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Digital Gesellschaft

Wohlfaile Empörung

Ich hab mir heu­te nach fast sechs Jah­ren in Bochum zum ers­ten Mal eine „WAZ“ gekauft – für einen Arti­kel im BILD­blog über das Koma-Sau­fen, zu dem die Jun­ge Uni­on hier in der Stadt angeb­lich ein­lädt.

Ich weiß nicht, was ich von einer Par­ty hal­ten soll, bei der man für 10 Euro Ein­tritt 25 Euro ver­trin­ken kann, so dass die rot-grü­nen Shots, die „weg müs­sen“, im End­ef­fekt weni­ger als einen Euro kos­ten. Aber ich wür­de auch noch viel weni­ger ins Playa gehen, als ich CDU wäh­len wür­de.

Was ich weiß, ist, dass die gan­ze Auf­re­gung um die­se Par­ty irgend­wie typisch war: Beim „Wes­ten“ steht, die Gut­schei­ne müss­ten in andert­halb Stun­den ver­trun­ken wer­den, und kurz dar­auf steht es so in vie­len Blogs und mehr als 300 Leu­te twit­ter­ten, dass die Jun­ge Uni­on …

Auch ich hat­te den Link zum „Wes­ten“ für eine Minu­te in mei­nen deli­cious-Links, ehe mir bei den dor­ti­gen Track­backs der Link zu Way­nes Blog auf­fiel, in dem die­ser der „WAZ“ schlech­ten Jour­na­lis­mus vor­warf.

Ob die Jun­ge Uni­on mög­li­cher­wei­se erst nach Erschei­nen des Arti­kels beim „Wes­ten“ auf ihrer Web­site klar­ge­stellt hat, „dass der Gut­schein zwar bis 23:30 an der Kas­se erwor­ben wer­den muss aber die gan­ze Nacht genutzt wer­den darf“, ist eigent­lich uner­heb­lich – die Blog­ger, die sich auf die Sto­ry stürz­ten, hät­ten wenigs­tens den Ver­such unter­neh­men müs­sen, bei der Jun­gen Uni­on nach Infor­ma­tio­nen zu suchen. (Ich natür­lich auch, bevor ich den Link gespei­chert habe. Ganz beson­ders, wenn die Quel­le „WAZ Bochum“ heißt.)

Es kann doch nicht sein, dass wir immer wie­der die Infor­ma­tio­nen loben, die im Inter­net für jeden über­all und frei ver­füg­bar sind, und dann nicht mal drei Minu­ten dar­auf ver­wen­den, bei einer sol­chen Geschich­te auch die Gegen­sei­te abzu­che­cken. Statt­des­sen wird der Link blind­lings bei Twit­ter wei­ter­ver­brei­tet – natür­lich nicht, ohne ihn vor­her nicht noch mit „#fail“, „#cdu-“ und „#pira­ten+“ (aus Prin­zip!) ver­se­hen zu haben.

Natür­lich traue auch ich den Par­tei­en (und zwar allen) im Wahl­kampf so ziem­lich alles zu. Aber es spricht trotz­dem nicht für die Medi­en­kom­pe­tenz von Inter­net-Power­usern, wenn sie blind auf eine Geschich­te ansprin­gen, die ihnen zufäl­li­ger­wei­se ins Welt­bild passt. Im Gegen­teil: In sol­chen Momen­ten sind wir kei­nen Deut auf­ge­klär­ter als der alte Mann, der seit 60 Jah­ren immer die glei­che Par­tei wählt.

Nach­trag, 22:50 Uhr: Wie hat­te ich nur „BO-Alter­na­tiv“, das loka­le „Indymedia“-Pendant ver­ges­sen kön­nen? Dort sorg­te die Jun­ge Uni­on schon ges­tern Nach­mit­tag „mal wie­der für einen Skan­dal“.

Ande­rer­seits hat­te man sich dort die Mühe gemacht, bei der CDU-Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on selbst nach­zu­fra­gen:

Der Pres­se­spre­cher der JU Tors­ten Bade hält das alles für ein Miss­ver­ständ­nis: Die Gäs­te könn­ten län­ger trin­ken und für jugend­li­che Dis­ko-Besu­che­rIn­nen sei das ein ganz nor­ma­les Ange­bot. Er räum­te aber auch ein, dass es schon meh­re­re Anru­fe wegen der Geschich­te gege­ben habe und eini­ge Pla­ka­te auch wie­der abge­hängt wor­den sei­en.

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Brüste – Jetzt auch in Deutschland!

Face­book fin­det stil­len­de Müt­ter obs­zön und löscht Bil­der von Brust und Baby.

schrieb die „taz“ ges­tern. Aus­lö­ser war ver­mut­lich eine Pro­test­ak­ti­on von stil­len­den Müt­tern vor der Haupt­ver­wal­tung von Face­book, die von etwa 11.000 Men­schen online beglei­tet wur­de, indem die­se Still­fo­tos zu ihren User­bild­chen mach­ten. Face­book hat­te näm­lich immer mal wie­der Fotos, auf denen zu viel Brust zu sehen gewe­sen war, ein­fach gelöscht. Und in die­sem „immer mal wie­der“ liegt der Knack­punkt, den der „taz“-Artikel ver­schweigt.

Anders als bei­spiels­wei­se heise.de am 31. Dezem­ber 2008 schrieb, hat­te die Platt­form damit näm­lich nicht „im Herbst die­ses Jah­res ange­fan­gen“, son­dern bereits im Jahr 2007 – ein Blick in die Face­book-Grup­pe „Hey, Face­book, breast­fee­ding is not obs­ce­ne!“ hät­te da aus­ge­reicht.

Aber „taz“ und Hei­se sind nicht die ein­zi­gen deut­schen Medi­en, die erst durch die Berich­te eng­lisch­spra­chi­ger Medi­en über die Pro­test­ak­ti­on auf­ge­wacht sind: Stern.de, das „Netz­ge­flüs­ter“ der „Han­no­ver­schen All­ge­mei­nen Zei­tung“, der Medi­en­dienst Mee­dia, „RP Online“ natür­lich und Zoomer.de („Doch was sich die inter­ne Zen­sur des Online­netz­wer­kes jetzt geleis­tet hat, geht über­haupt nicht“) – sie alle tun so, als sei der Umstand, dass Face­book sol­che Bil­der löscht, eine Neu­ig­keit.

Bild.de, wo es natür­lich eine Bil­der­ga­le­rie mit stil­len­den Müt­tern gibt, schreibt:

Aus­ge­löst hat den Wir­bel Kel­li Roman (23) aus Kali­for­ni­en.

Gemeint ist damit jene Kel­li Roman, die das „Time“-Magazin kürz­lich zu der gan­zen Sache inter­viewt hat­te, und neben deren Foto die „Time“-Redakteure fol­gen­den Satz geschrie­ben hat­ten:

This pho­to­graph of Kel­li Roman breast­fee­ding her baby was remo­ved from Face­book a year and a half ago.

Und wenn Sie das Gefühl haben, über die­se gan­ze Face­book-löscht-Still­fo­tos-Num­mer schon mal vor län­ge­rer Zeit gele­sen zu haben: das kann natür­lich sein …

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Out of „View“

Für schlecht arbei­ten­de Jour­na­lis­ten müs­sen Blogs die Höl­le sein. Hät­te frü­her nie­mand die Mel­dung, dass ein Sex-Video der Pop­sän­ge­rin Shaki­ra auf­ge­taucht sein soll, in Zwei­fel gezo­gen, wenn sie erst mal über­all gestan­den hat, machen sich Blog­ger heu­te einen Spaß dar­aus, die Mel­dung als April­scherz zu ent­tar­nen und Online­por­ta­le und Agen­tu­ren damit heim­zu­su­chen.

Hauptsache Sex-Skandal.

Eigent­lich war das The­ma für mich dann auch geges­sen, aber Num­mer 9 wies in den Kom­men­ta­ren dar­auf hin, dass es die Mel­dung auch in die Mai-Aus­ga­be des Foto-Maga­zins „View“ geschafft hat­te:

Bei “View” glaubt man noch immer an das Shakira-Sex-Video.

Da es ja schon lan­ge nicht mehr um das angeb­li­che Home­vi­deo und den zugrun­de­lie­gen­den April­scherz geht, son­dern um die gene­rel­le Ein­stel­lung von Jour­na­lis­ten zum The­ma Recher­che, schrieb ich eine E‑Mail an die Redak­ti­on von „View“, die in einer – wie ich fand – ein­fa­chen Fra­ge mün­de­te:

Lag der Redak­ti­ons­schluss für das Mai-Heft so früh, dass Sie von der Auf­lö­sung des April­scher­zes (am 2. bzw. 4. April) nichts mit­be­kom­men konn­ten, oder recher­chie­ren Sie in Fäl­len, die das Pri­vat­le­ben von Stars betref­fen, gene­rell nicht wei­ter nach?

Offen­bar hat­te ich mich damit böse im Ton ver­grif­fen, denn in der Ant­wort-E-Mail, die mir Hans-Peter Jun­ker, stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur von „View“, eine Stun­de spä­ter schrieb, fand er zwar loben­de Wor­te für die­ses Blog, fuhr aber fort:

Sie wer­den aber ver­ste­hen, dass ich eine Fra­ge, wie „Lag der Redak­ti­ons­schluss für das Mai-Heft so früh, dass Sie von der Auf­lö­sung des April­scher­zes (am 2. bzw. 4. April) nichts mit­be­kom­men konn­ten, oder recher­chie­ren Sie in Fäl­len, die das Pri­vat­le­ben von Stars betref­fen, gene­rell nicht wei­ter nach?“ nicht beant­wor­ten kann.

Ich den­ke, wenn Sie mein State­ment im Wort­laut so abdru­cken, wer­den das auch Ihre Leser ver­ste­hen.

Nun kann ich über Ihr Ver­ständ­nis natür­lich schwer­lich urtei­len und bemüh­te mich des­halb, mit einer Umfor­mu­lie­rung mei­ner Fra­ge in der Geschmacks­rich­tung „jour­na­lis­tisch“ wei­ter um eine Ant­wort:

Wie war es, trotz der hohen jour­na­lis­ti­schen Stan­dards, die im Hau­se „View“/„Stern“ vor­herr­schen, mög­lich, dass Ihre Redak­ti­on auf die­sen (auf­ge­klär­ten) April­scherz her­ein­ge­fal­len ist?

Doch der Zug war abge­fah­ren:

Sie ken­nen sicher den Satz:
„You never have the second chan­ce to make a first impres­si­on.“

Sie haben lei­der die nied­ri­gen Stan­dards, die ich an einen höf­li­chen und kol­le­gia­len Umgang stel­le, unter­lau­fen.

Ich sehe daher kei­nen Sinn, die­sen Mail­wech­sel fort­zu­set­zen.

Jetzt wer­den Sie wegen mei­ner unver­schäm­ten For­mu­lie­rung nie erfah­ren, wie es der Shaki­ra-Falsch­mel­dung gelun­gen ist, die hohen jour­na­lis­ti­schen Ansprü­che in der Redak­ti­on von „View“ aus­zu­trick­sen. Das tut mir auf­rich­tig leid.

Mit Dank an Mar­kus fürs Abfo­to­gra­fie­ren der Zeit­schrift.