweg flachen Niederrhein aufgewachsen ist. Beeindruckt bin ich trotzdem.

Ich gehe nach Norden, in Richtung des Ortes, den alle immer noch “Ground Zero” nennen. Plötzlich brechen die engen Straßenschluchten auf und vor mir liegt ein sonnendurchfluteter Platz, groß sicherlich, aber inmitten von großen Häusern in einer so großen Stadt wirkt er gar nicht so. Selbst die Grube, in der bereits an den Fundamenten des neuen “Freedom Towers” gearbeitet wird, erscheint einem aufgrund der Proportionen eher wie eine beliebige Baustelle in einer beliebigen Innenstadt. Drumherum ein Metallzaun und Schilder, auf denen die Hafenbehörde von New York bittet, diesen “Ort der besonderen Erinnerung” würdevoll zu behandeln, hier nicht zu betteln und hier nichts zu kaufen oder zu verkaufen. Einige Männer bieten Fotoalben mit aus dem Internet ausgedruckten Fotos der Flugzeugeinschläge an, lachende Mädchen lassen sich gemeinsam vor dem Zaun und dem dahinterliegenden Nichts fotografieren. Es ist diese Mischung aus Gedenkstättenhaftigkeit und Tourismus, die man in Berlin an jeder Ecke erleben kann. Drumherum stehen Hochhäuser, deren Fassaden und Fenster teilweise immer noch mit Staub bedeckt sind – nach all den Jahren. Hinter dem ersten Neubau steht ein Haus, dessen halbe Fassade fehlt. Das ist anders als alles, was man kennt.

Die U-Bahn-Station “World Trade Center” gibt es immer noch, sie heißt auch immer noch so. Im ersten Untergeschoss kann man durch einen Zaun in das Loch gucken, das von hier aus schon sehr viel größer wirkt als von oben. Wenn man weitergeht, kommt man an einem Schild vorbei, das einem erklärt, dass die U-Bahn-Station “von hier an” noch die originale Station des World Trade Centers sei. Die Kachelung an der Wand beginnt seltsam zerfranst – die Bruchkante zwischen dem, was früher war, und dem, was jetzt ist. Die Ereignisse sind immer noch so abstrakt wie die Zahl der Todesopfer, aber diese Kacheln sind konkret. Ich bekomme eine Gänsehaut und will nur noch weg.

[geschrieben im November 2006]

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Digital

Klickbefehl (6): Gegen den Strich

Doch nach Jahren des Niedergangs herrscht Aufbruchstimmung. Verlage und Konzertveranstalter boomen. Bei den kleineren Plattenfirmen gab es noch nie so viele Neugründungen. Und selbst unter den großen Musikkonzernen von Universal bis Warner Music macht sich neue Hoffnung breit. „Wir beenden das beste Jahr seit bestimmt sieben Jahren“, sagt Edgar Berger, Deutschland-Chef von Sony-BMG.

Von wegen verhungernde Manager: Das Handelsblatt berichtet über das “Comeback der Musikindustrie”.

* * *

Wenigstens braucht man sich in Hessen vorerst keine Sorgen um eine starke NPD zu machen. Denn Ausländerhetze übernimmt der Ministerpräsident persönlich. Und wenn er dann wiedergewählt ist, zeigt sich Roland Koch sicher wieder gerne mit dem Dalai Lama oder bei der Verleihung des hessischen Friedenspreises.

Steffen Jenter kommentiert bei tagesschau.de die jüngsten Forderungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, kriminelle Ausländer schneller abzuschieben. [via Pottblog]

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Schlimmer ist aber noch, dass die Polizei einfach unterstellt, alle Personen, die den Link angeklickt hätten, seien darauf über das angeblich kinderpornografische Portal gekommen. Dass der Link – mit vielleicht irreführenden oder gar keinen Inhaltsangaben, zum Beispiel über eine der unzähligen Linklisten, in anderen Boards oder als Spam-Mail – auch anderweitig verbreitet worden sein könnte, liegt außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Oder sie blendet es aus.

Udo Vetter berichtet im Lawblog, wie schnell man Opfer polizeilicher Ermittlungen werden kann – alles im Namen einer eigentlich guten Sache, dem Kampf gegen Kinderpornographie.

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„Und? Wie fandest Du’s?“
„Ich weiß nicht. Ein bißchen mulmig wars mir schon. Das ist ne ganz andere Welt.“
„Ganz anders. Genauso anders wie katholische Kirchen, CSU-Parteitage oder Tupperwarenparty-Jahreshauptversammlungen.“

Frédéric macht im Spreeblick eine kleine Moscheen-Besichtigungstour.

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Rundfunk Digital

Wer hat’s erfunden?

Mit der kalendarischen Regelmäßigkeit von Weihnachten und Ostern kommt ein journalistisches Subgenre daher, das ähnlich strikten Regeln folgt wie die Echternacher Springprozession: die Computerspiel-Reportage.

Was bisher die wenigsten wussten: Dieses Genre wurde von meinen drei besten Freunden und mir erfunden, an einem Samstagvormittag im Jahr 2000, als wir für den Deutsch-Unterricht “etwas über Jugendkultur” machen sollten.

Wir können es sogar beweisen:

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Rundfunk Unterwegs

Wo die Weser einen großen Bogen macht

Der WDR präsentiert dem geneigten Zuschauer in seiner Sendung “Wunderschönes NRW” in regelmäßigen Abständen sehenswertes des Landes. Zu diesem Zwecke fährt Moderator Bernd Müller mit einem Oldtimer gerne mal durch die Weltgeschichte und besucht Land, Leute und sonstiges.

Am heutigen Abend durfte ich einer Darstellung meiner Heimat beiwohnen, denn der gute Mann tuckerte ins sogenannte “Wesertal”. Gezeigt wurden wirklich bemerkenswerte Dinge: Eine Ölmühle in Bevern (das liegt am Solling), diverse Heilbäder (Oeynhausen, Driburg, Lippspringe…), eine Porzellanmanufaktur in Fürstenberg und ein Besuch im wunderschönen Minden (letzteren Kommentar darf man gerne darauf zurückführen, dass ich in Minden weite Teile meines Lebens verbracht habe, bzw. in der Nähe der Stadt).

In eben jener Stadt traf sich Müller mit Peter Hahne an der sogenannten Schiffmühle, redete mit ihm über seine Kindheit in der Weserstadt und Hahnes erste Freundin Doris. Außerdem kam die Tatsache zu Tage, dass einer seiner Lehrer ihn dazu gebracht hat, sich für Theologie und Journalismus zu interessieren. Geboren und aufgewachsen in Minden hat der bekannte Fernsehpfarrer nach wie vor eine besondere Beziehung zu seiner Heimat. Hahne hält nach wie vor am ersten Weihnachtstag einen Gottesdienst in Minden-Leteln. “Nah am Menschen”, wie er es selber nennt. Kann ich nicht beurteilen, war nie da.

Besser beurteilen kann ich da schon eher das Maß an Nähe, was die aktuell unglaublich erfolgreiche Band Marquess zumindest zu mir hat. Die Heimatstadt ihres Sängers Sascha Pierro ist nämlich auch Minden, er besuchte sogar die selbe Schule wie ich, allerdings einige Jahre vor mir. Und lebte die ersten Jahre seines Lebens ebenfalls in Hille, wie in der lokalen Presse sehr ausufernd zu lesen ist.

Freiheit, draußen toben, die Natur genießen, das war schon immer Saschas Welt. Zwänge dagegen engen ihn ein, ersticken seine Neugier und Kreativität. “Zum Glück habe ich coole Eltern, die mich herausfinden ließen, was mir lag”, sagt der gut aussehende Sänger. “Meine Devise lautet: einfach machen, nicht groß rumquatschen.” Mit diesem Lebensmotto macht auch die Tochter des Hiller Dorfpastors eine überraschende Erfahrung. “Ich küsste sie mit sechs Jahren auf der Schultreppe”, erinnert sich der Popstar, der bis zum siebten Lebensjahr in Hille aufwuchs, lachend.

Insgesamt 14 Jahre hat der gute Sascha mit der Top-40-Coverband Steam verbracht, die auf ungefähr jeder Hochzeit, diversen Abibällen (unter anderem dem meiner Schwester) und Sportfesten auf der Bühne stand. Kaum eine größere Feier, auf der man nicht auf die Band gestoßen ist.
Umso kurioser, dass er nun mit seiner neuen Band Marquess mit “Vayamos Companeros” einen der Sommerhits des Jahres geliefert hat. Und dann noch in Betracht zieht, dass Sascha mit einem spanischsprachigen Song Erfolg hat, wo er doch Halbitalieniener ist…

Auf jeden Fall: Da sag nochmal einer, aus der Provinz kommt nichts erfolgreiches. Ob man das dann auch noch gut finden muss, muss ja jeder selbst wissen.