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Musik Rundfunk Radio

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KQED ist mein Lieb­lings­ra­dio­sen­der, da gibt’s kein Ver­tun. Seit ich in den USA gehört habe, was man mit dem Medi­um Radio so alles anstel­len kann, fin­de ich die deut­sche Radio­land­schaft end­gül­tig nur noch zum Heu­len.

Das heißt für mich: Radio­hö­ren geht nur über Inter­net und um neun Stun­den ver­scho­ben. Aber natür­lich gibt es bei allen Sen­dern des Natio­nal Public Radio alle Sen­dun­gen hin­ter­her auch als Pod­cast, was sowohl vor­bild­lich, als auch sehr fein ist.

Das aber nur als Vor­spann zur eigent­li­chen Geschich­te: Wie ich gera­de erst fest­ge­stellt habe, gibt es von der sehr emp­feh­lens­wer­ten Musik­sen­dung „All Songs Con­side­red“ nicht nur Pod­casts und ein umfang­rei­ches Sen­dungs­ar­chiv, auch vie­le der Kon­zer­te, die „All Songs Con­side­red“ immer wie­der über­trägt, ste­hen im Netz.

Eini­ge kann man „nur“ anhö­ren (dar­un­ter Rufus Wain­w­right, Ben Gib­bard, Björk, Arca­de Fire und Lily Allen), ande­re kann man kom­plett her­un­ter­zu­la­den, wenn man den Pod­cast abon­niert (z.B. Tra­vis, Femi Kuti und ganz aktu­ell: Rilo Kiley). Es lohnt sich, sich durchs kom­plet­te Archiv zu kli­cken und zu hören.

Wie das mit den Down­loads recht­lich geht, ist mir ein biss­chen schlei­er­haft, aber in den USA gibt’s ja auch kei­ne GEMA.

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Musik Rundfunk Radio

Die Beatles? Wer sind die Beatles?

Obi­ge Fra­ge ist natür­lich an dem Tag, an dem alle in Gedan­ken gen Grace­land rei­sen, eher abwe­gig. Aber da ich eh in einem Beat­les-Haus­halt auf­ge­wach­sen bin (mein ers­tes pop­kul­tu­rell ver­tret­ba­res Groß­kon­zert war dann eben auch auf der ’89er-Tour von Paul McCart­ney), sei dies ver­zie­hen. Viel wich­ti­ger ist eh das Hör­erleb­nis von eben, kurz nach neun: Ein hübsch rup­pi­ger Gitar­ren­st­ak­ka­to-Beat, wie ihn Tom­te, Toco­tro­nic oder Blum­feld (RIP) so drauf haben, legt los. Ein Typ mit dezent alpi­nem Genu­schel sprech­singt dazu irgend­was, und schnell denkt man: „Das ist also die neue von den Sport­freun­den? Das könn­te man ja glatt gut­fin­den.“ Und dann sagt Eins­li­ve-Wuschel Ingo Schmoll etwas von Jonas Gold­baum und – und hier kommt der an herr­lich lan­gen Haa­ren her­bei­ge­zo­ge­ne Bezug zum Auf­hän­ger – „Yeah, yeah, yeah“. Plötz­lich hat aus­ge­rech­net Öster­reich eine tol­le Band.

Ach ja: Jonas Gold­baum sind beim Köl­ner Club­gig der viel­leicht immer noch guten Jim­my Eat World Sup­port (21.8., also kom­men­den Diens­tag) und ver­öf­fent­li­chen ihr Debüt Ende Okto­ber bei den Sen­si­bel­chen von Road­run­ner.

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Radio Musik Rundfunk

Programmhinweis

Mor­gen (Don­ners­tag, 26. Juli) wer­de ich noch ein­mal an mei­ne alte Wir­kungs­stät­te zurück­keh­ren und die Sen­dung „Rocka­way Beach“ bei CT das radio mode­rie­ren.
Es wird eine ein­stün­di­ge Vor­schau auf das Hald­ern Pop Fes­ti­val, das vom 2. bis zum 4. August wie­der am schö­nen Nie­der­rhein statt­fin­det, und ich wer­de haupt­säch­lich Künst­ler spie­len, die die­ses Jahr in Hald­ern am Start sind, und Anek­do­ten aus den ver­gan­ge­nen Jah­ren erzäh­len.

Rocka­way Beach
am 26. Juli 2007
um 21 Uhr
auf CT das radio (Web­stream gibt’s hier)

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Radio Rundfunk Digital

Totgesagte sollen leben!

Track­back am Ende, so beti­tel­te Mari­us einen Ein­trag bei Main­gold am Sonn­tag. Eine Abrech­nung mit einem Sen­de­for­mat, das in Deutsch­land wohl nach wie vor sei­nes­glei­chen sucht (für alle, die nicht wis­sen, was Track­back ist: Es ist eine Radio­sen­dung beim RBB, die sich mit Netz- und Blog­the­men beschäf­tigt).

Seit eini­gen Wochen läuft die Sen­dung eher unrund. Mir fal­len da vor allem die­se Din­ge ein: Wenig The­men, schlech­te Vor­be­rei­tung und unste­te Mode­ra­to­ren­aus­wahl. Erst am Sonn­tag wur­de das so deut­lich wie nie: Nach­dem eine Woche vor­her erst Hol­ger Klein sei­nen Aus­stand gege­ben hat, muss­te Ole Stühr­mann ran. Was er da mach­te, wirk­te eher mit­leid­erre­gend. Was, wie er sel­ber im Track­back-Chat mit­teil­te, dar­an lag, dass er nur Ersatz­mann vom eigent­li­chen Ersatz­mo­de­ra­tor und außer­dem aus­ge­powert gewe­sen sei. Bleibt abzu­war­ten, was in den nächs­ten Wochen so pas­siert mit der Sen­dung. Und wer der end­gül­ti­ge Nach­fol­ger für Hol­gi wird.

John­ny Häus­ler von Spree­blick, mut­maß­li­cher Erfin­der der Sen­dung, hat sich heu­te Nacht zu all dem geäu­ßert, was mit Track­back aktu­ell so pas­siert. Erklärt die Umstän­de, unter denen die Sen­dung und der ent­spre­chen­de Pod­cast im Herbst 2007 star­te­te. Bevor ich jetzt alles kon­kret zitie­re, was er zu erzäh­len hat­te, ver­lin­ke ich den Bei­trag lie­ber.

Sicher ist es schwer, im Medi­um Radio eine Sen­dung über Netz­the­men zu machen. Blogs sind nun­mal pri­mär dazu da, um gele­sen zu wer­den, und nicht um über sie zu reden. Ent­spre­chend ange­nehm fand ich vor allem die Fol­gen, die sich mit dem aktu­el­len Netz-Zeit­ge­sche­hen beschäf­ti­gen. Die flickr-Zen­sur. Abmah­nun­gen. Daten­schutz. Alles rele­van­te The­men, die auch mich als akti­ve Blog­ge­rin inter­es­sie­ren. Es gab Hochs und Tiefs, und die Sen­dung letz­ten Sonn­tag war defi­ni­tiv einer die­ser Tief­punk­te. Der Mei­nung von Mari­us mag ich mich aller­dings nicht anschlie­ßen.

Track­back ist aus mei­ner Sicht zu 100% geschei­tert. Wor­an das liegt habe ich oben für mich erklärt, war­um dies so ist kann ich nicht sagen. FRITZ soll­te sich den Gefal­len tun die­se Sen­dung so schnell wie mög­lich kom­plett abzu­set­zen, bevor die gan­ze Ange­le­gen­heit noch trau­ri­ger wird als sie ohne­hin schon ist.

Anstatt des­sen zitie­re ich dann doch mal John­ny:

Neue Ideen, Pro­jek­te und Medi­en­ex­pe­ri­men­te brau­chen den Wunsch nach Gelin­gen, nicht den Wunsch nach Schei­tern. Und wer Angst vor dem Schei­tern hat, kann immer nur auf Bewähr­tes zurück­grei­fen, allein der Ver­such der Inno­va­ti­on wird dadurch unmög­lich.

TRACKBACK wird wei­ter sen­den und wei­ter aus­pro­bie­ren und wei­ter spie­len, bestimmt nicht für immer, aber für jetzt. Ob mit oder ohne Spree­blick ist dabei noch unge­klärt, aber im Grun­de irrele­vant, denn die grund­sätz­li­che Idee funk­tio­niert auch ohne uns. Aber nicht ohne euch.

Das Poten­ti­al hat die Sen­dung auf jeden Fall. Und diver­se wirk­lich gute und inter­es­san­te Sen­dun­gen las­sen mich an das Gute am The­ma glau­ben.

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Musik Radio

Von Blumen und Hunden, Euros und Quoten

„Fünf Jah­re nach mir und drei Jah­re nach Blum­feld /​ Kau­fen sie alles ein, was deutsch singt“ sang Tom Liwa, der in die­ser Bezie­hung erschre­ckend visio­nä­re Sän­ger der Flower­porn­oes, 1993 in „Titel­sto­ry gegen ganz­sei­ti­ge Anzei­ge“. Jetzt, zwei Jah­re nach Madsen und im Wind­schat­ten von Bands wie Sil­ber­mond, Juli und Revol­ver­held, scheint die Musik­in­dus­trie – ihrer seit Jah­ren anhal­ten­den schwe­ren Kri­se zum Trotz – wirk­lich alles signen zu müs­sen, was jung ist, eine Gitar­re hal­ten kann und deutsch spricht bzw. singt. Was ja für sich betrach­tet erst mal weder gut noch schlecht ist – die Nach­wuchs­för­de­rung ist sogar aufs hef­tigs­te zu begrü­ßen.

Die neu­es­te Sau, die der­art durchs Dorf gejagt wird, heißt Kar­pa­ten­hund. Ihre Sin­gle „Gegen den Rest“ (die man bei MySpace hören kann), konn­te in den Indie-ori­en­tier­ten Cam­pusCharts genau­so punk­ten (Platz 1 am 16. April wie in den deut­schen Sin­gle­charts (Neu­ein­stieg auf Platz 43). Der Pop­kul­tur­jun­kie las im aktu­el­len Spie­gel (Arti­kel online nicht ver­füg­bar) unter ande­rem:

Für über 30 000 Euro wird Kar­pa­ten­hund Prä­senz auf MTV gesi­chert, dazu zählt, dass „Gegen den Rest“ im April 16-mal die Woche gespielt wird.

und

Bericht im ‘WOM-Maga­zin’ und Son­der­pla­zie­rung bei WOM und Kar­stadt? Rund 15 000 Euro. Bei der süd­deut­schen Laden­ket­te Mül­ler pro­mi­nent auf­tau­chen? 3000 Euro. Pla­zie­rung bei Ama­zon als Neu­heit? 2500 Euro.

Mal davon ab, ob die­se Zah­len so stim­men (die uns übri­gens wie­der zur Liwa’schen Titel­sto­ry brin­gen) und dass die­se Pra­xis so neu und exo­tisch auch nicht ist, klingt die Musik auch noch. Und zwar so, wie deutsch­spra­chi­ge Indie­bands, die auf ein stu­den­ti­sches Publi­kum zie­len, eben so klin­gen. Die Braut Haut Ins Auge, die Las­sie Sin­gers oder die Mouli­net­tes (mit deren Best Of die Kar­pa­ten­hund-Sin­gle übri­gens ver­blüf­fen­de Cover-Ähn­lich­kei­ten hat) klan­gen so schon vor län­ge­rem.

„Gegen den Rest“ ist ein net­ter Schubi­du-Pop­song, zu dem man in der Indi­edis­co tanzt und ihn auf dem Heim­weg schon wie­der ver­ges­sen hat – Hund Am Strand 2007 halt. Ich fin­de es nur immer ein biss­chen scha­de, dass die klei­ne­ren, eigent­lich span­nen­de­ren Acts wie Jona, Jan­ka oder Zuhau­se, die nicht so eine gro­ße Pro­mo­ma­schi­ne im Rücken haben wie Kar­pa­ten­hund, Fotos oder Madsen, mal wie­der irgend­wie unter­ge­hen. Und dann blo­ckiert auch noch die (übri­gens fan­tas­ti­sche) neue Sin­gle von Wir Sind Hel­den die Radio­sen­der.

Es ist übri­gens noch kei­ne drei Jah­re her, da for­der­ten ein paar über­wie­gend älte­re, haupt­säch­lich unspan­nen­de und auch sonst eher ner­vi­ge Musi­ker (z.B. Heinz Rudolf Kun­ze) unter Mit­hil­fe der dama­li­gen Bun­des­tags­vi­ze­prä­si­den­tin Ant­je Voll­mer eine sog. Deutsch­quo­te. Die damals ver­ein­zelt ange­reg­ten Alter­na­ti­ven wür­de ich heut­zu­ta­ge nur zu ger­ne mal dem Peti­ti­ons­aus­schuss vor­stel­len …

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Musik Rundfunk Radio

Don’t Listen To The Radio

Man kann nicht immer alles gut fin­den und abfei­ern. Selbst wenn an einem Tag zwei Plat­ten erschei­nen, auf die ich mich freue wie als Kind auf Weih­nach­ten, so kom­men am glei­chen Tag doch min­des­tens genau­so­vie­le Plat­ten, die auf deut­lich ande­re Käu­fer hof­fen müs­sen. Auch im Radio kom­men auf einen guten Song min­des­tens drei okay und eine rich­ti­ge Ner­ven­sä­ge (das ist jetzt nur geschätzt, ich bin aber fast bereit, Feld­ver­su­che durch­zu­füh­ren) – und das fern­ab von Tokio Hotel, Xavier Naidoo und Sil­ber­mond.

Des­we­gen jetzt und hier: Die „Dar­um tret‘ ich Dein Radio ein“-Charts – total sub­jek­tiv und krass pole­misch.

05. Snow Pat­rol – Shut Your Eyes
Snow Pat­rol sind eine recht ordent­li­che Band. Man kann jedes Mal beto­nen, dass „Final Straw“, das Album vor dem Durch­bruch, deut­lich bes­ser war als das Durch­bruch­s­al­bum „Eyes Open“ selbst. „Cha­sing Cars“ war eine Mör­der­hym­ne, aber „Shut Your Eyes“ hat zu wenig Melo­die, zu wenig Span­nung, zu wenig Song. Ein­fach nur öde.

04. Incu­bus – Love Hurts
Ich hab Incu­bus immer schon für eine schwa­che Red-Hot-Chi­li-Pep­pers-Tri­bu­te-Band gehal­ten und die­se Sin­gle bestä­tigt mich in mei­nem Glau­ben. Green Days „Bou­le­vard Of Bro­ken Dreams“ auf Vali­um.

03. Razor­light – Befo­re I Fall To Pie­ces
Razor­light sind ein wei­ches Ziel, noch extre­mer als Kea­ne: kein Musik­jour­na­list wür­de je öffent­lich zuge­ben, die Band um den Fünf-Minu­ten-Liber­ti­nes-Bas­sis­ten John­ny Bor­rell auch nur ansatz­wei­se gut zu fin­den – trotz­dem war „Ame­ri­ca“ ein net­ter Pop­song. „Befo­re I Fall To Pie­ces“ ist jetzt aber eine ster­bens­lang­wei­li­ge Rock’n’Roll-Par­odie, die selbst gegen Neun­zig­jäh­ri­ge nicht ankommt.

02. Den­de­mann – End­lich Nicht­schwim­mer
Bis hier­her waren die Songs nur öde, jetzt wer­den sie ner­vig – und das rich­tig schnell und ganz doll. Der „Blues­sän­ger auf Abwe­gen“ Den­de­mann rappt sich durch Uralt­beats und Dicke-Hose-Stro­phen und krönt den Track mit einem der ner­vigs­ten Refrains ever.

01. Boundzound – Lou­der
Wenn das eigent­lich sehr gute Musi­ker­kol­lek­tiv See­ed mal gera­de Betriebs­fe­ri­en hat, machen die diver­sen Mit­glie­der was ande­res. Ob es unbe­dingt Musik sein muss, ist zumin­dest im Fall von Sän­ger Dem­ba Nabé eine berech­tig­te Fra­ge, denn die ers­te Sin­gle sei­nes Pro­jekts Boundzound ist nerv­tö­ten­der als vier Stun­den Nach­bars Alarm­an­la­ge hören – aber ähn­lich repe­ti­tiv und melo­di­ös. Sel­ten reagie­re ich kör­per­lich auf unlieb­sa­me Musik, hier ste­he ich kurz vor Schüt­tel­krämp­fen. Das Lied ist so doof, dass ich mir sogar den unglaub­li­chen Wort­witz von wegen Lei­ser­dre­hen spa­re.

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I’m A Yesterday Man

Am Don­ners­tag star­te­te in den deut­schen Kinos „Robert Altman’s Last Radio Show“ (was – ange­denk der Tat­sa­che, dass Regis­seur Robert Alt­man inzwi­schen ver­stor­ben ist – ein über­ra­schend pas­sen­der „deut­scher“ Titel für „A Prai­rie Home Com­pa­n­ion“ ist). In dem höchst ver­gnüg­li­chen Revue­film mit Star­be­set­zung geht es um eine tra­di­ti­ons­rei­che ame­ri­ka­ni­sche Radio­show, die nach vie­len Jah­ren ein­ge­stellt wer­den soll.

Radio ist heu­te ein sog. Neben­bei­me­di­um, d.h. die Radio­ma­cher sind der Ansicht, ihre Hörer hör­ten ihnen sowie­so nicht zu, wes­we­gen sie ihr Pro­gramm so gestal­ten, dass ihnen auch wirk­lich nie­mand mehr zuhö­ren will: Über­dreh­te Gute-Lau­ne-Maschi­nen aus dem Pri­vat­ra­dio, die eine Hek­tik ver­brei­ten wie ein Hams­ter, der ein Kilo Ecsta­sy gefut­tert hat, könn­te ich nicht mal „neben­bei“ ertra­gen, und die ehe­ma­li­gen Qua­li­täts­sen­dun­gen der öffent­lich-recht­li­chen Sen­der sind inzwi­schen auch im „For­mat­pro­gramm“ ange­kom­men (zwei belie­bi­ge Pop­songs; ein Stu­dio­ge­spräch, das auf kei­nen Fall län­ger als andert­halb Minu­ten dau­ern darf und mit einem ner­vi­gen „Musik­bett“ unter­legt ist; zwei belie­bi­ge Pop­songs; eine kur­ze, poin­ten­lo­se Zwi­schen­mo­de­ra­ti­on; zwei belie­bi­ge Pop­songs; Wer­bung – dazu alle drei Minu­ten der Hin­weis, wel­chen Sen­der man gera­de noch mal ein­ge­schal­tet hat­te).

Da grenzt es fast an ein Wun­der, dass es auch im deut­schen Radio noch eine rich­ti­ge Radio­show im bes­ten, im klas­si­schen Sin­ne gibt: sie heißt „Yes­ter­day“, läuft seit 1995 auf WDR 2 und wird von ihrem Erfin­der Roger Handt mode­riert. Frü­her hieß sie „Yes­ter­day – Die Oldie-Show“ und genau das ist sie eigent­lich auch: In der ers­ten Stun­de der drei­stün­di­gen Sen­dung wer­den Hörer­wün­sche erfüllt (als „Oldie“ gilt ein Song, der vor mehr als zehn Jah­ren erschie­nen ist, d.h. spä­tes­tens Ende die­ses Jah­res kön­nen wir mit „Angels“ von Rob­bie Wil­liams rech­nen), in den zwei dar­auf­fol­gen­den Stun­den fin­det das „Yes­ter­day-Quiz“ statt, bei dem je zwei Hörer in zwei Run­den und einem Fina­le gegen­ein­an­der antre­ten.

Die Kan­di­da­ten, meist 55jährige Leh­rer aus Essen, müs­sen (manch­mal recht simp­le, manch­mal wirk­lich kniff­li­ge) Fra­gen zu einem bestimm­ten Jahr­zehnt beant­wor­ten, dazwi­schen gibt es vie­le Musik­ti­tel, die – auch das ist im Radio inzwi­schen eine Sel­ten­heit – fast immer aus­ge­spielt wer­den. Als es im Janu­ar um die Neun­zi­ger Jah­re (des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts) ging, fühl­te ich mich plötz­lich sehr, sehr alt. Ein­mal im Monat fin­det die Sen­dung vor einem Liv­e­pu­bli­kum statt, das mit­un­ter meh­re­re Jah­re auf sei­ne Ein­tritts­kar­ten war­ten muss­te, und was „Yes­ter­day“ (neben der vie­len Musik, die heu­te kaum noch im Radio gespielt wird, und den durch­aus inter­es­san­ten Quiz­run­den) so beson­ders macht, ist die Art, mit der Roger Handt sie mode­riert: es gibt kei­nen strik­ten Sen­de­plan, kei­ne Andert­halb-Minu­ten-Rege­lun­gen, kei­ner­lei Hek­tik.

Die Vor­stel­lung der Kan­di­da­ten nimmt so viel Zeit in Anspruch, wie ande­re Sen­dun­gen gera­de mal einem Star­in­ter­view (inkl. Musik­ti­tel) ein­räu­men wür­den. Handt kann sich minu­ten­lang mit einem kauf­män­ni­schen Ange­stell­ten aus dem Sie­ger­land über den Ein- und Ver­kauf von Schrau­ben („für den Tro­cken­bau, für Holz“) unter­hal­ten oder sich von einer Haus­frau aus Köln über ihre Kin­der berich­ten las­sen, ohne dass es auch nur ansatz­wei­se lang­wei­lig wird. Er inter­es­siert sich für sei­ne Anru­fer (und wohl für alle sei­ne Hörer) und die freu­en sich, „end­lich mal durch­ge­kom­men“ zu sein – ob sie hin­ter­her etwas gewin­nen (es geht um CDs und Kon­zert­kar­ten), ist den meis­ten fast egal. Handt ist locker im posi­ti­ven Sinn, ohne dabei ins Jovia­le (s. Tho­mas Gott­schalk) oder Über­dreh­te (s. Früh­stücks­mo­de­ra­to­ren auf jedem ver­damm­ten Sen­der) abzu­rut­schen, und er sagt Sachen wie „Schon komisch, dass so ein Franz Becken­bau­er mal Plat­ten ein­ge­sun­gen hat. Obwohl: Mari­us Mül­ler-Wes­tern­ha­gen singt ja auch …“

Die Sen­dung läuft Sams­tag­abends ab 19 Uhr und sorgt damit regel­mä­ßig dafür, dass man sich beim Abend­essen fest­hört und das abend­li­che Fern­seh­pro­gramm ein­fach igno­riert. Roger Handt kennt jeden Song, den er spielt, und weiß, wer ihn wann (wahr­schein­lich auch wo) geschrie­ben, und wer ihn Jah­re spä­ter auf der B‑Seite wel­cher Sin­gle geco­vert hat – und wer dabei die Lead­gi­tar­re spiel­te, obwohl er gar nicht in den Liner Notes auf­tauch­te. Soll­te er sich doch mal einen gro­ben Schnit­zer erlau­ben, weist er hin­ter­her ganz zer­knirscht dar­auf hin.

Roger Handt ist kein deut­scher John Peel. Der legen­dä­re eng­li­sche Radio-DJ ent­deck­te bis zu sei­nem plötz­li­chen und viel zu frü­hen Tod 2004 noch wöchent­lich neue Plat­ten und fei­er­te Musi­ker, die sei­ne Enkel­kin­der hät­ten sein kön­nen. Handt, der 1945 und damit sechs Jah­re nach Peel gebo­ren wur­de, sagt heu­te in Inter­views Sät­ze wie

Ich muss mich nur noch für das inter­es­sie­ren, was mich inter­es­siert.

und dass Fred­dy Quinn ein paar geist­rei­che­re Sachen gesun­gen habe als Xavier Naidoo. Das ist sein gutes Recht, und gera­de bei sol­chen Ver­glei­chen wagt man – schon wegen man­geln­der Werk­kennt­nis bei­der Künst­ler – kaum zu wider­spre­chen.

„Yes­ter­day“ ist ech­te Radio­un­ter­hal­tung. Man kann sich irre jung („Das war Karl Schil­ler, Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter von 1966 bis 1972.“) und wahn­sin­nig alt („Und als nächs­tes hören wir Han­son mit ‚MMM­bop‘!“) füh­len. Bei mir erzeugt die Sen­dung das, was schon lan­ge kei­ne Fern­seh­show mehr erreicht: das Gefühl der Gebor­gen­heit, so wie vor vie­len Jahr­zehn­ten die Illies’sche Bade­wan­ne vor „Wet­ten dass …?“